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OLG München, Endurteil v. 03.07.2024 – 7 U 5311/22
Titel:

Keine Vergütungsansprüche für vorvertragliche Tätigkeiten nach gescheitertem Vertragsschluss

Normenkette:
BGB § 311 Abs. 2, § 612, § 675
Leitsätze:
1. Es steht der Annahme des Abschlusses eines Dienstleistungsvertrags nicht entgegen, wenn sich die Parteien nicht über die Höhe einer Vergütung geeinigt haben. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Abschluss eines Dienstleistungsvertrages kann nicht bereits angenommen werden, wenn der Anspruchsteller Leistungen erbracht hat, die auf einem Dienstleistungsvertrag beruhen können. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erbringt eine Person in der Hoffnung, dadurch künftig Vergütungen zu generieren, Leistungen gleichsam auf eigenes Risiko, so scheidet ein Anspruch wegen fehlgeschlagener Vergütungserwartung analog § 612 BGB aus. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dienstvertrag, Geschäftsbesorgungsvertrag, Vergütungsanspruch, Vertragsschluss, Höhe der Vergütung, Beratungsleistungen, Vertragsverhandlungen, eigenes Risiko
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 05.08.2022 – 10 HK O 11409/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32288

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 05.08.2022, Az. 10 HK O 11409/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Leistung von Sicherheit in Höhe 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche für Leistungen in Zusammenhang mit einer beabsichtigten Ausweitung des Vertriebsgebietes für von der Beklagten hergestellte Haarpflegeprodukte.
A.
2
Die Klägerin vertreibt als selbständige Unternehmerin Luxuskosmetik und Körper- und Haarpflegeprodukte, insbesondere von exklusiven Nischenmarken. Die Beklagte ist Inhaberin der Marke „E. Z.“ und stellt unter dieser Marke hochpreisige Haarpflegeprodukte her.
3
Die Klägerin erhielt durch einen von den Parteien geschlossenen Distributionsvertrag (Anlage K1) das exklusive Alleinvertriebsrecht für die dort aufgeführten Haarpflegeprodukte der Beklagten unter deren Marke für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein.
4
Unter dem Punkt „V. BESCHRÄNKUNGEN DES DISTRIBUTORS“ enthält dieser Distributionsvertrag die Bestimmungen:
„1. Der Distributor verpflichtet sich, Verkaufsaktionen und Werbemaßnahmen für Vertragsprodukte und die Marke der Gesellschaft ausschließlich im Distributionsgebiet vorzunehmen.
2. Der Distributor darf die Vertragsprodukte aktiv nicht in Gebiete außerhalb des Vertragsgebiets vertreiben. Diese Gebiete behält die Gesellschaft sich selbst und anderen Distributoren vor. Der Distributor ist jedoch berechtigt, Kundenanfragen von Kunden außerhalb des Vertragsgebiets zu bedienen, sofern in diesem Gebiet noch kein anderer Distributor tätig ist. Entsprechendes gilt für den Vertrieb der Vertragsprodukte über das Internet. Die Gesellschaft wird den Distributor über alle Veränderungen informieren, insbesondere darüber, welche ausschließlich vergebenen Gebiete und Kundengruppen nach Abschluss dieses Vertrages hinzugekommen oder weggefallen sind.
3. (…)“
5
Ab Februar 2019 sprachen die Parteien über einen Vertrieb der Produkte der Beklagten in weiteren Ländern. In einem Anfang März 2019 beginnenden und am 25. April 2019 endenden WhatsApp-Austausch (Anlage K2) berichtete der Geschäftsführer der Klägerin der Geschäftsführerin der Beklagten über die Ergebnisse von Telefonkonferenzen und anderen Gesprächen mit Distributoren in Benelux, Italien, Skandinavien, Frankreich, dem arabischen Raum, Russland und dem Vereinigten Königreich. Daneben bat der Geschäftsführer der Klägerin die Geschäftsführerin der Beklagten in diesem WhatsApp-Austausch, bestimmten Vertriebskontakten in den genannten Ländern Testprodukte zur Verfügung zu stellen.
6
Am 17. April 2019 um 18:20 Uhr sendete der Geschäftsführer der Klägerin die E-Mail-Anlage K3 an die Geschäftsführerin der Beklagten. Darin schreibt der Geschäftsführer der Klägerin:
„wie besprochen erhältst Du anbei einen kurzen Handelsvertretervertrag für unsere Aufgabe des Ausbaus Eures internationalen Distributionsnetzwerkes.
Es handelt sich hierbei um einen kurzen Standardvertrag, der die wichtigsten Punkte klärt. Bitte prüft diesen zeitnah und gebt mir möglichst bis Ende nächster Woche Feedback dazu. Ihr könnt gerne Punkte ergänzen, wenn Euch hier etwas fehlt.
Um Dir entgegenzukommen, würden wir auf eine monatliche Entwicklungspauschale, die in der Regel bei etwas (sic.) 2.000 € liegt für den grundsätzlichen Aufbau des Netzwerkes verzichten und nur eine Provision erhalten, wenn auch Umsätze zu Stande kommen und ihr davon profitieren könnt.
(…)
Nachdem wir unseren Handelsvertretervertrag geschlossen haben, was wir möglichst bis Ende April gemacht haben sollten, damit die Verhandlungen mit den Partnern nicht ins Stocken kommen, würde ich Euch einen ausgearbeiteten internationalen Distributionsvertrag zur Verfügung stellen. Diesen würdet ihr von mir kostenlos erhalten und müsst keinen teuren Anwalt damit beauftragen (Ersparnis ca. 5.000 €).
(…)
Bezüglich der Konditionen können wir morgen gerne im Detail sprechen, ich habe hier einige Ideen, um Euch zu helfen.“
7
Am 27. Juni 2019 um 10:33 Uhr sendete der Geschäftsführer der Klägerin sodann an die Geschäftsführerin der Beklagten die E-Mail-Anlage K6, welche auszugsweise lautet:
„leider habe ich Eurerseits immer noch keinen Vorschlag zum Handelsvertretervertrag bekommen. Ich möchte Dich nochmals bitten, mir bis Morgen (sic.) ein konkretes Angebot zu unterbreiten. Dieses Thema muss geklärt sein bevor wir morgen nach Moskau fliegen. Mein erster Vorschlag ist aus April, zu dem ich leider bis heute kein konkretes Feedback bekommen habe.“
8
Zur Unterzeichnung eines entsprechenden Handelsvertretervertrages kam es nachfolgend nicht.
9
Eine weitere E-Mail des Geschäftsführers der Klägerin an die Geschäftsführerin der Beklagten vom 23. Juli 2019, 15:28 lautet auszugsweise:
„Aus gesundheitlichen Gründen möchte ich gerne so vorgehen, dass ihr die Expansion wieder selbst übernehmt und ich mich von meiner Tätigkeit als Berater zurückziehe. Sollten die Geschäfte wie von mir initiiert zu Stande kommen, würde ich eine einmalige Provision von 10% veranschlagen auf die Initialbestellung. Da meine Arbeit damit abgeschlossen ist, fallen auch keine weiteren Provisionen an. Alternativ müssten wir Euch die Arbeitsstunden und die Kontaktherstellung sowie den Mustervertrag in Rechnung stellen. Dies können wir gerne im September persönlich besprechen.“
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Mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 27. März 2020 (Anlage K 7) kündigte der anwaltliche Vertreter der Beklagten fristlos den zwischen den Parteien für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein geschlossenen Distributionsvertrag. Daraufhin stellte die Klägerin der Beklagten für Beratungsleistungen (Expansionsberatung) im Zeitraum 01.03.2019 bis 19.02.2020 insgesamt 36.898,33 € in Rechnung (Anlage K9), darunter netto 5.000 € für die Erstellung eines Vertragsentwurfs und netto 26.007 € für (rechnerisch um 3 Euro zu hoch) behauptete 132 Stunden Tätigkeit zu je 197 €. Zu einer Zahlung dieses Betrages durch die Klägerin kam es nachfolgend nicht.
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Die Klägerin behauptete, die Beklagte habe sie außerhalb des zwischen den Parteien zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Distributionsvertrags (der Distributionsvertrag für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein bestand nach der von der Beklagten nicht bestrittenen Angabe der Klägerin bereits seit 2017, s. Schriftsatz vom 22. November 2021, Bl. 110 d.A.) mit Beratungsleistungen im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Vertrieb der Produkte der Beklagten in weitere Länder beauftragt. Bei einem Treffen am 18. Februar 2019 in Düsseldorf hätten der Geschäftsführer der Klägerin und die Geschäftsführerin der Beklagten über eine Expansion gesprochen. Die Geschäftsführerin der Beklagten habe dabei dem Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt, dass sie hierbei Hilfe benötige. Die Parteien seien so verblieben, dass die Klägerin die Beklagte bei der Expansion unterstützen und einen Vorschlag für eine Vergütung unterbreiten würde. Hierbei habe der Geschäftsführer der Klägerin deutlich gemacht, dass die Zusammenarbeit abseits des bestehenden Distributionsvertrags stattfinden und gesondert vergütet werden müsse.
12
Zu dem Umfang der Tätigkeit führt die Klägerin aus, der Geschäftsführer der Klägerin sei zur Vorbereitung der Expansion der Beklagten 132 Stunden für die Beklagte tätig geworden. Die einzelnen Tätigkeiten ergäben sich aus der Tätigkeitsübersicht (Anlage K9), die der Rechnung beigefügt war, und der detaillierteren Übersicht Anlage K22. Die Klägerin habe der Beklagten zudem den Entwurf eines Handelsvertretervertrages und den Entwurf eines für den russischen Markt angepassten Handelsvertretervertrages zur Verfügung gestellt. Die kostenlose Zurverfügungstellung sei unter der Bedingung eines nachfolgenden Vertragsschlusses erfolgt. Die Klägerin habe zudem für die Marke der Beklagten Präsentationen (Anlage K23) zur Verwendung vor potenziellen Kunden erstellt und im großen Umfang Kontakt mit potentiellen Kunden der Beklagten aufgenommen (Schriftsatz vom 13. August 2021, Bl. 77/79 d.A.).
13
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, 36.898,33 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. April 2020 an die Klägerin zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.336,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Juli 2020 an die Klägerin zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
15
Die Beklagte behauptet, die Forderungen der Klägerin hätten keinerlei Grundlage. Neben dem zuvor bestehenden Distributionsvertrag sei zwischen den Parteien kein Vertrag zu Stande gekommen. Die Ankündigung der Klägerin in der E-Mail vom 08.04.2020, der Beklagten Dienstleistungen für Expansionsberatung in Rechnung zu stellen, sei für die Beklagte völlig überraschend erfolgt. Die Tätigkeitsaufstellung der Klägerin sei zudem nicht nachvollziehbar.
16
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 05.08.2022 abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Landgericht aus, die Klägerin habe nicht beweisen können, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Vertrag über das Erbringen vergütungspflichtiger Beratungsleistungen zustande gekommen ist. Die Aussage des Zeugen B., man (gemeint ist: die Klägerin) sei „quasi“ beauftragt worden, reiche nicht aus, um einen verbindlichen Vertrag annehmen zu können. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich auch nicht, dass der von der Klägerin an die Beklagte übersendete Entwurf eines Handelsvertretervertrages im Auftrag der Beklagten gefertigt wurde. Ergänzend wird auf Tatbestand und Gründe des Urteils des Landgerichts Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.
17
Mit ihrer am 5. September 2022 eingelegten und durch Schriftsatz vom 10. November 2022 innerhalb gerichtlich verlängerter Frist begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter. Die Klägerin trägt vor, sie habe objektiv vergütungspflichtige, von der Beklagten beauftragte Beratungsleistungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Vertriebsexpansion der Beklagten erbracht. Ein Vertrag sei bereits durch das Gespräch der Parteien im Februar 2019 zustande gekommen, jedenfalls aber sei ein Vertrag konkludent durch die nachfolgenden Leistungen der Klägerin und deren Würdigung durch die Beklagte geschlossen worden.
18
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 5. August 2022 (Az.: 10 HK 11409/20) dahingehend abzuändern, dass wie folgt erkannt wird:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 36.898,33 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) seit dem 25. April 2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.336,90 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) seit dem 25. April 2020 zu zahlen.
19
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
20
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch die Aussage des Zeugen B. keine auf den Abschluss eines Beratungsvertrages gerichtete Erklärungen der Parteien belege. Die Klägerin habe der Beklagten auch den Handelsvertretervertrag kostenlos überlassen. Zudem bestreitet die Beklagte den Umfang der berechneten Tätigkeit und die Üblichkeit des berechneten Stundensatzes. Schließlich führt die Beklagte im Schriftsatz vom 25. Juni 2024 (Bl. 248/251 d.A.) aus, eine weitere Handelskammer des Landgerichts habe in einem Rechtsstreit über die Kündigung des zwischen den Parteien zuvor bestehenden Distributionsvertrags für Deutschland, Österreich die Schweiz und Liechtenstein dargelegt, dass das im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Zahlungsbegehren nach Auffassung der dort entscheidenden Kammer im Ergebnis nicht berechtigt sei.
21
Der Senat hat am 03.07.2024 mündlich verhandelt. Für weitere Einzelheiten werden das Protokoll dieser Verhandlung und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze in Bezug genommen.
B.
22
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
23
I. Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist auch im Übrigen zulässig.
24
II. Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte weder aus Vertrag noch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, aus Bereicherung oder aus Vertrauenshaftung einen Anspruch auf Zahlung der mit der Klage begehrten Vergütung und infolgedessen auch keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im Einzelnen:
25
1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin den Abschluss eines entgeltlichen Dienstvertrages über Beratungs- oder Geschäftsführungsleistungen nicht darlegen und beweisen konnte.
26
a. Zwar ist insoweit im Ausgangspunkt nicht zu verkennen, dass – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – nach § 612 BGB für Dienst- und Arbeitsverhältnisse einschließlich der Geschäftsbesorgungsverhältnisse im Sinne von § 675 BGB die ortsübliche (§ 612 Abs. 2 BGB) Vergütung auch dann geschuldet wird, wenn die Parteien keine Vergütungsvereinbarung getroffen haben, die Dienstleistung (einschließlich der Geschäftsbesorgung) aber nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dem Abschluss eines Beratungs- oder Geschäftsbesorgungsvertrages und einer auf einem solchen Vertrag beruhenden Pflicht zur Zahlung einer Vergütung steht daher nach § 612 BGB nicht entgegen, dass sich die Parteien vorliegend unstreitig über die Höhe einer entsprechenden Vergütung nicht geeinigt hatten (s. zu dem Zweck des § 612 BGB, durch die unwiderlegliche Vermutung der Entgeltlichkeit nach § 612 Abs. 1 BGB und die Regel zur üblichen Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB andernfalls bestehende, als wesentlicher Einigungsmangel ggf. auch die Wirksamkeit des Vertrags nach § 154, 155 BGB ausschließende Lücken im Vertrag zu beheben Grüneberg/Weidenkaff, 83. Auflage 2024, § 612 Rn. 1; Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 612 Rn. 5 und Preis/Greiner in Erfurter Kommentar, 24. Auflage 2024, § 612 Rn. 1).
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b. Voraussetzung einer Vergütungspflicht ist aber auch in den von § 612 BGB erfassten Fällen, dass die Parteien die Erbringung entsprechender Dienste (hier: Beratung oder Geschäftsbesorgung in Zusammenhang mit der geplanten Expansion des Vertriebsgebietes in weitere Auslandsmärkte) vereinbart haben. Wie durch das Landgericht zutreffend festgestellt, konnte die Klägerin eine entsprechende Vereinbarung nicht darlegen. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe dringen nicht durch.
28
aa. Eine Beauftragung der Klägerin durch die Beklagte zu Beratungsleistungen lässt sich weder bereits daraus ableiten, dass die Parteien im Februar 2019 unstreitig über die geplante Expansion des Vertriebs der Produkte der Beklagten in weitere Auslandsmärkte gesprochen hatten, noch daraus, dass die Klägerin nachfolgend Kontakt zu verschiedenen potentiellen Distributoren in verschiedenen Auslandsmärkten aufgenommen und die Beklagte hierüber und über die Ergebnisse dieser Kontaktaufnahme unterrichtet hat, denn dieses Verhalten stellt sich aus der Sicht eines objektiven Dritten nicht als Beratungsleistungen dar. Durch einen Beratervertrag wird der Beauftragte zur Erteilung von Rat verpflichtet. Eine solche Pflicht lässt sich aber auch auf der Basis des Klagevortrags aus den Kontakten der Parteien nicht ableiten und es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin der Beklagten nachfolgend einen konkreten Rat erteilt hätte.
29
bb. Die zwischen den Parteien im Februar 2019 geführten Gespräche und die nachfolgenden Handlungen begründen im Ergebnis auch keinen Vertrag über Dienstleistungen in Form der Geschäftsbesorgung. Zwar läge nach dem Inhalt der von der Klägerin vorgenommenen Tätigkeiten ein Vertrag über Dienste in Form der Geschäftsbesorgung (mit der Vorbereitung der geplanten Expansion des Vertriebs der Produkte der Beklagten in weitere Auslandsmärkte als zu besorgendem Geschäft) näher als ein Dienstvertrag über Beratungsleistungen. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts kann aber auch von einem zwischen den Parteien geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrag im Ergebnis nicht ausgegangen werden.
30
(1) Nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (die Berufungsbegründung der Klägerin vom 10. November 2022, Bl. 201/215 d.A. wendet sich unter Punkt I nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts, sondern gegen dessen – in der Berufung ohnehin in vollem Umfang zu prüfende, BGH NJW 2004, 2751 – Ableitung, dass mit Blick auf diese Feststellungen keine auf Abschluss eines Vertrages gerichteten Willenserklärungen vorliegen) fand im Februar 2019 im Rahmen eines anderweitigen Termins auch ein Vier-Augen-Gespräch zwischen der Geschäftsführerin der Beklagten und dem Zeugen B. als Vertreter der Klägerin statt. Gegenstand des Gesprächs war nach den Feststellungen des Landgerichts die Generierung weiteren Umsatzes (LGU S. 4). Des Weiteren war nach diesen Feststellungen der Abschluss eines (weiteren) Handelsvertretervertrages zwischen den Parteien lediglich beabsichtigt, kam aber nicht zu Stande (LGU S. 5).
31
(2) Ein Geschäftsbesorgungsvertrag setzt voraus, dass die nach dem Vertrag von dem Auftragnehmer auszuführende Tätigkeit zumindest auch im Interesse des Geschäftsherrn erfolgt und damit zumindest auch fremdnützig ist, s. BGH, Urteil vom 29.04.2004 – III ZR 279/03, juris Rn. 9. Hierbei ist von Fremdnützigkeit nach einer in der Rechtsprechung verbreitet (aber nicht durchgehend, s. BGH Urteil vom 29.04.2004 – III ZR 279/03, juris Rn. 9) verwendeten zusätzlichen Einschränkung nur auszugehen, wenn der Auftragnehmer eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Obliegenheit übernimmt, für die ursprünglich der Geschäftsherr selbst zu sorgen hatte, während es an Fremdnützigkeit fehlt, wenn der Aufgabenkreis des Geschäftsherrn mit Hilfe des Vertragspartners erst geschaffen werden soll, s. BGH Urteil vom 25.04.1966 – VIII ZR 120/65, juris Rn. 29, Urteil vom 06.07.2006 – IX ZR 121/05, juris Rn. 8, OLG Koblenz Beschluss vom 05.05.2014 – 3 U 1543/13, juris Rn. 22. Auf dieser Basis wäre ein zwischen den Parteien bestehender Geschäftsbesorgungsvertrag schon deshalb auszuschließen, weil der Vertrieb der Produkte der Beklagten in weitere Auslandsmärkte und die damit einhergehenden – ggf. von der Klägerin zu übernehmenden – Aufgabenkreise erst geschaffen werden sollten.
32
(3) Vorliegend kann indes dahinstehen, ob an dem Kriterium der bereits vorbestehenden Obliegenheit zur Charakterisierung einer Absprache als Geschäftsbesorgungsvertrag festzuhalten ist oder ob in Einklang mit der überwiegenden Literaturmeinung (so Martinek/Omlor in Staudinger (2017) § 675 Rn. A 19 f.; MünchenerKommentar/Heermann, 9. Auflage 2023, § 675 BGB Rn. 8) auch eine neu geschaffene, erstmalig mit einer Parteiabsprache wahrgenommene Tätigkeit fremdnützig sein und sich die Absprache damit als Geschäftsbesorgungsvertrag darstellen kann, solange die wahrgenommene Tätigkeit von dem Geschäftsbesorger objektiv zumindest auch im Vermögensinteresse des Geschäftsherrn erfolgt. Insoweit ist beachtlich, dass auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts von einer absprachegemäßen Fremdnützigkeit der Tätigkeit der Klägerin auch bei Zugrundelegen dieses gegenüber der in der Rechtsprechung verwendeten Formel weiteren Begriffs der Fremdnützigkeit insgesamt nicht ausgegangen werden kann, denn die Bemühungen der Klägerin dienten auf der Basis dieser Feststellungen allein zur Vorbereitung einer künftigen, dann provisions- oder sonst entgeltpflichtigen Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte in weiteren Auslandsmärkten.
33
Die Tätigkeit der Klägerin erweist sich damit weder als Beratung auf der Grundlage eines Beratungsvertrages, noch als (sonstige) Dienstleistung in Form der Geschäftsbesorgung, sondern allein als Eigengeschäft der Klägerin zur Vorbereitung eines künftigen Vertrages über die Ausweitung des Vertriebsgebietes und damit als der Versuch der Klägerin, für sich selbst eine weitere Geschäftschance zu schaffen. Hierfür streitet entscheidend, dass ausweislich der Emails Anlage K6 auch die Klägerin davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ihr ein künftiges Entgelt erst im Zuge des noch abzuschließenden Handelsvertretervertrages für dann in den weiteren Auslandsmärkten generierte Umsätze schuldet. Die Aussage des Zeugen B. hat das Landgericht zutreffend dahingehend gewürdigt, dass auch nach dieser Zeugenaussage weder ein Beratungsvertrag noch ein sonst entgeltlicher Vertrag geschlossen wurde. Insoweit ist aus Sicht des Senats lediglich hinzuzufügen, dass auf Abschluss eines entgeltpflichtigen Vertrags gerichtete Willenserklärungen der Parteien aus der Sicht eines objektiven Dritten auch nicht bereits deshalb anzunehmen sind, weil die Parteien im Februar 2019 über die künftige Expansion gesprochen haben und weil die Klägerin die Beklagte nachfolgend über die Bemühungen, künftige Vertriebspartner in weiteren Auslandsmärkten zu gewinnen, unterrichtet hatte. Hierzu ist beachtlich, dass nach Punkt V. des zwischen den Parteien bereits bestehenden Distributionsvertrags die Tätigkeit der Klägerin auf das Distributionsgebiet beschränkt war. Bereits die Ansprache künftiger Vertriebspartner in weiteren, von dem ursprünglichen Distributionsvertrag nicht erfassten Auslandsmärkten und damit der Versuch, weitere Geschäftschancen zu schaffen, bedurfte daher einer Absprache der Klägerin mit der Beklagten. Infolgedessen ist aus Sicht eines objektiven Dritten das Einverständnis der Beklagten mit Bemühungen der Klägerin, weitere künftige Vertriebspartner zu finden, keine auf den Abschluss eines gesonderten Vertrags über die Erbringung von Dienstleistungen in Zusammenhang mit einer Auslandsexpansion gerichtete Willenserklärung.
34
c. Ohne dass es hierauf ankäme, kommt hinzu, dass die Klägerin auch den Umfang ihrer angeblich entgeltpflichtigen Tätigkeit nicht hinreichend dargelegt hat. Ist eine Vergütung nach Zeitaufwand geschuldet, so hat der Vergütungsempfänger darzulegen, dass die berechnete Vergütung tatsächlich entstanden ist. Die abgerechneten Tätigkeiten müssen hierfür konkret und in nachprüfbarer Weise dargelegt werden, s. für Zeithonorar von Strafverteidigern BGH, Urteil v. 4.2.2010 – IX ZR 18/09, juris Rn. 77 sowie für die Anforderungen an substantiierten Vortrag bei Zeithonorar außerhalb anwaltlicher Tätigkeit OLG Hamm, Urteil vom 27.03.2012 – I-24 U 61/11, juris Rn. 31. Diesen Anforderungen wird weder die kursorische, der Rechnung Anlage K9 beigefügte Aufstellung, noch die detailliertere Aufstellung Anlage K22 gerecht. Insbesondere sind die von der Klägerin berechneten Leistungen auch auf der Basis der Tabelle Anlage K22 nicht nachprüfbar, denn auch diese Tabelle enthält vielfach Zeitaufwand, der für einen großen Leistungszeitraum lediglich pauschal aufgeführt wird, etwa insgesamt 28 Zeitstunden im Zeitraum 02.03. – 11.10.2019 für nicht näher bezeichnete E-Mails in Zusammenhang mit der Expansion Italien, 24 Zeitstunden im Zeitraum 10.04. – 24.07.2019 für E-Mails in Zusammenhang mit der Expansion Russland und weitere 24 Zeitstunden im Zeitraum 01.03.2019 – 19.02.2020 für „Email + WhatsApp Korrespondenz“ mit dem Thema „Allgemein Expansion“. Die Aufstellungen sind daher nicht hinreichend konkret, um eine Prüfung durch die Beklagte zu ermöglichen. Zudem enthält die Aufstellung Anlage K 22 mehrfach Stunden für die Erstellung einer Präsentation, obschon zwischen den Parteien zuletzt unstreitig war, dass die als Anlage K23 zur Akte gereichte Präsentation nicht von der Klägerin, sondern von der Beklagten selbst erstellt und auch von der Beklagten in weitere Sprachen übersetzt worden war.
35
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus fehlgegangener Vergütungserwartung analog § 612 BGB oder aus § 311 Abs. 2 BGB wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen.
36
a. Ein (nachträglicher) Anspruch analog § 612 BGB kann bestehen, wenn jemand in Erwartung künftiger Vermögenszuwendungen Arbeits- oder Dienstleistungen ohne oder ohne zureichende Vergütung erbringt. Vorliegend ergibt sich jedoch aus den Emails Anlage K6, dass der Klägerin bewusst war, im Zeitpunkt der von ihren getätigten Vorbereitungen hinsichtlich der weiteren Auslandsmärkte noch nicht über einen Handelsvertretervertrag oder einen sonstigen Provisionsanspruch zu verfügen. Die Beklagte hat daher keine Erwartung einer künftigen Vergütung erweckt. Erbringt aber eine Person in der Hoffnung, dadurch künftig Vergütungen zu generieren, Leistungen gleichsam auf eigenes Risiko, so scheidet ein Anspruch wegen fehlgeschlagener Vergütungserwartung analog § 612 BGB aus, s. BAG, Urteil vom 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, juris Rn. 23.
37
b. Aus den gleichen Erwägungen besteht auch bereits dem Grunde nach kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 311 Abs. 2 BGB wegen Abbruchs von Vertragsverhandlungen. Da die Klägerin wusste, dass hinsichtlich der weiteren Auslandsmärkte zwischen ihr und der Beklagten noch kein Handelsvertreter- oder sonstiger Distributionsvertrag geschlossen war, bestand auch kein schutzwürdiges Vertrauen in ein künftiges Zustandekommen eines solchen Vertrages. Für ein Handeln auf eigenes Risiko spricht zusätzlich, dass die Klägerin auch den Umfang ihrer Bemühungen im Vorfeld der möglichen Expansion der Beklagten in weitere Auslandsmärkte ausschließlich selbst steuerte.
38
3. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte besteht sodann und schließlich auch nicht aus Geschäftsführung ohne Auftrag, § 677 BGB oder aus Bereicherung.
39
a. Ein – nach § 683 BGB ohnehin auf Aufwendungsersatz beschränkter – Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag besteht nicht, weil die Klägerin, wie oben dargelegt, zur Schaffung einer eigenen Geschäftschance auf eigenes Risiko tätig wurde und daher kein Geschäft der Beklagten, sondern ein eigenes Geschäft besorgte.
40
b. Auf Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB kann die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte ebenfalls nicht stützen, denn die Beklagte hat durch das Tätigwerden der Klägerin nichts erlangt. Dass die Vorarbeiten der Klägerin eine Expansion der Beklagten erleichtert oder befördert und deren Vermögen dadurch gemehrt hätten, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dies gilt auch hinsichtlich des überlassenen Handelsvertretervertrages, denn es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte diesen – von ihr nicht beauftragten – Vertrag nachfolgend in irgend einer Weise verwendet hätte.
41
Da ein Zahlungsanspruch der Klägerin in der Hauptsache nicht besteht, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die begehrten Zinsen und auf den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat, war die Berufung zurückzuweisen. Der klägerseits begehrte Schriftsatznachlass war nicht zu gewähren, da die erstmals in der Berufungsinstanz thematisierten Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen (Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherung) wie oben unter 3. dargelegt und mit den Parteien bereits in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert, aus Rechtsgründen nicht bestehen.
C.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
43
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalls.