Titel:
Diskriminierung wegen einer Behinderung – Indizwirkung
Normenketten:
AGG § 1, § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 6, § 15 Abs. 2, Abs. 4, § 22
SGB IX § 164 Abs. 5 S. 3, § 178 Abs. 2, § 179, § 181
Leitsätze:
1. Weder die unterbliebene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung - hier u.a. vor Ausspruch einer Abmahnung - gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX noch die nicht erfolgte Bestellung eines Inklusionsbeauftragten gem. § 181 SGB IX indizieren eine Diskriminierung wegen Behinderung (entgegen LAG Hamm BeckRS 2017, 128031 Rn. 73 ff.). (Rn. 55 – 68) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gem. § 179 Abs. 1 SGB IX führen die Vertrauenspersonen ihr Amt als Ehrenamt. Gegen diskriminierendes Verhalten werden sie insoweit gem. § 179 Abs. 2 SGB IX - und nicht durch das AGG - geschützt, dessen Geltung gem. § 2 Abs. 3 S. 1 AGG unberührt bleibt. (Rn. 85) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behinderung, Entschädigung, Diskriminierung, Schwerbehinderung, Inklusionsbeauftragter, Schwerbehindertenvertretung, Ausschlussfrist
Vorinstanz:
ArbG Weiden, Endurteil vom 23.06.2023 – 3 Ca 939/22
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt vom -- – 8 AZR 276/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32271
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 23.06.2023, Az.: 3 Ca 939/22, wird das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 23.06.2023, Az.: 3 Ca 939/22, wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin 76% und die Beklagte 24% zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch um die Verpflichtung der Beklagten, eine Entschädigung nach dem AGG zu zahlen.
2
Die am... 1973 geborene Klägerin ist jedenfalls seit 01.07.2001 bei der Beklagten als Packerin und Verleserin bzw. Materialver- und -entsorgerin beschäftigt, dies in Teilzeit mit einer monatlichen Bruttovergütung iHv. zuletzt 1.200,00 €. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem GdB von 50 und seit November 2022 Schwerbehindertenbeauftragte. Es gibt einen Stellvertreter.
3
Die Klägerin wurde seit Beginn des Arbeitsverhältnisses in Dauernachtschicht beschäftigt.
4
Die Klägerin legte der Beklagten im Laufe des Arbeitsverhältnisses mehrere ärztliche Atteste vor. Unter anderem auf die Atteste vom 12.01.2015, 06.08.2018, 11.10.2018, 21.11.2018, 04.12.2019, 04.06.2021, 30.11.2022, 14.08.2023, 29.08.2023 und vom 19.09.2023 wird Bezug genommen. Zwischen den Parteien ist seit mehreren Jahren im Einzelnen streitig, welche Tätigkeiten durch die Klägerin aufgrund deren körperlicher Beeinträchtigungen erbracht werden können und inwieweit dies ausschließlich in Dauernachtschicht oder auch in Wechselschicht möglich ist.
5
Im Mai 2021 wurde im Betrieb der Beklagten auf ein 3-Schichtsystem umgestellt. Auch danach verblieb die Klägerin mit Einverständnis der Beklagten in Dauernachtschicht beschäftigt. In der Folge bauten sich bis November 2022 180 Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin auf.
6
Mit Schreiben vom 24.11.2022 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Minusstunden ihres Arbeitszeitkontos weiterhin Bestand haben und dass die Klägerin gerne mit ihrer Vorgesetzten den Abbau genauer vereinbaren könne. Mit E-Mail der Beklagten vom 29.11.2022 bat diese die Klägerin, sich hinsichtlich des Abbaus der Minusstunden mit ihrer Vorgesetzten abzustimmen und den Abbau zu vereinbaren. Dies ließ die Klägerin von ihrer Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 30.11.2022 zurückweisen und verlangte zugleich wegen der behinderungsbedingten Nichteinteilung Streichung der Minusstunden.
7
Am 29.11.2022 verlangte die Klägerin von der Beklagten wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen gemäß § 164 V SGB IX eine vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit auf 15,2 Wochenstunden ab 05.12.2022. Dem Antrag auf Arbeitszeitreduzierung stimmte die Beklagte unter Bezugnahme auf § 8 TzBfG ab 01.01.2023 zu.
8
Mit Schreiben vom 03.11.2022 – der Klägerin am 07.12.2022 zugegangen – mahnte die Beklagte die Klägerin ab wegen ihrer Weigerung, den F. LKW abzuladen. Mit weiterem Schreiben vom 03.11.2022 – der Klägerin ebenfalls am 07.12.2022 zugegangen – mahnte die Beklagte die Klägerin ab wegen ihrer Weigerung, ihre Kollegin am Bedeckler 4 abzulösen.
9
Am 20.12.2022 erfolgte eine ärztliche Untersuchung der Klägerin durch die Betriebsärztin der Beklagten. Am 22.12.2022 untersagte die Beklagte der Klägerin die weitere Nutzung des Staplers, den sie bislang zur Verrichtung ihrer Arbeit eingesetzt hatte. Diesbezüglich und zur Vermeidung des von ihr verlangten Minusstundenabbaus leitete die Klägerin am 11.01.2023 ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – ein (3 Ga 1/23), das die Parteien gütlich beigelegt haben (Vergleich vom 08.02.2023).
10
Mit Klageschrift vom 14.12.2022 sowie mit Klageerweiterungsschriftsatz vom 19.12.2022 begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten, 180 Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin ersatzlos zu streichen, es zu unterlassen, die Klägerin anzuweisen, den F. Lkw abzuladen und die Abmahnungen vom 03.11.2022 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – hat die Beklagte mit Urteil vom 23.06.2023 (3 Ca 939/22) antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist insoweit rechtskräftig.
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Am 03.01.2023 wurde die Klägerin angewiesen, wieder vollschichtig mit 7,5 Stunden statt mit 2 Stunden als Verleserin tätig zu werden.
12
Mit Schreiben vom 17.01.2023 erweiterte die Klägerin die Klage (3 Ca 939/22) um eine Entschädigungsforderung nach dem AGG, da die Beklagte sie wegen ihrer Behinderung diskriminiere.
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In der siebten Kalenderwoche des Jahres 2023 wurde die Klägerin angewiesen, in einem Formular die von ihr erbrachten Tätigkeiten täglich zu dokumentieren.
14
Die Beklagte ließ der Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 16.03.2023 mitteilen, dass sie (die Klägerin) ab sofort in Wechselschicht eingesetzt wird. In einem von der Klägerin eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – (3 Ga 2/23) wurde am 29.03.2023 entschieden, dass die Klägerin vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren in Dauernachtschicht weiterarbeiten darf, da die Anweisung wegen ihrer Fristlosigkeit und der fehlenden Berücksichtigung klägerischer Interessen unwirksam ist. In dem durch die Beklagte angestrengten Berufungsverfahren (4 SaGa 3/23) wurde das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – (3 Ca 269/23) wurde die Beklagte durch Urteil vom 23.06.2023 verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens 3 Ca 289/23 und im Falle des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen in diesem Verfahren auch darüber hinaus in Dauernachtschicht zu beschäftigen. Die Berufung der Beklagten wurde durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 22.03.2024 (4 Sa 179/23) zurückgewiesen. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist in Rechtskraft erwachsen.
15
Mit Schreiben der Beklagten vom 09.03.2023 wurde die Klägerin durch die Beklagte aufgefordert, die erhobenen Diskriminierungsvorwürfe zu konkretisieren. Mit Schreiben vom 04.04.2023 wurde die Klägerin durch die Beklagte aufgefordert, die erhobenen Behauptungen zu widerrufen.
16
Mit Schreiben vom 17.03.2023 wurde die Klägerin aufgefordert, ab sofort bereits am ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Beklagten zukommen zu lassen.
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Mit Schreiben vom 20.03.2023 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Teilnahme der Klägerin zu einer von ihr begehrten Schulung als Schwerbehindertenvertretung vom 30.05.2023 bis 02.06.2023 abgelehnt werde.
18
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 03.04.2023, vom 21.04.2023 und vom 22.05.2023. Nachdem das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – die Kündigungen mit Urteil vom 23.06.2023 (3 Ca 289/23) für unwirksam erklärt hat, hat das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 22.03.2024 (Az: 4 Sa 180/23) die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist in Rechtskraft erwachsen.
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Am 15.09.2023 schlossen die Parteien in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – (3 Ca 495/23) einen Vergleich, wonach ein durch die Beklagte am 06.04.2023 ausgesprochenes Hausverbot aufgehoben wurde. Die Klägerin hat ihre Beschäftigung bei der Beklagten wieder aufgenommen.
20
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass ihr die Beklagte eine Entschädigung nach dem AGG schulde, da sie wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden sei. So sei sie wegen ihrer Einschränkungen 2021 – 2022 nicht im vertraglichen Umfang zur Arbeit eingeteilt worden. Auch sei sie in Form der Abmahnungen anders als eine Person ohne körperliche Einschränkungen benachteiligt worden, da sie den Weisungen des Arbeitgebers einschränkungsbedingt nicht habe folgen können. Auch sei ihr hier die Chance der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung genommen worden. Die Weisung, den LKW abzuladen, stelle ohne angemessene Vorkehrungen etwa in Form einer zeitlich nur begrenzten Beteiligung der Klägerin oder einer Ausstattung des Staplers mit einer Rückwärtskamera und einem Spiegel, ebenso wie die Anweisung vom 01.03.2023, sie ohne angemessene Vorkehrung entgegen der Regelung im Präventionsverfahren 2019 mit mehr als 2 Stunden zum Verlesen einzusetzen, jeweils eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung dar. Auch sei die Klägerin benachteiligt worden, indem sie – wieder ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – anders als die nicht behinderten Mitarbeiter als Einzige Arbeitsvorgänge habe dokumentieren müssen, ohne dass ihr der Zweck mitgeteilt worden sei. Weitere Indizien für ihre behinderungsbedingte Benachteiligung seien der Entzug des Staplers ohne Grund und ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – dadurch sei ihr der behinderungsgerechte Arbeitsplatz weggenommen worden – und die Nichtbearbeitung ihres Teilzeitantrages nach § 164 SGB IX. Die Beklagte habe ihren Antrag fälschlicherweise nach dem TzBfG behandelt und von ihr unzutreffend eine Vertragsänderung verlangt und zugleich mit dem Verlangen, die Minusstunden hereinzuarbeiten, eine Arbeitszeitverlängerung angeordnet. Insgesamt sei die Klägerin unmittelbar nach Amtsübernahme und dann, wenn sie Rechte nach dem SGB IX geltend gemacht habe, gemaßregelt worden. In der Nacht auf den 17.03.2023 sei sie bei der Ausübung ihres Amtes der Schwerbehindertenvertretung eingeschränkt worden. Ihr sei kein Zimmer zur Ausübung ihres Amtes zur Verfügung gestellt worden. Den ihr erst im Februar 2023 gestatteten Zugang zum Betriebsratszimmer habe die Beklagte Ende März 2023 widerrufen. Ihre bereits genehmigte Schulung für den 3. Teil einer Schulung mit dem Inhalt, welche Leistungen für schwerbehinderte Kollegen zur beruflichen Rehabilitation bzw. welche externen Leistungen zur Arbeitsplatzerhaltung beantragt werden können, habe die Beklagte ihr nach erfolgter Anmeldung doch versagt. All dies seien Indizien dafür, dass die Beklagte ihren Pflichten nach dem SGB IX nicht nachkomme und die Klägerin benachteilige. Auch sei ihr nach der Amtsübernahme und Klageeinreichung abverlangt worden, ihre AU-Bescheinigung ab dem 1. Tag schriftlich vorzulegen. Ohne Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung sei es nicht möglich gewesen zu klären, warum sie hier als Ausnahmefall geführt werde. Auch die fristlose Umsetzung weg von der Dauernachtschicht ohne Kenntnis und Berücksichtigung ihrer familiären Betreuungssituation und ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung stelle eine zur Entschädigung verpflichtende Benachteiligung dar. Die Aufforderung der Beklagten, die Diskriminierungsvorwürfe trotz des laufenden Hauptsacheverfahrens außergerichtlich aufzuklären bzw. nicht aufrechtzuerhalten, stelle einen Verstoß gegen § 16 AGG dar, denn es müsse der Klägerin möglich sein, die Indizien der Benachteiligung beim Arbeitsgericht vorzutragen. Bei der Höhe der Entschädigung sei zu beachten, dass die sofortige Versetzung in die Wechselschicht ebenso wie das Verbot, den Stapler weiter zu benutzen, den Zugang der Klägerin zur Beschäftigung konkret bedrohten, was angesichts der Schwere der Benachteiligung zu einem mindestens fünfstelligen Betrag führen müsse.
21
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin weitere 180 Stunden gutzuschreiben.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt es zu unterlassen, die Klägerin anzuweisen den F. LKW abzuladen.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 03.11.2022 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
- 4.
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Die Beklagte wird verurteilt, die weitere Abmahnung vom 03.11.2022 zurückzunehmen und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
- 5.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.000 EUR netto Entschädigung nebst 5 Zinspunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Antragstellung zu bezahlen.
22
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
23
Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, es bestehe kein Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG. Falsch sei schon die Auffassung der Klägerin, die Beklagte hätte vor jeder Weisung oder Maßnahme, wie die Anordnung bezüglich des Staplers, den Ausspruch der Abmahnungen oder die Weisung zum Führen von Tätigkeitsnachweisen, jeweils die Schwerbehindertenvertretung anhören müssen. Richtig sei zwar, dass grundsätzlich schon der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung (SBV) in allen Schwerbehinderte berührenden Angelegenheiten zu unterrichten und zu hören habe, dies allerdings dann nicht, wenn durch die konkrete Angelegenheit die Belange Schwerbehinderter in keiner anderen Weise als die nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer berührt werden. Solche behindertenspezifischen Belange gebe es hier nicht. Bezüglich der Minusstunden sei die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht eingehalten. Die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei kein taugliches Indiz für eine Benachteiligung. Die Zuweisung anderer Tätigkeiten sei zulässig und nicht entschädigungspflichtig. Die Beklagte habe ihre Pflicht nach § 106 S. 2 GewO beachtet, indem sie der Klägerin leidensgerechte Tätigkeiten zugewiesen habe. Zweifelsohne sei die Beklagte nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auch berechtigt, von der Klägerin die Tätigkeitsnachweise zu verlangen. Die Beklagte habe händeringend versucht, die Klägerin leidensgerecht zu beschäftigen, wie auch die Entziehung des Staplers auf Empfehlung der Betriebsärztin oder die Anordnung zum „Verlesen“ zeigten. Inwiefern die Klägerin im Zusammenhang mit der ihr doch bewilligten Arbeitszeitreduzierung benachteiligt worden sein soll, sei nicht ersichtlich. Keine Benachteiligung sei schließlich im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Amtes der Schwerbehindertenvertretung gegeben. Sollte die Klägerin der Auffassung sein, dass die Beklagte sie bei der Ausübung behindere, so müsse sie ihre Rechte aus dem Amt gerichtlich geltend machen. Ein Indiz für eine Benachteiligung liege hierin nicht. Schließlich sei die angesetzte Summe selbst im Falle einer Verpflichtung zur Entschädigungszahlung weit überzogen.
24
Das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – hat mit Urteil vom 23.06.2023 rechtskräftig über die Klageanträge zu Ziffern 1. – 4. entschieden und die Beklagte – mit Ausnahme des Antrages zu Ziffer 2. – antragsgemäß verurteilt. Hinsichtlich des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs hat das Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf - die Beklagte zur Zahlung eines Betrages i.H.v. 6.000,- € verurteilt. Soweit die Klägerin geltend gemacht habe, im Zeitraum 2021 – 2022 nicht ordnungsgemäß zur Arbeitsleistung eingeteilt worden zu sein, sei die Frist gemäß § 15 Abs. 4 AGG nicht gewahrt. Die Klägerin sei durch die Anordnung, wieder vollschichtig zu verlesen, die Anordnung, sofort den Minusstundenabbau vorzunehmen, die Nichtfreistellung zur Wahrnehmung ihrer Arbeit als Schwerbehindertenvertretung in der Nacht auf 17.03.2023, durch den Widerruf der Zugangsmöglichkeit zum Betriebsratszimmer, durch das Verbot, am 3. Teil der Schulung der Schwerbehindertenvertretung vom 30.05.2023 – 02.06.2023 teilzunehmen, die Anweisung, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Tag in Papierform vorzulegen, durch die fristlose Versetzung in die Wechselschicht und auch durch die Aufforderung der Beklagten vom 09.03.2023, die Diskriminierungsvorwürfe aufzuklären sowie die Aufforderung vom 04.04.2023, die Indizien für eine Benachteiligung gegenüber Dritten nicht weiter aufrechtzuerhalten, benachteiligt worden. Die erfolgte Benachteiligung infolge deren Behinderung sei indiziert und durch die Beklagte nicht widerlegt worden. Infolge der Anzahl der Verstöße sowie deren Schweregrades sei eine Entschädigungssumme von fünf Bruttomonatsverdiensten angemessen.
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 23.06.2023 wurde den Prozessvertretern der Beklagten am 25.07.2023 zugestellt. Mit Berufungsschrift vom 30.06.2023, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag, hat die Beklagte Berufung eingelegt, soweit diese zur Zahlung eines Schadensersatzes verurteilt wurde, und diese mit am 23.10.2023 eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag innerhalb der verlängerten Frist begründet. Die Anschlussberufungsschrift der Klägerin mit gleichzeitiger Begründung vom 20.11.2023, die sich ausschließlich gegen die Höhe des zuerkannten Schadensersatzanspruches wendet, ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 20.11.2023 eingegangen.
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Die Beklagte hat zur Begründung der Berufung und in Erwiderung der Anschlussberufung vorgetragen, dass die Anweisung gegenüber der Klägerin, 7,5 Stunden als Verleserin zu arbeiten, keine entschädigungspflichtige Diskriminierung darstelle. Ein Nachteil liege nicht vor. Die Tätigkeit gehöre zum arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichtenkreis der Klägerin und sei von dieser zu leisten gewesen. Nachdem infolge der Einschätzung der Betriebsärztin vom 21.12.2022 eine Beschäftigung der Klägerin mit Staplertätigkeiten nicht mehr in Betracht gekommen sei, sei eine Zuweisung der Tätigkeit erforderlich geworden. Etwaigen gesundheitlichen Belastungen sei durch ein Rollieren während des Verlesens Rechnung getragen worden. Die Klägerin könne sich nicht auf eine Gesprächsnotiz aus dem Präventionsverfahren aus dem Jahr 2019 stützen. Vielmehr habe das arbeitsmedizinische Gutachten vom 14.08.2023 ergeben, dass die Klägerin keinerlei Einschränkungen mit Blick auf diese Tätigkeit habe. Die vorherige Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sei nicht erforderlich gewesen und es fehle an einem Kausalzusammenhang zwischen dem vollschichtigen Einsatz der Klägerin und ihrer Behinderung. Zudem sei die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht veranlasst und infolge der Verhinderung des stellvertretenden Schwerbehindertenvertreters vom 13.12.2022 bis 31.12.2022 gar nicht möglich gewesen. Auch die Bitte der Beklagten an die Klägerin, mit ihrer Vorgesetzten den Abbau von Minusstunden zu besprechen, stelle keine entschädigungspflichtige Diskriminierung dar. Eine Anweisung liege von vornherein nicht vor. Eine solche sei weder dem Schreiben vom 24.11.2022 noch der E-Mail vom 29.11.2022 zu entnehmen. Ein Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin läge nicht vor und eine Unterrichtung oder Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sei nicht veranlasst gewesen. Die Minusstunden seien durch die Umstellung des Schichtsystems im Jahr 2020 entstanden und befanden sich im tarifvertraglich zulässigen Rahmen. Die Klägerin selbst habe am 04.08.2022 daran mitgewirkt, die Überstunden abzubauen. Eine Benachteiligung liege des Weiteren nicht vor, weil die Beklagte die Freistellung der Klägerin zur Ausübung der SBV-Tätigkeiten generell und insbesondere in der Nacht vom 16.03.2023 auf den 17.03.2023 versagt habe. Der Vortrag der Klägerin sei bereits unsubstantiiert. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt eine Tätigkeit als Schwerbehindertenvertretung geltend gemacht, so dass eine Versagung von vornherein nicht vorliege. Eine Freistellung müsse darüber hinaus gerade nicht erfolgen, wenn betriebliche Gründe dem entgegenstehen. Dass Herr G. anderweitige Behauptungen aufgestellt haben solle, werde bestritten. Ein generelles Verbot der Freistellung sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Eine etwaige Benachteiligung des Amtes der Schwerbehindertenvertretung führe jedenfalls nicht zu einer entschädigungspflichtigen Diskriminierung. Gleiches gelte für den behaupteten Widerruf der Zugangsmöglichkeit zum Betriebsratszimmer. Die Beklagte trage keinerlei Verantwortung. Die Beklagte könne nicht nachvollziehen, wann und wie Herrn H. den Chip zum Betriebsratszimmer programmiert habe. Ohnehin habe der Klägerin das abschließbare Schulungszimmer zur Verfügung gestanden. Auch sei die Klägerin in keiner Weise in ihrer Person, sondern es sei allein das Amt der Schwerbehindertenvertretung betroffen. Die Teilnahme am 3. Teil der begehrten Schulung sei nicht erforderlich gewesen. Folglich scheide eine Benachteiligung von vornherein aus. Darüber hinaus stelle die Weisung, künftig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits am ersten Tag vorzulegen, keine Benachteiligung dar. Ein behinderungsspezifischer Zusammenhang liege gerade nicht vor. Zudem hätten erhebliche Zweifel an der vermeintlichen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Nacht am 17.03.2023 bestanden. Daher sei die Beklagte, wie in anderen Fällen auch, berechtigt gewesen, eine frühere Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Des Weiteren führe die Versetzung der Klägerin in die Wechselschicht zu keinem entschädigungspflichtigen Verstoß. Die Versetzung sei notwendig gewesen, um eine bessere Kontrolle der Klägerin sicherzustellen. Ein gesteigertes Kontrollbedürfnis sei durch die Wahrnehmung von Aufgaben als Schwerbehindertenvertretung am Tag, durch nicht ordnungsgemäße Ausfüllung der begehrten Tätigkeitsnachweise durch die Klägerin und eine Erschütterung des Vertrauens durch die Klägerin entstanden. Das durch die Klägerin vorgelegte Attest und deren geltend gemachte Betreuungssituation stünden dem nicht entgegen. Die Wechselschicht sei vorteilhafter als die Dauernachtschicht gewesen. Der erforderliche Kausalzusammenhang liege nicht vor. Die fehlende Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sowie der zeitliche Zusammenhang zu den übrigen Vorkommnissen sei insoweit nicht ausreichend. Weiterhin begründeten die Schreiben der Beklagten vom 09.03.2023 sowie vom 04.04.2023 keine entschädigungspflichtige Diskriminierung. Die Beklagte sei allein ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen. Eine Benachteiligung liege nicht vor. Letztlich läge eine entschädigungspflichtige Benachteiligung der Klägerin nicht deshalb vor, weil bei der Beklagten ein Inklusionsbeauftragter nicht bestellt worden sei. Es sei nicht erkennbar, in welcher Situation ein zusätzlicher Kommunikationsweg zu einer Klärung der Situation oder einer Streitigkeit hätte führen können. Ein Bezug zu einer konkreten Benachteiligung der Klägerin sei nicht erkennbar. Soweit die Klägerin auf eine Verletzung von § 178 Abs. 2 SGB IX abstelle, sei festzustellen, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht bei jeder Maßnahme zu beteiligen sei. Jedenfalls führe ein Unterlassen nicht per se zu einer Benachteiligungsvermutung.
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Zudem sei festzustellen, dass die Höhe des durch das Arbeitsgericht festgelegten Entschädigungsanspruchs völlig überzogen sei. Diese berücksichtige insbesondere in keiner Weise ausreichend die Anstrengungen der Beklagten, eine leidensgerechte Beschäftigung der Klägerin zu realisieren. Wenn überhaupt, handele es sich vor allem um einzelne Verstöße, bei denen eine Wiederholungsgefahr und ein Verschulden der Beklagten zu verneinen sei. Jedenfalls seien die diesbezüglichen Angriffe im Rahmen der Anschlussberufung haltlos.
28
Die Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte stellt im Berufungsverfahren folgende Anträge:
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 23.06.2023, Az.: 3 Ca 939/22 wird aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 6.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.01.2023 zu bezahlen.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten der zweiten Instanz.
I. Die Anschlussberufung wird als unzulässig verworfen.
II. Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu I wird beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungsklägerin stellt folgende Anträge:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Weiden vom 23.6.2023 AZ: 3 Ca 939/22 wird zurückgewiesen.
2. a) Auf die Anschlussberufung der Berufungsbeklagten/Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Weiden vom 23.6.2023 AZ: 3 CA 939/22 soweit es der Klage in Ziff. 3 nicht stattgegeben hat, abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 14.000 € Entschädigung nebst 5% Zinspunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz Seit 23.1.2023 zu bezahlen.
3. Die Berufungsklägerin/Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
30
Die Klägerin hat in Erwiderung der Berufung und zur Begründung der Anschlussberufung vorgetragen, dass das Arbeitsgericht bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nicht alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt habe. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass die Beklagte keinen Inklusionsbeauftragten bestellt habe. Zudem sei die festgesetzte Entschädigungshöhe nicht geeignet, eine abschreckende Wirkung zu entfalten und der erfolgten Persönlichkeitsverletzung der Klägerin ausreichend Rechnung zu tragen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin im April und Mai 2023 drei fristlose Kündigungen erhalten und die Beklagte fortlaufend und langanhaltend gegen § 178 Abs. 2 SGB IX verstoßen habe. § 178 Abs. 1 und 2 SGB IX dienten der Förderung oder Eingliederung schwerbehinderter Menschen im Betrieb. Dies folge auch aus Vorgaben des Unions- und Völkerrechts. Ein Verstoß hiergegen erfülle die Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG. Die Beklagte habe im Rahmen der Anweisung vom 03.01.2023, bei der Anordnung, sofort den Minusstundenabbau vorzunehmen, durch die nicht erfolgte Freistellung zur Wahrnehmung ihrer Arbeit als Schwerbehindertenvertretung in der Nacht auf 17.03.2023, durch den Widerruf der Zugangsmöglichkeit zum Betriebsratszimmer, durch das Verbot, am 3. Teil der Schulung der Schwerbehindertenvertretung vom 30.05.2023 bis 02.06.2023 teilzunehmen, durch die Anweisung, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag in Papierform vorzulegen, durch die fristlose Versetzung in die Wechselschicht und durch die Anweisung, einen Tätigkeitsnachweis auszufüllen, gegen die Verpflichtung aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX verstoßen. Es sei nicht zulässig, ärztliche Stellungnahmen von August 2023 zur Begründung der getroffenen Entscheidungen nachzuschieben. Soweit das Arbeitsgericht Benachteiligungen der Klägerin festgestellt habe, sei die Entscheidung zutreffend. Wie das Arbeitsgericht im Einzelnen zutreffend festgestellt habe, sei die Klägerin durch die Anordnung, wieder vollschichtig zu verlesen, sofort die Minusstunden abzubauen, die nicht erfolgte Freistellung zur Wahrnehmung ihrer Schwerbehindertenvertretung, den Widerruf des Zugangs zum Betriebsratszimmer, durch das Verbot der Teilnahme am 3. Schulungsmodul für die Schwerbehindertenvertretung, die Anweisung, ab dem ersten Tag ihre AU-Bescheinigung vorlegen zu müssen, durch die fristlose Versetzung in die Wechselschicht, durch die Aufforderung der Beklagten vom 09.03.2023, die Diskriminierungsvorwürfe aufzuklären und durch die Forderung vom 04.04.2023, die Indizien für eine Benachteiligung gegenüber Dritten nicht weiter aufrechtzuerhalten, benachteiligt worden. Die Benachteiligungen erfolgten auch wegen der Behinderung der Klägerin. Dies habe das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und es folge jedenfalls aus der wiederholt nicht erfolgten Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Die Beklagte habe ab dem 16.03.2023 ein Verbot der Schwerbehindertenvertretung durch die Klägerin erlassen. Dies habe Herr G. in der Betriebsratssitzung am 16.03.2023 bestätigt und in der Nacht zum 17.03.2023 umgesetzt. Betriebliche Gründe, die der Tätigkeit als Schwerbehindertenvertretung entgegenstanden, hätten nicht vorgelegen und ein Kontrollbedürfnis der Beklagten habe nicht bestanden.
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Auch sei der Zugang zum Betriebsratszimmer durch die Beklagte gesperrt worden. Die Frist gemäß § 15 Abs. 4 AGG sei eingehalten worden. Es sei zu beachten, dass es sich bei dem Verstoß gegen § 178 Abs. 2 SGB IX sowie dem Unterdrucksetzen der Klägerin um Dauertatbestände handle.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Sachverhalts im arbeitsgerichtlichen Urteil, auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht vom 23.06.2023 und dem Landesarbeitsgericht vom 22.03.2024 und vom 16.08.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.
34
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist daher abzuändern und die Klage abzuweisen.
35
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b, c ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6, Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
36
II. Die Berufung der Beklagten erweist sich als begründet.
37
Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
38
1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin fällt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG als Beschäftigte unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Beklagte ist Arbeitgeberin iSv § 6 Abs. 2 AGG.
39
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
40
2.1. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Wie der Begriff „erfahren würde“ verdeutlicht, muss nach dieser Bestimmung die Vergleichsperson nicht eine reale, sondern kann auch eine fiktive bzw. hypothetische sein (BAG v. 19.12.2019 – 8 AZR 2/19). Die Alternativen des § 3 Abs. 1 stehen in einer notwendigen Rangfolge: Ist eine aktuelle Vergleichsperson vorhanden, kann eine ungünstigere Behandlung nur im Verhältnis zu dieser Person festgestellt werden. Fehlt sie, ist auf früher beschäftigte Vergleichspersonen zurückzugreifen, bevor eine hypothetische Betrachtung angestellt werden darf. Ohne konkrete Anhaltspunkte kann für eine günstigere Behandlung einer lediglich hypothetischen Vergleichsperson keinerlei Vermutung sprechen (ErfK/Schlachter, 24. Aufl. 2024, AGG § 3 Rn. 5).
41
Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität, benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1 AGG). Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Soweit es um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund im Sinne von § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund im Sinne von § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt. Geht es hingegen um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG, ist der Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn, ohne dass es einer direkten Anknüpfung an einen Grund im Sinne von § 1 AGG oder eines darauf bezogenen Motivs bedarf, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG erfüllt sind (BAG v. 18.09.2018 – 9 AZR 20/18).
42
§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Die bloße Möglichkeit einer Kausalität des Merkmals nach § 1 AGG für die Benachteiligung genügt nicht. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG v. 14.06.2023 – 8 AZR 136/22).
43
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG v. 14.06.2023 – 8 AZR 136/22).
44
Ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG muss gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Bei dieser Frist handelt es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist, deren Einhaltung von Amts wegen zu beachten ist (BAG v. 15.03.2012 – 8 AZR 160/11).
45
2.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin eine unmittelbare Benachteiligung iSv § 3 Abs. 1 AGG wegen der Schwerbehinderung erfahren hat.
46
2.2.1. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, im Zeitraum 2021 bis Mitte 2022 nicht ordnungsgemäß zur Arbeitsleistung eingeteilt worden zu sein, liegt eine Wahrung der Ausschlussfrist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG – wie auch das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – nicht vor. Jedenfalls hat die insoweit im Ausgangspunkt darlegungs- und beweispflichtige Klägerin einen entsprechenden Nachweis nicht erbracht. Nachdem die Klägerin mit Klageschrift vom 14.12.2022 vorgetragen hat, dass sie seit gut drei Monaten vertragsgemäß beschäftigt werde, ist die mit Schreiben vom 30.11.2022 erfolgte Geltendmachung jedenfalls nicht ausreichend gewesen, um die zweimonatige Ausschlussfrist zu wahren.
47
2.2.2. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, bei der Beklagten sei ein Inklusionsbeauftragter gemäß § 181 SGB IX nicht bestellt worden, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
48
Zwar ist die Beklagte nach Maßgabe von § 181 SGB IX verpflichtet gewesen, einen Inklusionsbeauftragten zu bestellen. Die Vorschrift des § 181 SGB IX bezweckt die Sicherstellung der Wahrung und Einhaltung aller einem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen. Dies soll zum einen durch die Bestellung eines Beauftragten gewährleistet werden, der darauf zu achten hat, dass der Arbeitgeber die ihm gegenüber schwerbehinderten Menschen obliegenden Pflichten erfüllt. Zum anderen soll durch die Person des Beauftragten auch sichergestellt werden, dass die schwerbehinderten Menschen, Betriebs- oder Personalräte, das Integrationsamt sowie sonstige staatlichen Stellen und Behörden einen kompetenten Ansprechpartner hinsichtlich ihrer Belange und Aufgaben haben (vgl. LAG Hamm v. 13.06.2017 – 14 Sa 1427/16).
49
Die Verletzung dieser sozialrechtlichen Rechtspflicht führt aber nicht zu einer Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1 AGG. Die Klägerin hat insoweit gerade keine weniger günstige Behandlung erfahren, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
50
2.2.3. Soweit die Klägerin geltend macht, sie sei infolge der beiden Abmahnungen vom 03.11.2022, welche der Klägerin am 07.12.2022 zugegangen sind, benachteiligt worden, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
51
2.2.3.1. Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin die Ausschlussfrist gemäß § 15 Abs. 4 AGG nicht gewahrt hat. Zwar ist nicht erforderlich, dass der Beschäftigte den Anspruch im Einzelnen beziffert; es genügt, wenn deutlich wird, dass eine Diskriminierung aufgrund eines Merkmals des § 1 AGG geltend gemacht und der zugrunde liegende Lebenssachverhalt individualisiert wird. Eine Individualisierung ist zu bejahen, wenn der Anspruchsteller gegenüber dem Anspruchsgegner verdeutlicht, für eine bestimmte erlittene Benachteiligung eine Entschädigung zu verlangen (BAG v. 23.11.2023 – 8 AZR 212/22).
52
Entgegen der Bewertung des Arbeitsgerichts ist festzustellen, dass die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 24.04.2023, folglich mehr als fünf Monate nach Erhalt der Abmahnungen, eine Benachteiligung wegen der erteilten Abmahnungen geltend gemacht hat. Nachdem der Klageerweiterungsschriftsatz vom 17.01.2023 eine Geltendmachung in Bezug auf die erteilten Abmahnungen nicht enthielt, liegt folglich eine hinreichende Geltendmachung nach Maßgabe von § 15 Abs. 4 AGG gerade nicht vor.
53
2.2.3.2. Darüber hinaus ist festzustellen, unabhängig davon, ob die Abmahnungen vom 03.11.2022 überhaupt eine Benachteiligung der Klägerin darstellen, dass eine etwaige Benachteiligung nicht wegen der Schwerbehinderung der Klägerin erfolgte. Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, wurden durch die Klägerin nicht nachgewiesen.
54
2.2.3.2.1. Den Abmahnungsschreiben vom 03.11.2022 sind Anhaltspunkte, die auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin schließen lassen, in keiner Weise zu entnehmen. Diese basierten allein auf der Weigerung der Klägerin, bestimmte, ihr zugewiesene Arbeiten zu erbringen.
55
2.2.3.2.2. Auch kann sich die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, dass vor Ausspruch der Abmahnungen die Schwerbehindertenvertretung nach Maßgabe von § 178 Abs. 2 SGB IX nicht beteiligt wurde.
56
Vorliegend kann es dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt verpflichtet gewesen ist, vor Ausspruch der Abmahnungen vom 03.11.2022 die bei ihr gebildete Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu beteiligen. Gegenstand der Unterrichtung und Anhörung sind alle Angelegenheiten und Entscheidungen, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe betreffen. Die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht allerdings dann nicht, wenn die Angelegenheit oder die Entscheidung die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als nicht schwerbehinderte Beschäftigte. Ein Beteiligungsrecht besteht nur dann, wenn die rechtliche und tatsächliche Stellung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen anders als die eines nicht behinderten Beschäftigten betroffen ist, so dass die Schwerbehindertenvertretung aus ihrer fachlichen Sicht sinnvoll auf mögliche behindertenspezifische Auswirkungen der Entscheidung hinweisen könnte (BAG v. 24.02.2021 – 7 ABR 9/20).
57
Selbst wenn eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Abmahnungen vom 03.11.2022 erforderlich gewesen wäre, führt dies aber nicht zum Vorliegen eines Indizes, welches auf eine Benachteiligung der Klägerin wegen deren Schwerbehinderung schlussfolgern lässt.
58
Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Bestimmungen, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, eine Vermutung nach § 22 AGG begründet. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG v. 14.06.2023 – 8 AZR 136/22).
59
§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist aber keine Bestimmung, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthält. Im Gegensatz zu den Regelungen – beispielsweise – in den §§ 164, 165, 167 Abs. 1, 168 SGB XI konstituiert § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keine gesonderte Verpflichtung des Arbeitgebers, die Stellung von schwerbehinderten Menschen im Betrieb zu fördern und zu verbessern (im Ergebnis ebenso: BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 574/12). § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zielt allein darauf, die Vertretung der Schwerbehinderten und Gleichgestellten im Betrieb an der eigentlichen Entscheidung des Arbeitgebers zu beteiligen. Folglich geht es nicht um die Erfüllung einer gesonderten Pflicht gegenüber Schwerbehinderten und Gleichgestellten, sondern um eine die Interessen der Schwerbehinderten und Gleichgestellten berücksichtigende Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Ein Verstoß gegen ein Beteiligungsrecht ist aber als solcher – jedenfalls ohne Hinzutreten gesonderter Umstände – nicht geeignet, eine Indizwirkung nach § 22 AGG zu begründen.
60
2.2.3.2.3. Ein hinreichendes Indiz ist auch nicht infolge der nicht erfolgten Bestellung eines Inklusionsbeauftragten gemäß § 181 SGB IX durch die Beklagte anzuerkennen (anders: LAG Hamm v. 13.06.2017 – 14 Sa 1427/16). Die Verpflichtung zur Bestellung eines Inklusionsbeauftragten ist keine Bestimmung, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthält. Auch § 181 SGB IX beinhaltet im Gegensatz zu den Regelungen – beispielsweise – in den §§ 164, 165, 167 Abs. 1, 168 SGB XI keine gesonderte Verpflichtung des Arbeitgebers, die Stellung von schwerbehinderten Menschen im Betrieb zu fördern und zu verbessern. Vielmehr bringt § 181 Satz 3 SGB IX zum Ausdruck, dass durch die gesonderte Beteiligung eines Inklusionsbeauftragten die dem Arbeitgeber – gesondert – obliegenden Verpflichtungen (einschließlich der Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen) erfüllt werden sollen. Ebenso wie die Regelung in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zielt die gesetzliche Pflicht aus § 181 SGB IX allein darauf ab, die Interessen der Schwerbehinderten und Gleichgestellten bei der Entscheidungsfindung und Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen sicherzustellen. Folglich geht es nicht um die Erfüllung einer gesonderten Pflicht gegenüber Schwerbehinderten und Gleichgestellten, sondern um eine die Interessen der Schwerbehinderten und Gleichgestellten berücksichtigende Beteiligung an der Entscheidungsfindung.
61
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass eine abweichende Bewertung zur Folge hätte, dass – trotz dessen, dass die Nichterfüllung der Verpflichtungen gemäß § 181 SGB IX in den §§ 237a ff. SGB IX keine Sanktionierung erfahren hat – jede Benachteiligung eines behinderten Menschen nach Maßgabe von § 22 AGG die Vermutung zur Folge hätte, dass die Benachteiligung auch wegen der Behinderung erfolgt sei. Dies kann nicht überzeugen.
62
2.2.4. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, ihr Teilzeitantrag vom 29.11.2022 sei nicht auf Grundlage von § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX bearbeitet worden, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
63
Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen gemäß § 164 Abs. 5 Satz 3 2. HS SGB IX überhaupt vorlagen, was zwischen den Parteien streitig ist, ist festzustellen, dass die Beklagte den Teilzeitantrag der Klägerin mit Schreiben vom 29.11.2022 in dem durch die Klägerin gewünschten Umfang bewilligt hat. Dass die Beklagte in diesem Zusammenhang eine unzutreffende Rechtsgrundlage angegeben hat, führt zu keiner Benachteiligung der Klägerin.
64
Selbst wenn man in diesem Zusammenhang eine Benachteiligung der Klägerin annehmen würde, liegt kein hinreichendes Indiz vor, welches auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin schlussfolgern lässt. Insoweit ist in keiner Weise erkennbar, dass die unterstellte Benachteiligung in einem spezifischen Zusammenhang zur Schwerbehinderung der Klägerin stand.
65
2.2.5. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, die Beklagte hätte sie unberechtigter Weise durch Schreiben vom 24.11.2022 und mit E-Mail vom 29.11.2022 angewiesen, ihre Minusstunden abzubauen, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
66
Auch wenn auf Grundlage der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts davon auszugehen ist, dass die Klägerin zum Abbau der durch die Beklagte im November 2022 geltend gemachten Minusstunden nicht verpflichtet gewesen ist, kann, soweit entsprechende Anweisungen überhaupt vorliegen, nicht davon ausgegangen werden, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin vorliegt. Ein nach Maßgabe von § 22 AGG hinreichendes Indiz ist nicht erkennbar.
67
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch in diesem Zusammenhang nicht darauf abgestellt werden, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Unabhängig davon, ob die Schwerbehindertenvertretung überhaupt nach Maßgabe von § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu beteiligen gewesen ist, würde ein Verstoß gegen die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung kein Indiz nach Maßgabe von § 22 AGG begründen.
68
Ebenso führt die durch die Beklagte unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht zur Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
69
2.2.6. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, die Beklagte hätte sie unberechtigter Weise am 03.01.2023 – in Abweichung der Festlegungen im Rahmen des Präventionsverfahrens im Jahr 2019 – vollschichtig als Verleserin eingesetzt, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
70
2.2.6.1. Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass durch sie die Ausschlussfrist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG gewahrt wurde. Die Klägerin hat mit Klageerweiterungsschriftsatz vom 17.01.2023 geltend gemacht, dass sie am 03.01.2023 unberechtigte Weise als Verleserin eingesetzt worden sei. Mit Schriftsatz vom 24.04.2023 hat die Klägerin erstmals geltend gemacht, durch diese Beschäftigung benachteiligt worden zu sein. Die 2-Monats-Frist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ist demnach nicht eingehalten. Dass es sich insoweit um einen Dauertatbestand handelte und folglich nicht gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG auf den 03.01.2023 abzustellen ist, wurde durch die Klägerin in keiner Weise hinreichend dargelegt.
71
2.2.6.2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anweisung der Beklagten berechtigt erfolgt ist und inwieweit diese sich im Prozess auf die Vorlage des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 14.08.2023 berufen konnte.
72
Unabhängig davon, ob die Schwerbehindertenvertretung überhaupt nach Maßgabe von § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu beteiligen gewesen ist und unabhängig davon, ob eine Anhörung des Stellvertreters der Schwerbehindertenvertretung möglich gewesen ist, würde ein Verstoß gegen die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung jedenfalls kein Indiz nach Maßgabe von § 22 AGG begründen. Ebenso führt die durch die Beklagte unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht zur Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Darüber hinausgehende Tatsachen, die ein Indiz nach Maßgabe von § 22 begründen würden, wurden durch die Klägerin nicht dargelegt.
73
2.2.7. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte hätte sie unberechtigter Weise angewiesen, Tätigkeitsnachweise auszufüllen sowie Tätigkeiten als Staplerfahrerin nicht mehr zu erbringen, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
74
Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, liegt eine Benachteiligung der Klägerin im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG von vornherein nicht vor. Auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil kann Bezug genommen werden.
75
Darüber hinaus ist festzustellen, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin ebenfalls nicht vorliegt. Soweit die Klägerin sich insoweit auf eine Verletzung des Beteiligungsrechts der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beruft, scheidet eine Indizwirkung von vornherein aus. Auch führt die durch die Beklagte unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht zur Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
76
2.2.8. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, die Beklagte hätte sie unberechtigter Weise mit Schreiben vom 17.03.2023 angewiesen, zukünftig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits am ersten Tag vorzulegen und die Beklagte hätte sie mit Weisung vom 16.03.2023 unberechtigterweise in Wechselschicht eingeteilt, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
77
Insoweit kann es dahin gestellt bleiben, was zwischen den Parteien streitig geblieben ist, ob eine Benachteiligung der Klägerin überhaupt vorliegt. Jedenfalls wurde eine Benachteiligung der Klägerin wegen der Schwerbehinderung durch die Klägerin nicht nachgewiesen. Soweit die Klägerin sich insoweit auf eine Verletzung des Beteiligungsrechts der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beruft, scheidet eine Indizwirkung von vornherein aus. Auch führt die durch die Beklagte unterbliebene Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht zur Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Weitergehende Tatsachen, die eine Vermutungswirkung gemäß § 22 AGG begründen würden, wurden durch die Klägerin nicht vorgetragen.
78
2.2.9. Soweit die Klägerin geltend macht, sie sei infolge des Schreibens der Beklagten vom 09.03.2023 (Aufklärung der Diskriminierungsvorwürfe) und infolge des Schreibens vom 04.04.2023 (Aufforderung zur Nichtaufrechterhaltung der Diskriminierungsvorwürfe) benachteiligt worden, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin nicht vor.
79
Unabhängig davon, ob die Schreiben vom 09.03.2023 und vom 04.04.2023 überhaupt eine Benachteiligung der Klägerin darstellen, kann nicht festgestellt werden, dass eine etwaige Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin erfolgte. Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, wurden durch die Klägerin nicht nachgewiesen.
80
Den Schreiben vom 09.03.2023 und vom 04.04.2023 sind Anhaltspunkte, die auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin schließen lassen, in keiner Weise zu entnehmen. Entgegen der Feststellung des Arbeitsgerichts kann insoweit eine Vermutung nach Maßgabe von § 22 AGG nicht „mit Blick auf die Gesamtumstände und insbesondere den augenfälligen zeitlichen Zusammenhang mit anderweitigen Verstößen“ begründet werden. Auch, dass die Schreiben vom 09.03.2023 und vom 04.04.2023 – wie das Arbeitsgericht festgestellt hat – einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 16 AGG darstellen, ist nicht erkennbar. Das Schreiben der Beklagten vom 09.03.2023 enthält eine Darstellung der durch die Klägerin erhobenen Vorwürfe, eine Bewertung der Beklagten zu Teilaspekten und die Bitte, die geltend gemachten Sachverhalte zu konkretisieren. Das Schreiben der Beklagten vom 04.04.2023 enthält ebenfalls eine Darstellung der durch die Klägerin erhobenen Vorwürfe, eine Abbildung der Rechtslage aus Sicht der Beklagten und die von der Rechtsauffassung der Beklagten getragene Aufforderung, einzelne, von der Klägerin in der Vergangenheit getätigte Behauptungen zu widerrufen sowie eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Unabhängig davon, ob die durch die Klägerin erhobenen Vorwürfe gegenüber der Beklagten berechtigt gewesen sind, ist nicht erkennbar, dass die Klägerin, in unzulässiger Weise mit einer rechtswidrigen Frist unter Druck gesetzt wurde.
81
Unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Widerruf von Behauptungen sowie ein Anspruch auf Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung durch die Beklagte geltend gemacht werden konnte, ist aber jedenfalls nicht hinreichend erkennbar, aufgrund welcher Tatsachen in diesem Zusammenhang davon auszugehen gewesen ist, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf zu schließen ist, dass eine – unterstellte – Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin erfolgte.
82
Darüber hinaus sind die durch die Klägerin gerügte Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung sowie die nicht erfolgte Bestellung eines Inklusionsbeauftragten nicht geeignet, eine Indizwirkung gemäß § 22 AGG zu begründen. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
83
2.2.10. Soweit die Klägerin geltend macht, unberechtigter Weise in der Nacht zum 17.03.2023 nicht von der Erbringung zur Arbeitsleistung freigestellt worden zu sein, Ende März 2023 unberechtigterweise den Zugang zum Betriebsratszimmer verwehrt bekommen zu haben und an der Schulung als Schwerbehindertenvertretung im Zeitraum vom 30.05.2023 bis zum 02.06.2023 nicht teilnehmen zu dürfen, liegt eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung der Klägerin – entgegen der Bewertung des Arbeitsgerichts – nicht vor.
84
Unabhängig davon, was zwischen den Parteien streitig geblieben ist, ob die Klägerin insoweit eine Benachteiligung gemäß § 179 Abs. 2 SGB IX erfahren hat, kommt ein Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG von vornherein nicht in Betracht, da der Anwendungsbereich des AGG gemäß § 2 AGG nicht eröffnet ist. Insbesondere liegen die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG nicht vor, da es sich in diesem Zusammenhang nicht um Benachteiligungen in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg handelt.
85
Wer ein mit abhängiger Tätigkeit verbundenes Ehrenamt übernimmt, fällt nicht unter das AGG (Däubler/Beck/Wolfgang Däubler, 5. Aufl. 2022, AGG § 2 Rn. 15). Gemäß § 179 Abs. 1 SGB IX führen die Vertrauenspersonen ihr Amt als Ehrenamt. Gegen diskriminierendes Verhalten werden sie insoweit gemäß § 179 Abs. 2 SGB IX geschützt. Dessen Geltung bleibt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AGG unberührt.
86
Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
87
I. Die Anschlussberufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG binnen der Frist zur Berufungsbeantwortung gemäß § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Sie ist auch im Übrigen zulässig.
II. Die Anschlussberufung der Klägerin erweist sich als unbegründet. Nachdem die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG nicht beanspruchen kann, kommt ein Erfolg der Anschlussberufung von vornherein nicht in Betracht. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
88
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung erster Instanz war infolge der getroffenen Entscheidung zu korrigieren. Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren vollständig obsiegt hat, hat die Klägerin die Kosten der Berufung und der Anschlussberufung zu tragen.
89
Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG wegen der Abweichung von der Entscheidung des LAG Hamm vom 13.06.2017 – 14 Sa 1427/16. Darüber hinaus ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, inwieweit eine Verletzung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Indizwirkung gemäß § 22 AGG begründet.