Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 28.10.2024 – RN 5 K 23.639
Titel:

Rückforderung von Ruhegeld wegen Ausübung von Teilbereichen des ärztlichen Berufs, trotz festgestellter Berufsunfähigkeit

Normenkette:
BayVwVfG § 36, § 41, § 42, § 51 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung, Art. 39, 48
Schlagworte:
Rückforderung von Ruhegeld wegen Ausübung von Teilbereichen des ärztlichen Berufs, trotz festgestellter Berufsunfähigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32247

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung eines gegen ihn erlassenen Bescheids der Beklagten, der die Rückforderung von Ruhegeldern bei Berufsunfähigkeit zum Inhalt hat.
2
Der Kläger war vom 1.2.1989 bis 31.12.2010 Mitglied bei der Beklagten und bezog seit dem 1.1.2011 Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit.
3
Der Kläger erklärte bereits beim Erstantrag auf Einweisung ins Ruhegeld, dass er jegliche berufliche Tätigkeit aufgegeben und abgemeldet habe. Der Kläger gab 2010 seine Krankenversorgungszulassung auf und bemühte sich auch nicht um die Wiedererteilung seiner Approbation.
4
Die Beklagte zahlte dem Kläger ab Einweisung sowohl Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit sowie daran geknüpftes Kindergeld bzw. freiwilligen Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung aus. Hinsichtlich der Höhe der Auszahlungen wird auf den Bescheid der Beklagten sowie die Aufschlüsselung in der Klagebegründung verwiesen.
5
Ende März 2022 erfuhr die Beklagte aufgrund polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen davon, dass gegen den Kläger ermittelt werde, da es Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger über den 1.1.2011 hinaus trotz Bezugs des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit einer ärztlichen Tätigkeit nachgegangen sei. Die Beklagte stellte daraufhin die Ruhegeldzahlungen zum 30.4.2022 ein.
6
Mit Urteil des Landgerichts D. – Erste Strafkammer – vom 10.2.2023 wurde der Kläger wegen Betruges zu Lasten der Beklagten zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Zusätzlich wurde die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 212.724,82 € ausgesprochen.
7
Im Rahmen des Strafverfahrens wurde dabei folgender Sachverhalt ermittelt:
„Der Angeklagte führte seit 1993 eine eigene Augenarztpraxis in D. Aufgrund der oben unter Ziffer I.2.b) dargestellten Ermittlungen des Finanzamtes nahm dieses ab 2009 Zugriff auf sein Vermögen und seine laufenden Einnahmen, was beim Angeklagten „Depression“ verursachte. Der Angeklagte suchte nun nach Wegen, um für sich selbst nutzbare Einnahmen zu erzielen. Mit Schreiben vom 23.8.2010, dort eingegangen am 25.8.2010, beantragte er formlos bei der Bayerischen Versorgungskammer – Bayerische Ärzteversorgung –, ... unter der Mitglieds- bzw. Rentennummer …, Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit unter der Angabe, er sei nicht mehr arbeitsfähig und seit geraumer Zeit in neurologisch-psychiatrischer Behandlung. Mit am 6.9.2010 unterzeichnetem Formblatt stellte er einen Antrag auf Einweisung des Ruhegeldes wegen Berufsunfähigkeit und versicherte darin gleichzeitig, ihm sei bekannt, dass die Zahlung des Ruhegeldes die Einstellung der beruflichen Tätigkeit voraussetze und versicherte wahrheitswidrig, er habe ab 1.7.2010 keinerlei berufliche Tätigkeit ausgeübt. Nach Vorlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. med. … T. sowie nach Begutachtung durch den medizinischen Gutachterdienst der Bayerischen Ärzteversorgung wurde dem Angeklagten durch die Bayerische Ärzteversorgung unter dem 18.11.2010 ein möglicher Zahlungsbeginn des Ruhegelds ab 1.1.2011 in Aussicht gestellt, sofern ab diesem Zeitpunkt keinerlei ärztliche Tätigkeit mehr ausgeübt werde. Unter dem 22.11.2010 teilte der Angeklagte der Bayerischen Ärzteversorgung abermals formlos wahrheitswidrig durch Schriftsatz mit, seine Praxis am 30.6.2010 abgegeben zu haben und seither keine ärztliche Tätigkeit mehr auszuüben. Im Vertrauen auf die Angaben des Angeklagten bewilligte und gewährte die Bayerische Ärzteversorgung dem Angeklagten beginnend ab 1.1.2011 bis 30.4.2022 monatlich voll Ruhegeld, dessen Höhe anfangs 1.308,19 EUR betrug und gemäß § 33 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung von Zeit zu Zeit nach oben angepasst wurde (bis hin zu 1.374,78 EUR monatlich) sowie beginnend ab 1.1.2011 bis zum Erreichen der jeweiligen Altershöchstgrenze (21. Lebensjahr/Ende der Ausbildung) monatliches Kindergeld für seine beiden Kinder V. und R. H. , dessen Höhe anfangs jeweils 130,82 EUR betrug und gemäß § 33 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung von Zeit zu Zeit nach oben angepasst wurde (bis hin zu 142,34 EUR monatlich). Insgesamt wurde dem Angeklagten von der Bayerischen Ärzteversorgung von 1.1.2011 bis 30.4.2022 ein Betrag in Höhe von 212.724,82 EUR ausbezahlt, obwohl er wusste, dass ihm dieser nicht zustand. Der Angeklagte hatte bereits bei Antragstellung am 23.8.2010 die Absicht, weiterhin ärztliche Tätigkeiten in Form von Patientenbehandlungen durchzuführen und daraus Einnahmen zu erzielen. Zu diesem Zweck unterhielt er im Keller seines damaligen Wohnanwesens …, Praxisräumlichkeiten mit Untersuchungsgeräten und einem Praxisschild mit der Aufschrift „Dr. med. … H. Augenarzt“. Obwohl der Angeklagte wusste, dass die vollständige Einstellung seiner ärztlichen Tätigkeit Voraussetzung für die Bewilligung und Auszahlung des Vollruhegeldes war, behandelte er in der Folgezeit seit mindestens 13.10.2010 gegen Entgelt Patienten in den vorgenannten Räumlichkeiten im Keller seines Wohnanwesens, führte Praxisvertretungen für eine andere Augenarztpraxis in W. durch und erzielte durch seine ärztliche Tätigkeit insgesamt Einnahmen in Höhe von zumindest 146.000 EUR.
Durch sein Verhalten erhielt der Angeklagte seiner Absicht entsprechend Leistungen der Bayerischen Ärzteversorgung in oben genannter Höhe ausbezahlt, auf die er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte. Um diesen Betrag wurde die Bayerische Ärzteversorgung geschädigt, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm.“
8
Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts D. – Erste Strafkammer –, Az.: 1 KLs 2 Js 2642/22 (2) vom 10.2.2023 verwiesen. Das genannte Urteil ist seit 18.2.2023 rechtskräftig.
9
Die Beklagte erließ am 13.3.2023, Az.: … den streitgegenständlichen Bescheid, mit folgendem Inhalt:
„1. Folgende Bescheide mit denen vorgenannte Versorgungsleistungen gewährt wurden, werden daher aufgehoben:
Bescheid zur Gewährung von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit für Dr. … H. :

Bescheid vom

für folgende Zeiten

12.01.2011

01.01.2011 – 31.12.2012

19.11.2012

01.01.2013 – 31.12.2013

05.12.2013

01.01.2014 – 31.12.2014

26.11.2014

01.01.2015 – laufend

Bescheid zur Gewährung von Kindergeld bzw. Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung für R. H. :

Bescheid vom

für folgende Zeiten

12.01.2011

01.01.2011 – 31.03.2011

28.02.2011

01.04.2011 – 31.07.2011

07.09.2011

01.08.2011 – 31.03.2012

10.04.2012

01.04.2012 – 30.09.2012

18.09.2012

01.10.2012 – 31.12.2012

27.11.2012

01.01.2013 – 31.03.2013

14.03.2013

01.04.2013 – 30.09.2013

06.08.2013

01.7.2013 – 31.12.2013

10.12.2013

01.01.2014 – 31.03.2014

12.02.2014

01.04.2014 – 30.09.2014

26.08.2014

01.7.2014 – 31.12 und 2014

28.11.2014

01.01.2015 – 31.03.2015

12.02.2015

01.04.2015 – 30.09.2015

26.08.2015

01.10.2015 – 31.03.2016

15.02.2016

01.04.2016 – 30.09.2016

10.08.2016

01.10.2016 – 31.03.2017

Bescheid zur Gewährung von Kindergeld bzw. Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung für V. H. :

Bescheid vom

Für folgende Zeiten

12.01.2011

01.01.2011 – 31.12.2012

27.11.2012

01.01.2013 – 31.12.2013

10.12.2013

01.01.2014 – 31.12.2014

28.11.2014

01.01.2015 – 30.06.2017

19.05.2017

01.07.2017 – 30.09.2017

19.07.2017

01.10.2017 – 31.03.2018

01.03.2018

01.04.2018 – 30.09.2018

2. Die für den Zeitraum vom 01.01.2011 – 30.04.2022 ausbezahlten Versorgungsleistungen in Höhe von insgesamt 212.840,22 EUR sind an die Bayerische Ärzteversorgung zu erstatten (Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG).
Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Zeitraum

Ruhegeldanspruch monatlich gesamt (einschließlich Kindergeld/Unterhaltsbeiträge)

Gesamt

2011

1.569,83 EUR

18.837,96 EUR

2012

1.601,23 EUR

19.214,76 EUR

2013

1.617,23 EUR

19.406,76 EUR

2014

1.633,41 EUR

19.600,92 EUR

2015

1.649,74 EUR

19.796,88 EUR

2016

1.666,23 EUR

19.994,76 EUR

01 – 03/2017

1.682,90 EUR

5.048,70 EUR

04 – 12/2017

1.542,66 EUR

13.883,94 EUR

01 – 09/2018

1.565,80 EUR

14.092,20 EUR

10 – 12/2018

1.423,46 EUR

4.270,38 EUR

2019

1.444,81 EUR

17.337,72 EUR

2020

1.466,48 EUR

17.597,76 EUR

2021

1.481,14 EUR

17.773,68 EUR

01 – 04/2002

1.495,95 EUR

5.983,80 EUR

01/2011 – 04/2022 gesamt

212.840,22 EUR

10
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und der Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
11
Mit Antrag vom 30.3.2022 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit. Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 25.10.2023 erneut ins Vollruhegeld ein. Gegen die Höhe des ihm ausbezahlten Vollruhegeldes wendet der Kläger sich im Parallelverfahren, Az. RN 5 K 23.2114.
12
Mit Schriftsatz vom 13.4.2023, bei Gericht eingegangen am 14.4.2023, ließ der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten Klage erheben und ließ zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes stellen. Mit Beschluss vom 5.7.2024 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Gegen diesen Beschluss ließ der Kläger Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erheben. Mit Beschluss vom 1.10.2024 wies dieser die dort unter dem Az. 21 C 24.1489 geführte Beschwerde zurück.
13
Der Kläger ließ vorbringen, dass es zutreffe, dass er seit 2011 in das Ruhegeld eingewiesen sei. Eine Rückforderung des gewährten vollen Ruhegeldes sei jedoch nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe alle Anforderungen der Beklagten hinsichtlich des Ruhegeldes erfüllt, zunächst habe der Kläger seine Praxis im Juni 2010 aufgegeben und verkauft. Er habe mit vier Gutachten seine Berufsunfähigkeit nachgewiesen, dabei sei ein Gutachten sogar von der Beklagten erstattet worden. Aus den erwähnten Gutachten gehe eindeutig hervor, dass der Kläger aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr als Arzt tätig sein könne und eine Wiederaufnahme der ärztlichen Tätigkeit weder gewollt noch möglich gewesen sei. Der Kläger habe in den letzten 13 Jahren lediglich 43 Freunde und Familienangehörige in augenärztlichen Notfällen behandelt. Diese seien auf ihn zugekommen, da die Vereinbarung von Terminen bei Augenärzten in der Regel mit enormen Wartezeiten verbunden sei. Der Kläger sei lediglich in beratender Funktion tätig geworden, er habe Notfälle behandelt oder zu Kollegen verwiesen und habe Patienten, die keinen Notfall vorwiesen, lediglich beruhigt. Der Großteil dieser Personen habe niemals eine Rechnung erhalten und keine Zahlungen geleistet. Als der Kläger noch als Arzt tätig gewesen sei, habe er einen Patientenstamm von 60.000 Personen gehabt, wobei er jährlich ca. 20.000 Personen behandelt habe. Die Behandlungen von Freunden und Familienangehörigen hätten in der ehemaligen Notfallpraxis des Klägers stattgefunden, diese befinde sich im Keller unter der privaten Wohnanschrift des Klägers. Die dort vorhandenen Altgeräte seien alle ehemaliges Inventar der früheren Kontaktlinsenfirma der Ehefrau des Klägers. Der Kläger habe dort weder einen Terminkalender geführt noch eigene Geräte, einen OP-Saal oder ein Wartezimmer vorgehalten. Zudem habe er auch keine Angestellten beschäftigt. Für das Führen einer Praxis hätten dem Kläger demnach sowohl die materiellen wie auch die personellen Voraussetzungen gefehlt. Auch könne der kurzfristige Arbeitsversuch über fünf Tage in der augenärztlichen Praxis von Frau Dr. von E. in W. die Rückforderung des Ruhegeldes nicht rechtfertigen. § 42 Abs. 2 Satz 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung (im Folgenden: der Satzung) gestatte gerade Arbeitsversuche. Der Kläger führe nunmehr seit mehreren Jahren keinerlei ärztliche Tätigkeit mehr aus, weder behandle er Notfälle noch berate er kostenfrei Freunde und Familie. Der Kläger sei zudem davon ausgegangen, dass ihm ein Hinzuverdienst als Berentetem erlaubt sei. Hierzu habe er vor ca. acht Jahren von der Beklagten die Auskunft erhalten, dass ihm jährlich ein anrechnungsfreier Hinzuverdienst erlaubt sei. Der Kläger sei zudem weiterhin berufsunfähig.
14
Der Kläger lässt beantragen,
I. Der Bescheid der Beklagten vom 13.3.2003, Az.: …, wird aufgehoben.
II. Die Gewährung des Ruhegeldes aufgrund Berufsunfähigkeit des Klägers, die Gewährung von Kindergeld bzw. Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung für R. H. , die Gewährung von Kindergeld bzw. Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung für V. H. , bleiben aufrechterhalten.
15
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Zur Begründung des Antrags verweist die Beklagte zunächst vollumfänglich auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids. Darüber hinaus stellt die Beklagte klar, dass der Kläger durch die Beklagte erneut dahingehend untersucht worden sei, ob beim Kläger nach wie vor die Gründe für den Bezug des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit vorlägen. Ein weiteres durch die Beklagte in Auftrag gegebenes Gutachten habe ergeben, dass der Kläger weiterhin berufsunfähig sei. Der Kläger werde somit ab dem 13.4.2022 erneut ins Ruhegeld eingewiesen. Mit Bescheid vom 25.10.2023, Az.:. , sei dem Kläger erneut Vollruhegeld gewährt worden. Der Termin sei so zu wählen, da erst ab diesem Zeitpunkt die Gewähr dafür gewesen sei, dass der Kläger seine Berufsausübung vollständig aufgegeben habe. Das Datum sei deshalb gewählt worden, weil der Kläger seit diesem Tag in Haft gesessen habe.
17
Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte mit den wechselseitigen Schriftsätzen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2024.

Entscheidungsgründe

18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
19
1. Der streitgegenständliche Bescheid vom 13.3.2023, Az.: …, erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagten steht der Rückzahlungsanspruch auf gewährtes Vollruhegeld und Kindergeld gegen den Kläger zu, da der Kläger im streitgegenständlichen Auszahlungszeitraum, von Januar 2011 bis April 2022, die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Satzung nicht erfüllte und eine Rücknahme der gewährten Zahlungen gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr.2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) rechtmäßig erfolgte.
20
a) Gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr.2 BayVwVfG darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf dabei nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte insbesondere nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG).
21
b) „Angaben“ i.S.d. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Bay VwVfG sind – in Abgrenzung z. B. zu Wertungen, Ansichten, Meinungen – Mitteilungen (Informationen) zu objektiv nachprüfbaren Tatsachen (i. S. äußerer oder innerer Lebensvorgänge). Unrichtigkeit liegt vor, wenn die angegebene Tatsache mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Unvollständigkeit der Tatsachenmitteilung ist gegeben, wenn der Begünstigte entscheidungserhebliche Umstände, von deren Nichtvorliegen die Behörde erkennbar ausgeht, verschweigt; um unvollständige Angaben handelt es sich ferner, wenn der Begünstigte trotz rechtlicher Verpflichtung oder behördlicher Aufforderung Tatsachenmitteilungen zu einem entscheidungserheblichen Punkt unterlässt. Die Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit von Angaben ist objektiv zu bestimmen. Verschulden setzt Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG nicht voraus; deshalb kommt es nicht darauf an, was der Begünstigte wusste oder hätte wissen müssen, vielmehr genügt die objektive Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben. In dieser Konsequenz kommt die gesetzgeberische Erwägung zum Tragen, dass die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ihre maßgebliche Ursache im Verantwortungsbereich des Begünstigten hat. Ebenso wie Nr. 1 verlangt Nr. 2 des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG, dass der Begünstigte den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsakts durch sein Verhalten „erwirkt hat“. Es ist nicht zu erkennen, dass diesem Gesetzesmerkmal in Nr. 2 ein anderer normativer Gehalt als in Nr. 1 zukommt. „Erwirken“ bedeutet folglich in objektiver Hinsicht, dass die fehlerhaften Angaben sowohl für den Erlass des Verwaltungsakts als auch für dessen Rechtswidrigkeit kausal gewesen sind. Kausalität ist anzunehmen, wenn die Behörde bei richtigen und vollständigen Angaben den Verwaltungsakt gar nicht oder so nicht erlassen hätte (Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht 45. EL Januar 2024 § 48 Rn. 170 – 172).
22
c) Nach diesen Maßgaben liegt hier ein rechtswidriger Verwaltungsakt vor. Der Kläger machte falsche Angaben bei der Stellung seines Antrages auf Einweisung in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit gemäß § 36 der Satzung. Gemäß§ 36 Abs. 1 der Satzung haben Anspruch auf das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit Mitglieder, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd oder vorübergehend zur Ausübung ihres Berufes unfähig sind (Berufsunfähigkeit). Zusätzlich hierzu stellt § 36 Abs. 3 Satz 1 der Satzung klar, dass der Anspruch auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit nicht entsteht, solange das Mitglied nicht seine gesamte berufliche Tätigkeit aufgegeben hat. § 42 Abs. 1 Satz 1 der Satzung stellt insoweit nochmals ausdrücklich klar, dass der Anspruch auf das Ruhegeld bei dauernder Berufsunfähigkeit gemäß § 36 der Satzung mit Eintritt der Berufsunfähigkeit entsteht, wenn das Mitglied nachweislich seine gesamte berufliche Tätigkeit aufgegeben hat. Eine Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit liegt nach § 42 Abs. 1 Satz 2 der Satzung nicht vor, solange das Mitglied nicht seine Betriebsstätte für eine selbstständige Tätigkeit (z.B. Praxis, Labor) veräußert oder aufgelöst hat und solange für das Mitglied ein Dienstvertrag (z.B. als freier Mitarbeiter, Praxisvertreter) oder ein Arbeitsvertrag oder ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis besteht. Der Tag der Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit ist gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 der Satzung durch eine Bestätigung der zuständigen Standesorganisation nachzuweisen.
23
Aus Sicht der erkennenden Kammer und grundsätzlich auch von der Beklagten nicht bestritten, weshalb eine Einweisung in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit erfolgt ist, lag beim Kläger zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags eine zunächst vorübergehende, später dauerhafte Berufsunfähigkeit vor. Insoweit verweist das Gericht auf den Inhalt der Gutachten der Frau Dr. B. Unabhängig von seinem gesundheitlichen Zustand hat der Kläger seine berufliche Tätigkeit aber nicht vollständig aufgegeben. Unschädlich ist insofern, dass der Kläger eine Bescheinigung vom 31.8.2010 der zuständigen Standesorganisation beigebracht hat und seine Hauptpraxis veräußerte. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch nach Einweisung in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit einer ärztlichen Tätigkeit nachgegangen ist. Dies ergibt sich zunächst aus den rechtskräftigen Feststellungen im Urteil des Landgerichts D. vom 18.2.2023, Az. 1 KLs 2 Js 2642/22(2). Das Gericht hat keine vernünftigen Zweifel an den Feststellungen des Strafurteils. Zutreffend ist zwar, dass im Verwaltungsprozess nicht ungeprüft eine Verurteilung zugrunde gelegt werden darf, die erkennende Kammer hat aber nach Durchsicht der dem Strafurteil zugrunde liegenden Akten keinen Anlass, davon auszugehen, dass die Feststellungen nicht der Wirklichkeit entsprechen. Anhaltspunkte für Fehler des strafrechtlichen Verfahrens, die zur Unrichtigkeit des Urteils führen, sind nicht ersichtlich.
24
Der Kläger unterhielt auch nach Einweisung ins Vollruhegeld eine sogenannte „Notfallpraxis“ im Keller seines Wohnhauses, vor dieser hatte der Kläger ein Schild mit der Aufschrift Dr. med. H. Augenarzt angebracht. Diese „Notfallpraxis“ war mit Gerätschaften ausgestattet, die zur augenärztlichen Behandlung geeignet waren. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Kläger geltend macht, dass die Geräte nicht dazu geeignet gewesen wären, sämtliche augenärztliche Tätigkeiten durchzuführen, oder dass diese Geräte bereits älter gewesen seien und aus der ehemaligen Kontaktlinsenfirma seiner Frau stammten. Unerheblich ist auch, dass der Kläger nach eigenen Aussagen lediglich beratend in Notfällen tätig wurde und keine invasiven Eingriffe mehr vornahm. Es wird gerade eine vollständige Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit gefordert, dies bedeutet denknotwendig, dass gar keine augenärztlichen Tätigkeiten, auch keine beratenden Tätigkeiten, mehr ausgeführt wurden. Der Kläger kann demnach nicht damit gehört werden, dass er lediglich in 43 Einzelfällen tätig geworden ist und es sich hierbei ausschließlich um Freunde und Verwandte gehandelt habe. Eine Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit liegt gerade dann noch nicht vor, wenn die ärztliche Tätigkeit nur noch in einem Rahmen ausgeführt wird, der unter dem liegt, was zur Schaffung und Erhaltung eines Lebensunterhaltes notwendig ist. Soweit der Kläger vorträgt, dass es sich bei den von ihm behandelten Patienten lediglich um absolute Notfälle gehandelt hätte, kann er damit nicht gehört werden. Aus den Feststellungen im Strafurteil ergibt sich, dass es sich hierbei um Schutzbehauptungen des Klägers handelt. Darüber hinaus ergibt sich auch aus den vom Kläger eingereichten eidesstattlichen Versicherungen einzelner Patienten, welche im Strafverfahren auch ausgesagt haben, dass diese bereits längerfristig in Behandlung beim Kläger waren und diesen auch regelmäßig konsultierten. Die nachgereichten Äußerungen entkräften die Feststellungen des Strafurteils nicht, vielmehr bestätigen sie diese noch. Aus der erweiterten Stellungnahme des Herrn H1. vom 12.7.2023 geht gerade hervor, dass er nur verunsichert war, aber keine Schmerzen hatte und auch seine Sehfähigkeit nicht beeinträchtigt war, dennoch hat der Kläger ihn behandelt. Zusätzlich zeigen die Kontoauszüge des Klägers, dass er für seine ärztlichen Leistungen (zumindest teilweise) Rechnungen gestellt und eine Bezahlung erhalten hat. Das Stellen von Rechnungen widerspricht den Angaben des Klägers, dass es sich um „Freundschaftsdienste“ gehandelt hat bzw. dass lediglich ein kurzer Blick auf einen Patienten geworfen wurde. Der erkennenden Kammer scheint es fernliegend, dass für solche Dienste Rechnungen gestellt und bezahlt werden, die sich teilweise im vierstelligen Eurobereich befanden. Der Kläger ist weiterhin einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Dem Kläger ist zuzugeben, dass diese Tätigkeit weit unter seinem früheren Behandlungspensum lag und auch die Zahl der Patienten deutlich geringer war. Hierauf kommt es aber nicht an, da § 36 der Satzung ausdrücklich die Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit verlangt. Auf die Einordnung des Arbeitsversuchs in der Praxis in W. kommt es nicht an, da unabhängig von diesem Vorfall keine Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit vorlag. Dem Kläger war diese Voraussetzung auch bewusst, da er die vollständige Aufgabe mehrmals bestätigt hat. Selbst wenn dem Kläger ein Zuverdienst als Berentetem von der Beklagten gestattet worden wäre, so ergeben die Voraussetzungen für den Bezug des Vollruhegeldes, dass es sich dabei allenfalls um eine Tätigkeit außerhalb des medizinischen Bereichs hätte handeln können, keinesfalls um eine – wenn auch stark eingeschränkte – ärztliche Tätigkeit.
25
d) Das Verhalten des Klägers war auch kausal für die Einweisung in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit. Die Beklagte hätte den Kläger nicht in das Vollruhegeld eingewiesen, wenn dieser offen zugegeben hätte, dass er weiterhin Freunde und Familie sowie solche Patienten, die er als Notfall betrachtet, ärztlich berät. Darüber hinaus ergeben die Feststellungen des Strafurteils auch, dass der Kläger bereits bei Stellung des Antrags beabsichtigt hatte, weiterhin (zumindest in kleinem Umfang) einer ärztlichen Tätigkeit nachzugehen. Dem Kläger war dabei auch bewusst, dass er keinen Anspruch in die Einweisung in das Vollruhegeld hat. Ein schutzwürdiges Interesse kann der Kläger somit nicht geltend machen. Selbst wenn der Kläger bei Stellung des Antrags auf Einweisung ins Ruhegeld noch nicht beabsichtigt hatte, weiterhin Patienten zu behandeln, was aus Sicht der Kammer äußerst zweifelhaft ist, so war sein Verhalten dennoch kausal für die rechtswidrige Auszahlung des Ruhegeldes. Unabhängig von seiner Absicht bei Stellung des Antrags hat der Kläger es auch unterlassen, der Beklagten mitzuteilen, dass er weiterhin Notfälle berät. Der Kläger trägt zwar vor, dass es ein solches Gespräch gegeben haben soll, die Beklagte tritt dieser Behauptung jedoch entgegen. Aus Sicht des Gerichts trägt der Kläger für die für ihn günstige Behauptung, dass ihm die Beratung von Freunden und Familie gestattet worden sei, die Beweislast. Einen Nachweis hierfür hat der Kläger nicht vorlegen können. Aus Sicht der Kammer scheint diese Einlassung des Klägers auch zweifelhaft, da es im Verfahren keinerlei Gesprächsnotiz hinsichtlich eines solchen Gesprächs gibt. Nach Einlassung der Beklagten ist es aber Dienstanweisung, dass über sämtliche Telefongespräche mit Mitgliedern Gesprächsnotizen angefertigt werden. Für die Einhaltung dieser Dienstvorschriften spricht, dass sich Gesprächsnotizen zu den anderen Anfragen des Klägers in den Behördenakten finden, unter anderem auch eine dazu, dass er bei der Pflege seiner Mutter mitwirken durfte, ohne seine Ruhegeldbezüge zu gefährden. Die Beklagte hätte den Kläger nicht ins Ruhegeld eingewiesen, wäre sie über die notfallmedizinische Beratung des Klägers informiert gewesen, oder hätte die Einweisung in das Ruhegeld widerrufen oder diese zumindest erneut geprüft, wenn der Kläger die Beklagte über seine Beratertätigkeit informiert hätte.
26
e) Schließlich liegt der Rücknahme des Bewilligungsbescheides auch eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung zugrunde. Art. 48 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG lenkt das der Behörde nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zustehende Ermessen, indem er für die Fälle des Satzes 3 die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit als Regel festlegt. Danach müssen besondere Gründe vorliegen, wenn eine Rücknahme nur für die Zukunft angeordnet oder überhaupt von der Rücknahme abgesehen werden soll. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst; versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (BVerwG, U.v. 23.5.1996 – 3 C 13.94 – juris Rn. 51 m.w.V.). Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind. Die entsprechenden Erwägungen sind dann auch in der Begründung kenntlich zu machen. Im Falle des Klägers sind derartige außergewöhnliche Umstände bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens weder dargetan worden noch ersichtlich gewesen. Soweit aber Gründe, die eine andere als die gesetzlich intendierte Entscheidung erfordern oder rechtfertigen könnten, weder von den Beteiligten geltend gemacht werden noch für die Behörde sonst ersichtlich sind, erübrigt sich eine diesbezügliche Begründung, wenn - wie hier – nach der Regel entschieden wird.
27
f) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld bzw. Unterhaltsbeitrag bei Berufsausbildung für seine beiden Kinder.
28
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 der Satzung haben die Empfänger von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit Anspruch auf Kindergeld für jedes Kind. Gemäß § 51 Abs. 4 der Satzung kann Empfängern von Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit für Kinder ein Unterhaltsbeitrag entsprechend § 41 der Satzung gewährt werden. Nach § 51 Abs. 4 Nr. 1 der Satzung ist dies längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn sie sich in Schule oder Berufsausbildung befinden, möglich.
29
Zwar erfüllen die Kinder des Klägers die Voraussetzungen für die grundsätzliche Gewährung der Gelder, jedoch hat der Kläger – wie oben festgestellt – gerade keinen Anspruch auf Gewährung des Vollruhegeldes bei Berufsunfähigkeit, sodass er auch keinen Anspruch auf an dieses anknüpfende weiterreichende Leistungen hat.
30
2. Für den streitgegenständlichen Zeitraum hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung der Zahlungen des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit gemäß § 36 der Satzung.
31
Wie ausgeführt erfüllte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum die Gewährungsvoraussetzungen nicht.
32
Die Klage war nach alledem abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.