Titel:
Aufrechnung in Höhe des das sächliche Existenzminimum übersteigenden monatlichen Ruhegeldes, nach unerlaubter Handlung (Betrug)
Normenketten:
Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung §§ 36,39
ZPO § 850c
BGB §§ 242, 394
Schlagworte:
Aufrechnung in Höhe des das sächliche Existenzminimum übersteigenden monatlichen Ruhegeldes, nach unerlaubter Handlung (Betrug)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32235
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die erneute Einweisung in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit sowie die Aufhebung der teilweisen Aufrechnung der Rente gegen eine Forderung der Beklagten.
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Der Kläger war vom 1.2.1989 bis 31.12.2010 Mitglied bei der Beklagten und bezog seit dem 1.1.2011 Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit.
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Ende März 2022 erfuhr die Beklagte aufgrund polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen davon, dass gegen den Kläger ermittelt werde, da es Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger über den 1.1.2011 hinaus trotz Bezugs des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit einer ärztlichen Tätigkeit nachgegangen sei. Die Beklagte stellte daraufhin die Ruhegeldzahlungen zum 30.4.2022 ein. Und erließ am 13.3.2023 den Bescheid, Az.: …, durch welchen die Beklagte die Rückzahlung von ausbezahlten Versorgungsleistungen für den Zeitraum vom 1.1.2011 – 30.4.2022 i.H.v. insgesamt 212.840,22 € anordnete. Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 13.4.2023, bei Gericht eingegangen am 14.4.2023, Klage erheben und zugleich einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes stellen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Bescheids wird auf den Inhalt des Verfahrens RN 5 K 23.639 verwiesen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 5.7.2024 abgelehnt.
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Mit Antrag vom 30.3.2022 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung des Ruhegeldes bei Berufsunfähigkeit. Die Beklagte wies den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25.10.2023 erneut ab dem 13.4.2022 in das Vollruhegeld ein und sprach gleichzeitig die Aufrechnung der monatlichen Zahlungen in der Höhe des das sächliche Existenzminimum übersteigenden Betrags wegen der Forderung der Beklagten aus unerlaubter Handlung des Klägers aus. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 25.10.2023 verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 15.11.2023 Klage erheben. Mit Schreiben vom 12.12.2023 ließ der Kläger einen Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes stellen. Mit Beschluss vom 16.8.2024 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Gegen diesen Beschluss ließ der Kläger Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erheben. Das Verfahren wurde dort unter dem Az. 21 C 24.1490 geführt. Mit Beschluss vom 1.10.2024 wies dieser die Beschwerde zurück.
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Der Kläger ließ insbesondere vortragen, dass er einen durchgängigen Anspruch auf Gewährung des Vollruhegelds gehabt habe. Er habe seine Praxis und damit seine gesamte berufliche Tätigkeit 2010 aufgegeben und sei seit dem 1.1.2011 zum Bezug des Vollruhegeldes berechtigt. Der Kläger sei seiner Frau zum Unterhalt verpflichtet und müsse monatlich einen Betrag von 283,49 € an seine Krankenkasse entrichten.
- 1.
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Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger spätestens ab dem 20.8.2021 in das Ruhegeld einzuweisen und ihm das Ruhegeld ab diesem Zeitpunkt vollumfänglich, ohne Aufrechnung auszuzahlen und den Bescheid vom 25.10.2023, Az. V-097307-4-0028, insoweit aufzuheben als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
- 2.
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Hilfsweise den Rentenbescheid insoweit aufzuheben, als der Kläger seiner Ehefrau unterhaltsverpflichtet ist und monatliche Zahlungen an seine Krankenkasse (AOK Bayern) in Höhe von 290 € zu leisten hat.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass ihr gegen den Kläger ein Anspruch aus unerlaubter Handlung zustehe und die Aufrechnung erfolge, da die noch nicht abgeschlossene Zwangsvollstreckung immense Insolvenzrisiken für die Beklagte berge. Sowohl die Unterhaltsverpflichtungen wie auch die Krankenkassenbeiträge seien bereits berücksichtigt worden. Die Aufrechnung sei vorliegend ausnahmsweise aufgrund von Treu- und Glaubenserwägungen zulässig.
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Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte mit den wechselseitigen Schriftsätzen, sowohl im hiesigen wie auch im Parallelverfahren RN 5 K 23.639 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2024.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 25.10.2023, Az. …, erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Auszahlung des Vollruhegeldes erst ab dem 13.4.2022 (a)) und die Aufrechnung der Beklagten auf das existentielle Minimum erfolgt rechtmäßig (b)).
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a) Dem Kläger stand vor dem 13.4.2022 kein Anspruch auf Einweisung und Auszahlung des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit zu. Gemäß § 36 Abs. 1 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung (im Folgenden: der Satzung) hat Anspruch auf das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit ein Mitglied, das vor Vollendung des 63. Lebensjahres infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd oder vorübergehend zur Ausübung seines Berufes unfähig ist (Berufsunfähigkeit). Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 der Satzung ist die Berufsunfähigkeit durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen. Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 der Satzung entsteht der Anspruch auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit nicht, solange das Mitglied nicht seine gesamte berufliche Tätigkeit aufgegeben hat. Dem Antrag auf Einweisung in das Vollruhegeld sind gemäß § 43 Abs. 5 der Satzung die geforderten Unterlagen, die den Antrag stützen, beizufügen und bei der Beklagten einzureichen sowie gegebenenfalls weitere Unterlagen nachzureichen.
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Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass er seit 1.1.2011 als berufsunfähig einzustufen ist und dies auch durch Gutachten belegt hat. Der Kläger hat jedoch nachweislich nicht seine gesamte berufliche Tätigkeit aufgegeben. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Ausführungen im Urteil vom 28.10.2024, Az. RN 5 K 23.639 des Parallelverfahrens verwiesen.
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Eine Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit erfolgte nachweislich erst mit der Inhaftierung des Klägers am 13.4.2022 und der Bestätigung der Justizvollzugsanstalt, dass der Kläger während seiner Inhaftierung nicht ärztlich tätig war.
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Die Einweisung zum 13.4.2022 ist somit dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Im Übrigen wäre eine Einweisung zum 20.8.2021 selbst dann nicht möglich, wenn der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt die Aufgabe seiner gesamten beruflichen Tätigkeit selbständig nachgewiesen hätte, was dieser vorliegend generell nicht getan hat. Der Kläger hat trotz Aufforderung keinen Nachweis über die Aufgabe der gesamten beruflichen Tätigkeit beigebracht, einen solchen hat die Beklagte selbst eingeholt, indem sie die Justizvollzugsanstalt kontaktierte, um sich bestätigen zu lassen, dass der Kläger während seiner Inhaftierung nicht ärztlich tätig wird. Darüber hinaus statuiert § 43 Abs. 2 der Satzung, dass, wenn der Antrag auf Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit innerhalb einer Frist von zwölf Monaten seit Eintritt der Berufsunfähigkeit gestellt wird, die Versorgung rückwirkend zum Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen fällig wird (Satz 1). Satz 2 schränkt dies jedoch dahingehend ein, dass, wenn der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt wird, die Versorgung mit dem Tage fällig wird, an dem der Antrag der Bayerischen Ärzteversorgung zuging. Der Kläger ist nachweislich und unbestritten seit dem 1.1.2011 berufsunfähig, seinen erneuten Antrag stellte er aber erst am 30.3.2022, mithin also weit über ein Jahr nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, sodass der Kläger auch frühestens ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit haben kann.
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b) Auch die Festsetzung der Höhe des auszuzahlenden Ruhegeldes ist nicht zu beanstanden.
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(1) Aus Sicht der zur Entscheidung berufenen Kammer ist die Berechnung des Ruhegelds rechtmäßig nach § 39 der Satzung erfolgt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung sind nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht vorgetragen. Insbesondere wurden bei der Berechnung des Vollruhegeldes bereits die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der Ehefrau des Klägers und die monatlichen Zahlungen der Krankenkassenbeiträge, jeweils in konkreter Höhe, berücksichtigt. Hinsichtlich der Berechnung verweist die erkennende Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids. Das pauschale Vorbringen des Klägers, dass es nicht sein könne, dass der Kläger nun weniger Rente erhalte als zuvor, vermag die Einschätzung des Gerichts nicht zu ändern. Da es sich bei dem Antrag des Klägers vom 30.3.2022 um einen neuen Antrag handelt, begegnet es aus Sicht der Kammer keinen Bedenken, dass nun eine andere Berechnungsgrundlage zu wählen ist als bei der erstmaligen Einweisung. Dies ergibt sich aus der Verwaltungspraxis der Beklagten und dem darin verankerten Sozialgedanken.
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(2) Zudem stehen der Aufrechnung in Höhe des das sächliche Existenzminimum übersteigenden monatlichen Ruhegeldbetrages keine Bedenken entgegen.
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Dem Kläger ist zuzugeben, dass das ihm zustehende Vollruhegeld i.H.v. monatlich 1.136,23 € vom 1.5.2022 bis 31.12.2022 sowie i.H.v. monatlich 1.147,59 € vom 1.1.2023 bis 31.12.2023 und i.H.v. monatlich 1.164,80 € ab dem 1.1.2024 unter der gemäß § 850c Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbaren Grenze von 1.178,59 € liegt. Somit kann diese Zahlung grundsätzlich nicht zur Tilgung der gegenüber der Beklagten bestehenden Schuld gepfändet werden.
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Entgegen § 394 Satz 1 BGB ist eine Aufrechnung in Höhe des das sächliche Existenzminimum übersteigenden monatlichen Ruhegeldbetrages aber vorliegend zulässig. Gemäß § 394 Satz 1 BGB findet, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt. Grundsätzlich liegt zwar eine solche Forderung vor, das Berufen auf diese würde jedoch eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Die Berufung auf den Ausschluss der Aufrechnung kann in Ausnahmefällen in einem derartigen Maße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, dass die Aufrechnung unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zugelassen werden muss. Allein der Umstand, dass der Gläubiger eine Leistung verlangt, die er alsbald zurückzugeben hat, reicht für einen Arglisteinwand allerdings nicht aus, da es gerade der Sinn des § 394 BGB ist, die Durchsetzung des bevorrechtigten Anspruchs ohne Rücksicht auf die Aktivforderung zu gewähren. Es bedarf insoweit also zusätzlicher Umstände, um das gesetzliche Aufrechnungsverbot nicht durchgreifen zu lassen. Arglistig ist die Berufung auf das Aufrechnungsverbot zunächst immer dann, wenn die Aktivforderung auf einer im Rahmen desselben Dienst- oder Arbeitsverhältnisses oder eines sonstigen einheitlichen Lebensverhältnisses begangenen vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, auch wenn die unerlaubte Handlung nicht strafbar ist (Münchner Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 394 Rn. 13f.).
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Nach diesen Maßstäben liegt bei Prüfung des Einzelfalls ein solcher Fall der unzulässigen Rechtsausübung vor. Der Kläger schuldet der Beklagten 205.340,22 € aus einer strafbaren unerlaubten Handlung (Betrug). Sämtliche wechselseitigen Forderungen, auch die Aktivforderung, basieren auf demselben Lebenssachverhalt. Der Kläger hat sämtliche Zahlungen der Beklagten deshalb erhalten, weil er in das Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit eingewiesen war. Die Gegenforderung der Beklagten entstand nur deshalb, weil der Kläger während dieser Einweisung weiterhin als Arzt tätig war und deshalb die Leistungen unberechtigterweise bezog. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Ausführungen im Urteil des Parallelverfahrens RN 5 K 23.639 vom 28.10.2024 verwiesen. Nach alldem wäre die Berufung auf das Aufrechnungsverbot durch den Kläger treuwidrig.
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2. Der Hilfsantrag, über den nach Eintritt der Bedingung zu entscheiden ist, war auch abzuweisen. Wie oben bereits ausgeführt, berücksichtigt die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid bereits die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers, indem sie das existenzielle Minimum für Verheiratete der Berechnung zugrunde legt und auch die an die Krankenkasse abzuführende Beträge auf diesen Betrag aufschlägt.
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Die Klage war nach alledem abzuweisen. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.