Inhalt

OLG München, Beschluss v. 19.11.2024 – 32 W 1742/24 WEG e
Titel:

Streitwert der Anfechtung eines Aufforderungsbeschlusses

Normenkette:
GKG § 49, § 63 Abs. 3
Leitsätze:
Der Streitwert einer Klage, mit der ein Beschluss angefochten wird, in dem ein Wohnungseigentümer zu einer Leistung aufgefordert wird und ein Rechtsanwalt mit der Durchsetzung des Anspruchs der Gemeinschaft beauftragt wird, ist mit den Kosten des Rechtsstreits zu bemessen, mit dem die Gemeinschaft den Anspruch gerichtlich verfolgt. (Rn. 15 – 16)
Hat das Berufungsgericht nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG den amtsgerichtlichen Streitwert geändert, ist es entsprechend § 66 Abs. 4 S. 1 GKG erforderlich, dass das Landgericht ein Rechtsmittel dagegen zulässt, damit das Oberlandesgericht den Streitwert der ersten Instanz erneut abändern kann. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufforderungsbeschluss, Anfechtungsklage, Streitwert
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 11.04.2024 – 36 S 9215/22 WEG
AG Augsburg, Endurteil vom 24.06.2022 – 30 C 2700/21 WEG
Fundstellen:
JurBüro 2024, 650
MDR 2025, 163
FDMietR 2024, 031881
ZWE 2025, 188
BeckRS 2024, 31881

Tenor

Die Beschwerde des Bevollmächtigten der Kläger gegen die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren in dem Beschluss des Landgerichts München I vom 11.04.2024, Az. 36 S 9215/22 WEG, wird zurückgewiesen. Im übrigen wird die Beschwerde verworfen.

Gründe

I.
1
Der Bevollmächtigte der Kläger erhebt in eigenem Namen Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren durch das Landgericht.
2
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie haben vor dem Amtsgericht Augsburg Beschlüsse angefochten, die auf der Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 gefasst worden waren. Mit Endurteil vom 24.06.2022 erklärte das Amtsgericht Augsburg die angefochtenen Beschlüsse für unwirksam, soweit damit den Klägern die Nutzung von Dachflächen untersagt und der Rückbau gefordert wurde, und wies die Klage bezüglich des Beschlusses, mit dem die Kläger zur Zahlung von Mehrkosten der Dachsanierung aufgefordert worden waren, ab. Zugleich setzte es den Streitwert auf € 19.980,40 fest. Der Streitwert bezüglich der Unterlassung sei mit € 3.000,00 festzusetzen. Der Streitwert der Anfechtung des Aufforderungsbeschlusses sei mit dem durch die Gemeinschaft von den Klägern verlangten Betrag auf € 16.980,40 festzusetzen.
3
Die Berufung der Kläger gegen die teilweise Abweisung der Klage hat das Landgericht mit Endurteil vom 11.04.2024 zurückgewiesen, Az. 36 S 9215/22 WEG. Das Landgericht hat zugleich den Streitwert für das Berufungsverfahren auf € 5.660,13 festgesetzt und den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf € 8.660,13 abgeändert. Der Streitwert sei nach den §§ 47, 49 GKG auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festzusetzen. Das Interesse der Wohnungseigentümer könne nicht mit dem Interesse des betroffenen Wohnungseigentümers gleichgesetzt werden, der beschlossenen Aufforderung nicht Folge zu leisten. Im Rahmen einer Anfechtungsklage unterliege ein Aufforderungsbeschluss nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit. Die Frage, ob der Anspruch der Gemeinschaft besteht, werde durch das Anfechtungsverfahren nicht präjudiziert. Dies rechtfertige das Interesse der Wohnungseigentümer mit einem Drittel des Interesses zu bemessen, das der Wohnungseigentümer hat, der Aufforderung nicht Folge zu leisten.
4
Der Bevollmächtigte der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.09.2024 eine Streitwertbeschwerde erhoben und beantragt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf € 16.980,40 und für das erstinstanzliche Verfahren auf € 19.980,40 heraufzusetzen. Das Amtsgericht habe zu Recht das Interesse auch der Wohnungseigentümer an dem Geldbetrag ausgerichtet, der von den Klägern zu zahlen war. Die Beklagten sind der Beschwerde entgegengetreten.
5
Das Landgericht hat der Beschwerde in dem Beschluss vom 04.11.2024 nicht abgeholfen. Mit dem Aufforderungsbeschluss werde keine Zahlungs- oder Leistungspflicht der Kläger begründet. Der Erfolg einer Klage der Gemeinschaft gegen die Kläger auf Zahlung des geforderten Betrages werde durch den Beschluss nicht präjudiziert. Das Gesamtinteresse der Gemeinschaft liege lediglich in den insoweit anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten.
II.
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1. Soweit der Bevollmächtigte mit der Streitwertbeschwerde beantragt hat, den Streitwert für die erste Instanz heraufzusetzen, ist die Beschwerde unzulässig.
7
Wird gegen eine Entscheidung, mit der ein Landgericht im Berufungsverfahren die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG abgeändert hat, ein Rechtsmittel eingelegt, so handelt es sich hierbei um eine weitere Beschwerde, die entsprechend § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG der Zulassung bedarf. Nach der Systematik der Regelung in § 66 GKG findet eine zweite Überprüfung einer Streitwertfestsetzung nur unter den in Abs. 4 genannten Voraussetzungen statt. Für die Anfechtung einer bereits durch das Landgericht geprüften und dann abgeänderten Entscheidung ist es daher entsprechend § 66 Abs. 4 Satz 1 GKG erforderlich, dass das Landgericht ein Rechtsmittel dagegen zulässt (Senat Beschluss vom 12.1.2023 – 32 W 1678/22 WEG, NJOZ 2023, 500; Beschluss vom 22.1.2019 – 32 W 1907/18, BeckRS 2019, 57 Rn. 13; Beschluss vom 12.10.2016 – 32 W 1689/16, BeckRS 2016, 113210, WuM 2017, 238; BeckOK KostR/Laube, 47. Ed. 1.10.2024, GKG § 68 Rn. 167; aA OLG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2024 – 15 W 8/24 –, juris; BDZ/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 63 Rn. 10a; BeckOK KostR/Jäckel, 29. Ed. 1.10.2024, § 63 GKG Rn. 35a; Schneider in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl. 2021, Verfahrensrecht Rn. 1.304).
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2. a) Die befristete Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss ist zulässig, soweit sie sich gegen die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren richtet. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht gegen die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts Rechtsmittel einlegen. Statthaftes Rechtsmittel ist die Beschwerde, § 32 Abs. 2 RVG iVm § 68 Abs. 1, 66 Abs. 2 bis 6 GKG.
9
b) In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.
10
Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers, § 47 Abs. 1 S. 1 GKG. Die Kläger haben in der Berufung beantragt, den Beschluss über die Einforderung der Mehrkosten für ungültig zu erklären. Der Streitwert bestimmt sich deshalb auch im Berufungsverfahren nach § 49 GKG.
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Gemäß § 49 GKG ist in Verfahren über Beschlussklagen gemäß § 44 Abs. 1 WEG der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festzusetzen, wobei er den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht übersteigen darf.
12
Der Streitwert einer Klage, mit der ein Beschluss angefochten wird, in dem ein Wohnungseigentümer zu einer Leistung aufgefordert wird und mit der Durchsetzung des Anspruchs der Gemeinschaft ein Rechtsanwalt beauftragt wird, ist mit den Kosten des Rechtsstreits zu bemessen, mit dem die Gemeinschaft den Anspruch gerichtlich verfolgt.
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Die Wohnungseigentümer haben unter TOP 5 A) auf der Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 beschlossen, dass die Mehrkosten durch die nicht genehmigte Nutzung der Dachflächen durch den Eigentümer der Einheit 9 notfalls gerichtlich eingefordert werden sollen. Die Wohnungseigentümer haben mit diesem Beschluss nicht einen Zahlungsanspruch gegen die Kläger begründet. Außerhalb der gemeinschaftlichen Kosten und Lasten fehlt eine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer für die Begründung von Leistungspflichten. Die Wohnungseigentümer können aber durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, Ansprüche der Gemeinschaft gegen Miteigentümer außergerichtlich und gerichtlich durchzusetzen.
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Im Rahmen einer gegen einen solchen Aufforderungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage sind formelle Beschlussmängel zu prüfen. Ob ein Leistungsanspruch besteht, ist in einem gegebenenfalls anzustrengenden Prozess zu klären (BGH, Urteil vom 21. Juli 2023 – V ZR 215/21 –, Rn. 22, juris). In diesem Prozess ist das Gericht an eine in dem Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht gebunden. Der Beschluss über die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen der Gemeinschaft entspricht materiell nur dann nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn ein Anspruch der Gemeinschaft ausgeschlossen ist.
15
Deshalb ist, wenn die Beschlussfassung auch dazu dient, ein gerichtliches Verfahren zu betreiben, und der Beschluss zugleich vorsieht, dass mit der Durchsetzung der Ansprüche ein Rechtsanwalt beauftragt wird, zur Bemessung des Gebührenstreitwertes im Falle einer Anfechtung des Aufforderungs- bzw. Vorbereitungsbeschlusses auf die in dem in Aussicht genommenen Rechtsstreit voraussichtlich anfallenden Rechtsverfolgungskosten abzustellen. Diese Kosten bilden das Interesse aller Wohnungseigentümer an der gerichtlichen Entscheidung ab (Suilmann in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 8. Auflage 2024, § 49 GKG 2004, Rn. 29; LG Frankfurt, Beschluss vom 15. Februar 2024 – 2-13 S 53/23, WuM 24, 298, ZWE 2024, 363).
16
Bei der Bestimmung der möglicherweise zu erwartenden Rechtsverfolgungskosten ist ein generalisierender Maßstab anzusetzen (Senat Beschl. V. 16.04.2024 – 32 W 616/24). Auszugehen ist von den Kosten eines Rechtsstreits erster Instanz gegen die jeweiligen Eigentümer, getrennt nach Einheiten, mit Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 2,5-fachen Gebühr für beide Seiten. Die Vereinbarung eines Stundenhonorars mit dem durch die Beklagte zu beauftragenden Rechtsanwalt ist im Hinblick auf die notwendigerweise generalisierende Betrachtungsweise genauso unerheblich wie etwaige zusätzlich Kosten für Mehrvertretungsgebühren, für einen Vergleich oder für eine Berufung. Das Landgericht hat daher die Kosten zutreffend bemessen.
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Es kann dahinstehen, ob die Entscheidung des BGH, dass das Interesse der Kläger an der Ungültigerklärung eines Beschlusses über die Geltendmachung einer Forderung mit dem Nennbetrag der Forderung zu bemessen ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2016 – V ZB 17/15 –, juris), durch die Gesetzesänderung zum 1.12.2020 ihre Gültigkeit verloren hat. Das Interesse des Anfechtungsklägers beschränkt nach § 49 Satz 2 GKG nur den Streitwert einer Beschlussmängelklage, der im Ausgangspunkt allein mit dem Interesse aller Wohnungseigentümer festzusetzen ist. Wenn der Wert des Interesses eines Anfechtungsklägers höher ist als der Wert des Interesses aller Wohnungseigentümer liegen die Voraussetzungen für eine Beschränkung schon nicht vor.
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3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 GKG gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.