Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 11.07.2024 – 7 WF 95/24
Titel:

Erinnerungsbefugnis bei fehlender Beschwerdebefugnis

Normenketten:
RPflG § 11 Abs. 2 S. 1
FamFG § 160, § 161 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht nicht nur bei Zuständigkeit des Richters, sondern auch bei Zuständigkeit des Rechtspflegers, soweit er in Verfahren betreffend die Person des Kindes entscheidet. (Rn. 16)
2. § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG sieht die Erinnerung vor, wenn gegen die Entscheidung des Rechtspflegers nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann. Um verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen, soll einem „beschwerten“ Beteiligten - den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung tragend - die Möglichkeit eröffnet werden, die Entscheidung eines Richters herbeizuführen (OLG Bamberg, B. v. 11.07.2024, 7 WF 95/24).  (Rn. 12)
Schlagworte:
Pflegschaft, Rechtspfleger, Anhörung, Kind, Erinnerung, Beschwer, Beschwerdeberechtigung, Beschwerdebefugnis, Erinnerungsbefugnis, Jugendamt, Großeltern, Ergänzungspflegschaft
Fundstellen:
RPfleger 2025, 140
FamRZ 2025, 184
LSK 2024, 31752
BeckRS 2024, 31752

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 18.04.2024 wird aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Behandlung an das Amtsgericht Würzburg zurückgegeben.

Gründe

I.
1
Das Kind K. lebt seit Dezember 2019 im Haushalt der Großeltern, derzeit im Rahmen eines Pflegeverhältnisses nach § 33 SGB VIII. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bad Kissingen vom 21.11.2022 wurde den sorgeberechtigten Eltern die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht zur Gesundheitsfürsorge, Recht zur Regelung von Kindergarten- und Schulangelegenheiten sowie Umgangsbestimmungsrecht entzogen und soweit die Rechte entzogen wurden, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Landratsamt – Jugendamt – ... zum Ergänzungspfleger bestellt. Mit Schreiben vom 22.11.2023, eingegangen beim Amtsgericht am 24.11.2023, baten die Großeltern um Übertragung der genannten Rechte auf sich. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen.
2
Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme des Ergänzungspflegers sowie des Jugendamtes eingeholt. Des Weiteren wurde das Kind K. persönlich angehört. Eine Beteiligung der Eltern sowie deren Anhörung sind nicht erfolgt, auch wurden die Großeltern nicht persönlich angehört.
3
Mit Beschluss vom 20.03.2024 hat der zuständige Rechtspfleger des Amtsgerichts den Antrag der Großeltern auf Übertragung der Pflegschaft in den Angelegenheiten Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht zur Gesundheitsfürsorge, Recht zur Regelung von Kindergarten- und Schulangelegenheiten sowie Umgangsbestimmungsrecht zurückgewiesen. Zur Begründung wurde aufgeführt, dass sich das Kind im Haushalt der Großeltern wohlfühle, jedoch aus dem Schreiben des bisherigen Ergänzungspflegers hervorginge, dass möglicherweise die notwendige Distanz der Großeltern zum Vater des Kindes fehlen könnte. Es spräche nichts dagegen, dass die Pflegschaft weiter durch das Jugendamt ausgeübt werde. Das Kind werde nicht aus seiner gewohnten Umgebung gerissen. Bei einer guten Zusammenarbeit stelle es keine Probleme dar, wenn das Jugendamt weiterhin die Ergänzungspflegschaft führe.
4
In Alltagsangelegenheiten seien die Großeltern entscheidungsbefugt.
5
Gegen diese ihnen jeweils am 28.03.2024 zugestellte Entscheidung haben die Großeltern mit Schreiben vom 12.04.2024, eingegangen beim Amtsgericht am 17.04.2024, Beschwerde eingelegt und diese beschränkt auf die Übertragung der Pflegschaft in den Bereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Recht zur Gesundheitsfürsorge, Recht zur Regelung von Kindergarten- und Schulangelegenheiten. Nicht mehr beantragt wird die Pflegschaft in Bezug auf das Umgangsbestimmungsrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen.
6
Mit Beschluss vom 18.04.2024 hat der zuständige Rechtspfleger des Amtsgerichts der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
7
Das Schreiben der Großeltern vom 12.04.2024 ist, weil ihnen gegen den Beschluss vom 20.03.2024 ein Recht zur Beschwerde nach § 59 FamFG nicht zusteht, als Erinnerung gegen die Entscheidung des Rechtspflegers auszulegen (BGH FamRZ 2013, 1380 ff).
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1) Der zuständige Rechtspfleger hatte in der vorliegenden Kindschaftssache (§ 151 Nr. 5 FamFG) am 20.03.2024 eine Endentscheidung im Sinn des § 38 FamFG getroffen. Für die Beschwerde gegen diese Entscheidung gelten demnach die §§ 58 ff FamFG.
9
Die Beschwerdeberechtigung ist in § 59 FamFG geregelt. Nach Abs. 1 steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Gemäß Abs. 2 steht die Beschwerde dem Antragsteller zu, wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist.
10
a) Ein Fall des § 59 Abs. 2 FamFG ist nicht gegeben. Denn der Beschluss über die Ergänzungspflegschaft wird nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen erlassen (§§ 1813 Abs. 1, 1774 BGB). Der Antrag der Großeltern vom 22.11.2023 ist demnach allein als Anregung (§ 24 Abs. 1 FamFG) zu verstehen.
11
b) Auch die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 FamFG liegen nicht vor. Die Entscheidung vom 20.03.2024 beeinträchtigt die Großeltern nicht in ihren eigenen Rechten. Dass sie ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung hatten, ändert daran nichts (BGH, a. a. O.).
12
2) Allerdings sieht § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG die Erinnerung vor, wenn gegen die Entscheidung nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ein Rechtsmittel nicht eingelegt werden kann. Um verfassungsrechtliche Bedenken auszuräumen, soll einem „beschwerten“ Beteiligten – den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung tragend – die Möglichkeit eröffnet werden, die Entscheidung eines Richters herbeizuführen.
13
Die Erinnerung ist deshalb immer dann eröffnet, wenn die Entscheidung, hätte sie der Richter erlassen, im konkreten Fall unanfechtbar wäre, was nicht nur zu bejahen ist, wenn ein Rechtsbehelf von vorneherein nicht statthaft ist, sondern auch dann, wenn er zwar an sich statthaft, aber im konkreten Fall nicht eröffnet ist, weil zum Beispiel die Beschwerdesumme nicht erreicht wird, die Anfechtung auf andere als die gesetzlich zugelassenen Anfechtungsgründe gestützt werden soll oder – wie vorliegend – dem Anfechtenden die Beschwerdeberechtigung fehlt (MüKO, ZPO – Hamdorf, 6. Auflage, 2020, § 11 RPflG Rn. 2).
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Anders als für die Beschwerdebefugnis reicht es für die Erinnerungsbefugnis aus, dass die Großeltern ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung haben (BGH, a. a. O.).
15
3) Der zuständige Rechtspfleger wird daher zu prüfen haben, ob der von den Großeltern eingelegten Erinnerung abzuhelfen ist. Die am 18.04.2024 getroffene Entscheidung setzt sich mit dem Vorbringen nicht auseinander, sondern enthält lediglich formelhafte Ausführungen. Insbesondere verhält sich die Entscheidung nicht zu dem Umstand, dass die Pflegschaft in Bezug auf das Umgangsbestimmungsrecht nicht mehr beantragt wird.
16
a) Für das Verfahren ist in darauf hinzuweisen, dass bislang die Hinzuziehung von notwendig zu beteiligenden Personen nicht erfolgt ist. Denn vorliegend hat das Gericht die Eltern am Verfahren überhaupt nicht beteiligt, wohingegen gem. § 160 Abs. 1 FamFG sogar deren persönliche Anhörung erforderlich gewesen wäre. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht nicht nur bei Zuständigkeit des Richters, sondern auch bei Zuständigkeit des Rechtspflegers, soweit er in Verfahren betreffend die Person des Kindes entscheidet (vgl. Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Auflage 2023, § 160 FamFG, Rn. 4). Das Wort „soll“ in § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG bedeutet nach zutreffender Auffassung hierbei nicht, dass das Gericht nach seinem Ermessen von der persönlichen Anhörung absehen darf, vielmehr darf von der Anhörung nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden, § 160 Abs. 3 FamFG (vgl. zum Ganzen: Keidel/Engelhardt, FamFG, 20. Aufl., RN 3 zu § 160 FamFG). Eine Begründung für die unterbliebene Beteiligung bzw. Anhörung findet sich in der Endentscheidung nicht, derartige Gründe sind auch nicht ersichtlich.
17
Die Großeltern hatten zwar Gelegenheit zur Stellungnahme, eine persönliche Anhörung der Großeltern gem. § 161 Abs. 2 FamFG (vgl. Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Auflage 2023, § 161 FamFG, Rn. 11) ist aber gleichfalls unterblieben.
18
b) Für die zu treffende Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass gem. §§ 1813 Abs. 2, 1804 Abs. 1 Nr. 2 BGB das nach §§ 1813 Abs. 2, 1774 Abs. 1 Nr. 4 BGB zum Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt dann zu entlassen ist, wenn eine andere geeignete Person vorhanden und bereit ist, die Ergänzungspflegschaft ehrenamtlich zu führen und die Entlassung nicht dem Wohl des Pfleglings widerspricht. Dann besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes für das Gericht kein Ermessen, sondern es muss die Auswechslung erfolgen (Grüneberg/Götz, BGB, 83. Auflage, 2023, § 1804 Rn. 1). Voraussetzung ist die Eignung der Person nach § 1779 Abs. 1 BGB. Für den Fall, dass diese gegeben ist, besteht gem. § 1779 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1813 Abs. 2 BGB ein Vorrang der natürlichen Person, die bereit ist, die Ergänzungspflegschaft ehrenamtlich zu führen, vor dem gem. § 1774 Abs. 1 Nr. 4 BGB zum Ergänzungspfleger bestellten Jugendamt.
19
c) Wird eine Abhilfe abgelehnt, muss die Sache dem zuständigen Familiengericht vorgelegt werden.
III.
20
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 20 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG).
21
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 70 Abs. 2 FamFG).