Titel:
Verpflichtung einer Kommune zu parteipolitischer Neutralität
Normenketten:
GG Art. 21 Abs. 1. Art. 28 Abs. 2 S. 1
VwGO § 61 Nr. 2
Leitsatz:
Ist eine Kommune Mitglied einer mehrheitlich von Privaten gebildeten Vereinigung, deren Vertreter sich in der Öffentlichkeit kritisch über eine bestimmte Partei äußern, so kann der betroffene Kreisverband dieser Partei den Austritt der Kommune aus der Vereinigung verlangen. (Rn. 35 – 37)
Schlagworte:
Klagerecht des Kreisverbands einer politischen Partei, Verpflichtung von Hoheitsträgern zu parteipolitischer Neutralität, Mitgliedschaft von Kommunen in privatrechtlich organisierter Allianz, Äußerungen der Allianz als mittelbarer Eingriff in die Parteienfreiheit, Gegenstand und Grenzen der Pressearbeit von Hoheitsträgern, Anspruch einer Partei auf Austritt der Kommune aus der Allianz, politische Partei, Neutralität, Kreisverband, Öffentlichkeitsarbeit, Parteienfreiheit, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 21.07.2022 – AN 4 K 21.01492
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
BayVBl 2025, 271
RÜ 2025, 229
LSK 2024, 31652
BeckRS 2024, 31652
DÖV 2025, 317
NVwZ 2025, 611
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Juli 2022 verurteilt, ihre Mitgliedschaft in der „Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion ...“ zu beenden.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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1. Der Kläger ist der u.a. für das Gebiet der beklagten Stadt ... zuständige ...-Kreisverband. Er wendet sich gegen die Mitgliedschaft der Beklagten in der am 19. März 2009 gegründeten „Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion ...“ (im Folgenden: Allianz gegen Rechtsextremismus).
2
Die Beklagte ist aufgrund eines Stadtratsbeschlusses vom 27. Mai 2009 Mitglied in der Allianz gegen Rechtsextremismus. Diese wurde in einer vom Menschenrechtsbüro der Beklagten organisierten Versammlung am 19. März 2009 im Historischen Rathaussaal der Beklagten gegründet. Der Allianz gegen Rechtsextremismus gehören derzeit 165 Städte, Gemeinden und Landkreise sowie 322 zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen an. Sie versteht sich laut der Präambel zu ihrer Satzung als unabhängiges Netzwerk; sie will allen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, insbesondere Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit sowie Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit entgegentreten.
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Gemäß ihrer Satzung ist die Allianz gegen Rechtsextremismus ein nicht eingetragener gemeinnütziger Verein (§ 1). Sie will die Kräfte im Kampf gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion bündeln sowie mit gemeinsamen Aktionen und Projekten die Prävention gegen rechtsextremes Gedankengut und die Gefahrenabwehr bei rechtsextremen Veranstaltungen optimieren (§ 2). Mitglied werden können kommunale Gebietskörperschaften, interessierte Institutionen und Vereinigungen, Religionsgemeinschaften sowie Unternehmen aus der Metropolregion ... (§ 3). Organe der Allianz gegen Rechtsextremismus sind die Mitgliederversammlung, bei der jedes Mitglied eine Stimme hat (§ 5), das für die Ausarbeitung von Strategien, Projekten und Tätigkeitsschwerpunkten zuständige Koordinierungsgremium (§ 6) und der aus dem Vorsitzenden und vier Stellvertretern bestehende Vorstand. Der Vorsitzende vertritt die Allianz nach innen und außen; er kann in deren Namen sprechen sowie in akuten Situationen ad hoc Entscheidungen treffen (§ 7). Die Vorsitzenden und das Koordinierungsgremium werden unterstützt vom Menschenrechtsbüro der Stadt ..., das als Geschäftsstelle der Allianz gegen Rechtsextremismus fungiert; die Geschäftsstelle ist Mitglied im Koordinierungsgremium, führt die laufenden Geschäfte des Vereins eigenständig durch und stimmt sich mit dem Vorstand bzw. dem Koordinierungsgremium ab (§ 9). Bei Auflösung der Allianz fällt das Vermögen des Vereins an die Stadt ..., die es ausschließlich im Sinne der Satzung zu verwenden hat (§ 10).
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Nachdem sich die Allianz gegen Rechtsextremismus vor und nach der Kommunalwahl 2020 in Pressemitteilungen kritisch zur ... geäußert hatte, wandte sich die ...-Fraktion im Stadtrat der Beklagten mit Schreiben vom 10. März 2021 an den Oberbürgermeister der Beklagten und beantragte den Austritt der Beklagten aus der Allianz gegen Rechtsextremismus mit der Bitte um Behandlung im Stadtrat oder im zuständigen Ausschuss. Der Oberbürgermeister teilte dazu mit Schreiben vom 30. März 2021 mit, das Engagement bei der Allianz gegen Rechtsextremismus sei von der kommunalen Zuständigkeit gedeckt, was die Regierung von Mittelfranken 2009 bestätigt habe. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht hätten im Zusammenhang mit dem satzungsrechtlichen Verbot von Grabsteinen aus Kinderarbeit klargestellt, dass die Kommunen nicht gehindert seien, im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben auch menschenrechtliche Ziele zu verfolgen. Adressaten der öffentlichen Positionierungen seien nicht bestimmte Parteien, sondern menschenfeindliche und rechtsextreme Haltungen. Für einen Austritt der Beklagten bestehe kein Anlass.
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Auf eine Anfrage der ...-Stadtratsfraktion bei der Regierung von Mittelfranken als Rechtsaufsichtsbehörde erklärte diese mit Schreiben vom 20. Juli 2021, es bestehe keine Veranlassung für die Feststellung, dass die Mitgliedschaft der Beklagten in der Allianz gegen Rechtsextremismus rechtswidrig sei.
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2. Mit der ursprünglich von der ...-Stadtratsfraktion erhobenen Klage, die zunächst von vier Fraktionsmitgliedern und – nach deren Ausscheiden – nur noch von dem am 26. November 2021 zum Verfahren beigetretenen Kläger fortgeführt wird, wendet sich dieser gegen die Mitwirkung der Beklagten an der Allianz gegen Rechtsextremismus.
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Im erstinstanzlichen Verfahren trug der Kläger vor, die Allianz gegen Rechtsextremismus verfolge vor allem parteipolitische Ziele und fokussiere sich auf die ..., die durch die Allianz offenbar dem Rechtsextremismus und -populismus zugerechnet und in ihrem Handlungsprogramm in einem Atemzug u.a. mit von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextrem eingestuften Parteien und weiteren rechtsextremen Organisationen genannt werde, wobei sogar ein Bezug zur Terrorgruppe NSU hergestellt werde. Anlässlich der Kommunalwahl habe die Allianz gegen Rechtsextremismus am 11. Februar 2020 eine Pressemitteilung herausgegeben, die sich ausschließlich mit der ... befasse und indirekt dazu aufrufe, sie nicht zu wählen. Eine nach der Wahl herausgegebene Pressemitteilung vom 17. März 2020 habe sich ebenfalls ausschließlich mit der ... befasst und diese als rechtsextremistisch und rassistisch diffamiert. Die Mitgliedschaft der Beklagten in der genannten Vereinigung liege außerhalb des eigenen wie auch des übertragenen Wirkungskreises. Aus der Satzung der Allianz gegen Rechtsextremismus ergebe sich der allgemeinpolitische Charakter dieser Organisation. Parteiergreifende Stellungnahmen ließen sich auch mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht rechtfertigen.
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Der Kläger beantragte zuletzt, die Beklagte zur Beendigung ihrer Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus zu verpflichten, hilfsweise die fehlende Berechtigung einer weiteren Mitgliedschaft festzustellen, sowie äußerst hilfsweise, der Beklagten die Finanzierung der Allianz gegen Rechtsextremismus zu untersagen und auf diese in bestimmter Weise einzuwirken.
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Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Die Klage sei mangels Klagebefugnis bereits unzulässig. Es bestehe kein Anspruch darauf, dass die Stadtratsmehrheit rechtmäßige Beschlüsse fasse. Es stehe grundsätzlich außer Frage, dass allgemeinpolitische Themen örtlich begrenzten Bezug haben könnten. Der Kläger müsse sich vorrangig gegen die Allianz gegen Rechtsextremismus selbst wenden und habe sich im Übrigen auch nicht zuvor an die Beklagte gewandt. Es sei nicht dargelegt, dass die Tätigkeit der Allianz gegen Rechtsextremismus sich anders darstellen würde, wenn die Beklagte ihre Mitgliedschaft beende. Zudem sei fraglich, ob ein Zusammenschluss wie die Allianz gegen Rechtsextremismus in gleichem Maße dem Neutralitätsgebot unterliege wie die Beklagte selbst, da der Vereinigung auch andere Mitglieder wie etwa Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Unternehmen angehörten. Mit der Allianz gegen Rechtsextremismus äußere sich kein Organ der Beklagten.
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Der Stadtrat der Beklagten lehnte in einer Sitzung am 18. November 2021 einen Antrag der ...-Fraktion auf Beendigung der Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus mehrheitlich ab.
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3. Mit Urteil vom 21. Juli 2022 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
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Hinsichtlich des Hauptantrags auf Verpflichtung zum Austritt fehle es bereits an einer möglichen eigenen Rechtsverletzung analog § 42 Abs. 2 VwGO, da offenkundig kein Anspruch auf Austritt aus der Allianz gegen Rechtsextremismus bestehe. Zwar könne sich der Kläger als örtliche Vertretung einer Partei auf die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb und den damit korrespondierenden Grundsatz der parteipolitischen Neutralität berufen. Aus der bloßen Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus ergebe sich aber nicht, dass jede Äußerung der Allianz der Beklagten zurechenbar sei. Vielmehr sei im Einzelfall zu bestimmen, ob und wann eine Reaktion der Beklagten als einem zur parteipolitischen Neutralität verpflichteten Mitglied erforderlich sei. Die Satzung lasse nicht erkennen, dass die Allianz gegen Rechtsextremismus bestimmte Parteien unterstützen oder ausgrenzen solle. Auch auf der Grundlage ihrer Tätigkeit ergebe sich kein Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft. Die im Rahmen von Pressemitteilungen abgegebenen Äußerungen anlässlich der Kommunalwahl 2020 stellten sich in der Gesamtschau nicht als systematische und fortbestehende Verletzung dar. Auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Selbständigkeit der Allianz gegen Rechtsextremismus entäußere sich die Beklagte als Mitglied der Allianz nicht ihrer Pflicht zur Wahrung der parteipolitischen Neutralität. Die Allianz gegen Rechtsextremismus trete bewusst mit dem Autoritätsanspruch ihrer Mitglieder als einem breiten gesellschaftlichen Bündnis auf. Die Mitgliedschaft der Beklagten dürfe aufgrund ihrer Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit begründet und unterhalten werden. Zu dieser freiwilligen Aufgabe des eigenen Wirkungskreises gehöre die Vermittlung der grundlegenden Werte etwa im Rahmen eines Leitbildes. Der Beklagten als Gemeinde sei die Beschäftigung mit den Grundwerten der Verfassung nicht thematisch entzogen. Der Grundsatz der parteipolitischen Neutralität könne zwar eine Grenze der Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen darstellen. Da hier nicht eine staatliche Stelle als solche, sondern ein selbständiger Träger handle, komme ein Anspruch auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aber erst in Betracht, wenn eine Äußerung in Ansehung der Mitgliedschaft der Gemeinde nicht mehr als vertretbar erscheine. Dies betreffe insbesondere polemische Äußerungen sowie Stellungnahmen im unmittelbaren Zusammenhang zu einer Wahl, mit denen die Frage der Wählbarkeit oder Nicht-Wählbarkeit einer Partei aufgeworfen werde. Ein weiterer Spielraum komme der Allianz für wertende Äußerungen zu. Ein Anspruch auf Beendigung einer im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit begründeten Mitgliedschaft in einer Vereinigung sei als ultima ratio allenfalls dann denkbar, wenn durch die tatsächliche Tätigkeit der Vereinigung eine systematische und fortbestehende Verletzung des Anspruchs auf parteipolitische Neutralität im Raum stehe; dieser Mangel dürfe sich nicht als Ausreißer oder rechtlich korrigierbares Fehlverständnis darstellen. Vor Beendigung der Mitgliedschaft seien andere Schritte erforderlich; dazu gehöre ein inhaltliches Aufzeigen der behaupteten Mängel. Ein Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft komme erst in Betracht, wenn klar sei, dass der Verein nicht bereit sein werde, sich in seinen Stellungnahmen an den Grenzen des rechtlichen Dürfens seines Mitglieds auszurichten. Danach lägen hier die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft evident nicht vor. Es hätte zunächst ein konkretes Fehlverhalten aufgezeigt und von der Beklagten Abhilfe gefordert werden müssen. Es sei nicht klar, dass die Allianz nicht bereit sei, ihre Tätigkeit an den rechtlichen Grenzen ihrer Mitglieder, die zugleich kommunale Gebietskörperschaften sind, auszurichten. Die Beklagte treffe im Übrigen auch keine dauernde Überwachungspflicht der Tätigkeit des Vereins. Dem hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung einer fehlenden Berechtigung der Beklagten zum Unterhalten der Mitgliedschaft bei der Allianz gegen Rechtsextremismus stehe schon die Subsidiaritätsvorschrift des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen. Gleichfalls unzulässig seien die Anträge, mit denen der Beklagten die Finanzierung der Allianz gegen Rechtsextremismus untersagt und sie zur Einwirkung auf diese verpflichtet werden solle.
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4. Mit der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Noch deutlicher als in den vergangenen Jahren lege die Allianz gegen Rechtsextremismus in dem Zeitraum seit Erlass des angefochtenen Urteils den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Agitation gegen die .... So habe sie es Pressemitteilungen zufolge als ihre Hauptaufgabe bezeichnet, die Bevölkerung über den angeblich rechtsextremistischen Charakter der ... aufzuklären. Im Haushalt der Beklagten für 2024 sei dafür ein Förderungsbetrag in Höhe von 30.000 Euro vorgesehen. In einer vor der Landtagswahl am 8. Oktober 2023 gestreuten Broschüre wende sich die Allianz vorwiegend gegen die ..., auch mit an Gastwirte und Betreiber von Veranstaltungslokalen gerichteten Boykottaufrufen. In einem Bericht der ...er Zeitung zur Europawahl werde eine Plakatkampagne der Allianz ausschließlich mit Bezug zur ... geschildert. In einem Instagram-Auftritt der Organisation aus jüngster Zeit werde der Vorsitzende mit gegen die ... gerichteten Aussagen zitiert. Auch wenn diese Aussagen für sich genommen zulässig seien, gehe es nicht an, dass eine zur politischen Neutralität verpflichtete Gemeinde Mitglied in einer solchen Organisation sei. Das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, dass die politische Auseinandersetzung Sache der politischen Parteien und der Presse sei, auf keinen Fall jedoch Träger öffentlicher Ämter in dieser Eigenschaft gegen politische Parteien agitieren dürften. Dies gelte vermehrt, wenn sich eine Gebietskörperschaft ganz offiziell im parteipolitischen Kampf gegen eine politische Partei engagiere.
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Juli 2022 die Beklagte zu verpflichten, ihre Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Europäischen Metropolregion ... zu beenden,
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hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, eine Mitgliedschaft bei der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Europäischen Metropolregion ... zu unterhalten,
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a) der Beklagten zu untersagen, sich an der Finanzierung der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion ... zu beteiligen, sei es durch Geldbeiträge, sei es durch Zurverfügungstellung von Liegenschaften, sei es durch Zurverfügungstellung von Personal oder von Sachmitteln, solange sich diese Allianz in Aufrufen und Aktionen in der Öffentlichkeit ausdrücklich und namentlich gegen die ... als zu bekämpfende rechtsextremistische Organisation wendet,
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b) die Beklagte zu verurteilen, auf die Allianz gegen Rechtsextremismus einzuwirken mit dem Ziel, diese möge es künftig unterlassen, Aktionen wie unter a) durchzuführen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die vom Kläger erwähnte Broschüre sei zuletzt 2016 als Druckversion aufgelegt worden; sie sei vergriffen, eine Neuauflage sei derzeit nicht geplant. Sie sei auch nicht auf der Homepage der Allianz gegen Rechtsextremismus abrufbar. Wie eine Streuung vor der Landtagswahl im Jahr 2023 erfolgt sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Der Kläger gehe selbst davon aus, dass zunächst eine Verpflichtung der Beklagten bestünde, sich bei der Allianz gegen Rechtsextremismus dafür zu verwenden, etwaige Verstöße gegen das die Beklagte treffende Neutralitätsgebot in Zukunft zu unterbinden, und dass sie dann erst gegebenenfalls auszutreten habe.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Juli 2022 hat Erfolg. Die im Hauptantrag auf eine Beendigung der Mitgliedschaft der Beklagten in der Allianz gegen Rechtsextremismus gerichtete Klage ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Gegen die Zulässigkeit der als allgemeine Leistungsklage statthaften Klage bestehen keine Bedenken.
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a) Der Kläger ist als Kreisverband einer politischen Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig, soweit ihm ein Recht zustehen kann; § 3 Satz 2 PartG steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2010 – 6 B 16.10 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die Beteiligungsfähigkeit einer nicht rechtsfähigen Vereinigung setzt lediglich voraus, dass der zur gerichtlichen Prüfung stehende Lebenssachverhalt nach einem Normenkomplex zu beurteilen ist, aus dem sich möglicherweise ein Recht der Vereinigung ergibt (BVerwG, U.v. 28.11.2018 – 6 C 2.17 – BVerwGE 164, 1 Rn. 13). Dies ist hier nach dem klägerischen Vortrag der Fall.
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Dem Kläger stehen als selbständigem Teilverband der ... Bayern (§ 3 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 der Satzung der ... Bayern vom 19.4.2015) eigene Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG zu (vgl. Morlok in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 54), auf die er sich auch im Verhältnis zur Beklagten berufen kann. Er rügt einen Verstoß gegen die aus der Parteienfreiheit folgende Neutralitätspflicht staatlicher Stellen und macht geltend, durch öffentliche Äußerungen der Allianz gegen Rechtsextremismus, die gegen die ... gerichtet und der Beklagten zuzurechnen seien, in seinem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb auf kommunaler Ebene verletzt zu sein. Schon aus dieser näher dargelegten spezifischen Betroffenheit des Klägers als für das Stadtgebiet ... zuständiger Untergliederung der ... ergibt sich für das streitgegenständliche Klagebegehren die analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis, ohne dass es zusätzlich darauf ankommt, dass das im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte „Handlungsprogramm“ der Allianz gegen Rechtsextremismus (3. aktualisierte Auflage) sich unter der Überschrift „Rechtsextremismus in der Metropolregion“ ausdrücklich mit dem Kläger befasst (Bl. 18 VG-Akte).
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b) Für die am 26. November 2021 im Wege eines Beteiligtenbeitritts erhobene Klage fehlt es nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat sich der Kläger als örtliche Parteigliederung mit seinem Begehren nicht vorprozessual an die Beklagte gewandt und um Abhilfe gebeten. Dies lässt aber die Erhebung der Klage nicht als unnötig erscheinen. Nachdem der Stadtrat der Beklagten am 18. November 2021 einen Antrag der ...-Fraktion auf Beendigung der Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus abgelehnt hatte, durfte der Kläger annehmen, dass er dieses Ziel nur durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes würde erreichen können.
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2. Die hiernach zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte ihre Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus beendet. Die aus Art. 21 Abs. 1 GG folgende Neutralitätspflicht staatlicher Organe in Bezug auf nicht verbotene politische Parteien gilt uneingeschränkt auch für die Beklagte als kommunale Gebietskörperschaft (a). Da ihr die ...kritischen öffentlichen Äußerungen der Allianz gegen Rechtsextremismus, die einen mittelbaren Eingriff in die Parteienfreiheit darstellen, zuzurechnen sind (b), kann der Kläger ihren Austritt aus der Vereinigung verlangen (c).
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a) Die Beklagte ist als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 BV) in gleicher Weise wie alle anderen Inhaber von Staatsgewalt zur Achtung der grundgesetzlich garantierten Parteienfreiheit verpflichtet (vgl. Kluth in BeckOK Grundgesetz, Stand 15.9.2024, Art. 21 Rn. 116; Morlok, a.a.O., Rn. 65).
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Der von Art. 21 Abs. 1 GG geschützte verfassungsrechtliche Status der Parteien gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen. Das Grundgesetz garantiert den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die prinzipielle Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt (BVerfG, U.v. 15.6.2022 – 2 BvE 4/20 u.a. – BVerfGE 162, 207 Rn. 72 m.w.N.). Ihre chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Das Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am Prozess der Meinungs- und Willensbildung wird daher regelmäßig verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei auf den Wahlkampf einwirken (BVerfG, a.a.O., Rn. 73 m.w.N.). Aber auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität, da der Prozess der politischen Willensbildung nicht auf den Wahlkampf beschränkt ist, sondern fortlaufend stattfindet (BVerfG, a.a.O., Rn. 74 m.w.N.). Staatliche Organe dürfen keine negativen oder positiven Werturteile über bestimmte Parteien abgeben; sie müssen sich der offenen oder versteckten Werbung für oder gegen einzelne miteinander konkurrierende Parteien enthalten (BVerfG, U.v. 27.2.2018 – 2 BvE 1/16 – BVerfGE 148, 11 Rn. 49 m.w.N.). Den im Mehrparteiensystem stattfindenden politischen Wettbewerb darf die öffentliche Gewalt nicht ignorieren oder gar konterkarieren; durch staatliches Handeln dürfen nicht einzelne Teilnehmer benachteiligt oder begünstigt werden (BVerfG, U.v. 22.2.2023 – 2 BvE 3/19 – BVerfGE 166, 93 Rn. 173 m.w.N.).
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Da das verfassungsrechtliche Gebot parteipolitischer Neutralität für die kommunale Ebene in gleicher Weise gilt (BVerwG, U.v. 13.9.2017 – 10 C 6.16 – BVerwGE 159, 327 Rn. 24 m.w.N.), ist auch die Beklagte als örtlicher Träger der kommunalen Selbstverwaltung bei allen an die Öffentlichkeit gerichteten Verlautbarungen daran gebunden. Es macht dabei keinen Unterschied, ob sich ein einzelner Amtsträger bzw. der Stadtrat als Vertretungsorgan in seiner jeweiligen Funktion zu Wort meldet oder ob eine Äußerung allgemein namens der Beklagten als Gebietskörperschaft abgegeben wird.
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b) Durch ihre Beteiligung an der Allianz gegen Rechtsextremismus, die in zahlreichen öffentlichen Äußerungen ihre entschiedene Ablehnung der ... zum Ausdruck bringt (aa), greift die Beklagte mittelbar in den Prozess der demokratischen Meinungs- und Willensbildung ein und verstößt damit zu Lasten des Klägers gegen ihre Neutralitätspflicht (bb), ohne sich auf eine entsprechende Eingriffsbefugnis berufen zu können (cc).
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aa) Zwar bezeichnet die Satzung der 2009 gegründeten Allianz gegen Rechtsextremismus es nicht ausdrücklich als Ziel der Vereinigung, in der Öffentlichkeit vor als rechtsextrem eingeschätzten Parteien in der Metropolregion ... zu warnen oder ihre politischen Programme inhaltlich zu bewerten. Die Auseinandersetzung mit der ... bildet aber seit längerem einen Schwerpunkt der publizistischen Tätigkeit der Allianz. Dies zeigen die auf ihrer Homepage (www.allianz-gegen-rechtsextremismus.de) abrufbaren Berichte über die Mitgliederversammlungen der Jahre 2017 („Kundgebungen gegen ... und III. Weg“), 2018 („Kundgebungen gegen ..., III. Weg …“), 2019 („Die ... eine Gefahr für die Demokratie!?“) und 2020 („Kommunalwahl 2020: Bewertung der Strategie der ...“) ebenso wie die auf ihrem Instagram-Account (Stand 13.11.2024) abrufbaren Wortmeldungen ihres Vorsitzenden, in denen er u.a. die Erfolge der ... bei den jüngsten Wahlen zum Europaparlament sowie zu den Landtagen in Sachsen und Thüringen anprangert und die politische Ausrichtung dieser Partei kritisiert (www.instagram.com/allianz_ggn_rechtsextremismus/p/DClpFKNtRGD/). Auch in zahlreichen von der Klägerseite vorgelegten oder im Internet abrufbaren Pressemitteilungen und Interviewäußerungen aus neuerer Zeit haben Vertreter der Allianz gegen Rechtsextremismus explizit gegen die ... und deren Politik Stellung genommen (z.B. „Einladung der ... muss Konsequenzen haben“, Pressemitteilung vom 11.2.2020; „Keine Steuergelder für die ...-nahe Erasmus-Stiftung“, Pressemitteilung vom 26.2.2021 [Bl. 85 VG-Akte]; Flyer zur Bundestagswahl 2021 [Bl. 125 ff. VG-Akte]; „Wahlerfolg der ...: Allianz gegen Rechtsextremismus prangert ‚Rechtsruck in Bayern‘ an“, ...er Nachrichten vom 24.10.2023; „Demokratie unter Beschuss“, ...er Zeitung vom 10.5.2024 [Bl. 52 VGH-Akte]; „Brandmauer gegen die ...“, Evangelische Zeitung vom 2.9.2024; „Allianz gegen Rechtsextremismus fordert ‚klare Kante‘ gegen die ...“, Sonntagsblatt vom 23.9.2024; „Rechtsextremismus-Allianz fordert Unterstützung für ...-Verbotsantrag“, Sonntagsblatt vom 1.10.2024).
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bb) Die gezielt gegen die ... gerichteten Äußerungen der Allianz gegen Rechtsextremismus muss sich die Beklagte im Verhältnis zum Kläger zurechnen lassen. Der Umstand, dass insoweit nicht ihre eigenen Organe, sondern die Vertreter eines auf zivilrechtlicher Grundlage gebildeten nicht rechtsfähigen Vereins gehandelt haben, ändert an dieser Beurteilung nichts.
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Eine kommunale Gebietskörperschaft kann sich ihrer verfassungsrechtlich begründeten Neutralitätspflicht nicht durch den organisatorischen Zusammenschluss mit anderen selbständigen Rechtsträgern entziehen. Sie ist an das für alle Inhaber von Staatsgewalt geltende Verbot der offenen oder versteckten Werbung für oder gegen einzelne Parteien auch gebunden, wenn sie sich in einem Verbund mit gleichgesinnten Akteuren an die Öffentlichkeit wendet und dabei andere für sich sprechen lässt. Bei solchen Kooperationen muss die Gebietskörperschaft parteipolitische Neutralität nicht nur dann wahren, wenn dem Zusammenschluss ausschließlich Gebietskörperschaften oder sonstige Hoheitsträger angehören, sondern ebenso bei einer Beteiligung Privater. Sie bleibt zur Neutralität auch verpflichtet, wenn ihr und den weiteren Trägern öffentlicher Gewalt keine beherrschende Stellung innerhalb der Vereinigung zukommt, wie es bei der Allianz gegen Rechtsextremismus wegen der überwiegenden Zahl gleichberechtigter zivilgesellschaftlicher Vereinsmitglieder anzunehmen ist.
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Zwar spricht alles dafür, dass eine aus privaten und öffentlich-rechtlichen Mitgliedern bestehende „gemischte“ Vereinigung selbst nicht dem Gebot parteipolitischer Neutralität unterliegt, sofern dort die privaten Mitglieder wegen ihres mehrheitlichen Anteils oder aufgrund interner Regelungen den maßgebenden Einfluss ausüben (vgl. BVerfG, U.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 Rn. 51 ff. zur Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen); die Vereinigung kann sich daher in einem solchen Fall auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. An grundrechtsgeschützten Betätigungen eines privatrechtlich organisierten Vereins darf sich aber eine Kommune nicht durch ihre Mitgliedschaft oder sonstige Unterstützungshandlungen beteiligen, wenn durch die Äußerungen der Vereinsvertreter wiederholt und gezielt in den politischen Wettbewerb der Parteien eingegriffen wird (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2016 – 10 C 4.15 – BVerwGE 154, 296 Rn. 17). Schon die lediglich finanzielle Förderung einer privaten Vereinigung, die sich die Warnung vor bestimmten Parteien erkennbar zur Aufgabe gemacht hat, ist als mittelbarer Eingriff in die Parteienfreiheit anzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.1992 – 7 C 21.90 – BVerwGE 90, 112/118 ff.). Dies muss erst recht gelten, wenn eine Kommune selbst einem derartigen Verein angehört, so dass dessen Vertreter sich bei ihren Äußerungen auch auf die besondere Autorität dieser öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaft berufen können.
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cc) Für den somit vorliegenden Eingriff in das verfassungsmäßige Recht des Klägers auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb kann sich die Beklagte nicht auf eine (ungeschriebene) Befugnisnorm berufen. Insbesondere lässt sich ihre Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht als eine zulässige Form kommunaler Öffentlichkeitsarbeit verstehen.
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Die Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen umfasst die Darlegung und Erläuterung der Politik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (BVerfG, U.v. 16.12.2014 – 2 BvE 2/14 – BVerfGE 138, 102 Rn. 40; BVerwG, U.v. 13.09.2017 – 10 C 6.16 – BVerwGE 159, 327 Rn. 18; BGH; U.v. 14.7.2022 – I ZR 97/21 – NJW 2022, 3213 Rn. 27 m.w.N.). Daraus ergibt sich für die Organe und die gewählten Amtsträger einer Kommune im Rahmen ihrer Aufgabenzuweisung eine prinzipielle Befugnis zu kommunalpolitischen Stellungnahmen zu allen Themen, welche die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betreffen (BVerwG, a.a.O., Rn. 18 ff.).
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Auf diese allgemeine Äußerungsbefugnis kann die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Mitgliedschaft in der Allianz gegen Rechtsextremismus aber jedenfalls solange nicht verweisen, wie deren Vertreter sich in öffentlichen Stellungnahmen ausdrücklich und in kritischer Form mit der ... auseinandersetzen. Denn auch im Rahmen der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit gilt, wie das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hat, das aus Art. 21 GG folgende Neutralitätsgebot im Verhältnis zu den politischen Parteien (BVerwG, a.a.O., Rn. 23 f.; Gersdorf, NJW 2024, 3275/3276; Conrad in Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, 1. Aufl. 2022, § 3 Rn. 110 f. m.w.N.).
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Es erscheint ohnehin bereits fraglich, ob das von der Allianz verfolgte Ziel, durch gemeinsame Aktionen und Projekte die Prävention gegen rechtsextremes Gedankengut zu optimieren (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Satzung), in dieser allgemeinen Form eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises der Beklagten (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 11 Abs. 2 Satz 2, Art. 83 Abs. 1 BV; Art. 7, Art. 57 GO) darstellt und daher Gegenstand kommunaler Öffentlichkeitsarbeit sein kann. Die Gemeinden haben zwar die Befugnis, sich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sofern sie nicht anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, auch ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Durch die Beschränkung dieses Zugriffsrechts auf Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, bleibt es ihnen aber verwehrt, unter Berufung auf ihre Allzuständigkeit allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit zu machen (BVerfG, B.v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 – BVerfGE 79, 127/147; BVerwG, U.v. 6.4.2022 – 8 C 9.21 – BVerwGE 175, 199 Rn. 14 m.w.N.). Um eine solche Aufgabe ohne spezifischen Ortsbezug dürfte es sich aber bei der von der Allianz gegen Rechtsextremismus erklärtermaßen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gestellten Bekämpfung rechtsextremen Gedankenguts handeln. Das Ziel, die Bevölkerung in der Metropolregion ... über eine bestimmte Erscheinungsform verfassungsfeindlicher Einstellungen aufzuklären, wurzelt nicht in der örtlichen Gemeinschaft, sondern liegt im gesamtstaatlichen Interesse; die Gemeinden sind nicht zur selbständigen Wahrnehmung solcher originären Verfassungsschutzaufgaben berufen (vgl. BayVGH, U.v. 16.6.2021 – 4 B 20.3008 – BayVBl 2022, 92 Rn. 23 f. m.w.N.; BVerwG, U.v. 6.4.2022, a.a.O., Rn. 17).
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Selbst wenn man den Kommunen prinzipiell zugesteht, bei der Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben das Nebenziel zu verfolgen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen keinen zusätzlichen Entfaltungsraum zu bieten (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 25; s. auch BVerwG, U.v. 16.10.2013 – 8 CN 1.12 – BVerwGE 148, 133 Rn. 17), könnte die Beklagte sich im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf berufen. Die Aktivitäten der Allianz gegen Rechtsextremismus und insbesondere ihre gegen die ... gerichteten öffentlichen Äußerungen stehen in keinem auch nur mittelbaren Zusammenhang mit der Erfüllung einer konkreten Verwaltungsaufgabe der Beklagten. Die Allianz erfüllt mit ihren öffentlichen Verlautbarungen nicht den Öffentlichkeitsauftrag der Beklagten als einer kommunalen Gebietskörperschaft, sondern betreibt damit ihre eigene, nach zivilrechtlichen Maßstäben zu beurteilende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
43
c) Aus dem unzulässigen Eingriff in die Parteienfreiheit, der in der fortwährenden Zugehörigkeit zur Allianz gegen Rechtsextremismus liegt, folgt ein Anspruch des Klägers aus Art. 21 Abs. 1 GG darauf, dass die Beklagte ihre Mitgliedschaft beendet. Er kann im Hinblick auf die vorliegend zu beurteilende Fallgestaltung nur auf diese Weise effektiven Rechtsschutz erlangen.
44
Anders als bei hoheitlichen Äußerungen, gegen die sich ein Betroffener mittels eines gegen den jeweiligen öffentlich-rechtlichen Rechtsträger gerichteten Unterlassungsanspruchs gezielt zur Wehr setzen kann (Kalscheuer/Jacobsen in Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, 1. Aufl. 2022, § 10 Rn. 13 ff., § 11 Rn. 48 m.w.N.), kann der Kläger hier von der Beklagten nicht unmittelbar verlangen, dass die ihn verletzenden Äußerungen künftig unterbleiben. Die Beklagte hat, da sie nur eines unter mehreren hundert gleichberechtigten Mitgliedern der Allianz gegen Rechtsextremismus ist, innerhalb dieses nicht rechtsfähigen Vereins keine beherrschende Stellung und kann daher dessen Öffentlichkeitsarbeit nicht maßgebend bestimmen. Sie hat auch nicht vorgetragen, über einen so großen faktischen Einfluss zu verfügen, dass sich der gewählte Vorstand und die übrigen Organe der Allianz bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit zwingend an ihre inhaltlichen Vorgaben halten würden. Vergleichbar dem höchstrichterlich entschiedenen Fall, in dem einem Pflichtmitglied einer Industrie- und Handelskammer ein Anspruch auf Austritt der Kammer aus einem privatrechtlich organisierten Dachverband zuerkannt wurde, weil der Verband sich zu allgemeinpolitischen Fragen geäußert hatte (BVerwG, U.v. 23.3.2016 – 10 C 4.15 – BVerwGE 154, 296 Rn. 18 ff.; U.v. 14.10.2020 – 8 C 23.19 – BVerwGE 169, 375 Rn. 21 ff.), kann auch der Kläger den Austritt der Beklagten aus der Allianz gegen Rechtsextremismus verlangen.
45
Besondere Gründe, die gegen einen solchen Anspruch auf Beendigung der Mitgliedschaft sprechen, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten geltend gemacht worden. Die gegen die ... gerichteten Appelle und Stellungnahmen der Allianz gegen Rechtsextremismus bilden seit Jahren einen Schwerpunkt ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und sind demnach keine atypischen Ausnahmefälle („Ausreißer“), aus denen sich noch keine konkrete Wiederholungsgefahr ableiten ließe (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2016, a.a.O., Rn. 18). Wie die Presseerklärungen aus jüngerer Zeit erkennen lassen, hat der Umstand, dass sich die ...-Stadtratsfraktion und der Kläger im vorliegenden Verfahren auf die Unzulässigkeit der gegen ihre Partei gerichteten Äußerungen berufen, bislang keine Änderungen im öffentlichen Auftreten der Allianz bewirkt. Deren Satzung enthält auch keine geeigneten Vorkehrungen, durch die eine Beachtung der parteipolitischen Neutralitätspflicht, der die ihr angehörenden Gebietskörperschaften unterliegen, für die Zukunft sichergestellt wäre. Nach den Gesamtumständen ist daher davon auszugehen, dass sich die Allianz gegen Rechtsextremismus auch in Zukunft mit ...-kritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit wenden wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Frage, welche Folgen sich aus der staatlichen Neutralitätspflicht (Art. 21 Abs. 1 GG) ergeben, wenn eine Gemeinde einer privatrechtlich organisierten Vereinigung angehört, die sich anhaltend kritisch in der Öffentlichkeit über eine politische Partei äußert, ist bisher höchstrichterlich nicht abschließend geklärt.