Titel:
Antizipiertes Sachverständigengutachten, Schadensersatz und Schmerzensgeld, Rechtsschutzbedürfnis, Instruktionspflicht, Sachverständigenbeweis, Haftungsfreistellung, Effektiver Rechtsschutz, Darlegungslast, Tatbestandswirkung, Auskunftsanspruch, Bedenkliche Arzneimittel, Rechtshängigkeit, Haftungsübernahme, Gerichtsgebühren, Gesundheitsverletzung, Kostenverzeichnis, Arbeitsunfähigkeit, Vorläufige Zulassung, Letzte mündliche Verhandlung, Überwiegende Wahrscheinlichkeit
Schlagworte:
Schmerzensgeld, Feststellungsklage, Rechtsanwaltskosten, Auskunftsanspruch, Nutzen-Risiko-Verhältnis, Arzneimittelhaftung, Kausalitätsvermutung, Haftungsfreistellung, Schadensersatzanspruch, Gebrauchsinformation, Kausalzusammenhang, ProdHaftG, Tatbestandswirkung der Zulassung, Nebenwirkungen, Toxizitäts-These, Verunreinigung des Impfstoffs, Dunkelziffer der Nebenwirkungen, Spike-Protein, Zulassungsentscheidung, Europäische Arzneimittelagentur, PEI, Fachinformation, Produkthaftung
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 04.06.2024 – 23 O 721/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31623
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 4.6.2024 Az. 23 O 721/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
B.- Hintergrund ist folgende Einschätzung des Senats:
1
I. – Die Klagepartei beantragt in der Berufung:
I. Unter Abänderung des Urteils des LG Kempten vom 04.06.2024 zu dem dortigen Az.: 23 O 721/23:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 100.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den zuerkannten Betrag seit Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm in Zukunft aus der Corona-Schutzimpfung vom .12.2021 mit dem Impfstoff Comirnaty des Herstellers BioNTech/Pfizer entstehen – die immateriellen zukünftigen Schäden nur, soweit diese im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbar sind – zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten einen weiteren Betrag in Höhe von € 2.637,99 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit mit der Maßgabe zu zahlen, dass von diesem Betrag 2.487,99 € an die zu der Schadennummer zu zahlen sind.
4. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die im Zeitraum vom 27.12.2020 bis zur mündlichen Verhandlung bei der Beklagten bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Impfstoffs Comirnaty der Beklagten von Bedeutung sein können, soweit sie erhebliche Kopfschmerzen, ein starkes Schwindelgefühl, einen die Brust betreffenden Druck, Herzstechen und -schmerzen, die bis in die am linken Arm befindlichen Fingerspitzen ausstrahlen, Muskelschmerzen, Erschöpfung, Unwohlsein, Ermüdung, Fatigue-Syndrom betreffen.
Das entspricht dem erstinstanzlichen Begehren (EU S. 7), die Neufassung von Antrag 4 ist nach Auffassung des Klägers eine rein sprachliche Überarbeitung (BB S. 3), mit der er sich daran orientiert, wie das OLG Bamberg (mit Teilurteil vom 8.4.2024; Az 4 U 157/23; vorgelegt als Berufungsanlage C 1) im dortigen Verfahren einen Auskunftsanspruch tenoriert hat.
II. – Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils nimmt der Senat Bezug.
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1. – Als unstreitig behandelt das Landgericht folgenden Sachverhalt:
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1.1 Im Jahr 2020 brach die Covid-19-Pandemie aus. Die Beklagte entwickelte zu deren Bekämpfung den Impfstoff Comirnaty. Den prüfte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Anschließend ließ die Europäische Kommission den Impfstoff am 21.12.2020 bedingt zu. Knapp zwei Jahre später, nämlich am 10.10.2022, erteilte sie die Standardzulassung.
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Im Zusammenhang mit dieser späteren Standardzulassung, nämlich am 28.10.2022, teilte der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA (Committee for Medicinal Products for Human Use = CHMP) mit: Es hätten sich während des Zeitraums der jährlichen Verlängerung neue Daten ergeben. Diese hätten jedoch keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty in der zugelassenen Indikation gehabt; genauer: Die neuen Daten hätten das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigt.
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Die EMA als zentrale Behörde in der EU bestätigte am 30.8.2023 die Sicherheit von Comirnaty insofern, als sie der Europäischen Kommission empfahl, den auf die Covid-19-Subvariante Omikron XBB.1.5 angepassten Comirnaty-Impfstoff zuzulassen. Der CHMP erklärte nämlich, er habe alle verfügbaren Daten zu Comirnaty geprüft einschließlich der Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit.
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Im Rahmen der Zulassung war den zuständigen Behörden auch das sog. Fatigue-Syndrom bekannt.
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Der Impfstoff Comirnaty wurde seit seiner Zulassung in Deutschland und weltweit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt. Bis Juni 2022 wurden weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht.
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1.2 Der Kläger erhielt am .5.2021 eine erste Schutzimpfung mit dem Impfstoff eines anderen Herstellers (Covid-19-Vaccine von AstraZeneca).
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Er bekam am .7.2021 eine zweite Schutzimpfung, und zwar mit dem Impfstoff Vaxzevria desselben anderen Herstellers (AstraZeneca) und litt in der Folge an Panikattacken, Kribbeln in Armen und Beinen, Herzstechen und Herzstolpern, Schwindelgefühlen sowie Benommenheit und „Missempfinden“ (LGU S. 3, K 98).
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Erst bei seiner dritten Schutzimpfung, nämlich am 12.2021, wurde der Kläger mit dem Impfstoff Comirnaty geimpft, den die Beklagte hergestellt hatte (nachfolgende: „streitgegenständliche Impfung“).
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Der Kläger unterschrieb vor der streitgegenständlichen Impfung das Aufklärungsmerkblatt, ohne es vorher komplett durchgelesen zu haben. Der Inhalt des Aufklärungsmerkblatts wurde dem Kläger vom die Impfung durchführenden Arzt erläutert. Dabei wurde der Kläger u.a. auf die Gefahr einer Sinusvenenthrombose und von Herz-Muskel-Entzündungen hingewiesen.
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In dem Aufklärungsmerkblatt vom 9.12.2021 (K 25) wies die Beklagte u.a. auf vier Fälle akuter Gesichtslähmung, mögliche allergische Reaktionen wie Nesselsucht oder Schwellung des Gesichts hin. Zudem wurde auf die Möglichkeit allergischer Sofortreaktionen bis hin zum Schock oder andere bisher unbekannte Komplikationen in sehr seltenen Einzelfällen hingewiesen (LGU S. 4, K 25).
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Alle drei Impfungen ließ der Kläger vornehmen, um am sozialen Leben teilnehmen zu können.
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1.3 Die elektronische Patientenakte des Klägers (K 98 [seitenweise in pdf-Dateien zerlegt]) überliefert aus der Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung Folgendes:
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Am 16.12.2011 wurde eine Neurasthenie diagnostiziert und der Kläger für 2 Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
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Am 15.1.2013 und 25.01.2016 wurde jeweils eine Gastroduodenitis diagnostiziert und der Kläger für 4 bzw. 5 Tage arbeitsunfähig krankgeschrieben.
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Am 10.10.2016 stellte der Hausarzt des Klägers eine akute Pharyngitis fest, welche mit Müdigkeit und Kopfschmerzen verbunden war.
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Am 6.4.2017 wurden ein zervikozephales Syndrom, Migräne und eine akute Gastritis attestiert.
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Der Beklagte wurde am 24.1.2019 hausärztlich wegen einer [chronischen, K 98 S. 3] Nasennebenhöhlenentzündung behandelt.
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Zudem wurde bei dem Beklagten am 22.9.2019 eine akute Infektion der oberen Atemwege diagnostiziert.
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1.4 Die elektronische Patientenakte des Klägers (K 98) überliefert aus der Zeit nach der streitgegenständlichen Impfung Folgendes:
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Am 23.12.2021 wurde seitens des Hausarztes eine „rezidivierende“ [= durch wiederholte depressive Episoden charakterisierte] depressive Störung diagnostiziert, die sich gegenwärtig in einer mittelgradigen „Episode“ [Phase von zwischen 3 und 12 Monaten] äußere [F 33 nach ICD-10].
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Am 25.1.2022 wurde eine „sonstige somatoforme Störungenung“ [so K 98 S. 5 oben mit Diagnosekürzel „F45.8“] festgestellt.
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Am 16.8.2021 wurde ein Blutbild des Klägers erstellt (K 92). Am 15.3.2022 erfolgte eine erneute Blutabnahme zur Erstellung eines Blutbildes (K 4). Bei der zuletzt genannten Blutabnahme wurden unter bzw. über dem jeweiligen Normbereich liegende Werte für mt/n DNA, Dihomogamma Linolensäure, Eicosanoid-Balance, Vitamin D3, LDH 2, LDH 4 und LDH 5 festgestellt. Am 12.7.2023 erfolgte eine erneute Blutentnahme (K 34).
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Der Kläger unterzog sich am 15.3.2022 einer Untersuchung, bei welcher als Diagnosen „Unwohlsein und Ermüdung“ (G), „nervöse Erschöpfung“ (G) und „unerwünschte Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen, nicht näher bezeichnet“ (G) gestellt wurden (K 3).
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Der Kläger wurde im Zeitraum vom 15.9.2022 bis zum 25.12.2023 immer wieder arbeitsunfähig krankgeschrieben. Als Diagnosen wurden bei den jeweiligen Krankschreibungen stets U12.9 (unerwünschte Nebenwirkung der Covid-Impfung) sowie fast durchgehend G93.3 G (chronisches Fatigue-Syndrom) angegeben. Daneben wurden als Diagnosen R42 G (Schwindel), R53 G (Unwohlsein, Ermüdung), I99 G (Sonstige und nicht näher bezeichnete Krankheiten des Kreislaufsystems), E61.1 G (Eisenmangel), F45.38 G (Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen) und M51.2 G (Bandscheibenbeschwerden) in unterschiedlichen Zeiträumen angegeben.
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Der Kläger unterzog sich wegen Schmerzen am 29.08.2022 einer Therapie mittels Kältekammer (K 15).
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Vom 18.4.2023 bis zum 27.4.2023 befand sich der Kläger in stationären Behandlung im Krankenhaus für Naturheilwesen in Im dortigen „vorläufigen Entlassungsbericht“ vom 25.4.2023 (K 22) sind als „Diagnosen“ festgehalten:
(a) Post-Vac-Syndrom mit kardialen Beschwerden und Erschöpfung samt Zusatzbemerkung „Kanadische Kriterien erfüllt“,
(b) Zustand nach Covid-19-Infektion im September 2022 und (c) Zustand nach Bandscheibenvorfall und Operation im Oktober 2022.
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Darüber hinaus war der Kläger vom 11.7.2023 bis zum 3.8.2023 in der Klinik in stationärer Behandlung. Der Entlassbericht vom 11.9.2023 (K 31) beginnt mit folgenden Diagnosen:
(a) komplexes Beschwerdebild im Sinne eines Chronic-Fatigue- und Multiple-Chemical-Sensitivity-Syndroms,
(b) Ausschluss spezifisch IgEvermittelte Typ-iInhalations- und Nahrungsmittelallergien bei fehlender Atopieneigung im CAP-Test,
(c) chronische Viruslasten bei persistierender Epstein-Barr-, Herpes-Simplex-, humanes Herpes-Typ-6- und Varizella-Zoster-Virusinfektionen,
(d) Hypercholesterinämie mit erhöhter prognostisch ungünstiger LDL-Cholesterinfraktion,
(e) „Hinweis auf“ eine erhöhte Darmpermeabilität „Leaky Gut“-Syndrom,
(f) „Hinweis auf“ Post-Vac-Syndrom mit kardialen Beschwerden,
(h) Zustand nach Covid-19-Infektion im September 2022
(i) Zustand nach Bandscheibenvorfall und Operation im Oktober 2022.
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1.5 Am 9.10.2022 wurde der Kläger positiv auf Covid-19 getestet.
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2. – Als streitigen Klägervortrag referiert das Landgericht folgende Behauptungen:
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2.1 Der Kläger habe an keinen nennenswerten chronischen Vorerkrankungen gelitten: Die Nasennebenhöhlenentzündung sei nicht chronisch gewesen, sondern akut aufgetreten und habe keine Auswirkungen auf die streitgegenständlichen Beschwerden.
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2.2 Unmittelbar nach der dritten Schutzimpfung mit dem Impfstoff der Beklagten habe der Kläger erhebliche Kopfschmerzen, ein starkes Schwindelgefühl, einen die Brust betreffenden Druck sowie Herzstechen und Herzschmerzen gehabt. Darüber hinaus hätten die Schmerzen bis in die Fingerspitzen des linken Arms ausgestrahlt, in Armen und Beinen habe er Kribbeln wahrgenommen. Er habe sich benommen und antriebslos gefühlt sowie den Appetit verloren und dadurch Gewicht verloren (von 74 kg auf 62 kg). Er habe an Muskelschmerzen gelitten und schon bei kurzer Anstrengung sofortige Erschöpfung wahrgenommen. Das Treppensteigen sei dem Kläger schwer gefallen und er habe teilweise seine Wohnung nicht mehr verlassen können.
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Am 31.5.2022 sei der Kläger ärztlich untersucht worden: Eine Zuordnung seiner Beschwerden zu einem „Fatigue-“ oder/und „Post-Vac“-Syndrom sei „schwierig“ gewesen, weil es zu diesen Diagnosen keine objektiven Messwerte gebe. Immerhin habe der Arzt aber auch keinen Anhalt für eine andere Erkrankung gefunden worden.
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In der Tat aber leide der Kläger bis heute an einem chronischen Fatigue-Syndrom und einem Post-Vac-Syndrom. Beides sei darauf zurückzuführen, dass der Kläger am 12.2021 mit dem Impfstoff Comirnaty geimpft worden sei, den die Beklagte hergestellt habe. Genauer:
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Der Kläger leide infolge der streitgegenständlichen Impfung an
(3) Herzstechen sowie – schmerzen,
(5) Kribbeln in Armen und Beinen,
(6) Appetitlosigkeit nebst Gewichtsverlust,
(9) Antriebslosigkeit, Erschöpfung
(10) sowie am Post-Vac-Syndrom.
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2.3 Das Landgericht berichtet, der Kläger sei der (Rechts-) Ansicht, dass die Beklagte ihm aus § 84 Abs. 1 AMG Schmerzensgeld schulde, weil er durch die Anwendung des Impfstoffes der Beklagten an seiner Gesundheit verletzt worden sei, nämlich einen Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG [Fassung vor 2024] erlitten habe, indem seine Schädigung über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehe.
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Die Kausalität der streitgegenständlichen Impfung für seine Beschwerden sei hier nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG zu vermuten, weil der Impfstoff Comirnaty der Beklagten „generell schadensgeeignet“ sei (LGU S. 5). Vorliegend habe der Kläger habe an „keinen nennenswerten“ Vorerkrankungen gelitten. Die jetzigen Symptome seien untypisch für Personen im Alter des Klägers und zeitlich kurz nach der streitgegenständlichen Impfung erstmalig aufgetreten.
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2.4 Der Impfstoff Comirnaty weise kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis auf, weder für die Gemeinschaft noch für den Kläger im Einzelfall:
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Es sei mangels Langzeitstudien nicht absehbar, wie sich die Impfung auf längere Zeit verhalten und welche Nebenwirkungen und Impfreaktionen sie auf lange Sicht hervorrufen könne. Die Schutzimpfung habe geringen oder sogar keinen therapeutischen Nutzen, weil sie von geringer Wirkung sei, indem sie weder vor Selbstinfektion schütze noch vor Weiterverbreitung. Auch vor schweren Verläufen der Erkrankung schütze sie wenig oder gar nicht.
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Die Standardzulassung führe nicht zu einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis, da keine aussagekräftigen Daten vorgelegen hätten. Die Zulassung beruhe auf einem fehlerhaften Gutachten der CHMP. Im Rahmen der Zulassungsstudien sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen.
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Die Standardzulassung habe zur Zeit der streitgegenständlichen Impfung zudem noch gar nicht vorgelegen und sei daher hier irrelevant, da es auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis zum Zeitpunkt der Impfung ankomme.
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Davon unabhängig hätte die Standardzulassung von Oktober 2022 niemals erteilt werden dürfen. Sie berücksichtige nämlich nicht die beim Kläger aufgetretenen Nebenwirkungen.
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Sie beruhe zwar auf der Einschätzung, dass die gemeldeten schweren Nebenwirkungen sehr selten seien; zu dieser Einschätzung sei das PEI aber nur gelangt, weil es die „Observed-versus-expected“-Methode falsch angewandt habe: Noch richtig sei, den erwarteten Todesfällen die tatsächlich aufgetretenen Todesfälle gegenüberzustellen. Bei letzteren aber hätte man alle Todesfälle mitzählen müssen, nicht bloß diejenigen, bei denen die vermutete oder festgestellten Todesursache etwas mit COVID-19 zu tun gehabt habe.
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2.5 Die Produktinformation der Beklagten habe nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprochen, die vorgelegen hätten, als die Beklagte den Impfstoff in den Verkehr gebracht habe.
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Die Beklagte habe die Gefährlichkeit gekannt; hierauf deute zweierlei hin: Die Beklagte habe erstens in den Verträgen mit der EU einen Haftungsausschluss durchgesetzt, obwohl zweitens bereits das Gesetz (§ 3 Abs. 4 MedBVSV) die Haftung der Beklagten entschärft habe (LGU S. 6).
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Hätte die Beklagte den Impfstoff als gefährlich gekennzeichnet, so hätte der Kläger sich nicht impfen lassen. Seine Gesundheitsbeschädigung beruhe daher auf der unzureichenden Information.
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2.6 Der Kläger vertrat in erster Instanz weiter die Ansicht, ihm stehe daneben ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hafte nach den Grundsätzen der Produkthaftung. Die Beklagte sei nach dem Inverkehrbringen weiter verpflichtet, das Produkt zu beobachten. Daher habe die Beklagte vor spezifischen Impfnebenwirkungen warnen müssen. Entgegen dieser Verpflichtung seien jedoch Nebenwirkungen nicht an die Öffentlichkeit kommuniziert worden. Der Verharmlosung in den Medien hätte die Beklagte entgegentreten müssen.
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2.7 Ihm stehe ferner ein (klageerweiternd ins erstinstanzliche Verfahren eingeführter) Auskunftsanspruch nach § 84a AMG zu, der nicht etwa nach § 84a Abs. 1 am Ende AMG ausgeschlossen sei, denn die Auskunft sei erforderlich zur Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG bestehe: Die Auskunft sei relevant für die Bewertung des Verhältnisses zwischen Nutzen und Risiko. Auch sonst komme es darauf an, was die Beklagte zum relevanten Zeitpunkt über Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen gewusst habe, ferner über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen. Und außerdem stelle erst die Auskunft eine prozessuale Waffengleichheit zwischen den Parteien her.
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3. – Als streitiges Gegenvorbringen der Beklagten hält das Landgericht fest:
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3.1 Das „Post-Vac-Syndrom“ sei kein wissenschaftlich klar definiertes Krankheitsbild, sondern eine Sammelbezeichnung für unterschiedlichste Symptome. Diese deckten sich im wesentlichen mit denjenigen, die unter der Bezeichnung „Long-COVID-Syndrom“ erörtert würden. Wie der behandelnde Arzt auf „Post-Vac-Syndrom“ als Diagnose komme, sei unklar.
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3.2 Der Kläger müsse in Arzneihaftungsmittelsachen dazu vortragen, wie sein Gesundheitszustand vor der Impfung gewesen sei, also welche Grund- und Parallelerkrankungen er gehabt habe, welche Risikofaktoren bei ihm bestanden hätten und welche anderen Arzneimittel er genommen habe. Daran fehle es hier. Der Kläger lege nicht einmal sämtliche Krankenunterlagen aus der Zeit vor der Impfung vor (LGU S. 8, S. 12; Klageerwiderung Seite 4, S. 10/11; Schriftsatz BV 7.2. 2024 S. 18; letztmals Schriftsatz BV 11.4.2023 S. 15).
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3.3 Als Ursache der vom Kläger geschilderten Symptome komme – abseits der streitgegenständlichen Impfung – gleich mehrerlei in Betracht:
- die Nasennebenhöhle; diese sei schon vor der Impfung chronisch entzündet gewesen,
– die COVID-Erkrankung des Klägers.
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3.4 Schon die allgemeine These des Klägers, dass der streitgegenständliche Impfstoff „generell schadensgeeignet“ sei, stimme nicht: Es gebe nach dem Stand der Wissenschaft keine Anhaltspunkte dafür, dass Comirnaty zum Fatigue-Syndrom führe, Druck in der Brust verursache, Herzstechen oder -schmerzen hervorrufe oder aber Arm- oder Beinkribbeln, Benommenheit, Antriebslosigkeit oder Gewichtsverlust auslöse.
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3.5 Das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty sei positiv, d.h. der Nutzen überwiege deutlich die Risiken. Das sei vom EMA und durch die Europäische Kommission geprüft. Der Impfstoff werde auch fortwährend auf Sicherheit und Nebenwirkungen überwacht. Während der [zur Zeit der streitgegenständlichen Impfung geltenden] vorläufigen Zulassung seien keine Daten zutage getreten, die „Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis“ hätten haben können. Die Zulassung habe als Verwaltungsakt Tatbestandswirkung auch im Zivilprozess und sei nicht vom Landgericht auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
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3.6 Die Fach- und Gebrauchsinformationen hätten zu jeder Zeit dem Stand der Wissenschaft entsprochen und seien mit den Zulassungsbehörden abgestimmt gewesen.
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3.7 Einen Auskunftsanspruch (§ 84a Abs. 1 S. 1 AMG) habe der Kläger nicht. Auskunft sei nicht nötig, um den Schadensersatzanspruch des Klägers zu prüfen, da dieser unabhängig von der erstrebten Auskunft unbegründet sei.
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4. – Das Landgericht gibt zur Klageabweisung im wesentlichen folgende Gründe:
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4.1 Der Auskunftsanspruch nach § 84a Abs. 1 S. 1 AMG bestehe nicht:
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4.1.1 Es fehle bereits an der Voraussetzung des § 84 Abs. 1 S. 1 1. Hs AMG:
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Die „Annahme“, dass die streitgegenständliche Impfung die beklagten Beschwerden verursacht habe, sei nicht „begründet“ im Sinne einer hierfür nötigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit (LGU S. 10; BeckOGK/Franzki, AMG § 84a Rn 12 f). Denn schon die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen seien im Rahmen der hier gebotenen Plausibilitätskontrolle dahin zu werten, dass für die o.g. Annahme nicht mehr spreche als für ihr Gegenteil.
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Es sei unstreitig, dass der Kläger in der Zeit nach der streitgegenständlichen Impfung häufig krankgeschrieben gewesen sei und Symptome eines „chronischen Fatigue-Syndroms“ und eines „Post-Vac-Syndroms“ aufgewiesen habe, als da wären: Müdigkeit und Erschöpfung, Schwäche und fehlende Energie, Abgeschlagenheit, Leistungsdefizite, kognitive Störungen und Kopfschmerzen.
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Rechne man hierzu noch die streitigen Beschwerden (starkes Schwindelgefühl, Druck auf der Brust, Herzstechen und -schmerzen, Kribbeln in Armen und Beinen, Benommenheit und Appetitlosigkeit), so seien all diese gleichwohl nicht überwiegend wahrscheinlich durch die streitgegenständliche Impfung verursacht.
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Denn schon die elektronische Patientenakte des Klägers (K 98) zeige, dass diesem vor der hier interessierenden Impfung bereits einige Diagnosen gestellt worden seien, aus denen sich auch die vorgenannten Symptome erklären ließen:
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(a) Die 2011 festgestellte Neurasthenie sei eine Erkrankung, bei der u.a. Schwächegefühl, chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, Energiemangel, Konzentrationsmangel und Vergesslichkeit, emotionale Erschöpfung, geschwächte Abwehrkräfte, psychosomatische Symptome, Ängstlichkeit bis hin zu Panikattacken, Kopfschmerzen und Schwindelattacken sowie Verspannungen und Muskelschmerzen auftreten könnten.
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(b) Hierhin gehöre auch der vor der Impfung diagnostizierte Kopfschmerz bis hin zu Migräne.
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(c) Auch das im April 2017 dokumentierte zervikozephale Syndrom könne Kopf- und Nackenschmerzen sowie Schwindel verursachen.
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(d) Hierhin gehöre auch die rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtiger mittelgradiger Episode. Dokumentiert sei die zwar erstmals [kurz] nach der streitgegenständlichen Impfung [nämlich am 23.12.2021, somit ca. eine Woche nach der Impfung vom 12.2021]; aber die Störung müsse denknotwendig schon vorher vorhanden und aufgetreten gewesen sein, da sie sonst am 23.12.2021 nicht als „rezidivierend“, somit periodisch wiederkehrend, qualifiziert worden wäre, verbunden mit der Mitteilung, dass „gegenwärtig“ (also am 23.12.2021) lediglich eine solche „Episode“ vorliege, die als „mittelgradig“ erkannt worden sei. Eine rezidivierende depressive Störung sei gekennzeichnet durch Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit.
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Diese Vordiagnosen seien somit ebenfalls geeignet, die vom Kläger geschilderten Symptome zu erklären. Dass diese vom Impfstoff der Beklagten herrühren könnten, sei allenfalls gleich wahrscheinlich (nicht: überwiegend wahrscheinlich) wie eine von der Impfung unabhängige Ursache.
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4.1.2 Zudem sei der Kläger seiner erweiterten Darlegungslast nicht vollständig nachgekommen.
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Wie beim Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG so gelte entsprechend § 84 Abs. 2 S. 2 AMG auch für den Auskunftsanspruch nach § 84a AMG, dass der Kläger den gesamten Lebenssachverhalt vortragen müsse, der zur Beurteilung der Verbindung zwischen der Arzneimittelverwendung und dem eingetretenen Schaden von Bedeutung sei. Denn über Umstände, die in der Sphäre des Klägers lägen, könne die Beklagte nichts wissen und auch keine Kenntnis erlangen, weil sie keinen eigenen Auskunftsanspruch habe (BeckOGK/Franzki AMG § 84a Rn. 11).
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Der Kläger habe zwar im Prozess seine elektronische Patientenakte (K 98) vorgelegt. Diese enthalte aber einen Eintrag vom 28.12.2021, der auf einen neurologischen Facharztbericht vom 7.12.2021 hindeute. Letzteren lege der Kläger nicht vor, obwohl die Beklagte ihn mehrfach auf seine Verpflichtung zur Offenlegung hingewiesen habe (LGU 12; zuletzt Schriftsatz BV 11.4. 2024 S. 15 unter Bezugnahme auf Klageerwiderung S. 4, 10/11 und auf Schriftsatz BV vom 7.2. 2024 S. 17; von der Berufung nicht bezweifelt). Außerdem habe auch das Landgericht den Kläger darauf hingewiesen, und zwar im Termin vom 22.4.2024 (LGU S. 12; von der Berufungsbegründung bestritten und vom Protokoll nicht überliefert).
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Der nicht vorgelegte neurologische Facharztbericht sei auch nicht etwa ohne Beurteilungsrelevanz: Er falle in die Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung und könne erhebliche Aussagekraft haben mit Blick auf die Gesundheitsschädigungen, die der Kläger vorbringt.
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4.1.3 Unabhängig von alldem sei die Auskunft auch nicht erforderlich:
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Der Auskunftsanspruch scheide mangels Erforderlichkeit aus, wenn der pharmazeutische Unternehmer bereits im Rahmen der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs andere schadensgeeignete Umstände gemäß § 84 Abs. 2 S. 3 AMG darlegen und beweisen könne. Der Auskunftsanspruch sei schließlich nur dazu da, dem Kläger (= Arzneimittelanwender) die Informationen zu verschaffen, die er brauche, um der Beklagten (= Herstellerin) die Schadensgeeignetheit des Arzneimittels nachzuweisen und damit die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG auszulösen.
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Diese sei aber ohnehin (nach § 84 Abs. 2 S. 3 AMG) dann ausgeschlossen, wenn der Hersteller andere schadensgeeignete Umstände nachweise, etwa Vorerkrankungen (LGU S.12/13; BeckOGK/Franzki AMG § 84a Rn. 16 m.w.N.).
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So liege es hier, da sich bereits aus dem klägerischen Vortrag und der von ihm vorgelegten Patientenakte zahlreiche Diagnosen ablesen ließen, welche die vom Kläger geltend gemachten Symptome hervorrufen könnten.
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4.2 Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG.
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Dieser scheitere schon deshalb, weil der Impfstoff Comirnaty der Beklagten kein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweise.
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Eine Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG bestehe nur, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen habe, und zwar hinausgehend über ein Maß, das nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbar sei. Die medizinische Vertretbarkeit in diesem Sinne sei gewahrt, wenn der therapeutische Wert die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels überwiege. Prüfe man das, so sei nicht nur auf die im konkreten Fall eingetretenen Schäden abzustellen, sondern abstrakt abzuwägen zwischen Nutzen und Risiko, folglich seien sämtliche schädlichen Wirkungen zu erfassen (LGU S. 13; BeckOGK/Franzki, AMG § 84 Rn. 83 m.w.N.).
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4.2.1 Das „Fatigue“-Syndrom sei in diese Abwägung von vornherein nicht einzustellen:
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Bereits per se auszuscheiden seien im Rahmen von § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (also bei der Variante „unvertretbar“) nämlich diejenigen schädlichen Nebenwirkungen, die bei der Zulassungserteilung schon bekannt gewesen seien. Denn durch die Zulassung stehe fest, dass diese vom erwarteten Nutzen überwogen würden und somit angesichts des „positiven Profils“ (LGU S. 13) bereits als vertretbar feststünden. Der Hersteller hafte daher nicht für schädliche Wirkungen, die bei der Zulassung bekannt gewesen seien und in Kauf hätten genommen werden sollen.
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Das gelte auch für spätere Risiko-Bewertungsverfahren, die mit einer Entscheidung über das Fortbestehen der Zulassung abschlössen. Die Risiko-Nutzen-Abwägung könne sich bei § 84 AMG nur auf schädliche Wirkungen beziehen, die nach der Zulassung entdeckt worden seien (Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Auflage 2022, AMG § 84 Rn. 69 [mwN]).
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Nach diesen Maßstäben falle vorliegend das „Fatigue-Syndrom“ aus der Wertung, da es unstreitig (LGU S. 13; Schriftsatz KV 28.3.2024) im Rahmen des Zulassungsverfahrens bereits bekannt gewesen sei und der Impfstoff dennoch am 10.10.2022 mit der Standardzulassung ein positives Nutzen-Risiko Verhältnis zugebilligt bekommen habe.
86
Die Zulassungsentscheidung habe, wie jeder Verwaltungsakt, grundsätzlich Bindungswirkung (= Tatbestandswirkung) nach folgendem Grundsatz: Erlasse die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaube (beispielsweise: genehmige), so sei die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen, solange und soweit der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben oder nichtig sei.
87
Der Umfang der Tatbestandswirkung richte sich nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsakts und ergänzend nach den ihm zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen.
88
Hiervon ausgehend trage die Genehmigung bereits die Feststellung in sich, dass Comirnaty aufgrund eines günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses arzneimittelrechtlich unbedenklich sei, auch wenn ein Fatigue-Syndrom auftreten könne. Wäre es anders, so hätte die Genehmigung nach Art. 26 RL 2001/83/EG ebenso wie nach deutschem Recht nach § 25 Abs. 2 AMG versagt werden müssen (LGU S. 14; LG Frankfurt/Main 12 O 264/22 Rz.70 ff.; LG Düsseldorf 3 O 60/23 Rz. 39 f.).
89
Daher könne ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis im Hinblick auf die mit dem Fatigue-Syndrom zusammenhängenden gesundheitlichen Einschränkungen per se nicht festgestellt werden.
90
Soweit der Kläger darauf hinauswolle, dass die Zulassung hätte versagt werden müssen, verfange dies nicht: Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der EMA nicht alle erforderlichen Informationen erteilt worden seien, um das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty zutreffend zu bewerten. Im Gegenteil habe die EMA zuletzt am 30.8.2023 ausgeführt, dass bei der Entscheidung, der Europäischen Kommission, die Zulassung zu empfehlen, das CHMP alle verfügbaren Daten zu Comirnaty und seinen anderen adaptierten Impfstoffen, einschließlich Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität (also der Fähigkeit, Immunreaktionen auszulösen) berücksichtigt habe.
91
Soweit der Kläger die Feststellungen der europäischen Behörden angreifen und eine neue Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erreichen wolle, hätte er dies allenfalls mit der Behauptung tun können, dass nach der Zulassungsentscheidung vom 1.9.2023 neue Erkenntnisse aufgetreten wären, die eine andere Zulassungsentscheidung veranlasst hätten (LGU S. 15; OLG Bamberg v. 14.08.2023 – 4 U 15/23; LG Saarbrücken, Urteil vom 01.12.2023, Az. 16 O 33/23). Das behaupte der Kläger aber nicht und trage auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, welche zu einem abweichenden Ergebnis geführt hätten, wenn man sie berücksichtigt hätte.
92
Soweit der Kläger rügt, vor der Erteilung der bedingten Zulassung seien die erforderlichen Studien nicht durchgeführt worden, komme es hierauf „vor dem Hintergrund der laufenden Überwachung, der Erteilung der Standardzulassung sowie der Zulassung für den adaptierten Impfstoff“ nicht mehr an (LGU S. 15; LG Frankfurt/Main a.a.O. Rz. 86 ff.).
93
4.2.2 Auch im übrigen habe der Kläger kein unvertretbares Nutzen-Risiko-Verhältnis darlegen können.
94
Bezüglich der Erkenntnisse, die in die Nutzen-Risiko-Abwägung eingingen, habe man im Prozess auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, abzustellen. Denn Sinn und Zweck der Arzneimittelhaftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG sei es ja, Entschädigung auch in denjenigen Fällen vorzusehen, in denen die unvertretbaren schädlichen Wirkungen ursprünglich nicht erkennbar gewesen seien.
95
Soweit es darum gehe, welchen objektiven Stand die Entwicklung des streitgegenständlichen Arzneimittels (oder anderer Arzneimittel) gehabt habe, sei hingegen auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das streitgegenständliche Arzneimittel in den Verkehr gebracht worden sei.
96
Das bedeute, dass man die heutigen Erkenntnisse „auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels zurück zu projizieren“ habe und fragen müsse: „Angenommen, die schädlichen Eigenschaften wären bei der Zulassung bereits bekannt gewesen – wäre dann die Impfung angesichts der damals verfügbaren alternativen Therapiemöglichkeiten vertretbar gewesen oder hätte damals die Zulassung versagt oder später entzogen werden müssen?“ (LGU S. 15/16 unter Bezugnahme auf Kügel/Müller/Hofmann/Brock, 3. Auflage 2022, AMG § 84 Rn. 87 f. mwN; BeckOGK/Franzki AMG § 84 Rn 92 mwN).
97
Entscheidend sei der therapeutische Nutzen des Präparates, insbesondere der Grad der Wirksamkeit des Arzneimittels. Je ausgeprägter die Wirksamkeit des Präparates sei, je gravierender die Indikation und je geringer die Möglichkeiten einer anderen Therapie seien, desto schwerere unerwünschte Wirkungen könne man hinnehmen (LGU S. 15; Rehmann, 5. Auflage 2020, AMG § 84 Rn. 5).
98
Dafür, dass nach diesen Maßstäben das Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht vertretbar gewesen sei, trage der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast. Der Kläger habe weder aufzeigen können, dass Comirnaty nutzlos sei noch dass andere Bedenken hätten durchgreifen müssen:
99
4.2.2.1 Der Kläger habe einen fehlenden Nutzen des Impfstoffs Comirnaty „nicht darlegen und beweisen“ können (LGU S. 16).
100
Der Kläger behaupte zwar, dass die Schutzimpfung nur einen geringen „bzw“ gar keinen therapeutischen Nutzen hätte, von „geringem Wirksamkeitsgrad“ sei, weder Selbstinfektion noch Weiterverbreitung hinderte und schwere Krankheitsverläufe nicht bannte. Dem sei aber entgegenzusetzen, dass es in der pandemischen Lage darum gegangen sei, das Virus, dessentwegen weltweit massenhaft Menschen gestorben und die Gesundheitssysteme zusammengebrochen oder dem Kollaps nahe gewesen seien waren, schnell einzudämmen und die weitreichenden gesamtgesellschaftlichen Schäden durch Lockdowns zu begrenzen (im einzelnen LGU S. 16 ff im Anschluss an LG Hannover 2 O 76/23 und des LG Frankfurt/M 12 O 264/22).
101
Soweit der Kläger dem Impfstoff einen nur „geringen Wirksamkeitsgrad“ zuspreche, sei das unsubstanziiert und daher unbeachtlich: Der Kläger stelle Vermutungen ohne jegliche Tatsachengrundlage an; das von ihm angebotene Sachverständigengutachten sei nicht zu erholen.
102
Von Nutzen sei der Impfstoff auch dann, wenn er die Übertragung des Virus von Mensch auf Mensch nicht verhindere. Denn § 2 Nr. 9 IfSG definiere „Schutzimpfung“ als Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen. Die Schutzimpfung müsse daher nicht die Übertragung einer Krankheit verhindern.
103
Im Übrigen sei offenkundig und wissenschaftlich nicht ernstlich bestreitbar, dass der Impfstoff Comirnaty der Beklagten vor einer schweren Erkrankung mit dem Corona-Virus schützen habe können und könne, wobei das genaue Maß des Schutzes hier dahinstehen könne (LGU S. 18; LG Frankfurt a.M. aaO Rz. 106 ff.).
104
Der Kläger könne den Nutzen auch nicht schlüssig bezweifeln mit dem Argument, dass die Wirksamkeit des Impfstoffes nach vier Monaten abnähme. Erstens seien im Hinblick auf die pandemische Lage auch vier Monate ungeschmälerter Wirkung ein beachtlicher Nutzen. Zweitens trage der Kläger hier auch nicht etwa vor, dass die Impfeffektivität nach vier Monaten verloren gehe: Er behaupte lediglich, diese gehe soweit zurück, dass sie am Ende immer noch 84% betrage. Ein Nutzen verbleibe also in erheblichem Umfang selbst dann, wenn man das Tatsachenvorbringen des Klägers unterstelle.
105
4.2.2.2 Der Kläger habe umgekehrt auch keine Risiken dargelegt, welche zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen könnten:
106
Soweit der Kläger Verdachtsfälle heranziehe, beschreibe er keine gesicherten Impfschäden, sondern eben nur einen Verdacht. Die Meldung eines Verdachtsfalles besage nichts über das tatsächliche Aufkommen von Impfschadensfällen.
107
Der Impfstoff Comirnaty sei seit seiner Zulassung in Deutschland und weltweit zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eingesetzt worden. Bis Juni 2022 habe man weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen des Impfstoffs verabreicht. Bei einer derart hohen Anzahl an Impfungen binnen eines vergleichsweise kurzen Zeitraums sei nicht verwunderlich, wenn in kurzer Zeit zahlreiche Verdachtsfälle gemeldet würden.
108
Aber selbst wann man unterstellte, die geschilderten Verdachtsfälle würden tatsächliche Impfschäden abbilden, so wären diese bei der Anzahl der Impfungen nicht so gewichtig, dass dies zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis führen würde.
109
Soweit der Kläger auf mögliche Mängel bei den Zulassungsstudien verweise, habe die Beklagte klargestellt, dass davon allenfalls etwa 1.000 von gesamt ca. 40.000 Probanden betroffen gewesen seien. Zudem seien die ursprünglichen Zulassungsstudien von untergeordneter Bedeutung für die dann erfolgte endgültige Standardzulassung des Impfstoffs: Diese sei erteilt worden, nachdem der Impfstoff – allein schon bis April 2022 – millionenfach in Deutschland verimpft und weltweit im Milliardenbereich worden sei. Bei der endgültigen Standardzulassung sei die Datenbasis nach alledem „ganz erheblich größer“ gewesen als nach dem Abschluss der ersten Zulassungsstudien (LGU S. 18; LG Rottweil 2 O 325/22 Rz 35).
110
Für verfehlt hält das Landgericht auch den Einwand des Klägers, dass das PEI in den Sicherheitsberichten die Anzahl der im Zusammenhang mit der Impfung als Verdachtsfälle gemeldeten Todeszahlen unzutreffend bewertet hätte (LGU S. 19). Das PEI habe ein Warnsignal nicht davon abhängig gemacht, dass die Anzahl der Verdachtsfälle höher sein müsste als die üblicherweise im gleichen Zeitraum auftretenden Todesfälle. Sondern die Methode der „Observed-versus-Expected-Analyse“ bestehe darin, die beobachtete und die zu erwartende Anzahl von unerwünschten Nebenwirkungen miteinander zu vergleichen [bei Todesfällen also darin, in Relation zu setzen, (a) wieviele Todesfälle man statistisch zufällig in der geimpften Population erwartet hätte und (b) wieviele Todesfälle nach der Verabreichung des interessierenden Impfstoffes gemeldet worden seien] (vgl K 35 S. 28) ]. Bei dieser Analyse seien denknotwendig auf der Meldungs-Seite [„(b)“] nicht jegliche Todesfälle (unabhängig von der vermuteten oder festgestellten Todesursache) einzustellen. Denn sonst käme man zu dem Ergebnis, dass bereits ein einziger Todesfall im Zusammenhang mit einer Impfung geeignet sein könnte, ein Warnsignal hervorzurufen. Das PEI habe vielmehr die gemeldeten Todesfälle in Relation zu den zu erwartenden Todesfällen gesetzt. Da die als mögliche Impfnebenwirkung eingetretenen Todesfälle verhältnismäßig zu vernachlässigen gewesen seien, habe das Institut folgerichtig keine Übersterblichkeit festgestellt (LGU S. 19, von der Berufung nicht angegriffen).
111
Nicht zu folgen sei dem Kläger, soweit er ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bereits daraus herleiten wolle, dass für den Impfstoff keine Langzeitstudien existierten:
112
Das sei für die rechtliche Beurteilung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG irrelevant. Der Kläger sei nun einmal darlegungs- und beweisbelastet für die Anspruchsvoraussetzung des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses; sein Vortrag laufe lediglich darauf hinaus, dass er zu möglichen Langzeitfolgen nicht vortragen könne, weil hierzu aktuell kein Datenmaterial vorhanden sei.
113
Das Gericht könne Langzeitfolgen nicht kurzerhand als gesichert unterstellen. Auch trete keine Beweislastumkehr dahingehend ein, dass die Beklagte mögliche Langzeitfolgen zu widerlegen hätte. Das Landgericht könne nach alledem lediglich davon ausgehen, dass Langzeitfolgen zwar existierten, aber nicht über das hinausreichten, was in der Wirkungsweise des Impfstoffes liege und bei den Zulassungsentscheidungen bekannt gewesen und berücksichtigt worden sei (LGU S. 18/19; LG Rottweil, aaO Rz 39).
114
Hierhin gehöre auch die Haftungsfreistellung der Beklagten in den Verträgen mit der Europäischen Union: Politik und Gesellschaft seien sich 2020 und 2021 weitgehend einig gewesen in dem Wunsch, dass schnellstmöglich Impfstoffe auf den Markt kommen sollten, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Das sei nur möglich gewesen, wenn man auf vorherige Langzeitstudien verzichtete. Hier habe für die Impfstoffhersteller ein Haftungsrisiko gelegen: Langzeitfolgen seien möglich gewesen; möglich gewesen sei somit auch, dass später (und retrospektiv) das Nutzen-Risiko-Verhältnis anders zu bewerten sein würde, was – verglichen mit der üblichen Entwicklung von Arzneimitteln – erheblich höhere Haftungsrisiken der Hersteller begründet hätte. Dass dieses Risiko im Wege der Haftungsfreistellungen letztlich der Gesamtgesellschaft übergewälzt werde, könne man politisch hinterfragen, aber vorliegend nicht als Indiz dafür werten, dass der Impfstoff tatsächlich ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis habe (LGU S. 20; LG Rottweil aaO Rz. 40).
115
4.3 Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG.
116
Die behaupteten Gesundheitsschädigungen seien „zumindest nicht kausal auf die behauptete nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation zurückzuführen“ (LGU S. 20).
117
Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung setze voraus, dass die Gesundheitsverletzung bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Ein Kausalzusammenhang fehle folglich dann, wenn der Anwender oder der anwendende Arzt die Arzneimittelinformation gar nicht zur Kenntnis genommen habe (LGU S. 20/21; BeckOGK/Franzki, AMG § 84 Rn. 58).
118
Der informatorisch gehörte Kläger habe mitgeteilt, er hätte sich impfen lassen, weil er am sozialen Leben hätte teilnehmen wollen; seinen eigenen Angaben zufolge habe er das Aufklärungsmerkblatt selbst gar nicht gelesen, sondern sich nur vom Arzt entsprechend unterrichten lassen, der ihm eine Sinusvenenthrombose und einer Herzmuskelentzündung als mögliche Folgen hingestellt habe. Dadurch habe sich der Kläger nicht von der Impfung abhalten lassen, da für ihn der Nutzen überwogen und er auf die geringe Wahrscheinlichkeit von Komplikationen vertraut habe.
119
Diese Einlassung überzeuge das Landgericht von zweierlei:
120
Erstens habe der Kläger, der bereits auf die vorige (= zweite) Impfung empfindlich reagiert gehabt habe, sich dennoch vor der streitgegenständlichen Impfung nicht mit möglichen Gesundheitsschädigungen befasst.
121
Zweitens hätte er die streitgegenständliche Impfung auch dann durchgeführt, wenn die nunmehr vorgetragenen Schädigungen im Aufklärungsmerkblatt gestanden hätten. Gerade nach den behaupteten Reaktionen im Gefolge der zweiten Impfung wäre bei einem vorsichtigen Anwender zu erwarten gewesen, dass er sich mit möglichen Nebenwirkungen auseinandersetzte. Dadurch, dass der Kläger dies unterlassen habe, werde deutlich, dass er sich unabhängig von dem Inhalt einer Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation habe impfen lassen. Ein Ursachenzusammenhang könne in einem solchen Fall nicht festgestellt werden.
122
4.4 Mangels Anspruchs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 84 Abs. 1 AMG bestehe auch weder ein Anspruch auf Feststellung für die Haftung künftiger Schäden noch auf die Nebenforderungen.
123
III. – Die Berufungsbegründung bringt vor:
124
1. – Zu Unrecht versage das Landgericht den Auskunftsanspruch (§ 84a AMG).
125
Das Landgericht hätte dem Klageantrag zu 4. vielmehr stattgeben müssen in der Form, in der er in der Berufung gestellt ist (BB S. 7).
126
1.1 Falsch sei die Annahme einer allenfalls gleichen Wahrscheinlichkeit der beiden möglichen Erklärungen für die Beschwerden des Klägers (Impfung./. Vorerkrankung).
127
Noch richtig stelle das Landgericht fest, dass beim Kläger nach der Impfung die Symptome eines chronischen Fatigue-Syndroms und eines Post-Vac-Syndroms vorlägen (Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche, fehlende Energie, Abgeschlagenheit, Leistungsdefizite, kognitive Störungen und Kopfschmerzen sowie starkes Schwindelgefühl, Druck auf der Brust, Herzstechen und -schmerzen, Kribbeln in Armen und Beinen, Benommenheit und Appetitlosigkeit).
128
Die seien auch in zwei Berichten behandelnder Ärzte diagnostiziert (BB S. 3/4, K 3) und dabei als unerwünschte Nebenwirkung des Impfstoffs eingeordnet.
129
Das lasse das Landgericht „außer acht“ (BB S. 4). Genauer:
130
Das Landgericht erwähne diese Berichte nicht, sondern relativiere derartige Beobachtungen behandelnder Ärzte damit, dass schon aus der Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung Beschwerden aktenkundig seien (K 98).
131
Letztere seien aber als Alternativursache auszuscheiden:
132
(1) Die Symptome der 2011 (= ein Jahrzehnt vor der streitgegenständlichen Impfung) diagnostizierten Neurasthenie bestünden zwar auch in vermehrter geistiger Ermüdbarkeit „bzw.“ Erschöpfung nach geringer körperlicher Anstrengung. Aber hierüber sei der Kläger bloß begrenzte Zeit arbeitsunfähig gewesen (BB S. 4) und die Neurasthenie verursache „bei weitem nicht die Symptome, wie sie nach der Impfung aufgetreten sind“ (BB S. 4, SV). Das habe der Kläger erstinstanzlich unter Sachverständigenbeweis gestellt, dem habe das Landgericht nachgehen müssen.
133
(2) Die Migräne mit Kopfschmerzen, die 2016 und 2017 beschrieben seien, stünden „wohl am ehesten im Zusammenhang“ mit einer früheren Rachenentzündung, die mit der sie ausgelöst habenden Erkältung vorübergegangen sei (BB S. 5).
134
(3) Die Patientenakte dokumentiere in der Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung zwar auch Schwindel und ein zervikozephales Syndrom (also HWSinduzierten Kopfschmerz), aber nichts spreche dafür, das als Ursache für die Zustände des Klägers nach der Impfung anzunehmen (BB S. 5). Kopfschmerzen seien einem Erschöpfungssyndrom nicht gleichzusetzen.
135
(4) Die am 23.12.2021 diagnostizierte rezidivierende depressive Störung beruhe ersichtlich auf der eine Woche zuvor erfolgten streitgegenständlichen Impfung.
136
Eine derartige Diagnose habe es nämlich vorher nicht gegeben. Deshalb könne man dem Landgericht nicht darin folgen, dass am 23.12.2021 nur etwas „rezidiviert“ haben könnte, was zuvor bereits als Störung vorhanden gewesen sei (BB S. 5).
137
Jedenfalls sei die Annahme unhaltbar, eine Verursachung durch die streitgegenständliche Impfung sei allenfalls gleich wahrscheinlich wie die Annahme einer vorbestehenden Erkrankung (BB S. 5 gegen LGU S. 11). Vielmehr hätte das Landgericht auf den Antrag des Klägers „zur Kausalität ein Sachverständigengutachten“ erholen müssen [wenn es bezweifelte, dass die Impfung kausal war].
138
1.2 Fehlerhaft nehme das Landgericht an, der Kläger wäre seiner Darlegungslast nicht nachgekommen (BB S. 5 gegen LGU S. 12), weil er einen neurologischen Facharztbericht vom 7.12.2021 nicht vorgelegt hätte.
139
Zwar treffe zu, dass es diesen Facharztbericht gebe [und der Kläger ihn erstinstanzlich nicht vorgelegt habe]. Unwahr sei aber die Behauptung des Ersturteils, wonach das Landgericht im Termin hierauf hingewiesen hätte (BB S. 5/6). Dieser Hinweis wäre erforderlich gewesen, und wäre er ergangen, so hätte der Kläger den Bericht nachgeliefert. Das tue er jetzt (BB S. 6, Berufungsanlage C 2).
140
Der Bericht bestätige, dass der Kläger im August 2021 mit Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen ins Krankenhaus gegangen (BB S. 6), aber psychopathologisch und neurologisch unauffällig gewesen wäre und keine Parese und keine Radikulopathie gehabt hätte, wenngleich er an Schwankschwindel und Panikattacken gelitten hätte. Der Bericht stelle vorliegend die Kausalität nicht in Frage (BB S. 6).
141
Die Verfasserin des Berichts vom 7.12.2021 [sehe das offenbar ebenso, denn sie] habe später auch den erstinstanzlich vorgelegten – und vom Landgericht übergangenen – Bericht vom April 2022 (K 102) verfasst, worin sie Symptome des Klägers nach der streitgegenständlichen Impfung festgestellt und einen Zusammenhang mit dieser als zwar „nicht beweisbar“ aber „möglich“ angesehen habe (BB S. 5/6).
142
1.3 Fälschlich als von der Beklagten bereits bewiesen nehme das Landgericht an, dass andere schadensgeeignete Umstände iS. § 84 Abs. 2 S. 3 AMG vorlägen: Es sei „nicht nachvollziehbar, dass sämtliche nach der Impfung aufgetretenen Symptome tatsächlich durch Erkrankungen vor der Impfung ausgelöst worden sein sollen“ (BB S. 7).
143
1.4 Fälschlich nehme das Landgericht an, dass [die Auskunft nicht benötigt würde, weil der Schadensersatzanspruch ohnehin nicht gegeben sein könnte, da] das Nutzen-Risiko-Verhältnis jedenfalls positiv wäre.
144
Ob das befasste Gericht einer solchen Meinung sei, müsse für den Auskunftsanspruch außer Betracht bleiben, wie das OLG Bamberg richtig judiziert habe (BB S. 7, C 1). Anderenfalls liefe der Auskunftsanspruch leer.
145
2. – Zu Unrecht versage das Landgericht den Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG (BB S. 7 ff).
146
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis sei, bezogen auf die Gesamtheit der Patienten, negativ, wenn man auf die Erkenntnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstelle (BB S. 7). Aus heutiger Sicht sei die Impfung nicht vertretbar gewesen.
147
2.1 Zu Unrecht nehme das Landgericht eine Tatbestandswirkung der Zulassung an und lasse für die Unvertretbarkeitsprüfung einzig solche Umstände gelten, die bei der Zulassung noch nicht bekannt gewesen seien (BB S. 8).
148
Gerade weil die Zulassungsentscheidung als solche für den Privaten nicht anfechtbar sei (BB S. 8/10, EuGH T-96/21), folge aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), dass die Rechtmäßigkeit der Standardzulassung im Zivilprozess voll überprüfbar sein müsse (BB S. 11).
149
Das Landgericht habe sich deshalb „nur unzureichend“ mit dem Vorbringen des Klägers, insbesondere zur „Zulassungsentscheidung“ des CHMP vom 16.9.2022, auseinandergesetzt (BB S. 11 Mitte, [meint Zulassungsgutachten, Replik Seite 4/15, ohne Angabe, was das Landgericht übergangen hätte]). Auch auf das Vorbringen zu Mängeln der Zulassungsstudie (BB S. 11; Replik S. 40 ff) gehe das Landgericht nicht ausreichend ein, obwohl bereits hieraus folge, dass der „Standardzulassung (K 48) kein, oder wenn überhaupt nur beschränkter Stellenwert beigemessen“ werden könne (Replik S. 51 = Blatt 129 LGA), abgesehen davon, dass sie im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung noch nicht erteilt gewesen sei.
150
In der Standardzulassung (K 48) seien bloß Daten bis April 2022 (statt bis Oktober 2022) verwendet worden (BB S. 13). Diese Datenlücke räume der Text der Zulassung (K 48 S. 4) ausdrücklich ein.
151
Die in K 48 (Seite 33) behauptete Wirksamkeit (“95%“) werde bestritten und sei methodisch falsch gemessen, nämlich erst sieben Tage nach der letzten Impfung beginnend, so dass der „vulnerable Zeitraum zwischen der ersten Impfung und der Entwicklung des vollen Impfschutzes“ unzulässig übersprungen werde (BB S. 39).
152
Methodisch falsch sei auch, als Infektionen nur solche anzusehen, bei denen ein positiver PCRTest vorliegt; denn das betreffe „längst nicht alle symptomatischen Covid-19-Verdachtsfälle“.
153
Eine andere Untersuchung (K 69 S. 42) betrachte auch vermutete, aber unbestätigte Covid-19-Erkrankungen und weise, auf diese Gruppe bezogen auf eine Impfwirksamkeit von bloß 12% hin (BB S. 40), wenn man in dieser Gruppe die Geimpften mit denjenigen vergleiche, die bloß ein Placebo erhalten gehabt hätten. Gleichwohl sei auch diese Untersuchung methodisch zu beanstanden, denn sie sei nicht doppelt verblindet gewesen, und womöglich hätten die Placebo-Empfänger an der meist ausbleibenden unmittelbaren Impfreaktion an der Einstichstelle gemerkt, dass sie nur ein Placebo bekommen hätten (BB S. 40, Schriftsatz 28.3.2024 S. 24/25, K 70), zudem sei die Studie nicht auf den richtigen „Endpunkt“, nämlich einen schweren Verlauf oder Todesfall, gerichtet gewesen.
154
Eine weitere Studie nach sechs Monaten Nachbeobachtung richte sich zwar auf den Endpunkt „schwere Erkrankung bis zum Todeseintritt“ und weise eine Impfeffektivität von 96,7% sowie kein erhöhtes Sterberisiko Geimpfter aus, sei aber auf eine zu schmale Datenbasis gegründet und beobachte nur PCR-Testgesicherte Erkrankungen, die mindestens sieben Tage nach der letzten Impfung aufgetreten seien (BB S. 40, Schriftsatz vom 28.3.2024 Seite 25/26; K 71). Diese Studie verhalte sich nicht zur Hospitalisierungsrate.
155
Letztere sei zwar untersucht in einem Artikel über eine israelische Kohortenstudie dahin, dass die Geimpften ab 14 Tage nach der Impfung ein um 74% vermindertes Risiko gehabt hätten, sich im Krankenhaus behandeln lassen zu müssen (BB S. 40, Schriftsatz KV 28.3.2024 Seite 26/27, K 72). Das sei aber falsch gerechnet, denn wenn man 110 hospitalisierte Geimpfte mit 259 hospitalisierten Ungeimpften vergleiche, sei die Risikominderung nur 58%. Die Schwachstelle dieser Studie sei aber, dass sie den kritischen Zeitraum bis 14 Tage nach der letzten Impfung außer Betracht lasse und den Blick darauf verstelle, dass man – immer den Zahlen der Studie folgend – etwa 4.000 Personen impfen müsse, um eine Covid-19-bedingte Hospitalisierung zu verhindern, und 26.0000 Menschen impfen müsse, um einen Covid-19-assoziierten Todesfall zu verhindern, so dass der Vorteil für den einzelnen Geimpften minimal sei.
156
Ebenso falsch sei das Ersturteil, soweit es sich auf die weitere Zulassung (K 59) vom 30.8.2023 stütze, denn die habe „keine neuen überprüfbaren Erkenntnisse“ gegenüber K 48 enthalten und sich zudem nur auf den angepassten Impfstoff bezogen, den der Kläger nie erhalten habe. Die weitere Zulassung „bestätige“ die Standardzulassung folglich nicht, auch wenn das Landgericht das offenbar meine (BB S. 11/12).
157
Die vorläufige Zulassung – und nur diese habe im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung existiert – könne keine „Tatbestandswirkung“ haben. Sonach zu Unrecht lasse das Landgericht die Zweifel des Klägers dahingestellt, ob die „Prüfung durch die Behörden“ im Zusammenhang mit u.a. dieser vorläufigen Zulassung sowie den weiteren Zulassungen „ordnungsgemäß abgelaufen“ wäre (BB S. 12).
158
2.2 Zu Unrecht bejahe das Landgericht einen Nutzen der streitgegenständlichen Impfung.
159
Den gebe es nicht, insbesondere nicht in der Weise, dass diese vor einem besonders schweren Verlauf der Krankheit schütze.
160
Diesen Effekt postuliere nicht einmal die Standardzulassung (K 48), und auch der spätere Bericht (K 59) argumentiere damit nicht, sondern schreibe der Impfung zum Teil „vorbeugende“ Wirkung zu (BB S. 14) und gebe hohe Wirksamkeitsgrade in Prozent an. Die These vom Schutz vor schwerer Erkrankung sei auch nicht nachgewiesen, Studien gebe es nicht (BB S. 14 gegen LGU S. 16/17), und in der Fachwelt herrsche hierüber Streit (BB S. 16).
161
Das Landgericht hätte hier eine „Bezugnahme auf tatsächliche medizinische und klinische Daten“ benötigt, an denen es auch in den Gutachten der EMA (K 48 und K 59) fehle, und hätte Sachverständigenbeweis erholen sollen (BB S. 16).
162
Das gelte zumal deshalb, weil die EMA in einem „Interessenkonflikt“ stehe (BB S. 16), weil die Kommission im Vertrag mit „dem Impfstoffhersteller“ (BB S. 16, K 24) ausdrücklich „anerkannt“ habe, dass dessen Bemühungen, einen Impfstoff zu entwickeln (“develop“) und herzustellen (“manufacture“), ihrer Art nach anspruchsvoll (aspirational in nature) seien und bedeutende Risiken und Unsicherheiten bargen (subject to significant risks and uncertainties“ (BB S. 16, an der kursiv hervorgehobenen Stelle vom Senat anders verstanden als in der Berufungsbegründung, die „manufacture“ mit „in Verkehr bringen“ übersetzen will).
163
Das Landgericht interpretiere zwar – für sich richtig – diesen Haftungsausschluss vor dem Hintergrund, dass Langzeitstudien fehlten, aber gerade weil diese fehlten, hätte man den Impfstoff nicht vorläufig zulassen dürfen (BB S. 17), sondern 8 – 10 Jahre damit warten sollen. Die fehlenden Langzeiterfahrungen führten zu einem besonders hohen Risiko, das den Nutzen (= begrenzter Schutz vor Ansteckung) übersteige (BB S. 17). Die Symptome des Klägers seien „typische Langzeitfolgen“ (BB S. 17). Dass zu Langzeitfolgen kein Datenmaterial vorhanden sei (BB S. 35) dürfe nicht dem Kläger zum Nachteil gereichen, sondern zeige, dass das Risiko des Impfstoffs „wesentlich höher ist als für den Fall, dass solche Langzeitstudien bereits vorliegen und bewertet worden sind“ (BB S. 35).
164
Oder: Der Haftungsausschluss (als Haftungsübernahme der EU-Mitgliedsstaaten, K 24 Abschnitt 1 Ziffer 12) zeige doch, dass die Beklagte im Zeitpunkt K 24 „erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Ungefährlichkeit des eigenen Impfstoffes gehabt“ haben müsse (BB S. 17), denn sonst wäre er überflüssig.
165
Die Kommission sei dadurch unter Zeitdruck gesetzt worden, dass der Vertrag mit der Beklagten eine Frist für die Zulassungserteilung enthalten habe, bei deren erfolglosem Ablauf die Beklagte hätte kündigen können (BB S. 18; K 24 S. 13).
166
Gerichtlich sei Sachverständigenbeweis zum Nutzen-Risiko-Verhältnis auch deshalb zu erheben, weil ein Fachartikel von McKernan et al. (K 63) aufgezeigt habe: Der vertriebene Impfstoff entspreche nicht in allen Stücken dem geprüften (BB S. 19/20, K 63), sondern enthalte DNA-Rückstände, könne Membranschäden verursachen (BB S. 20/21, C 3) und sei in irgendeinem Umfang verunreinigt (BB S. 21, K 42 S. 31, Ziffer 2.2.4), während das PEI die Reinheit nur visuell kontrolliere (BB S. 21, Zeuge, C 4). Die Gegeneinwände des PEIs gegen den kritischen Fachartikel K 63 seien zwar bekannt (im einzelnen BB S. 21/22), u.a. dahin, die DNA-Rückstände hätten keinen Zusammenhang mit Nebenwirkungen, aber damit sei immerhin eingeräumt, dass es diese DNA-Rückstände gebe (BB S. 22). Ob sie den Grenzwert einhielten, könne nur geprüft werden, wenn die Hersteller Proben des Wirkstoffs (ohne die in der Impfdosis mit enthaltenen Trägersubstanzen) zur Verfügung stellten; das geschehe jedoch nicht, so dass der „Einwand einer vermeintlichen Verunreinigung nicht erhoben“ werden könne (BB S. 23; im einzelnen BB S. 23/32 = C 5, C 6).
167
2.3 Das Landgericht unterschätze die Nebenwirkungen.
168
Das Landgericht argumentiere bei seiner Nutzen-Risiko-Erwägung (BB S. 15 gegen LGU S. 19/20) zwar noch richtig damit, dass Verdachtsfälle nicht mit tatsächlichen Nebenwirkungen gleichzusetzen sind; es übersehe aber, dass die Ärzte und die Patienten viel zu wenig an Verdachtsmeldungen erstattet hätten (BB S. 15, SV). Man müsse „die üblichen Dunkelziffern“ hinzurechnen (BB S. 15).
169
Oder aber: Man müsse von vornherein bloße Verdachtsmeldungen ausreichen lassen, weil „gerade bei einer Fatigue-Erkrankung eine unmittelbare Kausalität zu Beginn nur schwer festzustellen“ sei (BB S. 35/36).
170
Noch seien nicht sämtliche Nebenwirkungen erforscht (BB S. 33), aber bereits jetzt stehe fest, dass die Risiken – bei gebotener Gesamtbetrachtung aller seltenen oder häufigen Nebenwirkungen (BB S. 32) – unvertretbar seien (BB S. 33). Gerade weil die „hier maßgeblichen Nebenwirkungen“ (BB S. 33, meint die Beschwerden des Klägers) im Zeitpunkt der Zulassung „ganz offensichtlich nicht bekannt“ gewesen seien, müsse man annehmen: Hätte die Behörde sie gekannt, so hätte sie den streitgegenständlichen Impfstoff nicht zugelassen (BB S. 33). Das „PostVac-Syndrom“ sei bei der Zulassung noch nicht bekannt gewesen (BB S. 36).
171
Die in K 52 analysierten Nebenwirkungen seien verheerend und vielfältig (im einzelnen aufgezählt BB S. 33, [allerdings ohne erkennbaren Bezug zu den Beschwerden des Klägers]), darauf gehe das Landgericht aber nicht ein.
172
Das Landgericht ziehe sich gegenüber der Behauptung des Klägers, das Spike-Protein (nicht nur des Erregers, sondern auch des Impfstoffes) wirkte nach Darstellung von Fachleuten (K 60, K 61) toxisch, zu Unrecht darauf zurück, dies wäre nicht erwiesen: Das Landgericht hätte Sachverständigenbeweis dazu erheben sollen (BB S. 34/35), statt Artikel eines Dr. P. und eines Dr. F. (BB S. 35 [ohne Anlagen-Benennung]) mit dem Argument abzutun, dass sie aus Online-Magazinen stammten (BB S. 35 gegen LGU S. 14 [aber ohne Mitteilung, wo das Ersturteil, insbesondere auf Seite 14, ein solches Argument enthalte]).
173
Gerade weil man die Langzeitfolgen noch nicht abschließend bewerten könne, könne es per se nicht darauf ankommen, die Nebenwirkungen dahin zu betrachten, dass ein „Vergleich der absoluten Zahlen der Impfungen mit den nachgewiesenen und als Impfschaden anerkannten Erkrankungen“ angestellt werde.
2.4 „Ergänzend“ rege der Kläger eine Vorlage nach „§ 267“ [meint: Art. 267] Abs. 1 lit a AEUV „über die Rechtsfrage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses“ an (BB S. 40).
174
Genauer müsse die Vorlagefrage lauten, ob die „Beurteilung des Nutzen-Risikos“ durch die EMA und ihr folgend durch die Europäische Kommission „ermessensfehlerfrei ist und keine ermessensfremden Erwägungen miteinbezogen wurden“ (BB S. 41, ohne Nennung von Ermessensfehlern).
175
Ferner sei „zu überprüfen, ob eine Vereinbarkeit mit der europäischen Verordnung (RG) 726/200 4) und der Grundrechtecharta vorliegt“ (BB S. 41 ohne Spezifizierung von Zweifeln).
176
Das gehöre wegen Art. 19 Abs. 4 GG im Instanzenzug geklärt (BB S. 40).
177
Darum bleibe dem einzelnen Betroffenen „faktisch nur die Vorlage zum EuGH“.
178
2.5 Halte der Senat das Nutzen-Risiko-Verhältnis hingegen für eine Tatfrage, so müsse er dazu ein Sachverständigengutachten einholen (BB S. 41).
179
3. – Das Landgericht verneine zu Unrecht eine Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG:
180
Der Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Gebrauchsinformation bestehe (BB S. 38).
181
Die Beklagte habe „hinreichend gesicherte Erkenntnisse“ darüber gehabt, dass die Impfung „zu den bei dem Kläger aufgetretenen Nebenwirkungen führen könne“. „Dies wiederum“ treffe aber nicht zu (BB S. 36).
182
Oder: Aus K 52 und K 53 ergäben sich Verdachtsfälle, die aber nicht als mögliche Nebenwirkungen in der Gebrauchsinformation und den Aufklärungsbögen auftauchten (im einzelnen BB S. 36 [ohne erkennbaren Bezug zu den klägerseits beklagten Beschwerden]).
183
Der Kläger habe gewusst, dass er Hautreaktionen und Herzerkrankungen erleiden könne. Hätte der Kläger (aus K 52/K 53) gewusst, dass er von der Impfung zudem noch Augenerkrankungen, Störungen des Nervensystems und Bindegewebes, Erkrankungen an Atemwegen und im Brustraum und Mediastinum, vaskuläre und psychiatrische Störungen davontragen könnte, dann hätte er sich nicht impfen lassen (BB S. 37).
184
Heute nenne die Gebrauchsinformation der Beklagten (K 55) eine Reihe von Beschwerden (im einzelnen BB S. 36 [ohne erkennbaren Bezug zu den vom Kläger beklagten Beschwerden]).
185
Seinerzeit habe die Produktinformation „jedoch nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprochen. Die Gesundheitsbeschädigung des Klägers sei gerade deswegen eingetreten (BB S. 36).
186
Die Beklagte hätte seinerzeit auf die Risiken in K 52 ab Seite 7 hinweisen müssen (BB S. 37, SV). Hätte sie es getan, so hätte der Kläger auf die Impfung verzichtet.
187
Die Beklagte hätte auch darauf hinweisen müssen, dass die Faktenlage hinsichtlich erwiesener Nebenwirkungen damals nicht ausgereicht habe, um den Impfstoff als sicher zu bezeichnen (BB S. 37). Sie hätte somit „zumindest abstrakt auf die Gefahr“ weiterer Erkrankungen hinweisen müssen.
188
Spekulation sei es, soweit das Landgericht unterstelle, der Kläger hätte sich auch bei vollständiger Aufklärung impfen lassen. Das sei „nicht nachvollziehbar“, weil ja der Kläger angegeben habe, das Aufklärungsmerkblatt selbst nicht gelesen zu haben (BB S. 38).
189
4. – Da die Beklagte schuldhaft gehandelt habe, hafte sie auch aus § 823 Abs. 1 und § 826 BGB (BB S. 38).
190
Hätte die Beklagte ihre Pflichten, das Produkt zu beobachten, hilfsweise: die Kennzeichnung zu aktualisieren, erfüllt, so hätte sich der Kläger niemals impfen lassen und wäre ihm das auch von niemandem empfohlen worden (BB S. 39).
191
Gerade dass die Beschwerden des Klägers sich kurz nach dem Inverkehrbringen des Impfstoffs geäußert hätten, spreche indiziell dafür, dass die Beklagte sie schon vorher als mögliche Nebenwirkungen hätte entdecken können (BB S. 39).
192
Fatigue sei als mögliche Nebenwirkung seit dem 14.7.2021 (K 68 S. 4) bekannt gewesen in folgendem Sinne: Die CHMP habe seinerzeit mitgeteilt, sie beobachte folgende Vorkommnisse darauf, ob sie künftig in die Produktinformation des Impfstoffs Comirnaty mit aufgenommen werden sollten: Asthenie (Energie- oder Kraftmangel), Lethargie (Teilnahmslosigkeit oder Inaktivität), Appetitrückgang und exzessiver Nachtschweiß; wenn ein Hinweis aufzunehmen wäre, dann mit der Kennzeichnung als „ungewöhnlich“ in dem Sinne, dass die Erscheinungen bei weniger als 1 von 100 Menschen auftreten (BB Seite 40 -> Schriftsatz KV 28.3.2024 S. 23).
193
5. – Fehlerhaft sei es, dass das Landgericht eine Haftung nach dem ProdHaftG ablehne, ohne zu prüfen, ob § 15 ProdHaftG unionsrechtskonform sei. Deutschland „dürfte“ gehindert sein, nach der Vollharmonisierung durch die RL 85/374/EG (BB S. 38) eine „allgemeine Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte beizubehalten“, die von der in der RL vorgesehenen Regelung abweiche (BB S. 38 [ohne Angabe, worin die Abweichung zu sehen sei]).
194
IV. – Die Berufung ist ohne Erfolgsaussicht.
195
Das transparent strukturierte und sorgfältig begründete Urteil des Landgerichts beruht auf keinem Rechtsfehler (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten.
196
1. – Zutreffend versagt das Landgericht den Auskunftsanspruch (§ 84a AMG).
197
Weder war dem erstinstanzlichen Klageantrag zu 4. stattzugeben, noch ist der Auskunftsanspruch in derjenigen Gestalt begründet, die er in den Berufungsanträgen gefunden hat.
198
1.1 Zutreffend nimmt das Landgericht eine allenfalls gleiche Wahrscheinlichkeit der beiden möglichen Erklärungen für die Beschwerden des Klägers (Impfung./. Vorerkrankung) an.
199
Als „unstreitige“ Beschwerden des Klägers gibt das Landgericht (LGU S. 11) lediglich wieder, dass beim Kläger nach der Impfung die Symptome eines chronischen Fatigue-Syndroms und eines Post-Vac-Syndroms vorliegen. Das umfasst lediglich die folgenden Erscheinungen (LGU S. 11): Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche, fehlende Energie, Abgeschlagenheit, Leistungsdefizite, kognitive Störungen und Kopfschmerzen.
200
Entgegen der Berufungsbegründung nicht als unstreitig aufgefasst hat das Landgericht (LGU S. 11) die folgendermaßen umschriebenen Beschwerden: starkes Schwindelgefühl, Druck auf der Brust, Herzstechen und -schmerzen, Kribbeln in Armen und Beinen, Benommenheit und Appetitlosigkeit. Es hat lediglich deren Vorliegen dahingestellt gelassen und somit zugunsten des Klägers als gegeben unterstellt.
201
Aus der Behauptung, dass die Symptome in zwei Berichten behandelnder Ärzte diagnostiziert seien (BB S. 3/4), brauchte das Landgericht nicht herzuleiten, es handele sich um unerwünschte Nebenwirkungen des Impfstoffs:
202
Von den Berichten ist – soweit ersichtlich – nur einer (als Anlage K 3) vorgelegt, nämlich eine AU-Bescheinigung, die sich allein auf die Diagnose „R42 G“ stützt, also „Schwindel und Taumel, gesichert“. Das Landgericht hatte keinen Anlass, hierauf im Ersturteil näher einzugehen. Es sieht richtig, dass derartige Beobachtungen behandelnder Ärzte schon aus der Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung aktenkundig sind (K 98).
203
Die Einwendungen der Berufungsbegründung hiergegen verfangen nicht:
204
(1) Die Symptome der 2011 (= ein Jahrzehnt vor der streitgegenständlichen Impfung) diagnostizierten Neurasthenie bestanden – wie auch die Berufungsbegründung einräumt – u.a. in vermehrter geistiger Ermüdbarkeit „bzw.“ Erschöpfung nach geringer körperlicher Anstrengung.
205
Die Diagnose zeigt, dass derartige Erscheinungen dem Kläger schon vor der Impfung nicht fremd waren und auch bereits derartige Ausmaße annahmen, dass der Kläger deswegen krankgeschrieben werden musste. Dass er dabei bloß begrenzte Zeit arbeitsunfähig war, ändert hieran nichts.
206
Das Landgericht argumentiert auch keineswegs dahin, dass die Neurasthenie bereits alle Symptome verursachte, die nach der streitgegenständlichen Impfung aufgetreten sein sollen; es benötigt also für eine solche – im Ersturteil so nicht aufgestellte – These auch keinen Sachverständigenbeweis.
207
(2) Dass die Migräne mit Kopfschmerzen, die 2016 und 2017 beschrieben sind, „wohl am ehesten im Zusammenhang“ mit einer früheren Rachenentzündung stünden, die mit der sie auslösenden Erkältung vorübergegangen sei, ist eine bloße Vermutung des Klägers.
208
Vorliegend kam es darauf an, dass migräneartiger Kopfschmerz dem Kläger auch vor der Impfung nicht fremd war und daher vergleichbare Beschwerden nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von der Impfung herrühren.
209
(3) Indem die Berufungsbegründung einräumt, dass die Patientenakte aus der Zeit vor der streitgegenständlichen Impfung unter anderem „Schwindel“ und ein „zervikozephales Syndrom“ (also HWSinduzierten Kopfschmerz) überliefert, unterstreicht sie den Befund des Landgerichts, dass die Impfung nicht überwiegend wahrscheinlich als Ursache dafür anzusehen sein kann, dass der Kläger solche Zustände auch nach der Impfung wieder durchgemacht hat. Das Ersturteil postuliert nirgends, dass Kopfschmerzen einem Erschöpfungssyndrom gleichzusetzen seien.
210
(4) Die am 23.12.2021 diagnostizierte rezidivierende depressive Störung kann denknotwendig nicht auf der eine Woche zuvor erfolgten streitgegenständlichen Impfung beruhen, sondern war vom Kläger bereits „mitgebracht“:
211
Es besagt nichts, wenn aus der Zeit vor der Impfung keine derartige Diagnose überliefert ist, denn dass es sie gegeben haben muss, steht fest: Das Landgericht sieht richtig, dass am 23.12.2021 nur etwas „rezidiviert“ haben kann, was zuvor bereits als Störung vorhanden war. „Rezidivierend“ bedeutet „wiederholt auftretend“. Die kurz nach der Impfung rezidivierende, also wieder aufgetretene, depressive Störung muss denknotwendig schon vorher als Störung des Klägers vorhanden gewesen sein.
212
Als anerkannte Begleiterscheinungen depressiver Störungen sind all jene Erscheinungen erklärbar, die auch nach Covid-Erkrankungen oder -Impfungen beobachtet und unter den Sammelbegriffen „Post-Vac“, „Chronic Fatigue“ und „Post-Covid“ zusammengefasst werden, freilich ohne dass mit diesen Sammelbegriffen gefestigte, wissenschaftlich geklärte Krankheitsbilder beschrieben wären.
213
Überzeugend und für den Senat mitzuvollziehen ist daher die Annahme des Landgerichts, dass eine Verursachung durch die streitgegenständliche Impfung äußerstenfalls gleich wahrscheinlich ist wie die Annahme einer vorbestehenden Erkrankung. Es fehlte daher an der „Einstiegs-Annahme“, an die § 84a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMG den Auskunftsanspruch knüpft. Deswegen war der Auskunftsanspruch ohne weiteres abzuweisen. Das Landgericht war nicht gehalten, „zur Kausalität ein Sachverständigengutachten“ zu erholen.
214
1.2 Für die Entscheidung über die Berufung ohne durchgreifende Relevanz, jedoch vom Landgericht richtig gesehen ist, dass der Kläger seiner Darlegungslast nicht vollständig nachgekommen ist, weil er einen neurologischen Facharztbericht vom 7.12.2021 erstinstanzlich nicht vorgelegt hat.
215
Die Berufung räumt ein, dass es diesen Facharztbericht gibt und der Kläger ihn erstinstanzlich nicht vorgelegt hat.
216
Der Senat geht davon aus, dass ein entsprechender Hinweis erteilt wurde, eine nachträgliche Dokumentation im Urteil wird insoweit als ausreichend erachtet (Zöller/Greger, § 139 ZPO Rn. 13). Unabhängig hiervon hatte die Beklagte, was die Berufungsbegründung nicht bezweifelt, diesen Gesichtspunkt bereits angesprochen, weshalb nicht anzunehmen ist, dass der Kläger ihn „übersehen“ (§ 139 Abs. 2 ZPO) hat.
217
Der vom Kläger in der Berufungsinstanz nachgelieferte Bericht (BB S. 6, Berufungsanlage C 2) hilft dem Kläger auch nicht weiter, sondern stellt – ganz im Gegenteil – einen weiteren Beleg dafür dar, dass der Kläger schon vor der Impfung zu Kopfschmerzen und Schwindel neigte, und zwar in derart ausgeprägter Form, dass er sich im August 2021 deswegen einer Krankenhausbehandlung unterzog (BB S. 6).
218
Wurde er in der Klinik als psychopathologisch und neurologisch unauffällig eingestuft und hatte er weder eine Parese noch eine Radikulopathie, so verbleibt dennoch die klinische Diagnose „Schwankschwindel und Panikattacken“.
219
Der Bericht spricht somit nicht für, sondern gegen die Annahme, dass die nach der Impfung beklagten Symptome des Klägers erst durch die Impfung hätten verursacht seien sollen.
220
Hat die Verfasserin des Berichts vom 7.12.2021 später auch den erstinstanzlich vorgelegten Bericht von April 2022 (K 102) verfasst, worin sie Symptome des Klägers nach der streitgegenständlichen Impfung feststellt und einen Zusammenhang mit dieser als zwar „nicht beweisbar“ aber „möglich“ ansieht, so stütze das ebenso wenig die Annahmen des Klägers. Vielmehr beschreibt die Verfasserin des Berichts K 102 vom 7.12.2021 in griffiger Sprache dasselbe wie das Ersturteil: Der Kläger konnte schon die erste Voraussetzung des § 84a Abs. 1 S. 1 AMG nicht schlüssig darlegen. Das Landgericht musste K 102 im Ersturteil nicht ausdrücklich erwähnen.
221
1.3 Überzeugend ist auch die ergänzende Begründung des Ersturteils, wonach die Beklagte bereits bewiesen hat, dass andere Umstände iS. § 84 Abs. 2 S. 3 AMG „geeignet“ sind, den „Schaden zu verursachen“.
222
1.3.1 Sämtliche nach der Impfung aufgetretenen Symptome konnten durch Erkrankungen vor der Impfung ausgelöst werden (LGU S. 12/13). Zu einem anderen Ergebnis kommt die Berufungsbegründung nur, weil sie – wie oben gezeigt verfehlt – die rezidivierende depressive Störung aus der Wertung nehmen möchte. Denn auch körperliche Symptome (etwa Appetitlosigkeit, Gewichtsveränderung und erhöhte Schmerzempfindlichkeit) können damit einhergehen.
223
1.3.2 Hinzu kam, dass alle Symptome, die der Kläger mit der Impfung in Verbindung bringt, auch geeignet sind, durch eine Covid-Infektion hervorgerufen zu werden. Auch eine solche hat der Kläger unstreitig durchgemacht.
224
1.4 Zu Unrecht beanstandet die Berufung, das Landgericht argumentiere weiter, dass die Auskunft nicht benötigt würde, weil der Schadensersatzanspruch ohnehin nicht gegeben sein könnte, da das Nutzen-Risiko-Verhältnis jedenfalls positiv wäre.
225
Das steht in dieser Form nicht im Ersturteil.
226
Dem Ersturteil ist – dem Begründungszusammenhang nach – insoweit lediglich zu entnehmen, dass es einen Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 (also in beiden Varianten) verneint – und zwar zutreffend (dazu sogleich). Dass der Anspruch des § 84 Abs. 1 S. 2 AMG in beiden Varianten nicht besteht, zieht das Landgericht indessen nicht als Argument gegen den Auskunftsanspruch nach § 84a AMG heran.
227
Lediglich ergänzend wäre anzumerken: Entgegen der Berufungsbegründung wäre für den Auskunftsanspruch durchaus – schon wegen § 84a Abs. 1 S. 1 letzter Hs AMG – von Belang, dass der Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG ohnehin nicht bestünde.
228
1.4.1 Auch das OLG Bamberg (BB S. 7, C 1) judiziert nichts anderes, sondern will lediglich ein „Leerlaufen“ der Arzneimittelschadenshaftung dadurch verhindern, dass es der dortigen Klägerin im Rahmen von § 84 AMG „keine überhöhten“ Darstellungsanforderungen zumuten mag, die aber entstanden wären, wenn man von ihr verlangt hätte, gleich das vorzutragen, was sie erst durch die Auskunft in Erfahrung bringen wollte.
229
Das „Einstiegs-Problem“ des § 84a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMG bestand im o.g. Fall nicht, weil die Erkrankung der dortigen Klägerin mittlerweile als – wenn auch seltene – Impfkomplikation anerkannt war, so dass eine hinreichende Anfangswahrscheinlichkeit in diesem Sinne bestand (C 1 Seite 8) .
230
1.4.2 Das macht den ersten Unterschied zum vorliegenden Fall aus: Der hiesige Kläger kann schon die Anfangswahrscheinlichkeit des § 84a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMG nicht darstellen.
231
1.4.3 Dasselbe Problem des hiesigen Klägers kehrt auf der Ebene des Nutzen-Risiko-Verhältnisses (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG) zurück, weil die Argumentation des Klägers dahin geht, dieses sei unvertretbar, weil bei der Zulassung versäumt worden sei, die Symptome als Nebenfolgen einer Impfung vorauszusehen, die der Kläger nunmehr als individuell ihn treffende Nebenfolge dieser Impfung darstellt.
232
Die Beklagte hat demgegenüber unwidersprochen eingewandt, dass die Symptome, die als Folgen einer Impfung gegen Covid zusammengefasst werden (Stichwort: „Post-Vac“), ebensogut von einer Covid-Infektion (Stichwort: „Post-Covid“) herrühren können, die der Kläger unstreitig ebenfalls durchgemacht hat.
233
1.4.4 Hierauf kommt es indessen für das hiesige Berufungsverfahren nicht durchgreifend an, da das Landgericht den Auskunftsanspruch (s.o.) gerade nicht mit der Begründung ablehnt, der Kläger hätte doch ohnehin keinen Schadensersatzanspruch.
234
2. – Zutreffend versagt das Landgericht den Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG (BB S. 7 ff).
235
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis bleibt, bezogen auf die Gesamtheit der Patienten, positiv, wenn man – mit dem Landgericht und der Berufungsbegründung – auf die Erkenntnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Aus heutiger wie damaliger Sicht erscheint die Impfung vertretbar.
236
2.1 Zutreffend nimmt das Landgericht eine Tatbestandswirkung der vorläufigen und der diese bestätigenden endgültigen Zulassung (OLG Koblenz 10.7.2024, 5 U 1375/23 = BeckRS 2014, 16169 mwN) an.
237
Zutreffend folgert das Landgericht aus dieser Tatbestandswirkung, dass Umstände, die im Zeitpunkt der jeweiligen Zulassung bereits bekannt waren, diese nicht unvertretbar machen können, wenn sie sich später wie vorausgesehen realisieren.
238
2.1.1 Nicht verfangen kann hiergegen der Einwand der Berufungsbegründung, dass die Zulassungsentscheidung wegen Art. 19 Abs. 4 GG zivilgerichtlich überprüfbar sein müsse, weil sie als solche für Private nicht anfechtbar sei.
239
Letzteres möchte die Berufungsbegründung unter Bezugnahme auf eine Entscheidung „T-96/21“ darstellen, die sie dem Gerichtshof der Europäischen Union zuschreibt, die aber ein Beschluss des Gerichts erster Instanz ist (wie schon das OLG Koblenz a.a.O. herausgearbeitet hat): Der Beschluss verneint ein Rechtsschutzbedürfnis des einzelnen für eine Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) und wirft daher die Frage auf, wie zugunsten Einzelner das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gewahrt werden kann.
240
Dieses (Art. 19 Abs. 4 GG) wird aber im Ersturteil nicht verletzt. Das Landgericht stellt mit seiner „Tatbestandswirkungs-These“ nicht in Frage, dass die Rechtmäßigkeit der Standardzulassung im Zivilprozess voll überprüfbar wäre.
241
Diese Überprüfung bleibt möglich, kann aber nur dadurch ausgelöst werden, dass der Kläger (a) entweder substanziiert darlegen würde, welche der Beklagten damals bereits bekannten Umstände bei der Zulassungsentscheidung nicht berücksichtigt worden sein sollen, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, oder (b) darlegen würde, dass nach der Zulassung Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt geworden sind, deren Kenntnis im Zeitpunkt der Zulassung einer Zulassung entgegen gestanden hätten (OLG Koblenz ebd mwN) oder aber (c) dass der Kläger im einzelnen begründen würde, worin ein etwaiger Ermessensfehler bei der Nutzen-Risiko-Abwägung liege, d. h. das Ermessen nicht ausgeübt oder überschritten wäre, gesetzlichen Bestimmungen widerspräche oder gegen Denkgesetze und anerkannte Erfahrungssätze verstieße (OLG Koblenz ebd).
242
2.1.2 Was das Landgericht mit Blick auf das CHMP-Zulassungsgutachten vom 16.9.2022 (BB S. 11 Mitte, Replik Seite 4/15; K 48) im Ersturteil übersehen oder übergangen hätte teilt die Berufungsbegründung nicht mit.
243
Mit dem Vorbringen zu Mängeln der Zulassungsstudie (Replik S. 40 ff) hat sich das Landgericht beschäftigt, wie die Berufungsbegründung (Seite 11) implizit einräumt; wie das Landgericht zum Schluss hätte gelangen sollen, dass der „Standardzulassung (K 48) kein, oder wenn überhaupt nur beschränkter Stellenwert beigemessen“ werden könnte, hat das Vorbringen des Klägers (Replik S. 51 = Blatt 129 LGA) indessen nicht erkennen lassen (was auch immer mit „Stellenwert“ gemeint sein mag).
244
Dass die Standardzulassung im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung noch nicht erteilt war, ist in diesem Zusammenhang relevanzlos, da die Frage hier lautete, ob nach der vorläufigen Zulassung Umstände aufgetreten sind, die diese in Frage zu stellen geeignet waren, was angesichts der Standardzulassung und den ihr vorausgegangenen Erhebungen fern lag.
245
In diesem Sinne wird die Standardzulassung (K 48) nicht dadurch entwertet, dass sie lediglich auf Daten bis April 2022 (statt bis Oktober 2022) zurückgriff. Das „Datenlücke-Argument“ der Berufungsbegründung verkennt, dass der zur Standardzulassung abgefasste Bewertungsbericht lediglich den Zeitraum für die Verlängerung der Marktzulassung bewertet, der sich ausweislich Seite 4 des Berichts auf den genannten Zeitraum vom 30.4.2021 bis zum 29.4. 2022 erstreckt (OLG Koblenz, a.a.O.). Darüber hinaus gehende Daten waren für diesen Verlängerungszeitraum mithin nicht relevant.
246
Die in K 48 (Seite 33) behauptete Wirksamkeit (“95%“) ist nicht etwa deshalb methodisch falsch gemessen, weil die Messung erst sieben Tage nach der letzten Impfung beginnt: Um einen „vulnerablen Zeitraum zwischen der ersten Impfung und der Entwicklung des vollen Impfschutzes“ geht es vorliegend nicht, da die streitgegenständliche Impfung eine dritte Impfung war.
247
Sooft die Berufungsbegründung von einem „vulnerablen Zeitraum“ spricht, meint sie eine Zeitspanne von einer Woche (stellenweise auch von zwei Wochen) nach der betreffenden Impfung und kritisiert jedesmal, dass die Beobachtungen (zum Nutzen und zu Nebenwirkungen) erst nach diesen 7 (oder 14) Tagen einsetzen. Sie teilt allerdings nirgends mit, was daran falsch sein soll und welchen anderen Zeitraum zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Moment, in dem der Körper des Impflings eine Immunantwort auf diesen Impfstoff ausgebildet haben wird, man stattdessen richtigerweise bei Beobachtungen einhalten sollte. Man möchte fast meinen, der klägerischen Kritik läge die Vorstellung zugrunde, dass ein Impfstoff „sofort“ zu wirken hätte, sobald die Spritze verabreicht wäre. Das entspräche indes nicht der Lebenserfahrung.
248
Methodisch überzeugend (und entgegen der Berufungsbegründung nicht falsch, sondern einzig seriös) ist, es als Infektionen nur solche anzusehen, bei denen ein positiver PCR-Test vorliegt und Infektionen nicht schon dann als Covid-19 zu etikettieren, wenn ein bloßer „symptomatischer Covid-19-Verdachtsfall“ vorliegt.
249
2.1.3 Ohne Belang ist, wenn eine andere Untersuchung (FDA Briefing Document vom 10.12.2020 = K 69 S. 42) einen methodisch anderen Ansatz verfolgt.
250
Laut dem Kläger wurden in K 69 bloß vermutete (= unbestätigte) Covid-19-Erkrankungen einbezogen und legt die Studie K 69 auf dieser (per se nicht validen) Grundlage in der Gruppe Unbestätigter eine Impfwirksamkeit von bloß 12% nahe (BB S. 40), sobald man in dieser Gruppe die Geimpften mit denjenigen verglich, die bloß ein Placebo erhalten hatten. Diese Untersuchung (FCA Briefing Document 10.12.2020 K 69) kann schon deshalb keinen Berufungseinwand tragen, weil die Berufungsbegründung sie sogleich selbst als methodisch fragwürdig scharf kritisiert (Stichwort: „nicht doppelt verblindet“, „Placebo-Empfänger im Bilde“; „falscher Endpunkt“) und damit unterstreicht, dass das Landgericht sie keinesfalls als valide annehmen musste.
251
2.1.4 Soweit die Berufungsbegründung eine nochmals andere Studie (“Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine through 6 Months“, K 71), ergibt sich nichts anderes:
252
Betrachtete die Studie K 71 nach sechs Monaten Nachbeobachtung den Endpunkt „schwere Erkrankung bis zum Todeseintritt“ und weist sie eine Impfeffektivität von 96,7% aus, während sie gleichzeitig ein erhöhtes Sterberisiko Geimpfter verneint, dann heißt das nur, dass diese in Nordamerika verfertigte Studie die Berufung schon einmal nicht zu stützen vermag.
253
Nicht weiter helfen könnte es daher dem Kläger, sofern er darin Recht hätte, dass diese nordamerikanische Studie (K 71)
(a) auf eine zu schmale Datenbasis gegründet sei und weitere Schwächen habe. Allerdings könnte es kaum als Schwäche anzusehen sein, wenn die Studie K 71
(b) nur PCR-Testgesicherte Erkrankungen betrachtete, die mindestens sieben Tage nach der letzten Impfung aufgetreten wären – denn das erscheint als Studiensetting plausibel, und auch an dieser Stelle zeigt die Berufung wiederum nicht auf, wie man es anders hätte gestalten sollen. Dass sich die Studie
(c) zur Hospitalisierungsrate nicht verhält, mag sein, erklärt sich aber dadurch, dass das Augenmerk der Studie erkennbar (K 71 S. „1769“) nicht dort liegt, sondern auf der Inzidenzkurve und einem Vergleich der Wirkungen bei Geimpften und Placeboempfängern.
254
Mit einem Wort: Eine Studie (K 71), die die Impfeffektivität bestätigt, kann per se nicht die Annahmen der Berufung stützen. Studiensettings, die eine Covid-Erkrankung nur bei gesichertem PCR-Test annehmen mögen, sind nicht hierüber untauglich. Und schließlich ist jedem Studiensetting immanent, dass es bestimmte Gesichtspunkte untersucht und andere (hier: Hospitalisierung) nicht; Fokussierung ist nicht per se ein Mangel.
255
2.1.5 Kein Argument zugunsten der Berufung lässt sich darin finden, dass die Hospitalisierungsrate Gegenstand eines Artikels über eine israelische Kohortenstudie (“BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting“ = K 72) war.
256
Als Ergebnis dieser Studie teilt die Berufung mit, dass die Geimpften ab 14 Tagen nach der Impfung ein um 74% vermindertes Risiko hatten, sich im Krankenhaus behandeln lassen zu müssen.
257
Die vom Kläger selbst angesprochene Studie ist damit ein eminenter Beleg für (nicht: gegen) die Wirksamkeit der Impfung und dem durch sie vermittelten Schutz vor schwerem Infektionsverlauf:
258
Selbst wenn man – mit der Berufungsbegründung – die Berechnung dahin liest, dass 110 hospitalisierte Geimpfte, die 259 hospitalisierten Ungeimpften gegenüberstehen, eine Risikominderung von „nur 58%“ (statt 74%) ausdrücken, so ist der so aufgezeigte Nutzen der Impfung noch immer beträchtlich, vor allem wenn man bedenkt, dass jede geringere Hospitalisierung in Zeiten kollabierender Krankenhäuser ein eminent wichtiger Gewinn war.
259
Selbst wenn man es mit der Berufungsbegründung als „Schwachstelle dieser Studie“ sehen will, dass sie den kritischen Zeitraum bis 14 Tage nach der letzten Impfung außer Betracht lasse, sprechen ihre Ergebnisse per se nicht für, sondern entschieden gegen die von der Berufung postulierte Annahme eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Außerdem leuchtet auch hier nicht ein, welchen Zeitraum die Berufung für richtiger hielte, siehe oben.
260
Nicht gegen, sondern für die Wirksamkeit der Impfung spricht es, soweit die Berufungsbegründung aus der israelischen Studie (K 72) referiert, dass man – immer den Zahlen der Studie folgend – etwa 4.000 Personen impfen müsste, um eine Covid-19-bedingte Hospitalisierung zu verhindern, und 26.0000 Menschen impfen müsste, um einen Covid-19-assoziierten Todesfall zu verhindern: Zwar kritisiert die Berufungsbegründung den „Vorteil für den einzelnen Geimpften“ als „minimal“. Aber damit räumt sie zuallererst ein, dass die Studie einen solchen Vorteil aufzeigt; auch hierin stützt sie gerade nicht die Thesen der Berufung.
261
Entscheidend hinzu kommt hier aber noch, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis bekanntlich nicht nur bezogen auf den Einzelnen zu definieren ist. Die Frage „Was bringt dem Einzelnen die Impfung?“ ist schon falsch gestellt. Denn nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Die Nutzen-Risiko-Abwägung hat abstrakt-generellen Charakter. Sie berücksichtigt alle schädlichen Wirkungen für die vollständige Patientengruppe, so wie sie durch die Indikationsangabe des pharmazeutischen Unternehmers anvisiert ist. Es geht weder um Untergruppen hierzu noch gar um individuell Geschädigte (OLG Koblenz ebd.).
262
2.1.6 Beanstandungsfrei stützt sich das Ersturteil (auch) auf die weitere Zulassung (K 59) vom 30.8.2023.
263
Gerade wenn diese „keine neuen überprüfbaren Erkenntnisse“ gegenüber K 48 enthalten hat, bedeutete das nämlich, dass das den bisherigen Zulassungen zugrunde gelegte Nutzen-Risiko-Verhältnis unverändert positiv war. Dass die weitere Zulassung sich auf einen angepassten Impfstoff bezog, den der Kläger nie erhielt, ist für diesen Befund ohne Belang.
264
Die weitere Zulassung „bestätigt“ durchaus, dass die Standardzulassung und die ihr vorausgegangene vorläufige Zulassung jeweils auf Nutzen-Risiko-Abwägungen beruhten, die auch später noch für richtig erachtet wurden, nämlich als es galt, auf der Basis des standardzugelassenen Impfstoffs einen solchen zu entwickeln und zuzulassen, der auf eine Mutation des Erregers abgestimmt war.
265
2.1.7 Nach alledem hat das Landgericht überzeugend auf die Tatbestandswirkung der vorläufigen Zulassung, die im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung bestand, abgestellt und aus späteren Umständen keine nachträglichen Zweifel an dem damals erwarteten Nutzen-Risiko-Verhältnis hergeleitet.
266
Auf die Zweifel des Klägers, ob die „Prüfung durch die Behörden“ im Zusammenhang mit u.a. dieser vorläufigen Zulassung sowie den weiteren Zulassungen „ordnungsgemäß abgelaufen“ sei, geht das Ersturteil ein, erachtet diese aber in überzeugender Weise für nicht durchgreifend.
267
2.2 Zutreffend bejaht das Landgericht einen Nutzen der streitgegenständlichen Impfung.
268
Das gilt sogar unabhängig von der Frage einer Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidungen.
269
Dass die Impfung – jedenfalls bezogen auf die Allgemeinheit – vor einem besonders schweren Verlauf der Krankheit schützt, entspricht allgemeiner Auffassung. Der Nutzen wurde und wird nicht (ausschließlich) in der Verhinderung einer Reaktion auf das Virus gesehen, sondern in der nachhaltigen Abmilderung dieser Reaktion. Bei geringer Infektionsintensität vermeidet der Impfstoff so äußerlich die Infektion und bei einer schweren Infektion verhindert und mildert er schwere Verläufe bis hin zum Tod (OLG Koblenz ebd.).
270
2.2.1 Relevanzlos ist, ob der Bewertungsbericht zur Standardzulassung (K 48) diesen Effekt postulierte und inwieweit sie sich überhaupt zu dem Nutzen noch verhielt:
271
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis war nämlich bereits in einem (ersten) „Bewertungsbericht EMA 707383/2020 in der Korrekturfassung vom 19.2.2021“, d.h. vor der bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020, ausführlich erörtert und als positiv bewertet worden.
272
Änderte sich die Betrachtung und Bewertung des Nutzens im Hinblick auf die Gesamtheit der Betroffenen und im Hinblick auf einzelne betrachtete Risikogruppen im Ergebnis zum Ausgangsbericht nicht, so bedurfte es im Bewertungsbericht vom 15.9.2022 (K 48) dazu auch keiner weiteren Ausführungen. Zu betrachten waren dann dort nur neu hinzukommende Risiken und die Entwicklung zuvor bereits erkannter Risiken sowie das Verhältnis zwischen dem unverändert bewerteten Nutzen und den neu oder erstmals zu bewertenden Risiken. Dies führte im vorliegenden Fall zu der fortbestehen positiven Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses.
273
2.2.2 Soweit der nochmals spätere Bewertungsbericht vom 30.8.2023 (K 59) den Akzent nicht auf besonders schwere Verläufe legt, sondern [an einer Stelle, die sich mit der Entstehungsgeschichte beschäftigt (Seite 4) ] von der seinerzeit bezweckten „Vorbeugung“ spricht, entwertet das nicht die These vom Schutz vor schwerer Erkrankung und vom unverändert positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis (Seite 27/28).
274
Schlicht falsch, weil selbstwidersprüchlich ist es, soweit die Berufungsbegründung an dieser Stelle behauptet, Studien zu besonders schweren Verläufen gebe es auch sonst nirgends: Sie berichtet an anderer Stelle (siehe oben) selbst von der israelischen Hospitalisierungsstudie K 72, und die Hospitalisierung steht für einen besonders schweren Verlauf: Nur dieser zwingt zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus.
275
2.2.3 Dass die EMA in einem „Interessenkonflikt“ stünde, kann die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, dass die Kommission im Vertrag mit „dem Impfstoffhersteller“ (BB S. 16, K 24) ausdrücklich „anerkannt“ hätte, dass dessen Bemühungen, einen Impfstoff zu entwickeln und herzustellen, ihrer Art nach anspruchsvoll (oder „ehrgeizig“) wären und „bedeutende Risiken und Unsicherheiten“ bärgen, und mit Blick darauf vor dem Hintergrund, dass Langzeitstudien fehlten, einen Haftungsausschluss zugestanden hätte.
276
Es begründet keinen Interessenkonflikt der Behörden, wenn der Kläger der Ansicht ist, ohne Langzeitstudien hätte man den Impfstoff nicht vorläufig zulassen dürfen, sondern 8 – 10 Jahre damit warten sollen. Die Entscheidung zwischen Entwicklungssicherheit (Stichwort: „8 bis 10 Jahre“) und Schnelligkeit (Stichwort: „Epidemie und Kollaps der Gesundheitssysteme“) begründet keinen „Interessenkonflikt“, sondern stellt einen Zielkonflikt dar. Den haben die Behörden vertretbar entschieden, wie sich insbesondere nachträglich zeigt.
277
Die – notwendigerweise – fehlenden Langzeiterfahrungen bedeuteten selbstverständlich ein besonders hohes Risiko, das aber überwogen wurde durch den Nutzen, namentlich für die Allgemeinheit.
278
Die Symptome des Klägers mögen – die Vorerkrankungen probehalber hinweg gedacht – teilweise als „typische Langzeitfolgen“ entweder einer Impfung oder der vom Kläger durchgemachten Covid-Infektion verständlich sein. Das führt indessen nicht zum Erfolg der Berufung.
279
2.2.4 Davon abgesehen kann der Haftungsausschluss auch nicht als Indiz dafür gesehen werden, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis als negativ gesehen worden wäre:
280
Dass die Entwicklung als „anspruchsvoll“ oder „ehrgeizig“ besonders „anerkannt“ wurde, versteht sich bereits vor dem Hintergrund, dass ex ante denkbar erschien, der Impfstoff könnte hernach möglicherweise aufgrund von Unwägbarkeiten „in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Herstellung aufgrund von technischen, klinischen, behördlichen oder Herstellungs-, Versand-, Lager- oder sonstigen Problemen oder Fehlern“ nicht zugelassen werden – weshalb die Entwicklung ein wirtschaftliches Risiko für den Hersteller war.
281
Zudem hatte zu dem Zeitpunkt der Erstellung des Vertrags im Juni 2020 eine umfassende Überprüfung des Impfstoffs noch nicht stattgefunden, so dass auch aus diesem Grund mit der von der Klägerin zitierten Wendung kein Zugeständnis eines die Nutzen überwiegenden Risikos des Impfstoffs abgegeben werden sollte (OLG Koblenz, a.a.O.).
282
Entgegen der Berufungsbegründung taugt der Haftungsausschluss (als Haftungsübernahme der EU-Mitgliedsstaaten in K 24 Abschnitt 1 Ziffer 12) auch sonst nicht als Indiz für die Annahme des Klägers, die Beklagte habe im Zeitpunkt K 24 „erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Ungefährlichkeit des eigenen Impfstoffes gehabt“:
283
Er beruht ersichtlich auf der Besonderheit, dass die Risiken weniger gut einschätzbar waren als es der Fall gewesen wäre, wenn man Zeit gehabt hätte, „in Ruhe“ einen Impfstoff zu entwickeln und zu erproben (Stichwort: „8 bis 10 Jahre“).
284
2.2.5 Die Kommission mag unter „Zeitdruck“ gestanden haben. Dieser wurde aber im wesentlichen durch die pandemische Lage und den drohenden und in Teilen des Unionsgebiets bereits eingetretenen Kollaps der Gesundheitssysteme verursacht.
285
Kein nennenswerter Beitrag zum Zeitdruck kann darin gesehen werden, dass der Vertrag mit der Beklagten eine Frist für die Zulassungserteilung enthielt, bei deren erfolglosem Ablauf die Beklagte (und nicht nur sie) hätte kündigen können. Im übrigen ist der Zeitdruck kein Indiz dafür, dass eine Entscheidung damals oder nachträglich falsch gewesen sein müsste. Zeitdruck lässt nicht auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis schließen.
286
Zudem kann nicht festgestellt werden, dass in dem Vertrag überhaupt Druck auf die Kommission aufgebaut worden wäre, um möglichst schnell eine Zulassung des Impfstoffs zu erwirken: Zum einen brauchte die Kommission die Zulassung des Impfstoffs nicht bei einem Dritten zu erwirken, sondern konnte hierüber selbst entscheiden. Zum anderen kann bei der Kündigungsregelung eine zeitliche Drucksituation nicht erkannt werden, zumal die Regelung eine Kündigungsmöglichkeit auch für die Kommission vorsah, wenn die Zulassung nicht bis zum 15.08.2021 – mithin rund 14 Monate nach Erstellung des Vertrags – hätte erteilt werden können. Angesichts der bereits am 21.12.2020 erteilten bedingten Zulassung ist nicht ersichtlich, dass die Regelung einer Kündigungsmöglichkeit ab dem 15.8.2021 zeitlichen Druck auf die Kommission ausgeübt haben könnte (OLG Koblenz, a.a.O.).
287
2.2.6 Keinen Erfolg kann die Berufung haben, soweit der Kläger meint, der Senat müsste Sachverständigenbeweis zum Nutzen-Risiko-Verhältnis auch deshalb erheben, weil ein Fachartikel von McKernan et al. (K 63) Erkenntnisse aufgezeigt habe:
288
Der Kläger versteht McKernan et al. dahin, dass der vertriebene Impfstoff nicht in allen Stücken dem geprüften entspräche (K 63), sondern DNA-Rückstände enthielte, Membranschäden verursachen könnte (C 3) und in irgendeinem Umfang verunreinigt wäre (K 42 S. 31, Ziffer 2.2.4), während das PEI die Reinheit nur visuell kontrollierte (C 4).
289
Der Kläger referiert sodann bereits selbst, dass das PEI (PEI) auf den kritischen Artikel von McKernan et al. (K 63) u.a. mit dem Gegeneinwand eingegangen wäre, dass die DNA-Rückstände keinen Zusammenhang mit Nebenwirkungen hätten.
290
Der Vortrag des Klägers zur Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA stellt das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht in Frage:
291
Der Kläger (BB S. 20 ff) legt nicht dar, welche Auswirkungen die behauptete Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA auf die Gesundheit der Impflinge gehabt haben soll.
292
Offen bleiben kann, ob der Kläger zum Thema „Verunreinigung des Impfstoffs“ auch die von ihm angesprochenen Spikeproteine rechnet, die in den Impfstoffen enthalten sind und ebenso Gefäßschäden verursachen können (BB S. 20), wie es die Spikeproteine des Erregers bei einer Covid-19-Infektion tun: Der Kläger behauptet ja nicht, einen Gefäßschaden durch die Impfung erlitten zu haben.
293
Auch dass die bei der streitgegenständlichen Impfung verwendete Charge des Impfstoffs mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen wäre, behauptet der Kläger nicht; dafür gäbe es auch keinen Anhaltspunkt.
2.2.7 Soweit die Berufungsbegründung stichwortartig auf einen Bericht von Frau Prof. Dr. K. und anderen (C 5 S. 2) zu sprechen kommt, der auf einen Beitrag des Senders MDR vom 12.12. 2023 Bezug nimmt, und selbst schon schildert, dass der Sender diesen aus seiner Mediathek gelöscht hat, weil er journalistischen Standards nicht entsprochen hatte, liegt hierin kein Anhaltspunkt für ein verunreinigungsbedingt negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis:
294
Der Sender hat den Beitrag vom 12.12.2023 „zerrissen“ (so C 5 S. 2), also als falsch widerrufen. Anhaltspunkte dahin, dass gerade der Kläger eine mit Fremd-DNA verunreinigte Impfdosis erhalten hätte, gibt es daher ebensowenig wie dafür, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs chargenabhängig unterschiedlich zu bewerten wäre.
295
Ob die Untersuchungen der die Verunreinigung beschreibenden Frau Prof. Dr. K. (BB S. 21, C 5 S. 3 ff) den wissenschaftlichen Standards entsprachen, auf die das PEI in seinen Gegeneinwänden hinweist, bleibt offen. Die behördliche Entscheidung im Sinne eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses lässt sich so nicht in Frage stellen.
296
2.2.8 Keinen Erfolg hat auch der in der Berufung erhobene Angriff, dass die Beklagte den Impfstoff in zwei unterschiedlichen Verfahren herstelle („process 1“ für die klinische Prüfung ./. „process 2“ für den Markt), die sich darin unterschieden, woher die verwendete DNA stamme, die als Vorlage für die enzymatische In-vitro-Herstellung der mRNA diene. Der Kläger kritisiert, die Bevölkerung werde „praktisch ausschließlich“ (BB S. 19) mit Impfstoff des „process 2“ geimpft, obwohl lediglich der Impfstoff des „process 1“ durch die Europäische Arzneimittelagentur geprüft werde.
297
Dies ist indessen kein Argument gegen eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz des Impfstoffs:
298
Der vom Kläger selbst vorgelegte „Assessment Report“ der EMA vom 19.2.2020 (BB S. 31, K 42 ganz am Ende) spricht die unterschiedlichen Verfahren offen an und befindet nach einer eingehenderen Analyse insbesondere der „Quellen“ (K 41 S. 27 ff, gestempelt als „K 41“): Die „Vergleichbarkeit dieser Verfahren“ beruhe „auf dem Nachweis vergleichbarer biologischer, chemischer und physikalischer Eigenschaften des Wirkstoffs und des Endprodukts“. Daraus geht in keiner Weise hervor, dass die beiden unterschiedlichen Herstellungsprozesse Bedenken begegneten.
299
Der Assessment-Report, deutsch „Bewertungsbericht“ (K 42 in den Anlagen zur Berufungsbegründung, dort gegen Ende „Entwicklung von Herstellungsverfahren“) besagt:
„Es wurde eine Sicherheitsrisikobewertung für potenzielle prozessbedingte Verunreinigungen im Wirkstoffprozess im Hinblick auf die Patientensicherheit durchgeführt. Die Quellen der Verunreinigungen werden ausreichend berücksichtigt. Die Strategie zur Bewertung des Sicherheitsrisikos umfasst den Vergleich der theoretisch ungünstigsten Konzentration von Verunreinigungen – unter der Annahme, dass diese nicht entfernt werden – mit den berechneten Schwellenwerten für Sicherheitsbedenken. Die Worst-Case-Werte der Restrohstoffe und Reagenzien aus dem Herstellungsprozess des BNT162b2-Wirkstoffs wurden so berechnet, dass sie deutlich unter den vorgegebenen Sicherheitsgrenzen liegen. Dies wird als akzeptabel angesehen.“
300
Trotz der bekannten unterschiedlichen Herstellungsprozesse und der Verunreinigungen kam der CHMP zu dem Ergebnis, die bedingte Zulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs wegen seines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses zu empfehlen.
301
Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch zweifelhaft, dass der Kläger (BB S. 20) auf den Artikel von McKernan et al. (“Sequencing of bivalent Moderna and Pfizer mRNA vaccines reveals nanogram to microgram quantities of expression vector dsDNA per dose“ = K 63) über die hohe Konzentration von DNA in einigen Impfdosen Bezug nimmt:
302
Die Autoren selbst (McKernan et al K 63 Seite 14) schränken die Aussagekraft ihrer Studie ein, weil die Herkunft der untersuchten Impfstofffläschchen unbekannt sei, da diese Fläschchen ihnen anonym per Post zugesandt worden seien; die Fläschchen seien auch ohne Kühlakkus angekommen, es sei aber bekannt, dass RNA schneller abgebaut werde als DNA, und es sei möglich, dass eine schlechte Lagerung zu einem schnelleren Abbau von RNA als DNA führe; außerdem sei bei allen Impfstoffen das auf dem Fläschchen angegebene Verfallsdatum überschritten gewesen, „was darauf hindeutet, dass weitere Arbeiten erforderlich sind, um die DNA-zu-RNAVerhältnisse in frischen Chargen zu verstehen“.
303
Hier setzt auch die von der Berufungsbegründung (BB S. 21/23) bereits angesprochene Gegenkritik des PEIs an, das an den „häufig zitierten Preprint-Veröffentlichungen von McKernan et al. (April 2023) und Speicher et al. (Oktober 2023)“ beanstandete, es fehlten „ausreichende Angaben, ob die genannten Bedingungen eingehalten wurden, sowie Angaben zur Nachvollziehbarkeit der gewählten Methodik“ (OLG Koblenz ebd).
304
2.3 Das Landgericht unterschätzt auch nicht die Nebenwirkungen.
305
Auch bei der Beurteilung des Risikos bleiben die Betrachtungen des Landgerichts richtig, und zwar selbst dann, wenn man – anders als das Landgericht – den Zulassungsentscheidungen keine Tatbestandswirkung zuschreibt.
2.3.1 Das Landgericht sieht bei der Betrachtung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses (LGU S. 19/20) als Prämisse an, dass bloße Verdachtsfälle nicht mit tatsächlichen Nebenwirkungen gleichzusetzen sind. Diese Prämisse ist richtig.
306
Auch die Berufungsbegründung (BB S. 15) billigt diese Prämisse erst einmal ausdrücklich als richtig, zieht daraus aber nicht die gebotenen Konsequenzen, sondern scheint zu meinen, das Landgericht hätte diese Prämisse beiseiteschieben sollen mit der [aus der Luft gegriffenen] Begründung, Ärzte und Patienten hätten viel zu selten Verdachtsmeldungen erstattet, und man müsse „die üblichen Dunkelziffern“ hinzurechnen.
307
Dem ist nicht zu folgen. Die „Hinzurechnung“ irgendwelcher „Dunkelziffern“ wäre nämlich gleichbedeutend damit, doch wieder bloße Verdachtsmeldungen ausreichen zu lassen. Genau das schlägt die Berufungsbegründung anschließend vor, womit sie die o.g. Prämisse endgültig verlässt. Dass „gerade bei einer Fatigue-Erkrankung eine unmittelbare Kausalität zu Beginn nur schwer festzustellen“ ist, rechtfertigt den Dunkelziffer-Ansatz nicht.
308
In die Bewertung der Risiken eines Impfstoffs im Verhältnis zu seinem Nutzen können vielmehr allein diejenigen Nebenwirkungen einbezogen werden, die den Zulassungsbehörden über eine Meldung bekannt werden. Bei der behördlichen Entscheidung über die Zulassung eines Impfstoffs verbietet sich jede Spekulation über lediglich potentielle Nebenwirkungen, deren Schwere und deren Anzahl. Daher muss die vom Kläger reklamierte „Dunkelziffer“ an unerwünschten Nebenwirkungen bei der Entscheidung über die Zulassung außer Betracht bleiben. Ansonsten wäre einer manipulativen Bewertung Tür und Tor geöffnet (OLG Koblenz, a.a.O.).
309
2.3.2 Dass noch nicht sämtliche Nebenwirkungen erforscht seien (BB S. 33), ermöglicht nicht die vom Kläger angestrebte Folgerung, dass die Risiken – bei gebotener Gesamtbetrachtung aller seltenen oder häufigen Nebenwirkungen (BB S. 32) – unvertretbar wären (BB S. 33).
310
Wenn die jetzt behaupteten gesundheitlichen Beschwerden des Klägers im Zeitpunkt der Zulassung „ganz offensichtlich nicht bekannt“ gewesen sind, bedeutet das nicht, dass sie durch die Impfung hervorgerufen sind.
311
Es kann daher nicht kurzerhand postuliert werden, dass die Zulassung zu versagen gewesen wäre, wenn die Behörde diese Beschwerden des Klägers gekannt hätte. Das gilt auch für sonstige Beschwerden, die unter dem vorläufigen Sammelbegriff „PostVac-Syndrom“ benannt werden.
312
2.3.3 Die in K 52 (“5.3.6 Cumulative Analysis of post-authorization adverse event Reports of PF-07302048 (BNT162B2) received through 28-FEB-2021“) analysierten Nebenwirkungen mögen vielfältig und für den Betroffenen auch „verheerend“ sein (BB S. 33).
313
Mit dem Hinweis hierauf stellt die Berufungsbegründung aber zum einen keinen Bezug zu den Gesundheitsbeschwerden des Klägers her, zum anderen verfehlt sie den kollektiven Fokus des Nutzen-Risiko-Verhältnisses:
314
Die ermittelten Risiken und der nachgewiesene Nutzen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Dabei gilt: Je besser der therapeutische Nutzen und je schwerwiegender die Erkrankung ohne Impfung, desto eher können auch gravierende schädliche Wirkungen akzeptiert werden (OLG Koblenz, a.a.O.).
315
Das heißt: Risiken für den Einzelnen lassen sich nicht gänzlich ausschließen und werden hingenommen, wenn der Nutzen bezogen auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender in der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher ausfällt. Das Landgericht hatte daher keinen Anlass, auf K 52 näher einzugehen.
316
2.3.4 Nicht nachzugehen brauchte das Landgericht der Behauptung des Klägers, das Spike-Protein (nicht nur des Erregers, sondern auch) des Impfstoffes wirke toxisch (K 60, K 61):
317
Der Kläger entnimmt diese Aussage den Darstellungen von Fachleuten – in den auf englisch verfassten Artikeln „Toxicity of SARS-CoV 2 Spike Protein from the Virus and Produced from COVID-19 mRNA or Adenoviral DNA Vaccines“ (K 60) und „'Spikeopathy':- COVID-19 Spike Protein Is Pathogenic, from Both Virus and Vaccine mRNA (K 61).
318
Im einzelnen gilt hierzu:
319
2.3.4.1 Nicht verfangen kann es, soweit die Berufungsbegründung behauptet, das Landgericht habe im Ersturteil auf Seite 14 die Thesen aus K 60 und K 61 als „nicht erwiesen“ bezeichnet.
320
Eine solche Aussage steht indessen so schon nicht im Ersturteil; hier liegt wohl eine Verwechselung mit einem anderen Verfahren vor.
321
Darum, dass die Toxizitäts-These „nicht erwiesen“ sei, ging es im Begründungszusammenhang des Landgerichts auch nicht, weshalb das Landgericht auch nicht gehalten war, zu der Toxititäts-These Sachverständigenbeweis anzuordnen.
322
Vielmehr verdeutlicht das im hiesigen Berufungsverfahren angegriffene Ersturteil (LGU S. 15) dass das Landgericht „keine hinreichenden Anhaltspunkte“ für die Annahme sieht, die europäischen Behörden hätten bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen, bei deren Beachtung sie zu einer negativen Nutzen-Risiko-Relation hätten kommen müssen.
323
Damit ist mit Blick auf die Toxizitäts-These lediglich ausgesagt, dass die Meinungen in den – erst in der Berufung deutsch vorgelegten – Aufsätzen K 60 und K 61 solche Anhaltspunkte nicht liefern. Das tun sie auch nicht:
324
(1) Der Aufsatz K 60 legt die spezifischen Gefahren des Spike-Proteins bei einer Covid-Infektion dar (Stichwort: „Zytokoin-Sturm“) und sieht ein ähnliches Gefahrenpotenzial im Grundsatz auch bei das Spike-Proteinen in Impfstoffen. Er fordert weitere Beobachtung und Forschung, postuliert aber nirgends, dass die Impfung wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses unterbleiben müsse.
325
(2) Der Aufsatz K 61 ist 2023 veröffentlicht und postuliert, „dass Kliniker in allen Bereichen der Medizin auf die verschiedenen möglichen Erscheinungsformen von COVID-19-impfstoffbedingten Erkrankungen, sowohl akuter als auch chronischer Art, und auf die Verschlimmerung bereits bestehender Erkrankungen achten müssen“ – was in den Augen des Senats allseitigem Verständnis entspricht.
326
Die Autoren „plädieren auch für die Aussetzung von COVID-19-Impfstoffen auf Genbasis und Lipid-Nanopartikel-Trägermatrizen sowie von anderen Impfstoffen, die auf mRNA- oder Virus-Vektor-DNA-Technologie basieren“. Das begründen sie damit, dass zwischenzeitlich (2023) ein „sicherer Weg“ zur Verfügung stehe, nämlich „die Verwendung von Impfstoffen mit erprobten rekombinanten Protein-, abgeschwächten oder inaktivierten Virus-Technologien“: Von denen gebe es „inzwischen viele für die Impfung gegen SARS-CoV-2“.
327
Für die Annahme, dass im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung bessere Impfstoffe zur Verfügung gestanden hätten als das dem Kläger verabreichte Präparat, liefert der Beitrag keine Anhaltspunkte, ebensowenig für die Annahme, die streitgegenständliche Impfung hätte wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses unterbleiben müssen.
328
2.3.5 Gleiches gilt, soweit die Berufungsbegründung (BB S. 34/35) dem Landgericht anlastet, Artikel eines Dr. P. und eines Dr. F. (BB S. 35 [beide ohne Anlagen-Benennung]) nicht erörtert, sondern damit abgetan zu haben, dass sie aus Online-Magazinen stammen.
329
Das Ersturteil enthält bereits keine solche Erwägung; das Wort „online-Magazin“ kommt im hier angegriffenen Ersturteil nicht vor. Der Berufungsangriff scheint auch hier einer Verwechslung mit einem anderen Verfahren aufgesessen zu sein.
330
Im übrigen gilt auch hier:
331
Das Landgericht (LGU S. 14) führt lediglich aus, es sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, bei deren Beachtung sie zu einer negativen Nutzen-Risiko-Relation hätten kommen müssen.
332
Wo und wie der Kläger das Landgericht mit welchen Aussagen eines Dr. P. oder Dr. F. konfrontiert habe, lässt die Berufungsbegründung nicht erkennen. Der Senat findet in den Anlagen zur Berufungsbegründung auch keine Spur zu diesen beiden Autoren. Die „Berufungsrüge Pohl-Freisleben“ ist daher unverständlich und scheint nicht aufs Ersturteil zugeschnitten.
333
Gleichwohl ist der Senat eher zufällig immerhin auf einen Text des Hausarztes Dr. F. gestoßen, als er auf der Suche nach einem anderen Dokument in den wenig strukturierten Anlagen die Datei K 44 öffnete: Dort schildert Herr Dr. F. die letztlich tödlich verlaufene Sinusvenenthrombose eines Patienten und die persönlich erlebten Probleme im Umgang mit seltenen Nebenwirkungen. Wie dadurch die Bewertung des Landgerichts, betreffend das kollektive Risiko-Nutzen-Verhältnis, in Frage gestellt werden soll, erschließt sich gleichwohl nicht.
334
2.3.5 Die Berufungsbegründung vermag aus der Erwägung, dass die Langzeitfolgen noch nicht abschließend bewertet werden können, nicht schlüssig herzuleiten, warum es deshalb falsch sein soll, zur Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses die nachgewiesenen Impfschäden (und nur diese) zu beobachten und in absoluten Zahlen mit der Anzahl der Impfungen zu vergleichen.
335
2.4 Soweit der Kläger „ergänzend“ eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 1 lit a AEUV anregt, ist dem nicht zu folgen:
336
Die vom Kläger vorgeschlagene „Vorlagefrage“, „ob die Beurteilung des Nutzen-Risikos ermessensfehlerfrei ist und keine ermessensfremden Erwägungen miteinbezogen wurden“ und „ob eine Vereinbarkeit mit der europäischen Verordnung (RG) 726/2004 und der Grundrechtecharta vorliegt“, betrifft weder die Auslegung der Verträge (Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV) noch die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (vgl. Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV). Die Gültigkeit der Zulassungsentscheidung besteht mangels Widerrufs (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004) unverändert fort (OLG Koblenz ebd).
337
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist Tatfrage, was jedoch entgegen der Berufungsbegründung nicht bedeutet, dass dazu ein Sachverständigengutachten nötig wäre.
338
2.5 Vielmehr ist das Landgericht zutreffend – und unabhängig von der Frage einer Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidungen – zu der Annahme gelangt, dass die Bewertungen der Expertengremien (gleichsam als antizipierte Sachverständigengutachten) die Wertung eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses tragen (OLG Koblenz, a.a.O.):
339
2.5.1 Dem Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 10.10.2022 lag die Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) vom 15.9.2022 (K 48) zugrunde.
340
Aus ihr geht hervor, dass der Beklagten seit der bedingten Marktzulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs am 21.12.2020 verschiedene „Spezifische Verpflichtungen“ (abgekürzt: „SV“) auferlegt worden waren (vgl. Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Diese werden in dem Bericht des CHMP ausführlich dargestellt.
341
Der Ausschuss hält dazu fest, dass zu sämtlichen Spezifischen Verpflichtungen neue Daten fristgerecht und als annehmbar zur Erfüllung der Verpflichtungen vorgelegt worden seien. Die allgemeine Schlussfolgerung zu den Spezifischen Verpflichtungen (Ziffer 2.3 des Berichts = K 48 S.13) lautet:
„(…) Das klinische Unbedenklichkeitsprofil sowie die Wirksamkeit dieses Produkts werden als umfassend charakterisiert und unterstützen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. (…)“
342
Unter Ziffer 6.2 (K 48 S. 32) führt der CHMP zum Nutzen-Risiko-Verhältnis aus, dass die neuen Daten keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs in der zugelassenen Indikation hätten, sondern vielmehr das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigten. Weiter steht in dem Bericht (K 48 S. 34):
„Unsicherheiten und Einschränkungen in Bezug auf ungünstige Auswirkungen:
Die Unsicherheiten und Einschränkungen ungünstiger Auswirkungen wurden bereits in weiteren Verfahren erörtert. Die Hauptunsicherheiten betreffen die langfristigen Auswirkungen und die Auswirkungen bei bestimmten Risikogruppen.
Nutzen-Risiko-Bewertung und Erörterung:
Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt (…).
Bedeutung von günstigen und ungünstigen Auswirkungen:
Nutzen-Risiko-Verhältnis:
Auf der Grundlage des kumulativen Nachweises für günstige und ungünstige Auswirkungen bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty positiv.“
343
Unter Ziffer 7 (K 48 Seite 35) empfiehlt der CHMP sodann Folgendes:
Auf der Grundlage der Überprüfung der verfügbaren Informationen über den Stand der Erfüllung der spezifischen Verpflichtungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Comirnaty in der zugelassenen Indikation (siehe Zusammenfassung der Produktmerkmale) weiterhin günstig. Da sämtliche spezifischen Verpflichtungen entweder erfüllt oder in Studien der Kategorie 3 des RMP umgestuft wurden, liegen keine Gründe mehr vor, die Marktzulassung an Bedingungen zu knüpfen, und der CHMP empfiehlt daher die Erteilung einer Standardgenehmigung für die Marktzulassung von Comirnaty, die keinen spezifischen Verpflichtungen unterliegt.“
344
2.5.2 Das PEI (PEI) hat in einer Stellungnahme vom 10.10.2022 (B4) mitgeteilt, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA für den Impfstoff der Beklagten und einen weiteren mRNA-Impfstoff eines anderen Herstellers die Umwandlung der bedingten Zulassung in eine unbedingte Zulassung empfohlen habe.
345
Aus den für beide Impfstoffe bestehenden Verpflichtungen, Ergebnisse aus den laufenden klinischen Prüfungen vorzulegen und zusätzliche Daten über die pharmazeutische Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts im Hinblick auf den geplanten enormen Produktionsanstieg zu liefern, seien umfangreiche Daten gewonnen worden. Zusätzliche Studien, einschließlich unabhängiger, von den EU-Behörden koordinierter Studien, hätten weitere Daten zu wichtigen Aspekten geliefert, z. B. dazu, wie gut die Impfstoffe schwere COVID-19-Erkrankungen verhinderten. Darüber hinaus hätten die Unternehmen alle angeforderten zusätzlichen Daten zur pharmazeutischen Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts vorgelegt.
346
Insgesamt seien seit der Einführung dieser Impfstoffe mit Hunderten von Millionen verabreichten Dosen umfangreiche Daten gewonnen worden. In Anbetracht der Gesamtheit der verfügbaren Daten würden die spezifischen Verpflichtungen nicht mehr als ausschlaggebend für das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffprodukte angesehen werden. Damit sei der Weg frei für den Übergang von einer bedingten Zulassung zu einer Standardzulassung.
347
Den von der Klägerin selbst vorgelegten Mitteilungen des PEIs über bis zum 31.7.2021 (K 35) bzw. bis zum 31.3.2022 (K 36) in Deutschland gemeldete „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen“ ist – wenn man die ausführlichen Untersuchungen in einem Satz zusammenfassen mag – kein valides Risikosignal zu entnehmen.
349
Sowohl der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (= CHMP) als auch das PEI gelangen auf der Basis aller bis dahin bekannten und gemeldeten Nebenwirkungen und Impfkomplikationen auf sachverständiger Ebene (dazu nachfolgend) zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Erteilung der Standardzulassung für den streitgegenständlichen Impfstoff am 10.10.2022 das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv war.
350
Das bei der vorläufigen Zulassung erwartete positive Nutzen-Risko-Verhältnis bestätigt sich hierin.
351
Durch die am 31.8.2023 erfolgte Zulassung des auf die COVID-19-Subvariante Omikron XBB. 1.5 angepassten Impfstoffs der Beklagten durch die Europäische Kommission wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis erneut bestätigt. Über die Empfehlung des CHMP zur Zulassung berichtet die EMA in ihrer Meldung vom 30.8.2023 (Anlage B 1).
352
Die am 21.12.2020 erteilte bedingte Zulassung ist damit weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004), sondern in eine unbedingte Zulassung umgewandelt worden. Auch danach ist die Verwendung des Impfstoffs nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Die unbedingte Zulassung vom 10.10.2022 ist bis zum heutigen Zeitpunkt ebenfalls weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden. Vielmehr hat die Europäische Kommission am 31.8.2023 auch den auf die COVID 19-Subvariante Omikron XBB. 1. 5. angepassten Corminaty-Impfstoff zugelassen.
353
2.5.4 Die Organe der EMA und das PEI sind medizinisch-pharmazeutische und damit wissenschaftliche Fachgremien (nicht: politische Gremien im Wortsinne).
354
Die Entscheidungen der Europäischen Kommission zur bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020 und zur unbedingten Zulassung am 10.10.2022 basieren auf Empfehlungen der EMA, die wiederum ein Gutachten zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs eingeholt hat (Art. 14-a Abs. 3, 4 und 8 Verordnung (EG) 726/2004).
355
Die Europäische Arzneimittelagentur hat nach Art. 56 Verordnung (EG) 726/2004 verschiedene Organe. Zu diesen Organen gehören (a) nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet, sowie (b) nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) aa) der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), der zuständig ist für Empfehlungen an den CHMP und die Koordinierungsgruppe in allen Fragen, die Pharmakovigilanz-Tätigkeiten in Bezug auf Humanarzneimittel sowie Risikomanagement-Systeme betreffen, und für die Überwachung der Effektivität dieser Risikomanagement-Systeme.
356
Der PRAC, also der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, setzt sich gemäß Art. 61a der Verordnung (EG) 726/2004 aus Vertretern aus allen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), wissenschaftlichen Experten, Vertretern der Heilberufe und Vertretern der Patientenorganisationen zusammen. Die Ernennung der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz erfolgt gemäß Art. 61a Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) 726/2004 „auf der Grundlage ihres einschlägigen Fachwissens in Pharmakovigilanz-Angelegenheiten und in der Risikobeurteilung von Humanarzneimitteln, um höchste fachliche Qualifikationen und ein breites Spektrum an einschlägigem Fachwissen zu gewährleisten.“
357
Im CHMP, dem Ausschuss für Humanarzneimittel, ist gemäß Art. 61 der Verordnung – wie auch im PRAC – jeder Mitgliedsstaat mit einem mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Mitglied vertreten. Ferner können sich die Mitglieder des Ausschusses für Humanarzneimittel gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung 726/2004 von Sachverständigen aus speziellen Bereichen von Wissenschaft oder Technik begleiten lassen.
358
Das Pendant der EMA auf Bundesebene ist das PEI (kurz: PEI; § 77 Abs. 2 AMG). Das PEI ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen.
359
Daneben ist das PEI eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das PEI weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen (OLG Koblenz ebd mwN).
360
Diese Institutionen und ihre Arbeitsebenen sind keine politischen Gremien. Ihre Empfehlungen und Entscheidungen orientieren sich nicht an politischen Interessen, auch wenn Grundlage der Einrichtung der Europäischen Arzneimittelagentur und ihrer Organe eine politische Entscheidung war, was insofern nicht verwundert, als nur dadurch eine in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anerkannte und handlungsfähige Institution wie die EMA geschaffen werden konnte.
361
2.5.5. Die Einschätzungen zur Arzneimittelsicherheit des CHMP, des PRAC und des PEI stehen also einer sachverständigen Begutachtung gleich, da bereits die gesetzlichen Vorgaben für deren Besetzung sie als sachverständige Stellen qualifizieren: Die Institutionen vereinen die widerstreitenden wissenschaftlichen Erfahrungen, Erkenntnisse, Sichtweisen und Hypothesen in sich und lassen diese in eine umfassende Nutzen-Risiko-Bewertung einfließen.
362
Die Bewertung der Experten von CHMP und PRAC und PEI, die selbst nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, bildet das größtmögliche Fachwissen für die hier zu entscheidende Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs ab. Hiervon geht erkennbar auch das Landgericht im angegriffenen Urteil aus.
363
CHMP, PRAC und PEI vermögen den Gerichten die notwendige Fachkenntnis zu vermitteln, um die Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs der Beklagten zu beurteilen (so im Ergebnis auch BVerwG 1 WB 2/22 = BeckRS 2022, 15743 Rn 138 ff):
364
Dass amtliche Auskünfte, wenn sie zugleich fachwissenschaftliche Informationen sind, einen Sachverständigenbeweis ersetzen oder entbehrlich machen können, ist nicht nur im Verwaltungsprozess anhand einer Gesamtwertung von § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 99 Abs. 1 Satz 1 sowie § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358 a Satz 2 Nr. 2 ZPO anerkannt (BVerwG, a.a.O., Rn. 139; OLG Koblenz, a.a.O.), sondern gilt ebenso (Musielak/Voit/Huber/Röß ZPO § 402 Rn. 7; Anders/Gehle ZPO, § 373 Rn. 34) im Zivilprozess, was bereits deshalb einleuchtet, weil § 286 Abs. 1 ZPO die Beweiswürdigung des Gerichts nicht an das Strengbeweisverfahren bindet.
365
Der Senat macht sich die zitierten Erkenntnisse der oben aufgeführten Expertengremien daher als Grundlage des vorliegenden Berufungsverfahrens zu eigen.
366
2.5.6 Vor dem erläuterten Hintergrund des maximalen Fachwissens in den Expertengremien ist auch nicht zu erwarten, dass die Begutachtung durch einen einzelnen Virologen oder Pharmakologen als Sachverständigen im hiesigen Einzelfall zu anderen Erkenntnissen führen würde.
367
Es läge fern und wäre geradezu lebensfremd anzunehmen, ein einzelner Sachverständiger könnte über weitere Quellen, eine größere Datengrundlage und umfangreicheres Wissen verfügen als die aus jeweils mindestens 27 Personen bestehenden genannten Expertengremien. Auch deshalb war das Landgericht nicht gehalten, seinerseits einen Sachverständigen zu beauftragen (OLG Koblenz, a.a.O.).
368
Der Kläger trägt nicht vor, über welches überlegene Wissen ein einzelner Sachverständiger verfügen könnte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich dessen Bewertung eines positiven oder negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht auf den Kläger individuell zu beziehen hätte, sondern auf die Gesamtheit der potentiellen Patientengruppe innerhalb der Europäischen Union.
369
2.5.7 Die richterliche Abwägung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG ist zwar nicht identisch mit der Abwägung zur prospektiven Zulassungsentscheidung der EU-Kommission, aber:
370
Erstens ist der Abwägungsvorgang jeweils im wesentlichen strukturgleich in der Gegenüberstellung von Nutzen und Risiko.
371
Zweitens stellen die durchgängig gleichlautenden Entscheidungen der oben genannten Expertengremien in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ein gewichtiges Indiz im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung (§ 25 Abs. 10 AMG) dar, ob eine ermessensfehlerhafte Bewertung auf europäischer Ebene bei der Zulassungsentscheidung vorlag – wenn man nicht schon von einer Tatbestandswirkung ausgehen will.
372
Die unstreitige Historie des Impfstoffs von seiner erstmaligen bedingten Zulassung bis zur Erteilung der Standardzulassung in der EU sowie der Zulassung des Impfstoffs für eine Virusvariante, die – auf ständig ergänzter Datengrundlage – jeweils nicht geändert, aufgehoben oder widerrufen wurden, lässt den Schluss zu, dass die nach der bedingten Zulassung bekannt gewordenen Fälle von Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündung, Gesichtslähmung, allergische Sofortreaktionen (Anaphylaxie) oder möglicherweise zum Tod führende Lungenentzündungen, wie sie etwa in dem vom Kläger herangezogenen Aufklärungsmerkblatt mit Stand 9.12.2021 (= K 25) aufgelistet sind, an der positiven Nutzen-Risiko-Abwägung der Expertengruppen nichts geändert haben.
373
2.5.8 Relevante medizinische Anhaltspunkte, die von den genannten Expertengruppen vor der Empfehlung für die Zulassung nicht berücksichtigt worden sein sollen und die gegen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis sprechen könnten, oder solche, die nach der Zulassung bekannt geworden sind und eine andere Zulassungsentscheidung begründet hätten, wären sie schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, trägt der Kläger nicht vor:
374
2.5.8.1 Das Fehlen von Langzeitstudien war bekannt und ist in die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses durch die Ausschüsse eingeflossen. Das ergibt sich aus dem Bewertungsbericht des CHMP vom 15.9.2022 indirekt daraus, dass die Beurteilung für die unbedingte Zulassung nur rund 21 Monate nach der Erteilung der außerordentlichen (bedingten) Zulassung erfolgte.
375
Das Fehlen von Langzeitstudien ist der bedingten Zulassung eines Arzneimittels nach Art. 14-a Abs. 1 Verordnung 726/2004 zudem immanent, denn dort ist geregelt, dass „in hinreichend begründeten Fällen (…) zur Schließung medizinischer Versorgungslücken für Arzneimittel, die zur Behandlung, Vorbeugung oder ärztlichen Diagnose von zu schwerer Invalidität führenden oder lebensbedrohenden Krankheiten bestimmt sind, eine Zulassung erteilt werden [kann], ehe umfassende klinische Daten vorliegen, sofern der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit des betreffenden Arzneimittels auf dem Markt das Risiko überwiegt, das sich daraus ergibt, dass nach wie vor zusätzliche Daten erforderlich sind.“
376
In Satz 2 heißt es weiter:
„In Krisensituationen kann eine Zulassung solcher Arzneimittel erteilt werden, selbst wenn noch keine vollständigen vorklinischen oder pharmazeutischen Daten vorgelegt wurden.“
377
Ergänzt wird diese Regelung durch Absatz 3, wonach Zulassungen nach Art. 14-a nur erteilt werden dürfen, wenn
„das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv ist und der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage ist, umfassende Daten bereitzustellen.“
378
Die von der Beklagten vorgelegten Daten aus klinischen und nicht-klinischen Studien waren für den CHMP und die EMA offensichtlich bereits zur Erfüllung der dargelegten Zulassungsvoraussetzungen für die bedingte Zulassung ausreichend, ebenso wie die Studiendaten zu den Speziellen Verpflichtungen nach der bedingten Zulassung des Impfstoffs für den CHMP hinreichend aussagekräftig waren, um den Nutzen des Impfstoffs im Verhältnis zu den bis dahin erkennbaren Nebenwirkungen einzuschätzen (siehe oben).
379
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis wird durch fehlende Langzeitstudien auch deshalb nicht in Frage gestellt, weil es bis heute nur bedingte Erkenntnisse betreffend Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion, insbesondere in Relation zu deren Schwere, gibt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Langzeitfolgen einer Erkrankung an COVID-19 weit schwerwiegender sind als die Risiken einer Impfung. Auch deshalb stellt das Fehlen von Langzeitstudien kein durchgreifendes Argument für ein den Nutzen überwiegendes Risiko des Impfstoffs dar.
380
Schließlich spricht der Umstand, dass der aus 27 Mitgliedern – einem aus jedem Mitgliedsstaat der EU – bestehende Ausschuss für Humanarzneimittel (§ 61 Abs. 1 Verordnung (EG) 726/2004) zu einem offensichtlich einstimmigen Ergebnis hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Abwägung gekommen ist, dafür, dass kein einziges Ausschussmitglied so erhebliche Bedenken gegen den Umfang der Daten, die Aussagekraft der Studien oder die Bewertbarkeit bzw. Verwertbarkeit der Ergebnisse hatte, dass in das Gutachten ein begründetes Sondervotum aufgenommen werden musste (§ 61 Abs. 7 Satz 2 Verordnung (EG) 726/2004).
381
2.5.8.2 Der überwiegende Nutzen des streitgegenständlichen Impfstoffs ist auch nicht damit in Zweifel zu ziehen, dass dieser insoweit kein „vollständiger“ ist, als er nicht hundertprozentig vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder vor einem schweren Verlauf der Erkrankung Covid-19 schützt. Beides war vor der bedingten Zulassung durch die EU-Kommission bereits bekannt und wurde von dieser hingenommen:
382
So bringt der Kläger selbst (BB S. 12) vor, dass es in dem Bericht der EMA vom 30.8.2023 (K 59) und dem vom 15.9.2022 (K 48) keine „weitergehenden Prüfungen“ gebe, sondern diese auf den ursprünglichen Bewertungsbericht für die bedingte Zulassung Bezug nahm. Allen drei Berichten gemeinsam ist sonach, dass die Behörden durchgängig von einer hohen Wirksamkeit des Impfstoffs (K 48 S. 32) ausgingen und die verbleibenden Unwägbarkeiten benannten, die mithin bereits vor Erteilung der bedingten Zulassung des Impfstoffs bekannt waren. Sie führten dennoch nicht zu der Annahme eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, vielmehr gab der CHMP übereinstimmend die Empfehlung für die bedingte Zulassung des Impfstoffs (OLG Koblenz ebd.).
383
In dem späteren Bewertungsbericht des CHMP vom 15.9.2022 über die Verlängerung der Marktzulassung (K 48) ist ausgeführt, dass die „verbleibenden Unsicherheiten“ sich hauptsächlich auf die Anwendung bei immungeschwächten Personen, die langfristige Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und z. B. die Wirksamkeit gegen die Übertragung bezögen (K 48 S. 33). Dementsprechend hat der CHMP in dem Bewertungsbericht festgehalten (K 48 S. 34):
„Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt.“
384
Danach sind der nicht absolute Schutz und die nicht in jedem Aspekt bekannte Wirksamkeit des Impfstoffs in die Abwägung des Nutzens zu den Risiken des Impfstoffs eingeflossen und hingenommen worden. Diese Aspekte können daher nicht im Nachhinein eine andere Entscheidung rechtfertigen.
385
2.5.8.3 Soweit die Berufungsbegründung darauf abhebt, dass vor der Zulassung weder Genotoxizitätsnoch Karzinogenitätsstudien durchgeführt wurden (BB S. 31), führt das ebenfalls nicht zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis.
386
Das Fehlen derartiger Studien war vor der Zulassung des Impfstoffs ebenfalls bekannt. Das ergibt sich aus dem Umkehrschluss dazu, dass der CHMP die Datenlage als qualitativ und quantitativ ausreichend bewertete, bevor er am 15.9.2022 die Zulassung empfahl (Anlage K 48).
387
Dass es im ersten Bewertungsbericht zur vorläufigen Zulassung anders gesehen worden wäre, bringt der Kläger nicht vor.
388
Im Bewertungsbericht vom 15.9.2022 (K 42 deutsch als Berufungsanlage) wird auf Seite 88 das Fehlen von Studien zur Genotoxizität ausdrücklich als „akzeptabel“ beschrieben, da es sich bei den Bestandteilen der Impfstoffformulierung um Lipide und RNA handele, bei denen kein genotoxisches Potenzial zu erwarten sei.
389
Das gilt ausweislich des Berichts auch für fehlende Studien zur Karzinogenität (K 42 S. 98, 100).
390
Dies führte dennoch nicht zur einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern gleichwohl zur Empfehlung der bedingten Zulassung (K 42 S. 228).
391
3. – Das Landgericht verneint zutreffend eine Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG:
392
Ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Gebrauchsinformation besteht nicht.
393
Das Berufungsvorbringen ist schon in sich kaum konsistent, denn einerseits behauptet der Kläger, die Beklagte hätte „hinreichend gesicherte Erkenntnisse“ darüber gehabt, dass die Impfung „zu den bei dem Kläger aufgetretenen Nebenwirkungen führen könne“, andererseits soll „dies wiederum“ nicht zutreffen (BB S. 36).
394
Soweit sich aus K 52 und K 53 sowie K 55 Verdachtsfälle ergeben sollen, die nicht als mögliche Nebenwirkungen in der Gebrauchsinformation und den Aufklärungsbögen auftauchten (BB S. 36), ist kein Bezug zu den vom Kläger beklagten Beschwerden erkennbar.
395
Davon zu trennen ist der Vorwurf, wonach die „Produktinformation“ – so der Kläger (LGU S. 6) ohne nähere Darstellung, auf welche Schriftstücke und Angaben er abstellt – schon damals „nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprochen hätte. Der Erkenntnishorizont kann nicht nach den späteren Ergebnissen der Pharmakovigilanz (K 52, K 53) beurteilt werden, wenn der Kläger darauf hinauswill, schon damals sei man weiter gewesen. Der Kläger legt nirgends dar, welche seiner Beschwerden die Beklagte ab wann als potenzielle Nebenfolge einer Impfung erkannt gehabt hätte, die auf welcher vom Kläger gelesenen „Produktinformation“ nicht enthalten gewesen wäre.
396
Das Landgericht musste im übrigen auch nicht annehmen, dass der Kläger von einer Impfung abgesehen hätte, wenn er ausdrücklich darauf hingewiesen worden wäre, dass die Faktenlage hinsichtlich erwiesener Nebenwirkungen nicht ausreichte, um den Impfstoff als sicher zu bezeichnen. Ein solcher „abstrakter“ (= völlig unspezifischer) Hinweis auf die Gefahr irgendwelcher denkbarer weiterer Erkrankungen wäre ohne Aussagekraft für den Impfling gewesen.
397
Keineswegs „Spekulation“ sondern im Ersturteil sorgfältig begründet ist die Annahme des Landgerichts, dass der Kläger sich hätte impfen lassen, wenn er in dem Umfang aufgeklärt worden wäre, wie er das aus heutiger Sicht für richtig hält. Er hat sich durch schwere Herzerkrankungen nicht schrecken lassen und sich für Nebenfolgen der streitgegenständlichen Impfung derart wenig interessiert, dass er sich trotz der nach der zweiten Impfung bereits aufgetretenen Beschwerden impfen ließ, ohne auch nur den Aufklärungsbogen zu lesen.
398
Sonach lediglich ergänzend ist anzumerken:
399
3.1 Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt – anders als nach Nr. 1, in dessen Rahmen lediglich zu prüfen ist, ob die Gesundheitsverletzung auf der unvertretbaren Wirkung des Arzneimittels beruht – eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss (a) auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und (b) zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein.
400
„Arzneimittelinformation“ im Gesetzessinne kann sein:
- Kennzeichnung (§ 10 AMG),
- Gebrauchsinformation (= Packungsbeilage, § 11 AMG) oder
– Fachinformation (§ 11a AMG).
401
Auf keine bestimmte Kategorie unter diesen dreien stellt der Kläger ab, soweit er von „Produktinformation“ spricht. Die Kennzeichnung meint er ersichtlich nicht.
402
Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung wäre nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
403
Der Kläger hätte somit darzulegen und zu beweisen, dass der – hier unterstellte – Schaden nicht eingetreten wäre, wenn die Fach- und Gebrauchsinformation erschöpfend und zutreffend gewesen wäre (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
404
3.2 Ein Ursachenzusammenhang zwischen der – unterstellten – fehlerhaften Fach- oder Gebrauchsinformation und den Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers scheidet im vorliegenden Fall bereits deshalb aus, weil der Kläger die Kausalität des behaupteten Informationsfehlers nicht schlüssig dargelegt hat.
405
Er hat die Gebrauchsinformation selbst nicht gelesen, jedenfalls ist dergleichen nicht vorgetragen – auch nicht, dass der Impfarzt die Fach- und/oder Gebrauchsinformation gelesen und in Kenntnis der dort aufgelisteten Risiken und in Abwägung mit den bei ihm bestehenden gesundheitlichen Gegebenheiten mit ihm das Für und Wider der Impfung erörtert hätte. Zumindest dies wäre aber im Falle einer Impfung, bei der der Patient das Arzneimittel in aller Regel nicht selbst anwendet, sondern von einem Arzt verabreicht bekommt, notwendig gewesen (OLG Koblenz ebd mwN). Die Gebrauchsinformation ist nicht der Aufklärungszettel, den der Impfling bekommt, sondern ein Text, der sich an den Fachmann (hier: den Impfarzt) wendet.
406
3.3 Auch einen Entscheidungskonflikt des Klägers musste das Landgericht nicht annehmen, d.h. diesem nicht glauben, dass er von der Impfung Abstand genommen hätte, wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, er könne impfbedingt diejenigen Beschwerden bekommen, die er nunmehr als impfursächlich behauptet.
407
Denn in dem Aufklärungsmerkblatt „Stand 9.12.2021“, das der Kläger selbst zu Beweiszwecken vorgelegt hat (K 25) ist auf erhebliche Risiken hingewiesen: Gesichtslähmung, allergische Reaktionen, anaphylaktischer Schock, auf Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen sowie auf mögliche „bisher unbekannte“ Komplikationen (K 25 Seite 5, rechte Spalte). Bei der vorangegangenen (zweiten) Impfung am 7.2021 hatte der Kläger kurz darauf am eigenen Leibe Panikattacken, Kribbeln in Armen und Beinen, Herzstechen und Herzstolpern, Schwindelgefühlen sowie Benommenheit und Missempfinden erlebt (LGU S. 3).
408
Nichts davon hielt den Kläger von der streitgegenständlichen Impfung ab.
409
Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Information und der behaupteten Gesundheitsbeschädigung des Klägers wäre nur zu bejahen, wenn die Gesundheitsverletzung bei ordnungsgemäßer Information „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vermieden worden wäre (OLG Koblenz a.a.O., m.w.N.).
410
Der Kläger hätte daher das Landgericht zumindest davon überzeugen müssen, dass er vor der Impfung noch einmal überlegt hätte, ob er sich mit dem Impfstoff der Beklagten impfen lassen wollte oder nicht, also: „ins Zweifeln geraten wäre“. Diese Überlegung entspräche der des sog. Entscheidungskonflikts in Arzthaftungssachen (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
411
Das war indessen vorliegend nicht anzunehmen. Der erkennbar „wild entschlossene“ Kläger ließ sich mit dem Impfstoff der Beklagten die dritte Dosis verabreichen. Dass andere Hersteller weniger problematische Impfstoffe angeboten hätten, auf die der Kläger hätte ausweichen mögen, ist weder vorgetragen, noch wäre es ersichtlich.
412
4. – Die Beklagte haften nicht nach § 823 Abs. 1 und § 826 BGB
413
4.1 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 aufgrund von Produkthaftung besteht nicht Der Vorwurf, das Produkt nicht ordentlich beobachtet zu haben oder (hilfsweise) die „Kennzeichnung“ nicht aktualisiert zu haben, verfängt nicht. Der Sachvortrag des Klägers geht ins Blaue und lässt offen, welche Erkenntnisse die Beklagte bei richtiger Beobachtung ab wann hätte gewonnen haben sollen und welchen Bezug das samt der „Kennzeichnung“ (die der Impfling regelmäßig nicht zu sehen bekommt) zu den behaupteten Schäden des Klägers habe.
414
Entgegen der Berufungsbegründung kann der Kläger nicht beweisen, dass seine Beschwerden sich erst „kurz nach dem Inverkehrbringen des Impfstoffs“ (meint: kurz nach der streitgegenständlichen Impfung) geäußert hätten, sondern hatte schon vorher dazu passende Diagnosen, siehe oben. Es gibt hier daher kein Indiz dafür, dass die Beklagte sie schon vorher als mögliche Nebenwirkungen hätte entdecken können (BB S. 39).
415
Stand Fatigue seit dem 14.7.2021 (K 68 S. 4) unter Beobachtung des CHMP in Form der Frage, ob man künftig in die Produktinformation des Impfstoffs Comirnaty mit aufnehmen solle, dass Asthenie (Energie- oder Kraftmangel), Lethargie (Teilnahmslosigkeit oder Inaktivität), Appetitrückgang und exzessiver Nachtschweiß mögliche, wenn auch „ungewöhnliche“ (weniger als 1 von 100) Folgeerscheinungen einer Impfung seien, so bedeutet das nicht, dass der Beklagten der Sammelbegriff „Fatigue“ oder die darunter zusammengefassten sehr verschiedenartigen Erscheinungen „bekannt“ gewesen wären mit der Folge, dass die Beklagte hierüber zu informieren gehabt hätte. Im Rahmen der Produkthaftung trifft den Hersteller des Produkts u.a. die Pflicht, über sicherheitsrelevante Eigenschaften zu informieren (Instruktionspflicht) und seine Produkte zu beobachten und ggf. die Nutzer zu warnen oder gar das Produkt zurückzurufen. Wann etwa eine Verpflichtung zur Warnung der Nutzer besteht, ist abhängig von der Höhe des drohenden Schadens und der Wahrscheinlichkeit, mit der das Produkt dafür ursächlich ist (MüKoBGB/ Wagner, 9. Aufl. 2024, § 823 Rn. 1119).
416
Dass die Beklagte ihre Instruktionspflicht verletzt hätte, indem sie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eine fehlerhafte Information über den Impfstoff erteilt hätte, ist vorliegend schon deshalb nicht feststellbar, weil der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Impfstoffs nicht feststeht.
417
Dass die Beklagte ihre Produktbeobachtungspflicht oder die Pflicht zum Produktrückruf verletzt haben könnte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden, da nicht ersichtlich wäre, wieso die Beklagte nach § 823 Abs. 1 BGB strenger haften sollte als nach § 84 Abs. 1 AMG.
418
Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch den beweisbelasteten Kläger. Bei Instruktionsfehlern wie auch bei der Verletzung von Produktbeobachtungs- und daran geknüpften Warnpflichten hängt die Haftung davon ab, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln „mit Sicherheit“ vermieden worden wäre; die bloße Wahrscheinlichkeit, dass der Geschädigte die Warnung befolgt hätte, genügt nicht (OLG Koblenz, a. a.O., m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass sein Impfarzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder sie selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hätte.
419
4.2 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG besteht nicht.
420
Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
421
Wie bereits oben ausgeführt, ist für die Annahme einer Bedenklichkeit im Sinne von § 5 AMG (ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG) die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.). Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall – bei ausreichender Datenlage – zugunsten der Nutzen des Impfstoffs aus, siehe oben.
422
Der Impfstoff der Beklagten ist demnach als unbedenklich einzustufen, so dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 5 AMG ohne Erfolg bleibt.
423
5. – Zutreffend hat das Landgericht eine Haftung nach dem ProdHaftG abgelehnt.
424
5.1 § 15 ProdHaftG sieht vor, dass die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden sind, wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt wird.
425
Bei dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff handelt es sich – was zwischen den Parteien unstreitig ist – um ein zum Gebrauch beim Menschen bestimmtes zulassungspflichtiges Arzneimittel, das in Deutschland, also im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) an den Kläger als Verbraucher abgegeben wurde. Dieser behauptet auch eine Verletzung seiner Gesundheit, so dass grundsätzlich die Regelungen des AMG vor denjenigen des ProdHaftG vorrangig sind.
426
5.2 Das Urteil des Landgerichts ist in diesem Punkt auch nicht rechtsfehlerhaft, wie die Berufung meint, weil das Landgericht sich nicht mit der Frage befasst habe, ob § 15 ProdHaftG europarechtskonform ist oder der RL 85/374/EG widerspricht:
427
Vor dem Hintergrund des eindeutigen Votums des Generalanwalts beim EuGH vom 11.6.2014 (Rechtssache C-310/13, in BeckRS 2014, 80985, Rn. 28 ff, 34), dem der Gerichtshof selbst nicht widersprochen hat, geht der Senat von einer Richtlinienkonformität des § 15 Abs. 1 ProdHaftG aus.
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Hierzu kann sich die berufungsführende Seite, soweit noch beabsichtigt, äußern bis zum 10.12.2024.
429
Die Berufungsgegnerin braucht vorerst nicht zu erwidern.
430
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).