Inhalt

VG München, Urteil v. 01.07.2024 – M 30 K 22.4912
Titel:

Erfolglose Klage des bayerischen Landesverbands der Partei "Alternative für Deutschland" gegen seine Beobachtung durch den dortigen Verfassungsschutz

Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1
BayVSG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 5a Abs. 1, Art. 6, Art. 8
Leitsätze:
1. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz durfte und darf auch weiterhin die AfD als Gesamtpartei beobachten und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen und die Beobachtung öffentlich bekanntmachen. (Rn. 38 – 393) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung der Menschenwürde richten, ergeben sich – jeweils selbständig tragend – aus der Zielsetzung, Deutsche mit Migrationshintergrund menschenwürdeverletzend auszugrenzen sowie aus Äußerungen in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens. (Rn. 83 – 205) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegen zudem – selbständig die Beobachtung tragend – hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips vor, die sich bereits aus der Befürwortung eines gewaltsamen Umsturzes, um den gewünschten „Kurswechsel“ zu erreichen, ergeben. (Rn. 206 – 252) (redaktioneller Leitsatz)
4. Mit den Umsturzphantasien geht überdies eine fortgesetzte Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staates und gegen die demokratischen Parteien einher. (Rn. 253 – 315) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Partei „Alternative für Deutschland (AfD)“, Landesverband Bayern, Klage gegen die Beobachtung durch das Bayerische, Landesamt für Verfassungsschutz und deren Bekanntgabe (abgewiesen), Partei "Alternative für Deutschland (AfD), Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Bekanntgabe der Beobachtung, nachrichtendienstliche Mittel, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Menschenwürde, gewaltsamer Umsturz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31562

Tenor

I.    Soweit das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.    Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 7/8, der Beklagte zu 1/8 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin, die Partei Alternative für Deutschland (AfD) – Landesverband Bayern, wendet sich gegen die Beobachtung der AfD durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) und deren öffentliche Bekanntgabe.
2
Mit Aktenvermerk vom 21. Juni 2022 (BayLfV, Beobachtungserklärung vom 21.6.2022) erklärte der Präsident des BayLfV die AfD zum Beobachtungsobjekt des BayLfV. Das „Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“ des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 22. Februar 2021 (BfV Gutachten) komme auf der Grundlage der Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und der Landesbehörden für Verfassungsschutz (siehe hierzu die „Belegsammlung zum Folgegutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative für Deutschland (AfD)“, nachfolgend Belegsammlung) zu dem Ergebnis, dass die AfD als Gesamtpartei zu beobachten sei. Diese Beurteilung werde durch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 (Az. 13 K 326/21) bestätigt. Der Landesverband Bayern der AfD sei organisatorisch uneingeschränkt in die AfD als Gesamtpartei integriert, wirke an der Meinungsbildung der Gesamtpartei mit und teile die politische Ausrichtung der Partei. Seine Mitglieder äußerten sich zum Teil ebenfalls in zurechenbarer Weise extremistisch. Gleiches gelte für die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD. Dem BfV lägen Erkenntnisse vor, dass der zum 30. April 2020 formal aufgelöste „Flügel“, eine 2015 gegründete Sammlungsbewegung innerhalb der AfD, weiterhin als Personenzusammenschluss im Bundesgebiet aktiv sei; Aussagen von dem formal aufgelösten „Flügel“ angehörenden Personen seien der AfD zurechenbar, soweit diese in der Partei weiter aktiv seien. Aufgrund vorliegender Erkenntnisse über verschiedene Aktivitäten, die im Einzelnen näher ausgeführt werden, lägen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die für einen Fortbestand des formal aufgelösten „Flügels“ als Personenzusammenschluss in Bayern sowie im Bundesgebiet sprächen. Sowohl dem BfV als auch den Landesämtern für Verfassungsschutz lägen Erkenntnisse vor, dass in der Gesamtpartei ein mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbarer ethnisch-völkischer Volksbegriff vertreten bzw. politisch motiviert angestrebt werde. Weiter lägen Erkenntnisse über bundesweite Aussagen auf verschiedenen Ebenen der Gesamtpartei AfD zu Umsturzphantasien vor. In Bayern lägen Erkenntnisse über Aussagen, die näher ausgeführt werden, vor, die der verfassungsschutzrechtlich relevanten Islamfeindlichkeit unterfielen bzw. antisemitisch seien. Bundesweite Aussagen der JA würden mit einem ethnischen Volksbegriff einhergehen und Zweifel begründen, dass sich die Jugendorganisation vorbehaltlos zum zentralen Wertesystem des Grundgesetzes bekenne. Durch verschiedene Aussagen von Angehörigen des inzwischen aufgelösten „Flügels“ würden wesentliche Teile der verfassungsmäßigen Ordnung und damit auch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip infrage gestellt; insbesondere beträfen diese das Mehrparteienprinzip und die Funktion der Presse. Damit lägen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hinsichtlich der AfD als Gesamtpartei vor. Aufgrund der bundesweiten Erkenntnisse des BfV und der Landesämter für Verfassungsschutz über die AfD als Gesamtpartei sei auch in Bayern der Beobachtungsauftrag gemäß Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG in der bis 31.7.2023 geltenden Fassung (a.F.) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG eröffnet. Die Beobachtung erfolge zu dem Zweck festzustellen, welchen (nennenswerten) Einfluss Extremisten innerhalb der AfD als Gesamtpartei hätten und in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickle. Dass bundesweit die Beobachtung der Partei nur als Verdachtsfall erfolge, führe dazu, dass die Beobachtung in Bayern einem strengeren Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu unterwerfen sei. Bezüglich verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzelner Personen in der AfD in Bayern, verfassungsfeindlicher Bestrebungen der AfD in Bayern sowie von Teilorganisationen der AfD in Bayern (JA sowie „Flügel“) sei aufzuklären, welchen Einfluss diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen für die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei hätten. Die Beobachtung der AfD erfolge aus offenen Informationsquellen und auch mittels Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel, der jedoch gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17) nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig sei. Die öffentliche Berichterstattung über die Beobachtung der AfD sei zulässig, jedoch nur in der Form, dass deutlich werde, dass noch keine gesicherten Erkenntnisse für eine extremistische Bestrebung vorlägen.
3
Der Beklagte veröffentlichte am 8. September 2022 anlässlich der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen Bayern für das erste Halbjahr 2022 eine Pressemitteilung unter der Überschrift: „H. : Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen“ und der darunter befindlichen Passage: „Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“. Weiter heißt es in der Pressemitteilung hierzu: „Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. ‚Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.‘ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien […].“. In den vorgestellten Verfassungsschutzinformationen selbst wird die Klägerin nicht erwähnt.
4
Die Klägerin nahm daraufhin mit einem an das BayLfV gerichteten und als Abmahnung bezeichneten Schreiben vom 22. September 2022 Stellung und forderte das unverzügliche Abstellen der Handlungen, die Löschung diesbezüglicher (öffentlicher) Mitteilungen, die Abgabe entsprechender (in die Zukunft gerichteter) Unterlassungserklärungen und das Einräumen der Rechtswidrigkeit der Handlungen mittels öffentlicher Richtigstellungen. Das BayLfV lehnte dieses Begehren mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 unter Wiederholung der für die Beobachtung maßgeblichen Erwägungen ab.
5
Am 5. Oktober 2022 hat die Klägerin sodann gegen ihre Beobachtung sowie deren öffentliche Bekanntgabe Klage erhoben (Az. M 30 K 22.4912) und zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt (Az. M 30 E 22.4913). Zur Begründung wird schriftsätzlich insbesondere Folgendes ausgeführt:
6
Es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage für die Beobachtung durch den Beklagten, da das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) nicht auf politische Parteien anwendbar sei. Der Beklagte sei schon mangels Kompetenz nicht berechtigt, die Gesamtpartei zu beobachten. Der Beklagte habe zudem den Prüfzeitraum überschritten, was zu einer Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung führe, und blind die Einschätzung des BfV bezüglich der Gesamtpartei übernommen, sodass Ermessensfehler vorlägen. Tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Klägerin gebe es nicht. In tatsächlicher Hinsicht liege keine Radikalisierung vor, es handle sich lediglich um Einzelaussagen, die im Wesentlichen nicht von Mitgliedern der Klägerin, sondern von Mitgliedern anderer Landesverbände der AfD stammten, sodass es auch an den erforderlichen landesspezifischen Anhaltspunkten fehle. Die Klägerin fordere im Grunde lediglich eine Rückkehr zum bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Abstammungsprinzip (ius sanguinis) als Voraussetzung für die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Rückkehr zum Abstammungsprinzip und ein künftig restriktiveres Staatsangehörigkeitsrecht seien verfassungsschutzrechtlich unerheblich, der Begriff „Remigration“ verfassungsrechtlich neutral und auch der Begriff „Bevölkerungsaustausch“ nicht zwingend verfassungsschutzrelevant, da er auch deskriptiv verstanden werden könne. Ein bloßer Kontakt mit, eine Verbindung zu oder Teilnahme an Veranstaltungen gemeinsam mit Mitgliedern extremistischer Gruppierungen sei nicht verfassungsschutzrelevant. Abgeordnete einer Fraktion, die grundsätzlich der staatlichen Sphäre zuzuordnen sei, seien nicht identisch mit der Partei. Bezugnehmend auf eine Veranstaltung der Gruppierung „Reconquista 21“ am 11. November 2023 in Das. führte die Klägerin aus, dass eine etwaige Teilnahme von Abgeordneten nicht im Namen oder im Auftrag der Klägerin oder der Fraktion erfolge, sondern eine private Unternehmung gewesen sei. Die Klägerin und die Fraktion hätten hiervon keine Kenntnis gehabt. Eine organisatorische Verflechtung mit der Identitären Bewegung liege überdies ohnehin fern, da die Identitäre Bewegung ausdrücklich in der Unvereinbarkeitsliste der AfD benannt werde, diese allerdings keine privaten Kontaktverbote umfassen könne. Die Klägerin und die Identitäre Bewegung seien eigenständige Organisationen, die inhaltlich nicht dieselben Positionen verträten. Ausweislich eines „Sp. “-Artikels habe M. S. erklärt, dass es bei der Veranstaltung nicht hauptsächlich um die Idee der „Remigration“ gegangen sei; er habe ein Buch von sich vorgestellt. Es habe sich folglich nicht um ein „Vernetzungstreffen“, sondern eine Veranstaltung zur Vorstellung des Buchs von S. gehandelt. Eine private Spende wie diejenige des Landtagsabgeordneten (MdL) Sch. an „Reconquista 21“ könne, sofern sie nicht verboten sei, grundsätzlich keine Verfassungsschutzrelevanz erzeugen. Das Teilen eines Beitrags könne auf vielfältigen, verfassungsschutzrechtlich irrelevanten Gründen beruhen und sei nicht als inhaltliche Übereinstimmung mit dem geteilten Beitrag zu sehen. Hinsichtlich der vom BayLfV beanstandeten Ausführungen B. H.s zu Briefwahlen zeigten ein Eintrag auf W. und ein Artikel des „Sp. “, dass es Grundlagen für den Hinweis von Hö. auf mögliche Risiken der Briefwahl gebe. Auch die Bekanntgabe der Beobachtung sei rechtswidrig, da es unabhängig von der Unzulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung angesichts Art. 21 Grundgesetz (GG) bereits an einer Rechtsgrundlage fehle. Jedenfalls die Bekanntgabe der Beobachtung behindere die politische Tätigkeit der Parteien. Weiter sei die Klägerin vor der Bekanntgabe nicht angehört worden. Hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte seien nicht vorhanden. Zudem entsprächen die Äußerungen an sich nicht dem staatlichen Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot.
7
Die Klägerin beantragte schriftsätzlich,
dass das Gericht den Beklagten auffordert, rechtsverbindlich die Staatsfreiheit der JA, die Staatsfreiheit der AfD, insb. der Klägerin, die Quellenfreiheit des im Eilverfahren erst- und zweitinstanzlich und im Klageverfahren vorgelegten Materials sowie den Ausschluss der Prozessausspähung zu testieren. Aussagen des Präsidenten des BfV zeigten, dass die Beobachtung (des Bundesverbands) der AfD politisch motiviert sei. Die Klägerin kündigte schriftsätzlich zudem die Stellung einer Vielzahl weiterer Beweisanträge an. Diese betrafen insbesondere das BfV Gutachten, die Erarbeitung und die Inhalte des Programms der AfD sowie die Themenkomplexe Demokratie, Volk und „ethnos“ und Mandatsträger mit Migrationshintergrund.
8
Die Klägerin kündigte in der Klageschrift vom 5. Oktober 2022 die Stellung folgender Anträge an:
1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird.
3. Dem Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und/oder 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu EUR 10.000,- angedroht.
4. Der Beklagte wird verurteilt, die in der unter der URL https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf die Klägerin, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen)
„H. : Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen
„Extremisten lieben Krisen!" Auf diese Formel brachte Bayerns Innenminister J. H. die aktuellen Entwicklungen bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022. Nach dem Abflauen der Coronaproteste bestimme nunmehr der russische Angriffskrieg und seine Folgen auch in den extremistischen Szenen die Dynamik. Die steigende Inflation, Sorgen vor Einschränkungen bei der Energieversorgung und einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung verunsicherten die Bevölkerung. „Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung endlich langfristige Lösungen entwickelt und eine funktionierende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellt“, mahnte H. . Problematisch sei insbesondere auch, dass Extremisten bei ihren Mobilisierungsversuchen bewusst 'unverdächtig' auftreten, um so möglichst unbemerkt ihren Einfluss in breitere Gesellschaftsschichten auszubauen. „Die Menschen dürfen sich nicht täuschen lassen und den Extremisten auf den Leim gehen“, rät H. . „Unsere Verfassungsschützer sind jedenfalls höchst wachsam.“
Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. „Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.“ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder AfDLandtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien. (…)“
zu löschen und es zu unterlassen, diese Berichterstattung in jedweder Form erneut zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen und/oder dies durch Dritte vornehmen zu lassen.
5. Dem Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsanordnung der Ziffer 4 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu EUR 10.000,- angedroht.
6. Der Beklagte wird verurteilt, binnen eines Monats nach Rechtskraft des Urteils richtig zu stellen, dass die Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war.
7. Der Beklagte wird verurteilt, binnen eines Monats nach Rechtskraft des Urteils richtig zu stellen, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war.
8. Der Beklagte wird verurteilt, binnen eines Monats nach Rechtskraft des Urteils richtig zu stellen, dass die in der unter der URL https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/halbjahresinformationen-verfassungsschutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf die Klägerin, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen)
„H. : Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen Bayerns Innenminister J. H. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen
„Extremisten lieben Krisen!" Auf diese Formel brachte Bayerns Innenminister J. H. die aktuellen Entwicklungen bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022. Nach dem Abflauen der Coronaproteste bestimme nunmehr der russische Angriffskrieg und seine Folgen auch in den extremistischen Szenen die Dynamik. Die steigende Inflation, Sorgen vor Einschränkungen bei der Energieversorgung und einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung verunsicherten die Bevölkerung. „Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung endlich langfristige Lösungen entwickelt und eine funktionierende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellt“, mahnte H. . Problematisch sei insbesondere auch, dass Extremisten bei ihren Mobilisierungsversuchen bewusst 'unverdächtig' auftreten, um so möglichst unbemerkt ihren Einfluss in breitere Gesellschaftsschichten auszubauen. „Die Menschen dürfen sich nicht täuschen lassen und den Extremisten auf den Leim gehen“, rät H. . „Unsere Verfassungsschützer sind jedenfalls höchst wachsam.“
Wie H. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. „Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen.“ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder AfDLandtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien. (…)“
rechtswidrig waren.
9. Es wird festgestellt, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz am 08.09.2022 rechtswidrig war.
10. Es wird festgestellt, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz am 08.09.2022 rechtswidrig war.
9
Der Beklagte trägt schriftsätzlich insbesondere vor, dass die Beobachtung und die Bekanntgabe der Beobachtung rechtmäßig seien, da (hinreichend gewichtige) tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne der auch auf politische Parteien anwendbaren Vorschriften des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bundesverfassungsschutzgesetzes vorlägen. Unabhängig davon, dass es keiner landesspezifischen Anhaltspunkte bedürfe, hätten die Feststellungen, die zur Beobachtung der Gesamtpartei geführt hätten, auch in Bayern Gültigkeit, zumal auch Erkenntnisse aus Bayern in das BfV Gutachten eingeflossen seien und es keine Anhaltspunkte gebe, dass sich die Klägerin von den Zielen der Gesamtpartei distanziere bzw. im Rahmen der parteiinternen Gremien die politischen Vorstellungen der Gesamtpartei nicht mittrage. Die Umstände, die den Beklagten zur Aufnahme der Beobachtung bewogen hätten, könnten zudem der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 entnommen werden, die auch Erkenntnisse aus Bayern aus den Jahren 2020 bis 2022 berücksichtige. Der Beklagte verfüge über die Kompetenz zur Beobachtung der Gesamtpartei, soweit Bezüge zum Freistaat Bayern bestünden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvB 1/13; Az. 2 BvB 1/19) zur Staats- bzw. Quellenfreiheit beziehe sich auf den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung bzw. das Verbot einer Partei und sei auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht anwendbar. Die von der Klägerin zur Begründung ihrer Argumentation zu Art. 5 Grundgesetz (GG) zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beträfen die Sanktionierung von Äußerungen der jeweiligen Beschwerdeführer in Form von strafrechtlichen Verurteilungen bzw. eines Verbots, die Äußerung zu tätigen. Mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei jedoch keine Sanktionierung oder gar das Verbot einer bestimmten Meinungsäußerung verbunden. Es gehe auch nicht darum, dass der Verfassungsschutz aus den Kontakten einer Person zu einer verfassungsfeindlichen Gruppierung Schlüsse über diese Person ziehe, sondern darum, aus dem verfassungsfeindlichen Verhalten von Personen, die für eine bestimmte Gruppierung – hier die Klägerin – stünden, Schlüsse über diese Gruppierung zu ziehen. Ein Videobeitrag von M. S. und eine Veröffentlichung der Gruppierung „Reconquista 21“ zeigten, dass es sich bei der Veranstaltung am 11. November 2023 nicht um eine Veranstaltung zur Vorstellung eines Buches gehandelt habe, sondern die Veranstaltung dazu gedient habe, ideologische Konzepte der Identitären Bewegung, darunter das Konzept der „Remigration“, zu propagieren und eine Vernetzung zu fördern.
10
Eine von der Klägerin begehrte Stillhaltezusage lehnte der Beklagte ab. Daraufhin wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. Oktober 2022 (Az. M 30 E 22.4913) dem Antrag der Klägerin auf Erlass einer Zwischenregelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG insoweit stattgegeben, als aufgrund einer Interessenabwägung zur Vermeidung schwerer und irreversibler Nachteile der Klägerin dem Beklagten bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt wurde, gegenüber der Klägerin nachrichtendienstliche Mittel im Sinne von Art. 8 BayVSG a.F.und Art. 9 bis 19a BayVSG a.F. anzuwenden und die Klägerin betreffende Informationsmaßnahmen auf Basis des Art. 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayVSG a.F. vorzunehmen. Die darüberhinausgehend beantragte zwischenzeitliche Untersagung einer „offenen Beobachtung“ nach Art. 5 Abs. 1 BayVSG a.F. und die Löschung der Pressemitteilung wurden abgelehnt. Rechtsmittel gegen den Beschluss wurden nicht eingelegt.
11
Mit Beschluss vom 17. April 2023 wurden die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Az. M 30 E 22.4913). Das BayLfV sei nach der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung zur Beobachtung des Landesverbands Bayern der AfD berechtigt. Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG a.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Voraussetzungen für eine Beobachtung seien erfüllt. Bei wertender Gesamtbetrachtung der vorgelegten Belege bestünden aufgrund von Äußerungen von einzelnen Untergliederungen der AfD und deren Mitgliedern tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Verhaltensweisen der AfD darauf gerichtet seien, die freiheitliche demokratische Grundordnung in Form der Menschenwürde – konkret von Muslimen – und des Demokratieprinzips außer Geltung zu setzen. Dies sei der Klägerin als Landesverband der Partei zuzurechnen. Zwar überschreite eine Vielzahl einzelner Äußerungen, die im BfV Gutachten angeführt würden, noch nicht die Schwelle für die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte. Da die zu beanstandenden Äußerungen allerdings auch von führenden und das innerparteiliche Geschehen maßgeblich mitbestimmenden Parteimitgliedern stammten, die aufgrund ihrer Funktion bzw. Position auf die weitere Entwicklung der AfD maßgeblich Einfluss nehmen könnten und das B. der Partei in der Öffentlichkeit prägten, lägen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung der Gesamtpartei vor. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei nicht erst dann erlaubt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine Vereinigung in ihrer Gesamtheit verfassungsfeindliche Bestrebungen entfalte. Vielmehr sei die Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden gerade im Falle eines Richtungsstreits gerechtfertigt, weil nur so festzustellen sei, in welche Richtung sich die Vereinigung letztlich bewege. Die Beobachtung der Klägerin sei auch ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig. Ob sich tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen auch aus dem Volksverständnis der AfD, aus der Nähe zu anderen Organisationen wie z.B. der Identitären Bewegung, der Bewertung der Jugendorganisation der Klägerin, der JA Bayern, oder aus Aktivitäten zur Vernetzung ehemaliger Anhänger des formal aufgelösten „Flügels“, ergäben, wurde im Eilbeschluss mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen. Der mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ebenfalls geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung, insbesondere in Bezug auf die veröffentlichte Pressemitteilung des BayLfV, bestehe nicht. Daher kämen auch die geltend gemachten (Folgenbeseitigungs-)Ansprüche auf Löschung der Berichterstattung und Richtigstellung sowie die beantragte Androhung von Ordnungsgeld nicht in Betracht.
12
Auf die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hin entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. September 2023 (Az. 10 CE 23.796) im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung der Gesamtpartei durch das BayLfV habe. Personen, die der formal aufgelösten Sammlungsbewegung „Der Flügel“ angehörten, nähmen weiterhin Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Gesamtpartei, wobei Äußerungen von Angehörigen des ehemaligen „Flügels“ mit einem ethnokulturellen Volksbegriff einhergingen. Auf verschiedenen Parteiebenen innerhalb der AfD gebe es „Umsturzphantasien“, die sich insbesondere in Nachrichten in der geschlossenen T. -Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ zeigten. Hinzu komme, dass die JA ein verfassungsfeindliches ethno-kulturelles bzw. ethnobiologisches Volksverständnis vertrete. Aussagen aus der Gesamtpartei und dem bayerischen Landesverband der AfD deuteten in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass die Partei die Menschenwürde von Muslimen in verfassungsschutzrechtlich relevanter Weise missachte. Die Klägerin habe auch keinen Anordnungsanspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung. Allerdings sei das mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltend gemachte Unterlassungsbegehren hinsichtlich der von der Klägerin gerügten Formulierung „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ in der Überschrift der Pressemitteilung vom 8. September 2022 begründet. Es werde nicht deutlich, dass es keine gesicherten Erkenntnisse für erwiesen extremistische Bestrebungen der AfD gebe.
13
In der mündlichen Verhandlung am 18., 19. und 20. Juni 2024 führte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten in Wiederholung und Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens aus, dass eine Beobachtung der AfD als Gesamtpartei durch den Bayerischen Verfassungsschutz weiterhin als nicht zulässig erachtet werde. Mit Blick auf die im Eilverfahren aufgeworfene Frage eines Rechtsschutzbedürfnisses für Rechtsschutz gegen den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittelt erklärte der Klägerbevollmächtigte, dass jedenfalls mittlerweile nicht mehr von einer sog. vorbeugenden Unterlassungsklage auszugehen sei, da zwischenzeitlich Erkenntnisse darüber vorlägen, dass der Beklagte nachrichtendienstliche Mittel gegenüber dem Beobachtungsobjekt zum Einsatz bringe. Ein Vertreter des Beklagten erläuterte daraufhin, dass sich das BayLfV mit Blick auf eine „maximal grundrechtssensible Vorgehensweise“ entschieden habe, bis zum Vorliegen der Urteilsgründe „grundsätzlich“ auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, insbesondere sogenannte Vertrauensleute, zu verzichten. Bislang sei hiervon lediglich eine einzige Ausnahme – eine automatisierte Abfrage nach § 173 Telekommunikationsgesetz (TKG) zur Ermittlung einer Telefonnummer – gemacht worden. Vor dem Hintergrund der zeitlichen Beschränkung dieses Verzichts und des jedenfalls einmalig eingeräumten Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel sah der Klägerbevollmächtigte keine Veranlassung zur Antragsänderung. Für die neben den Unterlassungsklagen erhobenen Feststellungsklagen folge ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis aus der erfolgten Medienberichterstattung über die Beobachtung und deren Bekanntgabe sowie daraus, dass für die rechtliche Prüfung jeweils ein anderer Beurteilungszeitpunkt maßgeblich sei. Eine Beklagtenvertreterin führte aus, dass die Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes nicht zu inhaltlichen Änderungen im Hinblick auf die Voraussetzung einer offenen Beobachtung geführt habe. Auch nach der Überführung des ehemaligen Art. 5 BayVSG in die Art. 5 und 5a BayVSG sei maßgeblich, dass tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorlägen. Zur Anwendbarkeit des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes auf politische Parteien führte die Klägerin insbesondere aus, dass das durch die Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz und deren Bekanntgabe betroffene Recht der Oppositionen selbst Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei. Art. 21 GG sei insoweit im Kontext mit der Regelung in § 43 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) als abschließende Regelung zu verstehen. Es entspreche weder Art. 21 GG noch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn im Verfassungsschutzrecht Kompetenzen an den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit anknüpften, es jedoch dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten sei, eine Partei als verfassungswidrig zu bezeichnen. Ein Beklagtenvertreter stellte hingegen die Anwendbarkeit des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes heraus. Die Beobachtung auch von Parteien durch den Verfassungsschutz sei ein Instrument der wehrhaften Demokratie und stelle die Grundlage für ein etwaiges weiteres Vorgehen der Verfassungsorgane dar. Daher sei es auch nicht widersprüchlich, dass für die Beobachtung niedrigere Anforderungen als an ein Verbotsverfahren gegen eine Partei gestellt würden. Der Klägerbevollmächtigte rügte im weiteren Verlauf, dass die Klägerin nicht nur vor der Bekanntgabe der Beobachtung, sondern bereits vor Beginn der Beobachtung hätte angehört werden müssen. Der u.a. dem Verfassungsrecht zu entnehmende Grundsatz der Konfrontationsobliegenheit sei auf öffentlich-rechtliche Äußerungen des Verfassungsschutzes genauso übertragbar wie die Grundzüge zur äußerungsrechtlichen Verdachtsberichterstattung sowohl zivilrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 31.5.2022, Az. 1 BvR 98/21 sowie 1 BvR 564/19) setze für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgegen der Auffassung der Kammer im Beschluss vom 17. April 2023 (Rn. 60) ein aktiv-kämpferisches Vorgehen und manifestierte Bestrebungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, voraus. Ein Beklagtenvertreter setzte dem entgegen, die Begriffsbestimmungen in der Neufassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes verdeutlichten, dass insoweit eine Differenzierung erfolgt und für eine „einfache“ Beobachtung kein kämpferisch-aggressives Auftreten erforderlich sei. Der Klägerbevollmächtigte rügte daraufhin die Verfassungsmäßigkeit von Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 Buchst. c Buchst. aa BayVSG und regte die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht an. Beklagtenseitig wurde auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (U.v. 26.4.2022, Az. 1 BvR 1619/17, Rn. 185) verwiesen; der Klägerbevollmächtigte stellte im Anschluss den späteren Entscheidungszeitpunkt der von ihm zitierten Entscheidungen heraus. Mit Blick auf die der AfD zur Last gelegten Äußerungen zum Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip forderte der Klägerbevollmächtigte eine kontextbezogene Betrachtung. Das Gericht gab den Beteiligten – unter teilweiser Benennung und Darstellung der einzelnen Äußerungen – Gelegenheit, zu den einzelnen vorgelegten Belegen ergänzend zum schriftsätzlichen Vorbringen Stellung zu nehmen. Im weiteren Verlauf stellte ein Vertreter des Beklagten dar, dass ein ethnisch-biologisches bzw. ethnisch-kulturelles Volksbegriffsverständnis einer Partei insofern als verfassungsschutzrechtlich relevant erachtet werde, als eine solche Partei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts denklogisch menschenwürdeverletzende Forderungen stellen und vorantreiben werde. Zu erwarten seien dabei nicht nur Forderungen oder Folgerungen in Bezug auf den Umgang etwa mit Geflüchteten und ausreisepflichtigen Menschen mit Migrationshintergrund, sondern gerade auch in Bezug auf den Umgang mit deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund, indem diese z.B. durch Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen oder eine sonstige erschwerende Vorgehensweise jedenfalls mittelbar zur Ausreise gezwungen würden. Eine Differenzierung zwischen deutschen Staatsbürgern erster und zweiter Klasse sei nicht mehr mit der Menschenwürde und dem Rechtsstaatprinzip vereinbar. Schon die Feststellung im Vorfeld einer etwaigen „Remigration“, ob und in welcher Weise sich Staatsangehörige hinreichend oder nicht „assimilieren“, sei menschenwürdeverletzend. Wenn an eine Assimilierung rechtliche Folgen geknüpft würden, sei die verfassungsschutzrechtliche Relevanz überschritten. Die Klägerin erwiderte hierauf insbesondere, dass die Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität erkennbar gerade keine Differenzierung zwischen Deutschen erster und zweiter Klasse enthalte und dieses Programmverständnis auch tatsächlich gelebt werde. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge, dass das Konzept einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft verfassungsschutzrechtlich nur relevant sei, wenn zu diesem ein rechtlich abgewerteter Status aller, die dieser Gemeinschaft abstammungsmäßig nicht angehören, hinzutrete. Die AfD fordere keine Diskriminierung oder Ausbürgerung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Die Klägerin unterstütze das Papier „7 Punkte zur Remigration“ des Bundesverbands der AfD, das verdeutliche, dass die AfD einen verfassungskonformen Begriff der „Remigration“ vertrete. Der Klägerbevollmächtigte kritisierte eine Überdehnung der Kategorie von Menschenwürdeverletzungen auf Seiten des Beklagten. So zurückhaltend die Rechtsprechung im Übrigen mit der Annahme von Menschenwürdeverletzungen sei, würden sie im Verfassungsschutzrecht sehr schnell angenommen. Gerade im Hinblick auf die Religionsfreiheit dürfe nicht unbeachtet bleiben, dass und inwieweit kritische Äußerungen hinzunehmen seien. Auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) werde Bezug genommen. Das Gericht wies die Beteiligten darauf hin, dass der Kammer das Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ von M. S. vorliege; die Beteiligten erhielten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Im Rahmen der Erörterung einzelner der AfD zur Last gelegten Anhaltspunkte erklärte der Vorsitzende des Kreisverbands München Ost als Vertreter der Klägerin, dass die auf der Plattform X veröffentlichten Beiträge allesamt von einem seiner Mitarbeiter verfasst worden seien. Diesen habe er vor etwa zwei Monaten abgemahnt und ihn aufgefordert, künftig nurmehr den Remigrationsbegriff der AfD zu verwenden. Die Beiträge seien überdies gelöscht worden. Der das sog. Sylt-Video betreffende Beitrag stamme ebenfalls von diesem Mitarbeiter, den er auch hierfür abgemahnt habe. Er selbst sei wegen dieses Beitrags vom Landesvorstand abgemahnt worden. Ein Vertreter des Beklagten trug vor, dass allerdings nicht sämtliche vom Beklagten für relevant erachteten Beiträge gelöscht worden seien und legte eine Darstellung der am 19. Juni 2024 nach wie vor abrufbaren Beiträge vor. Der Klägerbevollmächtigte trug vor, dass der konkret vom Beklagten benannte Beitrag bei der Löschung übersehen worden sei. Er führte für die Klägerin im weiteren Verlauf bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aus, dass Einladungen an Personen wie Herrn H1. oder Herrn S1. zu Veranstaltungen und zu Reden auf diesen Veranstaltungen als Unterstützungshandlung nicht ausreichten. Es bedürfe vielmehr einer Einladung gerade wegen des als verfassungsschutzrelevant erachteten Inhalts einer solchen Rede. Ein Vertreter des Beklagten legte dar, dass es nicht darum gehe, aus den Kontakten einer Person zu einer verfassungsfeindlichen Gruppierung Schlüsse über diese Person zu ziehen, sondern darum, aus dem verfassungsfeindlichen Verhalten von Personen, die für eine bestimmte Gruppierung – hier die Klägerin – stünden, Schlüsse über diese Gruppierung zu ziehen. Ein Videobeitrag von M. S. und eine Veröffentlichung der Gruppierung „Reconquista 21“ zeigten, dass es sich bei der Veranstaltung am 11. November 2023 nicht um eine Veranstaltung zur Vorstellung eines Buches gehandelt habe, sondern die Veranstaltung dazu gedient habe, ideologische Konzepte der Identitären Bewegung, darunter das Konzept der „Remigration“, zu propagieren und eine Vernetzung zu fördern. Der Klägerbevollmächtigte führte im Hinblick auf das Demokratieprinzip im Folgenden aus, dass die beanstandeten Äußerungen eine Kritik am Amtswalter, nicht jedoch am Amt für sich darstellten. Kritik an konkreten Handlungen durch Amtswalter, auch in deutlich zugespitzter Form, sei jedoch nicht zu beanstanden; sie sei vielmehr schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dr. W. P1. sei aus der Partei ausgeschlossen worden, allerdings erst nach Aufstellung der Kandidaten. Ein Vertreter des Beklagten führte in Bezug auf R. Mi. aus, dass dieser trotz seiner Äußerungen zum Direktkandidaten sowie zuletzt zum Kreisverbandsvorsitzenden wiedergewählt worden sei. Der Klägervertreter verwies auf das bereits schriftsätzlich angesprochene Parteiordnungsverfahren mit einer Entschuldigung M. s gegenüber der Partei und der daraufhin erfolgten Abmahnung als Parteiordnungsmaßnahme. Ergänzend führte er zu den Möglichkeiten und Grenzen der Beeinflussung von örtlichen Wahlen aus. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme zu Parteiordnungs- und Parteiausschlussverfahren gegenüber weiteren (ehemaligen) Mitgliedern der Klägerin, deren Äußerungen Bestandteil der vorgelegten Belege sind. Im Hinblick auf die Staats- und Quellenfreiheit zitierte der Bevollmächtigte der Klägerin aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Dort habe ein Vertreter des BfV offengelegt, dass (nur) zwei Äußerungen oder Verhaltensweisen von menschlichen Quellen stammten und zwar aus einem Zeitraum vor 2023, jedoch weder der Bundes- noch der Landesebene angehörten. Daraus ergebe sich für die Klägerin die Annahme, dass alle Äußerungen außerhalb der zitierten Bundes- und Landesebene aus einem Zeitraum vor 2023 nicht verwertbar seien. Ein Vertreter des Beklagten betonte nochmals, dass der Bayerische Verfassungsschutz weder Vertrauensleute eingesetzt habe noch derzeit einsetze. Der Klägerbevollmächtigte bemängelte, die Aktenführung des Beklagten ermögliche dem Gericht keine Gesamtschau bezüglich der verfassungsschutzrelevanten Einschätzung der Klägerin, da der Beklagte nur vermeintlich belastende Belegstellen vorgelegt und – so sei zu unterstellen – auch nur solche gesammelt habe, die Menge entlastenden Materials also nicht eingeschätzt werden könne. Beklagtenseitig wurde erwidert, dass die Beobachtung der Aufklärung diene, inwieweit sich Anhaltspunkte für beobachtungsbedürftige Bestrebungen verfestigten. In der Beobachtungserklärung sei ausdrücklich auf die Aspekte der inneren Zerrissenheit und vorhandener Flügelkämpfe hingewiesen worden. Bei etwa der Hälfte aller Kreisverbände der Klägerin lägen einschlägige Erkenntnisse vor und es seien etwa 50 Personen, teils in herausgehobener Funktion, mit entsprechenden Erkenntnissen belegt, sodass in der Breite wie der Spitze bei einer Gesamtbetrachtung tatsächliche Anhaltspunkte für beobachtungswürdige Bestrebungen zu bejahen seien. Dabei dürfe der Verfassungsschutz nicht dahingehend missverstanden werden, dass bei der Bewertung keine Gesamtschau bzw. kein Betrachten von entlastenden Elementen erfolge. Der Beklagte sei aufgrund des Vorliegens hinreichend gewichtiger Anhaltspunkte berechtigt und verpflichtet gewesen, die Beobachtung vorzunehmen. Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben seien, bestehe kein Ermessungsspielraum bezüglich des Ob einer Beobachtung. Sowohl in der Beobachtungserklärung als auch deren Bekanntgabe sei insbesondere in Bezug auf die Art und Weise der Beobachtung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen worden; insbesondere sei herausgestellt worden, welche Zielrichtung die Beobachtung habe. Hierbei habe sich der Beklagte auch auf Erkenntnisse aus anderen Bundesländern und des Bundes stützen dürfen und dies getan, aber auch eigene Erkenntnisse ausgewertet. Der Klägerbevollmächtigte erwiderte, dass kontrovers diskutiert werde, ob der Verfassungsschutz bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte zu einer Beobachtung verpflichtet sei oder ihm – schon aufgrund des gesetzlichen Wortlauts – ein Ermessen zustehe. Wenn man – wie die Klägerin – von einem Ermessen ausgehe, liege ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Der Klägerbevollmächtigte warf zudem die Frage auf, ob es nicht eine mildere Maßnahme darstelle, (lediglich) einzelne Teile der AfD statt die Gesamtpartei mit all ihren Untergliederungen zu beobachten, sowie die Frage, ob bei der Sammlung der Daten nicht berücksichtigt werden müsse, dass diese bei dem Zweck, Anhaltspunkte für ein Parteiverbotsverfahren zu erhalten, auch nur Anhaltspunkte betreffen dürfe, die in einem solchen verwertbar wären. Eine Vertreterin des Beklagten betonte, dass die AfD als Gesamtpartei vom Bayerischen Verfassungsschutz nur insoweit beobachtet werde, als der Aufgabeneröffnung des Bayerischen Verfassungsschutzes entsprechend auch ein Bezug zu Bayern vorliege. Dass es zu Überschneidungen zwischen Beobachtungen durch den Bund und der einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden käme, liege in der Natur der Sache und sei auch vom Gesetzgeber so gesehen und geregelt worden. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Bayerische Verfassungsschutz eine eigenständige Entscheidung über eine Beobachtung der AfD getroffen habe. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Kapazitäten des BfV nicht ausreichten, das gesamte Bundesgebiet im Detail abzudecken. Zudem gebe es kein Bundesgebiet, das nicht gleichzeitig im Zuständigkeitsbereich einer Landesverfassungsschutzbehörde liege. Hinsichtlich der Bekanntgabe der Beobachtung wurde im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass die zunächst auf den Internetseiten des BayLfV und des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration veröffentlichte Pressemitteilung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr abrufbar sei. Eine Vertreterin des Beklagten erklärte, dass die Pressemitteilung vom 8. September 2022 in Folge des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von sämtlichen Internetauftritten des Beklagten entfernt und auch nicht erneut verwendet worden sei. Es sei des Weiteren nicht beabsichtigt, die Pressemitteilung bzw. die insoweit gerügte Überschrift aus der Pressemitteilung erneut zu verwenden. Das bedeute jedoch nicht, dass der Beklagte generell von der Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin und der AfD als Gesamtpartei Abstand nehme. Der Klägerbevollmächtigte erklärte daraufhin die Hauptsache in Bezug auf die Anträge Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 8 aus der Klageschrift vom 5. Oktober 2022 für erledigt. Der Beklagte stimmte der Erledigungserklärung zu. Im Übrigen wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
14
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, öffentlich bekanntzugeben, dass die Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird.
3. Dem Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot der Ziffern 1 und/oder 2 ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu EUR 10.000,- angedroht.
4. Es wird festgestellt, dass die Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz am 8.9.2022 rechtswidrig war.
5. Es wird festgestellt, dass die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und/oder Einordnung und/oder Beobachtung und/oder Behandlung und/oder Prüfung und/oder Führung der Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz am 8.9.2022 rechtswidrig war.
15
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten und auf die Gerichtsakten, jeweils auch in den Verfahren Az. M 30 E 22.4913 und Az. 10 CE 23.796 sowie die in diesen Verfahren vorgelegten behördlichen Unterlagen verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Eine Beiziehung der Akten der Verfahren des Verwaltungsgerichts Köln, Az. 13 K 326/21 und Az. 13 L 105/21 mit den in diesen Entscheidungen zitierten Beweismitteln ist nicht erfolgt.

Entscheidungsgründe

A.
17
Soweit das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (Anträge Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 8 aus der Klageschrift vom 5. Oktober 2022), ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
B.
18
Die im Übrigen aufrechterhaltene Klage ist abzuweisen. Die Anträge, die auf Unterlassung der Beobachtung, Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung sowie auf Feststellung, dass die Beobachtung und deren öffentliche Bekanntgabe am 8. September 2022 rechtswidrig waren, gerichtet sind, sind zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
19
I. Die Klageanträge sind zulässig.
20
1. Für die mit den Klageanträgen zu 1. und 2. geltend gemachten Unterlassungsansprüche ist die allgemeine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage die statthafte Klageart, da weder die Beobachtung – verstanden als Sammlung und Auswertung von Informationen (Art. 5a Abs. 1 BayVSG bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG in der bis 31.7.2023 geltenden Fassung – a.F.) – noch deren Bekanntgabe Verwaltungsakte darstellen (vgl. zur Beobachtung BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 56; Aicher in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 5a Rn. 23; zur Information der Öffentlichkeit außerhalb des Verfassungsschutzberichts vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 – juris Rn. 17; zur Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 19; Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 47). Für die mit den Klageanträgen zu 4. und 5. formulierten Feststellungsbegehren ist die Feststellungsklage statthaft (§ 43 VwGO).
21
Das Gericht versteht das mit Klageantrag zu 1. geltend gemachte Unterlassungsbegehren, das sich der Formulierung der Anträge nach darauf bezieht, die Klägerin als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, entsprechend dem von Amts wegen nach § 88 VwGO zu ermittelnden wirklichen Rechtsschutzziel (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8 m.w.N.) ungeachtet der im Antrag vorgenommenen Differenzierung dahingehend, dass damit einheitlich und umfassend die (künftige) Unterlassung der Beobachtung der Klägerin durch das BayLfV im Sinne von Art. 5a BayVSG erreicht werden soll und legt dieses Begriffsverständnis auch der Auslegung der weiteren Unterlassungs- und Feststellungsanträge zugrunde (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 55; anders die Auslegung des OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 71, wonach das dortige klägerische Begehren verstanden wird als „einheitliches Unterlassungsbegehren, das darauf gerichtet ist, dem Bundesamt jede Tätigkeit zu untersagen, die an die Einstufung als ‘Verdachtsfall’ anknüpft“). Grund für dieses Verständnis ist, dass ein Verdachtsfall nach herkömmlichem Verständnis gegeben ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen (vgl. Warg in Dietrich/Eiffler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, V § 1 Rn. 19), der „Verdachtsfall“ jedoch keine im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz ausdrücklich normierte Kategorie darstellt. Das Gericht hat diese Auslegung in der mündlichen Verhandlung thematisiert und Gelegenheit zur Klarstellung gegeben. Der Klägerbevollmächtigte hat insoweit keine Einwände erhoben und mit Blick auf die Gesetzesänderungen im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz auf die jeweils maßgeblichen Beurteilungszeitpunkte des Gerichts und die damit jeweils anzuwendende Rechtsgrundlage bei den unterschiedlichen Klageanträgen hingewiesen.
22
2. Die Klägerin ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit auf die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage BVerwG, U.v. 7.5.1996 – 1 C 10/95 – NVwZ 1997, 276; B.v. 30.7.1990 – 7 B 71/90 – NVwZ 1991, 470/471) antragsbefugt, obwohl sie nicht erklärtes „Beobachtungsobjekt“ des Beklagten ist.
23
Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.2015 – 2 A 6/13 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 30.12.2020 – 20 CE 20.3002 – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055/17 – NVwZ-RR 2018, 354/355), dass der Klägerin ein sich in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage aus grundrechtlich geschützten Rechtspositionen abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch (st.Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 25.1.2012 – 6 C 9.11 – juris Rn. 22; U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 23.9.2010 – 10 CE 10.1830 – juris Rn. 18, B.v. 16.7.2010 – 10 CE 10.1201 – juris Rn. 16; SächsOVG, B.v. 6.7.2012 – 5 B 172/12 – juris Rn. 21) in Bezug auf die Beobachtung und deren öffentliche Bekanntgabe durch den Beklagten zusteht, da die Klägerin von der Beobachtung und deren Bekanntgabe betroffen ist.
24
Aus der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 ergibt sich deutlich, dass die AfD als Gesamtpartei und nicht (nur) der Landesverband Bayern dieser Partei zum Beobachtungsobjekt erklärt wird (vgl. BayLfV, Beobachtungserklärung vom 21.6.2022, S. 14, S. 15 f., S. 17 f.). Jedoch ist die Klägerin als Teilorganisation der Gesamtpartei AfD von dieser Beobachtung (mit) betroffen (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 57 ff.). Im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens hat der Beklagte mehrfach klargestellt, dass die Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das BayLfV in dem Umfang erfolgt, in dem die Verhaltensweisen der Gesamtpartei Berührungspunkte zum Freistaat Bayern und damit zur örtlichen Zuständigkeit des BayLfV aufweisen. Das Aufklärungsinteresse bei der Beobachtung der AfD als Gesamtpartei hat das BayLfV in seiner Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 zudem dahingehend näher umschrieben, dass bezüglich verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzelner Personen in der AfD in Bayern, verfassungsfeindlicher Bestrebungen der AfD in Bayern sowie von Teilorganisationen innerhalb der AfD in Bayern (JA und zwischenzeitlich formal aufgelöster „Flügel“) aufzuklären sei, welchen Einfluss diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen für die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei hätten (vgl. BayLfV, Beobachtungserklärung vom 21.6.2022, S. 17).
25
Die Klägerin stellt als Landesverband ausweislich der Bundessatzung der AfD eine organisatorische Untergliederung der (Gesamt-)Partei dar (vgl. § 1 Satz 3, § 9 Abs. 1 und 4 Bundessatzung der AfD vom 29.11.2015, zuletzt geändert am 19.6.2022 − Bundessatzung der AfD), ist verfassungsschutzrechtlich unabhängig von der parteienrechtlichen Organisationsstruktur bei der Bestimmung des Beobachtungsobjekts als Bestandteil der Gesamtpartei AfD anzusehen (vgl. VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 – juris Rn. 41 sowie noch eingehend unten II.1.e.aa.) und wird auch in örtlicher Hinsicht von der Beobachtung durch den Beklagten erfasst, da das Tätigkeitsgebiet der Klägerin ausweislich ihrer Satzung dem Gebiet des Freistaats Bayern entspricht (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 Satzung des Landesverbands Bayern der Alternative für Deutschland vom 19. April 2015, zuletzt geändert am 15. September 2019 – Satzung des Landesverbands Bayern der AfD).
26
Das Rechtsschutzbegehren der Klägerin wird damit dahingehend verstanden (§ 88 VwGO), dass die Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das BayLfV insoweit unterlassen wird, als die Klägerin als Landesverband dieser Partei im Zusammenhang mit der Beobachtung der Gesamtpartei zwangsläufig (mit) betroffen ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 57).
27
3. Die Klägerin verfügt auch über das notwendige Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, Vorbem. zu §§ 40 bis 53, Rn. 41 ff.) für die erhobene Klage.
28
a. Die Klägerin hat sich mit Schreiben vom 22. September 2022 vorprozessual an das BayLfV gewandt, das das von der Klägerin geltend gemachte Begehren mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 ablehnte. Auch dauert die Beobachtung durch den Beklagten nach wie vor an (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 60 im Verfahren nach § 123 VwGO; zur fortlaufend höheren Eingriffsintensität zudem VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 948). Im Hinblick auf die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung zwar erklärt, aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris) die zunächst ebenfalls verfahrensgegenständliche Pressemitteilung vom 8. September 2022 von sämtlichen Internetauftritten des Beklagten entfernt zu haben und auch nicht zu beabsichtigen, die Pressemitteilung bzw. die die Klägerin betreffende Passage erneut zu verwenden. Zugleich hat der Beklagte jedoch erklärt, dass er nicht generell von einer öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin Abstand nehme.
29
b. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin erstreckt sich dabei auch auf die Frage, ob eine beobachtungsbedürftige Bestrebung als Mindestvoraussetzung für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 61 ff; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 79, 85; insoweit noch verneinend:
VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 37 ff.).
30
Vom klägerischen Begehren ist grundsätzlich auch die Beobachtung unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel erfasst, da die Klägerin nicht zwischen einer Beobachtung aus allgemein bzw. öffentlich zugänglichen (Informations-)Quellen und der Beobachtung unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel (vgl. Art. 8 BayVSG) differenziert. In der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 wird der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bei der beabsichtigten Beobachtung der AfD nicht nur thematisiert (vgl. BayLfV, Beobachtungserklärung vom 21.6.2022, S. 18), sondern ausdrücklich als – in den Grenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17) – zulässiges Mittel der Beobachtung bezeichnet. Die Klägerin hatte im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass es ihr „nicht um einen pauschalen Unterlassungsanspruch künftiger allfälliger Maßnahmen“ (des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel) gehe, sondern dass (auch) nachrichtendienstliche Mittel unzulässig und damit zu unterlassen seien, weil „die (Mindest-)Voraussetzungen (tatsächliche Anhaltspunkte) gerade nicht hinreichend vorliegen“, vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 62. In der mündlichen Verhandlung erläuterte ein Vertreter des Beklagten, dass bis zum Vorliegen der Urteilsgründe „grundsätzlich“ auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verzichtet werde und hiervon bislang lediglich eine einzige Ausnahme – durch eine automatisierte Abfrage zur Ermittlung einer Telefonnummer nach § 173 TKG – gemacht worden sei. Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte daraufhin, dass gerade vor dem Hintergrund der zeitlichen Beschränkung des Verzichts durch den Beklagten und des jedenfalls einmalig eingeräumten Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel keine Veranlassung zur Antragsänderung gesehen werde.
31
Bei Zugrundelegung dieses Sachstands verfügt die Klägerin über ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf das Vorliegen einer beobachtungsbedürftigen Bestrebung als Mindestvoraussetzung für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG.
32
Darüber hinaus, d.h. bezüglich des (konkreten) Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel nach den speziellen Befugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG, wäre das für die Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse dagegen zu verneinen.
33
Die allgemeinen Befugnisse sowie die Befugnis des BayLfV zur Beobachtung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG) werden in Kapitel 1 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes geregelt, während der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel durch das BayLfV in Kapitel 2 (Art. 8 bis Art. 20 BayVSG) speziell normiert ist. Art. 8 BayVSG enthält dabei die allgemeine Befugnisnorm für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel durch Art. 9 bis Art. 19a BayVSG nicht besonders geregelt wird. Nach der gesetzlichen Systematik ist ein Rückgriff auf die allgemeine Befugnisnorm des Art. 8 BayVSG (nur) bei fehlender Anwendbarkeit der Spezialbefugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG möglich. Im Falle der Anwendung von Art. 8 Abs. 1 S. 1 BayVSG müssen die (Mindest-)Voraussetzungen für eine Beobachtung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG, also hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für beobachtungsbedürftige Bestrebungen vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 62; Lindner/Barczak in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 5 Rn. 11 ff.).
34
Zwar hat der Beklagte ausweislich seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung zwischenzeitlich eine automatisierte Rufnummernabfrage gemäß § 173 TKG vorgenommen. Gleichwohl würde es sich im Hinblick auf die speziellen Befugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG nach wie vor um vorbeugenden Rechtsschutz handeln. Entscheidend für diese rechtliche Einordnung ist, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts versichert hat, dass der einzige Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in der einmaligen Abfrage nach § 173 TKG bestanden habe und ansonsten bis zum Vorliegen der Urteilsgründe in diesem Verfahren auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel verzichtet wurde und wird. Der vom Beklagten für den Zeitraum danach als möglich in Aussicht gestellte, künftige Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist seinem konkreten Inhalt und seinen tatsächlichen wie rechtlichen Voraussetzungen auch derzeit, nach dem Vortrag der Klägerin und den Erkenntnissen des Gerichts, nicht so weit bestimmt oder zumindest absehbar, dass eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung möglich wäre (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.1974 – 1 C 7.73 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 64; B.v. 30.1.2017 – 10 ZB 15.1085 – juris Rn. 6 m.w.N; B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 – juris Rn. 9; vgl. auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 79). Es kommt somit nicht darauf an, dass vorbeugender Rechtsschutz von vornherein nicht in Betracht kommt, soweit der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach den Befugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG einer richterlichen Anordnung (des zuständigen Amtsgerichts, siehe Art. 29 BayVSG) gemäß Art. 11 BayVSG bedarf und Maßnahmen, die eine höhere verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle (vgl. dazu Art. 4 Abs. 2 BayVSG) voraussetzen, vorliegend nicht in Rede stehen.
35
4. Die mit den Klageanträgen zu 4. und zu 5. geltend gemachten Feststellungsbegehren beziehen sich auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.v. § 43 VwGO, an dessen Feststellung die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse (§ 43 Abs. 1 VwGO) hat.
36
Die auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG beruhende Befugnis des BayLfV, die Klägerin aufgrund des Vorliegens hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinn von § 43 VwGO dar. Zwar können innerhalb dieser Rechtsbeziehung zwischen Klägerin und Beklagtem weitere Rechtsverhältnisse in Streit stehen, die sich zum Beispiel auf die Beobachtung bestimmter Personen beziehen. Dies hindert die Klägerin jedoch nicht daran, die generelle Befugnis des BayLfV zu der verfahrensgegenständlichen Beobachtung überprüfen zu lassen (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 78).
37
Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO an der auf einen bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit (den 8. September 2022) bezogenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beobachtung und deren öffentlicher Bekanntgabe. Der bereits allein durch die Beobachtung erfolgte Eingriff in die durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Betätigung als politische Partei begründet jedenfalls aufgrund der erfolgten öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung ein Rehabilitationsinteresse der Klägerin (ein Rehabilitationsinteresse selbst ohne öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung bejahend BVerwG, U.v. 14.12.2020 – 6 C 11/18 – juris Rn. 14). Auch bei Berücksichtigung der grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) sind die Feststellungsbegehren der Klägerin zulässig, da bei der Prüfung der Begründetheit der parallel geltend gemachten Unterlassungsbegehren die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (siehe hierzu noch unten) und damit gerade ein anderer Zeitpunkt als für die Beurteilung der auf den 8. September 2022 bezogenen Feststellungsbegehren zugrunde zu legen ist (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 87 f.) und überdies keine – die Existenz der Subsidiaritätsklausel begründende – Umgehung der (lediglich) für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren droht (vgl. Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 46).
38
II. Die Anträge sind unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung der durch das BayLfV erfolgenden Beobachtung (Klageantrag zu 1.). Auch der auf die Rechtswidrigkeit der Beobachtung am 8. September 2022 bezogene Feststellungsantrag ist unbegründet (Klageantrag zu 4.). Die Beobachtung war und ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das BayLfV durfte und darf weiterhin die AfD als Gesamtpartei beobachten und dabei grundsätzlich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Die Klägerin hat zudem keinen Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung. Diese ist (Klageantrag zu 2.) und war bereits im Zeitpunkt des 8. September 2022 (Klageantrag zu 5.) rechtmäßig.
39
1. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf (künftige) Unterlassung der Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das BayLfV, soweit sie durch diese Maßnahme (mit) betroffen ist.
40
Zwar stellt die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde einen fortdauernden Eingriff in das Recht der Klägerin auf Betätigungsfreiheit als politische Partei nach Art. 21 Abs. 1 GG dar (a.). Dieser Eingriff ist jedoch nicht rechtswidrig, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG und Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG auf politische Parteien anwendbar sind (b.), das BayLfV für die Beobachtung zuständig ist und die Klägerin vor Aufnahme der Beobachtung nicht angehört werden musste (c.), die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG normierten(Mindest-)Voraussetzungen für eine Beobachtung im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (d.) vorliegen (e.), die Beobachtung den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung entspricht (f.) und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG) gewahrt ist (g.).
41
Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen droht. Die Grundrechte schützen Grundrechtsträger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, sodass sie, wenn ihnen eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweilige Grundrecht Unterlassung verlangen können (vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 16; U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 28). Entsprechendes gilt für rechtswidrige Eingriffe in die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition politischer Parteien aus Art. 21 GG (vgl. BVerwG, B.v. 24.3.2016 – 6 B 4.16 – juris Rn. 5).
42
a. Durch die Beobachtung der AfD mit dem Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern (siehe bereits oben I.2.) wird in die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition der Klägerin aus Art. 21 Abs. 1 GG eingegriffen. Als Landesverband (vgl. § 3 Satz 2 Parteiengesetz – PartG) der Partei AfD (vgl. § 1 Satz 3, § 9 Abs. 1 Bundessatzung der AfD) kann sich die Klägerin auf die Parteienfreiheit berufen, die die Gründungs-, Betätigungs-, Programm-, Wettbewerbs- und Finanzierungsfreiheit umfasst (vgl. Kluth in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand 15.6.2024, Art. 21 Rn. 109; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 29). Unter der Betätigungsfreiheit werden alle Maßnahmen verstanden, die die innere Ordnung (Organisation und interne Meinungs- und Willensbildung, Programmatik) sowie das Auftreten nach außen gegenüber dem Bürger und der Öffentlichkeit (Meinungsäußerung und Selbstdarstellung), den Staatsorganen (insbesondere Wahlteilnahme, Nutzung von Einrichtungen, Finanzierung), den Rundfunkanstalten (Wahlwerbung) und den anderen Parteien (Wettbewerbsverhältnis) betreffen (vgl. Kluth in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand 15.6.2024, Art. 21 Rn. 111 m.w.N.). Auch wenn die (geheime) Beobachtung der Gesamtpartei der AfD und damit auch ihres bayerischen Teilverbands durch das BayLfV als solche keine Außenwirkung entfaltet, kann sie, wenn sie wie im vorliegenden Fall bekannt und in der Öffentlichkeit und Presse breit diskutiert wird, sowohl Abschreckungs- und Stigmatisierungswirkung bezüglich der Allgemeinheit entfalten als auch Einfluss auf Meinungsäußerungen und Selbstdarstellung nach außen sowie das Wettbewerbsverhältnis zu anderen Parteien nehmen. Bereits die Beobachtung stellt damit eine die Klägerin belastende Maßnahme dar, die (auch) ihr gegenüber Warnfunktion entfaltet und zugleich ihre Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigen kann (vgl. auch BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 29 zur Bezeichnung eines Landesverbands einer Partei als „verfassungsschutzrechtlich islamfeindlich“; vgl. auch VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 126/21 – juris Rn. 948 ff.). Dahinstehen kann daher, ob sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch daneben auch auf einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) sowie die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) stützen ließe (vgl. dazu auch BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 8), da sich daraus jedenfalls kein strengerer Maßstab für die Rechtfertigung eines Eingriffs ergeben würde (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 74 f.).
43
b. Die für die Rechtfertigung der Beobachtung mit offenen Mitteln erforderliche gesetzliche Ermächtigung ist in den mit Wirkung ab 1. August 2023 neu gefassten Befugnisnormen der Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG zu sehen (siehe zu den Befugnisnorm des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2 BayVSG a.F. noch unten II.2.). Voraussetzung für eine Beobachtung ist, dass hinreichende (vgl. hierzu BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – Rn. 183) tatsächliche Anhaltspunkte für beobachtungsbedürftige Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Art. 4 Abs. 2 BayVSG vorliegen. Beobachtungsbedürftig sind gemäß Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG unter anderem Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, also insbesondere Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
44
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG ist (ebenso wie Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG) auf politische Parteien im Sinne des Art. 21 GG anwendbar. Insbesondere steht ihrer Anwendung das sog. Parteienprivileg (vgl. Art. 21 Abs. 2 und 4 GG) nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 79; vgl. zu den Regelungen des BVerfSchG OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 102 ff.).
45
Die Betätigungsfreiheit der Klägerin als politische Partei wird nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Schranken in der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“. Diese Grundentscheidung ist im Wesentlichen aus Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 GG herzuleiten (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 24; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 – juris Rn. 22). Der Staat ist demnach grundsätzlich nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten von Gruppen oder deren Mitgliedern wertend zu beurteilen (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 58; BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13.07 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1609 – juris Rn. 23). Zwar schließt das sogenannte Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 und 4 GG, das die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehält, ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus (st.Rspr. seit BVerfG, U.v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51 – juris Rn. 215; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Bis zu einer solchen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen oder wegen parteioffizieller Tätigkeiten rechtliche Sanktionen androhen oder verhängen (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – Rn. 16; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Gleichwohl darf die Überzeugung gewonnen und vertreten werden, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Zudem handelt es sich bei einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht um eine Sanktion, da die Beobachtung der Aufklärung dient, ob die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 21). Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung wird von der Verfassung („streitbare“ bzw. „wehrhafte“ Demokratie) vorausgesetzt. Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, fließt die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden für die Beobachtung verfassungsfeindlicher Gruppen und Aktivitäten (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 150), die gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf und unter Schutz durch die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn.81).
46
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beobachtung einer politischen Partei durch die Verfassungsschutzbehörden insoweit auch mehrfach ausdrücklich gebilligt (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2003 – 2 BvB 1/01 u.a. – juris Rn. 77 f.; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 418; vgl. auch B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 24). Hierdurch wird deutlich, dass Art. 21 GG – entgegen der Auffassung der Klägerin – keine abschließende, eine Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz ausschließende Regelung darstellt (vgl. zu § 8 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 98 ff.). Auch aus einer Zusammenschau von Art. 21 GG und § 43 BVerfGG folgt nichts anderes, da letzterer lediglich normiert, wer vor dem Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Entscheidung stellen kann, ob eine Partei verfassungswidrig (Art. 21 Abs. 2 GG) oder von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen ist (Art. 21 Abs. 3 GG) und dies Fallkonstellationen sind, die von der Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz zu unterscheiden sind. Dementsprechend ist es auch nicht zu beanstanden, sondern vielmehr folgerichtig, dass die Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz niedriger sind als die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 bis 4 GG. Dies gilt umso mehr, als das Parteiverbot die stärkste Beeinträchtigung der Parteienfreiheit darstellt (vgl. Kluth in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand 15.6.2024, Art. 21 Rn. 205; vgl. zur rechtlichen Einordnung des Finanzierungsausschlusses als Minus oder Aliud zu einem Parteiverbot BVerfG, U.v. 21.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 239) und die Beobachtung einer Partei durch eine Verfassungsschutzbehörde nicht zwingend die Vorbereitung repressiver staatlicher Maßnahmen, wie z.B. ein Parteiverbotsverfahren, zum Ziel haben muss. Die Beobachtung dient vielmehr auch dazu, Informationen über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mitteln, entgegenzuwirken (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 24; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 111). Diese (rechtliche) Unterscheidung zwischen der Beobachtung durch den Verfassungsschutz einerseits und einem Parteiverbotsverfahren andererseits bedeutet zugleich, dass es zwar zutrifft, dass es allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist, über die Verfassungswidrigkeit einer Partei zu entscheiden (Art. 21 Abs. 2 und 4 GG), dieses Entscheidungsmonopol von der Beobachtung einer Partei durch eine Verfassungsschutzbehörde jedoch gar nicht berührt wird.
47
Die Beobachtung ist durch das Bayerische Verfassungsschutzgesetz, insb. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG, näher geregelt. Wenn die dort genannten Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall vorliegen, verletzt diese Beobachtung nicht die in Art. 21 GG normierten Rechte politischer Parteien (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.1993 – 5 CE 93.2327 – juris Rn. 17 ff. zum BayVSG v. 24.8.1990; vgl. zudem zum BVerfSchG BVerfG, B.v. 17.9.2013 – 2 BvE 6/08 – juris Rn. 132 ff. zur Wahrung des Vorbehalts des Gesetzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch angesichts Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 20 ff. zur Anwendbarkeit auf politische Parteien trotz Art. 21 Abs. 1 und 2 GG und VG Köln, U.v. 8.3.22 – 13 K 326/21 – Rn. 167 ff.; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD – juris Rn. 44 ff. zu den mit den Vorgaben des BayVSG inhaltsgleichen Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 VerfSchG-LSA i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VerfSchG-LSA; siehe speziell zu Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG noch unten II.1.e.aa.). Insbesondere beruht die Beobachtung damit – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 418) – auf einer gesetzlichen Grundlage. Es kommt somit nicht darauf an, dass das Prinzip der streitbaren Demokratie keine pauschale Eingriffsermächtigung darstellt (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 17.9.2013 – 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10 – juris Ls. 2b). Die Anwendbarkeit der Regelungen der Verfassungsschutzgesetze auf politische Parteien steht zudem im Einklang mit den Vorgaben der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), insbesondere der in dessen Artikel 11 normierten Vereinigungsfreiheit (dies ausführlich begründend auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 121 ff.). Wenngleich die durch Art. 11 Abs. 2 EMRK vorgesehene Möglichkeit von Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit bei politischen Parteien eng auszulegen ist, erkennt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Notwendigkeit an, Programminhalte politischer Parteien mit dem Verhalten ihrer Mitglieder zu vergleichen, da politische Parteien ihre den Grundprinzipien der Demokratie widersprechenden Ziele in der Vergangenheit nicht zu erkennen gegeben hätten, bevor sie an die Macht gelangt seien (EGMR, U.v. 5.5.2020 – 78635/13 – NVwZ 2021, 705/707 f.).
48
Der argumentative Ansatz der Klägerin, Art. 21 GG und Art. 71 GG, Art. 31 GG stünden als „abschließende Regelung für politische Parteien“ der Heranziehung der Verfassungsschutzgesetze insbesondere der Länder entgegen, geht systematisch fehl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b GG sowie Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG weisen den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern (in gemeinsamer Zusammenarbeit) innerhalb des Abwehrmechanismus der wehrhaften bzw. streitbaren Demokratie (vgl. dazu BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 150) die (notwendige) Funktion eines analytischen Informationsdienstleisters für diejenigen Stellen zu, die wie das Bundesverfassungsgericht über die entsprechenden Befugnisse (vgl. z.B. Art. 18 Satz 2, Art. 21 Abs. 4 GG) verfügen, um gegen die so identifizierten Gefahren zu intervenieren (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 84). Auch wenn das Recht auf B.ung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition in § 4 Abs. 2 Buchst. c BVerfSchG selbst als Verfassungsgrundsatz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung benannt wird, bedeutet dies nicht, dass eine (Oppositions-)Partei nicht beobachtet werden dürfte, wenn von ihr verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgehen.
49
Auch im Hinblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn eine Verfassungsschutzbehörde Maßnahmen insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen knüpft, als diese Ausdruck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Denn es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und ggf. Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 71 f.; BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 97 f.). Knüpft eine belastende staatliche Maßnahme an Meinungsäußerungen an, muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) ihrerseits konstituierend ist für die Demokratie, die eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zulässt. Die Meinungsäußerungsfreiheit kann daher Auswirkungen sowohl auf die Anforderungen an die Feststellung von Bestrebungen, vor allem bei der Auslegung einzelner Äußerungen, als auch auf die rechtliche Bewertung der ergriffenen Maßnahme haben, insbesondere im Hinblick auf deren Angemessenheit (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 71; siehe hierzu noch unten II.1.e.aa. und g.cc.).
50
c. Die Beobachtung ist formell rechtmäßig.
51
aa. Das BayLfV verfügt über die Zuständigkeit für die Beobachtung der AfD in dem in der Beobachtungserklärung dargestellten Umfang, d.h. mit besonderem Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 58 f.). Schließlich ist die Staatsaufgabe des Verfassungsschutzes (siehe Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. c und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) und damit auch der Beobachtungsauftrag nicht zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, sondern beiden zur gemeinsamen Erfüllung zugewiesen. Die Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern bestehen daher nebeneinander, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen ihres Handelns vorliegen (vgl. Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 5 Rn. 2 ff. m.w.N.). Wenn ein Landesamt für Verfassungsschutz zuständig ist, beschränkt sich sein Beobachtungsauftrag nicht auf diejenigen Teile der Organisation bzw. Betätigung, die in dem betreffenden Land vorhanden sind bzw. ausgeübt werden, sondern umfasst eine Gesamtbetrachtung des Beobachtungsobjektes, weil eine sachgerechte Beurteilung und Einschätzung sonst nicht möglich ist (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 6). Demgemäß lässt auch eine Zuständigkeit des BfV die originäre Zuständigkeit des BayLfV zu einer Gesamtbetrachtung des Beobachtungsobjektes, allerdings mit besonderem Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern, unberührt (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 3 m.w.N.). Diese Zuständigkeit ist nicht orts-, sondern aufgabenbezogen. Die Landesämter für Verfassungsschutz sind für die Sammlung und Auswertung von Informationen zuständig, wenn dies zur Erfüllung einer ihrer in § 3 Abs. 1 und 2 BVerfSchG definierten Aufgaben erforderlich ist (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 4).
52
bb. Die Klägerin musste vor Aufnahme der Beobachtung nicht angehört werden bzw. wäre ein diesbezüglicher Mangel – zumindest bezüglich der in die Zukunft gerichteten Unterlassungsbegehren – zwischenzeitlich geheilt (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 139 ff.; zur Nennung im Verfassungsschutzbericht OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 55/20 − juris Rn. 12 ff.).
53
Eine Anhörung ist gesetzlich weder durch das Bayerische Verfassungsschutzgesetz noch durch die von diesem in Bezug genommenen Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes vorgesehen. Auch Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG ist weder unmittelbar (vgl. zu staatlichem Informationshandeln BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34; zur Nennung im Verfassungsschutzbericht VG Berlin, B.v.28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23) noch analog anwendbar (vgl. VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 162 f. sowie zu staatlichem Informationshandeln BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34; zur Nennung im Verfassungsschutzbericht VG Berlin, B.v. 28.5.2020 – VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23). Eine Anhörung ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 139 ff.; zur Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts zudem VG Berlin, B.v. 28.5.2020 – VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23). Soweit die Grundrechte die Möglichkeit des Einzelnen schützen, von einer ihn betreffenden informationsbezogenen Maßnahme des Staates Kenntnis zu erlangen, gibt das Grundgesetz nicht vor, wie dies im Einzelnen gesetzlich auszugestalten ist. Da die Zielrichtung der Aufklärung durch die Verfassungsschutzbehörden begrenzt ist und die Datenverwendung strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügt, ist es zur Wahrung der Interessen der von der Beobachtung Betroffenen ausreichend, dass gesetzlich ein Anspruch auf Auskunft (Art. 23 BayVSG) festgelegt ist (vgl. dazu, dass Verfassungsschutzbehörden von Transparenz- und Berichtspflichten weitgehend freigestellt sind und der Grundsatz der Datenerhebung für sie nicht gilt, BVerfG, B.v. 28.9.2022 – 1 BvR 2354/13 – juris Rn. 119; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 140 ff.).
54
Aufgrund der Möglichkeit inhaltlicher Beanstandungen im Wege materieller Abwehrrechte ist das Unterbleiben der Anhörung als jedenfalls heilbarer Formfehler anzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1989 − 7 C 2/87 – juris Rn. 82; BayVGH, B.v. 14.2.2003 − 5 CE 02.3212 − juris Rn. 34) und ein etwaiger Anhörungsmangel zumindest bezüglich der in die Zukunft gerichteten Unterlassungsbegehren zwischenzeitlich geheilt worden (vgl. VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 162 f.; VG Berlin, B.v.28.5.2020 − VG 1 L 95/20 − beck online Rn. 23; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 149). Wie sich aus den Schreiben des Beklagten vom 29. September 2022 und vom 4. Oktober 2022 ergibt, hat dieser das als „Abmahnung“ bezeichnete Schreiben der Klägerin vom 22. September 2022 zum Anlass genommen, seine Entscheidung zu überprüfen und das Ergebnis der Überprüfung der Klägerin mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 auch mitgeteilt.
55
d. Maßgeblich für den geltend gemachten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch bezüglich der noch andauernden Beobachtung der Klägerin ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − Rn. 151 ff. sowie zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als maßgeblichem Zeitpunkt im Eilverfahren BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 70, 76).
56
Die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht, wonach maßgeblicher Zeitpunkt die Sach- und Rechtslage bei Vornahme der Maßnahme, also der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts, ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 22 f.), betrifft eine andere Konstellation als den hier verfahrensgegenständlichen Anspruch und ist auf diesen auch nicht übertragbar (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 72).
57
Zwar haben das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 14.12.2020 – 6 C 11.18 – juris Rn. 24) und ihm folgend der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 31.5.2023 – 1 S 3351/21 – juris Rn. 32) entschieden, dass eine Beobachtung, die das BfV auf Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte vorgenommen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen gerechtfertigt werden kann bzw. dass die Beobachtung nur auf solche Tatsachen in Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten gestützt werden darf, die dem Landesamt für Verfassungsschutz – sofern sie nicht offenkundig sind – bei Beginn der jeweiligen Beobachtung ausweislich der Verwaltungsvorgänge bekannt sind. Jedoch betrafen diese beiden Verfahren Feststellungsklagen bezüglich der Rechtswidrigkeit einer bereits in der Vergangenheit erfolgten und abgeschlossenen Beobachtung durch den Verfassungsschutz, während es vorliegend um den Anspruch der Klägerin geht, künftig nicht mehr vom BayLfV beobachtet zu werden. Falls man diese Rechtsprechung auf die begehrte Unterlassung einer Beobachtung übertragen würde (so VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 61 sowie i.Erg. OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 155), hätte dies zur Folge, dass das BayLfV die Beobachtung nur auf solche Tatsachen stützen dürfte, die ihm – sofern sie nicht offenkundig waren – ausweislich der Verwaltungsvorgänge bereits bei Beginn der Beobachtung bekannt waren und während der Beobachtung hinzugetretene Erkenntnisse lediglich für die Verhältnismäßigkeit der (Fortdauer der) Beobachtung sprechen würden (so VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 61). Dies erscheint vor dem Hintergrund der – im Gegensatz zur Feststellungsklage – grundsätzlichen Zukunftsgerichtetheit der Unterlassungsklage wenig überzeugend und zudem nicht prozessökonomisch bzw. wäre der Rechtsschutz nicht als effektiv anzusehen. Selbst bei Zugrundelegung dieses Maßstabs käme der Klägerin vorliegend aber kein Unterlassungsanspruch zu, da bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme der Beobachtung (Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022) ebenso wie im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung am 8. September 2022 hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlagen (siehe hierzu noch unten II.2. zum Klageantrag zu 4.).
58
e. Bei wertender Gesamtbetrachtung (ff.) der uneingeschränkt verwertbaren (ee.) vorgelegten Belege liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG sowie Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG (aa.) vor, da es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung der Menschenwürde (bb.) und des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (cc., dd.) richten, gibt.
59
aa. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, Abs. 2 BVerfSchG).
60
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählt aus Sicht des Verfassungsschutzrechts das in § 4 Abs. 2 Buchst. a bis f BVerfSchG umschriebene Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ebenso wie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (§ 4 Abs. 2 Buchst. g BVerfSchG) und damit insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als tragendes Konstruktionsprinzip der Grundrechte, wobei verfassungsfeindliche Bestrebungen nicht auf die Abschaffung oder Außerkraftsetzung sämtlicher im Grundgesetz verbürgter Menschenrechte abzielen müssen (vgl. VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 185; VG München, U.v. 29.8.2002 – M 24 K 02.2483 – juris Rn. 34).
61
Bestrebungen erfordern ein aktives Vorgehen, d.h. äußerlich feststellbare Aktivitäten, wie z.B. öffentliche Auftritte, Veranstaltungen und Bekundungen. Ein kämpferisch-aggressives Vorgehen ist dabei nicht erforderlich (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 185 f.; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Ls. 3, Rn. 59; OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 56/20 − GSZ 2020, 270/274; OVG NW, B.v. 21.12.2000 – 5 A 2256/94 – juris Rn. 23 ff.; VGH BW, B.v. 11.3.1994 – 10 S 2386/93 – juris Ls. 1, Rn. 3; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 17). Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht aus den beiden von der Klägerin benannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 18; B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 16). Diese beziehen sich bereits nicht auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, sondern auf die Information der Öffentlichkeit (durch Ausführungen im Verfassungsschutzbericht), für die jedoch andere rechtliche Maßstäbe gelten (siehe hierzu noch unten). Überdies ist ein „Anknüpfen an eine aktiv-kämpferische Haltung“ (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 18) bzw. das Vorliegen von „Aktivitäten, die eine aktiv-kämpferische Haltung indizieren“ (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 16) nicht mit einem kämpferisch-aggressiven Vorgehen gleichzusetzen. Es bestehen folglich − auch unter Berücksichtigung der in Art. 21 Abs. 1 GG geregelten Betätigungsfreiheit politischer Parteien und des in Art. 21 Abs. 2 und 4 GG normierten Parteienprivilegs – keinerlei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG als Rechtsgrundlage für die Beobachtung der Klägerin durch das BayLfV. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin angeregte Vorlage von Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. c aa BayVSG an das Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 GG) liegen nicht vor, da das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt sein muss (vgl. nur Dederer in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand 104. EL April 2024, Art. 100 Rn. 128) und es überdies im Hinblick auf das Vorliegen der Mindestvoraussetzungen für die Beobachtung nicht auf die in der Neufassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes getroffene Differenzierung zwischen „lediglich“ beobachtungsbedürftigen Bestrebungen (Abs. 2 Nr. 1) und erheblich beobachtungsbedürftigen Bestrebungen (Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c aa) ankommt. Eine Beobachtung kann bereits bei „lediglich“ beobachtungsbedürftigen Bestrebungen nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG vorgenommen werden, Abs. 2 Nr. 2 BayVSG normiert dagegen die Voraussetzung für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel mit erhöhter Eingriffsintensität (vgl. LT-Drs. 18/29057, S. 15 ff.).
62
Um der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) hinreichend Rechnung zu tragen, sind nur Verhaltensweisen unter den Begriff der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu fassen, die über rein politische Meinungen hinausgehen. Die bloße Kritik an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss danach unberücksichtigt bleiben, da sie nicht als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen und daher erlaubt ist. Dies gilt jedoch nicht für Kritik an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wenn die Kritik mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten verbunden ist (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 70).
63
Die Aktivitäten müssen politisch bestimmt und damit objektiv geeignet sein, über kurz oder lang politische Wirkungen zu entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 59; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23).
64
Sie müssen zudem auf die Beseitigung bzw. das Außer-Geltung-Setzen eines der vom Gesetz geschützten Rechtsgüter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein, wobei es sich hierbei allerdings nicht um das politische Hauptziel handeln muss (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 70 ff.; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 60 f.; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23). Beseitigung meint die vollständige Abschaffung des Schutzguts, ein Außer-Geltung-Setzen liegt dagegen bereits vor, wenn das Schutzgut nicht förmlich abgeschafft, aber faktisch beseitigt wird oder leerlaufen soll (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 23.11.2011 – 1 B 111.10 – juris Rn. 44; Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 167; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 10). Speziell in Bezug auf politische Parteien ist hervorzuheben, dass ein politisches Ziel anzunehmen ist, wenn eine Partei betrachtend gewonnene Erkenntnisse in ihren Willen aufgenommen und zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht hat. Da eine politische Partei eine ihrem Wesen nach zu aktivem Handeln im staatlichen Leben entschlossenen Gruppe ist (vgl. bereits § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG sowie BVerfG, U.v. 17.8.1956 – 1 BvB 2/51 – juris Rn. 232; BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 61) und auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtet ist, liegt bei Meinungsäußerungen, die von oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, zumindest nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 61; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 94). Hintergrund hierfür ist, dass politische Parteien durch ihre Programme und ihre Äußerungen um Unterstützung der Wählerinnen und Wähler für ihre Auffassungen und Ziele werben, um diese letztlich im Rahmen einer Teilhabe an staatlicher (legislativer und/oder exekutiver) Gewalt geltend zu machen und umzusetzen (vgl. VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 – juris Rn. 28).
65
Bei der Bewertung einer Äußerung kommt es weder auf die subjektive Absicht des sich Äußernden noch auf das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern auf den Sinn an, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (BVerfG, B.v. 11.4.2024 – 1 BvR 2290/23 – juris Rn. 30; B.v. 24.9.2009 – 2 BvR 2179/09 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8.21 – juris Ls. 2, Rn. 29; HessVGH, B.v. 22.3.24 – 8 B 560/24 – juris Rn. 16). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Der objektive Sinn wird vielmehr auch vom Kontext und den Begleitumständen der Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG, B.v. 11.4.2024 – 1 BvR 2290/23 – juris Rn. 30; B.v. 24.9.2009 – 2 BvR 2179/09 – juris Rn. 7; BVerwG – 6 C 8/21 – juris Rn. 29). Bei der Frage, ob bestimmte Verlautbarungen hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kommt es vielmehr auf ihre konkrete Verwendung und ihren Stellenwert in der Gesamtpolitik der Partei an (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 30.97 – juris Rn. 31; OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 – OVG 3 B 3.99 – juris Rn. 47; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 178).
66
Die tatbestandliche Voraussetzung „tatsächliche Anhaltspunkte“ verlangt mehr als bloße Vermutungen, Mutmaßungen, Annahmen oder Hypothesen. Andererseits bedarf es auch nicht der Gewissheit, dass Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigt oder außer Kraft gesetzt werden sollen. Es müssen vielmehr konkrete und hinreichend verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorliegen (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 189; U.v. 14.7.1999 – 1 BvR 2226/94 – juris Rn. 281), die bei vernünftiger Betrachtung auf solche Bestrebungen hindeuten und deshalb eine weitere Aufklärung erforderlich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 30, 32; BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23). Sie können sich z.B. aus offiziellen Programmen, Satzungen oder sonstigen Veröffentlichungen ergeben, allerdings auch aus Äußerungen und Taten von führenden Persönlichkeiten und sonstigen Vertretern, Mitarbeitern und Mitgliedern der Gruppierung (vgl. OVG NW, U. v. 13.2.2009 – 16 A 845/08 – juris Rn. 47; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 – juris Rn. 22; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 – juris Rn. 21; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD – juris Rn 38; VG München, B.v. 27.7.2017 – M 22 E 17.1861 – juris Rn. 60). Es kommt daher nicht nur auf das offizielle Parteiprogramm und die Satzung der Partei an, sodass unabhängig von diesen auch auf Meinungsäußerungen zurückgegriffen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.1980 – 2 C 27/78 – juris Rn. 52; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 161 ff.). Gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Ziele einer Vereinigung lassen sich in der Regel sogar weniger ihrer Satzung und ihrem Programm, sondern eher ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Publikationen sowie den Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer Funktionsträger entnehmen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.2009 – 6 A 3/08 − juris Rn. 45; U.v. 13.5.1986 – 1 A 12/82 − juris Rn. 27).
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Um der Betätigungsfreiheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) und ihrer Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) bei Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzung der tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend Rechnung zu tragen, ist bei Meinungsäußerungen, die politischen Parteien zuzurechnen sind, vorauszusetzen, dass die entsprechenden Meinungsäußerungen nicht nur vereinzelt erfolgen, sondern auf eine Art und Weise, die die Befürchtung greifbar macht, dass Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch tatsächlich außer Kraft gesetzt werden sollen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts spiegelt sich dieser Gedanke dergestalt wieder, dass auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele einer Partei geschlossen werden kann, also die Zielrichtung der Verhaltensweisen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen bzw. außer Geltung zu setzen, damit begründet werden kann, dass Menschenwürdeverletzungen in einer Partei systematisch, d.h. nicht nur vereinzelt erfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 – juris Rn. 48 f.; in diesem Sinne zudem OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 – OVG 3 B 3.99 – juris Rn. 145; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 – juris Rn. 39), sodass sie nicht mehr nur als bloße „Entgleisungen“ anzusehen sind. Zugleich ist ausreichend, dass die Gesamtschau aller tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutet (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 C 19.2517 – juris Rn. 23 m.w.N.). Dabei ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe zuzurechnen, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Parteimitglieder ist eine Zurechnung möglich, wenn die Äußerungen in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 271 f.; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris, Rn. 562 f.; BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 97; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 165). Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 272; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris, Rn. 563; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 165).
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Der unbestimmte Rechtsbegriff der tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung, sowohl in Bezug auf das Vorliegen der behaupteten Tatsachen, also die Tatsachenfeststellung durch die Verfassungsschutzbehörde, als auch die aus diesen Tatsachen gezogenen wertenden Schlussfolgerungen (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1320 − juris Rn. 42; VG München, U.v. 17.12.2020 − M 30 K 18.5358 − juris Rn. 55; B.v. 27.7.2017 − M 22 E 17.1861 − juris Rn. 59; Roth in Schenke/Graulich/ Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 135).
69
Zu Recht verweist die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf, dass sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG spezifische Anforderungen nicht nur an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte tatrichterliche Interpretation umstrittener Äußerungen ergeben. Zwar ist nicht entscheidend, ob die als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogenen Äußerungen für sich genommen vom Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst sind (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 55/20 – GSZ 2020, 270/274; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 180). Jedoch muss bei der Berücksichtigung von Meinungsäußerungen durch die Verfassungsschutzbehörde grundsätzlich die für jede rechtliche Würdigung einer in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallenden Äußerung geltende Voraussetzung erfüllt sein, dass der Sinn der Äußerung zutreffend erfasst worden ist (vgl. zu § 14 OBG NRW i.V.m. § 130 StGB BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8.21 – juris Rn. 29). Zutreffend ist auch, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung demgemäß bei mehrdeutigen Äußerungen Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen haben, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen, und dass bei mehrdeutig bleibenden Äußerungen, bei denen sich nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausschließen lassen, diejenige Variante zugrundezulegen ist, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist (BVerfG, B.v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 – juris Rn. 31 ff.; B.v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91 – juris Rn. 31; B.v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88 – juris Rn. 42; BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8.21 – juris Rn. 30). Die daran anknüpfende pauschale Kritik der Klägerin, der Beklagte habe bei der Sammlung und Auswertung von (einschlägigen) Informationen Äußerungen „ohne ersichtlichen und plausiblen Maßstab“ als verfassungsfeindlich ausgelegt, „ohne andere Deutungsvarianten in Betracht zu ziehen und/oder auszuschließen“, blendet aber zum einen schon aus, dass es vorliegend nicht etwa um die Strafbarkeit, ein strafrechtliches Vorgehen oder das Verbot der betreffenden Äußerungen, sondern um nachrichtendienstliche Gefahrerforschung geht. Verfassungsschutzbehörden haben die Aufgabe, Aufklärung im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben; sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und sie gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 154 m.w.N.). Zum anderen wird das Fehlen eines ersichtlichen und plausiblen Maßstabs bei der Berücksichtigung von Meinungsäußerungen gerügt, ohne dass in überzeugender Weise dargelegt worden wäre, welche nicht als fernliegend ausschließbare Deutungsalternativen jeweils bestanden hätten, bei denen sich keine tatsächlichen Bestrebungen manifestieren, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 98). Überdies verlangt Art. 5 GG nicht, auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden (vgl. HessVGH, B.v. 22.3.2024 – 8 B 560/24 – juris Rn. 16).
70
Entgegen der Auffassung der Klägerin können auch Verhaltensweisen – insbesondere Meinungsäußerungen und Aktivitäten – von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien sowohl der AfD-Bundespartei als auch anderer Landesverbände der AfD und deren Untergliederungen – wobei davon auch Mitglieder der AfD-Fraktionen in Volksvertretungen auf Bundes- und Landesebene umfasst sind – als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen und verwertet werden (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 88 ff.). Die Verwertung stellt insbesondere keine unzulässige Zurechnung von Verhalten „Dritter“ dar, wie die Klägerin (u.a. unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 31.5.22 – 1 BvR 564/19; B.v. 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86; BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 43.00) argumentiert (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 88 ff.; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 167 ff.; VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 62; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 91).
71
Dass eine Partei laut ihrer Satzung in Gebietsverbände, also Landesverbände sowie ggf. noch weiter in Bezirks- und Kreisverbände, untergliedert ist (s. § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der Bundessatzung der AfD), steht einer solchen Verwertung nicht entgegen. Die Untergliederung einer Partei ist zunächst Ausdruck ihrer organisatorischen Verfestigung. Die Ausgestaltung der Organisation, bei der unter anderem Einheiten (Landesverbände) bestimmt und gebildet werden, dient der Einflussnahme auf die politische Willensbildung auf jener Ebene, der Mitwirkung an der entsprechenden Volksvertretung und damit der effektiven Durchsetzung der verfolgten politischen Ziele insgesamt.
72
Untergliedert sich eine politische Partei, verbleibt es bei einer persönlichen Mitgliedschaft des Mitglieds, die sich auf alle Ebenen erstreckt („gestufte Mehrfachmitgliedschaft“). Tritt eine Person einer politischen Partei bei, so wird sie aufgrund der vertikalen Untergliederung zugleich Mitglied der Gesamtpartei und jeder Ebene, der sie angehört (vgl. Ipsen in Ipsen, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 11 u. § 16 Rn. 6; vgl. bereits BGH, U.v. 5.10.1978 – II ZR 177/76 – juris Rn. 14). Dazu gibt es auch in Bezug auf die Organe mannigfaltige Rückkopplungen. So entsenden in der Regel die Landesverbände Delegierte zu dem Parteitag der Bundespartei. Dies ist auch nach § 11 Abs. 3 Satz 1 der Bundessatzung der AfD der Fall, wonach der Bundesparteitag unter anderem aus 600 von den Landesverbänden entsandten Delegierten besteht. Damit korrespondiert § 6 Abs. 1 der Satzung des Landesverbands Bayern der AfD, wonach der Landesverband Bayern Delegierte für den Bundesparteitag entsendet.
73
Die von § 7 PartG vorgeschriebene Untergliederung einer Partei bedeutet entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass ein Landesverband gegenüber der Bundespartei oder gegenüber den übrigen Landesverbänden im Rahmen einer verfassungsschutzrechtlichen Prüfung jeweils als „Dritter“ anzusehen ist, sondern im Gegenteil, dass er insoweit integrierter Teil des Ganzen ist. Dies gilt insbesondere auch für die inhaltliche und programmatische Ausrichtung in Bezug auf die gesetzten politischen Ziele (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 15.795 − juris Rn. 17: „Äußerungen von Repräsentanten auf Bundesebene derselben Partei entgegenhalten lassen“; B.v. 7.10.1993 – 5 CE 93.2327 − juris Rn. 21; OVG Berlin-Bbg., U.v. 6.4.2006 – OVG 3 B 3.99 – juris Rn. 47: „erstreckt sich auch auf Handlungen, Presseerzeugnisse, Verlautbarungen und Äußerungen der Bundespartei, anderer Landesverbände und deren Untergliederungen sowie der Mitglieder der genannten Verbände“; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 22: „auch solche anderer Landesverbände und der Partei auf Bundesebene“; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 − juris Rn. 21: „… weil er Landesverband einer bundesweit organisierten Partei ist, ebenso auf die Partei auf Bundesebene und auf die anderen Landesverbände“; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 − juris Rn. 30: „nicht nur Äußerungen des betreffenden Landesverbandes verwertet werden, sondern auch solche anderer Landesverbände und der Partei auf Bundesebene“; VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 − juris Rn. 41; vgl. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 179; Ipsen in Ipsen, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2018, § 16 Rn. 2: „werden Bekundungen von Organen eines Gebietsverbandes regelmäßig der Partei zugerechnet“; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 Rn. 107: „auch Anhaltspunkte aus anderen Personenzusammenschlüssen einzubeziehen […] Dies gilt insbesondere für Über- oder Untergliederungen (Bundes-, Landes-, Kreisoder Ortsverbände) mit teilidentischem Mitgliederkreis“).
74
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind einer Partei grundsätzlich Verhaltensweisen ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre, zuzurechnen. Dabei sind einschlägige Verhaltensweisen von Akteuren auf der Ebene der Landesverbände der Bundespartei ohne Weiteres zuzurechnen (vgl. zur Zurechnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen i.S.d. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 − juris Rn. 562 f., 658, 659, 682, 702, 716, 730, 732, 746, 748, 751, 754, 775, 781, 789, 791, 799, 812, 815, 836 ff.).
75
Nichts anderes ergibt sich bei einer Betrachtung, wie im Verhältnis der Bundespartei AfD und den Landesverbänden der AfD die Kompetenzen verteilt und die Prozesse festgelegt sind. Maßgeblich sind insofern die Einflussnahmemöglichkeiten der Bundespartei auf die einzelnen Landesverbände (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 15.795 − juris Rn. 18).
76
Fehl geht insofern der Verweis der Klägerin auf die in § 6 Abs. 1 Satz 2 PartG verbürgte Satzungs- und Personalautonomie der Landesverbände. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 der Bundessatzung der AfD haben die Landesverbände auch Satzungsautonomie. Die Klägerin blendet dabei allerdings aus, dass nach § 6 Abs. 1 Satz 2 PartG die Gebietsverbände ihre Angelegenheiten durch eigene Satzungen regeln, soweit die Satzung des jeweils nächsthöheren Gebietsverbandes hierüber keine Vorschriften enthält. Der Satzungsautonomie des § 9 Abs. 1 Satz 3 der Bundessatzung der AfD steht § 9 Abs. 4 der Bundessatzung der AfD gegenüber, wonach die Satzung untergeordneter Gebietsverbände den Satzungen übergeordneter Verbände nicht widersprechen darf. Ein Landesverband kann sich damit zwar eine Satzung geben, inhaltlich kann sie jedoch nur innerhalb der von der Bundessatzung der AfD gesetzten Grenzen bestehen. Zudem erlaubt § 8 der Bundessatzung der AfD umfassende Ordnungsmaßnahmen gegen Landesverbände und Landesverbandsvorstände.
77
Auch insoweit erweist sich die Klägerin – ebenso wie die übrigen Landesverbände − als unselbständiger Teil der Gesamtpartei. Sie ist, wie der Beklagte in der zugrundeliegenden Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 festgestellt hat, „uneingeschränkt in die AfD als Gesamtpartei integriert“ (vgl. BayLfV, Beobachtungserklärung vom 21.6.2022, S. 1).
78
Schließlich führt auch der Hinweis der Klägerin auf ihre Partei- und Rechtsfähigkeit nach § 3 ParteiG nicht weiter. Diese Einordnung ist im Rahmen der hier maßgeblichen verfassungsschutzrechtlichen Fragen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG und Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG und § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG bzw. Art. 4 Abs. 1 BayVSG und § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist insofern das Tatbestandsmerkmal „in einem Personenzusammenschluss“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG. Beobachtungsobjekt des Beklagten und zu betrachtender Personenzusammenschluss i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG ist die AfD als Gesamtpartei. Die Klägerin sowie die übrigen Landesverbände sind hierbei als Teile der Gesamtpartei anzusehen.
79
Landesspezifische Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind im Fall der Klägerin – ungeachtet ihrer Relevanz im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (siehe hierzu noch unten II.1.g.dd.) – folglich nicht erforderlich (vgl. VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn.200). Die von der Klägerin herangezogene Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (HessVGH, B.v. 3.3.2021 – 7 B 190/21 – juris Rn. 29) ist schon nicht einschlägig, da es in dieser um tatsächliche Aspekte (Angaben zur Zahl der Angehörigen des „Flügels“ in Hessen) und nicht um Zurechnungsfragen geht und beide Konstellationen nicht vergleichbar sind. Landesspezifische Anhaltspunkte liegen jedoch ohnehin sowohl zu Beginn der Beobachtung durch das BayLfV (insbesondere in Form der dargestellten Äußerungen in der Alternativen Nachrichtengruppe Bayern, siehe hierzu noch unten) als auch in jüngster Vergangenheit (insbesondere durch die Äußerungen der Kreisverbände Aichach-Friedberg und München Ost, siehe hierzu noch unten) vor.
80
In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes bedarf der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht der Rechtfertigung und ist nicht umgekehrt die Ausübung von Grundrechten rechtfertigungsbedürftig. Wenn ein auf Grundrechte gestützter Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, trägt demnach der Staat die Beweislast für die gesetzlichen Voraussetzungen des Eingriffs (vgl. BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 6 C 13/07 – juris Rn. 41; speziell für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG, § 4 Rn. 138).
81
Der von der Klägerin gerügte Umstand, dass vom Beklagten keine vollständige Behördenakte (oder ähnlich umfassende Verwaltungsvorgänge) vorgelegt wurde, führt jedoch nicht bereits dazu, dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.
82
Die Verwaltungsgerichte sind vielmehr von Amts wegen zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet (§ 86 Abs. 1 VwGO), sodass selbst eine – unterstellt – mangelhafte Aktenführung der Behörde im gerichtlichen Verfahren weitgehend kompensiert werden kann; lassen sich Umstände infolge unzureichender behördlicher Dokumentation nicht aufklären, trägt die Verwaltung die materielle Beweislast für die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen sie ihr günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2022 – 6 A 7.19 – juris Rn. 42 m.w.N.). Dass im vorliegenden Fall das vom Beklagten vorgelegte umfangreiche Material, das der Beobachtungsentscheidung zugrunde liegt, im dargelegten Sinn zur Aufklärung des Sachverhalts „unzureichend“ wäre, wird von der Klägerin lediglich behauptet, aber nicht näher dargelegt (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 77; zur Rüge der Klägerin, dass dem Gericht eine Gesamtschau nicht möglich wäre, siehe noch unten II.1.e.ff.). Vielmehr ergeben sich aus den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen, dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD bestehen.
83
bb. Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung der Menschenwürde richten (1), ergeben sich – jeweils selbständig tragend – aus der Zielsetzung, Deutsche mit Migrationshintergrund menschenwürdeverletzend auszugrenzen (2) sowie aus Äußerungen in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens (3).
84
(1) Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist als tragendes Konstruktionsprinzip im System der Grundrechte (vgl. BVerfG, B.v. 20.10.1992 − 1 BvR 698/89 − juris Rn. 107) von den in § 4 Abs. 2 Buchst. g BVerfSchG angesprochenen, im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten erfasst. Mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. (vgl. BVerfG, B.v. 20.10.1992 − 1 BvR 698/89 − juris Rn. 107). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Menschenwürde egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung und ist unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde unvereinbar sind daher ein rechtlich abgewerteter Status und demütigende Ungleichbehandlungen. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die – eng zu verstehenden – Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die insbesondere eine Benachteiligung wegen der Abstammung, der Rasse, der Heimat und Herkunft und des Glaubens verbieten (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 541). Art. 1 Abs. 1 GG schützt Personen und Personengruppen davor, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, verspottet oder sonst herabgewürdigt zu werden (vgl. BVerfG, U.v. 12.12.2000 − 1 BvR 1762/95 − juris Rn. 66; B.v. 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 − juris Rn. 32). Allein die Verletzung der Ehre einer Person reicht jedoch zur Annahme eines Angriffs auf die Menschenwürde nicht aus. Erforderlich ist grundsätzlich vielmehr, dass der angegriffenen Person oder dem Mitglied der angegriffenen Personengruppe das Lebensrecht als gleichwertiger Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird (vgl. BGH, U.v. 15.3.1994 – 1 StR 179/93 − juris Rn. 15, bestätigt durch BVerfG, B.v. 6.9.2000 − 1 BvR 1056/95 − juris Rn. 40). Äußerungen können – auch bei Vorhandensein einer weitergehenden Zielsetzung − unmittelbar die Menschenwürde der von den Äußerungen betroffenen Personen, also ihren inneren Wert und zugleich sozialen Achtungsanspruch, verletzen. Dementsprechend sind Äußerungen, die zum Hass gegen eine Personengruppe aufstacheln oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen ihnen gegenüber auffordern, oder mit denen sie beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) gedeckt (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48).
85
Das Bundesverwaltungsgericht sieht die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an eine Personengruppe, die − insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen − den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühl hervorzurufen, als unmittelbaren Angriff auf die Menschenwürde der von den jeweiligen Äußerungen betroffenen Personen an und geht davon aus, dass auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele einer Partei geschlossen werden kann, soweit Funktionäre, Mitglieder und Anhänger einer Partei die Menschenwürde Dritter nicht nur vereinzelt beeinträchtigen, sondern systematisch verletzen und missachten (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48 f. zur Frage der verfassungsfeindlichen Zielsetzung einer politischen Partei bei der Beurteilung, ob ein Soldat bei Betätigung in der entsprechenden Partei die ihm nach § 8 Soldatengesetz obliegende politische Treuepflicht verletzt). Gleichermaßen einzuordnen sind Äußerungen, die dazu geeignet sind, bei potentiellen Wählerinnen und Wählern ebenso wie in der Bevölkerung allgemein Sozialneid zu schüren, Abwehr und Unbehagen hervorzurufen sowie eine ablehnende, wenn nicht feindliche Haltung gegenüber den genannten Personengruppen zu begründen oder zu festigen und letztlich Angst und Hass ihnen gegenüber zu schüren (vgl. zu diesem Kriterium OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 − OVG 3 B 3.99 − juris Rn. 152; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 27; VG Düsseldorf, U.v. 12.4.2013 − 22 K 9174/10 − juris Rn. 99), da entsprechende Äußerungen – sofern sie denn systematisch erfolgen − generell geeignet sind, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 48 f.; zur Verletzung der Menschenwürde durch ausländerfeindliche Äußerungen im Ergebnis ebenso BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 − juris Rn. 24 ff., 41).
86
Dieser Maßstab ist auch bei der Bestimmung des Begriffs der politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen (Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c BVerfSchG), heranzuziehen, da es bei systematischen menschenwürdeverletzenden Äußerungen einer Partei als deren politisches Ziel angesehen werden kann, durch die menschenrechtswidrige Herabsetzung und Ausgrenzung der betroffenen Personengruppen gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, in denen die Menschenwürde dieser Personengruppen nicht geachtet wird (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 12.4.2013 − 22 K 9174/10 − juris Rn. 100 f.). Dies bedeutet, dass die Menschenwürde der betroffenen Personen letztlich faktisch leerlaufen soll. Denn bei systematischen menschenwürdeverletzenden Äußerungen kann von einer mehrheitsfähigen inneren Bereitschaft ausgegangen werden, im Falle der Teilhabe an staatlicher Macht mit entsprechenden legislatorischen und exekutiven Maßnahmen die Menschenwürde der betroffenen Personengruppen zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen (vgl. VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 − juris Rn. 39). Dies ist umso mehr anzunehmen, wenn die anhaltende Befassung der Partei mit der betroffenen Personengruppe und deren negative Bewertung zentrales Anliegen der Partei ist (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 10.11.2009 – 22 K 3117/08 – juris Rn. 66). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1952 festgestellt, dass im modernen Staat Machtkämpfe mit dem Ziel, die bestehende Ordnung zu beseitigen, immer weniger offen und mit unmittelbarer Gewalt, sondern vielmehr in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zersetzung geführt werden. Offen und mit Gewalt durchgesetzt werden die verfassungsfeindlichen Ziele dann erst, nachdem die politische Macht bereits errungen ist; sie werden zuvor aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts daher „naturgemäß“ nicht klar und eindeutig verkündet (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 52). Die Klägerin kritisiert, dass im Verfassungsschutzrecht ein anderer, niedriger Maßstab für die Beurteilung von Menschenwürdeverletzungen angenommen werde als in anderen Teilrechtsgebieten. Die dargestellten Kriterien für die Annahme von Menschenwürdeverletzungen bei Äußerungen, die politischen Parteien zuzurechnen sind, sind jedoch insbesondere aufgrund des Bestrebens von Parteien, an der politischen Willensbildung und Machtausübung mitzuwirken und der hiermit einhergehenden gesellschaftspolitischen Verantwortung rechtlich nicht zu beanstanden und angemessen.
87
(2) Es liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine jedenfalls bei Teilen der AfD bestehende Zielsetzung, Deutsche mit Migrationshintergrund menschenwürdeverletzend auszugrenzen, vor. Deutschen mit Migrationshintergrund soll ein rechtlich abgewerteter Status zuerkannt werden, wenn zwischen ihnen – den „Passdeutschen“ – und einem auf einem ethnisch-biologischen bzw. ethnisch-kulturellem Volksverständnis basierendem deutschen Staatsvolk unterschieden wird und Forderungen nach „Remigration“ befürwortet werden, die Deutsche mit Migrationshintergrund einschließen.
88
(a) Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Vergangenheit festgestellt, dass gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen“ (BVerfG, U.v. 31.10.1990 – 2 BvF 2/89 – juris Ls. 3a, Rn. 54) gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den sich daraus ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG und Art. 116 Abs. 1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Demgemäß kommt bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 690 f.).
89
(b) In der von einer Vielzahl an Funktionsträgern (u.a. Bundessprechern, Landessprechern und Mitgliedern des Bundesvorstands) der AfD unterzeichneten „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ vom 18. Januar 2021 wird insbesondere Folgendes proklamiert:
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„Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“, S. 3
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Auch in dem Faltblatt „7 Punkte zur Remigration“ des Bundesverbands der AfD vom Januar 2024 wird ausgeführt, dass die AfD nicht zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheide, sondern vielmehr alle Deutschen ohne Ansehen von Herkunft, Abstammung, Weltanschauung oder Religionszugehörigkeit Teil des Staatsvolks seien.
92
(c) Es ergibt sich allerdings aus zahlreichen Äußerungen von Mitgliedern der AfD, dass deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund nicht als gleichwertige Mitglieder des deutschen Volks anerkannt werden.
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Dr. C1. B2. (MdB, Beisitzerin im Bundesvorstand und Mitglied des Kreistags Main-Tauber-Kreis, AfD Landesverband Baden-Württemberg) sieht sich ihrem am 21. Januar 2020 auf F. veröffentlichten Beitrag nach als „Lobbyist der ‚Biodeutschen'“; die „autochtonen Deutschen, das hellhäutige, hier seit Jahrhunderten ansässige Volk“, die „ethnische deutsche (Noch-)Mehrheit“ habe fast keine Interessenvertreter mehr (BfV Gutachten, S. 216, Belegsammlung, S. 2715).
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Al. We.(MdB, Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Bundessprecherin) erklärte am 7. Juli 2019 auf F. unter der Überschrift „Das sind keine Deutschen!“, dass es sich bei Tatverdächtigen einer Gruppenvergewaltigung nicht um Deutsche, sondern „richtigerweise […] um Passdeutsche bzw. Deutsch-Türken“ handle:
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„Bei den mutmaßlichen Tätern soll es sich um vier Männer aus Hessen handeln, die in den Medien als ‚Deutsche‘ kolportiert werden. Richtigerweise handelt es sich bei den Vergewaltigern jedoch um Passdeutsche bzw. Deutsch-Türken. Warum der Blätterwald dieses Detail weitestgehend verschweigt, ist offensichtlich: Angesichts der zahlreichen sexuellen Übergriffe durch Migranten sucht man händeringend nach deutschen Tätern, im Bemühen, die Statistik nicht zu bunt werden zu lassen. Dabei ist es höchste Zeit, Ross und Reiter endlich beim Namen zu nennen!“, BfV Gutachten, S. 196, Belegsammlung, S. 2558 f.
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In dem laut BfV von vielen Mitgliedern und Untergliederungen der AfD, u.a. dem AfD Kreisverband Unterallgäu/Memmingen (AfD Landesverband Bayern) weiterverbreitetem Beitrag geht We. deutlich über eine (verfassungsschutzrechtlich unbedenkliche) Kritik an der Berichterstattung durch die Medien, in der auf die Nennung des Migrationshintergrunds der Tatverdächtigen verzichtet worden war, hinaus. Sie kritisiert nicht lediglich die Bezeichnung als „Deutsche“ als unvollständig oder irreführend, sondern macht deutlich, dass „Passdeutsche“ für sie generell keine „Deutschen“ seien. Eine Gesamtbetrachtung der Äußerung zeigt, dass es We. vorrangig um den Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter geht, sodass die Überschrift des Texts auch nicht mehr als Distanzierung von der Tat verstanden werden kann (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 220).
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Der Begriff der „Passdeutschen“ findet daneben auch Verwendung in Äußerungen der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt („In der Statistik des Landes ist jedoch nicht genau wiedergegeben, wann es sich um so genannte ‚Passdeutsche’ handelt. Deshalb ist eine weitaus höhere Dunkelziffer durchaus zu vermuten.“, F. Beitrag vom 13.3.2020 zur Kriminalstatistik, BfV Gutachten, S. 216, Belegsammlung S. 2741), des Landtagsabgeordneten Di. Sch. (Landesverband Hessen) zur Zahl der Vergewaltigungen laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (BfV Gutachten, S. 354, Belegsammlung S. 3803), des AfD Bundesverbands („Hier saßen 12.000 Islamisten hinter Schloss und Riegel, 800 von ihnen konnten laut Medienberichten entkommen. Ausgerechnet mit diesen – deutsch oder Passdeutsch – hat der Innenminister Mitleid.“, F. Beitrag vom 16.10.2019 zur Forderung des niedersächsischen Innenministers nach einer Rückführung der in kurdischen Gefängnissen inhaftierten IS-Kämpfer, BfV Gutachten, S. 196, Belegsammlung S. 2557) sowie der AfD Hamburg-Bergedorf (F. Beitrag vom 11.12.2019), der AfD Hamburg-Wandsbek (F. Beitrag vom 9.12.2019), der AfD Gelsenkirchen (F. Beitrag vom 11.1.2020: „Urdeutsche“ und „Passdeutsche“), dem AfD Kreisverband Hö. (F. Beitrag vom 5.12.2019, jeweils BfV Gutachten, S. 247, Belegsammlung S. 2870 ff.) und des Bundestagsabgeordneten St .Ke. (F. Beitrag vom 12.1.2020, BfV Gutachten, S. 197, Belegsammlung S. 2560). Dem vom AfD Kreisverband Herford (AfD Landesverband Nordrhein-Westfalen) am 8. Mai 2019 geteilten F. Beitrag von Mi. Ta. (zwischenzeitlich verstorben, zum damaligen Zeitpunkt Mitglied der AfD Bezirksfraktion in Hamburg-Mitte) zufolge sei jemand „nur wegen dem Pass noch lange kein Deutscher“ (zu den Bemühungen eines Syrers mit drei Ehefrauen und vierzehn Kindern um den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft, BfV Gutachten, S. 247 f., Belegsammlung S. 2874 f.), dem AfD Kreisverband Neunkirchen zufolge heiße es ja nichts, dass jemand einen deutschen Pass habe (F. Beitrag vom 5.2.2019 zur Zahl von Gewaltdelikten insbesondere mit Messern, BfV Gutachten, S. 248, Belegsammlung S. 2877). Der AfD Kreisverband Aichach-Friedberg sprach einem Deutschen mit Migrationshintergrund, der sich wegen eines Raubüberfalls vor Gericht verantworten muss, in einem F. Beitrag am 9. September 2019 unter Bezugnahme auf seinen Vornamen („Khalid“) und sein äußeres Erscheinungsbild („sieht aus wie jemand mit arabischem Migrationshintergrund“) ab, Deutscher sein zu können (BfV Gutachten, S. 248, Belegsammlung S. 2878). In die gleiche Richtung geht auch der Kommentar des AfD Kreisverbands Landshut (Landesverband Bayern) zu einem mit einem B. eines dunkelhäutigen ISIS-Kämpfers versehenen Artikel der B. Zeitung:
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„Wer schon immer wissen wollte wie ein ‚DEUTSCHER’ ISIS-Kämpfer aussieht, hier ist einer.“, F. Beitrag vom 6.3.2019, BfV Gutachten, S. 244, Belegsammlung, S. 2855
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Auch die nachfolgende Aussage in einem Beitrag des F. -Auftritts der Münchner AfD Kreisverbände „AfD München“ zeigt, dass der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht dazu führen soll, dass man „Deutscher“ und damit Teil des deutschen Volkes werde:
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„Wer an belebten Plätzen in deutschen Großstädten unterwegs ist, wird das Gefühl nicht los, dass man als Deutscher schon oft in der Minderheit ist. Da macht es auch keinen Unterschied, wenn die Vergabe der Staatsbürgerschaft auf dem Silbertablett jährlich hunderttausende neue deutsche Passinhaber ganz ohne Kreißsaal gebiert.“, F. Beitrag der „AfD München“ vom 19.2.2023, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 3 f.
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Ein Vergleich, der am 7. Januar 2023 von der AfD Kreistagsfraktion Aichach-Friedberg (AfD Landesverband Bayern) in einem Beitrag auf F. angestellt wurde (Vermerk des BayLfV vom 11. April 2024, S. 2) macht deutlich, dass Schwarze nach Auffassung der Kreistagsfraktion unabhängig davon, ob die jeweiligen Einzelpersonen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit erfüllen und sie einen deutschen Pass erhalten haben, aufgrund einer biologischen Komponente niemals wirklich Teil des deutschen Volkes sein können sollen. Auf dem von der Kreistagsfraktion veröffentlichten B. wird zwei Personen mit dunkler Hautfarbe, die deutsche Reisepässe in die Kamera halten, die Aussage „Wir sind Deutsche“ zugeschrieben und einer Aufnahme von zwei in die Kamera blickenden Löwen gegenübergestellt, denen die mit zwei lachenden Smileys versehene Aussage „Und wir sind Vegetarier“ zugeordnet wird. Das B. wurde von der Kreistagsfraktion mit einem Text versehen, demzufolge die Ampelkoalition das Problem der „Migrantengewalt“ dadurch löse, dass alle Migranten in kürzester Zeit und ohne Bedingungen die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten. Eine andere Deutung als diejenige, dass zum Ausdruck gebracht werden soll, dass Schwarze genauso wenig Deutsche sein können wie Löwen Vegetarier, ist fernliegend, da der Beitrag abgesehen von der (optisch erkennbaren) Hautfarbe keinerlei Informationen über die abgebildeten Personen enthält (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 222; vgl. zu einer Äußerung, wonach ein „Afrikaner, Asiate oder Orientale […] nie Deutscher werden könne[…], weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändere[…]“, BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 654). Der Auffassung der AfD Kreistagsfraktion Aichach-Friedberg zufolge ist es damit völlig unerheblich, ob die jeweiligen Einzelpersonen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft erfüllen, da allein eine biologische, vom Einzelnen nicht beeinflussbaren Komponente entscheidend sein soll.
102
Gleichermaßen an biologische Komponenten knüpfen auch die nachfolgenden Äußerungen an, in denen die deutsche Volkszugehörigkeit angezweifelt und ein ethnisch-biologisches bzw. ethnisch-kulturelles Volksverständnis offenbart wird:
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„Deutscher köpft Ehefrau? Wenn ein Hamster im Goldfischglas geboren wurde, ist er immer noch kein Goldfisch.“, F. Beitrag der AfD Viersen (Landesverband Nordrhein-Westfalen) vom 26.10.2019 zu einem in Deutschland geborenen Gewalttäter mit tunesischen Wurzeln, BfV Gutachten, S. 244, Belegsammlung, S. 2856
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„Was wollen die Mainstreammedien den Bürgern hier verkaufen? Warum werden nicht Ross und Reiter genannt? Apropos; Kater die in einem Pferdestall zur Welt kommen, sind Kater und keine Pferde. Vor 2015 waren Gruppenvergewaltigungen in Deutschland unbekannt. Massenvergewaltigungen sind und waren nie Bestandteil deutscher Kultur.“, F. Beitrag des AfD Kreisverbands Stuttgart (Landesverband Baden-Württemberg) vom 7.7.2019 zu der Gruppenvergewaltigung auf Mallorca, BfV Gutachten, S. 246, Belegsammlung, S. 2860
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„‚Wir können sagen: Wer Deutschland bewohnt, ist Deutscher‘.
Auch Feldhamster? Obwohl, da ist was dran. Feldhamster haben nämlich diesem geschundenen Land bei Weitem nicht so viel Leid und Schaden zugefügt wie die bekopftuchte, verschleierte, mehr als hälftig auf staatliche Leistungen angewiesene, bisweilen vergewaltigende und messernde, eher ihre Steinzeit-Kultur pflegende, einfach da-seiende und mit uns gar-nichts-aber-auch-gar-nix-zu-tun-habende Klientel von Naika. Insofern ist der deutsche Feldhamster mehr ein Deutscher als ein hier geborener Türke mit deutscher Staatsbürgerschaft, der aber trotzdem in seinem imaginierten türkischen Reich weilt.“, F. Beitrag des AfD Kreisverbands Greiz-Altenburg vom 19.12.2019, durch den ein auf pi-news.net veröffentlichter Beitrag von A. P. zitiert und verlinkt wird, der sich mit der Aussage der Sozialwissenschaftlerin N. F. in einem Interview mit der Fr. R. auseinandersetzt, BfV Gutachten, S. 264, Belegsammlung, S. 2918
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die durch diesen Vergleich zum Ausdruck kommende Auffassung, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führe, dass der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird, nicht mit dem Volksverständnis des Grundgesetzes vereinbar, da diesem zufolge jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes wird (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 691). Aus dem Kontext der dargestellten Äußerungen ergibt sich, dass der Migrationshintergrund der Personen als solcher als Problem gesehen wird und nicht lediglich in rechtlich zulässiger Weise eine fehlende Integration beklagt oder für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik geworben werden soll (vgl. zu diesem Argumentationsansatz OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 207). Durch die wiederholte Verwendung des Begriffs der „Passdeutschen“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-biologische“ bzw. „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gebe und die als „Passdeutsche“ bezeichneten Personen nur im Hinblick auf die Inhaberschaft eines Passes Deutsche seien, d.h. nur formal betrachtet die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, aber abgesehen davon keine Deutschen seien (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 202, 220; vgl. zur Begrifflichkeit „Passdeutscher“ zudem BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 655). Die durch die Begrifflichkeiten erzeugte Unterscheidung suggeriert, dass es Deutsche erster und zweiter Klasse gebe und verkennt bzw. missbilligt hierdurch die Einheitlichkeit der verfassungsrechtlich zwingend mit gleichen Rechten und Pflichten verbundenen Staatsbürgerschaft. Der Einwand der Klägerin, es werde nicht suggeriert, dass es deutsche Staatsbürger unterschiedlichen Wertes gebe, sondern lediglich Kritik am derzeitigen Abstammungs- und Staatsangehörigkeitsrecht geübt, vermag daher nicht zu überzeugen. Auch durch das ausdrückliche Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ und das Faltblatt „7 Punkte zur Remigration“ werden die dargestellten Äußerungen schon deshalb nicht gegenstandslos, weil es sich hierbei bloß um ein abstraktes Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen handelt und es an einer eindeutigen Distanzierung von Äußerungen, die in Widerspruch zu den Erklärungen stehen, fehlt (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 209), zumal es möglich erscheint, dass die Formulierungen in der Erklärung die (tatsächlich) verfolgten Ziele nur zurückhaltend beschreiben bzw. diese kaschieren (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 653).
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(d) Es liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von Teilen der AfD auch beabsichtigt wird, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen (vgl. zu diesem Kriterium BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 541, 646, 688).
108
Entsprechende ausdrückliche Forderungen gibt es zwar kaum (diese gänzlich verneinend OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 207). So erscheint es als Ausnahme, dass Ho. Wi. (zum damaligen Zeitpunkt zweiter Sprecher im AfD Kreisverband Süd-Ost-Thüringen) ein „Wahlrecht per Geburtsrecht in Ahnenreihe“ befürwortete (F. Beitrag vom 14.4.2019 zu einem Artikel auf spiegel.de, der sich für ein Wahlrecht von Geburt an ausspricht, BfV Gutachten, S. 284 f.) und nach außen die Auffassung vertrat, dass der „Erhalt des deutschen Volkes“ als oberste „Moral“ über alles zu stellen sei. Dieser Logik folgend wäre der zentrale Verfassungsgrundsatz der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als nachrangig zu bewerten und könnte im Hinblick auf Personen, die von Winterstein als nicht dem „deutschen Volk“ angehörend erachtet wurden, zugunsten des „Erhalts des deutschen Volkes“ eingeschränkt werden:
109
„kleiner Aphorismus: Das deutsche Volk hatte sich einen Staat gegeben, eine Nation, Grundgesetz und Recht. Es ist daher Herr darüber. Der Herr hat es geben und wenn es nicht mehr taugt, kann er es auch wieder nehmen oder verändern. Der Selbstzweck bleibt der Erhalt des deutschen Volkes. Es gibt keine Moral darüber.“, F. Beitrag vom 16.3.2020, BfV Gutachten, S. 285, Belegsammlung, S. 3158
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Die Schlussfolgerung, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch weder zwingend voraus, dass sie im Parteiprogramm enthalten ist, noch, dass sie ausdrücklich von Vertretern der Partei erhoben wird. Sie kann sich vielmehr als Konsequenz der strikten Ablehnung einer „Überfremdung“ Deutschlands „mit oder ohne Einbürgerung“ ergeben. Können bestimmte Personengruppen auch durch Einbürgerung nicht zu Deutschen werden und sind eine Vielzahl an Eingebürgerten nicht als Deutsche anzusehen, kann hieraus bei Berücksichtigung des gesamten politischen Konzepts einer Partei gefolgert werden, dass das Ziel einer Einheit von Volk und Staat ohne Ausbürgerungen oder aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegenüber eingebürgerten Menschen mit Migrationshintergrund nicht erreichbar ist (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 696).
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Erklärtes Ziel der AfD ist es jedenfalls, durch eine restriktive Einwanderungspolitik und eine Einschränkung der Zuwanderung die deutsche kulturelle Identität zu bewahren, was als solches rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerwG,U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 – juris Rn. 46; OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.4.2006 – 3 B 3/99 – NVwZ 2006, 838/841). In der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ wird ausgeführt, dass es politisches Ziel sei, das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig zu erhalten. Gerade weil die Zugehörigkeit zum Staatsvolk von der ethnisch-kulturellen Identität der betreffenden Person rechtlich unabhängig sei, halte es die AfD für wichtig, den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und damit die Aufnahme in das deutsche Staatsvolk, die definitiven Charakter habe, an strenge Bedingungen zu knüpfen:
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„Nur wer unsere Sprache spricht, unsere Werte teilt und unsere Lebensweise bejaht, soll Deutscher nach dem Gesetz werden können. Und wenn die Zahl der in Deutschland aufgenommenen und eingebürgerten Personen die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft nicht übersteigt, bleibt das Staatsvolk auf lange Sicht auch Träger der deutschen Kultur und Identität. Im Sinne unseres politischen Ziels, dem deutschen Staatsvolk auch eine deutsche kulturelle Identität über den Wandel der Zeit zu erhalten, wollen wir die aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht, beenden. […] Die Zuwanderung muss nach dem Bedarf des deutschen Staates in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteuert werden und findet ihre Grenze an der Aufnahmefähigkeit der deutschen Gesellschaft.“, S. 4
113
Es kann offenbleiben, ob aus den dargestellten Äußerungen sowie der dargestellten Programmatik angesichts dessen, dass die AfD als politische Partei grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, etwaigen Fehlentwicklungen mit politischen und rechtlichen Mitteln aktiv entgegenzusteuern, folgt, dass Ausbürgerungen von bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber eingebürgerten Menschen mit Migrationshintergrund von der AfD nicht ausgeschlossen werden und die wahren Zielsetzungen lediglich aus taktischem Kalkül bewusst nicht vollständig offengelegt werden (vgl. zu dieser Argumentation OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 109, 207; OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 56/20 − juris Rn. 35 f.) oder sich die AfD – insbesondere bei Berücksichtigung der „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ – lediglich in noch zulässiger Weise für eine restriktive Migrations- und Einbürgerungspolitik einsetzt (vgl. zu diesem Aspekt OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 209), auch wenn sie hierbei als solche wahrgenommene Missstände anprangert und Ressentiments in der Bevölkerung schürt (vgl. zur Vereinbarkeit solcher Verlautbarungen mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42.00, 43.00 – juris Rn. 44).
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Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass zumindest von Teilen der AfD angestrebt wird, Deutschen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, folgen vielmehr aus der Zurechenbarkeit von Forderungen nach „Remigration“, die Deutsche mit Migrationshintergrund einschließen, da damit aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegenüber eingebürgerten Menschen mit Migrationshintergrund befürwortet werden.
115
(aa) Der nachfolgende, am 19. November 2023 auf der Plattform X veröffentlichte Beitrag des vom BayLfV beobachteten F. Sch. (MdL, Mitglied des Landesvorstands der Klägerin sowie Vorsitzender des Kreisverbands Neu-Ulm) zeigt, dass mit der Forderung nach „Remigration“ von Deutschen mit (türkischem) Migrationshintergrund eine ethnisch-abstammungsmäßig definierte Personengruppe ungeachtet ihrer deutschen Staatsbürgerschaft dazu gebracht werden soll, Deutschland zu verlassen:
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„Integration ist gescheitert – Der Bevölkerungsaustausch ist real“:
„Beim gestrigen Spiel Wokeland gegen die Türkei wurden wieder einmal zwei Theorien des rechten Lagers bewiesen.
Integration ist gescheitert: 3. Generationtürken mit Deutschen Pass identifizieren sich nicht mit Deutschland sondern mit ihrer Heimat.
Der Bevölkerungsaustausch ist real: Türken haben in Berlin Heimspiel, dominieren das Stadion und die Strassen. Die Deutschen sind in ihrer Hauptstadt in der Minderheit.
Die einzige Lösung für diese Probleme ist Remigration!“, Vermerk des BayLfV vom 16.5.2024, S. 11 f.
117
Die Verwendung der Begriffe „Bevölkerungsaustausch“, „großer Austausch“ und „Umvolkung“ der Bevölkerung (z.B. in der Eröffnungsrede von Al. G., Ehrenvorsitzender der AfD, beim Landesparteitag der AfD Bayern am 9.6.2018 (BfV Gutachten, S. 206, Belegsammlung S. 2655) sowie in F. Beiträgen von A. P. H., damals MdB, vom 15.12.2019 (BfV Gutachten, S. 208, Belegsammlung S. 2663), Ste. K., MdB, vom 5.12.2019 (BfV Gutachten, S. 209, Belegsammlung S. 2664), Dr. H.  H3., damals MdB, vom 26.11. und 20.12.2019 (BfV Gutachten, S. 211, Belegsammlung S. 2670 f.), R. Gl., MdA, vom 25.6.2019 (BfV Gutachten, S. 223, Belegsammlung S. 2794) und des AfD Kreisverbands Main-Taunus vom 10.6.2019 (BfV Gutachten, S. 274, Belegsammlung S. 3027)) soll die strukturelle Substitution der „autochthonen“ Bevölkerung durch Zuwanderer beschreiben und wird dabei teilweise als bewusst gesteuerter Prozess, teilweise als Ergebnis demographischer Entwicklungen dargestellt. Dem Begriff liegt daher ein primär ethnisch definiertes Volksverständnis zugrunde, sodass Zuwanderer nicht Teil dieses Volkes werden können.
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Sch. sieht sich dabei als Interessensvertreter der „autochtonen Deutschen“. Allein die AfD vertrete deren Interessen und brauche daher „aufrechte Patrioten, die sich für ihr Volk einsetzen wollen“. Für „alles andere“ gebe es „FDP, CDU, Grüne und die SPD“ (Beitrag auf der Plattform X vom 26.11.2023 zu einer Auseinandersetzung mit einem anderen Mitglied der AfD, Vermerk des BayLfV vom 16.5.2024, S. 13). Migration führt nach dem Volksbegriff des Grundgesetzes aber gerade nicht zu einem „Austausch“ oder gar einer Abschaffung des Staatsvolks, da das Grundgesetz ethnische Kriterien für die Zugehörigkeit zum Staatsvolk nicht kennt.
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(bb) Die Forderung nach „Remigration“ von nicht ausreichend „assimilierten“ Deutschen mit Migrationshintergrund ist zudem R. D. (MdL, Mitglied des Landesvorstands der Klägerin und Vorsitzender des Kreisverbands München Ost) zurechenbar.
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D. verbreitete am 13. März 2024 einen Beitrag von M. S. auf der Plattform X. Dem Beitrag S. s zufolge befinde man sich in der „Endphase des Bevölkerungsaustauschs und damit im letzte und besten Zeitfenster für #remigration“. In diesem als „sweet spot“ bezeichnetem Zeitfenster bestehe die größte Chance für einen Wahlsieg und eine „Massenbewegung“. Am 14. März 2024 verbreitete D. zudem den mit dem Text „Wir sind die letzte Generation für die #Remigration. #S.“ überschriebenen Beitrag des schwäbischen AfD-Bezirkstagsmitglieds G. M. vom 29. Januar 2024. Hierdurch wird auf die Verwendung des Begriffs „Remigration“ durch M. S., der Führungsfigur der Identitäten Bewegung im deutschsprachigen Raum, Bezug genommen.
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Für eine Vernetzung mit M. S. wurde ausdrücklich durch J. E. , Chefredakteur des COMPACT-Magazins, auf einer Kundgebung des AfD Kreisverbands München Ost am 18. Februar 2023 mit dem Vorsitzenden R. D. als Veranstaltungsleiter geworben, die anlässlich der 59. Münchner Sicherheitskonferenz unter dem Motto „Kriegstreiber stoppen! Keine Sanktionen – Keine Waffenexporte“ stattfand und bei der E. neben bayerischen AfD-Funktionären und -Mitgliedern (u.a. Fr. Sch., B. No., E. Br.) als Redner auftrat (vgl. Vermerke des BayLfV vom 22.2.2023 und vom 11.4.2024, S. 1):
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„Und in diesem Frühjahr wächst der Widerstand neu zusammen. Wir haben fünf kräfte im Widerstand, die jetzt zusammenkommen. Da sind einerseits die guten Patrioten rund um die AfD, […], das sind zum vierten die alternativen Medien mit dem Flagschiff Compact und das ist zum fünften die freie deutsche Jugend, Junge Alternative und Identitäre Bewegung. Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust. Wir brauchen die große Querfront für den Frieden, von B. H. und M. S. bis hin zu […] und dann heißt die Parole: Deutschland einig Vaterland für Frieden und Freiheit, lasst uns alle einig sein. […]“
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Dem BayLfV liegen keine Erkenntnisse dafür vor, dass sich Mitglieder der Klägerin hiervon distanziert hätten (vgl. Vermerk v. 22.2.2023, S. 6). Im Zuge der Veranstaltung präsentierten Mitglieder der Identitären Bewegung gemeinsam mit einigen Mitgliedern der „Danubia“ ein Banner mit der Aufschrift „Globalisten Grenzen zeigen – Autarkie – Souveränität – Remigration“ und positionierten sich im Laufe der Kundgebung vor der Rednerbühne der AfD.
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Zwar ist E. nicht Mitglied der AfD, jedoch ist dieser der Inhalt der Rede E. s dennoch zurechenbar, da E. vom AfD Kreisverband München Ost als Redner eingeladen wurde und ihm damit vom AfD Kreisverband München Ost aktiv Infrastruktur zur Verfügung gestellt und eine Plattform geboten wurde, um für eine Vernetzung mit M. S. zu werben (vgl. noch weitgehender als hier BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 108 sowie B.v. 6.4.2020 – 10 ZB 18.2223 – juris Rn. 11 zur über die Zurechnung des Inhalts der Rede hinausgehenden Zurechnung der Positionen der Vereinigung, der der Redner angehört). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 18.5.2001 – 2 WD 43.00 – juris Rn. 27). Diese ist auf die vorliegende Konstellation bereits nicht übertragbar, da sie sich auf die sanktionsrechtliche Bewertung einer Rede bezieht, es hier aber gerade um Gefahrerforschungsmaßnahmen und damit eine andere Zielrichtung geht. Überdies betrifft das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Frage, ob einem Redner bei verfassungsgemäßem Inhalt der Rede die verfassungsfeindliche Haltung der Veranstalter oder Zuhörer zugerechnet werden kann; hier geht es aber um eine Zurechnung vom Redner zum Veranstalter. Schließlich ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lediglich, dass es – in der von ihm beurteilten Konstellation – auf den Inhalt der Rede, der gerade auch hier herangezogen wird, ankommt. Einer derartigen Zurechnung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass ein Veranstalter bei der Einladung eines Redners vorab nicht mit Sicherheit wisse, wie sich der Redner äußern wird. Denn selbst bei Berücksichtigung dieses Umstands hat der Veranstalter im Nachgang der Veranstaltung die Möglichkeit, sich von den Redeinhalten zu distanzieren. Dies ist im Hinblick auf die Rede E. s jedoch nach der überzeugenden Einschätzung des BayLfV gerade nicht geschehen. Auch folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass der Redebeitrag E.s nicht berücksichtigt werden könnte. Insbesondere bezieht sich der Beschluss vom 31. Mai 2022 (1 BvR 564/19 – juris Rn. 19) ebenso wie das von der Klägerin benannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.12.2020 (6 C 11/18 – juris Ls. 3, Rn. 57) auf die Frage, wann von der Unterstützung eines verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlusses ausgegangen werden kann. Hier geht es jedoch nicht darum, ob die Klägerin E. unterstützt, sondern darum, ob der Klägerin der Inhalt von E. s Rede zugerechnet werden kann. Überdies hat die Klägerin nicht lediglich unterlassen, sich vom Inhalt der Rede zu distanzieren (was nach BVerfG, B.v. 31.5.2022, 1 BvR 564/19 – juris Rn. 19 für ein „bedeutsames Unterstützen nicht ausreichen würde), sondern E. die Möglichkeit geboten, seine Inhalte zu verbreiten. Dagegen kann der Klägerin der Inhalt des Banners nach Auffassung des Gerichts nicht zugerechnet werden, da dieser nicht von Mitgliedern der AfD, sondern von Mitgliedern der Identitären Bewegung und der „Danubia“ gezeigt wurde und dies nicht auf der Bühne geschah. Bei einer nicht zugangsbeschränkten Kundgebung kann daher nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin eine Plattform für die Inhalte des Banners geboten hat.
125
(cc) Mit B. N. (MdL) bewarb auch ein Mitglied der Klägerin selbst die Vernetzung mit M. S. als prominentestem Vertreter der Identitären Bewegung. N. veranstaltete am 4. Dezember 2023 einen Bürgerdialog mit dem Titel „Junge Alternative und Vorfeld – Partner für die Partei“ im Bürgerbüro des AfD-Kreisverbands W.-Sch., an dem zwei Mitglieder der Identitären Bewegung teilnahmen. Bereits durch den Veranstaltungstitel wird eine Nähe zu Gruppierungen des sogenannten „Vorfelds“ der AfD signalisiert. Im Nachgang der Veranstaltung veröffentlichte N. auf seinem I. -Kanal vier B.er des Bürgerdialogs und bezeichnet diesen als großen Erfolg. Ausweislich der eingestellten B.er nutzte N. für seinen Vortrag eine PowerPoint-Präsentation, welche er in die Abschnitte „Was ist das Vorfeld?“, „Gliederung des Vorfelds“ sowie „Aufbau einer JA Ortsgruppe“ gliederte. Eines der von N. für seine Vortragspräsentation verwendeten B.er entstand im Rahmen einer Demonstration der „Aktion451“am 17. November 2023 in Wien und zeigt M. S. sowie G. K., einen der Mitbegründer des im Mai 2024 aufgelösten Instituts für Staatspolitik. Zudem verlinkt N. in seinem Beitrag auf I. u.a. eine Aktion der Identitären Bewegung in Wien. Durch die Veranstaltung wird deutlich, dass die Identitäre Bewegung um M. S. als deren zentrale Figur als „Partner für die Partei“ gesehen wird und die strategische Zusammenarbeit der AfD mit ihr gezielt gefördert werden soll. Zwar wendet die Klägerin hiergegen ein, dass die Klägerin und die Identitäre Bewegung jeweils eigenständige Organisationen mit inhaltlich unterschiedlichen Positionen seien. Wenngleich die verschriftlichte Programmatik eine andere sein mag, zeigt der von N. in dem Bürgerbüro des AfD-Kreisverbands veranstaltete, in einem politischen Kontext stehende Bürgerdialog jedoch gerade, dass von einem Abgeordneten, der überdies kooptiertes Mitglied des Landesvorstands der Klägerin ist, eine Vernetzung angestrebt wird, inhaltliche Positionen der Identitären Bewegung also befürwortet werden. Dies geht über einen bloßen Kontakt bzw. eine Verbindung, die nach Auffassung der Klägerin nicht verfassungsschutzrelevant sein könne, hinaus. Der Einwand der Klägerin, dass eine organisatorische Verflechtung mit der Identitären Bewegung fernliege, da diese ausdrücklich in der Unvereinbarkeitsliste benannt werde, verfängt daher nicht, zumal die Unvereinbarkeitsliste lediglich besagt, dass eine Mitgliedschaft in der Identitären Bewegung der Mitgliedschaft in der AfD entgegensteht und die Klägerin mit dem Vortrag, dass die Unvereinbarkeitsliste keine „privaten Kontaktverbote“ erfassen könne, selbst deren begrenzten Bedeutungsgehalt verdeutlicht hat.
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(dd) M. S. stellt in dem Buch „Remigration. Ein Vorschlag“ ausführlich dar, was er unter dem Begriff „Remigration“ versteht:
127
Seit den 1970er Jahren sei das Bevölkerungswachstum in Westeuropa fast ausschließlich auf Einwanderer und deren Geburtenrate zurückzuführen. Die „einheimische Bevölkerung“ schrumpfe und werde durch „fremde Populationen“ ersetzt. Diese wüchsen durch „Kettenmigration“ und „Ersetzungsgeburten“. Auch die Stabilisierung oder gar Steigerung der nationalen Geburtenrate sei meist auf eingebürgerte Migranten zurückzuführen. Ziel der „Remigration“ sei die „Rückabwicklung“ der aus der Sicht S. s fatalen Migrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Deutschland solle Jahr für Jahr „Überfremdung“ abbauen können. „Remigration“ wird dabei als Überbegriff für alle politischen Maßnahmen verwendet, die den Abbau der sog. Überfremdung zum Ziel haben und umfasst die Abschiebung illegal Eingewanderter, eine Reform des Asyl-, Staatsbürger- und Ausländerrechts sowie Maßnahmen zur freiwilligen Rückkehr. S. unterscheidet dabei zwischen Integration als lediglich strukturell-funktionaler Anpassung und Assimilation, wenn sich ein Fremder so fühle und verhalte, als wäre er ein Einheimischer. Staatsbürgerschaft und dauerhafte Ansiedlung sollten dem Prinzip der Assimilation folgen, da bloße Integration nicht ausreiche und dem Identitätserhaltungsgrundsatz widerspreche. Der „Integrations- und Assimilationsstatus“ unterschiedlicher Herkunftsgruppen solle so genau wie möglich ermittelt und in einem jährlichen Demographie- und Assimilationsmonitor in Zahlenwerten ausgedrückt werden. Einfließen in die Bewertung sollten u.a. die Alltagssprache, die Herkunft des Freundeskreises, kulturelle und religiöse Überzeugungen und die Wahrnehmung des „Assimilationsgrades“ durch die Mehrheitsgesellschaft. Der Begriff des Migrationshintergrundes solle dagegen nach Möglichkeit vermieden werden. Der Assimilationsmonitor soll als Datenbasis für Obergrenzen und Quoten dienen. Je nach „ökonomischer“, „kriminologischer“ und „kultureller Belastung“ sowie einer Assimilationsrate sollen Migrationsquoten für Herkunftsgruppen festgelegt werden. Zwar soll es eine „souveräne, demokratische Entscheidung“ verbleiben, wie hoch die Obergrenze und die Quoten sein sollen. Zugleich weist S. jedoch darauf hin, dass bei langjähriger Überschreitung einer „identitätswahrenden Quote“ auch ein sofortiger Zuwanderungsstopp nicht ausreiche, sondern „Parallelgesellschaften und ethnoreligiöse Enklaven“ durch Minusmigration abgebaut werden müssten, um letztlich die Zahlen zu erreichen, die gegeben wären, wenn man von Beginn an eine aus S. s Sicht „seriöse Einwanderungspolitik nach verträglichen Quoten“ betrieben hätte. „Zielgruppen“ der „Remigration“ sind dabei nicht nur „Asylanten“ und „sonstige Ausländer“, sondern auch „nichtassimilierte Eingebürgerte und Staatsbürger“, verstanden als „eingebürgerte Migranten, die sich nicht assimilieren wollen oder können“ und eine Belastung für die Gesellschaft darstellen. Speziell in Bezug auf letztere denkt S. nicht nur an eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, eine Erleichterung der Ausbürgerung und die Abschaffung von Doppelstaatsbürgerschaften, sondern auch an „Ghettogesetze“ sowie langfristige und strukturelle Maßnahmen, bei denen durch eine „patriotische Leitkultur“, „Deislamisierung“ und sozialpolitische Maßnahmen ein „Assimilations- und Remigrationsdruck“ erzeugt werden soll, der von „attraktiven und unbürokratischen“ Möglichkeiten zur Heimkehr und Ausreise („freiwillige Heimkehrprogramme“) begleitet werden sollen. In den „Brennpunkten der Parallelgesellschaften“ sollen „Heimkehrzentren“ errichtet, in denen Programme zur freiwilligen Auswanderung und dem freiwilligen Wechsel der Staatsbürgerschaft angeboten werden sollen. Personen, denen keine Assimilationsabsichten und -chancen zugeschrieben werden, könnten sich in ein „Remigrationsprogramm“ einschreiben und an Schulungen teilnehmen, durch die auf die „Heimkehr“ in das entsprechende Land vorbereitet werde. Ein Remigrationshilfegesetz solle die Auszahlung hoher Prämien für Ausreise und Wechsel der Staatsbürgerschaft vorsehen; zudem sollten Remigrationspartnerschaften, also Verträge mit nordafrikanischen, asiatischen und anderen Ländern geschlossen werden. Eine Diskriminierung erfolge hierdurch nicht, da die Auswanderung und die damit verbundene Prämie auch deutschen Staatsangehörigen ohne Migrationshintergrund offenstehe. Die Remigrationspolitik solle letztlich die „natürliche Auswanderungsrate“ „nichtassimilierter Migranten“ erhöhen. Dabei solle der Weg der Assimilation so herausfordernd gestaltet werden, dass „nur jene ihn gehen, die wirklich zu uns passen und auf deren volle und dauerhafte Loyalität wir uns verlassen können“. Zur Umsetzung erster Schritte müsse in vielen Fällen nur geltendes Recht angewendet werden. Um das „volle Ausmaß einer Remigrationspolitik“ zu ermöglichen, müsse jedoch auch konsequent an der Reform „überholter Normen“ gearbeitet werden. Dazu sei eine Veränderung des Unionsrechts und seiner nationalen Umsetzung sowie ein Überdenken völkerrechtlicher Verträge notwendig. Es gelte stets, dass das Recht der Politik und damit dem Willen der Mehrheit folge. Wenn millionenfach illegale Einreise möglich gewesen sei, werde es auch möglich sein, Millionen legal wieder zur Heimreise zu bringen.
128
Die Remigrationsforderungen S. s umfassen damit auch die Unterstützung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund. Zwar wird der Eindruck vermittelt, dass lediglich „Druck“ aufgebaut werden solle, um eine „freiwillige“ Ausreise zu erreichen. Von einer tatsächlichen Freiwilligkeit kann bei Umsetzung der von S. geplanten Maßnahmen jedoch nicht gesprochen werden. Jedenfalls wird das Element der Freiwilligkeit in denjenigen Fällen nicht mehr gewahrt, in denen die Zuordnung zu einer bestimmten Herkunftsgruppen einen Verbleib ausschließt, weil dieser Herkunftsgruppe keine Migrationsquote zuerkannt wird bzw. die Obergrenze für diese Gruppe bereits erreicht ist. Überdies spricht bereits der Zusammenhang mit den angesprochenen „Ghettogesetzen“ dafür, dass eine rechtliche Schlechterstellung angedacht wird. Deutlich wird eine entsprechende Absicht sodann im Fazit S. s, wonach als rechtliche Grenze für die als notwendig erachtete Reform „überholter Normen“ der Wille der Mehrheit verortet wird, dem das Recht folge.
129
(ee) Aufgrund der Weiterverbreitung der dargestellten Beiträge ist das Remigrationskonzept S. s jedenfalls D. und Sch. zurechenbar.
130
Zwar ist der Begriff „Remigration“ an sich deutungsoffen und kann daher grundsätzlich auch in einer verfassungsschutzrechtlich nicht relevanten Weise verwendet werden. Die Aktivitäten von D. auf der Plattform X (vgl. insbesondere Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024) zeigen jedoch nicht nur eine wiederholte Befassung mit dem Begriff bzw. Thema „Remigration“ (vgl. die (re-)posts vom 11., 15. und 16. Januar, 12., 15. und 18. Februar, 9. März 2024). (Weiterverbreitete) Beiträge vom 28., 29. und 30. Januar 2024, 9. und 11. März 2024 lassen daneben erkennen, dass D. Sympathien für M. S. und dessen Remigrationsansatz hegt und in diesem Zusammenhang sowohl das „Gedankenverbrechen der Remigration“ anspricht als auch die Platzierung des Buchs „Remigration. Ein Vorschlag“ auf einer Beststellerliste verbreitete. In einem Beitrag D. vom 9. März 2024 stellte D. medial heraus, dass er das Buch „Remigration. Ein Vorschlag“ erhalten habe, sodass davon auszugehen ist, dass ihm das Begriffsverständnis S. s jedenfalls ab diesem Zeitpunkt und damit auch im Zeitpunkt der Weiterverbreitung der Beiträge am 13. und 14. März 2024 bekannt war. Obgleich D. einige der Beiträge nur mittels eines sog. repost weiterverbreitete, kann bei der gebotenen Gesamtschau der Aktivitäten von D. auf der Plattform X gefolgert werden, dass er seiner Forderung nach „Remigration“ das Begriffsverständnis S. s zugrunde legt. Zwar wird in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ein Teilen als bloßer Hinweis auf fremde Inhalte verstanden und ein Zueigenmachen fremder Inhalte erst angenommen, wenn die Weiterverbreitung mit einer positiven Bewertung verbunden wird (vgl. OLG Dresden, U.v. 7.2.2017 – 4 U 1419/16 – juris Ls.; U.v. 1.6.2018 – 4 U 217/18 – juris Ls. 2; OLG Frankfurt a.M., U.v. 26.11.2015 – 16 U 64715 – juris Rn. 30 ff.). Allerdings bezieht sich diese rechtliche Wertung auf die Frage, wem gegenüber zivilrechtliche Unterlassungsansprüche bei Äußerungen bestehen, was bereits nicht mit der der Gefahrerforschung dienenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 128) vergleichbar ist. Ansonsten könnte überdies eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz dadurch vermieden werden, dass Beiträge zu einem Thema schlicht unkommentiert geteilt werden, anstatt entsprechende Beiträge selbst zu veröffentlichen. Diese rechtliche Bewertung steht auch nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 24), da sich diese auf „likes“ für F. -Seiten bezieht. Zum einen ist mit einem repost verbunden, einen Beitrag auf dem eigenen account an die eigenen follower zu verbreiten und damit ein wesentlicher Unterschied zu einer Kommentierung auf einer fremden Seite bzw. einem account eines Dritten gegeben. Zum anderen ist zwischen einem „liken“ eines konkreten Beitrags eines Dritten und dem „liken“ eines accounts bzw. einer Seite zu differenzieren. Selbst falls die dargestellten Beiträge – wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen – von einem Mitarbeiter des Kreisverbandsvorsitzenden D. verfasst (bzw. geteilt) worden sein sollten, würde dies eine Zurechenbarkeit zu D. nicht entfallen lassen, da die Beiträge über das Nutzerkonto von D. und damit in dessen Namen durch einen für diese Aufgabe zuständigen Mitarbeiter veröffentlicht wurden. Auch die von D. als Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführte Abmahnung des Mitarbeiters und der Vortrag, dass die Beiträge zwischenzeitlich gelöscht worden seien, führt nicht zu einem Wegfall des Zurechnungszusammenhangs. Zwar kann der Zurechnungszusammenhang – trotz einheitlicher Organisation – durch nachhaltige Distanzierungen unterbrochen werden (vgl BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 108, 131, 140 ff.; VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 208/20 – juris Rn. 458 ff.; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 190, 209, 260 f.; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 BVerfSchG, Rn. 112 f.). Solche Distanzierungen wären der Klägerin prinzipiell möglich – sei es in Form einer Distanzierung von Äußerungen eigener Mitglieder oder von Mitgliedern anderer Landesverbände oder in Form von parteiinterner Gremienarbeit, die z.B. dazu beiträgt, dass entsprechende Äußerungen nicht mehr erfolgen. Jedoch hat sich D. zu keiner Zeit öffentlich vom Inhalt der Beiträge distanziert. Zudem sind – entgegen dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – ausweislich einer vom Beklagten am 19. Juni 2024 vorgenommenen Auswertung des Nutzerkontos von D. auf der Plattform X einige der beschriebenen Beiträge (z.B. vom 15. Februar, 9. und 14. März 2024) nach wie vor abrufbar. Gleichermaßen hat sich auch die Klägerin trotz Aussprechens einer Abmahnung durch den Landesvorstand – die sich ausweislich des Vortrags in der mündlichen Verhandlung wohl im Übrigen auch nur auf den Beitrag zum sog. Sylt-Video bezog – nicht nachhaltig und glaubhaft von D. distanziert. Dieser ist schließlich immer noch Mitglied des Landesvorstands und in diesem mit der internen Verwaltung, der Landesgeschäftsstelle, öffentlichen Wahlen und der Rechtsabteilung – und damit mit herausgehobenen Funktionen – betraut sowie als Datenschutzbeauftragter tätig, nach wie vor Vorsitzender eines Kreisverbands, für die AfD Mitglied im Landtag und zudem als einer der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung aufgetreten.
131
(ff) Aus den Erkenntnissen des BayLfV ergibt sich, dass das Remigrationskonzept S. s nicht nur von R. D. (MdL), sondern auch von F. Sch. (MdL) befürwortet wird.
132
F. Sch. (MdL) nahm (ebenso wie Da. Ha. , MdL) am 11. November 2023 an einer Vernetzungsveranstaltung der Gruppierung „Reconquista 21“ (vormals „Wackre Schwaben“), der laut Einschätzung des BayLfV aktivsten Unterorganisation der Identitären Bewegung im süddeutschen Raum, teil. M. S. trat bei dieser Veranstaltung als Redner auf (vgl. Vermerk des BayLfV vom 18. Januar 2024, S. 1 ff.) und stellte ausweislich eines von ihm selbst veröffentlichten Videos u.a. Aktionen der Identitären Bewegung vor. Die Gruppierung „Reconquista 21“ selbst veröffentlichte mehrere Fotos von der Veranstaltung, von denen eines M. S. zeigt, und versah diese mit folgendem Text:
133
„Exklusive Einblicke: Geh-Heim-Treffen in Das. ! Erwischt beim öffentlichen Geh-Heim-Treffen in Das. . Exklusive Einblicke in die berüchtigte Veranstaltung. Offen wurde darüber gesprochen, wie wir in unserer Heimat nicht zur Minderheit werden. Dabei wurde sogar Überfremdung und Ausländerkriminalität thematisiert. #Remigration“ (Vermerk des BayLfV vom 29. April 2024, S. 1 f.)
134
Aus der Verwendung des Hashtags „Remigration“, der Begriffe „Geh-Heim-Treffen“ und „Überfremdung“ sowie der Zielsetzung, in der eigenen Heimat nicht zur Minderheit zu werden, lässt sich schlussfolgern, dass bei der Veranstaltung jedenfalls auch das Remigrationskonzept von M. S. propagiert und eine überregionale Vernetzung gefördert werden sollte und es sich nicht – wie von der Klägerin vorgetragen – um eine bloße Vorstellung eines Buchs von S. handelte. Schließlich hat S. selbst ausweislich eines Artikels im „Sp.“ erklärt, dass es bei der Veranstaltung „nicht hauptsächlich“ um die Idee der „Remigration“ gegangen sei. Sch., der sich ausweislich seiner bereits dargestellten Beiträge vom 19. und 26. November 2024 als Interessensvertreter der „autochtonen Deutschen“ versteht und die „Remigration“ von Deutschen mit (türkischem) Migrationshintergrund forderte, hatte bereits am 24. August 2023 auf der Plattform X eine „Ehrenerklärung“ abgegeben, derzufolge er im Falle seines Einzugs in den Bayerischen Landtag einen „großzügigen Anteil“ seiner Abgeordnetendiät „patriotischen Vorfeldorganisationen“ zukommen lassen werde. Am 25. Dezember 2024 veröffentlichte Sch. sodann einen Beitrag, demzufolge er 250 Euro an „Reconquista 21“ spende. Die vom ihm als „junge Idealisten“ bezeichnete Gruppierung werde noch zu wenig unterstützt (Vermerk des BayLfV vom 29. April 2024, S. 3). Aufgrund der zeitlichen Nähe der veröffentlichten Beiträge Sch.s zu der Veranstaltung der Gruppierung „Reconquista 21“ am 11. November 2023 und der im Nachgang zu der Veranstaltung erfolgten Spende drängt sich der Schluss auf, dass Sch. die Veranstaltung der Gruppierung „Reconquista 21“ am 11. November 2023, die jedenfalls auch der Vorstellung des Remigrationskonzepts S. s und der Vernetzung diente, und damit letztlich auch die Weiterverbreitung der Remigrationsforderungen S. s unterstützt.
135
Ob eine Spende verboten ist oder nicht, ist für die Beurteilung tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht ausschlaggebend. Aufgrund der Spende von Sch. handelt es sich auch nicht mehr um eine „bloße Teilnahme“ an einer Veranstaltung. Der Vortrag der Klägerin, wonach Abgeordnete einer Fraktion, die grundsätzlich der staatlichen Sphäre zuzuordnen seien, nicht identisch mit der Partei seien und es sich bei der Teilnahme von Sch. (und Halemba) an der Veranstaltung der Gruppierung „Reconquista 21“um eine „private Unternehmung“ gehandelt habe, überzeugt nicht, da das in einem politischen Kontext stehende Verhalten von Mitgliedern einer Partei dieser auch zugerechnet werden kann, sofern die Partei das Verhalten trotz Kenntnisnahme geduldet hat. Die Klägerin hat schließlich spätestens durch den Vortrag des Beklagten im hiesigen Verfahren von den Aktivitäten Sch.s und auch von dem von N. veranstalteten Bürgerdialog erfahren, ohne mögliche und zumutbare Gegenmaßnahmen (z.B. Ordnungsmaßnahmen) einzuleiten (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 271 f.; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 562 f.; siehe zu diesem Maßstab auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 165). Die Klägerin hat sich auch nicht auf sonstige Weise distanziert. Insbesondere stellt der Vortrag der Klägerin, dass es sich um eine private Unternehmung Sch.s gehandelt habe, die nicht im Namen oder im Auftrag der Klägerin oder der Fraktion erfolgt sei, keine ausreichende Distanzierung dar, zumal Sch. ausdrücklich angekündigt hatte, seine Abgeordnetendiät für die Spende zu verwenden, und damit einen deutlichen Zusammenhang zu seiner politischen Funktion hergestellt hat.
136
(gg) Dem Faltblatt „7 Punkte zur Remigration“ des Bundesverbands der AfD vom Januar 2024 zufolge definiere die AfD den Begriff „Remigration“ dahingehend, dass diese alle Maßnahmen und Anreize zu einer rechtsstaatlichen und gesetzeskonformen Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer in ihre Heimat umfasse; die Abschiebung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund lehne die AfD entschieden ab. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie diese Position, die verfassungskonform sei, unterstütze. Die dargestellten, vor und nach der Veröffentlichung des Faltblatts erfolgten Äußerungen bzw. Handlungen von R. D. und F. Sch. zeigen jedoch, dass diese programmatischen Leitlinien zumindest von zwei für die Klägerin jeweils in herausgehobenen Funktionen tätigen Personen (jeweils MdL, Mitglied des Landesvorstands mit der Zuständigkeit für mehrere Bereiche sowie Kreisverbandsvorsitzender) nicht nach außen vertreten werden. Eine – auch die Klägerin umfassende – Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ist daher gerechtfertigt um festzustellen, inwieweit die verschriftliche Programmatik die tatsächliche Position der Mitglieder der Partei widerspiegelt und welches Begriffsverständnis sich letztlich durchsetzen wird (zur Berechtigung der Verfassungsschutzbehörden zur Beobachtung im Falle eines Richtungsstreits siehe insbesondere noch unten II.1.e.ff.).
137
Zugleich kommt es damit nicht darauf an, dass es Mitglieder der AfD gibt, die selbst oder deren Ehe- bzw. Lebenspartner Migrationshintergrund haben. Gleiches gilt für den Vortrag der Klägerin, dass entsprechende Mitglieder der AfD noch keine politische Vorstellung erlebt hätten, wonach der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand zentral wäre, und sie auch keine Diskriminierung durch die Partei oder deren Mitglieder erfahren hätten. Dieser Vortrag ist bereits nicht geeignet, die auf den dargestellten Äußerungen beruhenden tatsächlichen Anhaltspunkten zu entkräften, da dies eine Distanzierung von den jeweiligen Äußerungen bzw. hierauf bezogene Ordnungsmaßnahmen voraussetzen würde (siehe zu diesem rechtlichen Maßstab auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 190). Den hierauf bezogenen Anregungen zur Zeugeneinvernahme war daher nicht nachzukommen.
138
(3) Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung der Menschenwürde richten, ergeben sich daneben aus Äußerungen über Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens. Sie rechtfertigen die Beobachtung der AfD bereits für sich genommen (vgl. zur Menschenwürde von Muslimen BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 134 ff.).
139
(a) Th. S., Mitglied des Bundestags (ehemals für die AfD Mitglied u.a. des Rechtsausschusses sowie rechtpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag; mit Wirkung zum 31. März 2024 aus der AfD und der AfD-Bundestagsfraktion ausgetreten) und ehemaliger Staatsanwalt, äußerte sich angesichts der Wiedereinreise eines Kameruners, bei dessen erster Abschiebung sich zahlreiche zumeist männliche Bewohner eines Wohnheims mit ihm solidarisiert und Polizeikräfte angegriffen hätten, auf twitter (nunmehr „X“) zu Art. 102 GG, der besagt, dass die Todesstrafe abgeschafft ist:
140
„Für solche Fälle braucht es einer wirksamen Abschreckung. Dafür darf eine Änderung von Art. 102 GG kein Tabu sein.“, tweet von Th. S. vom 29.12.2018, BfV Gutachten, S. 322, Belegsammlung, S. 3584
141
Eine Aufhebung von Art. 102 GG dürfte angesichts der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 102 Rn. 1) bzw. der bei der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 GG zu berücksichtigenden völkervertragsrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Epping in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand 15.6.2024, Art. 102 Rn. 6) bereits ausgeschlossen sein. In jedem Fall zeigt die Forderung von S. , dass das durch Art. 102 GG betonte Bekenntnis zum besonderen Wert des Lebens eines Menschen (vgl. BVerfG, B.v. 30.6.1964 – 1 BvR 93/64 – juris Rn. 17) nach der Auffassung von S. für Menschen mit Migrationshintergrund in bestimmten Konstellationen nicht mehr als unantastbare Grenze gesehen wird.
142
(b) Von Mitgliedern bzw. Untergliederungen der AfD wird zudem Angst vor sowie Hass gegenüber Menschen muslimischen Glaubens und Menschen mit Migrationshintergrund geschürt, indem ein Bedrohungsszenario geschaffen wird:
143
(aa) So werden etwa mit Geflüchteten besetzte Schlauchboote als „Invasorentaxis“ bezeichnet (F. Beitrag des AfD Kreisverbands Aichach-Friedberg (AfD Landesverband Bayern) vom 26.12.2023, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 8) und damit eine Bedrohungslage inszeniert, die über eine zulässige Unterscheidung zwischen Asylberechtigten und Wirtschaftsflüchtlingen hinausgeht. Die Bedrohung soll allerdings nicht nur von Geflüchteten, sondern generell von Menschen mit Migrationshintergrund ausgehen. Der AfD Kreisverband Aichach-Friedberg veröffentlichte ein Foto von Klingelschildern eines Mehrparteienhauses, auf dem neben dem Namen Me. dreizehn weitere Nachnamen wie z.B. Y., Ab., Cr. und Abd. zu lesen sind. Das Foto trägt den Schriftzug „Me., halte durch!!!“ und wurde von dem Kreisverband mit folgendem Text versehen:
144
„Ein Schlaglicht auf die Situation in Deutschland: da kann man nur sagen: Me., halte durch! Freunde, haltet durch! Wir werden uns nicht weiter in unserem eigenen Land verdrängen lassen, wir werden Widerstand leisten.“, F. Beitrag des AfD Kreisverbands Aichach-Friedberg vom 19.5.2023, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 3
145
Der Beitrag suggeriert, dass Widerstand geleistet werden müsse, da es eine Bedrohung für den einen „autochtonen Deutschen“ symbolisierenden Bewohner Me. darstelle, als einziger Bewohner mutmaßlich ohne Migrationshintergrund letztlich von den anderen im Haus lebenden Personen, denen – alleine ihres Namens wegen – ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, verdrängt zu werden.
146
(bb) Auch durch B. N. (MdL, kooptiertes Mitglied des Landesvorstands des AfD Landesverbands Bayern) werden Ängste in der Bevölkerung vor Migration geschürt und damit eine pauschale Ablehnung von Menschen mit Migrationshintergrund begünstigt, wenn von einem „Totentanz“ auf den „Ruinen unserer Kultur und auf den Gräbern der Opfer der Masseneinwanderung“ gesprochen wird, bei dem der „Untergang“ des deutschen Volkes gefeiert werde.
147
„Wir sind nicht angetreten, um mit dem Establishment am Tisch zu sitzen und mitzufeiern. Denn eines muss uns klar sein, auf dieser Party, die dort gefeiert wird, wird auf den Ruinen unserer Kultur und auf den Gräbern der Opfer der Masseneinwanderung getanzt. Diese Party, die dort stattfindet, ist ein Totentanz, dort wird unser eigener Untergang gefeiert.“, Rede von B. N. beim „Sd. Flügeltreffen“ in Gr. am 4.5.2019, Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, S. 13, Vermerk des BayLfV, S. 2
148
Diese Aussage ist der Klägerin auch nach wie vor zurechenbar. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, Parteiordnungsmaßnahmen eingeleitet zu haben, die zu einer Ämtersperre geführt hätten, und hierdurch die Distanz der Klägerin zu den Äußerungen N. s belegt zu haben. Jedoch konnte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht beantworten, ob die Parteiordnungsmaßnahmen überhaupt im Zusammenhang mit der Äußerung vom 4. Mai 2019 erfolgt seien. Überdies ist B. N. nach wie vor – wenn auch nur kooptiertes – Mitglied des Landesvorstands der Klägerin und nach wie vor für die Klägerin Abgeordneter des Bayerischen Landtags. Eine tatsächliche Distanzierung der Klägerin von B. N. ist damit für das Gericht nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr, als der Landesvorsitzende der Klägerin, St. Pr., selbst im Zusammenhang mit der Einreise und Verteilung von Migranten geäußert hat:
149
„[…] Und wenn Ihr nicht beginnt, am 1. September die Wende herbeizuführen, dann haben wir bald kein Deutschland mehr. Dann haben wir keine deutschen Einwohner mehr. Dann sind wir tot, meine Damen und Herren. […]“, Redebeitrag von St. Pr. (MdB) im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung in J. am 27.7.2019, veröffentlicht auf: www.youtube.com, Kanal: „AfD Brandenburg“, BfV Gutachten, S. 213, Belegsammlung, S. 2692
150
Der Landesvorsitzende hat zwar in der mündlichen Verhandlung als Vertreter der Klägerin auf den Kontext verwiesen, in den die Äußerung einzuordnen sei. Die Anzahl der „Flüchtlingsheime“ vor Ort habe zugenommen. Er habe die Bevölkerung aufklären und darauf hinweisen wollen, dass es noch mehr „Flüchtlingsheime“ geben werde und seinen Unmut kundgetan. Auch wenn es damit einen sachlichen Anknüpfungspunkt für die dargestellte Aussage gibt, vermag dieser den Aussagegehalt aufgrund der Pauschalität der Aussage nicht zu relativieren.
151
(cc) K.-L. K. (AfD Landesverband Hessen) teilte am 27. Oktober 2019 einen Link zu einem Blogartikel von K.-Mi. Me. alias Mi. Ma. auf F. , in dem die Migration nach Europa als Umsetzung eines gezielten Plans zur Ausrottung der „weiße Rasse“ in Europa dargestellt wird. Der von ihm geteilte Inhalt des Artikels ist Kunstein, der wiederholt Beiträge insbesondere von Merkle bzw. Mannheimer weiterverbreitete, auf Grundlage der bereits dargestellten Erwägungen bei Vornahme der gebotenen Einzelbetrachtung zuzurechnen (siehe hierzu bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(ee)).
152
In dem Blogartikel „M2. plant nun größte Migrations-Invasion aller Zeiten“ behauptet dessen Autor Me. alias Ma., dass durch die „von M2. nach Deutschland und Europa importierten Moslems“ („Invasoren“) „zigtausende“ Deutsche und Europäer ermordet, „hunterttausende“ „Bioeuropäer“ zu Invaliden geschlagen worden seien und es zu der „größte[n] Vergewaltigungswelle, die Deutschland und Europa in Friedenszeiten jemals erlebt haben“ gekommen sei. A. M2. und die „EU-Völkermord-Regierung in Br.“ strebten eine „Neue Weltordnung (NWO)“ an, Europa solle mit mindestens „200 Millionen Invasoren aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten geflutet“ werden. Die EU transportiere, finanziere und beherberge eine „NWO-Invasionsarmee“ bestehend aus Geflüchteten „im Kampfesalter von 15-40 Jahren“, deren Auftrag es sei, „alle Deutschen und weißen Europäer auszumerzen“. Mit dieser „Migrationswaffe“ werde ein „Völkermord“ an den weißen Europäern begangen, der „in seiner Größe und Art und Weise seines Durchziehens einmalig [sei] in der Geschichte“.
153
„Sie [Anm.: A. M2.] wird in die Weltgeschichte eingehen als größte Lügnerin, die die Welt jemals gesehen hat. Und als eine Zerstörerin nicht nur ihres eigenen Landes, sondern eines ganzen Kontinents: Des schillerndsten Kontinents, den die Welt je gesehen hat […]. Das alles wird bald Geschichte sein: Europa soll, wie es die NWO [Anm.: Neue Weltordnung] vorsieht, mit mindestens 200 Millionen Invasoren aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten geflutet werden. In einem Artikel spricht die ‚Schweizer Morgenpost‘ sogar von 300 Millionen Invasoren, die von der EU-Völkermord-Regierung in Br. (J., T.) geplant ist […]. Die Kirchen und Kathedralen werden bald zum Großteil in Moscheen umgewandelt sein, wie dies in Frankreich, England und Deutschland längst der Fall ist. Ein Blick in die Städte der EU beweist selbst den dümmsten Linksgrün-Wählern, dass die weißen Europäer am Aussterben sind. Es handelt sich, politisch und juristisch betrachtet (s. Völkerstrafgesetzbuch), um einen klassischen Völkermord, der in seiner Größe und Art und Weise seines Durchziehens einmalig ist in der Geschichte. Dieser Völkermord wird nicht, wie bislang üblich, über den ansonst üblichen Massenmord an einem Volk (im Falle Europas: an den europäischen Völkern), sondern mittels des ‚genialsten aller bisherigen Kriege‘*: der Migrationswaffe durchgeführt […]. Die EU transportiert, finanziert und beherbergt eine NWO-Invasionsarmee (fast alle ‚Flüchtlinge‘ sind Männer im Kampfesalter von 15-40 Jahren), deren Auftrag es ist, alle Deutschen und weißen Europäer auszumerzen. Die Europäer werden sukzessive durch andere Völker ersetzt. Schätzungen gehen davon aus, dass in 100 Jahren nur noch eine Minorität von unter zehn Prozent weißer Europäer leben werden. Europa wird zu einem afrikanisch-islamischen Dritte-Welt Land umgewandelt worden sein. […] Zigtausende seitens von Mer. nach Deutschland und Europa importierten Moslems ermordete Deutsche und Europäer und hunterttausende ebenfalls von diesen Invasoren zu Invaliden geschlagenen Bioeuropäer haben sie so wenig berührt wie die größte Vergewaltigungswelle, die Deutschland und Europa in Friedenszeiten jemals erlebt haben.“, Blogartikel von K.-Mi. Me. alias Mi. Ma. vom 17.10.2019, auf F. am 27.10.2019 geteilt von Ka.-Lu.-Ku., BfV Gutachten, S. 261 f. (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten), Belegsammlung, S. 2911 ff.
154
Me. alias Ma. spricht den nach Europa kommenden Geflüchteten nicht nur pauschal ihre Schutzwürdigkeit ab, sondern inszeniert sie als Soldaten und Angehörige einer zerstörerischen „Migrationswaffe“. Er schildert ein bedrohliches, kriegerisches Szenario, das zu einem Verfall Europas und seiner Hochkultur führe und in dem die „weiße Rasse“ bewusst ausgerottet werden solle. Dies offenbart ein rassistisches und von Verschwörungstheorien geprägtes Menschenbild, demzufolge „echte“ Europäer nur Menschen mit heller Hautfarbe und christlichen Glaubens sein könnten.
155
(dd) Der AfD Kreisverbands Kyffhäuser-Sömmerda-Weimarer Land zeichnet ein Bedrohungsszenario im Hinblick auf die Zuwanderung von Muslimen, wonach diese gezielt erfolge, um letztlich das demokratische System durch die Scharia, also das islamische Recht, abzulösen. Körperliche Angriffe, sexuelle Übergriffe und Terroranschläge stellten demnach nur Zwischenschritte dar, bis schließlich ein Bürgerkrieg provoziert, Regierung und Verwaltung zum Kollabieren gebracht würden, um letztlich die Einführung der Scharia zu ermöglichen:
156
„Die islamische Zeitrechnung:
1. Uhr: Suche eine offene demokratische Gesellschaft (unsere)
2. Uhr: Beginn mit der Massenmigration (seit 2015 verstärkt am Laufen)
3. Uhr: Etabliere Enklaven (viele deutsche Städte haben bereits islamische Stadtteile)
4. Uhr: Infiltriere Regierung und Verwaltung (siehe Bestrebungen den Anteil von Migranten in diesen Bereichen zu erhöhen)
5 Uhr: Initiiere gelegentliche Attacken (siehe Häufung von Massenangriffen und sexuellen Übergriffen)
6 Uhr: Unterdrücke die freie Meinungsäußerung (siehe GEZ-Sender, siehe Mainstreampresse, siehe Uploadfilter)
7 Uhr: Erhöhe die Anzahl und die Wirkung der Attacken (siehe B3.platz)
9 Uhr: Provoziere einen Bürgerkrieg
11 Uhr: Sorge dafür, dass Regierungen und Verwaltungen kollabieren
12 Uhr: Geschafft. Führe die Scharia ein.
Die ersten 6 Stufen haben wir erfolgreich gemeistert. Jetzt steht verstärkt Stufe 7 an…“, F. Beitrag des AfD Kreisverbands Kyffhäuser-Sömmerda-Weimarer Land (AfD Landesverband Thüringen) vom 18.3.2019, BfV Gutachten, S. 471 f., Belegsammlung, S. 4353
157
Der Islam wird nicht nur als Religion mit islamistischem Terrorismus gleichgesetzt, sondern Angehörigen des muslimischen Glaubens pauschal in diffamierender Weise eine von diesen ausgehende aggressive und terroristische Bedrohung zugeschrieben.
158
(ee) Auch durch den AfD Kreisverband Vorpommern-Rügen (AfD Landesverband Mecklenburg-Vorpommern) werden Ängste in der Bevölkerung vor einem islamischen „Gottesstaat“ geschürt. Unter Bezugnahme auf einen Bericht der L. L.-Zeitung über 400 muslimische Gläubige, die sich zu einem gemeinsamen Gebet auf einem S2.platz in D. (Nordrhein-Westfalen) versammelten, wird eine Drohkulisse aufgebaut. Der Kreisverband verlinkte den Artikel in einem Beitrag auf F. und kommentierte ihn am 26. Mai 2020 wie folgt:
159
„Erst belegen Sie Parks und Parkplätze, demnächst Straßen und Stadtviertel und wem das nicht passt, der wird verleumdet und bedroht. Ein kämpferisches Vorgehen nach M. s Vorbild. Wer diesen Islamfaschismus nicht endlich aufhält und diese Ideologie in die Grenzen weißt, der wacht bald in einem Gottesstaat wieder auf!“, BfV Gutachten, S. 476, Belegsammlung, S. 4361
160
Laut den Ausführungen zu dieser Veranstaltung im BfV Gutachten (S. 476), ist davon auszugehen, dass es sich um eine friedliche Veranstaltung handelte, die der Ausübung des islamischen Glaubens unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie diente. Bedrohungen, Verleumdungen oder ein kämpferisches Vorgehen der betenden Muslime sind dem BfV nicht bekannt. Der AfD Kreisverband setzt daher das Gebet auf einem Parkplatz anlasslos mit einem „kämpferische[n] Vorgehen nach M. s Vorbild“ gleich und verunglimpft das Unterfangen der Muslime, die eigene Religion unter den Voraussetzungen einer Pandemie auflagengerecht zu praktizieren, fernab jeder Sachlichkeit als „Islamfaschismus“. Insofern nutzt der Kreisverband das Gebet auf dem Parkplatz lediglich als Anlass, Ängste in der Bevölkerung vor einer Bedrohung durch Muslime und deren kämpferischem, auf Errichtung eines islamischen „Gottesstaats“ gerichtetem Handeln zu schüren.“
161
(ff) Der Islam wird nicht nur mit Islamismus gleichgesetzt, sondern auch der Kampf gegen den Islam befürwortet:
162
„[W]as auch sonst jeder Moslem weiß: Es gibt nur einen Islam und keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus.“, Ma. He. (AfD Landesverband Bayern), vor seinem Tod MdB und Vorsitzender des AfD Kreisverbands St. in seinem F. Beitrag vom 2.12.2019, BfV Gutachten, S. 435 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten), Belegsammlung, S. 4170
163
He. bezieht sich mit seiner Aussage auf einen Artikel auf t..de, der die Überschrift „Mac. ruft ganz Frankreich zum Kampf gegen Islamismus auf“ trägt. Bei Berücksichtigung des von He. selbst hergestellten Kontexts wird deutlich, dass He. nicht nur den Aufruf Mac.s unterstützt und sich damit für einen Kampf gegen den Islamismus ausspricht, sondern er vielmehr einen Kampf gegen den Islam befürwortet, da dieser mit Islamismus gleichzusetzen sei. Die Äußerung beschränkt sich nicht auf eine bloße Kritik am Islam, sondern stellt durch den Einleitungssatz einen Bezug zu den einzelnen Gläubigen her. Aus der Aussage von Ma. He. ergibt sich letztlich die Unterstellung, dass jeder gläubige Muslim ein Islamist sei, wodurch alle Muslime pauschal wegen ihres Glaubens unter einen Generalverdacht gestellt werden.
164
Die Aussage He. s kann der AfD zugerechnet werden, auch wenn He. zwischenzeitlich verstorben ist. Allein der Umstand, dass die Person, von der eine Äußerung stammt, mittlerweile kein Mitglied der Klägerin mehr ist, vermag die Verwertbarkeit der beanstandeten Äußerungen nicht durchgreifend infrage zu stellen. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof anknüpfend an die Rechtsauffassung des Gerichts im Eilverfahren (VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 179 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42/00, 2 WD 43/00 − juris Rn. 51; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 55; VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 82) ausgeführt hat, können Äußerungen mit Blick auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als Gefahrerforschungsmaßnahme zugerechnet und verwertet werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Äußerung (noch) als Parteifunktionär bzw. Parteimitglied abgegeben wurden (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 132). Der Einwand der Klägerin, dass Beiträge entsprechender Personen bei der Bewertung des zukunftsgerichteten Unterlassungsanspruch nicht relevant sein können, verfängt nicht, da Prüfungsmaßstab das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beobachtung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist und demnach bis dahin getätigte Aussagen in die (Gesamt-)Betrachtung einbezogen werden können. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die Person nicht mehr Mitglied der Partei ist, sie diese also aus eigenem Antrieb (z.B. im Fall eines Parteiaustritts) oder auf Veranlassung der Partei hin (z.B. aufgrund eines Parteiausschlussverfahrens) verlassen hat. (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 132). Dies muss erst recht gelten, wenn die Parteimitgliedschaft durch den Tod des Äußernden und damit weder auf dessen eigenen Antrieb noch auf Antrieb der Partei hin endet. Mangels Distanzierung der AfD von der Aussage He. s ist diese der Partei damit nach wie vor zuzurechnen.
165
(gg) Auch durch die nachfolgenden Aussagen werden ein Bedrohungsszenario und ein Feindbild gegenüber Menschen muslimischen Glaubens aufgebaut, indem abwertende und angstschürende Begriffe wie „ansteckende Krankheit, welche zu Hirnerweichung‚ Intoleranz, Homophobie, Frauenfeindlichkeit etc. führt“, „moslemische Invasionswelle“ und „moslemische[…] Horden“ verwendet werden, denen Bayern „auf gar keinen Fall […] anheimfallen“ dürfe, der Regierung unterstellt wird, sie führe eine „bewusste und kühl kalkulierte Islamisierung unseres Heimatlandes“ herbei, der Islam als „brandgefährlich[es]“, „klerikal faschistische[s] System, das sich „als Religion tarnt“ bezeichnet wird und die „Infiltation durch Einwanderung […] mit allen Mitteln gestoppt werden“ müsse, da ansonsten „unsere Art zu Leben binnen nur 20 Jahren weg“ sei:
166
„Meine Damen und Herren! Ich würde allerdings nicht Er. Br. heißen, wenn in meiner Rede der politische Islam nicht vorkommen würde. […] Parteimitgliedern […] mal die Augen zu öffnen, um was es sich bei dieser totalitären Ideologie, denn etwas anderes ist es nicht, getarnt natürlich im Schafspelz einer Religion handelt. Nämlich um Rückschritt, Technikfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Freiheitsfeindlichkeit, Demokratieunvereinbarkeit, primitivste Körperstrafen, absolute Kontrolle des alltäglichen Lebens [Applaus]. Ich setze mich mit dem Thema politischer Islam seit über einem Jahrzehnt auseinander und bin in der islamkritischen Szene auch international gut vernetzt. Meine Damen und Herren! Eine weitere moslemische Invasionswelle kommt gerade zu uns herein, über Polen und keiner berichtet drüber. Keiner, die ganzen Mainstream, kein Wort drüber oder nur Randnotizen [Applaus]. Was unsere Regierung betreibt, ist letztlich nichts anderes als die bewusste und kühn kalkulierte Islamisierung unseres Heimatlandes [Applaus]. Manchmal kommt es mir so vor, der Deutsche soll nur noch arbeiten und sich am besten gar keine eigenen Kinder mehr leisten können, um irgendwelche Muslims zu finanzieren [Applaus]. Wie ich bereits vorher sagte, in meiner Mediationstätigkeit war ich sehr viel unterwegs und es gibt wahnsinnig schöne Ecken in Bayern und Bayern darf auf gar keinen Fall den moslemischen Horden anheimfallen [Applaus, Jubel im Publikum]. Wir wollen Bayern, dass es so bleibt wie es eben ist, mit einer einheimischen Bevölkerung, mit einer Kirche in der Dorfmitte und einem Wirtshaus daneben. Das wollen wir haben [Applaus]. Es wird Zeit, die Remigration in Angriff zu nehmen. Es sind bereits viel zu viele bei uns … [un-deutlich] … herind. Und ich möchte noch … [undeutlich] … Ke. At., um es auszudrücken, es gibt verschiedene Kulturen, aber nur eine Zivilisation, die europäische.“, Bewerberrede von Er. Br. für die Funktion eines Beisitzers im Vorstand der Klägerin vom 17.10.2021 ab Minute 1:47, Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, S. 10 f. (Klammersetzung bereits in Beobachtungserklärung enthalten), Vermerk des BayLfV vom 26.10.2021, S. 6 f.
167
„[…] Der Isalm ist anders: Er wird sich jedweder Gesellschaftsform von dr er sich Vorteile verspricht anbiedern . Alles oder auch nur einen Teil der Vernetzung hier zu tippen ist unmoeglich da zu lange . Fakt ist war und bleibt: Dieses klerikal faschistische System welches sich als religion tarnt ist brandgefaehrlich . Die Infliltation durch Einwanderung muss mit allen Mitteln gestoppt werden ansonsten ist unsre Art zu Leben binnen nur 20 Jahren weg !“, ausweislich der Daten eines gespiegelten Mobiltelefons Beitrag von Er. Br. vom 19.8.2020 in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“, (vgl. Vermerke des BayLfV vom 22.12.2021 und vom 11.2.2022; zur Verwertbarkeit der Nachricht siehe noch unten II.1.e.cc.(3)).
168
„Eine ansteckende Krankheit, welche zu Hirnerweichung‚ Intoleranz, Homophobie, Frauenfeindlichkeit etc. führt.“, ausweislich des Beitrags „Die bayerische AfD“ auf BR24 vom 1. Dezember 2021 Beitrag von Er. Br. in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“; zur Verwertbarkeit der Nachricht siehe noch unten II.1.e.cc.(3))
169
Wenn Br. (Mitglied des Landesvorstands der Klägerin sowie Stadtrat in R. ) ausführt, dass es ihm zuweilen so vorkomme, dass die Regierung eine „bewusste und kühn kalkulierte Islamisierung“ Deutschlands betreibe und „der Deutsche […] nur noch arbeiten und sich am besten gar keine eigenen Kinder mehr leisten können [soll], um irgendwelche Muslims zu finanzieren“, sollen bei den Zuhörern Ängste vor Menschen muslimischen Glaubens hervorgerufen werden. Insofern kommt es nicht darauf an, dass sich die erste der zitierten Aussagen einleitend nur auf den politischen Islam − den Br. im Übrigen mit ausschließlich negativen Attributen beschreibt – bezieht. Gleichermaßen ist es nicht entscheidend, dass mit den Begriffen der „ansteckende[n] Krankheit“ und des als „brandgefährlich“ beschriebenen „klerikal faschistische[n] System[s]“ der Islam als solcher gemeint ist und kritisiert wird, da durch die Bezugnahme auf die „Infiltration durch Einwanderung“ und die laut Br. durch den Islam verursachte „Hirnerweichung‚ Intoleranz, Homophobie“ und „Frauenfeindlichkeit“ der Bogen zu Menschen muslimischen Glaubens geschlagen wird und diese pauschal herabgewürdigt und allein aufgrund ihres Glaubens als Bedrohung dargestellt werden.
170
Menschen muslimischen Glaubens und deren Handlungen werden pauschal in Bezug zu Angst, Frauenverachtung, Morden und Terror gesetzt:
171
„Wir müssen uns nur darüber im klaren werden, dass der Islam erstens keine Religion ist und zweitens keinen Frieden und Barmherzigkeit beinhaltet. Egal wo der Islam weltweit ist gibt es Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror.“, Ha. Meu. (AfD Landesverband Bayern), MdL, Kandidat für das Amt eines der Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, erster stellvertretender Vorsitzender AfD-Bezirksverband Oberfranken und Vorsitzender des AfD Kreisverbands Coburg-Kronach am 27.3.2019, BfV Gutachten, S. 486, Belegsammlung, S. 4407
172
Meu. kommentierte mit dieser Äußerung einen Artikel des Nachrichtenportals inFranken.de, der die Verlängerung des Modellversuchs „Islamischer Unterricht“, einem Islamunterricht unter Einbeziehung der grundgesetzlichen Werteorientierung in Bayern, um zwei weitere Jahre thematisierte. Der letzte Teil der Aussage von Meu. kann dabei nicht lediglich als Koinzidenz, verstanden als quasi zufälliges gleichzeitiges Auftreten von Angst, Frauenverachtung, Morden und Terror und der Verbreitung des Islams verstanden werden. Wie der erste Teil der Aussage, wonach der Islam Frieden und Barmherzigkeit nicht beinhalte, deutlich macht, wird der Islam vielmehr als Ursache für die benannten Phänomene ausgemacht. Die Aussage Meu. s lässt in ihrer Pauschalität jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem in dem Presseartikel letztlich angesprochenen Thema, dem Islam und der grundgesetzlichen Werteorientierung, vermissen und kann daher keinerlei Beitrag zu einem Diskurs liefern.
173
Die Klägerin hat zu der Äußerung Meu. s und den Äußerungen Br. s in der Rede vom 17. Oktober 2021 vorgetragen, dass sich beide von ihren Äußerungen distanziert hätten und die Äußerungen daher nicht mehr herangezogen werden könnten. Die Aussagen von Meu. und Br. sind der Klägerin jedoch nach wie vor zurechenbar. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ausgeführt hat (BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 141 ff.), sind die Erklärungen von Ha. Meu. und Er. Br. vom 4. bzw. 8. Mai 2023 bereits nicht geeignet, eine glaubhafte Distanzierung zu vermitteln. Ha. Meu. führte aus, er habe mit seiner Äußerung „keine Kausalität darstellen (wollen), sondern eine Korrelation zwischen den (politischen) Verhältnissen in einigen Ländern und dem Islam, der dort als politisches Instrument genutzt wird“. Er. Br. gab an, er habe mit seiner Aussage in der Rede vom 17. Oktober 2021 („moslemische Invasionswelle“, „irgendwelche Muslims“, „moslemische Horden“) lediglich das „Phänomen der unkontrollierten Einwanderung thematisieren“ und „den politischen Islam (…) kritisieren“ wollen. Das Verwaltungsgericht schließt sich der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an, wonach der Wortlaut der Äußerungen und das, was die Äußernden ihren Erklärungen nach gemeint haben wollen, jeweils in einer Weise auseinanderlaufen, dass die Distanzierungen unglaubhaft sind. Überdies teilt das Verwaltungsgericht die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Erklärungen den Eindruck erwecken, den Erklärenden bereits ausformuliert vorgelegt worden zu sein, da die beiden Erklärungen nach Form und Inhalt teilidentisch sind. Die Erklärung von Er. Br. ist zudem insoweit unzutreffend, als er angibt, dass das Video der Rede „mittlerweile nicht mehr von mir oder der Partei abrufbar vorgehalten“ werde, das von den „AfD-Mandatsträger[n] im Landkreis Altötting“ – laut „Kanalinfo“ „einziger offizieller Youtube-Kanal der Gemeinschaft aller AfD-Mandatsträger im Landkreis Altötting“ mit dem „Bürgerbüro des AfD-Betreuungsabgeordneten des Landkreises Altötting F. B. (MdL)“ als Kontakt – auf YT gepostete Video jedoch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach wie vor unter dem in den Belegen des BayLfV enthaltenen Link (Belege zur Beobachtungserklärung, S. 2245) abrufbar war. Das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass der Kanal der Klägerin weder bekannt noch zurechenbar sei, vermag nicht zu überzeugen, zumal es sich um einen von diesen als „offiziell“ bezeichneten Kanal von Mitgliedern der Klägerin handelt. Überdies liegt – wie bereits vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ausgeführt – insofern eine verfahrenstaktische Motivation nahe, als die Erklärungen erst abgegeben wurden, nachdem das Verwaltungsgericht die durch die Erklärungen in Bezug genommenen Äußerungen in seinem Beschluss vom 17. April 2023 als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen hatte, zumal das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss (VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 88) ausgeführt hatte, dass zu prüfen sei, ob der letzte Teil der Aussage Meu. s nicht lediglich eine Koinzidenz beschreibe (vgl. zur Glaubhaftigkeit einer Distanzierung, die erst während eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt, BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 656). Der Vortrag der Klägerin zur Distanzierung Er. Br. s von den von ihm getätigten Äußerungen vermag auch insofern nicht zu überzeugen, als sich Br. zu keiner Zeit von den dargestellten Äußerungen in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ distanziert hat.
174
Entscheidend für eine Zurechenbarkeit der Äußerungen ist jedoch letztlich – wie bereits vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ausgeführt –, dass sich die Klägerin selbst nicht von den dargestellten Äußerungen distanziert hat (vgl. zur Bedeutung der Distanzierung durch die Partei selbst: BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 563). Das Argument der Klägerin, sie habe sich die Distanzierungen „evident“ zu eigen gemacht, indem sie diese in das Verfahren eingeführt habe, verfängt nicht, da eine glaubhafte Distanzierung von öffentlichen Äußerungen zeitnah (vgl. dazu BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 -juris Rn. 673, 724) und öffentlich hätte erfolgen müssen und nicht erst und lediglich schriftsätzlich gegenüber dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Wie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss dargestellt, spricht gegen eine nachhaltige Distanzierung von den Äußerungen zudem der Umstand, dass Er. Br. nach seiner Rede am 17. Oktober 2021 mit 69,8 Prozent der Stimmen zum Beisitzer im Landesvorstand der Klägerin gewählt wurde und ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Landesvorstands der Klägerin auch nach wie vor jedenfalls kooptiertes Mitglied des Landesvorstandes sowie Stadtrat in R. ist, also eine herausgehobene Stellung innerhalb der Organisationsstrukturen der Klägerin inne hat. Gleiches gilt für Ha. Meu., der zwischenzeitlich als Mitglied der Klägerin in den Bayerischen Landtag gewählt wurde und für das Amt eines der Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags kandidiert hat. Der im Hinblick auf Br. erhobene Einwand der Klägerin, dass nicht belegbar sei, dass dieser wegen seiner Äußerung gewählt wurde, ist damit nicht von entscheidender Bedeutung.
175
(hh) Prof. Dr. L. M1. (ehemaliger MdB und ehemaliger Sprecher des AfD Landesverbands Baden-Württemberg) zeichnet ein generelles Bedrohungsbild im Hinblick auf muslimische Araber, Syrer und Nordafrikaner, indem er Deutschland im Sommer 2019 beschreibt als „ein Land, in dem nach der muslimischen Massen-Invasion Messer-Morde und rohe Gewalt alltäglich“ seien:
176
„Deutschland im Sommer 2019 – Klima prima, aber Frauen werden ermordet oder geschändet – „Männer“ stechen zu Deutschlands Klima ist prima. Die Luft insgesamt so sauber wie in keinem anderen Industrieland. Und, wen’s interessiert, unser CO₂-Ausstoß beträgt nur zwei Prozent der weltweiten Emission. Das Klima hat sich seit 2015 trotzdem verändert. Mord und Totschlag, die Schändung deutscher Frauen und Mädchen. Begangen durch junge muslimische Araber und Syrer und durch Nordafrikaner. Warum demonstriert dagegen niemand? Deutschland hat Angst. Vor einem Klimawandel, für den kein Mensch etwas kann und – so jüngst eine Umfrage – vor Rechts! Deutschland ein Narrenhaus? Deutschland ein Land, in dem nach der muslimischen Massen-Invasion Messer-Morde und rohe Gewalt alltäglich sind., F. Beitrag von Prof. Dr. L. M1. vom 9.7.2019, BfV Gutachten, S. 436, Belegsammlung, S. 4173
177
In dem Beitrag werden Morde und Gewalttaten als mittlerweile alltäglich beschrieben. Die Täter seien nicht irgendwelche „Männer“, Ursache für die Zugewanderten zugeschriebenen Taten sei vielmehr der muslimische Glaube der Zugewanderten, denen deutsche Frauen und Mädchen als Opfer gegenübergestellt werden.
178
(ii) Kl. St. (MdB, ehemals Sprecher und nun Beisitzer des AfD Kreisverbands Westthüringen, Mitglied des Gemeinderats W.-F., Fraktionsvorsitzender im Kreistag Wartburgkreis) beschreibt deutsche Frauen und Mädchen als „Freiwild“ und das deutsche Volk als „Beute“ der in Anknüpfung an eine Rede von Ma. Sch. als „Goldstücken“ bezeichneten Geflüchteten muslimischen Glaubens, deren Integration generell nicht möglich sei (siehe hierzu noch unten II.1.e.bb.(3)(c)).
179
„Da unsere Goldstücke von Wertschätzung einer Frau in ihrer Erziehung nie was gehört haben und ihre Frauen in der Öffentlichkeit verhüllt rumlaufen, betrachten sie deutsche Frauen und Mädchen als Freiwild. Da hilft auch keine angebliche Integration denn das wäre so als wenn man einem Raubtier den Jagdinstinkt abgewöhnen wolle. Wer den Koran liest, weiss dass es nicht funktionieren kann. Unsere Politiker machen ihr Volk zur Beute. Zeit für eine grundlegende Wende. Am 27.10. hat Thüringen die Wahl!“, F. Beitrag von Kl. St. vom 5.8.2019 zu einem von ihm geteilten Artikel auf bild.de („In Münchner Schwimmbad: Intensivtäter (14) will Mädchen (13) vergewaltigen“), BfV Gutachten, S. 513, Belegsammlung, S. 4472
180
(jj) Auch der AfD Kreisverband Aichach-Friedberg (AfD Landesverband Bayern) stellt Migranten muslimischen Glaubens pauschal als Bedrohung insbesondere für Mädchen und junge Frauen dar. Der Kreisverband veröffentlichte am 13. Januar 2024 auf seinem F. -Profil ein B., das ein auf einer Bank sitzendes Mädchen mit ängstlichem und kummervollem Gesichtsausdruck zeigt. Eine Gruppe von sieben lachenden vollbärtigen Männern mit Turban hat sich von hinten der Bank genähert und beginnt, sich über die Bank zu beugen. Das B. trägt den Schriftzug „Unsere Enkel werden uns das nie verzeihen“ und wurde vom Kreisverband Aichach-Friedberg wie folgt kommentiert:
181
„Uns (der AfD) muß man diese massenhafte, verhängnisvolle Einwanderung nicht verzeihen wir sind seit unserem Start dagegen, wir werden für Schutz unserer Grenzen sorgen, und für Remigration (dazu brauchen wir kein Geheimtreffen und keinen Geheimplan, das steht in unserem Programm).“, F. Beitrag des AfD Kreisverbands Aichach-Friedberg vom 13.1.2024, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 9
182
(kk) Ein größerer Ausschnitt desselben B.es, auf dem zwölf lachende vollbärtige Männer mit Turban hinter und neben dem Mädchen erkennbar sind, versehen mit dem Schriftzug „Endlich fühle ich mich sicher. Gut, dass wir damals gegen Rechts demonstriert hatten!“, wird auch vom Vorsitzenden des Kreisverbands München Ost, R. D., genutzt, um eine Bedrohung von Mädchen und jungen Frauen durch Migranten muslimischen Glaubens zu inszenieren, indem er das von einem anderen Nutzer auf der Plattform X gepostete und von diesem mit dem Text „Shithole Germoney“ versehene Foto am 19. Februar 2024 durch einen repost verbreitete.
183
(ll) Der Vorsitzende des Kreisverbands München Ost suggeriert durch einen weiteren sog. repost auf der Plattform X, dass es sich bei Migranten afrikanischer Herkunft grundsätzlich um potenzielle Sexualstraftäter handle. D. teilte auf der Plattform X ein B., das den Eindruck erzeugen soll, ein Wahlplakat der CDU zu sein. Auf diesem ist in vielfacher Ausführung ein Foto zu sehen, mit dem nach einem einer Sexualstraftat Beschuldigten afrikanischer Herkunft gefahndet wurde. Die Vervielfältigung des Fotos soll den Anschein einer entsprechenden Menschenmasse erwecken. Als vermeintlicher Slogan der CDU wurde darunter in Anlehnung an den bestehenden Fachkräftemangel der Schriftzug „Fuckkräftemangel stoppen! Massenmigration fördern!“ platziert. Angeknüpft wird dabei an einen Notizzettel, der von Beschuldigten im Kontext von Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln mitgeführt worden sein soll, und in fehlerhaftem Deutsch unter anderem den Satz „Ich will fucken“ beinhaltete, woraus in Diskussionen über die Vorfälle der Name „F.“ abgeleitet und das Fahndungsfoto für die Erstellung unterschiedlicher Memes mit oftmals fremdenfeindlichem Inhalt genutzt wurde. Aus einem Interview des Kreisverbandsvorsitzenden vom 2. Mai 2022 geht hervor, dass er den Kontext des B.es kennt und das „alte Meme des ‚F.’“ bewusst verwendet (Vermerk des BayLfV vom 15. Mai 2024, S. 2 ff.) In diesem Zusammenhang ist auch ein weiteres, von D. am 30. April 2024 auf der Plattform X veröffentlichtes B. (Vermerk des BayLfV vom 15. Mai 2024, S. 4) zu sehen. Das Fahndungsfoto wird hier auf einem Plakat verwendet, das vermeintlich vom CDU Kreisverband Leipzig stammen und eine Einladung zu einer Veranstaltung zum Thema Sicherheit mit „Dr. F. “, der Listenplatz 1 innehabe, als Redner darstellen soll. Durch die Verwendung des Fahndungsfotos und der Begriffe „Fuckkräfte“ bzw. „F.n“ als Symbol für Migranten afrikanischer Herkunft stellt D. diese pauschal und in rassistischer Weise als grundsätzlich triebgesteuerte Sexualstraftäter und Gewalttäter dar und würdigt diese hierdurch in einer gegen die Menschwürde verstoßenden Weise pauschal herab.
184
(mm) Die „AfD München“, der F. Auftritt der Münchner AfD Kreisverbände, sprach am 30. November 2023 im Zusammenhang mit der aus ihrer Sicht durch die Migrationspolitik verursachten Zunahme von Terroranschlägen bzw. Angriffen davon, dass
185
„die Politik unser Land in ein gewalttätiges Tollhaus verwandelt [hat], wo sich niemand mehr sicher fühlen kann“, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 26
186
Der Vorsitzende des Kreisverbands München Ost D. äußert sich in einem am 3. November 2023 verfassten, vom Kreisverband München Ost noch am selben Tag geteilten Beitrag zu den Gründen dafür, dass CDU, CSU, FDP, SPD und die Grünen die Förderung von Abschiebungen gefordert hatten. Ursächlich hierfür sei die Teilnahme von „tausende[n] Araber[n] an einer Demonstration“, also die „zunehmende Unterstützungswelle der Hamas durch Araber auf unseren Straßen“, wohingegen die Parteien „nicht durch die vielen Messerstraftaten, importierten Massenvergewaltigungen, Raubüberfällen oder Morden zum Umdenken gebracht“ worden seien:
187
„Hunderte tote Deutsche, die jährlich auf die Kosten einer vollkommen gescheiterten Integrationspolitik gehen, interessieren unsere Regierung nicht. Tausende vergewaltigte junge Frauen, deren Leben von zugewanderten Straftätern zerstört wurde, interessieren unsere Regierung nicht. Abermillionen Frauen und Mädchen, die sich deswegen nachts nicht mehr allein auf die Straße trauen, interessieren unsere Regierung ebensowenig.“, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 32
188
Der Kreisverband München Ost teilte am 29. März 2023 auf F. überdies einen Beitrag seines Kreisvorsitzenden D. , der anlässlich der Wahl des pakistanischstämmigen H. Y. zum schottischen Ministerpräsidenten erfolgte. Darin heißt es:
189
„H. Y. ist vor wenigen Tagen in Schottland zum ersten Ministerpräsidenten gewählt worden. Wir sehen daher, dass die Zurückdrängung der europäischen Völker überall auf Hochtouren läuft. […].“
190
Der Beitrag endet mit dem Aufruf
191
„Wir haben nur dieses eine Deutschland, holen wir es uns zurück!“, Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 10
192
Dies zeigt, dass für den Kreisverband München Ost und seinen Vorsitzenden eine Person mit Migrationshintergrund völlig unabhängig von Werdegang, Leistung und Integration kein echter Repräsentant des politischen Gemeinwesens sein kann, in das er oder seine Vorfahren eingewandert sind; Migranten vielmehr generell als wirtschaftliche und gesellschaftliche Belastung bzw. Gefahr und Gefährdung für den Bestand des Volkes, in das eingewandert wurde, gesehen werden.
193
(nn) Die Angst vor Gewaltverbrechen durch Menschen muslimischen Glaubens wird auch in einer Wahlkampfrede der AfD-Bundestagsabgeordneten und dritten stellvertretenden Landesvorsitzenden des Landesverbands Rheinland-Pfalz der AfD (Quelle: https://www.alternative-rlp.de/vorstand), N. Hö., am 11. März 2019 geschürt, wie der nachfolgende Auszug zeigt:
194
„Wir werden weiterhin kommunal gegen den Verschleierungszwang vorgehen. Warum sage ich Zwang? Weil die Damen, die das hier tun und durchboxen wollen, auf Biegen und Brechen eines im Sinn haben: Die, die sich kennzeichnen durch das Kopftuch, kennzeichnen sich als der richtigen Religion zugehörig, dem richtigen Kulturkreis zugehörig, und alle nicht durch Kopftuch Gekennzeichneten sind ergo freigegeben, zum Belästigen, zum Vergewaltigen und zum Töten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, und das machen wir nicht mit. Gruppenvergewaltigung, in der Form, hat es früher nicht gegeben, und alle, die lachen und irgendwelche Transparente hochhalten, mögen auch verschont bleiben von solchen Erfahrungen. Denn wenn Sie sich vorstellen, dass 15 vollkommen durchgeknallte, von ihren Hormonen ferngesteuerte Typen, allemal reinstecken müssen, während man wehrlos und bewusstlos auf dem Boden liegt und sich nicht wehren kann. Die dürfen sich mal vergegenwärtigen, dass diese Frauen zukünftig aus der gleichen Öffnung scheißen, pissen und menstruieren, mal abgesehen von den seelischen Schäden, die diese Frauen und Mädchen den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen.“, BfV Gutachten, S. 437, Belegsammlung, S. 4188 ff.
195
Der Hinweis auf die möglichen Folgen von (Gruppen-)Vergewaltigungen für die betroffenen Mädchen und Frauen mag zwar von seiner Formulierung her als geschmacklos empfunden werden, kann aber (noch) als in der Wortwahl sehr drastischer Appell, (Gruppen-)Vergewaltigungen zu verhindern, angesehen werden. Hö. belässt es allerdings nicht hierbei und auch nicht dabei, Gruppenvergewaltigungen vor allem Muslimen zuzuschreiben, sondern interpretiert das Tragen eines Kopftuchs durch Musliminnen so, dass hierdurch die übrigen (d.h. nicht kopftuchtragenden) Frauen und Mädchen Belästigungen, Vergewaltigungen und Tötungsdelikten ausgesetzt sind. Durch die Aussagen wird nicht nur die Angst in der Bevölkerung vor Übergriffen durch männliche Muslime geschürt, sondern zugleich unterstellt, dass das Tragen des Kopftuchs durch Musliminnen der Unterscheidung diene, an welchen Frauen und Mädchen Verbrechen begangen werden dürften und an welchen nicht. Aufgrund der dargestellten Tragweite der Aussagen ist bei deren Bewertung nicht mehr ausschlaggebend, dass sich Hö. in der Rede gegen einen Zwang zur Verschleierung aus- und damit – eingebettet in Ausführungen zu Familienpolitik, den Rechten von Frauen und der Entwicklung des Frauenbilds – ein Sachthema anspricht.
196
(c) Auch indem Menschen mit Migrationshintergrund und Muslimen pauschal die Integrationsfähigkeit und -willigkeit abgesprochen wird, wird ein Feindbild geschaffen, das eine Abneigung gegenüber diesen Personengruppen fördern soll.
197
La. Schi. (AfD Landesverband Brandenburg, MdL in Brandenburg) zufolge seien Muslime nicht integrierbar (F. Beitrag vom 15. Januar 2018, der sich auf eine Diskussionsrunde zu etwaigen Missständen in islamischen Gemeinden bezieht, BfV Gutachten, S. 457).
198
Mit dem bereits dargestellten, von Kl. St. gezogenen Vergleich zwischen Integrationsbemühungen und dem Versuch, einem Raubtier den Jagdinstinkt abgewöhnen zu wollen (BfV Gutachten, S. 513), behauptet auch St., dass eine Integration von Geflüchteten muslimischen Glaubens generell nicht möglich sei. Durch den Vergleich mit Raubtieren und deren charakteristischem Jagdinstinkt bringt er eine biologische Komponente ins Spiel und unterstellt Geflüchteten muslimischen Glaubens zugleich generalisierend einen unkontrollierbaren, animalischen Sexualtrieb. Dies verletzt die Angehörigen dieser Personengruppe in ihrer Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, da ihre Subjektqualität und der daraus folgende Achtungsanspruch durch den entmenschlichenden Vergleich grundsätzlich in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 540).
199
Auch Ma. Jo., im September 2021 aus der AfD ausgetreten (Quelle: W. ), zum damaligen Zeitpunkt aber Mitglied der AfD (Landesverband Rheinland-Pfalz) und Mitglied der AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag sowie Vorsitzender des Kreisverbands Germersheim, geht ausweislich seiner nachfolgenden Äußerungen vom 21. Januar 2020 davon aus, dass Muslime „sich durch Integrationsverweigerung“ auszeichneten, da aus der mehrfachen Bezugnahme auf den Islam hervorgeht, dass sich seine Aussage zuvorderst auf Muslime bezieht. Muslime werden von Jo. nicht nur als „nicht zu Deutschland gehörend“ dargestellt, sondern als „großteils unqualifiziert“ und „mehrheitlich illegale Sozialstaatsplünderer“ bezeichnet und als Gruppe pauschal den mit positiven Eigenschaften („qualifiziert“, „fleißig“) bedachten Einwanderern aus anderen Ländern bzw. Kontinenten gegenübergestellt.
200
„Und wenn die Mächtigen – entgegen der Vorbehalte der Bürger gegen den Islam – Millionen großteils unqualifizierte, kulturfremde Personen importieren, versündigen sie sich an der Zukunft unserer Kinder. Sie werden unsere Sozialststeme und den gesellschaftlichen Zusammenhalt ruinieren. Sie sind die Feinde eines stabilen, solidarischen Gemeinwesens und werdem letztlich (Verteilungs)-Konflikte, Hass und wirtschaftliche Schwäche produzieren.“, BfV Gutachten, S. 454, Belegsammlung, S. 4302
201
„Deutschland kann etwas ‚bunt‘ sein – mit qualifizierten Asiaten, fleissigen Polen, Italienern, US-Amerikanern. Aber nicht mit kulturell nicht reinpassenden Gruppen, die sich durch Integrationsverweigerung auszeichnen – wir brauchen da die besten Köpfe, keine mehrheitlich illegalen Sozialstaatsplünderer mit völlig anderen Vorstellungen von Staat und Kultur. Deutschland ist kein ‚mentales‘ Einwanderungsland, die Leute werden hier faktisch vergewaltigt mit unpassender Migration. Jedenfalls: Ein solch kulturell zersplittertes und islamischeres Deutschland wird keinen Zusammenhalt, keine Kultur, keine gemeinsamen Werte mehr haben. Eine Gruppe wird die Andere misstrauisch beäugen, und irgendwann um die Macht im Staat kämpfen – siehe Yugoslawien etc – Vielvölkerstaaten gehen nur, wenns kulturell passt . Der politische Islam kennt keine Toleranz, und den Restdeutschen werden wir hier ab 2040, 2050 die Hölle auf Erden bereiten. Wollen wir dies wirklich?“, BfV Gutachten, S. 454 f., Belegsammlung, S. 4303
202
Jo. belässt es gerade nicht bei Aussagen, die noch als zugespitzte Kritik an der Einwanderungspolitik der Bundesregierung und als Forderung nach einer stärkeren Einwanderung von Fachkräften verstanden werden könnten. Er zeichnet vielmehr ein B., in dem es in Deutschland keinen Zusammenhalt, keine Kultur und keine gemeinsamen Werte mehr geben werde, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Sozialsysteme ruiniert würden, an die Stelle eines bisherigen stabilen, solidarischen Gemeinwesens wirtschaftliche Schwäche, (Verteilungs-)konflikte und Hass träten. Aus dieser Beschreibung der künftigen Entwicklung Deutschlands durch die als „[Versündigung] an der Zukunft unserer Kinder“ bezeichnete Migrationspolitik, durch die „die Leute […] hier faktisch vergewaltigt“ würden, wird schließlich ein Feindbild abgeleitet: Die von Jo. auch ausdrücklich als „Feinde“ bezeichneten Muslime würden letzten Endes mit „den Deutschen“ um „die Macht im Staat kämpfen“ und den „Restdeutschen“ schließlich „die Hölle auf Erden bereiten“.
203
(d) Die dargestellten Äußerungen gehen aufgrund ihres beleidigenden Charakters über eine bloße Ablehnung der religiösen Vorstellungen von Muslimen, die diese in einer durch Pluralismus, Toleranz und offener Geisteshaltung gekennzeichneten demokratischen Gesellschaft hinnehmen müssten (vgl. EGMR, U.v. 2.5.2006 – 50692/99 – NVwZ 2007, 314/315 f.), hinaus. Es handelt sich nicht mehr nur um sehr zugespitzte Kritik am Islam selbst. Vielmehr wird durch die Äußerungen die Menschenwürde von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens verletzt, da diese wegen ihrer Herkunft bzw. Religionszugehörigkeit systematisch, anhaltend und wiederholt pauschalisierend auf polemische Art und Weise herabgesetzt, ausgegrenzt und als kriminelle, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt werden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 – juris Rn. 25) und dabei zugleich die Zielsetzung deutlich wird, die Angehörigen dieser Personengruppen menschenwürdeverletzend auszugrenzen.
204
Diese hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werden nicht dadurch entkräftet, dass in programmatischen Schriften der Klägerin und anderen Äußerungen ihrer Mitglieder in sachlicher oder zwar polemisch zugespitzter, aber nicht pauschal diffamierender Weise zur Kriminalität von Menschen mit Migrationshintergrund und Muslimen oder zu kulturellen Unterschieden und Integrationsproblemen Stellung genommen wird (vgl. speziell zu den Positionen des Grundsatzprogramms der AfD zu Muslimen VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 73), da dies den Aussagegehalt der dargestellten Äußerungen und die dadurch zum Ausdruck kommende, zumindest von Teilen der Mitglieder der AfD „gelebte Programmatik“ nicht zu relativieren vermag (ähnlich OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 237). Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich auch nicht mehr um bloße Einzelfälle und – wie jeweils dargestellt – auch nicht lediglich um Aussagen, bei denen die Differenzierung zwischen Islam als Religion und politischen Islam sowie Islam und Islamismus nicht hinreichend deutlich gemacht worden wäre.
205
(e) Der Erörterung der Frage, ob sich aus den Äußerungen der AfD über Menschen muslimischen Glaubens auch tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) gerichtete Bestrebungen ergeben (vgl. zu diesen Themenkomplexen VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 388 ff., 487 ff., 667 ff.) bedarf es damit nicht.
206
cc. Es liegen zudem – selbständig die Beobachtung tragend – hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausprägung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips vor. Sie ergeben sich bereits aus der Befürwortung eines gewaltsamen Umsturzes, um den gewünschten „Kurswechsel“ zu erreichen („Widerstandsgepräge mit Umsturzphantasien“), wie er zwar zuvörderst, jedoch nicht ausschließlich in Nachrichten in der geschlossenen T. -Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ deutlich wird (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 114 ff.; siehe hierzu auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 258 ff., insb. Rn. 260).
207
(1) Als Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG) sind auch Bestrebungen gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu sehen.
208
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen gemäß § 4 Abs. 2 BVerfSchG insbesondere das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (Buchst. a), die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Buchst. b), das Recht auf B.ung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (Buchst. c), die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortung gegenüber der Volksvertretung (Buchst. d), die Unabhängigkeit der Gerichte (Buchst. e) sowie der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft (Buchst. f). Hierbei handelt es sich um Verfassungsgrundsätze (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG), durch deren Kodifizierung in § 4 Abs. 2 BVerfSchG der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (beginnend mit BVerfG, U.v. 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 − juris Rn. 38) übernommen hat (vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 60; 11/7504, S. 8). Das Demokratieprinzip ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenso wie das Rechtsstaatsprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 542 f., 547). Bestimmend für das Rechtsstaatsprinzip sind die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den an Recht und Gesetz gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist (BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 547).
209
(2) Die nachfolgenden Äußerungen stellen nicht nur eine Ablehnung der Demokratie und des Rechtsstaats dar, sondern offenbaren auch ein damit einhergehendes „Widerstandsgepräge mit Umsturzphantasien“ (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 126).
210
(a) J. E. , Herausgeber des COMPACT-Magazins, sprach bei der Kundgebung des AfD Kreisverbands München Ost am 18. Februar 2023, die anlässlich der 59. Münchner Sicherheitskonferenz unter dem Motto „Kriegstreiber stoppen! Keine Sanktionen – Keine Waffenexporte“ erfolgte, davon, dass das Volk die „Regierung einsperren“ und der Regierung den „Krieg erklären“ müsse:
211
„[…] Ich habe 2015 gesagt als Mer. die Grenzen aufgemacht hat, wenn die Regierung das Volk austauschen will, dann muss das Volk die Regierung austauschen. Und ich habe 2020 gesagt, in den Lockdown Zeiten, wenn die Regierung das Volk einsperren will, dann muss das Volk die Regierung einsperren. Und ich sage jetzt, wenn die Regierung Russland den Krieg erklärt, dann muss das Volk der Regierung den Krieg erklären. […] Wir habe heute eine quasi faschistische Regierung im Gewand des Regenbogens und diese Regierung muss weg. Wir brauchen eine Regierung aus dem Volk, durch das Volk und für das Volk. […]“, Vermerke des BayLfV vom 22.2.2023, S. 1 f. und vom 11.4.2024, S. 1
212
Diese Äußerungen muss sich der AfD Kreisverband München Ost, der E. als Redner einlud, zurechnen lassen, da er E. eine Plattform für die Verbreitung seiner Position geboten und sich ausweislich der überzeugenden Erkenntnisse des BayLfV nicht von dieser distanziert hat (siehe hierzu bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(bb)). Zwar knüpft E. mit seinen Aussagen noch an politische Sachthemen an (Migration, Corona Pandemie, Angriffskrieg Russlands) und spielt mit den diesbezüglich von ihm verwendeten Begrifflichkeiten, jedoch geht aus der agitatorischen Rhetorik hervor, dass E. den von ihm geforderten Umsturz nicht durch Wahlen herbeiführen will. Die Forderung nach einer Kriegserklärung an die Regierung durch das Volk überschreitet das zulässige Maß an zu- und überspitzter Kritik und oppositioneller Tätigkeit (siehe hierzu noch unten II.1.e.dd.(1)). Dabei ist auch ein deutlicher Kontext zu dem Begriff „Bevölkerungsaustausch“ (siehe oben II.1.e.bb.(2)(d)(aa)) vorhanden.
213
Überdies gibt es auch eine Vielzahl an Äußerungen von Mitgliedern der AfD, die Umsturzphantasien belegen.
214
(b) Die Aussage von P. A. G., ehemals stellvertretender Vorsitzender des AfD Kreisverbands Landshut und Direktkandidat für die Landtagswahl 2018,
215
„Wir werden längere Wände als 1989 in Rumänien brauchen – Freiwillige für die Pelotons dürften aber kein Problem sein …“, Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, S. 9, Belegsammlung zur Beobachtungserklärung, S. 1992
216
lässt darauf schließen, sich im Falle der Teilhabe an staatlicher Macht losgelöst von geltenden rechtlichen Grundprinzipien zur Selbstjustiz ermächtigen und sich hierdurch unliebsamer politischer Gegner gewaltsam entledigen zu wollen. Gebhardt nimmt dabei auf die rumänische Revolution von 1989 Bezug, bei der Demonstrationen, Unruhen und blutige Kämpfen zum Sturz und zur Hinrichtung des rumänischen Diktators Ceaușescu und seiner Ehefrau führten (Quelle: wikipedia.de).
217
Ein Nutzer mit dem gleichen Namen P. A. G. äußert sich auch in der geschlossenen T. -Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ auf demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Art und Weise.
218
(c) Bei dieser am 1. Dezember 2021 durch Presseberichterstattung (zuerst des Bayerischen Rundfunks) bekannt gewordenen und daraufhin am 7. Dezember 2021 gelöschten T. -Gruppe handelte es sich nach den Erkenntnissen des BayLfV um eine interne, u.a. vom Bundestagsabgeordneten und Landesvorsitzenden der AfD, St .Pr. , administrierte, geschlossene Gruppe, in der sich rund 200 bayerische AfD-Mitglieder – darunter Landtags- (13 von 16) und Bundestagsabgeordnete (11 von 12), Mitglieder des Landesvorstands, Vorsitzende von Kreisverbänden, aber auch einfache Parteimitglieder – beteiligten. Von Ende 2017 bis Mitte 2021 wurden dabei mehr als 160.000 Nachrichten ausgetauscht (Vermerk des BayLfV vom 13.12.2021, S. 1 f.; vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 116).
219
(aa) Der Nutzer mit dem Namen P. A. G. äußert sich am Abend des 29. August 2020 zu dem an diesem Tag erfolgten sog. Reichstagssturm in Berlin, bei dem etwa 400 Personen während einer Demonstration unter Beteiligung von Verschwörungsideologen, Reichsbürgern und Rechtsextremen versuchten, das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen,
220
P. A. G. :
„Endlich! B.er wie aus Weißrusland, der Ukraine – und von anderen Nationen, wo die Bürger die Schnauze voll haben/hatten von Unterdrückung und Verleumdung!“
„Meine Anerkennung gilt den Aktivisten, die die Absperrungen vor dem Reichstag überwanden!“
S. […]:
„Aktivisten werden meistens verharmlosend linke Randalierer genannt.“
P. A. G. :
„Eben. Aber unsere Leute sind definitiv KEINE Chaoten!“
F. […]:
„Warum? Welchen Sinn sollte das haben?“
P. A. G. :
„[F.], Symbolcharakter! Denn diese B.er gehen um die Welt und werden zeigen, dass unser Land kurz vor einer Explosion steht – so wie in anderen vorrevolutionären Nationen. Und das ist das Entscheidende. Und wenn es nur zur Abschreckung gegen illegale Einwanderer hilft …“,
221
sowie am 30. August 2020 auf einige durchaus auch kritische Äußerungen hin,
222
„[F.], viele von uns haben sich in der AfD engagiert, um genau die Gefahr von gewaltsamem Widerstand erst gar nicht aufflammen zu lassen, indem sie auf demokratischem Weg über Argumente & Wahlen Änderungen herbeiführen. Dies ist aber weder bisher gelungen – noch wird es auf absehbare Zeit gelingen. Macht aber auch nichts mehr: Der kommendende Zusammenbruch mit Massenarbeitslosigkeit und Verteilungskämpfen „nach archaischer Art“ werden alle gesellschaftlichen Unterschiede egalisieren und jeden heute existierenden Zusammenhalt gesellschaftlicher Strukturen zerstören.“
223
(bb) P. A. G. ist dabei nicht der einzige, der den Sturm auf den Reichstag befürwortet:
224
Ju. Kl. (Schatzmeisterin des AfD-Kreisverbandes Ansbach/Weißenburg, stellvertretende Schatzmeisterin des Bezirksverbands Mittelfranken, die mit 2,7 Prozent der Beiträge im Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 25. September 2020 zu den aktivsten Nutzern der „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ gehörte, Vermerk des BayLfV vom 24.2.2022, S. 8):
„Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur pflicht“.
Ju. Kl. :
„War mir völlig klar dass es in der AfD sehr viele Mitglieder gibt, die diese Aktion am Reichstag vehement ablehnen. An diese möchte ich gerne die Frage stellen, ob denn zielführender war, was an anderen Stellen passiert ist, dass sich die Demonstranten friedlich wie Schafe durch Gatter führen ließen und der Polizei in die Falle mit dem nicht mehr eingehalten Abstand gelaufen sind? Es muss doch uns allen klar sein dass man mit Singen, Klatschen, Tanzen und puren Spazierengehen, das System der Altparteien nicht zum Einsturz bringen wird…“
„Ich kann ja eine klare Antwort geben. Für mich ist der das Besetzen der Treppen des Reichstages kein Untergang des Rechtsstaates Ich finde diese Aktion Klasse und sie gefällt mir und ich hoffe dass es mehr solche Aktionen gibt weil die einfach Aufsehen erregen Bitte wer das schon als grobe Übertretung von roten Linien bezeichnet der braucht echt nicht versuchen gegen stahlharte totalitäre Regime wie das von Mer. in die Opposition zu gehen“
Ge. Ho. : (Beisitzer im Landesvorstand, Vorsitzender des AfD Kreisverbands Kulmbach, Mitglied des Stadt- und des Kreistags Kulmbach, Vermerk des BayLfV vom 13.12.2021, S. 25)
„Oben am Polit-Olymp steht gross und breit: Dem deutschen Volke“. Ein Teil davon hat nun mal auf seine Art „vorbeigeschaut“. Gefällt mir. [lachender Smiley]“
225
(cc) Der Chat am 30. August 2020 zeigt, dass der Sturm auf den Reichstag innerhalb der Chatgruppe auch durchaus kritisch gesehen wird, daneben aber auch die Auffassung vertreten wird, man müsse sich nicht mehr an Recht und Gesetz halten, da der Rechtsstaat ohnehin obsolet geworden sei:
226
C. […]:
„es gab eine Zeit, da haben aller AfDler sich als Widerstand gegen die etablierten Parteien verstanden“ im Rahmen der FDGO und Rechtstaatlichkeit – nicht außerhalb dessen. Der Versuch den Reichstag zu stürmen ist strafbewährt und klar ausserhalb dieser Grenzen.“
Ju. Kl. :
„[lachende Smileys] mein Gott, ja – bestimmt hast Du recht Das betreten der Stufen des Reichstages ohne Genehmigung von A. herself ist ja wahrlich ein wahnsinniges Vergehen [die Hände vor das Gesicht schlagende Smileys]“
P. Ri.:
„Wenn eine Regierung sich nicht an Recht und Gesetz hält, warum sollen sich dann die Menschen daran halten? Oder glaubst Du ein einziger Mensch also ein Kritiker, Roma, Jude u.a. in der Nazizeit hätte überlebt, wenn er sich an die Gesetze gehalten hätte und brav zur Abfahrt ins KZ, zur Zwangsarbeit, Folter und zu seiner Tötung angetreten wäre???? Außerdem wird in der AfD auch ständig das Recht, also unsere Satzung u.a. gebrochen“
W. […]:
„…siehe willkürliche Umbesetzungen im Schiedsgericht…“
C. […]:
„also Rechtstaatlichkeit ade? was kommt danach? wo ist die Grenze?“
Ju. Kl. :
„stimmt – und zudem macht man – durchaus auch innerhalb unseres eigenen Kreises – immer gern aus einer Mücke einen Elefanten und prügelt auf die eigenen Leute ein [lachender Smiley]“
P. Ri.:
„Der Rechtsstaat ist obsolet“
227
(dd) In der Gruppe wird zudem die Meinung geäußert, dass eine Änderung des politischen Kurses notfalls durch Wahlfälschung verhindert werde, die Unabhängigkeit der Gerichte nicht mehr gewährleistet sei, Bürger durch die Regierung bewusst getäuscht, bedroht und eingeschüchtert würden und Abgeordnete der AfD Gespräche mit dem USamerikanischen und dem russischen Botschafter führen sollten, da Deutschland weiterhin unter Besatzungsrecht stehe,
228
D. […]:
„Das „System“ läßt es niemals zu! Zur Not werden Wahlen gefälscht. Und VerfGe, die das stoppen könnten, werden sukzessive infiltriert mit Lakaien des Systems. Siehe zuletzt Harbarth, CDU… Beides ist der Ansatz, in den Parlamenten UND auf der Strasse!“
P. Ri.:
„Da Richter nicht in Deutschland unabhängiger sind, ist dies auch wieder nur ein Unrechtsurteil nach einem nicht fairen Verfahren. Der Rechtsstaat ist obsolet.“
„Ich gehe davon aus, dass unsere Regierung uns vorsätzlich getäuscht hat und dies ist eine Banden-Straftat, um die Einschränkungen zu erwirken und durch zu drücken u.a.“
„Fest steht, dass Deutschland weiterhin keinen Friedensvertrag hat und somit weiterhin unter Besatzungsrecht steht und die Feindstaatenklausel deshalb immer noch besteht. Das wir eine extrem aggressive Politik haben, daran besteht auch kein Zweifel, also mein Frage lautete warum nicht ein paar Abgeordnete der AfD aus diesem Grunde mal Gespräche mir dem Amerikanischen ebenso den Russischen Botschafter führen. Die sind in Berlin, ergo um die Ecke und telefonieren oder ein Fax oder eine Mail oder einen Brief zu verfassen, dass man den Status von DE und die aggressive Politik sowie die Feinstaatenklausel gerne erläutern möchte hinsichtlich der Sicht der Alliierten, wo bitte ist da das Problem???“
„Von: P. Ri. Gesendet: Samstag, 22. August 2020 21:46 An: '@russische-botschaft.de'; '@state.gov'; '@state.gov'; '@gmail.com'; '@russische-botschaft.de'; '@prodigy.net'; '@whitehouse.gov' Cc: '@mail.mil'; '@mail.mil'; '@mail.mil'; '@mail.mil'; '@gmail.com' Betreff: Ersuchen um Ihr Eingreifen in Deutschland gemäß der Feindstaatenklausel u.a. als Besatzungsmacht / Request for your intervention in Germany in accordance with the enemy state clause and others as an occupying power Wichtigkeit: Hoch Sehr geehrter Herr P2. T., Sehr geehrter Herr P2. P3., da Deutschland bis heute keinen Friedensvertrag hat, stehen wir weiterhin unter Besatzungsrecht und deshalb wende ich mich an Sie Beide als die Gewichtigsten Teile der Alliierten. Dieses Schreiben erhalten Sie als per Mail über Ihre Botschaften u.a. in Deutsch und Englisch abgefasst.. Da mir bekannt ist, dass durch Ihre Offizierszeit in der ehemaligen DDR, Sie Herr P2. P3. deutsch verstehen, da ich aber kein russisch kann, bitte ich um Ihr Verständnis. Der Rechtsstaat in Deutschland ist schon lange obsolet.. Richter sind nicht unabhängig, nicht redlich noch loyal sondern politisch hörig, korrupt, willkürlich und Machbesessen. Gesetze, Verordnungen und vor allem die Grundund Menschenrechte usw. halten sie grundsätzlich bzw. überhaupt nicht ein ebenso verhöhnen und brechen Sie ständig Ihren Diensteid. Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung sind an der Tagesordnung. Dies gilt für alle Staatsanwälte auch. Rechtsanwälte sind Handlanger des korrupten mafiösen Justizsystems und unredlich zu Lasten Ihrer Mandanten, da die BORA und BRAO – beides die Grundlagen bzw. Gesetze für die Tätigkeit der Rechtsanwälteniemals eingehalten wird bzw. werden kann. Es gibt keine unabhängigen Kontrollmechanismen, die bei den ständigen exorbitanten vorsätzlichen Gesetzesverstößen u.a. greifen. Ich habe alleine rund 3000 Richter und Staatsanwälte überführt, die Businesswerbung mit Ihrem Amt ohne Nebentätigkeitsgenehmigungen, ohne gleichzeitige Rechtsanwaltszulassung usw. betrieben und somit der Korruption für Urteile und Beschlüsse Tor und Tür öffneten, Selbstverständlich wurde von Staatswegen alles rechtswidrig eingestellt und damit man aufzeigt, dass das Legalitätsprinzip ect. in Deutschland ebenso alle Gesetze und Rechte nichts wert ist noch existieren. Insbesondere Ministerpräsident S. /Bayern hat sich hier negativ hervorgetan. Meinungsfreiheit und Kritik gegen Handlungen der Regierung sowie der EU, des EUR usw. sind verboten und es werden immer mehr Gesetze erlassen alles, was „nicht Genehm“ ist unter erhebliche Strafen bzw. Freiheitsentzug zu stellen. Menschen werden massiv bedroht und eingeschüchtert. Die Maskenpflicht ist eine Farce, da jeder Hersteller Warnhinweise erteilt, dass diese nicht gegen Viren – wie also das Corona Virus, schützen Kinder sollen den Eltern entzogen werden, sobald Sie andere Meinungen vertreten oder großen Wohnungen und Häuser verfügen, wo schon bei einem Verdacht das Kind total isoliert werden muss mit einem eigenen Badezimmer. Menschenrechte werden ständig gebrochen und ausgelegt, wie man es halt politisch braucht. Die Politik in Deutschland zeichnet sich durch ein breites B. der Zerstörung und der Korruption aus. Die Existenz aller Deutschen wird permanent zerstört und unterwandert.“,
229
wenngleich Äußerungen im vorliegenden Chatverlauf zeigen, dass die der Äußerung R. s zugrundeliegende Rechtsauffassung von anderen Mitgliedern der Chatgruppe durchaus mit Ironie und Kritik bedacht wird:
230
Ch. Pa.:
Man könnte sich auch noch an den Alliierten Kontrollrat wenden zur Rehabilitierung der eigenen Person und Verhaftung der Landtagspräsidentin.
P. Ri.:
Was soll das. Überprüfung der Formalien und der Rechtsstaatlichkeit wird von Ihnen lächerlich gemacht? Dies ist die Basis und wird m.E. nicht eingehalten. Herr S3. ist alt genug und kann sicherlich selbst entscheiden ob er dies prüft oder nicht
F. […]:
Sind die bayerischen Gerichte etwa GmbHs?
231
(ee) Vom Nutzer A. (H.) Os. (mit 2,9 Prozent der Nachrichten im Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 25. September 2020 einer der aktivsten Nutzer der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“, Vermerk des BayLfV vom 24.2.2022, S. 6) wird der Sturz der Regierung als einzige Möglichkeit gesehen, die „Vernichtung“ des deutschen Volkes zu verhindern:
232
„Der antideutsche und antiweiße Rassismus erlebt einen neuen Höhepunkt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Völker stürzen ihre Regierungen oder die Regierungen vernichten ihre Völker. http://einsamer-wanderer.net/2020/09/08/die-anti-rassismus-agenda-2025-der-deutsche-migrationspakt-kurzfassung/“
233
Die bislang dargestellten Äußerungen in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ sind Bestandteil des dem Verwaltungsgericht vom Beklagten vorgelegten Chatverlaufs der Gruppe vom 1. Juli 2020 gegen 17 Uhr bis 25. September 2020 gegen 13 Uhr. Der Chatverlauf wurde dem BayLfV vom Bayerischen Landeskriminalamt zur Verfügung gestellt, dem die Daten, die auf einem gespiegelten Mobiltelefon enthalten waren, aufgrund eines Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung vorlagen (Vermerke des BayLfV vom 22.12.2021 und vom 11.2.2022).
234
(d) Weitere Äußerungen in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ sind aus Medienberichten bekannt, die dem Verwaltungsgericht vom Beklagten vorgelegt wurden. Zwar ist der Kontext, in dem diese Äußerungen gefallen sind, aus der Berichterstattung nicht ersichtlich. Allerdings sind die nachfolgenden Äußerungen in ihrem Aussagegehalt im Hinblick auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip derart eindeutig, dass eine Betrachtung des Kontexts ausnahmsweise zurückstehen kann.
235
(aa) Ausweislich des Beitrags in der Sendung „kontrovers“ vom 1. Dezember 2021 im Bayerischen Rundfunkt werden im Chat Sympathien für eine Revolution und einen Systemwechsel geäußert:
236
Al. (H.) O.(ehemaliger Vorsitzender des AfD Kreisverbands Miesbach):
„Manchmal denk ich mir das ganze System(Politik, Medien Justiz …) hier im Bananenland ist derart korrupt, kriminell…das nur noch eine Revolution hilft. Auf welche Art und Weise immer. Diese regierenden Verbrecher, mit den meisten deutschen Schlafschafen ja simpel zu realisieren, werden uns derart zum Absturz bringen, in eine gewaltige Katastrophe treiben die seinesgleichen erstmal gefunden werden muss. Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr. Der Abgrund ist nahe. Wahlen helfen hierzu ohnehin nicht mehr.“
An. Cy. (ehemals MdL):
„Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten – hat auch Tu. schon gesagt. Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden. Denn wenn die Mehrheit der Bevölkerung Widerstand leisten wird und das wird sie, wenn die Politik so weitermacht, wird man Polizei und Militär gegen uns in Stellung bringen.“
Ge. Ho. :
„Absolute Zustimmung.“
237
Zwar bleibt unklar, ob sich die Zustimmung von Ge. Ho. auf den Beitrag von Al .Os. oder den Beitrag von Dr. A. C2. bezieht; dies kann jedoch angesichts des jeweiligen Inhalts beider Beiträge letztlich dahinstehen.
238
(bb) Dem Bericht „Die bayerische AfD“ auf BR24 vom 1. Dezember 2021 zufolge schreibt „eine ehemalige Schatzmeisterin aus Franken“,
239
„Für mich herrscht in Deutschland die NAST. Die Kombi aus Nazi und Stasi und definitiv keine Demokratie mehr.“
240
(cc) Ein weiterer, aufgrund der Bezugnahme im BR24-Beitrag auf andere Äußerungen als Al .Os. zu identifizierender Chat-Teilnehmer, äußert sich dem BR24-Beitrag zufolge wie folgt:
241
„Wir brauchen die totale Revolution. So nimmt das kein Ende mehr. Den totalen Systemwechsel. Anzünden müsste man diese ganze Politik samt ihren Schreiberlingen.“
242
Er befürwortet mit dieser Aussage nicht nur eine Veränderung dieser „ganze[n] Politik“ und ruft damit zu einer Veränderung des derzeitigen politischen Kurses bzw. Systems auf, sondern spricht sich sogar dafür aus, Amtsträger und politische Gegner „anzuzünden“ und hierdurch zu beseitigen.“
243
(dd) Der Artikel „AfD-Chat: Gruppe gelöscht, Diskussion geht weiter“ auf br.de vom 7. Dezember 2021 gibt weitere im Chat gefallene Äußerungen wie folgt wieder:
244
„So schreibt Anfang 2020 einer der Administratoren der Gruppe, Ch. Pa., man lebe „in einem totalitär regierten Land – falls das jemandem in dieser Gruppe unerklärlicherweise bisher entgangen sein sollte“. Ein weiteres Chatmitglied postet im Mai 2021: „Corona ist die beste Erfindung, die totalitäre Staaten wie Deutschland für sich entdeckt haben.“
Ein ehemaliger Landtagskandidat aus Oberbayern fordert im Januar dieses Jahres: „Die AfD muss auch endlich offen die Systemfrage stellen. Im bestehenden System wird sich nichts zum Besseren ändern.“ Ge. Ho. , seit Oktober Mitglied des AfD-Landesvorstands, äußert daraufhin „Zustimmung insbesondere zum Stellen der Systemfrage“. Ho. wollte sich auf BR-Anfrage nicht äußern. Der Sd. Zeitung sagte er vergangene Woche: „Die Gedanken sind frei.“ Selbst wenn er die „Systemfrage“ erörtere, wolle er „die Demokratie erhalten“. Im Juni richtete Ho. sich in dem Chat mit dem Aufruf „Bekämpft bitte (oder auch gefälligst) […] das Deutschland meuchelnde System“ an die Mandatsträger der Partei. […]“
245
(3) Die Äußerungen sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Belege für das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen verwertbar. Zwar ist ein Teil der Äußerungen dem Gericht ebenso wie dem BayLfV nur aus Medienberichten bekannt. Allerdings bilden bereits die dem gespiegelten Mobiltelefon entstammenden Äußerungen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Bestrebungen. Es besteht im Übrigen keinerlei Grund zu der Annahme, dass die Medienberichterstattung nicht zutreffend wäre oder die Nachrichten in Wirklichkeit nicht von denjenigen Personen stammten, unter deren Namen sie verfasst wurden. Die AfD-Fraktion führte in ihrer Stellungnahme vom 2. Dezember 2021 lediglich aus, dass es sich um „aus dem Kontext gegriffene Aussagen einzelner Personen in einer Chat-Gruppe“ handle. Auch St. Pr., Landesvorsitzender und einer der Administratoren, negierte die Existenz des Chats und die Echtheit der Nachrichten in einem Interview nicht (Süddeutsche Zeitung, „Aufrührerische Chats in der AfD“ vom 2.12.2021). Diejenigen Personen, denen die Äußerungen aufgrund der Nutzernamen zugeschrieben werden, haben nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht bekundet, dass die Äußerungen nicht von ihnen stammen würden, sodass keinerlei Zweifel an den aus Sicht des Gerichts überzeugenden Ausführungen des BayLfV zu der Zuordnung der Nutzernamen zu den „Realpersonen“ (vgl. u.a. BayLfV, Vermerk vom 13.12.2021, S. 20, S. 25; Vermerk vom 24.2.2022, S. 8) besteht. Vielmehr nahm Ge. Ho. gegenüber der Sd. Zeitung inhaltlich zu den ihm zugeschriebenen Äußerungen Stellung. Auch Dr. A. C2. bestritt in der von ihr verfassten Stellungnahme ihre Urheberschaft für die ihr zugeschriebenen Äußerungen nicht, sondern führte vielmehr aus, dass einzelne Nachrichten herauskopiert, bewusst falsch interpretiert und mit verleumderischem Effekt verbreitet worden seien. Der Sd. Zeitung sagte Dr. C2. auf Anfrage, dass „Umsturz und Revolution und damit die Destabilisierung eines politischen Systems“ das „größte Übel, was eine Gesellschaft treffen kann“ seien. In steter Sorge um Staat und Gemeinwesen habe sie in dem Chat geschrieben, dass es „zu irgendeinem Zeitpunkt zu dieser Destabilisierung kommen könnte“. Das sei keineswegs ein Aufruf zur Revolution (Süddeutsche Zeitung, „Aufrührerische Chats in der AfD“ vom 2.12.2021). Dies überzeugt jedoch insofern nicht, als Dr. C2. davon schreibt, dass man, „wenn die Mehrheit der Bevölkerung Widerstand leisten wird und das wird sie, wenn die Politik so weitermacht, […] Polizei und Militär gegen uns in Stellung bringen [wird]“ (Hervorhebung nur hier). Damit stellt sie deutlich heraus, auf welcher Seite sie sich und die AfD sieht. Überdies ist die innere Motivation, die sich möglicherweise vom objektiven Erklärungsgehalt einer Aussage unterscheidet, ohnehin nicht maßgeblich (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 191). Ebenso wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht das Gericht die Erläuterung von Dr. C2., dass es sich bei ihrer Aussage lediglich um eine Warnung habe handeln sollen, auch unter Berücksichtigung des Kontextes des Chats als fernliegend und als bloßen Rechtfertigungsversuch an (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn.129 f.; vgl. dazu, dass die Äußerungen nicht bestritten, sondern verteidigt wurden, zudem VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 918). Überdies spricht der Vortrag der Klägerin, dass gegen P. A. G. ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden sei, Al .Os. einem Parteiausschlussverfahren durch eigenen Austritt entgangen sei und gegen Dr. A. C2. sowie Ge. Ho. Abmahnungen ausgesprochen worden seien, für die Zuordnung der Äußerungen.
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Das Gericht teilt die Einschätzung des Beklagten, wonach sich ein stimmiges Gesamtbild aus den (lediglich) durch die Medienberichterstattung bekannten fragmentarischen Äußerungen und den durch das gespiegelte Mobiltelefon nachgewiesenen Nachrichten ergibt. Die aufgrund von „kontrovers“ und BR24 bekannten Aussagen Os. , wonach ein Kurs- bzw. Systemwechsel erfolgen müsse, aber einen Umsturz bzw. eine Revolution voraussetze, da Wahlen hierfür nicht mehr ausreichten, passt zu der dem gespiegelten Mobiltelefon entstammenden Äußerung von Al .Os. , wonach der Sturz der Regierung die einzige Möglichkeit darstelle, die „Vernichtung“ des deutschen Volkes zu verhindern. Die Zustimmung von Ge. Ho. zum Beitrag von Al .Os. bzw. Dr. A. C2., seine Zustimmung zum „Stellen der Systemfrage“ und sein Aufruf, das „Deutschland meuchelnde System“ zu bekämpfen, passen dazu, dass Ho. Sympathien für den Reichstagssturm zeigte. Die Aussage zu einer sog. „NAST“, die BR24 zufolge von einer ehemaligen Schatzmeisterin aus Franken stamme, dürfte P. Ri. zuzuordnen sein. Die ehemalige stellvertretende Schatzmeisterin des Bezirkverbands Mittelfranken, die nach Erkenntnissen des BayLfV mit 7,6 Prozent (197 Nachrichten) der im Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 25. September 2020 bekanntgewordenen Beiträge zu den aktivsten Nutzern der T. -Gruppe gehört, nutzte diesen Begriff ausweislich der dem gespiegelten Mobiltelefon entstammenden Daten bereits am 22. August 2020 („am Besten alles Geld, Besitz, Immobilien überschreiben und sich in das NAST-Lager begeben zur Impfung und Feststellung ob man noch brauchbar für den Deep State ist“).
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Die Klägerin hat gegen eine Verwertung der Äußerungen von Al .Os. , Dr. A. C2. und G. H4. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren insbesondere eingewandt, dass die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Os. , Dr. C2. und H4. eingestellt worden seien. Könne die Staatsanwaltschaft mit ihren polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen die entsprechenden Vorwürfe nicht belegen, dürfe sie der Verfassungsschutz auch nicht als tatsächliche Anhaltspunkte heranziehen. Das Verwaltungsgericht München teilt die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach dieser Einwand nicht geeignet ist, die Annahme hinreichender tatsächlicher Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, stellt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, also die Sammlung und Auswertung von Informationen (Art. 5a Abs. 1 BayVSG), eine Maßnahme der Gefahrerforschung, also eine Maßnahme zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Vorfeld konkreter Gefahren dar, und ist damit von Zielrichtung und Zweck von der Verfolgung von Straftaten durch die Strafverfolgungsbehörden zu unterscheiden. Demgemäß genügen für die verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle – wie bereits dargelegt – bereits tatsächliche Anhaltspunkte in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis. Die Feststellung eines für eine Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Tatverdachts einer Straftat (vgl. § 170 Abs. 1 Strafprozessordnung) ist weder Zweck noch Voraussetzung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 128).
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Das Gericht verkennt bei der rechtlichen Bewertung der oben dargestellten, in der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ getätigten Äußerungen nicht, dass diesen – wie der dem BayLfV für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 25. September 2020 vorliegende Chatverlauf zeigt – eine Vielzahl anderer Nachrichten gegenübersteht, aus denen sich keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen ergeben oder die sogar teilweise zum Ausdruck bringen, dass die oben dargestellten Äußerungen von anderen Gruppenmitgliedern kritisch gesehen oder gar abgelehnt werden. Allerdings ist diese innere Zerrissenheit gerade Grund und Berechtigung für die Beobachtung durch das BayLfV. Aussagegehalt, Zielrichtung und Anzahl der oben dargestellten Äußerungen von Funktionsträgern innerhalb der Klägerin zeigen, dass es sich nicht mehr lediglich um einzelne „Ausreißer“ oder Entgleisungen handelt. Überdies hat die Klägerin eine Plattform für den Austausch der obigen Nachrichten geboten: Der Landesvorsitzende der Klägerin war einer der Gruppenadministratoren, hat die oben dargestellten, dem gespiegelten Mobiltelefon entstammenden Äußerungen ausweislich des vorliegenden Chatverlaufs jedoch nicht beanstandet. Insofern erscheint es als bloßes Lippenbekenntnis, wenn die AfD-Fraktion in ihrer Stellungnahme vom 2. Dezember 2021 ausführt, dass sie „rechtswidrige und undemokratische Äußerungen oder gar Verhaltensweisen, die den Bürgern unseres Landes sowie unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung schaden“ entschieden ablehne. Die abgegebenen Stellungnahmen führen nicht dazu, dass die getätigten Aussagen nicht mehr zurechenbar bzw. als tatsächliche Anhaltspunkte verwertbar wären, da sich aus ihnen keine ernsthafte und nachhaltige Distanzierung von den getätigten Aussagen ergibt, insbesondere keine kritische Auseinandersetzung mit den konkreten Aussagen erfolgt (vgl. auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 260). Gegen die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte spricht auch nicht, dass „nur“ etwa 200 Personen an dem Chat teilgenommen haben, im entsprechenden Zeitraum jedoch von etwa 4.500 Mitgliedern der Klägerin auszugehen ist. Es ist trotz dieses Zahlenverhältnisses davon auszugehen, dass die vorliegenden Äußerungen durchaus einen repräsentativen Ausschnitt aus dem innerhalb der Klägerin bestehenden Meinungsspektrum darstellt. Zum einen liegt die Vermutung nahe, dass weniger zurückhaltend kommuniziert wurde als in der Öffentlichkeit, da es sich um einen geschlossenen, d.h. zugangsbeschränkten Chat handelte und öffentliche Äußerungen die wahren Zielsetzungen politischer Parteien oftmals nicht vollständig offenlegen. Gerade wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Partei möglicherweise aus taktischem Kalkül ihre wahren Absichten verschleiert, besteht ein besonderes Bedürfnis für eine Informationsgewinnung mit der grundsätzlichen Möglichkeit des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 261). Zum anderen kann durchaus von einem die politische Ausrichtung der Partei maßgeblich bestimmenden Teilnehmerkreis ausgegangen werden, da neben einfachen Parteimitgliedern auch eine Vielzahl an Funktionsträgern (13 von 16 Landtags-, 11 von 12 Bundestagsabgeordnete, Kreisvorsitzende und Landesvorstandsmitglieder) an dem Chat teilnahm (vgl. Vermerk des BayLfV vom 13.12.2021, S. 29 ff.).
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Die Klägerin hat vorgetragen, dass gegen P. A. G. ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden sei, infolgedessen dieser aus der Partei ausgetreten sei. Al .Os. sei einem Parteiausschlussverfahren durch eigenen Austritt entgangen. Ju. Kl. sei nicht mehr Mitglied der Klägerin. Gegen Dr. A. C2., die mittlerweile ebenfalls aus der Partei ausgetreten sei, sowie gegen Ge. Ho. seien Abmahnungen ausgesprochen worden. Dies belege die Distanz der Klägerin zu den genannten Äußerungen dieser Personen.
250
Allein der Umstand, dass eine Personen kein Mitglied der Klägerin mehr ist, vermag die Verwertbarkeit von Äußerungen, die getätigt wurden, als die Person noch Mitglied der Partei war, nicht durchgreifend infrage zu stellen (siehe hierzu bereits oben II.1.e.bb.(3)(b)(ff)). Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, belegt auch die Einleitung von Parteiordnungsmaßnahmen gegen Dr. A. C2. und G. H4. durch die Klägerin unabhängig davon, dass diese erst infolge der bundesweiten Medienberichterstattung erfolgt ist, keine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit und nachhaltige Distanzierung von den geäußerten Ansichten der beiden Personen. Es kommt daher nicht entscheidend darauf an, inwieweit die dargestellten Äußerungen vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG) erfasst sind und sich hieraus Einschränkungen bei etwaigen Parteiordnungsmaßnahmen ergeben. Zudem ist zwar Dr. A. C2. – anders als noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – nicht mehr Mitglied des Bayerischen Landtages für die AfD, jedoch übt zumindest Ge. Ho. nach wie vor maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Klägerin aus. Schließlich ist er nach wie vor Mitglied des Landesvorstands und hierbei sogar in drei Bereichen tätig: Öffentliche Wahlen, Social Media und „Veranstaltungen/LPT“ (wohl Landesparteitag). Trotz der Einleitung der Maßnahmen durch die Klägerin können die Äußerungen daher nach wie vor als tatsächliche Anhaltspunkte herangezogen werden. Wenn das Erfordernis, sich von Aussagen zu distanzieren, Ausdruck eines Richtungsstreits innerhalb einer Partei ist, in der jedenfalls auch Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorhanden sind, führt die Distanzierung von einzelnen Äußerungen noch nicht dazu, dass davon ausgegangen werden kann, der Richtungsstreit wäre hierdurch bereits beigelegt und es stehe fest, in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickelt, mit der Folge, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz daher ggf. nicht mehr angezeigt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 131; vgl. dazu, dass die Einleitung von Ordnungsmaßnahmen ebenso wie das Ausscheiden aus einer Organisation auch Ausdruck eines Richtungsstreits sein kann, in dessen Fall die Verfassungsschutzbehörde gerade befugt ist, die weitere Entwicklung innerhalb der Vereinigung zu beobachten OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 − juris Rn.69; VG München, U.v. 16.10.2014 − M 22 K 14.1663 − juris Rn. 82).
251
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, sich von der durch den BR24-Beitrag bekannten Aussage Al .Os. s, wonach es der totalen Revolution und des totalen Systemwechsels bedürfe und man die ganze Politik samt ihrer „Schreiberlinge“ anzünden müsse, ausdrücklich zu distanzieren, da diese nicht dem programmatischen Ansatz der Klägerin entspreche. Auch diese äußerst punktuelle und im Übrigen erst mehr als zweieinhalb Jahre nach der Berichterstattung erfolgte Distanzierung vermag den Zurechnungszusammenhang nicht mehr zu unterbrechen, zumal der Eindruck besteht, dass Distanzierungsbemühungen erst betrieben werden, wenn eine Äußerung in den Fokus des Gerichts gerät.
252
Die dargestellten Belege für Umsturzphantasien innerhalb der Klägerin sind insoweit bereits für sich genommen taugliche Grundlage für die Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 145).
253
dd. Unabhängig davon geht mit den Umsturzphantasien überdies eine fortgesetzte Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staates und gegen die demokratischen Parteien einher, die insbesondere in den nachfolgend dargestellten Ausführungen zum Ausdruck kommt.
254
(1) Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann. Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen liegen dabei nicht nur dann vor, wenn das parlamentarische System als solches angegriffen wird, sondern können sich auch daraus ergeben, dass staatliche Institutionen und Amtsträger verächtlich gemacht werden, zum Beispiel wenn die anderen demokratischen Parteien und deren Politiker in ihrer Gesamtheit ständig pauschal in polemischer, teilweise diffamierender und verunglimpfender Weise angegriffen werden (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 546, 773; BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42.00 – juris Rn. 70; U.v. 7.12.1999 – 1 C 30.97 – juris Rn. 30.; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 182 f.; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 250). Um der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) hinreichend Rechnung zu tragen, ist davon auszugehen, dass die bloße Kritik an etwaigen bestehenden Missständen des parlamentarischen Systems für die Annahme einer verfassungsfeindlichen Bestrebung nicht ausreicht (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 − juris Rn. 780 in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit von Parteien gemäß Art. 21 Abs. 2 GG), zumal das Recht auf Ausübung einer parlamentarischen Opposition selbst ein zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu zählender Verfassungsgrundsatz ist (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 38 sowie einfachgesetzlich § 4 Abs. 2 Buchst. c BVerfSchG) und der Staat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten hat (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2024 – 1 BvR 2290/23 – juris Rn. 28). Demnach ist nicht jede scharfe, polemische oder emotionale Äußerung zwangsläufig Ausdruck einer feindlichen Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung. Insbesondere kann sie auf der häufig vertretenen Überzeugung beruhen, das betreffende Amt besser auszufüllen. Dann lässt ein solcher Angriff nicht den Schluss zu, das Staatsamt als solches solle beseitigt oder dessen Legitimität untergraben werden; er ist vielmehr als starke Kritik an dem betreffenden Amtsinhaber verbunden mit dem Willen, dieses Amt selbst zu übernehmen, zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42.00, 2 WD 43/00 – juris, Rn. 54 ff.; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 252). Ausreichend ist damit auch nicht, wirtschaftliche und soziale Ängste sowie Ängste vor dem Verlust der hergebrachten Identität zu artikulieren – soweit damit nicht ein die Menschenwürde verletztendes Bedrohungsszenario beschworen wird (siehe hierzu bereits oben II.1.e.bb. (3) (b)) – und bestehende Probleme dem Unwillen oder Unvermögen der etablierten Parteien zuzuschreiben, wenngleich dies als wahlopportunistisches Verhalten politisch kritikwürdig erscheinen mag (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42.00 – juris Rn. 69). Hiervon kann jedoch nicht mehr ausgegangen werden, wenn dem politischen Gegner mit dem Ziel einer kontinuierlichen Destabilisierung der bestehenden staatlichen Ordnung (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 384) die Existenzberechtigung abgesprochen werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.2001 – 2 WD 42.00, 2 WD 43/00 – juris Rn. 70; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 254). Gehäufte Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen offenbaren die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine (vgl. BVerfG, U.v. 23.10.1952 − 1 BvB 1/51 − juris Rn. 227; BVerwG, U.v. 12.3.1986 – 1 D 103/84 − juris Rn. 77; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD − juris Rn. 58; vgl. zur Frage des Schutzes staatlicher Einrichtungen vor verbalen Angriffen im Hinblick darauf, dass sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen, BVerfG, B.v. 11.4.2024 – 1 BvR 2290/23 – juris Rn. 29). Das ist insbesondere der Fall, wenn bei der Beschreibung der Verfassungswirklichkeit sowie der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unter Außer-Acht-Lassen jeder Bemühung um Augenmaß an die Stelle des kritischen Urteils eine Darstellung tritt, die im einzelnen kritikwürdige Zustände bewusst entstellt und überspitzt verallgemeinert, begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und den sie tragenden Parteien, sodass der Eindruck entstehen muss, diese allenthalben bestehenden Missstände hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst, am Maßstab praktischer Bewährung gemessen sei sie also untauglich. Dadurch wird ein Klima geschaffen, in dem − letztlich womöglich sogar auf Gewaltanwendung zielende − Neigungen gedeihen, diese Grundordnung als in ihren Auswirkungen „unerträglich“ zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 12.3.1986 − 1 D 103/84 − juris Rn. 77; U.v. 27.11.1980 − 2 C 38/79 − juris Rn. 27; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 184). Vor diesem Hintergrund kann bei Äußerungen, die darauf abzielen, das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Staatsverfassung als Ganzes in Frage zu stellen, durchaus angenommen werden, dass diese über eine zulässige Machtkritik hinausgehen und auf ein Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips gerichtet sind (vgl. VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273/21 MD − juris Rn. 58). Zu den Hauptgrundsätzen der freiheitlichen demokratischen Ordnung gehört in besonderem Maße das Mehrparteiensystem einschließlich der Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige B.ung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition (BVerfG, U.v. 17.08.1956 – 1 BvB 2/51 – juris Rn. 584). Das Mehrparteiensystem verbietet einer Partei, nach der Alleinherrschaft zu streben oder anderen Parteien die Daseinsberechtigung abzusprechen und verpflichtet sie daher, wenigstens die Möglichkeit anzuerkennen, dass auch Ziele und Verhalten anderer Parteien gleichwertig und richtig sein können (vgl. BVerfG, U.v. 17.8.1956 − 1 BvB 2/51 − juris Rn. 585). Fortgesetzte Agitationen gegen das Demokratieprinzip sind folglich auch dort zu sehen, wo eine Partei anderen Parteien die Existenzberechtigung abspricht, etwa in der Form, dass diese pauschal in ihrer Gesamtheit auf polemische und teils diffamierende Art als „Dilettanten“ und „Verräter“, die eine „verräterische Politik“ betrieben, beschimpft und verächtlich gemacht werden (BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 30.97 – juris Rn. 30; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 – juris Rn. 24; OVG NW, U.v. 8.12.1995 – 25 A 2431/94 – juris Rn. 117; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 185) und sind daher nicht erst dann anzunehmen, wenn das Parlament mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren, verächtlich gemacht wird (vgl. hierzu BVerfG, U.v. 17.1.2017 − 2 BvB 1/13 − juris Rn. 543, 761 ff.). Dies kann sich auch dergestalt ausdrücken, dass eine Partei sich als alleinige Verfechterin der Interessen der Bürger und einer wahrhaften Demokratie darstellt, indem politischen Gegnern in destruktiver Weise jegliche Kompetenz und jeglicher Wille zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft abgesprochen wird (VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 – 9 B 273/21 MD – juris Rn. 73; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 185). Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung ist somit das Demokratieprinzip als Ausprägung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfassungsschutzrechlicher Prüfungsmaßstab. Einer (eigenen) Kategorie einer verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates bedarf es nach Ansicht des Gerichts daher nicht; eine solche wäre am dargestellten Maßstab des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu messen. Insofern besteht für das Gericht keine Veranlassung, näher auf die umfangreichen Ausführungen der Klägerin zur Kritik an der Kategorie der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates und am Vorgehen des Präsidenten des BfV einzugehen.
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(2) Bereits durch das Grundsatzprogramm der AfD (S. 8) wird kolportiert, es bestehe in Bezug auf „Demokratie und Grundwerte“ ein „illegitime[r] Zustand“. Insbesondere entspreche die Machtverteilung nicht mehr den Grundsätzen der Gewaltenteilung. Als „heimlicher Souverän“ wird eine „kleine, machtvolle politische Führungsgruppe“ innerhalb der Parteien ausgemacht. Gegenüber Berufspolitikern soll insofern Argwohn erweckt werden, als es eine ganze „politische Klasse“ hiervon gebe, „deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen“ gelte. Die Schalthebel der staatlichen Macht habe – soweit diese nicht auf die EU übertragen worden sei – ein „politisches Kartell“ ebenso in seinen Händen wie die gesamte politische B.ung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen. Hierdurch soll gegenüber den Bürgerinnen und Bürger der Eindruck erweckt werden, dass zumindest ein großer Teil der Politikerinnen und Politiker vor allem zu seinem eigenen Wohlergehen handle, die Wählerinnen und Wähler also befürchten müssten, dass die von ihnen Gewählten nicht in ihrem Sinne handelten. Der Begriff „Kartell“ suggeriert zudem, dass es sich um ein abgeschottetes System voller Absprachen handle, auf das von außen kein Einfluss genommen werden könne. Indem die AfD dieses vermeintliche Kartell benennt, wird der Eindruck erweckt, die Bürgerinnen und Bürger müssten die AfD wählen, um überhaupt wieder wirksamen Einfluss auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland nehmen zu können. Denn schließlich könne „nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland diesen illegitimen Zustand beenden“.
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„Demokratie und Grundwerte
Wir wollen Deutschland reformieren und an die Prinzipien und Wurzeln anknüpfen, die erst zu seinem Wirtschaftswunder und dann zu seinem jahrzehntelangen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg geführt haben.
Deutschlands Staatsapparat hat inzwischen ein ungutes Eigenleben entwickelt. Die Machtverteilung entspricht nicht mehr den Grundsätzen der Gewaltenteilung. Zudem ist der öffentliche Sektor über sachgerechte Grenzen hinausgewuchert. Die staatlichen Organe wieder an ihren Auftrag zu binden und den Staat an seine Kernaufgaben zu erinnern, ist wesentlicher Teil unserer Politik.
Spätestens mit den Verträgen von Schengen (1985), Maastricht (1992) und Lissabon (2007) hat sich die unantastbare Volkssouveränität als Fundament unseres Staates als Fiktion herausgestellt.
Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien. Sie hat die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Es hat sich eine politische Klasse von Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische B.ung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat.
Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann diesen illegitimen Zustand beenden.“, Grundsatzprogramm der AfD, S. 8
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In Bezug auf die dargestellten Ausführungen im Grundsatzprogramm der AfD ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese den Themenkomplex „Demokratie und Grundwerte“ lediglich einleiten und ihnen konkrete Themen und Forderungen nachfolgen, hinsichtlich der Gewaltenteilung z.B., dass diese durch zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen erheblich beeinträchtigt worden sei und z.B. Minister nicht als Abgeordnete in einem Parlament, das die Exekutive gerade kontrollieren solle, tätig sein sollten (a.a.O., S. 10). Zudem wird etwa eine Begrenzung der Amtszeit von (nicht direkt gewählten) Abgeordneten gefordert (a.a.O., S. 13).
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Wenngleich bereits das Grundsatzprogramm der AfD zeigt, dass es Bestandteil und Ziel ihrer Politik ist, bei den Bürgerinnen und Bürgern Misstrauen gegenüber der Funktionsfähigkeit der Demokratie zu säen, handelt es sich hierbei noch um zulässige Kritik, sodass das Aufstellen entsprechender Forderungen verfassungsschutzrechtlich (noch) nicht relevant ist.
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(3) Eine das Maß an noch zulässiger Kritik übersteigende, fortgesetzte Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staates und gegen die demokratischen Parteien ergibt sich allerdings aus einer Vielzahl von Äußerungen.
260
(a) Durch die Äußerung
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„Die SA Truppen der sogenannten ‚demokratischen Parteien‘ haben wieder zugeschlagen.“, BfV Gutachten, S. 756, Belegsammlung, S. 5639 f.
262
wird den anderen Parteien unter Ziehung eines Vergleichs mit dem nationalsozialistischen Unrechtsregime unterstellt, Gewalt und Terror gegenüber der AfD auszuüben. Anknüpfungspunkt für den F. Beitrag des Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf (AfD Landesverband Berlin) vom 2. März 2020 war ein Artikel von Radio L., der thematisierte, dass das Auto des AfD-Bundessprechers T. Ch. in Ga.z (Sachsen) angezündet worden war. In dem Artikel von Radio L. wurden keinerlei Aussagen zu Verdächtigen oder den möglichen Tätern gemacht. Gleichwohl behauptet der AfD-Bezirksverband durch seine Aussage, die anderen Parteien seien für den Anschlag verantwortlich und verfügten über Truppen zur Anwendung von Gewalt und Terror gegenüber politischen Gegnern
263
(b) In eine ähnliche Richtung geht auch die nachfolgende Aussage, in welcher der AfD durch Verwendung des Begriffs des „Dissidenten“, der ebenfalls der Zeit des Nationalsozialismus zuzuordnen ist, die Rolle eines Opfers des herrschenden Systems zugeschrieben wird:
264
„Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat auf einen Zustand zu, in dem abweichende Meinungen in Deutschland mit SA-Methoden und Ausgrenzungen bestraft werden und zur normalen Tagesordnung gehören.
Im Deutschland des Jahres 2020 sind wir nicht mehr die Opposition, sondern jedes Mitglied der AfD ist ein Dissident.“, Mi. Th. (AfD Landesverband Niedersachsen), stellvertretender Vorsitzender des AfD Kreisverbands Nienburg-Schaumburg in einem Newsletter des Kreisverbands Nienburg-Schaumburg von März 2020, BfV Gutachten, S. 685, Belegsammlung, S. 5431 ff.
265
Zwar ist es im Hiblick auf die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 GG nicht zu beanstanden, Kritik am Handeln der damaligen Kanzlerin Dr. M2. im Zusammenhang mit der Wahl von Th. Ke. in das Amt des Ministerpräsidenten Thüringens zu üben. Der stellvertretende Vorsitzende des AfD Kreisverbands behauptet jedoch zugleich, dass ein Zustand drohe, in dem eine Bestrafung abweichender Meinungen mit „SA-Methoden“ zur Tagesordnung gehöre, und geht mit dieser undifferenzierten Bezugnahme auf den Nationalsozialismus über zugespitzt formulierte Kritik weit hinaus.
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(c) Es wird weiter behauptet, die AfD werde in ihrem Handeln für die Bevölkerung dadurch gehindert, dass sie durch ihre politischen Gegner, also insbesondere die übrigen Parteien, „systematisch entmenscht“, aus der Gesellschaft isoliert und ihre Sympathisanten eingeschüchtert würden, um die AfD letztlich „zu zerschlagen“:
267
„Liebe Leser, wir erleben in diesen Tagen ein politisches und publizistisches Kesseltreiben gegen unsere demokratische Partei, das seinem Wesen nach bereits in eine Diktatur gehört.
Nein, liebe Leser – man kann wirklich nicht sagen, unsere politischen Gegner hätten aus zwei deutschen Diktaturen keine Lehren gezogen: Sie haben die Lehre gezogen, wie man in einer Diktatur einen demokratischen politischen Gegner systematisch entmenscht, um ihn aus der Gesellschaft zu isolieren, Sympathisanten einzuschüchtern, und ihn schließlich kriminalisieren zerschlagen zu wollen. Sie haben gut gelernt, was Diktaturen ihnen vorgelebt haben, und sie leben in der schizophrenen Vorstellung, sie selber könnten solche üblen Methoden anwenden, ohne ihre angebliche demokratische Jungfräulichkeit einzubüßen. […] Es wird in Deutschland wieder der Tag kommen, an dem sich alles für ein Unrechtssystem schämt und alle so tun, als sei keiner dabei gewesen, und keiner habe daraus Profit gezogen.“, Emil Sänze (AfD Landesverband Baden-Württemberg), Mitglied des Landtags Baden-Württemberg in einem F. Beitrag vom 16.2.2020, BfV Gutachten, S. 640 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten), Belegsammlung, S. 5183 ff.
268
Indem die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland durch die Bezugnahme im letzten Satz auch durch diese Aussage mit denjenigen unter dem Regime der Nationalsozialisten verglichen werden, wird Handlungsdruck gegenüber den Bürgerinnen und Bürger erzeugt, sich gegen das bestehende System erheben zu müssen. Auch wenn die Äußerungen von Sänze im Zusammenhang mit den Ursachen für den Rücktritt Kemmerichs von seinem Amt als Thüringens Ministerpräsident, in das er mithilfe der Stimmen der AfD gewählt worden war, zu sehen sind, gehen sie weit über eine äußerst zugespitzt formulierte Kritik hieran hinaus, zumal singuläre Ereignisse keinen Vergleich mit dem diktatorischen und menschenverachtenden Regime der Nationalsozialisten rechtfertigen.
269
(d) Dabei wird auch nahegelegt, dass Wahlen zulasten der AfD manipuliert würden. Anhand der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen könne man erkennen, dass die Briefwahlen aufgrund ihrer Manipulationsanfälligkeit eine entscheidende Rolle für die Wahlniederlage der AfD spielten:
270
„Mich erinnerte diese Auszählungsdynamik so ein bisschen an die Trump-Abwahl. […] Versteht mich nicht falsch, ich will jetzt keine Spekulation darüber nähren, welche Auszählungssoftware die Gemeinde Nordhausen verwendet und ob die vielleicht aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammt. Ich weiß auf jeden Fall, dass die Briefwahlen eine entscheidende Rolle spielen. Die Briefwahlen sind extrem manipulationsanfällig und es sind immer die letzten Wahllokale, die die Briefwahl-Lokale sind, und dann geht’s auf einmal für die AfD und für die Kandidaten der AfD bergab.“, Redebeitrag von B. H. am 29.9.2023 bei der Wahlkampfveranstaltung „B. H. kommt“ des AfD Kreisverbands Weilheim-Schongau, Vermerk des BayLfV vom 18.1.2024, S. 1 f (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten).
271
Der Inhalt der Rede H4s kann entgegen der Auffassung der Klägerin herangezogen werden, da Beobachtungsobjekt die AfD als Gesamtpartei ist. Hö. ist als Mitglied der AfD daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als Dritter zu sehen, wenngleich dem einladenden Kreisverband der Inhalt der Rede selbst dann zugerechnet werden könnte (siehe hierzu im Hinblick auf J. E. bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(bb)).
272
(e) Auch im Hinblick auf das Handeln der Regierung werden Vergleiche mit dem Dritten Reich gezogen und dem Nationalsozialismus zuzuordnende Begrifflichkeiten verwendet.
273
Der AfD Kreisverband Osterholz-Verden (AfD Landesverband Niedersachsen) verbreitete am 17. Februar 2020 ein Foto durch einen sog. retweet auf t... (nunmehr „X“), auf dem das Heck eines Busses mit dem Spruch
274
„Wer sich fragt, warum Hi. nicht gestoppt wurde, der sollte sich auch fragen, warum M2. noch regiert.“
275
zu sehen ist (BfV Gutachten, S. 675, Belegsammlung, S. 5355) und machte sich den Inhalt hierdurch zu eigen (siehe zum Teilen von Beiträgen bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(ee)).
(f) Das Vertrauen der Bevölkerung in die Legitimität des Handelns der Bundesregierung soll von Grund auf erschüttert werden, wenn etwa der Bundeskanzlerin a.D. Dr. M2. unterstellt wird, einen Polizeistaat eingeführt zu haben:
276
„Sie haben es zu weit getrieben; Die ‚Untertanen‘ stehen nun auf, und zwar in ganz Deutschland! Trotz, unter M2s viel zu langer Amtszeit eingeführtem Polizeistaat, da immer mehr Fakten an die Öffentlichkeit kommen, die das Corona-Regime gar nicht mehr schnell genug löschen/zensieren kann.“, F. Beitrag von Th. Ru. (AfD Landesverband Thüringen), Mitglied des Landtags Thüringen und Sprecher im AfD Kreisverband Greiz-Altenburg, vom 10.5.2020, BfV Gutachten, S. 656, Belegsammlung, S. 5258
277
Auch wenn die Aussage vor dem Hintergrund von Grundrechtseinschränkungen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu sehen ist, kann die Verwendung des Begriffs des Polizeistaats nicht mehr als bloße, hinzunehmende Kritik hieran eingestuft werden. Ein Polizeistaat ist ausweislich der Begriffsdefinition des Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/Polizeistaat) ein „Staat, in dem der Bürger nicht durch unverletzliche Grundrechte und eine unabhängige Rechtsprechung geschützt wird (wie im Rechtsstaat), sondern der willkürlichen Rechtsausübung der [Geheim]polizei ausgesetzt ist“ (Klammersetzung durch duden.de). Die Aussage suggeriert nicht nur, dass in Deutschland Grundrechte generell keine Geltung mehr hätten (also nicht nur zeitweise – wenn auch umfangreich – zum Schutz der Bevölkerung an Leib und Leben eingeschränkt worden seien), sondern zugleich, dass die Exekutive keiner Kontrolle mehr durch unabhängige (Art. 97 Abs. 1 GG) Richterinnen und Richter mehr unterliege und die Polizei willkürlich, also ohne Rechtsgrundlage und sachlichen Grund, Maßnahmen gegenüber Bürgerinnen und Bürger ergreife. Zudem wird die Behauptung aufgestellt, dass die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) durch verfassungswidrige (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG) Zensur beschränkt werde, sodass „unliebsame“ Fakten vor der Öffentlichkeit verborgen würden. Mit dem „Corona-Regime“ wird wohl auf die Regierung angespielt oder aber es wird der Regierung zumindest unterstellt, die Zensur durch eine als „Corona-Regime“ bezeichnete Gruppe jedenfalls nicht zu verhindern. Insofern zielt die Aussage darauf ab, den Eindruck in der Bevölkerung zu erwecken, dass ihr die Regierung bewusst Fakten vorenthält oder zumindest nicht in der Lage ist, das Vorenthalten von Informationen zu verhindern.
278
(g) B. H., MdL in Thüringen (Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag Thüringen und Sprecher des AfD Landesverbands Thüringen sowie erster Vorsitzender im Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen) suggeriert, dass die anderen Parteien und insbesondere die von diesen gebildete Regierung nicht an Verfassung und Gesetze gebunden zum Nachteil des Volkes herrsche:
279
„[Hier] in diesem Land [wird] gegen die Interessen unseres Volkes Politik gemacht von den Herrschenden. […] Deswegen ist die Herrschaft der verbrauchten Parteien für mich eine Ochlokratie, eine Herrschaft der Schlechten.“, Rede von B. H. am 17.2.2020, BfV Gutachten, S. 659 (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten), Belegsammlung, S. 5282 f.
280
Der Begriff Ochlokratie entstammt der altgriechischen Staatsphilosophie und bezeichnet eine „nicht an eine Verfassung und Gesetze gebundene Herrschaft des ‚Pöbels’, der ‚Masse’“ (vgl. Metzler Lexikon Philosophie, https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/ochlokratie/1465). Durch die Bezugnahme auf die „Herrschenden“ und die „Herrschaft der verbrauchten Parteien“ wird deutlich, dass keine Kritik an einzelnen politischen Akteuren oder deren einzelnen Maßnahmen geübt wird. Mit der vorgenommenen Pauschalisierung soll vielmehr eine generalisiert negative Wahrnehmung der anderen Parteien und der von diesen gebildeten Regierung, wie sie momentan ohne Beteiligung der AfD besteht, erzeugt und hierdurch letztlich das Vertrauen in das Funktionieren des Mehrparteiensystems erschüttert werden.
281
(h) Auch St. Br. (Mitglied des Bundestags, zweiter parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Leiter und Obmann des Arbeitskreises Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Vorsitzender der Thüringer Landesgruppe, stellvertretender Bundessprecher der AfD und Stadtrat in Gera) erweckt in seiner Bewerbungsrede für den Bundesvorstand auf dem Bundesparteitag der AfD am 30. November 2019 beispielsweise den Eindruck, die Bundesregierung handle generell nicht rechtstreu, sei aber gleichwohl über viele Jahre hinweg personell nicht abgelöst worden.
282
„Trotz M2. und ihrer Spießgesellen, die in ihren Ämtern festbetoniert sind.
Die unser Land seit Monaten, seit Jahren, seit vielen Jahren mit Vergehen und Verbrechen überziehen.“, BfV Gutachten, S. 592, Belegsammlung, S. 4791 ff.
283
Dem Wortlaut nach bezieht sich die Aussage auf die Bundeskanzlerin a.D. Dr. M2. und andere Mitglieder der Bundesregierung persönlich und damit nicht auf die Bundesregierung als solche. Aufgrund der langen Amtszeit der Bundeskanzlerin a.D., auf die auch Br. Bezug nimmt („festbetoniert“), sind die Bundeskanzlerin a.D. und ihre namentlich nicht näher benannten „Spießgesellen“ jedoch als Repräsentanten der Bundesregierung zu sehen, welche damit Objekt der Aussage Br. s ist. Dabei kann insofern nicht mehr von „bloßer“ Kritik ausgegangen werden, als keine Kritik an bestimmten Einzelfällen geäußert wird, sondern vielmehr der Bundesregierung unterstellt wird, über einen langen Zeitraum hinweg („seit vielen Jahren“) in einer Vielzahl von Fällen („überziehen“) auf unrechtmäßige und sogar kriminelle Weise zu handeln. Unabhängig von der Frage, ob einzelne Maßnahmen der Bundesregierung gerichtlich beanstandet worden sein mögen, kann dies eine derart pauschale, undifferenzierte Kritik nicht rechtfertigen. Die Aussage kann und soll augenscheinlich auch gar keine Sachdiskussion hierüber auslösen, sondern ist vielmehr darauf gerichtet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Legitimität des Handelns der Bundesregierung von Grund auf zu erschüttern.
284
Br. behauptet – wohl im Zusammenhang damit, dass er als Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags abgewählt wurde – zugleich, Deutschland sei kein freiheitlicher und demokratischer Staat mehr:
285
„So warum jetzt Bundesvorstand? Warum AfD? Weil ich die Hoffnung, liebe Freunde, für Deutschland nicht aufgegeben habe. Ich glaube immer noch daran, dass wir es wieder schaffen, ein ordentliches, freiheitliches, meinungsstarkes und demokratisches Deutschland wiederherzustellen. Dafür kämpfe ich eigentlich von morgens bis abends und deshalb trete ich hier auch an.“, Belegsammlung, S. 4793
286
(i) Auch B. H. und Dr. C1. B2. (MdB, Beisitzerin im Bundesvorstand und Mitglied des Kreistags Main-Tauber-Kreis, AfD Landesverband Baden-Württemberg) zufolge sei die Bundesrepublik Deutschland bereits jetzt keine Demokratie mehr:
287
„Ich will in einem demokratischen Rechtstaat leben. Dieser Staat, in dem ich lebe, ist kein demokratischer Rechtsstaat mehr. De jure vielleicht, aber de facto nicht mehr. […] Liebe Freunde, ohne Meinungsfreiheit ist Demokratie gar nicht denkbar. Artikel 5 des Grundgesetzes, die Meinungsfreiheit, ist das zentrale Recht in einer Demokratie und immer war es die Meinungsfreiheit, die als erstes kassiert worden ist, wenn die Obrigkeit Obrigkeit wurde und wenn der Staat übergriffig geworden ist. […] So ist es auch, denkt bitte nur an die ganzen Zensurgesetze, die wir mittlerweile haben, denkt bitte an die Zensur im Internet, denkt an das, was die EU gerade vorbereitet, um die Kontrolle über die öffentliche Meinung zu kriegen. Das sind nicht nur mehr Vorboten eines Totalitarismus, das sind bereits klar erkennbare und praktizierte Formen einer neuen digitalen Diktatur, die über uns aufgebaut wird, die auf uns niedergeht, die über uns entsteht und das müssen wir verhindern, dass dieser Prozess weiter in diese schlechte Richtung geht.“, Redebeitrag von B. H. am 30.9.2023 bei der Wahlkampfveranstaltung „B. H. kommt“ des AfD Kreisverbands Ostallgäu/Kaufbeuren (Vermerk des BayLfV vom 18.1.2024, S. 1 f.; zur Zurechenbarkeit der Äußerungen Hö. s siehe bereits oben II.1.e.dd.(3)(d))
288
„Nach 14 Jahren unter Mer.s Bundesstillstandsverwaltung steht das Land Kopf, hat sich inzwischen in ein totalitäres, kleptokratisches und ochlokratisches System verwandelt, das selbst die übelsten Despoten vor Neid platzen lässt und ist in nahezu allen Bereichen völlig handlungsunfähig.“, Dr. C1. B2., Mitglied des Landtags Baden-Württemberg (AfD Landesverband Baden-Württemberg) in einem mit den Worten „Ohne weiteren Kommentar: Netzfund“ eingeleitetem F. -Beitrag vom 27.2.2020, BfV Gutachten, S. 659, Belegsammlung, S. 5284
289
Durch die Verwendung des Dreiklangs an Begriffen (totalitär, kleptokratisch und ochlokratisch) wird der Bundesrepublik Deutschland abgesprochen, ein (funktionierendes) demokratisches System zu sein und durch den Vergleich mit „übelsten Despoten“ die Behauptung aufgestellt, es handle sich um ein Unrechtsregime, wie es ansonsten kaum anzutreffen sei. Diese auf verschiedene Aspekte abzielende Abwertung des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschlands ist derart umfassend und tiefgreifend, dass die Politik der Bundeskanzlerin a.D. hierfür zwar anlässlich sein mag, die Bewertung aber nicht mehr zu rechtfertigen vermag.
290
(j) Auch R. Mi. , zum damaligen Zeitpunkt stellvertretender Kreisvorsitzender des AfD Kreisverbands Schwandorf-Cham (AfD Landesverband Bayern) und nunmehr dessen Vorsitzender, behauptet, dass die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland bereits vor langer Zeit abgeschafft worden sei und die als „Volksverräter“ bezeichnete Regierung seit Jahren „Krieg“ gegen die Bürgerinnen und Bürger führe, der nach der Prophezeiung M. s letztlich zu einer „endgültigen Sklaverei“ führen werde:
291
„Unser Bundeskanzler lässt uns ausrichten, wenn Kundgebungen von Extremisten, Querdenkern, Verfassungsfeinden gekapert werden, nehmen wir das nicht hin denn unsere Demokratie ist wehrhaft. Olala. Frage dazu an den Herrn B4. S4. – von welcher Demokratie spricht er, diese ist bereits vor langer Zeit abgeschafft und durch eine Klimadiktatur ersetzt worden – ein totalitäres System. Ein totalitäres System mit vollständiger Kontrolle über uns Bürger.“
„Da hätte ich noch eine weitere Frage an O. S4 – der DDR-Ratsvorsitzende Ul. meinte vor längerer Zeit, in meinem Geburtsjahr, niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen, O. S4 meinte auf die Frage ob die Regierung vorhat, auf Demonstranten zu schießen, niemand hat die Absicht auf Demonstranten zu schießen, ich für meinen Teil liebe Freunde glaube diesen Volksverrätern und Verbrechern kein Wort. Die Regierung führt nun seit Jahren Krieg gegen uns Bürgern und das meine ich wirklich ernst. Sie führen Krieg gegen uns.“
„Millionen von Bürgern leben nun in Armut, staatlich organisiert. Die vorsätzlich geschaffenen Preissteigerungen, von Nahrungsmitteln und ein offenkundiger Angriff auf die Landwirtschaft und die Energieversorgung sowie die Einführung der medizinischen Tyrannei sind Taktiken in diesem Krieg gegen das Volk. Wenn man unsere letzten Spargroschen für eine warme Wohnung gestohlen hat, geht es an die Immobilien und danach in die endgültige Sklaverei.“, Rede von R. Mi. am 20.9.2022 auf einer Kundgebung zum Thema „Nicht frieren für unsinnige Politik, sofortige Friedensverhandlungen mit Russland; Energie- und Gaskrise sofort beenden, Inflation beenden, stabile Währung schaffen, Preisexplosion stoppen, Aufhebung jeglicher Impfpflicht; Schluss mit allen Corona-Maßnahmen“, jeweils Vermerk des BayLfV vom 19.10.2022, S. 1 ff.
292
Zwar wurde die Veranstaltung, auf der die Äußerungen M. s erfolgten, nicht von der Klägerin oder einer ihrer Untergliederungen angemeldet, sondern vielmehr von R. Mi. , Kl. Schu. und Di. Ar.. Auch wenn die Klägerin darauf hinweist, dass die Anmeldung der Veranstaltung durch die drei als Privatpersonen erfolgte, sind die Äußerungen M. s der Klägerin gleichwohl zurechenbar. Denn zum einen bewarb – worauf der Beklagte im Verfahren hingewiesen hat – M. entsprechende Veranstaltungen regelmäßig auf der F. Präsenz „R. Mi. – AfD“, betrieben von ihm als „AfD-Kreis- und Stadtrat in Schwandorf, Stellv. Vorsitzender AfD KV Schwandorf/Cham“. Zum anderen bestehen auch Beziehungen von Kl. Schu. und Di. Ar. zur Klägerin: Laut einem F. Post des „AfD KV Schwandorf/Cham“ vom 3. Februar 2020 war Kl. Schu. „AfD-Landratskandidat Landkreis Schwandorf“ und Di. Ar. laut der Homepage des AfD Kreisverbands Regensburg dessen Erster Vorsitzender. Der Zurechnungszusammenhang entfällt auch nicht dadurch, dass ein Parteiordnungsverfahren eine Entschuldigung M. s gegenüber der Partei und eine Abmahnung zur Folge hatte, über die die Klägerin das Gericht auch informiert hat. Wenn das Erfordernis, sich von Aussagen zu distanzieren, Ausdruck eines Richtungsstreits innerhalb einer Partei ist, in der jedenfalls auch Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorhanden sind, führt die Distanzierung von einzelnen Äußerungen noch nicht dazu, dass davon ausgegangen werden kann, der Richtungsstreit wäre hierdurch bereits beigelegt und es stehe fest, in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickelt, mit der Folge, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz daher ggf. nicht mehr angezeigt wäre (vgl. dazu, dass die Einleitung von Ordnungsmaßnahmen ebenso wie das Ausscheiden aus einer Organisation gerade auch Ausdruck eines Richtungsstreits sein kann, in dessen Fall die Verfassungsschutzbehörde gerade befugt ist, die weitere Entwicklung innerhalb der Vereinigung zu beobachten, OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 − juris Rn.69; VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 201; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 259; VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 − juris Rn. 82). Dass ein solcher Richtungsstreit vorliegt, wird dadurch deutlich, dass der Landesvorstand Einspruch gegen die Wahl M. s als Direktkandidat für den Landtag erhoben und beim Landesschiedsgericht beantragt hat, M. aus der Partei auszuschließen, dies jedoch lediglich zur Folge hatte, dass M. , der gleichwohl zum Direktkandidaten sowie zum Kreisverbandsvorsitzenden gewählt wurde, abgemahnt wurde. Wenngleich dem Landesvorstand der Klägerin nur begrenzte Möglichkeiten im Hinblick auf diese Wahl zukommen mögen, zeigt die Wahl M. s, dass er von den Mitgliedern vor Ort unterstützt wird und ihm als Vorsitzender eines Kreisverbands auch künftig maßgeblicher Einfluss innerhalb der Partei zukommt. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Distanzierung – wie vom Beklagten vorgetragen – (nur) angesichts des anhängigen Gerichtsverfahrens und damit aus prozesstaktischen Gründen erfolgte, um eine weitere Beobachtung zu verhindern (vgl. hierzu VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 934).
293
(k) Der rechtsprechenden Gewalt wird zudem ihre Kontrollfunktion abgesprochen und sie unter Verwendung von NS-Vokabular als Gegner des Volkes dargestellt.
294
In einem F. Beitrag vom 24. Mai 2020 beschimpft H. Schr. (AfD Landesverband Baden-Württemberg, Gründungsmitglied der AfD und AfD-Kandidat für die Bundestagswahl 2021 (Quelle: https://www.hansjoerg-schrade.de/ueber-mich), zwischenzeitlich abgewählt aus dem Landesvorstand Baden-Württemberg, jedoch nach wie vor Fraktionsvorsitzender der AfD im Gemeinderat Reutlingen) die Justiz anknüpfend an einen Artikel der Berliner Zeitung zu pandemiebedingten Kontrollen in Restaurants, dem jedoch weiterhin stattfindenden Verkauf von Drogen im Görlitzer Park, als
295
„Deutsche Verräter-Justiz“, BfV Gutachten, S. 686, Belegsammlung, S. 5450.
296
W. Wa. (AfD Landesverband Hessen), ebenfalls Kandidat für die Bundestagswahl 2021 (Quelle: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/willi-wagner) sowie erster Vorsitzender des AfD Kreisverbands L.-D. (Quelle: https://ldk.afd-hessen.org/organisation/kreisvorstand/) zufolge segnen die
297
„Staatsgerichte […] wie die Gerichte im 3. Reich und in der DDR jedes rechtswidrige Gesetz einfach ab“, BfV Gutachten, S. 686, Belegsammlung, S. 5446
298
Anlass für die Äußerung Wagners sind dabei aus seiner Sicht verfassungswidrige „SPD-Gesetze“ wie „Rentenkürzungen“ und „Hartz IV-Reformen“.
299
Eine Pressemeldung zu einem Urteil gegen einen Geflüchteten wegen des Verkaufs von Drogen kommentiert der AfD Kreisverband Reutlingen (AfD Landesverband Baden-Württemberg) am 8. Mai 2020 in einem F. Beitrag augenscheinlich mit der Auffassung, es sei zu milde ausgefallen, wie folgt:
300
„M2 Gäste bekommen unser Steuergeld und bei der Justiz noch Rabatt dazu. Verfluchte Richter gegen das Volk. Verräter.“, BfV Gutachten, S.686, Belegsammlung, S. 5449
301
Auch das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht,
302
„mache[…] nur vordergründig auf juristisch und Grundrechte. In Wirklichkeit sind sie ausgelagerte Parteiorgane, die die jeweilige Parteiideologie durchsetzen, und das außerhalb jeder Demokratie. […] Denn inzwischen entscheiden sie nicht mehr nur in den Verfassungsbeschwerden absurd und willkürlich […] sondern machen sich ihre Verfassungsbeschwerden einfach selbst. […] Dieses Bundesverfassungsgericht ist nicht nur korrupt und rechtsbrechend, es putscht gegen die Demokratie, in dem es über-demokratische regierungsbindende Entscheidung trifft, deren Verfahren es einfach willkürlich selbst fingiert und vortäuscht. Und nicht nur in der Verfahrensweise, auch im Inhalt laufen die Entscheidungen auf eine Entmachtung der Regierung und damit auf die Entmachtung des Wählers als Souverän hinaus. Das Gericht betreibt den Umbau in eine sozialistische Diktatur ohne demokratische Legitimation. […]“, Blogbeitrag von Ha. Da., auf F. verlinkt von Dr. J. D. am 2.1.2019, BfV Gutachten, S. 662 f., Belegsammlung, S. 5296 ff.“
303
Durch das Veröffentlichen des Links auf F. machte sich Dr. J. D. (MdL, Gründungsmitglied der AfD Thüringen und Beisitzer im Landesvorstand, Mitarbeit in Landes- und zwei Bundesfachausschüssen, Vertreter der AfD im MDR Rundfunkrat) den Inhalt des Blogeintrags von Ha. Da. zu eigen (vgl. zum Teilen eines Beitrags bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(ee)).
304
(l) Das Äußern von Werturteilen in Bezug auf Urteile und die Besetzung sowie die Verfahrensweise des Bundesverfassungsgerichts ist verfassungsschutzrechtlich zwar an sich noch nicht zu beanstanden. Auch ist es nicht zu beanstanden, wenn thematisiert und hinterfragt wird, ob, warum und in welchem Ausmaß die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gerichtlich bestätigt wurde. Die dargestellten Äußerungen gehen jedoch über eine derartige Kritik hinaus, da die Verunglimpfung von Gerichten und Richtern gegenüber der Auseinandersetzung mit deren Rechtsprechung im Vordergrund steht. Die Verunglimpfungen zielen – insbesondere auch durch Verwendung der dem Nationalsozialismus zuzuordnenden Begrifflichkeit „(Volks) Verräter“ – und den Vergleich mit dem NS-Regime und der DDR darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass die rechtsprechende Gewalt in ihrer Entscheidungsfindung nicht unabhängig handle (Art. 97 Abs. 1 GG). Hierdurch wird in der Bevölkerung die Angst geschürt, dass das staatliche Handeln keiner unabhängigen gerichtlichen Kontrolle unterliege und Bürgerinnen und Bürgern damit gegenüber staatlichen Maßnahmen der Exekutive kein wirksamer Rechtsschutz zur Verfügung stehe, damit also nicht zu erwarten sei, dass die Rechtsstaatlichkeit durch inhaltlich unabhängig getroffene Entscheidungen gewahrt werde. Die auf die mangelnde Kontrolle der Exekutive durch die Justiz zielenden Äußerungen sollen einen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern. Dem Vertrauen in eine wirksame gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns durch unabhängige Richterinnen und Richter kommt dabei umso größere Bedeutung zu, als die Rechtmäßigkeit und Legitimität des Handelns von Amtsträgern, demokratischen Institutionen und der anderen Parteien in hohem Maße infrage gestellt und der Eindruck erweckt wird, dass der Bevölkerung hierdurch bewusst Schaden zugefügt werden sollte. Es wird ein Gesamtbild gezeichnet, wonach die Existenz der Bürgerinnen und Bürger von dem vom Willen und Wohl des Volkes losgelösten Handeln der Regierung und von Polizeigewalt und -terror bedroht und zugleich weder vom Rechtsstaat noch von einer unabhängigen Justiz geschützt werde, um Ängste und Ablehnung gegenüber dem politischen und institutionellen System in Deutschland zu schüren.
305
Dies verdeutlicht auch der im BfV Gutachten dargestellte Text eines Videos mit dem Titel „Deutschland – Es sind nicht unsere Politiker, nicht unsere Justiz und schon gar nicht unsere Polizei“, der von K.-Lu. Ku. (AfD Landesverband Hessen) geteilt wurde und diesem daher zurechenbar ist (siehe hierzu bereits oben II.1.e.bb.(2)(d)(ee)):
306
„Die Regierung will unser Land mit Millionen Syrern und Afrikanern fluten, weil genau das ihre Aufgabe ist. Und die korrupte Justiz passt auf, dass wir dabei untätig zusehen müssen. Die BRD, weder Staat noch Rechtsstaat, ist die feindliche Besatzung für Deutschland. Sie will uns Deutsche umbringen. Seit mindestens 100 Jahren versucht man uns Deutsche kleinzukriegen [Anm.: Betonung auf „kriegen“] und das im wahrsten Sinne des Wortes. Kleinkriegen. Diese BRD-Regierung besteht aus allem möglichen, aber nicht aus Deutschem. Die Aufgabe der Besatzungs-BRD ist es, die besonders geistesgewandten und kreativen Deutschen zu unterdrücken, auszubeuten und auf lange Sicht umzubringen, sollten sie sich wehren. […] Auch die Parteien kommen ohne Ausnahme alle aus dem gleichen Stall und spielen uns ihre Konkurrenz nur vor. Es ist Teil der Täuschung, damit verblendete Bürger zur Wahl gehen und ihr Mandat abgeben. Nur darum geht es. Zur Frage, ob Deutschland wirklich besetzt ist oder nicht, kann man ganz einfach mal nach oben in den Himmel schauen. Da ist die Antwort auf die Besatzungsfrage. Wenn feige antideutsche Justiz ein Urteil erlässt, dann ist die Polizei, die skrupellose Truppe, die den auf Papier gebrachten Terror mir roher Gewalt durchsetzt. Das ist nicht unsere Polizei. […] Die brechen im Rudel in Häuser ein und schleifen Leute heraus für 50 € sogenannte GEZSchulden und weniger. Es muss endlich Schluss sein mit der Lobhudelei auf den Besatzer der Deutschen. Nicht unsere Politik. Nicht unsere Justiz. Nicht unsere Polizei.“, Text eines Videos mit dem Titel „Deutschland – Es sind nicht unsere Politiker, nicht unsere Justiz und schon gar nicht unsere Polizei“, geteilt am 28.11.2019 von Ka.-Lu.-Ku. (AfD Landesverband Hessen) auf dessen F. -Seite, BfV Gutachten, S. 582 f., Belegsammlung, S. 4742
307
(m) Auch durch einen F. Beitrag der AfD Kreistagsfraktion Aichach-Friedberg vom 18. August 2023 wird zum Ausdruck gebracht, dass eine Bedrohungslage bestehe und man schießen lernen müsse, um sich vor dieser zu schützen. Die Kreistagsfraktion veröffentlichte den Schriftzug
308
„Der Optimist lernt Chinesisch
Der Pessimist lernt Arabisch
Der Realist lernt Schießen“
309
und kommentierte diesen mit dem Text
310
„Wir wollen doch alle Realisten sein!“ (Vermerk des BayLfV vom 11.4.2024, S. 11).
311
Hierdurch wird suggeriert, dass der Staat zum Schutz des Einzelnen nicht mehr willens oder in der Lage sei. Zugleich wird mit dem Kommentar „Wir wollen doch alle Realisten sein!“ Gewaltanwendung propagiert. Wenn der Beitrag nicht sogar als Aufruf zur Selbstjustiz zu verstehen ist, bei dem nicht danach differenziert wird, ob eine Notwehrlage besteht oder nicht, wird jedenfalls ein Klima kreiert, in dem die Hemmschwelle zum Praktizieren von Selbstjustiz deutlich absinkt und damit die Anerkennung des Gewaltmonopols des Staates als Bestandteil des Rechtstaatsprinzips (vgl. BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 547 f.) untergraben.
312
(n) Als quasi letzte vorhandene Möglichkeit, die dargestellte Entwicklung zu verhindern, wird die Unterstützung und Wahl der AfD inszeniert:
313
So habe die AfD die bestehenden Missstände erkannt und arbeite an der Aufklärung der Bevölkerung darüber, dass Deutschland nurmehr eine „Schein-“ bzw. „Fassadendemokratie“ sei und sich zu einer Diktatur entwickle:
314
„Wir sind diejenigen, die für Demokratie, für Freiheit und für Meinungsvielfalt kämpfen und den Plänen einer neuen sozialistischen Diktatur den Kampf angesagt haben. Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen [d.h.: das dortige Agieren der AfD-Fraktion] war eine taktische Meisterleistung. Sie hat den Altparteien ihre demokratische Maske heruntergerissen und die darunterliegende, diktatorische, neosozialistische Fratze für jedermann sichtbar gemacht. Wir müssen den Menschen immer wieder vor Augen führen, dass sich die Altparteien dieses Land zur Beute gemacht haben und wir nur noch in einer Scheindemokratie leben. […] Ich möchte im Landesvorstand mithelfen, diesen Zustand, dass an uns niemand mehr vorbeikommt, sukzessive überall zu erreichen. Ich möchte Strategien miterarbeiten, mit denen wir noch effizienter die Menschen erstens darüber aufklären, dass wir nur noch in einer Fassadendemokratie leben und auf dem Weg in eine Diktatur sind.“, Ka. Hi., Mitglied des Bundestags und itglied im Vorstand des AfD Landesverbands Sachsen sowie des Kreisverbands Bautzen in einer Rede in Weinböhla am 29.2.2020, BfV Gutachten, S.610 f. (Klammersetzung bereits in Gutachten enthalten), Belegsammlung, S. 5003 ff.
315
(o) Aus der Auslegung der dargestellten Äußerungen ergibt sich die Zielsetzung, das Vertrauen der Bevölkerung in die Repräsentanten der Bundesrepublik und letztlich in die parlamentarische Staatsverfassung als Ganzes in Frage zu stellen. Die Grenzen zulässiger Machtkritik werden auch bei Anerkennung der Stilmittel der Zuspitzung, Polemik und des Mittels, die Aufmerksamkeit durch Verwendung drastischer Wortwahl auf vermeintliche Missstände zu lenken, überschritten. Auch in den Fällen, in denen Sachthemen als Anknüpfungspunkte für die Aussagen dienen, wird einer inhaltlichen Diskussion ein schwindend geringer Raum eingeräumt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es den äußernden Personen überhaupt um einen kritischen Diskurs geht. Es werden Ängste geschürt und den demokratischen Institutionen, ihren Amtswaltern und den anderen Parteien nicht nur Unvermögen unterstellt, sondern hierüber hinausgehend die Vertreter der anderen Parteien ebenso wie demokratische Institutionen und ihre Amtswalter in ihrer Gesamtheit auf polemische und teils diffamierende Art verächtlich gemacht. Aufgrund der Häufung und der Wortwahl der Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen kann nicht mehr davon die Rede sein, dass hierdurch lediglich einzelne Personen, die das jeweilige Amt derzeit ausüben, kritisiert werden sollen. Vielmehr wird den politischen Gegnern in destruktiver Weise jegliche Kompetenz und jeglicher Wille zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft abgesprochen. Die Demokratie sei bloß eine Maske (gewesen), die die AfD den sog. Altparteien herunterreiße, sodass Diktatur und Neosozialismus zum Vorschein kämen. Letztlich soll hierdurch im Zusammenspiel mit der Darstellung, dass die AfD als einzige Partei die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertrete, das Vertrauen der Bevölkerung in das Funktionieren der parlamentarischen Staatsverfassung in Form eines demokratischen und rechtsstaatlichen Systems geschwächt werden, um Bürgerinnen und Bürger zur Wahl der AfD zu bewegen und hierdurch deren Teilhabe an legislatorischer und exekutiver Macht zu befördern.
316
ee. Die in das Verfahren eingeführten Belege für hinreichende tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sind entgegen der Auffassung der Klägerin uneingeschränkt verwertbar.
317
Der Einsatz von Vertrauensleuten oder sonstigen Informanten und die Verwertung der von diesen Personen getätigten oder wahrgenommenen Aussagen verstößt nicht gegen die Grundsätze eines fairen, rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren, dass eine Verwertung von Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, aus rechtsstaatlichen Gründen zu unterbleiben hat, da sie aufgrund der mit ihrer Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden können (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 150, 157; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 411), lässt sich nicht auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1, Art. 8 BayVSG übertragen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Beobachtung (nur) das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte verlangt und noch keine Gewissheit hinsichtlich beobachtungsbedürftiger Bestrebungen des Beobachtungsobjekts bestehen muss (vgl. auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 272 ff.). Dies ist eine im Vergleich zum Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren gerade niedrigere Eingriffsschwelle (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2020 – 6 C 11.18 – juris Rn. 25). Erst bei einem solchen schließt das Gebot der strikten Staatsfreiheit die Verwertung von Äußerungen, die nicht eindeutig zuordenbar sind, aus (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 276).
318
Die Befugnis der Verfassungsschutzbehörden zur Beobachtung bei Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren Demokratie“ (siehe hierzu bereits oben II.1.b.) Daraus folgt, dass bei der bloßen Beobachtung einer Partei in Bezug auf Parteivertreter, deren Äußerungen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, nicht offengelegt werden muss, ob diese Personen dauerhafte Kontakte zu Verfassungsschutzbehörden unterhalten oder Äußerungen etwa gegenüber einem Informanten erfolgten (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 277 ff.).
319
Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beobachtung der AfD auch auf Belege gestützt wurde, deren Entstehung durch staatliche Quellen beeinflusst wurde. Zudem wird hierzu weder von der Klägerin substantiiert vorgetragen, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat lediglich vorgetragen, dass laut einer Aussage eines Vertreters des BfV zwei Äußerungen oder Verhaltensweisen aus einem Zeitraum vor 2023, die weder der Bundes- noch der Landesebene zuzuordnen seien, von menschlichen Quellen stammten. Ein Vertreter des Beklagten hat dargelegt, dass das BayLfV keine Vertrauensleute eingesetzt habe. Es liegen daher – unabhängig davon, dass die tatsächlichen Anhaltspunkte aus einer Vielzahl von Äußerungen resultieren – keine Anhaltspunkte für eine umfangreiche staatliche Einflussnahme und Steuerung vor, sodass unabhängig von den im Parteiverbots- oder Finanzierungsauschlussverfahren geltenden Maßstäben das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots zu prüfen wäre (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 282).
320
Soweit die Klägerin angesprochen hat, dass verfassungsschutzrelevante Äußerungen auf „Provokationen“ durch behördliche „fake accounts“ zurückgehen könnten, hat sie schon nicht dargelegt, welche der in den vorgelegten Belegen enthaltenen Äußerungen nach ihrer Auffassung durch anderweitige Veröffentlichungen provoziert worden seien. Zudem führt selbst die Provokation einer Äußerung nicht ohne weiteres dazu, diese Äußerung nicht mehr als tatsächlichen Anhaltspunkt heranziehen zu können, bedarf sie nach den dargestellten Maßstäben ohnehin einer Betrachtung von Inhalt und Kontext. Im Übrigen gilt auch für den Einsatz von „fake accounts“, dass eine zulässige Beobachtung unter Rückgriff auf die Möglichkeiten heimlicher Informationsbeschaffung den vom Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Maßstäben (vgl. BVerfG, U.v. 23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 148; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 409, Rn. 418; B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 24) folgend erst im Vorfeld eines Verbots- oder Finanzierungsausschlussverfahrens eingestellt oder offengelegt werden muss (vgl. auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 283).
321
Weiterhin liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beobachtung der Ausspähung der Prozessstrategie der Klägerin dient oder dass im Rahmen der Beobachtung zufällig oder von anderen Behörden erlangte Informationen über die Prozessstrategie zulasten der Klägerin verwendet werden. Eine solche etwaige Ausspähung der Prozessstrategie würde sich zudem im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich auswirken. Die Rechtmäßigkeit der Beobachtung bliebe davon unberührt. Das gerichtliche Verfahren ist gerade nicht die Grundlage für die Beobachtung der AfD, sondern dient der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung über die Beobachtung der AfD. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbots- und Finanzierungsausschlussverfahren geltenden Grundsätze (vgl. BVerfG, U.v.23.1.2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 151 ff.; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 415 ff.) lassen sich daher auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen (vgl. OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 284 ff.). Den auf eine etwaige Prozessausspähung bezogenen Beweisanregungen der Klägerin war daher nicht zu entsprechen.
322
ff. Bei wertender Gesamtbetrachtung der im Verfahren vorgelegten Belege kommt das Gericht unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts, in dem die dargestellten Äußerungen bzw. Ereignisse zu sehen sind, zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass eine quantitativ und qualitativ hinreichende Tatsachenbasis für die Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD vorliegt. Die Klägerin hatte im Verfahren die Gelegenheit, zu den jeweiligen ihr zur Last gelegten Äußerungen Stellung zu nehmen.
323
Tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn die betreffende Vereinigung in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet (BayVGH, B.v. 30.7.2015 – 10 ZB 15.819 − juris Rn. 44; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173). Vielmehr ist die Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden bereits dann gerechtfertigt, wenn Bestrebungen nur von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 45; VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 212; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173) oder ein Richtungsstreit innerhalb der Partei besteht, da nur durch die Beobachtung festgestellt werden kann, in welche Richtung sich die Vereinigung letztlich bewegt (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 45; BayVGH, B.v. 30.7.2015 − 10 ZB 15.819 − juris Rn. 44; VG Köln, U.v. 8.3.2022 − 13 K 326/21 − juris Rn. 212; VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 201; VG Wiesbaden, B.v. 14.11.2023 – 6 L 1166/22.WI – juris Rn. 259; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173). Denn auch in diesen Konstellationen können die aus den tatsächlichen Anhaltspunkten ablesbaren Zielsetzungen für die Entwicklung der Gesamtpartei insofern von Bedeutung sein, als sie sich innerhalb der Partei als mehrheitsfähig herausstellen und sich bei innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten durchsetzen könnten (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173). In Bezug auf die AfD dient die Beobachtung durch das BayLfV gerade der Klärung der derzeitigen Ausrichtung und Entwicklung der Partei, da die Äußerungen Ausdruck noch offener, parteiinterner Meinungsunterschiede und Richtungskämpfe sind (vgl. zu diesem Kriterium auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 − 2 A 11774/98 − juris Rn. 43; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 27). Zudem können allein durch die Beobachtung die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig und angemessen unterrichtet werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 45; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173).
324
Das Gericht verkennt bei seiner Gesamtbewertung weder, dass sich die tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegend (lediglich) aus Äußerungen ergeben, noch, dass eine Vielzahl einzelner Äußerungen, die in den vorgelegten Belegen angeführt werden, (noch) nicht die Schwelle für die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte überschreiten dürften. Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen können bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten der Partei widerspiegelt. Deren Aussagekraft wird nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äußerungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Ausrichtung entnehmen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22.09 − juris Rn. 49; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Ls. 2, Rn. 155, Rn. 159; VG Köln, U. v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 − juris Rn. 210). Ausreichend ist, dass die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutet (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 − 6 C 22/09 − juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 28.2.2020 − 10 CE 19.2517 − juris Rn. 23; OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 169 ff.).
325
Zwar kann eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht schon bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder Anhänger angenommen werden (BVerwG, U.v. 18.5.2001 − 2 WD 42.00, 43.00 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1609 – juris Rn. 56); von solchen kann angesichts der inhaltlichen Bedeutsamkeit, der Zahl und der unterschiedlichen Herkunft der Aussagen aus verschiedenen Landesverbänden jedoch nicht mehr ausgegangen werden. Die Äußerungen stammen nicht nur von „einfachen“ Mitgliedern, sondern vielmehr von Personen mit herausragender Position bzw. Funktion in der AfD (Bundestagsebenso wie Landtagsabgeordnete, stellvertretender Bundessprecher, Gründungsmitglied der AfD) sowie von Verbänden selbst (Bezirksverband, Kreisverbände). Gerade aus Äußerungen von Funktionsträgern kann auf deren Grundeinstellung und von dieser auf die verfassungsfeindliche Ausrichtung einer Vereinigung geschlossen werden (vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015 − 10 B 15.1320 − juris Rn. 37), da diese als das innerparteiliche Geschehen maßgeblich mitbestimmende Parteimitglieder auf die weitere Entwicklung der AfD maßgeblich Einfluss nehmen können und das B. der Partei in der Öffentlichkeit prägen (u.a. Äußerungen im Wahlkampf) sowie angenommen werden kann, dass sie zumindest Teile der Partei repräsentieren und Mitglieder und Wähler an die Partei binden sollen, die mit ihren Auffassungen übereinstimmen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 − juris Rn. 54).
326
Die von der Klägerin vorgebrachte Kritik an der behördlichen Sachverhaltsaufklärung verfängt nicht, da die gerichtliche Bewertung und Würdigung der vorgelegten Belege maßgeblich ist. Wenn eine Vielzahl von Äußerungen vorliegt, die für sich genommen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen bieten, kann der dadurch begründete Verdacht nur entkräftet werden, wenn konkret diesen Äußerungen in irgendeiner Form entgegengetreten wird (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 188) oder sie durch Entwicklungen in der politischen Partei überholt oder aus sonstigen Gründen obsolet sind (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 30.97 – juris Rn. 34).
327
Dies ist nach Auffassung des Gerichts etwa im Hinblick auf die im Beschluss vom 17. April 2023 noch als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogene Äußerung von Dr. W. P1. vom 19. November 2022 der Fall, wenngleich eine verfahrenstaktische Motivation der Maßnahmen nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Dr. P1. bezeichnete die Regierung als „ideologieverseuchte[…] Räuberbande“, durch deren Handeln der Lebensstandard in den letzten Jahren dramatisch gesunken sei. Die „Lobbyisten der Kartellparteien“ und „Volksverräter“ würden sich persönlich bereichern anstatt zum Wohl des Volkes zu regieren und würden hierbei unterstützt von den korrupten und verlogenen Medien, die die Bürgerinnen und Bürger einer „laufende[n] Gehirnwäsche“ unterziehen würden. Den Bürgerinnen und Bürgern sei nicht nur der Wohlstand bereits genommen worden, nun solle ihnen auch noch ihre Freiheit, ihre Demokratie, der Rechtsstaat und ihre Kultur genommen und ihnen eine neue totalitäre Weltordnung aufgezwungen werden, um sie zu unterwerfen und zu knechten. Diese durch die „Volksverräter“ verursachte Entwicklung müsse gestoppt werden (vgl. hierzu VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 129 ff.). Zwar wurde Dr. P1. nach seiner Äußerung zunächst noch als Direktkandidat für den Bayerischen Landtag aufgestellt. Jedoch erhob die Klägerin Einspruch hiergegen; der Landesvorstand beantragte beim Landesschiedsgericht zudem, Dr. P1. aus der Partei auszuschließen und ihn bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Schiedsgerichts von der Ausübung der Rechte als Mitglied und Kreisvorstandsvorsitzender auszuschließen. Zeitlich nach der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht im Eilverfahren am 17. April 2023 wurde Dr. P1. aus der Partei auch tatsächlich ausgeschlossen.
328
Allerdings kann mit einer Parteiordnungsmaßnahme, die wegen einer bestimmten Äußerung ergriffen wird, lediglich der sich aus dieser Äußerung ergebende Anhaltspunkt beseitigt oder abgemildert werden bzw. durch einen Parteiausschluss (nur) die Zurechenbarkeit sämtlicher Äußerungen des ausgeschlossenen Mitglieds unterbrochen werden, nicht jedoch die Zurechenbarkeit solcher Anhaltspunkte, die sich aus vergleichbaren Äußerungen ergeben (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 190).
329
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass entlastende Umstände vom BayLfV und vom erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden seien, obliegt es ihr, diejenigen konkreten Äußerungen oder Vorgänge zu bezeichnen, die aus ihrer Sicht geeignet sein sollen, die vom Verfassungsschutz angeführten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen zu entkräften (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 194). Derartige entlastende Umstände, insbesondere in Form eingeleiteter Parteiordnungsmaßnahmen, hat die Klägerin zum Teil auch vorgetragen (siehe hierzu bereits oben bei den jeweiligen Äußerungen).
330
Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass ihr bei Äußerungen von Mitgliedern anderer Landesverbände oder des Bundesverbands keine Möglichkeit zukommen mag, Parteiordnungsmaßnahmen zu ergreifen. Sie könnte sich jedoch auch von diesen Äußerungen durch öffentliche Erklärungen distanzieren (siehe zu dem Erfordernis, dass sich die Partei selbst distanziert, bereits oben II.1.e.bb. (3) (b) (ff)). Aus den von der Klägerin dargelegten Distanzierungsbemühungen, insbesondere durch das Ergreifen von Parteiordnungsmaßnahmen, ergeben sich – auch bei Berücksichtigung der Distanzierung von Dr. P1. – allerdings keine hinreichenden Indizien („entlastende Gesichtspunkte“), die gegen das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sprechen. Vielmehr belegen sie den die Beobachtung rechtfertigenden, noch nicht beigelegten Richtungsstreit in der Partei, der fortwährenden Distanzierungsbedarf erzeugt.
331
Im Ergebnis vermag auch das uneingeschränkte Bekenntnis zur Religionsfreiheit im Grundsatzprogramm der AfD (S. 48) die aus den Agitationen gegenüber Muslimen abgeleitete rechtliche Wertung ebenso wenig wie das im Verfahren von der Klägerin insbesondere im Zusammenhang mit der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ betonte bedingungslose Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung die rechtliche Gesamtbewertung zu verändern, da rein formale Bekenntnisse für eine Entlastung nicht ausreichen (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.1993 − 5 CE 93.2327 − juris Rn. 23). Gleiches gilt für die Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität und für das Papier „7 Punkte zur Remigration“, da die darin niedergelegte Programmatik jedenfalls von Teilen der Partei – bei D. handelt es sich immerhin um ein Mitglied im Landesvorstand – nicht nach außen vertreten wird.
332
Es bedarf folglich keiner weitergehenden Auseinandersetzung mit der Vielzahl der weiteren, z.B. auch im Hinblick auf den Vorwurf antisemitischen Inhalts, in das Verfahren eingeführten Äußerungen, die das BfV bzw. das BayLfV als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werten. Auch der Erörterung der Frage, ob sich auch aus dem Einfluss des ehemaligen „Flügels“ und der JA auf die inhaltliche bzw. ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben (bejahend BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 100 ff., 109 ff.), bedarf es – schon aufgrund des Grundsatzes der Prozessökonomie – nicht.
333
f. Die Beobachtung entspricht auch den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung, § 114 Satz 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 146 ff.).
334
Dahinstehen kann, ob bei Vorliegen beobachtungsbedürftiger Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 BayVSG bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2 i.V.m. Art. 3 Satz 1 BayVSG a.F. die (förmliche) Entscheidung zur Beobachtung nach dieser allgemeinen Befugnisnorm im Ermessen der Verfassungsschutzbehörde steht (in diesem Sinne differenzierend zwischen Aufgabenerfüllung nach Art. 3 BayVSG und Gebrauchmachen von der Befugnis zur Beobachtung Lindner/Barczak in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 5 Rn. 39) oder ob wegen der im Grundgesetz verbindlich angelegten Funktion des Verfassungsschutzes als Instrument der „wehrhaften Demokratie“ (siehe hierzu bereits oben II.1.b.) bei Vorliegen von dem Beobachtungsauftrag unterliegenden Bestrebungen die verfassungsrechtliche Pflicht zur Beobachtung besteht (vgl. Lindner/Unterreitmeier, DVBl 2019, 819/822 u. 825; zum BVerfSchG OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Ls. 8, Rn. 288; zum LVSG BW VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 207).
335
Denn die in der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 getroffene Beobachtungsentscheidung entspricht jedenfalls den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung. Insbesondere liegt kein Ermessensnichtgebrauch vor.
336
Der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe allein wegen der Einstufung des Bundesverbands durch das BfV und der (noch) nicht rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln eine Beobachtung in Bayern begonnen, qualitativ oder quantitativ hinreichende Anhaltspunkte in Bayern gebe es nicht, greift aus den bereits dargelegten Gründen nicht durch. Die Klägerin verkennt nicht nur die bereits dargelegte Staatsaufgabe des Verfassungsschutzes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. c und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG und dass die AfD als Gesamtpartei zulässiges Beobachtungsobjekt ist, sondern vor allem auch die aufgeführten hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD. Überdies wird aus der Beobachtungserklärung deutlich, dass und inwieweit verschiedene Aspekte das BayLfV zu der Annahme bewogen haben, dass eine Beobachtung durch das BayLfV gerechtfertigt ist, und was das Ausklärungsziel der Beobachtung ist (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, insb. S. 17). Aus der Beobachtungserklärung ergibt sich insbesondere auch, dass sich das BayLfV bei Ausübung seines Ermessens dem Parteienprivileg aus Art. 21 GG bewusst war und dieses hinreichend berücksichtigt hat. Weder den vom Beklagten vorgelegten Belegen noch den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Schriftsätzen lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Entscheidung des BayLfV über die Beobachtung der AfD nicht auf dem Schutzzweck der Regelungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bundesverfassungsschutzgesetzes, sondern auf sachwidrigen parteipolitischen Motiven beruhen könnte. Insbesondere können Aussagen des Präsidenten des BfV dem BayLfV, das sich eigenständig für eine Beobachtung entschieden hat, bereits nicht zugerechnet werden. Überdies hätte selbst eine Einflussnahme politischer Entscheidungsträger für sich genommen mangels Kausalität nicht per se die Rechtswidrigkeit der Beobachtung zur Folge, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gerade vorliegen (VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 217; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 293 f.). Maßgeblich ist, dass und wie der Beklagte in der Beobachtungserklärung sein Ermessen ausgeübt hat. Soweit eine Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass das BayLfV aufgrund des Vorliegens hinreichend gewichtiger Anhaltspunkte berechtigt und verpflichtet gewesen sei, die Beobachtung vorzunehmen, und kein Ermessungsspielraum bezüglich des Ob einer Beobachtung bestehe, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben seien, bedarf dies vorliegend somit keiner weiteren Betrachtung.
337
g. Die Beobachtung der AfD durch das BayLfV in dem Umfang, wie er der Beschreibung des Beobachtungsobjekts, der angenommenen Beschränkungen bei Abgeordneten und Mandatsträgern der AfD sowie dem in der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 konkret beschriebenen Aufklärungsinteresse (vgl. Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, S. 14 ff.) zu entnehmen ist, wahrt die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG sowie BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 182, wonach die ergriffene Maßnahme im Einzelfall zur Aufklärung geboten sein muss), vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 150 ff.
338
aa. Aufgrund des Aufklärungsziels des BayLfV, angesichts der inneren Zerrissenheit der Partei festzustellen, in welche Richtung sich die Gesamtpartei letztlich bewegt, erfordert es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere nicht, die Beobachtung auf einzelne Gruppierungen oder Untergliederungen der Partei, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt wurden, zu begrenzen, da das BayLfV auf ein Gesamtbild angewiesen ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 45; VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 210; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 173). Dies gilt umso mehr, als dem BayLfV verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse aus einer Vielzahl der Kreisverbände der Klägerin und in Bezug auf etwa 50 Personen, teils in herausgehobener Funktion, vorliegen.
339
Anders als die Klägerin meint, darf der Beklagte auch nicht nur diejenigen Einzelpersonen beobachten, für die tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Die Zulässigkeit der Erhebung von Informationen über eine Person, die Mitglied eines Personenzusammenschlusses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG ist, hängt nicht von ihren individuellen und subjektiven Beiträgen oder ihrer intentionalen Beteiligung an Handlungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Art. 4 Abs. 1 BayVSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die über die Mitgliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 − juris Rn. 66).
340
Zudem resultiert eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung nicht daraus, dass jedes einzelne Mitglied der Klägerin tatsächlich vom BayLfV beobachtet würde.
Dagegen, dass eine derart umfassende Beobachtung vorgenommen würde, sprechen bereits die in der Beobachtungserklärung (Beobachtungserklärung BayLfV vom 21.6.2022, S. 18) in Bezug genommenen Ausführungen im BfV Gutachten (S. 975 f.) zu den Aufklärungszielen der Beobachtung. Aus diesen geht hervor, dass die Zielrichtung der Beobachtung insbesondere auf die Entwicklung und den Einfluss jener Teile der Partei zu fokussieren ist, von denen extremistische Bestrebungen ausgehen oder die eine Zusammenarbeit mit eben jenen Kräften anstreben, also letztlich einen individuellen Verantwortungsbezug zu den Bestrebungen aufweisen, die Auswahl der zu beobachtenden Personen also nach diesen Kriterien erfolgt. Das BayLfV hat überdies im gerichtlichen Eilverfahren nochmals klargestellt, dass nicht jedes einzelne Mitglied der Klägerin bzw. der Gesamtpartei AfD der Beobachtung unterliegt, sondern einzelne Mitglieder nur beobachtet werden, wenn dies erforderlich ist (vgl. Stellungnahme des BayLfV vom 20.10.2022, S. 2). Insofern realisiert sich auch nicht die von der Klägerin als nicht hinnehmbar geschilderte Gefahr eines Handelns des Beklagten als „Datenkrake“.
341
bb. Eine Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung resultiert auch nicht daraus, dass die Äußerungen, auf die die Beobachtung gestützt wird, vor zu langer Zeit getätigt worden wären, da sowohl vor Aufnahme der Beobachtung als auch seither bis in das Jahr 2024 hinein verfassungsschutzrelevante Äußerungen von Mitgliedern und Untergliederungen der AfD vorliegen.
342
Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass ein Teil der Äußerungen im Zeitpunkt der Aufnahme der Beobachtung durch das BayLfV (Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022) bereits vor mehreren Jahren erfolgte. Da jedoch laufend weitere Tatsachen hinzugetreten sind, die die Annahme tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen rechtfertigen, folgt aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht, dass die „Prüfphase“ hätte beendet werden müssen (siehe hierzu bereits ausführlich VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 198; auch die Neufassung des BayVSG sieht keine zeitliche Begrenzung der der Beobachtung vorgelagerten Phase der Erforschung, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine beobachtungsbedürftige Bestrebung oder Tätigkeit vorliegen, vor, vgl. Art. 5a Abs. 2 BayVSG).
343
Gemäß der Neuregelung in Art. 5a Abs. 3 Satz 1 BayVSG wird die Fortsetzung einer schließlich aufgenommenen Beobachtung ausdrücklich von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig gemacht („Die Beobachtung ist zu beenden, wenn ihre Dauer zur Einstufung der Beobachtungsbedürftigkeit nach Art. 4 Abs. 2 BayVSG und dem Gewicht der hierfür gesammelten Informationen außer Verhältnis steht.“). Als Regelhöchstfrist nennt Art. 5a Abs. 3 Satz 2 BayVSG einen Zeitraum von fünf Jahren. Diese gilt jedoch nur, wenn keine neuen tatsächlichen Anhaltspunkte hinzutreten (vgl. LT-Drs. 18/29057, S. 23). Aus der Gesetzesbegründung (vgl. a.a.O., S. 23) geht hervor, dass hierdurch gerade der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen werden soll, wonach die Beobachtungsbedürftigkeit einer Bestrebung sinken kann, je länger eine Beobachtung andauert, ohne dass sie tatsächliche Anhaltspunkte dafür hervorbringt, ob oder inwiefern die Schutzgüter des Verfassungsschutzes durch die Bestrebung (noch) konkret bedroht sind (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 198). Das Bundesverfassungsgericht knüpfte hierbei an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an. Diese betont, dass einerseits eine allgemeine, kurz bemessene – etwa zweijährige – Verwertungsfrist mit dem Prinzip der streitbaren Demokratie nicht vereinbar wäre. Andererseits sei jedoch aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kritisch zu hinterfragen, ob einmal gegebene Verdachtsmomente zu einer „Dauerbeobachtung” mit nachrichtendienstlichen Mitteln führen dürfen, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 − 1 C 30/97 − juris Rn. 34).
344
Dies zugrunde legend, ist eine weitere Beobachtung der AfD angesichts der noch nicht übermäßig langwährenden Beobachtung durch das BayLfV (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung etwa zwei Jahre) und der zwischenzeitlich hinzugetretenen weiteren tatsächlichen Anhaltspunkte und der Entwicklung der Partei insbesondere im Jahr 2024 (siehe zu den einzelnen Belegen bereits oben) nach wie vor verhältnismäßig (Art. 5a Abs. 3, Art. 6 Abs. 3 BayVSG).
345
Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass – unabhängig von der generellen Berechtigung zur Fortsetzung der Beobachtung – der zeitliche Aspekt auch bei der Bewertung und Gewichtung der Anhaltspunkte zu berücksichtigen ist und hierbei davon auszugehen ist, dass der Aussagewert umso geringer sein dürfte, je weiter Anhaltspunkte in der Vergangenheit liegen (vgl. Art. 6 BayVSG sowie BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 28; VG Hamburg, B.v. 23.8.2021 – 17 E 2904/21 − beck online Rn. 35; VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 61). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, inwieweit länger zurückliegende Äußerungen weiterhin Rückschlüsse auf die aktuellen politischen Zielsetzungen der Partei zulassen. Wenn bestimmte Positionierungen aufgegeben und diesbezügliche Äußerungen über einen längeren Zeitraum nicht wiederholt werden, kann die Aussagekraft der älteren Aussagen vollständig entfallen. Dies ist hier aber nicht der Fall, da – wie dargestellt – auch in jüngerer Zeit weiterhin ähnliche Aussagen getätigt wurden, die die Kontinuität der politischen Ausrichtung belegen. Aus diesem Grund verlieren auch die älteren Aussagen nicht an Aussagekraft, sondern können nach wie vor bei der Bewertung der aktuellen politischen Ziele herangezogen werden (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 184).
346
cc. Die Beobachtung ist auch unter Berücksichtigung der Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) sowie des Entscheidungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts über das Verbot politischer Parteien (Art. 21 Abs. 2 und 4 GG) und die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verhältnismäßig (siehe speziell zur Verhältnismäßigkeit trotz der Landtagswahlen im Oktober 2023 sowie im Hinblick auf Wahlbewerber VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 204, 207), da nach Auffassung des Gerichts der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schwerer wiegt als der Eingriff in die Rechte der Klägerin.
347
Das Grundgesetz gibt auch für politische Parteien den äußeren Rahmen für die Willensbildung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Es ist mithin auch für sie veränderungsfeindlich (Art. 79 Abs. 3 GG). Das bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 GG und dem Prinzip der streitbaren bzw. wehrhaften Demokratie ist daher dahingehend aufzulösen, dass die offene Beobachtung einer politischen Partei grundsätzlich zulässig ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen und die Beobachtung auch im Einzelfall verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1999 – 1 C 30/97 − juris Rn. 19 ff.; VG Magdeburg, B.v. 7.3.2022 − 9 B 273.21 MD − juris Rn. 83). Dies trifft angesichts der fortbestehenden hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegend gerade zu.
348
dd. Verhältnismäßig ist überdies, dass eine Beobachtung durch das BfV und – soweit Berührungspunkte zum Freistaat Bayern bestehen – durch das BayLfV erfolgt.
349
Zwar erhöhen gleichartige Grundrechtseingriffe durch mehrere Hoheitsträger die Eingriffswirkung und relativieren sich nicht gegenseitig (vgl. VG München, B.v. 25.10.2022 – M 30 E 22.4913 − juris Rn. 39). Die höhere Intensität des Eingriffs ist dem Aufbau des Verfassungsschutzverbundes geschuldet, der neben dem jeweils zuständigen Landesamt in bestimmten Fällen, wie etwa bei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken (§ 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG), auch dem BfV eigene Befugnisse verleiht (vgl. zur Zuständigkeit mehrerer Verfassungsschutzbehörden Gusy in Dietrich/Eifler, Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, IV § 1 Rn. 51). Gerechtfertigt ist die höhere Intensität des Eingriffs durch die hohe Bedeutung des Schutzes vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen, dessen Wirksamkeit sichergestellt werden muss, zumal der Beklagte vorgetragen hat, dass die Kapazitäten des BfV nicht ausreichten, um das gesamte Bundesgebiet im Detail abzudecken. Gerade bei Bestrebungen, die sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken, trägt die Zuständigkeit der ortsnahen und -kundigen Landesbehörde neben der Zuständigkeit des BfV, das zentral Erkenntnisse auswertet (§ 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG) und die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden koordiniert (§ 5 Abs. 3 BVerfSchG), hierzu bei (ebenso VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 219).
350
Im Übrigen lagen und liegen gerade landesspezifische Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor.
351
ee. Da – wie bereits dargelegt – auch die Mindestvoraussetzungen für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel bei der Erhebung von Informationen zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Bestrebung gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG vorliegen, darf das BayLfV grundsätzlich auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unter Beachtung der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 (1 BvR 1619/17) zu entnehmenden Maßgaben, die der Gesetzgeber inzwischen mit der Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (vgl. § 1 Gesetz zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes vom 24. Juli 2023, GVBl. S. 374) umgesetzt hat, als rechtlich mögliche und geeignete Maßnahme zur Informationsbeschaffung ansehen (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 150). Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist auch nicht deshalb generell ausgeschlossen, weil er gegenüber einer öffentlich agierenden politischen Partei nicht erforderlich wäre (vgl. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG). Eine Beobachtung mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist nicht in gleicher Weise zur weiteren Aufklärung geeignet, da durchaus konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Klägerin ihre wahren politischen Zielsetzungen nicht vollständig offenlegt (so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1218/22 – juris Rn. 313).
352
2. Die Beobachtung war auch bereits am 8. September 2022 rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten (Klageantrag zu 4.).
353
Bereits am 8. September 2022 lagen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen als Voraussetzung für eine Beobachtung der AfD nach den damals geltenden Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG a.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG vor (vgl. dazu, dass die bisherige Regelung durch die Neufassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes lediglich „verschoben“ wurde, LT-Drs. 18/29057, S. 22, und dazu, dass die Neuregelung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 5a Abs. 1 BayVSG die Eingriffsschwelle für eine Beobachtung durch das BayLfV beibehält, BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 79).
354
Nach Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) lag bereits im damaligen Zeitpunkt – ebenso wie bereits zum Zeitpunkt der Beobachtungserklärung, dem 21. Juni 2022 – aufgrund der in diesem Urteil dargestellten, bereits damals erfolgten Äußerungen in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen muslimischen Glaubens, der Befürwortung eines gewaltsamen Umsturzes und der fortgesetzten Agitation gegen die Institutionen und Repräsentanten des Staates und gegen die demokratischen Parteien sowohl jeweils selbständig tragend als auch bei Vornahme einer Gesamtbetrachtung eine quantitativ und qualitativ hinreichende Tatsachenbasis für die Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen der AfD vor, die die Beobachtung bereits zum damaligen Zeitpunkt ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig machten (siehe dazu, dass die Klägerin vor Aufnahme der Beobachtung nicht angehört werden musste, bereits oben II.1.c).
355
3. Die Klägerin hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl insoweit die Ausführungen zur Beobachtung oben unter II.1.d.) auch keinen Anspruch auf (künftige) Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung (Klageantrag zu 2.). Die Klage ist daher auch insoweit unbegründet.
356
a. Zwar lässt sich ein solcher Anspruch im Grundsatz aus grundgesetzlich geschützten Positionen des von der Beobachtung Betroffenen ableiten (st.Rspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 − juris Rn. 17 m.w.N.). Mit der Bekanntgabe der Beobachtung wird auch durch den Beklagten in die Grundrechte der Klägerin in Form der Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) und der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 GG) eingegriffen (zur Information der Öffentlichkeit außerhalb des Verfassungsschutzberichts vgl. BayVGH, U.v. 22.10.2015, 10 B 15.1609 – juris Rn. 20).
357
b. Auch ist die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben. Neben einer Rechtsverletzung durch eine rechtswidrige Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Positionen des Betroffenen setzt ein solcher voraus, dass die Gefahr einer Wiederholung des rechtswidrigen Eingriffs droht bzw zu besorgen ist, wenn der Eingriff nicht mehr fortdauert (vgl hierzu BayVGH, U.v. 22.10.2015, 10 B 15.1609 – juris Rn. 62 m.w.N.). Diese Prognose, dass weitere Eingriffe drohen, kann jedoch ohne weiteres angenommen werden, wenn bereits eine Beeinträchtigung stattgefunden hat. Schließlich wird die Behörde im Regelfall ihre Maßnahme für rechtmäßig halten und keinen Anlass sehen, von ihr zukünftig Abstand zu nehmen.
358
Dazu hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Pressemitteilung vom 8. September 2022 infolge des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von sämtlichen Internetauftritten des Beklagten entfernt und auch nicht erneut verwendet worden sei. Auch sei nicht beabsichtigt, die Pressemitteilung bzw. die insoweit gerügte Überschrift aus der Pressemitteilung erneut zu verwenden. Das bedeute jedoch nicht, dass der Beklagte generell von der Bekanntgabe der Beobachtung der Klägerin und der AfD als Gesamtpartei Abstand nehme. Damit ist insoweit eine Wiederholungsgefahr anzunehmen. Nach der Erledigung des Rechtsstreits hinsichtlich der Pressemitteilung bzw. der gerügten Überschrift ist allein noch die Bekanntgabe der Beobachtung als solche streitgegenständlich.
359
c. Es fehlt jedoch an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung durch die Bekanntgabe.
360
aa. Eine rechtswidrige Beeinträchtigung folgt insbesondere nicht aus dem Fehlen einer vor der Bekanntgabe erforderlichen Anhörung. Das Erfordernis einer solchen Anhörung ergibt sich weder aus dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz noch aus dem allgemeinen Verfahrensrecht (siehe oben II.1.c.bb. sowie OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 55/20 − juris Rn. 12 ff.; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1281/22 – juris Rn. 149). Sie ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten.
361
(1) Der von der Klägerin für ein Anhörungserfordernis angeführte Grundsatz der Konfrontationsobliegenheit ist auch unter Berücksichtigung des einer politischen Partei zukommenden besonderen Status schon mangels Vergleichbarkeit der Ausgangslage nicht auf die Bekanntgabe einer Beobachtung übertragbar. Die den Antragsteller eines Organstreitverfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG) treffende Konfrontationsobliegenheit soll gewährleisten, dass der Konflikt, dessen Bereinigung der Antragsteller vor dem Bundesverfassungsgericht begehrt, zuvor für den Antragsgegner erkennbar geworden ist, und ist lediglich Konsequenz des Charakters des Organstreits als kontradiktorisches Verfahren, in dem über streitig gewordene Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten zu befinden ist und damit Ausfluss dessen, was „für den Umgang zwischen Verfassungsorganen als selbstverständlich zu erwarten ist“ (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2019 – 2 BvE 2/18 – juris Rn. 31 und BVerfG, B.v. 10.10.2017 – 2 BvE 6/16 – juris Rn. 19). Darüber hinaus ist die Folge, wenn der Konfrontationsobliegenheit nicht nachgekommen wird, auch lediglich das Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses für den Antrag (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2017 – 2 BvE 6/16 – juris Rn. 18).
362
(2) Auch aus den von der Klägerin ins Feld geführten Grundzügen zur äußerungsrechtlichen Verdachtsberichterstattung ergibt sich kein Anhörungserfordernis vor der Bekanntgabe der Beobachung einer politischen Partei durch den Verfassungsschutz. Soweit die Klägerin hier auf die in der Rechtsprechung entwickelten und auch für die Mitteilung der Staatsanwaltschaft über ein laufendes Ermittlungsverfahren geltenden Grundsätze über eine Verdachtsberichterstattung (vgl. OVG NW, B.v. 4.2.2021 – 4 B 1380/20 – juris; OLG Hamm, U.v. 14.11.2014 – 11 U 129/13 – juris; sowie auch etwa BVerfG, B.v. 7.7.2020 – 1 BvR 146/17 – juris Rn. 16 und BayVGH, B.v. 21.3.2024 – 7 CE 24.218 – juris Rn. 11) Bezug nimmt, lässt sie bereits außer Acht, dass diese Berichterstattung im Bereich des repressiven staatlichen Handelns stattfindet und lediglich ein (allgemeines) Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt. Die Information über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz dagegen ist dem präventiven Bereich der Gefahrenabwehr zuzuordnen und erfüllt damit ein – im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz ausdrücklich normiertes – Informationserfordernis (vgl. für den Verfassungsschutzbericht BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 65). Vor diesem Hintergrund wird zudem der Zeitpunkt, zu dem eine Information über ein laufendes Ermittlungsverfahren sinnvoll erscheint, auch unter Berücksichtigung des Interesses der Öffentlichkeit hiervon zu erfahren, anders zu beurteilen sein, als der Zeitpunkt, an dem die Öffentlichkeit im Sinne des Verfassungsschutzrechts zu informieren ist. Auch ist die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen grundsätzlich lediglich berechtigt, die Öffentlichkeit über ein laufendes Ermittlungsverfahren zu informieren (vgl. VGH BW, B.v. 4.8.2017 – 1 S 1307/17 – juris Rn. 26 f., wonach die Befugnis (erst) bei einer entsprechenden Anfrage durch die Medien, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls anderes gebieten, die entsprechende Pflicht indiziert), während sich aus Art. 27 BayVSG eine Verpflichtung zur Öffentlichkeitsarbeit in Form von Information und Berichterstattung ergibt (vgl. Meermagen in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 39).
363
(3) Ein Anhörungserfordernis ist vorliegend auch nicht von Verfassungs wegen geboten. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der Verbreitung von Informationen, deren Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, von der sorgsamen Nutzung der verfügbaren Informationsquellen abhängig gemacht, zu der ggf. auch die Anhörung der Betroffenen zählen könne (vgl. BVerfG, B.v. 26.6.2002 – 1 BvR 558/91 – juris Rn. 60). Daraus folgt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass eine Anhörung dergestalt, dass vor jedem staatlichen Informationshandeln dem hiervon Betroffenen vorab Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, zwingend geboten wäre (vgl auch BayVGH, B.v. 14.2.2003 – 5 CE 02.3212 – juris Rn. 34 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 23.5.1989 – 7 C 2/87 – juris Rn. 82; HessVGH, B.v. 24.1.2003 – 11 TG 1982/02 – juris Rn. 8; so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1281/22 – juris Rn. 144 f.; vgl. zur Problematik auch Nellesen in Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, § 6 Rn. 88 sowie Veil in Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, § 7 Rn. 111).
364
Die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift vermögen insoweit, insbesondere auch zum Aspekt einer aus den Grundrechten abzuleitenden Ermessensreduzierung auf Null bei der Ausübung eines Verfahrensermessen durch die Verfassungsschutzbehörde nicht zu überzeugen, um eine Anhörungspflicht zu begründen. Der AfD als Beobachtungsobjekt waren die Einstufung und Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz spätestens seit der im Januar 2019 bekanntgemachten Beobachung durch das BfV bekannt. Diese und auch die Bewertung der AfD durch den Verfassungsschutz in mehreren Bundesländern war zudem Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion. Dass sich auch der Bayerische Verfassungsschutz äußern würde, war für die AfD insoweit jedenfalls nicht vollkommen überraschend oder unerwartet. Somit ergibt sich auch nicht aus den Umständen des Einzelfalls im Hinblick auf Art. 21 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, dass eine unterbliebene Anhörung der AfD ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig (gewesen) wäre.
365
(4) Im Übrigen ist mit den prozessualen Möglichkeiten der Verwaltungsgerichtsordnung, insbesondere in Kombination von vorbeugendem Rechtsschutz und Eilrechtsschutz mit der Möglichkeit von Zwischenentscheidungen, ein grundsätzlich effektiver Rechtsschutz eröffnet, sodass auch insoweit ein vorheriges Anhörungserfordernis aus Gründen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erforderlich erscheint.
366
(5) Selbst bei Annahme eines Anhörungserfordernisses wäre aufgrund der Möglichkeit inhaltlicher Beanstandungen im Wege materieller Abwehrrechte das Unterbleiben der Anhörung als jedenfalls heilbarer Formfehler anzusehen und ein etwaiger Anhörungsmangel zwischenzeitlich geheilt worden (siehe bereits oben II.1.c.bb.).
367
Daher bedarf auch die Frage der Fehlerfolge im Falle der Annahme eines Anhörungserfordernisses und dessen Verletzung vor dem Hintergrund der verbleibenden Verteidigungsmöglichkeit inhaltlicher Beanstandungen im Wege materieller Abwehrrechte (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 14.2.2003 – 5 CE 02.3212 – juris Rn. 34 mit Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 23.5.1989 – 7 C 2/87 – juris Rn. 82) keiner Betrachtung.
368
bb. Soweit die Klägerin die Unzulässigkeit einer sog. Verdachtsberichterstattung anführt, vermag sie nicht durchzudringen. Für die Information der Öffentlichkeit ist das Vorliegen hinreichend gewichtiger tatsächlicher Anhaltspunkte maßgeblich, m.a.W. das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, wie sie bereits als Voraussetzung für die Beobachtung normiert sind, mit dem zusätzlichen Erfordernis eines hinreichenden Gewichts (vgl. Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG n.F. sowie Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG in der bis zum 31. Juli 2023 geltenden Fassung). Daraus ergibt sich, dass ein nicht durch belegbare Tatsachen gestützter „bloßer Verdacht“ nicht ausreicht (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 53 mit Verweis auf BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 68 und BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 35), aber gerade auch noch keine Gewissheit bzgl. verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorliegen muss (vgl. LT-Drs. 15/10313, S. 12, 26 f.). Die klägerseitige Differenzierung zwischen einem Verdachtsfall und dem Verdacht eines Verdachts und eine diesbezügliche Information der Öffentlichkeit findet im Bayerischen Verfassungsschutzrecht so keine Grundlage und bedarf keiner näheren Betrachtung (dazu, dass es sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2002 – 1 BvR 1072/01 – juris im Wesentlichen um eine „Auseinandersetzung über Begrifflichkeiten“ handelt, siehe auch Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 24).
369
cc. Die Voraussetzungen für eine Information der Öffentlichkeit liegen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor und sind auch für den Zeitpunkt der Bekanntgabe (siehe dazu auch unten zu 4.) zu bejahen (Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 3 BayVSG sowie Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG a.F.; zur – vorliegend nicht einschlägigen – Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts für den Verfassungsschutzbericht, vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 22 ff).
370
(1) Art. 26 BayVSG in der bis zum 31. Juli 2023 geltenden Fassung wurde durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes (GVBl. 2023, 374) zu Art. 27 BayVSG und dort in seinem Absatz 1 leicht angepasst, womit aber keine inhaltliche Änderung verbunden ist (vgl. LT-Drs. 18/29057, S. 47 mit Verweis auf BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 163). Gemäß Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG in der seit 1. August 2023 geltenden Fassung informiert das BayLfV über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 BayVSG, soweit hinreichend gewichtige Anhaltspunkte hierfür vorliegen, um die Öffentlichkeit einschließlich der Wirtschaft bereits im Vorfeld einer Gefährdung der Verfassungsschutzgüter in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Bedrohungen zu erkennen und diesen in angemessener Weise entgegenzuwirken. Informiert wird nach Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 BayVSG, der die Aufgaben des BayLfV definiert und dazu in Satz 1 auf § 3 BVerfSchG zurückgreift. Die umschreibende Bezeichnung der vom Aufgabenbereich des BayLfV umfassten Schutzgüter wird durch den in Art. 3 Satz 1 BayVSG n.F. neu definierten Begriff der „Verfassungsschutzgüter“ ersetzt und es wird im Interesse der Normenklarheit der Begriff der „Gefahren“, der mit dem klassischen Polizeirecht assoziiert ist, durch den vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Begriff der „Bedrohungen“ ersetzt, der verfassungsschutzspezifische Gefährdungslagen im Vorfeld von Gefahren im polizeirechtlichen Sinn bezeichnet.
371
Liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen nach Art. 3 BayVSG vor, ist das BayLfV zur Berichterstattung in der Öffentlichkeit nicht nur berechtigt, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers, ausgehend von der Prämisse, dass eine wehrhafte Demokratie das Wissen um die von Extremismus ausgehenden Gefahren voraussetzt, dazu auch verpflichtet, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Maßstab für die Entscheidung ist, in welcher Art und Weise darüber berichtet werden darf (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54 mit Verweis auf BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 77; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1609 − juris Rn. 97).
372
(2) Insbesondere ist Art. 27 BayVSG auch auf politische Parteien anwendbar und in seiner Anwendung nicht etwa durch das sog. Parteienprivileg gesperrt. Diesbezüglich wird im Wesentlichen auf die Ausführungen zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die Beobachung Bezug genommen (vgl. II.1.b.). Die Kammer verkennt dabei die mittelbar belastende sanktionierende Wirkung (vgl. für die Einstufung einer Organisation als extremistisch im Verfassungsschutzbericht etwa BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 18 sowie Mallmann in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019 § 16 BVerfSchG Rn. 2a) nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach festgestellt, dass das Parteienprivileg (Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG) – auch in Zusammenschau mit § 43 BVerfGG – nicht grundsätzlich ausschließt, dass eine nicht verbotene Partei in staatlichen Publikationen als verfassungsfeindlich bezeichnet oder andere negative Werturteile über sie abgegeben werden. Es ist dabei aber zu beachten, dass „die Befugnis der Staatsorgane, negative Werturteile über Ziele und Betätigungen nicht verbotener politischer Parteien kundzutun“ nicht unbegrenzt besteht (vgl. etwa bereits BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – juris Rn. 16, 20 sowie B.v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73 – juris Rn. 62). Politische Parteien müssen sich entsprechend ihrer Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG), der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Dazu gehört auch, sich einer Einschätzung als verfassungsfeindlich zu stellen, soweit sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz hält (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 21). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin angeführten – und mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2013 (2 BvR 2436/10, 2 BvE 6/08, juris) aufgehobenen – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2010 (6 C 22/09 – juris). Zwar lässt das Bundesverwaltungsgericht, wie von der Klägerin zurecht angeführt, die Anforderungen für eine Bewertung politischer Parteien im Verfassungsschutzbericht als extremistisch oder verfassungsfeindlich ausdrücklich offen (Rn. 26 a.E.), beschäftigt sich aber im Folgenden mit den Voraussetzungen für ein Informationshandeln der Regierung, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem dann ausreichend Rechnung getragen werde, wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte hinreichend gewichtig seien (BVerwG, 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 31 f.).
373
(3) Es liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte i.S.v. Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG vor, da das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen wahrscheinlicher als deren Nichtvorliegen ist. Die begründete Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen i.S.v. Art. 3 BayVSG wurde bereits umfangreich unter II.1.e. dargestellt. Diese sind auch von hinreichendem Gewicht.
374
(a) Das Merkmal des hinreichenden Gewichts der tatsächlichen Anhaltspunkte wurde ausweislich der Begründung zur Novelle des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes vom 12. Juli 2016 (LT-Drs. 17/10014, S. 54) bereits in Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG a.F. mit aufgenommen und trägt den Anforderungen der Rechtsprechung an die Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 68) Rechnung. In Anlehnung an die strafrechtliche Nomenklatur bei Ermittlungsverfahren und Anklage wird dabei das hinreichende Gewicht dann angenommen, wenn das Vorliegen der Bestrebungen im o.g. Sinn wahrscheinlicher ist als deren Nichtvorliegen (vgl. Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 20 ff., vgl. VG Stuttgart, B.v. 6.11.2023 – 1 K 167/23 – juris Rn. 233 und 235 unter Bezugnahme auf VG München, B.v. 17.4.2023 – M 30 E 22.4913 – juris Rn. 219).
375
(b) Ein hinreichendes Gewicht tatsächlicher Anhaltspunkte ist dabei nicht an das Vorliegen eines aktiv-kämpferischen oder kämpferisch-aggressiven Vorgehens geknüpft. Lässt sich dieses Erfordernis schon nicht aus dem Wortlaut und der früheren Rechtsprechung und Gesetzesbegründung ableiten, ergibt es sich auch – entgegen der Argumentation der Klägerin – nicht aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2022 (B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 18 und B.v. 15.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 16).
376
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht, bedarf es für die Annahme von Bestrebungen keines kämpferisch-aggressiven Vorgehens (BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22/09 – juris Rn. 59 und U.v. 14.12.2020 – 6 C 11/18 – juris Rn. 20 sowie BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 186). Auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom 26. April 2022 wird die Eingriffsschwelle für Überwachungsmaßnahmen der Verfassungsschutzbehörde nicht davon abhängig gemacht, dass „nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung“ eingenommen wird (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 186). In Bezug auf den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden je nach Eingriffsintensität aber zum Teil erhöhte Anforderungen an die Beobachtungsbedürftigkeit gestellt und wird insoweit ausdrücklich differenziert. Als Indizien für die gesteigerte Beobachtungsbedürftigkeit einer Bestrebung können demnach Kriterien entsprechend herangezogen werden, die ein „Darauf Ausgehen“ im Sinne von Art. 21 Abs. 2 und 4 GG (Verbot verfassungswidriger Parteien) indizieren (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 193) und insoweit ausdrücklich gegenüber den „geringeren Anforderungen eines „Sich Richtens“ im Sinne einer „kämpferisch-aggressiven Grundhaltung“ bei Art. 9 Abs. 2 GG und der diesbezüglichen Rechtsprechung abgegrenzt.
377
In den kurz darauf ergangenen (Kammer-)Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2022 wird für die Nennung eines Vereins bzw. einer Studentenverbindung im Verfassungsschutzbericht sodann „an eine aktiv-kämpferische Haltung“ (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 18) bzw. das Vorliegen von „Aktivitäten, die eine aktiv-kämpferische Haltung indizieren“ (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 16) angeknüpft. Hierbei handelt es sich um eine Abgrenzung zu einem „bloßen Haben und Äußern“ von als verfassungsfeindlich bewerteten Meinungen und Gesinnungen und wird bei der Berücksichtung von Meinungsäußerungen vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit gefordert, dass sich in diesen tatsächliche Bestrebungen manifestieren müssen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beiseitigen (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 18). Anknüpfungspunkt ist dabei jedoch die entsprechende Haltung und gerade nicht das – nach Auffassung der Klägerin vorauszusetzende – jeweilige Vorgehen.
378
Soweit die Klägerin aus den (Kammer-)Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein entsprechendes Erfordernis auch bei der Berichterstattung über die Beobachtung politischer Parteien herleiten will, lässt sie überdies außer Acht, dass diese „aktiv-kämpferische Haltung“ bei Organisationen gefordert wird, die gerade nicht grundsätzlich auf Änderung der politischen Verhältnisse ausgerichtet sind, während bei Meinungsäußerungen, die von politischen Parteien abgegeben werden, nach ständiger Rechtsprechung zumindest naheliegt, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen Verhältnisse abgegeben werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.7.2010 – 6 C 22.09 – juris Rn. 61; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 95).
379
Jedenfalls verlangt das Bundesverfassungsgericht auch nach diesen beiden Entscheidungen gerade nicht, dass die Anforderungen i.S.d. Art. 21 Abs. 2 und 4 GG für ein Parteiverbot mit einem „Darauf Ausgehen“ oder ein kämpferisch-aggressives Vorgehen für eine Nennung im Verfassungsschutzbericht und damit eine Information der Öffentlichkeit vorliegen müssen, sondern knüpft vielmehr an die „geringeren Anforderungen“ aus dem Vereinsrecht an.
380
Selbst unter der Annahme, es ergebe sich trotz des Verweises auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Information der Öffentlichkeit im Urteil vom 26. April 2022 (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 187) aus der Gesamtschau der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 und 31. Mai 2022 das Erfordernis einer aktiv-kämpferischen Haltung für eine Bekanntabe einer Beobachtung, ist diese vorliegend angesichts der dargestellten tatsächlichen Anhaltpunkte jedenfalls in Bezug auf Teile der Gesamtpartei AfD durchaus zu bejahen.
381
Die zitierten Äußerungen bedienen sich immer wieder einer deutlich gewalttätigen Sprache. Hier sei auf die Äußerungen über das Aufbauen eines Bedrohungsszenarios durch Menschen mit Migrationshintergrund oder muslimischen Glaubens hingewiesen, das Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten soll. Die dargestellte Wiedereinführung der Todesstrafe etwa oder die Forderung nach Remigration deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund entspringen dabei – durch Ausdrucksweise, bildliche Darstellung, Kontext etc. – erkennbar einer entsprechend feindseligen Grundhaltung in jedenfalls Teilen der AfD. Dass diese durchaus als aktiv-kämpferisch eingestuft werden kann, lassen insbesondere die zum Demokratieprinzip zitierten Äußerungen erkennen, dass etwa „längere Wände als 1989 in Rumänien“ benötigt würden, wobei „Freiwillige für die Pelotons“, also für militärische Einheiten oder Exekutionskommandos, kein Problem sein dürften, man „diese ganze Politik samt ihren Schreiberlingen“ „anzünden müsste“, in Deutschland die „NAST“, eine „Kombi aus Nazi und Stasi“ herrsche und es nur zwei Möglichkeiten gebe: „Entweder die Völker stürzen ihre Regierungen oder die Regierungen vernichten ihre Völker“ (siehe zu den einzelnen Äußerungen jeweils bereits oben).
382
Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, ist die Einlassung der Klägerin, es handle sich nur „um einige wenige Äußerungen von einigen wenigen Personen“, von denen die Klägerin auch nicht Kenntnis gehabt haben müsse, nicht nur eine Verharmlosung der vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte, sondern sachlich unzutreffend. Vielmehr zeichnen sich die Äußerungen auch in inhaltlicher Hinsicht durch eine bedeutende Intensität aus. Der Umstand, dass tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Belege dafür einer mehr oder weniger großen Zahl unverfänglicher Sachverhalte scheinbar untergeordnet sind, besagt allein nichts über ihre Aussagekraft (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 154 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 24.3.2016 – 6 B 5.16 – juris Rn. 9).
383
(c) Entgegen der Annahme in der Gesetzesbegründung in Anlehnung an den der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung zustehenden Beurteilungsspielraum (vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54, bzw. auf die Strukturen der Abwägungskontrolle zurückgreifend, vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 54), dass dem BayLfV bei der Annahme der hinreichenden Gewichtigkeit ein erheblicher und einer richterlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zukomme, ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG und angesichts der Intensität des mit der Veröffentlichung verbundenen Grundrechtseingriffs auch unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsinteressen des Verfassungsschutzes vielmehr Zurückhaltung bei der Einschränkung der Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte geboten (vgl. Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 26 ff.) und von einer gerichtlichen Kontrolle in vollem Umfang auszugehen (vgl. BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 564/19 – juris Rn. 20 – für den unbestimmten Rechtsbegriff der tatsächlichen Anhaltspunkte). Auch nach gerichtlicher Prüfung liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht vor.
384
(d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG), insbesondere unter Berücksichtigung des Art. 21 GG, steht der Information der Öffentlichkeit über die Beobachtung der AfD als Gesamtpartei ebenfalls nicht entgegen.
385
Eine Information der Öffentlichkeit über die Entscheidung, die AfD durch das BayLfV zu beobachten und die im Wesentlichen dafür maßgeblichen Gründe zu benennen, ist zur Aufklärung und Warnung der Öffentlichkeit geeignet, erforderlich und zudem angemessen.
386
Mit ihrem Einwand, der Zweck der Bekanntgabe sei in Zweifel zu ziehen, da keine Veranlassung bestehe, die Öffentlichkeit zu informieren, und damit die Eingriffstiefe zu erhöhen, wenn es dem Verfassungsschutz doch um die Sammlung von Material für ein Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 und 4 GG gehe, verkennt die Klägerin, dass die Bekanntgabe der Beobachtung gerade Teil der Öffentlichkeitsarbeit und damit Ausdruck von Transparenz und der wehrhaften Demokratie ist. Die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit des Staates wird dabei vom Bundesverfassungsgericht nicht nur als verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig angesehen, „um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und über eine Erläuterung der Regierungspolitik hinaus die Bügerinnen und Büger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen“ (BVerfG, U.v. 9.6.2020 – 2 BvE 1/19 – juris Rn. 49). Die wehrhafte Demokratie setzt das Wissen um die Gefahren voraus, die von Extremismus und Terrorismus ausgehen und durch die Aufklärung der Bevölkerung über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten soll zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung, das Schutzgut der wehrhaften oder streitbaren Demokratie, geschützt werden (vgl. Meermagen in BeckOK, Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 1.3.2024, BayVSG, Art. 27 Rn. 7 mit Bezug auf LT-Drs. 17/10014, S. 53 und BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris). Die Information der Öffentlichkeit ist Beitrag zur politischen Auseinandersetzung und als solcher unter den Handlungsmöglichkeiten der Exekutive auch als milderes Mittel im Verhältnis zu einem Parteiverbotsantrag angesehen (vgl. für den Verfassungsschutzbericht BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – juris Rn. 17 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat es gerade als legitim herausgestellt, wenn die mit dem Recht zum Verbotsantrag ausgestatteten obersten Verfassungsorgane, statt von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, zunächst versuchen, eine Partei, die sie für verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG halten, durch eine mit Argumenten geführte politische Auseinandersetzung in die Schranken verweisen zu lassen und dadurch ein Verbotsverfahren überflüssig zu machen. Auch damit erfüllen sie in aller Regel ihren Auftrag, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wahren und zu verteidigen (BVerfG, B.v. 29.10.1975 – 2 BvE 1/75 – juris Rn. 17 ff.). Ohne die Bekanntgabe würde dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit in Bezug auf eine bundesweit, aber gerade auch im Zuständigkeitsbereich des BayLfV agierende Partei und hinreichend gewichtiger tatsächlicher Anhaltspunkte von verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht genügend Rechnung getragen, zumal die inmitten stehende Frage bereits ein zentrales gesellschaftspolitisches Diskussionsthema darstellt. Soweit die Klägerin im Hinblick auf die Bekanntgabe der Beoabchtung durch das BfV das Erfordernis einer eigenen Bekanntgabe der Beobachtung durch den Bayerischen Verfassungsschutz in Frage stellt, ist ergänzend zu den Ausführungen zum Aufbau des Verfassungsschutzverbundes (siehe bereits II.1.g.dd.) ein solches gerade auch in Anbetracht der bundesweiten Betätigung der AfD anzunehmen, um zum einen nicht den Eindruck entstehen zu lassen, im Zuständigkeitsbereich des BayLfV lägen gerade keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, und zum anderen auch Zielrichtung, Art und Weise und zudem den Umfang der Beobachtung aufzuzeigen.
387
Weiter wird auch dem Erfordernis der Angemessenheit Rechnung getragen. Bei der Abwägung der gegensätzlichen Schutzgüter kommt dem Aufklärungsinteresse und der Warn- und Abwehrfunktion im Hinblick auf den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein höheres Gewicht zu. In Anbetracht der politischen Bedeutung der AfD, die im Deutschen Bundestag, zahlreichen Landesparlamenten sowie im Europäischen Parlament vertreten ist, besteht ein erhebliches Bedürfnis, die Öffentlichkeit auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Gerade dann besteht auch die Möglichkeit, sich ggf. auch klarstellend oder korrigierend der politischen Auseinandersetzung zu stellen (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 21 so auch OVG NW, U.v. 13.5.2024 – 5 A 1281/22 – juris Rn. 345).
388
4. Auch der Feststellungsantrag in Bezug auf die Bekanntgabe der Beobachtung am 8. September 2022 (Klageantrag zu 5.) ist unbegründet. Die Information der Öffentlichkeit am 8. September 2022 – in dem nur noch streitgegenständlichen Umfang – war rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.
389
a. Die Bekanntgabe der Beobachtung war auch am 8. September 2022 formell rechtmäßig, insbesondere war keine vorherige Anhörung erforderlich. Ein solcher Anspruch ist wie unter 3. dargestellt weder gesetzlich vorgesehen noch verfassungsrechtlich geboten.
390
b. Der Einwand der Klägerin, es habe im Veröffentlichungszeitpunkt schon an den für eine Beobachtung erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkten, jedenfalls an solchen von hinreichendem Gewicht nach Art. 26 BayVSG a.F. und an länderspezifischen Anhaltspunkten gefehlt, greift aus den unter 1. und 2. dargelegten Gründen nicht durch. Nach den – wie oben dargestellt zutreffenden – Feststellungen der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 lagen zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) bereits am 8. September 2022 und damit zum Zeitpunkt der Pressemitteilung sowohl in Bezug auf die Geltung der Menschenwürde von Muslimen als auch das Demokratieprinzip zahlreiche Äußerungen vor, die von Personen in zentraler Funktion stammen und sich durch verschiedene organisatorische Untergliederungen einer Vielzahl von Landesverbänden, auch den bayerischen, ziehen und daher geografisch ebenso wie hierarchisch weit gestreut sind. Da sich die Äußerungen in inhaltlicher Hinsicht auch durch eine bedeutende Intensität auszeichneten, war auch zum Zeitpunkt der Pressemitteilung am 8. September 2022 das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen wahrscheinlicher als das Nichtvorliegen, weshalb die tatsächlichen Anhaltspunkte sowohl quantitativ als auch qualitativ die Unterrichtung der Öffentlichkeit rechtfertigen.
391
Der Beklagte hat bei der Entscheidung über die Bekanntgabe der Beobachtung der Gesamtpartei zu diesem Zeitpunkt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt (siehe hierzu zunächst unter II.3c.cc.(3)(d)).
392
Soweit die Klägerin anführt, der Eingriff in ihre Rechte sei umso bedeutender, als im Oktober 2023 die Landtagswahl in Bayern stattgefunden habe, ist zu berücksichtigen, dass zwar mit der Unterrichtung der Öffentlichkeit eine Abschreckung potentieller Unterstützer und Wählerinnen und Wähler einhergehen kann. Allerdings setzt eine wehrhafte Demokratie das Wissen um die von Extremismus ausgehenden Gefahren voraus, da eine politische Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen und Bestrebungen ohne eine sachgerechte Information nicht möglich ist. Der Gesetzgeber sieht eine gut informierte Öffentlichkeit als den besten Verfassungsschutz an und hat dem BayLfV deshalb die Rolle eines zentralen Informationsdienstleisters angedacht (s.o. und vgl. LT-Drs. 17/10014, S. 53). Daher hatte die Klägerin jedenfalls den mehr als ein Jahr vor den Wahlen erfolgten Eingriff und die damit verbundenen Nachteile als zumutbar hinzunehmen.
393
Da die Klägerin mit ihrem Klageantrag zu 5. nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bekanntgabe am 8. September 2022 an sich und nicht – zusätzlich – der konkreten Formulierung der Bekanntgabe begehrt, unterbleibt eine diesbezügliche Auseinandersetzung mit den Geboten der inhaltlichen Richtigkeit, Sachlichkeit und Neutralität. Das Verfahren wurde insofern der übereinstimmenden Erledigung zugeführt (s.o.).
III.
394
Die begehrte Androhung eines Ordnungsgeldes (Klageantrag zu 3.) für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die angestrebte Verurteilung zur Unterlassung der Beobachtung (Klageantrag zu 1.) und deren öffentlicher Bekanntgabe (Klageantrag zu 2.) kommt bereits deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung und deren öffentlicher Bekanntgabe hat. Somit besteht keine Veranlassung, auf die Frage der Rechtsgrundlage für eine solche Anordnung näher einzugehen (vgl. insoweit nur BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 160 sowie Sch.t-Kötters in BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, Stand 1.1.2024, § 172 Rn. 6 ff.).
IV.
395
Der Kostenentscheidung, wonach die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu 7/8, der Beklagte zu 1/8 zu tragen hat, liegt zugrunde, dass die Klägerin hinsichtlich der ursprünglich erhobenen Anträge allenfalls in Bezug auf zwei der für erledigt erklärten Anträge und insoweit auch nur teilweise – und zwar in Bezug auf die Formulierung der Überschrift der Pressemitteilung (vgl. insoweit BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 156 ff.) – Aussicht auf Erfolg hatte (vgl. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands erfolgt). Den Anträgen auf Festsetzung von Ordnungsgeld kommt kein eigenständiges Gewicht i.S.v. § 155 VwGO zu.
396
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.
397
Die Festsetzung des Streitwerts auf 40.000,- EUR beruht darauf, dass das Gericht bei der Bemessung des Streitwerts für die Anträge Nr. 1., 2., 4., 6., 7., 8., 9. und 10. aus der Klageschrift vom 5. Oktober 2022 jeweils den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zugrunde gelegt hat. Den Feststellungsklagen kommt aufgrund des abweichenden Beurteilungszeitpunkts und sich daraus ergebenden besonderen Rechtsschutzinteresses jeweils eigenständiges streitwerterhöhendes Gewicht zu. Für eine Orientierung an der jeweils beantragten maximalen Ordnungsgeldhöhe ist kein Raum (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 162).