Titel:
Unbegründetes Ablehnungsgesuch mangels objektiver Tatsachen für einen Ablehnungsgrund
Normenkette:
ZPO § 42 Abs. 1, 2
Leitsätze:
1. Nach § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob auch vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen genügend objektive, dh nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen. (Rn. 8) (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine den Beteiligten ungünstige und möglicherweise auch unrichtige Rechtsauffassung kommt als Ursache für die Parteilichkeit des Richters nicht in Betracht, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befangenheitsantrag, Besorgnis der Befangenheit, Akteneinsicht, Ablehnungsgesuch, Unparteilichkeit, objektive Tatsachen, unrichtige Rechtsauffassung, unsachliche Einstellung
Vorinstanzen:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 19.02.2024 – 4 Ta 15/22
ArbG Würzburg vom -- – 4 Ca 1071/21
Rechtsmittelinstanz:
BVerfG Karlsruhe vom 01.10.2024 – 1 BvR 770/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31531
Tenor
Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 31.01.2024 gegen den Vorsitzenden der Kammer 4, Richter am Landesarbeitsgericht G., wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der Kläger hat Akteneinsicht beantragt. Diese wurde ihm auf der Geschäftsstelle des Gerichtes gewährt und gebeten, einen Termin mit der Geschäftsstelle zu vereinbaren. Der Kläger vereinbarte keinen Termin und beantragte Übersendung der Akte per Post. Dies wurde abgelehnt. Der Kläger lehnte daraufhin den zuständigen Richter unter einer Bedingung ab wegen der Besorgnis der Befangenheit. Das Gericht bestimmte Termin zur Akteneinsicht und wies darauf hin, dass nur in den rechtsbeschwerdegegenständlichen Verfahren die Akten an das BAG übermittelt wurden. Daraufhin teilte der Kläger mit, den Termin zur Akteneinsicht wahrnehmen zu wollen und stellte einen unbedingten Befangenheitsantrag. Er führte zur Begründung aus, der Vorsitzende lehne es ab, seine Ermessensentscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht zu überdenken sowie die Unterlassung der Untersuchung der Prozessfähigkeit des Beklagten kritisch zu überprüfen. Letzteres gelte auch für die Frage der Überprüfung und Erkennung der eigenen Rechtswegzuständigkeit. Auch die Festsetzung des Streitwertes gebe Anlass zur Besorgnis, dass sachfremde Erwägungen in diese Entscheidung eingeflossen wären. Es seien auch nicht alle Akten an das BAG übersandt worden.
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Ferner macht er wieder eine Infektion des abgelehnten Richters mit einem Parasiten geltend, die diesen bei seiner Entscheidungsfindung beeinträchtigen würde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vortrages wird auf seinen Schriftsatz vom 31.01.2024 (Bl. 3815 – 3837 der Akte) und den weiteren Schriftsatz vom 16.02.2024 nebst Anlagen (Bl. 3908 – 3976 der Akte) verwiesen.
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Der abgelehnte Richter hat sich mit dienstlicher Stellungnahme vom 01.02.2024 (Bl. 3839 f der Akte) geäußert.
5
Der Beklagte hat mitgeteilt, dass er den abgelehnten Richter nicht für befangen hält.
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Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 31.01.2024 ist unbegründet.
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1. Nach § 64 Abs. 7 ArbGG gelten im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht die Vorschriften über die Ablehnung von Gerichtspersonen nach § 49 Abs. 1 und Abs. 3 ArbGG entsprechend. Nach § 49 Abs. 1 ArbGG entscheidet die Kammer ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters nach § 45 Abs. 1 ZPO. Dessen Vertreter ist der Vorsitzende der Kammer 7 des LAG.
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2. Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter von einer Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Nach § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Vorsitzenden zu rechtfertigen.
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a) Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Bei Anlegung dieses objektiven Maßstabes kommt es entscheidend darauf an, ob die Prozesspartei, die das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von ihrem Standpunkt aus Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Es muss also die Befürchtung bestehen, dass der abgelehnte Richter in die Verhandlung und Entscheidung des gerade anstehenden Falles sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falles und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Unter Befangenheit ist danach ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte und von jeder falschen Rücksicht freie Entscheidung zur Sache beeinträchtigt.
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Entscheidend ist dabei nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob auch vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen genügend objektive, d. h. nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu erzeugen, BAG, Beschluss vom 07.11.2012 – 7 AZR 646/10 (A) –, Rn. 18; ferner BAG, Beschluss vom 20.08.2019 – 3 AZN 530/19 (A), Rn. 8. Eine den Beteiligten ungünstige und möglicherweise auch unrichtige Rechtsauffassung kommt damit als Ursache für die Parteilichkeit des Richters nicht in Betracht, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür, BAG, Beschluss vom 06.08.1997 – 4 AZR 789/95 (A) –, Rn. 14.
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b) Entsprechendes gilt nach den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Nach dieser Regelung hat jede Person u.a. ein Recht darauf, dass in zivilrechtlichen Streitigkeiten vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verhandelt wird. Das richtet sich nach subjektiven und objektiven Kriterien. Nach den subjektiven Kriterien ist zu prüfen, ob ein Richter eine persönliche Überzeugung oder ein persönliches Interesse bezogen auf einen bestimmten Fall hat. Objektiv kommt es darauf an, ob ausreichende Sicherheit besteht, dass legitime Zweifel in dieser Hinsicht ausscheiden. Maßgeblich ist, ob Tatsachen feststellbar sind, die unabhängig vom persönlichen Verhalten Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen lassen. Dabei kann schon der Schein von einiger Bedeutung sein. Der Standpunkt der Partei, die die Befangenheit geltend macht, ist dabei wichtig, aber nicht entscheidend. Maßgeblich ist, ob die Besorgnis der Befangenheit objektiv gerechtfertigt ist, EGMR, Entscheidung vom 03.07.2012 – 66484/09 – (Mariusz Lewandowski./. Polen), Rn. 41 ff.
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c) Hier liegt bei objektiver Betrachtungsweise eine Besorgnis der Befangenheit bei dem abgelehnten Richter nicht vor.
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(1) Der abgelehnte Richter vertritt bei der Frage der Gewährung der Akteneinsicht im Rahmen seines Ermessens, bei der Frage der Notwendigkeit, den Beklagten auf seine Prozessfähigkeit untersuchen zu lassen und bei der Frage der Streitwertfestsetzung eine andere Rechtsaufassung als der Kläger. Dies ist nach den eingangs dargestellten Maßstäben kein Grund, der eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnte.
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(2) Das Gericht hat nicht alle, sondern nur die Beschwerdeakten an das BAG übersandt, in denen Rechtsbeschwerde eingelegt wurde. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der abgelehnte Richter war zu dem damaligen Zeitpunkt dafür auch gar nicht verantwortlich. Dies ist nach den eingangs dargestellten Maßstäben ebenfalls kein Grund, der eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnte.
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(3) Eine Besorgnis der Befangenheit ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der abgelehnte Richter an einer infektiös bedingten geistigen Beeinträchtigung leiden würde. Das Gericht schließt sich hier den Ausführungen des BAG, Beschluss vom 28.03.2023 – 9 AZM 1/23 – zu einem Ablehnungsgesuch des Klägers in einem weiteren Verfahren gegen den Beklagten wegen einer behaupteten Befangenheit von Richtern des Bundesarbeitsgerichtes an:
„Soweit der Kläger meint, dass die Eignung und die Dienstfähigkeit der abgelehten Richter in Zweifel zu ziehen seien, bringt er hierfür keine nachvollziehbaren Gründe vor. Die Mutmaßung einer geistigen Beeinträchtigung der Richter wegen einer Infektion entbehrt einer Grundlage. Gleiches gilt, soweit der Kläger „vorsorglich … alle Richter ohne Nachweis ihrer Seronegativität als befangen“ ablehnt, ohne diese konkret zu bezeichnen.“
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben nach § 64 Abs. 7 ArbGG i.V.m. § 49 Abs. 3 ZPO.