Titel:
Einstellung von Straßenbauarbeiten - öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch
Normenketten:
VwGO § 123, § 146
GG Art. 14
BGB § 1004
BayNWFreiV § 3, § 4
Leitsätze:
1. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt die begründete Besorgnis voraus, der Anspruchsgegner werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des Anspruchstellers eingreifen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot reicht es nicht aus, dass eine Beeinträchtigung eines Dritten möglich erscheint; erforderlich ist vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, Entwässerung einer Gemeindestraße, Eigentumsstörung (verneint), Rücksichtnahmegebot
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 20.11.2023 – M 28 E 23.4342
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3143
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Eilrechtsschutzverfahren die Einstellung der Bauarbeiten an einer Gemeindeverbindungsstraße, die an seine Grundstücke grenzt.
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Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. … und …1 Gemarkung G.. Zwischen den Grundstücken verläuft auf FlNr. …2 eine Gemeindeverbindungsstraße, die derzeit von der Antragsgegnerin ausgebaut wird. Das auf der Straßenoberfläche anfallende Niederschlagswasser soll wie bisher in einen Entwässerungsgraben westlich der Straße (Straßenseite bei Grundstück FlNr. …1) eingeleitet und versickert werden. Bei Baukm 1+370 ist ein Durchlass in den Straßengraben eingebunden, dessen Auslauf im Osten (bei Grundstück FlNr. …*) mit Pflastersteinen gefasst werden soll. Der Planung liegt eine zu entwässernde Straßenfläche von ca. 1.730 m2 statt bisher 1.420 m2 zugrunde; das Fassungsvermögen des Entwässerungsgrabens soll demgemäß von bisher 14 m3 auf ca. 50 m3 erhöht werden.
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Am 3. September 2023 hat der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben mit dem Ziel, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Entwässerung der Straße auf sein Grundstück FlNr. … einzurichten sowie bereits vorgenommene Maßnahmen und Anlagen zurückzubauen; über die Klage wurde noch nicht entschieden (Az. M 28 K 23.4362). Zudem hat er nach § 123 VwGO beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bauarbeiten für die Straße, soweit diese die Entwässerung in sein Grundstück betreffen (Entwässerungsgraben, Durchlass), einzustellen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 20. November 2023 abgelehnt. Der Antragsteller habe eine Verletzung subjektiver Rechte nicht glaubhaft gemacht. Der Aussage des Ingenieurbüros, das Fassungsvermögen des bestehenden Entwässerungsgrabens werde deutlich erhöht, sei er nicht ansatzweise substanziiert entgegengetreten. Im Gegenteil dürfte der Antragsteller von der Ausbaumaßnahme profitieren, weil sie ihm die Erfüllung seiner eigenen Entwässerungspflichten ermögliche. Seine Behauptung, durch die Erneuerung des Straßengrabens werde Straßenwasser gezielt auf sein Grundstück entwässert, könne im Hauptsacheverfahren geklärt werden; dass bis dahin nennenswerte oder gar unzumutbare Beeinträchtigungen seines Grundeigentums eintreten könnten, sei weder substanziiert dargelegt noch ersichtlich. Auf das etwaige Fehlen einer wasserrechtlichen Erlaubnis für die Versickerung gesammelten Niederschlagswassers könne sich der Antragsteller nicht berufen.
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Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtschutzbegehren weiter. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass das Straßenwasser ohne Anschluss an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung evident rechtswidrig in sein privates Grundstück abgeleitet werde. Das Grabenvolumen von 50 m3 reiche für ca. 2.000 m2 versiegelte Fläche nicht aus. Aus § 4 Abs. 1 NWFreiV ergebe sich eine drittschützende Wirkung; eine Vorreinigung des zu versickerndes Wassers diene auch dem Schutz seines Grunds und Bodens. Die Einstellung der Bauarbeiten sei auch deshalb geboten, weil seine Grundstücke bei dem Straßenausbau rechtswidrig überbaut worden seien.
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die Antragsgegnerin unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München zu verpflichten, die Bauarbeiten für die Gemeindeverbindungsstraße auf FlNr. …2 Gemarkung G., soweit diese die Entwässerung in das Grundstück des Antragstellers FlNr. … betreffen (Straßenentwässerungsgraben, Durchlass ausweislich der Planung, Anlage K 1, Ing. Büro W., P.*), bis zur Entscheidung in der Hauptsache einzustellen und bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Einleitung von Niederschlagswasser vom Straßenkörper zu unterlassen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Straßenbauarbeiten betreffend die Entwässerung in das Grundstück des Antragstellers bis zur Entscheidung in der Hauptsache einzustellen, zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht, mit der es der Antragsgegnerin vorläufig untersagt wird, Niederschlagswasser vom Straßenkörper auf sein Grundstück zu leiten (zur ausnahmsweisen Zulässigkeit einer Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2023 – 8 CS 22.2500 – juris Rn. 21).
13
Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt die begründete Besorgnis voraus, der Anspruchsgegner werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des Anspruchstellers eingreifen (vgl. BVerwG, B.v. 29.4.1985 – 1 B 149.84 – juris Rn. 9; B.v. 10.1.2022 – 7 B 13.21 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 8 CE 21.2499 – BImSchG-Rspr. § 43 Nr. 28 = juris Rn. 15). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, zeigt die Beschwerde nicht auf; insbesondere ist eine rechtswidrige Eigentumsstörung nicht glaubhaft gemacht.
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1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass sich das Fassungsvermögen des Entwässerungsgrabens auf dem Grundstück FlNr. …2 der Antragstellerin durch die Ausbaumaßnahme deutlich erhöhen wird. Die Behauptung des Antragstellers, laut eigener Berechnung und ausweislich der Berechnungen des Ingenieurbüros W. reiche ein Grabenvolumen von 50 m3 nicht aus, ist durch nichts belegt. Abgesehen davon gibt der Antragsteller die zu entwässernde Straßenfläche mit ca. 2.000 m2 zu hoch an; die Berechnungen des Planungsbüros ergaben 1.730 m2.
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In dem Straßengraben soll das gesammelte Niederschlagswasser – nun mithilfe von Kaskaden bzw. Schwellen und Sickerschlitzen – versickert werden (vgl. E-Mail der Planungsgesellschaft W. an den Antragsteller vom 4.9.2023, VG-Akte [nicht paginiert] Blatt 23). Ein „Ableiten“ oder „Einleiten“ von Niederschlagswasser auf das Grundstück FlNr. … des Antragstellers, wie es die Beschwerde nennt, ist nicht geplant; vielmehr soll das Niederschlagswasser – wie es das Gesetz vorsieht (vgl. § 55 Abs. 2 WHG, Art. 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayWG) – ortsnah bzw. dezentral versickert werden.
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2. Die Behauptung des Antragstellers, das im Entwässerungsgraben zur Versickerung in das Grundwasser gesammelte Niederschlagswasser werde durch den umgebauten Durchlass – einschließlich von Fremdstoffen (z.B. Schotter) – gezielt auf sein landwirtschaftlich genutztes Grundstück FlNr. … geleitet und führe dort zu einer erheblichen Vernässung, bleibt vage und spekulativ. Nicht aufgezeigt wird, inwiefern die Straßenausbaumaßnahme dazu führen sollte, dass das im Entwässerungsgraben gesammelte Niederschlagswasser vermehrt auf Grundeigentum des Antragstellers überträte und diese vernässte; insbesondere eine Missachtung anerkannter Regeln der Straßenbautechnik und der Wasserwirtschaft bei der Bauausführung legt die Beschwerde nicht dar (vgl. auch BGH, U.v. 31.10.2019 – III ZR 64.18 – BGHZ 223, 317 = juris Rn. 16; U.v. 23.4.2015 – III ZR 397/13 – BayVBl 2015, 610 = juris Rn. 17).
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Das vorliegende Eilverfahren bietet deshalb keinen Anlass zur Entscheidung, ob eine erhebliche Eigentumsstörung erst vorliegt, wenn sich der vor der Ausbaumaßnahme bestehende – ggf. vom Antragsteller seit längerer Zeit hingenommene – Grundstückszustand verschlechtert oder ob auf eine Verschlechterung des natürlichen Ursprungszustands abzustellen ist (vgl. BGH, U.v. 31.10.2019 – III ZR 64.18 – BGHZ 223, 317 = juris Rn. 16; U.v. 26.1.2017 – III ZR 465/15 – AUR 2017, 140 = juris Rn. 16).
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3. Soweit der Antragsteller die Erlaubnisfreiheit der – grundsätzlich erlaubnispflichtigen (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 4 WHG) – Versickerung nach § 3 NWFreiV in Frage stellt, weil eine Straßenfläche von über 1.000 m2 an den Entwässerungsgraben angeschlossen wird, kann er nicht durchdringen. Ob die landesrechtliche Regelung, die bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Verordnung nach § 46 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 WHG weiter gilt (vgl. BT-Drs. 16/12275 S. 65), im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 1 NWFreiV („nachteilige Wirkungen für andere zu verhüten“) auch dem Schutz Dritter dient (allgemein zum Drittschutz im Wasserrecht vgl. BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1590 – juris Rn. 31), kann dahinstehen. Denn für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot reicht es nicht aus, dass eine Beeinträchtigung des Dritten möglich erscheint; erforderlich ist vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2023 – 7 B 10.23 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 8 ZB 19.1481 – ZfW 2020, 134 = juris Rn. 13). Eine solche hat die Antragstellerseite auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht.
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4. Der Vortrag, die Grundstücke des Antragstellers seien mit der Straße überbaut worden, ist nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO erfolgt und daher nicht zu berücksichtigen. Abgesehen davon wurde durch die nicht näher erläuterte Vorlage von Lichtbildern und Planfotos ein vorhabenbedingter Überbau von Grundeigentum des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG unter Anwendung von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).