Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 21.08.2024 – RN 5 K 23.1400
Titel:

Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung

Normenketten:
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2
MPhG §§ 1, 2
Schlagwort:
Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31389

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen gegen ihn ergangenen Bescheid des Beklagten, der den Widerruf seiner Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ zum Inhalt hat.
2
Dem am …1977 geborenen Kläger wurde am …2019 vom Beklagten durch die Regierung der Oberpfalz die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut erteilt. Seit …2022 betreibt der Kläger hauptberuflich eine Praxis für Physiotherapie „P. – …“ auf der … in … Mit E-Mail vom 15.5.2023 erlangte der Beklagte davon Kenntnis, dass der Kläger vom Amtsgericht – Schöffengericht – X. am …2022, Az. … wegen sexueller Nötigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt wurde. Das Urteil ist seit …2022 rechtskräftig.
3
Dem Urteil lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
„Am …2021 gegen …1 Uhr führte der Kläger als Angestellter im Hotel …, … in … bei der dort als Gast residierenden Geschädigten L1. gebuchte Massagebehandlungen durch. Die geschädigte L1. war während der Massagebehandlung unbekleidet. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Verlauf der Massagebehandlung fasste der Kläger zielgerichtet und für die Geschädigte L1. nicht vorhersehbar und nicht abwendbar mehrfach an ihre Schamlippen und an ihren Anus. Dem Kläger war dabei bewusst, dass die geschädigte L1. nicht mit derartigen Handlungen rechnete und damit auch nicht einverstanden war. Der Kläger nutzte jedoch bewusst aus, dass die Geschädigte L1. aufgrund des Überraschungsmoments seine Handlungen nicht unterbinden konnte.
Am …2021 gegen …2 Uhr führte der Kläger bei der dort ebenfalls als Gast residierenden Geschädigten L2. in einem Massageraum des dortigen Hotels eine von der Geschädigten L2. gebuchte Massagebehandlung durch. Die Geschädigte L2. war während der Massage Behandlung mit einem Bikinihöschen bekleidet. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Verlauf der Massagebehandlung fasste der Kläger zielgerichtet und für die Geschädigte L2. nicht vorhersehbar und abwendbar mehrfach an deren Brüste und massierte diese. Anschließend zog er der auf dem Bauch liegenden Geschädigten das Bikinihöschen bis auf die Knie herunter. Danach verteilte der Kläger Massageöl auf das Gesäß der Geschädigten L2. und griff ihr bei der anschließenden Massage mehrfach über den Anus und die Schamlippen. Dem Kläger war dabei bewusst, dass die Geschädigte L2. nicht mit derartigen Handlungen rechnete und damit auch nicht einverstanden war. Der Kläger nutzte jedoch bewusst aus, dass die Geschädigte L2. aufgrund des Überraschungsmoment seine Handlungen nicht unterbinden konnte.
Nachdem die „Massage“ bereits rund 45 Minuten angedauert hatte und der Kläger in diesem Zeitraum die Geschädigte fortlaufend in sexuell intendierte Weise berührt hatte, drang er im Zuge der „Massagebewegungen“ mit jeweils einem Finger vaginal in die Geschädigte L2. ein. Zu diesem Zeitpunkt war der Geschädigten bewusst, dass jederzeit wieder mit sexuellen Handlungen des Klägers zu rechnen war. Aus Angst bzw. Unsicherheit, wie sie mit dieser belastenden Situation umgehen sollte, entschloss sich die Geschädigte jedoch nach Abwägung der ihr zur Verfügung stehenden Option dazu, zunächst keinerlei Reaktion zu zeigen. Erst nachdem der Kläger seinen Finger vaginal in sie eingeführt hatte, schlug die Geschädigte mit einem Arm nach hinten aus, worauf hin der Kläger sofort von ihr abließ und die Massage beendete.“
4
Mit Schreiben des Beklagten vom 16.5.2023 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass der Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut beabsichtigt werde. Dem Kläger wurde mit selbem Schreiben Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 9.6.2023 gegeben.
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Mit Schreiben vom 26.6.2023 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten zum beabsichtigten Widerruf Stellung nehmen. Im Wesentlichen ließ der Kläger vortragen, dass er von seiner Prozessbevollmächtigten im Strafverfahren nicht gut beraten worden sei. Der Kläger sehe sich weiterhin als zuverlässig an. Es handele sich um eine erstmalige strafrechtliche Verurteilung, im Vorfeld sei der Kläger strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Zudem sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Der Widerruf der Berufserlaubnis bedrohe die wirtschaftliche Existenz des Klägers. Eine anzustellende Prognose können nicht dazu führen, dass der Kläger als unzuverlässig zur weiteren Berufsausübung als Physiotherapeut anzusehen sei.
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Mit Schreiben vom 19.7.2023 erließ der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid,
Az.: …, mit folgendem Inhalt:
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1. Die von der Regierung der Oberpfalz am …2019 an Herrn …, geb. …1977, erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ wird widerrufen.
8
2. Herr … wird verpflichtet das Original der Urkunde über die ihm erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ einschließlich aller in seinem Besitz befindlichen beglaubigten Ablichtungen, Abschriften und Ausfertigungen der Urkunde binnen 1 Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheids an die Regierung von N. herauszugeben.
9
3. Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 1.des Bescheids wird angeordnet.
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4. Falls Herr … der in Ziffer 2. dieses Bescheids auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR zur Zahlung fällig.
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5. Herr … trägt die Kosten des Verfahrens.
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6. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr von 150,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 3,45 EUR.
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Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich aus den Feststellungen des Strafurteils ergebe, dass der Kläger nicht mehr die geforderte Zuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs Physiotherapeut gewähre. Der Beklagte habe die Feststellungen des Strafurteils zur Entscheidungsgrundlage für den Widerruf machen dürfen. Bei dem Vergehen des Klägers handele es sich gerade um eine Verletzung einer wesentlichen Berufspflicht, da auch der Physiotherapeut im Rahmen seiner täglichen Behandlung Massagen durchführe. Die Berufspflichtverletzung sei auch erheblich gewesen, da der Kläger das ihm entgegengebrachte Vertrauen während einer Behandlung ausgenutzt habe. Auch falle die Zukunftsprognose zu Ungunsten des Klägers aus. Hierbei komme es auf eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände an; die Bewertung dieser führe dazu, dass der Kläger auch künftig in vergleichbarer Weise seine Berufspflichten verletzen werde. Der Widerruf verfolge den legitimen Zweck des Patientenschutzes. Der Widerruf erfolge nach pflichtgemäßer Ermessensausübung des Beklagten und sei darüber hinaus verhältnismäßig. Das wichtige Gemeinschaftsgut der Funktionsfähigkeit der Gesundheitspflege, der Schutz der Patienten sowie der Schutz des Ansehens des Berufsstandes Physiotherapeut und der Schutz der Volksgesundheit würden die wirtschaftlichen Interessen sowie den Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers überwiegen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 3.8.2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben und um einstweiligen Rechtsschutz ersuchen. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde dort unter dem Aktenzeichen RN 5 S 23.1399 geführt.
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Zur Begründung ließ der Kläger im Wesentlichen ausführen, dass der Bescheid rechtswidrig sei, da der Tatbestand des Strafurteils ohne weitere Prüfung als korrekt angenommen worden sei. Es habe gerade nicht – wie vom Beklagten behauptet – eine ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung stattgefunden. Der Kläger sei im Strafverfahren schlecht und falsch beraten sowie vertreten worden. Die damalige Klägerbevollmächtigte habe offenkundig keine hinreichende Kenntnis vom Strafrecht in Bezug auf das Medizinrecht und habe dem Kläger erläutert, dass er keine weiteren Folgen zu der Verurteilung zu befürchten hätte, da eine Freiheitsstrafe auf Bewährung ausgeurteilt worden sei, welche nicht vollstreckt werde. Dies habe den Kläger im Glauben gelassen, ein wirklich gutes Ergebnis erzielt zu haben, da er von dieser Verurteilung rein gar nichts spüren würde. Insbesondere sei ihm nicht mitgeteilt worden, dass seine Berufserlaubnis und sein Aufenthaltstitel in Gefahr seien. Anderenfalls hätte der Kläger auf jeden Fall Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen lassen.
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Darüber hinaus habe der Kläger gerade nicht gegen subjektive Rechte oder Rechtsgüter eines Einzelnen verstoßen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Feststellungen des Strafurteils seitens des Beklagten ungeprüft übernommen worden seien. Es gebe deshalb keine Veranlassung davon auszugehen, dass dem Kläger keine hinreichende Zuverlässigkeit mehr zukomme. Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen und mit Ausnahme des in der strafrechtlichen Angelegenheit festgehaltenen Sachverhalts sei der Kläger noch nie negativ aufgefallen. Er habe über viele Jahre hinweg täglich Menschen behandelt, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei, und auch nach den angeblichen Vorkommnissen des Strafverfahrens habe er stets korrekt gehandelt. Das Strafgericht sei in seiner Prognose auch davon ausgegangen, dass weitere Verfehlungen vom Kläger nicht zu erwarten seien. Eine anzustellende Zukunftsprognose müsse deshalb zugunsten des Klägers vorgenommen werden.
17
Der Beklagte gehe zu Unrecht von einem Fehlverhalten im beruflichen Umfeld der Therapie aus, ein solches liege aber nicht einmal vor, würde man die strafrechtlichen Feststellungen als zutreffend unterstellen. Der Kläger sei als Physiotherapeut tätig, die angeblichen Verfehlungen seien jedoch bei der Abgabe von Wellnessleistungen erfolgt. Es fehle hier am Zusammenhang zur Heilbehandlung. Eine Berufspflichtverletzung liege somit nicht vor, mangels eines Zusammenhangs mit seiner beruflichen Tätigkeit liege deshalb schon kein Fehlverhalten vor. Bei der Argumentation des Beklagten, dass vom Kläger erneut vergleichbare erhebliche rechtswidrige Taten unter grober Verletzung seiner Pflichten begangen werden könnten, handele es sich um bloße Behauptungen, welche mit den tatsächlichen Umständen – auch unter Berücksichtigung des Strafverfahrens – nicht in Einklang zu bringen seien. Bei den vom Beklagten zitierten Kommentarfundstellen in der Begründung des Bescheids handele es sich um solche aus dem Bereich der Pflegeberufe, Rechtsprechung und Kommentarliteratur aus diesem Bereich seien jedoch auf Physiotherapeuten nicht anwendbar.
18
Der Widerruf sei weder ein geeignetes Mittel noch erforderlich. Dies ergebe sich schon daraus, dass kein Fehlverhalten bei einer Heilbehandlung vorliege.
19
Der Kläger ließ beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 19.7.2023, Az.: … aufzuheben.
20
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
21
Zur Begründung verweist der Beklagte zunächst vollumfänglich auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids. Insbesondere habe der Beklagte die Feststellungen des Strafurteils zur Grundlage der Beurteilung der Persönlichkeit des Klägers machen dürfen, da es an Anhaltspunkten dafür fehle, dass diese Feststellungen unrichtig gewesen seien. Zudem habe der Beklagte die Feststellungen auch nicht ungeprüft übernommen, sondern nach Einsicht in die Strafakte eine eigene Prüfung der Umstände durchgeführt. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit obliege allein dem Beklagten und könne nicht mit der günstigen Sozialprognose des Strafgerichts gleichgesetzt werden. Zudem könne der Kläger nach Wiedererlangung seiner Zuverlässigkeit erneut einen Antrag auf Wiedererteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Physiotherapeut stellen, der Widerruf erfolge gerade nicht auf Lebenszeit. Es sei erneut deutlich darauf hinzuweisen, dass auch ein Fehlverhalten im Rahmen von Wellnessmassagen eine Berufspflichtverletzung für einen Physiotherapeuten darstelle. Darüber hinaus sei jedoch zusätzlich darauf hinzuweisen, dass auch Straftaten im außerberuflichen Kontext zur Unzuverlässigkeit eines Physiotherapeuten führen könnten. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung handele es sich um solche Vergehen, die die Vertrauensbeziehung zwischen Physiotherapeut und Patient in besonderem Maße stören würden. Ein Patient müsse darauf vertrauen können, dass der Therapeut eine Behandlungssituation nicht zu seinem Nachteil missbrauche.
22
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen – auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes RN 5 S 23.1399 –, die Gerichtsakte und die Behördenakte sowie die Strafakte des Amtsgericht X., welche das Gericht zum Verfahren hinzugezogen hat, verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
24
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Widerrufsbescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, mithin des Erlasses des Bescheides vom 19.7.2023. Insoweit gilt für den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ nichts anderes als allgemein für die gerichtliche Überprüfung des Widerrufs einer heilberuflichen Erlaubnis bzw. einer ärztlichen Approbation (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10 [Logopäde]; B.v. 9.11.2006 – 3 B 7.06 – juris Rn. 10 [Arzt]).
II.
25
Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ ist Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Masseur- und Physiotherapeutengesetz vom 26.5.1994, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 11.7.2021 (BGBl. I 2754) – (MPhG). Anders als andere Heil- und Pflegeberufegesetze, etwa die Bundesärzteordnung (§ 5 BÄO), das Psychotherapeutengesetz (§ 5 PsychThG), das Gesetz über den Beruf des Logopäden (§ 3 LogopG) oder das Pflegeberufegesetz (§ 3 PflBG), enthält das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie keine spezielle Regelung für den Erlaubniswiderruf, so dass hierfür die allgemeinen Vorschriften des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes zur Anwendung kommen.
26
Dies zugrunde gelegt gilt, dass ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt gemäß Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden darf, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschriften zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist (Nr.1), wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2), wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Nr. 3), wenn die Behörde aufgrund einer nachträglich geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder aufgrund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Nr. 4) oder um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen (Nr. 5).
27
Auf dieser Grundlage war die Regierung von Niederbayern berechtigt, die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung des Klägers zu widerrufen.
28
1. Die Rechtmäßigkeit des Widerrufs beurteilt sich nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG, weil es sich bei der mit Bescheid der Regierung der Oberpfalz vom …2019 erteilten Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ um einen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt handelt. Wer die Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ führen will, bedarf gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MPhG der Erlaubnis. Diese darf nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 MPhG nur erteilt werden, wenn sich der Antragsteller nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt. Diese Erlaubnisvoraussetzung ist für den Kläger nachträglich entfallen.
29
a) Der Begriff der beruflichen Unzuverlässigkeit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Bereich der Heilberufe und Heilhilfsberufe im Grundsatz geklärt. Unzuverlässigkeit liegt demnach vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Berufsausübende keine Gewähr für eine künftige ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Nicht ordnungsgemäß ist die Berufsausübung durch eine Person, die nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Einhaltung der Vorschriften und Pflichten, die ihr Beruf mit sich bringt, zu gewährleisten (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10; B.v. 9.1.1991 – 3 B 75.90 – juris Rn. 3; B.v. 10.12.1993 – 3 B 38.93 – juris Rn. 3). Bei der Unzuverlässigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Für die im Rahmen des Widerrufs einer Berufserlaubnis geforderte Prognose zur Beurteilung der Zu- bzw. Unzuverlässigkeit kommt es darauf an, ob der Betroffene willens und in der Lage ist, künftig seine beruflichen Pflichten zuverlässig zu erfüllen. Maßgeblich ist der jeweilige Gesamteindruck des Verhaltens des Betroffenen im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sowie sein vor allem durch die Art, die Schwere und die Zahl der Verstöße gegen die Berufspflichten manifest gewordener Charakter. Dabei sind die gesamte Persönlichkeit des Erlaubnisinhabers und seine Lebensumstände zu würdigen (vgl. zum Widerruf einer ärztlichen Approbation BVerwG, B.v. 9.11.2006 – 3 B 7.06 – juris Rn. 10; vgl. zum Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Logopäde“ BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10).
30
b) Der Kläger war im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens als unzuverlässig im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 MPhG anzusehen.
31
Es liegen hinreichende Erkenntnisse dazu vor, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens wesentliche Berufspflichten eines Physiotherapeuten in solch gravierender Weise verletzt hat, dass dies im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids am 19.7.2023 die Prognose rechtfertigte, er werde künftig seine beruflichen Pflichten nicht zuverlässig erfüllen. Die Regierung von Niederbayern hat, in beanstandungsfreier Weise, die Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsorgane einer eigenständigen Bewertung hinsichtlich der von einer weiteren Berufsausübung ausgehenden Gefahren unterzogen und auf dieser Grundlage ein gravierendes Fehlverhalten im beruflichen Wirkungskreis angenommen und eine berufsbezogene Zuverlässigkeitsprognose zu Lasten des Betroffenen getroffen (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NJW 1991, 1530 f.; NdsOVG, B.v. 4.5.2012 – 8 ME 218/11 – juris Rn. 5).
32
Der vom Amtsgericht X. – Schöffengericht – festgestellte Sachverhalt, welcher als Grundlage des Strafurteils vom …2022 diente, kann als zutreffend angesehen werden. Der Kläger bestreitet nach wie vor, dass dieser seit …2022 rechtskräftig festgestellte Sachverhalt zutrifft, und ließ dies auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals durch seinen Bevollmächtigten vortragen. Die zur Entscheidung berufene Kammer hegt dennoch keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen. Grundsätzlich darf ein durch ein Strafgericht bereits rechtskräftig festgestellter Sachverhalt zur Entscheidung herangezogen werden, soweit die im Verwaltungsverfahren zur Entscheidung berufene Kammer keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hegt und nicht aufgrund eigener Ermittlungen besser dazu geeignet ist, den Sachverhalt festzustellen. So liegt der Fall hier, insbesondere ist festzuhalten, dass im Rahmen des Strafverfahrens bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, innerhalb derer Zeugen vernommen wurden und der Sachverhalt demnach umfassend ausermittelt wurde. Soweit der Kläger vorbringt, dass er im Strafverfahren durch seine damalige Bevollmächtigte nicht richtig vertreten wurde, kann er damit nicht gehört werden. Es obliegt grundsätzlich dem Kläger, im Strafverfahren alles vorzubringen, was aus seiner Sicht zu seiner Entlastung beiträgt, und den dortigen Instanzenzug auszuschöpfen. Vorliegend hatte die damalige Anwältin des Klägers zunächst sogar Berufung gegen das Urteil eingelegt, diese einige Tage später aber zurückgenommen, sodass davon ausgegangen werden muss, dass dies im Einvernehmen mit dem Kläger geschah. Selbst wenn diese Entscheidung auf einer fehlerhaften Beratung beruhen würde, kann der Kläger seine Klage hierauf vor dem Verwaltungsgericht nicht stützen, da zur Obliegenheit des Klägers, das Strafverfahren in seinem Sinne zu betreiben, auch die Wahl eines qualifizierten Rechtsanwalts gehört.
33
Dieses strafrechtlich relevante Verhalten ist auch als Verstoß gegen wesentliche Berufspflichten eines Physiotherapeuten zu klassifizieren. Die vom Kläger begangenen tatmehrheitlichen sexuellen Nötigungen erweisen sich nach Art, Schwere und Anzahl der Verstöße gegen die Berufspflichten als derart gravierend, dass eine negative Prognose gerechtfertigt ist (BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 10). Aus Sicht der erkennenden Kammer liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass der Kläger auch zukünftig seine Berufspflichten in vergleichbarer Weise nicht beachten wird.
34
Die Handlungen, welche im Rahmen von Wellnessmassagen erfolgten, stellen auch eine Berufspflichtverletzung dar. Bei der Beurteilung kommt es nicht darauf an, dass die Anstellung im Wellnesshotel lediglich eine Nebentätigkeit des Klägers darstellt; abzustellen ist auf die ausgeführten Tätigkeiten, bei denen es zu den sexuellen Nötigungen kam. Die Berufspflichten eines Physiotherapeuten sind zwar nicht normativ geregelt, lassen sich aber aus dem in § 8 MPhG formulierten Ausbildungsziel ableiten, wonach die Ausbildung entsprechend der Aufgabenstellung des Berufes insbesondere dazu befähigen soll, durch Anwenden geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen. Die Anwendung geeigneter Verfahren der Physiotherapie zu den genannten Zwecken bedingt engsten Kontakt zum Patienten, der körperliche Berührungen umfasst. Zum Berufsbild des Physiotherapeuten gehören nicht nur aktive Therapieformen, also solche, bei denen der Patient unter willkürlicher Mitwirkung seiner Muskulatur an der Behandlung teilnimmt, sondern auch passive Therapieformen. Unter passiver Physiotherapie sind diverse Behandlungsmethoden und Techniken zu verstehen, die durch den Physiotherapeuten ausgeführt werden, dazu zählen beispielsweise Massagen, Wärme- und Kälteanwendungen sowie Elektrotherapie. Das Zusammenspiel dieser beiden Therapieformen soll im Ergebnis zur ganzheitlichen Wiederherstellung von verletzten Strukturen des Bewegungsapparates beitragen. Wellnessmassagen mögen zwar ein anderes Ziel haben, nämlich die körperliche Entspannung, als therapeutische Massagen, welche regelmäßig auf Wiederherstellung von körperlichen Funktionen gerichtet sind; allerdings bedienen sich beide Therapieformen teils gleicher Methoden und Techniken. Unabhängig davon sind beide Massageformen von einem nahen Kontakt zum Patienten geprägt. Um den Behandlungserfolg erreichen zu können, muss sich der Patient dem Physiotherapeuten anvertrauen und sich darauf verlassen können, dass der zum Führen der Berufsbezeichnung berechtigte Physiotherapeut ausschließlich zum Wohl des Patienten handelt und insbesondere die Behandlungssituation nicht zu seinem Nachteil missbraucht. Handelt ein Physiotherapeut dem zuwider und nutzt das bestehende Vertrauensverhältnis zum Nachteil des Patienten aus oder verletzt dieses in erheblicher Weise, liegt darin ein schwerer Verstoß gegen eine wesentliche Berufspflicht (vgl. VG Braunschweig, B.v. 13.6.2022 – 1 B 92/22 – juris Rn. 10).
35
Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bietet der Kläger nicht die Gewähr, in Zukunft alle in Betracht kommenden, insbesondere die berufsspezifischen, Vorschriften und Pflichten zu beachten. Er ist wegen sexueller Nötigung in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten zur Bewährung verurteilt worden. An den der Verurteilung zugrundeliegenden Feststellungen des Amtsgerichts X. ergeben sich für die Kammer keine Zweifel. Die vom Kläger begangene Straftat stellt einen massiven Vertrauensbruch dar. Sie ist bei der Massage eines Gasts und damit im Rahmen der unmittelbaren Berufsausübung erfolgt. Dabei ist durch das Eindringen in die Scheide die Patientin besonders erniedrigt worden, da dies einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Intimsphäre der Patientin darstellt. Dabei nutzte der Kläger das ihm beruflich entgegengebrachte Vertrauen aus, welches ein Wellnessgast seinem Masseur immer entgegenbringt, wenn er oder sie sich in die Hände des Masseurs zur Behandlung begibt. Eine Massage beinhaltet es gerade, kaum Kleidung zu tragen und somit dem Masseur besonders verletzlich gegenüberzutreten. Auch wenn der Kläger bislang weder strafrechtlich noch durch anderweitige Verfehlungen im berufsbezogenen Zusammenhang aufgefallen ist, ergibt sich unter Berücksichtigung von Art und Schwere der begangenen Straftaten und des gravierenden Vertrauensbruchs eine negative Prognose hinsichtlich der erforderlichen Zuverlässigkeit des Klägers. Die Achtung der körperlichen Integrität, der sexuellen Selbstbestimmung und der persönlichen Ehre zählt zu den wesentlichen Berufspflichten eines Physiotherapeuten. Der Erwartung, sämtliche berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten, wird der Kläger wegen des schweren Verstoßes gegen wesentliche Berufspflichten prognostisch nicht gerecht.
36
c) Der negativen Prognose steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht X. die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat.
37
Die Aussetzungsentscheidung nach § 56 StGB und der Widerruf der Erlaubnis zum Führen einer Berufsbezeichnung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterliegen unterschiedlichen Gefahrenmaßstäben (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.1987 – 1 B 93.86 – juris Rn. 12). So geht es bei der Aussetzungsentscheidung unter anderem um eine Förderung der Resozialisierung des Verurteilten (vgl. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 58. Ed. 1.8.2023, Vorb. zu § 56), wohingegen der Widerruf der Erlaubnis zum Führen einer Berufsbezeichnung der Gefahrenabwehr dient (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 16). Eine näher begründete Prognose des Strafrichters ist für die Verwaltungsbehörde und für die Verwaltungsgerichte indes von tatsächlichem Gewicht (BVerwG, B.v. 16.6.1987 – 1 B 93.86 – juris Rn. 12). Im vorliegenden Fall liegt jedoch bereits keine „näher begründete“ Prognose des Strafgerichts vor. An einer solchen Prognose fehlt es vielmehr fast gänzlich. Der Strafrichter geht lediglich kurz darauf ein, dass die Vermutung bei einer erstmaligen Freiheitsstrafe generell dafür spreche, dass der Kläger sich diese als Warnung dienen lasse und keine Straftaten mehr begehen werde. Außerdem wurde festgestellt, dass der Kläger nicht vorbestraft war und in geordneten familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt hat. Damit ist jedoch keine Aussage über die Beurteilung der berufsrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers getroffen. Insbesondere setzen bei dem Widerruf der Berufserlaubnis die Zuverlässigkeitsanforderungen bereits jenseits der strafrechtlichen Verantwortlichkeit an, so dass allein die Annahme, der Kläger werde künftig keine Straftaten mehr begehen, noch nichts über seine Zuverlässigkeit in Bezug auf die Ausübung seiner Tätigkeit als Physiotherapeut aussagt.
38
2. Der Beklagte hat das ihm in Art. 49 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere erweist sich der Widerruf als verhältnismäßig. Dabei ist der Widerruf im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG nur dann gerechtfertigt, wenn der mit dem Ausschluss des Betroffenen von einer weiteren Berufsausübung bezweckten Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl ein Gewicht zukommt, das in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs steht (BVerwG, B.v. 27.10.2010 – 3 B 61.10 – juris Rn. 4).
39
Ermessensfehler im Hinblick auf die fehlende Erforderlichkeit der Maßnahme sind aus Sicht der erkennenden Kammer nicht zu erkennen. Sind – wie hier – zentrale und grundlegende Pflichten im unmittelbaren Verhältnis zum Patienten betroffen, ist jede weitere Tätigkeit des betroffenen Physiotherapeuten geeignet, eine erhebliche Verunsicherung von Patienten auszulösen und deren Vertrauen in den Berufsstand des Physiotherapeuten insgesamt zu erschüttern.
40
Der Widerruf ist auch hinsichtlich seiner Angemessenheit nicht als ermessensfehlerhaft einzustufen. Die Regierung von Niederbayern hat in ihrem Bescheid ordnungsgemäß die Interessen des Klägers den betroffenen Schutzgütern gegenüber gestellt. Insoweit verweist die erkennende Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die ausführlichen Ermessenserwägungen im streitgegenständlichen Bescheid.
41
Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird zudem dadurch Rechnung getragen, dass der Kläger einen Antrag auf (Wieder-)Erteilung der Erlaubnis stellen kann (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – juris Rn. 21). Wenn er die Zuverlässigkeit wiedererlangt hat und die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 MPhG vorliegen, ist die Erlaubnis auf seinen Antrag hin erneut zu erteilen.
III.
42
Die sich aus Art. 52 Satz 1 BayVwVfG ergebende Verpflichtung zur Rückgabe der Erlaubnisurkunde begegnet keinen rechtlichen Bedenken (Ziffer 2).
IV.
43
Weder gegen die Anordnung noch die Höhe des in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides angeordneten Zwangsgeldes bestehen Bedenken. Die Anordnung findet ihre rechtliche Grundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 und 36 BayVwZVG.
V.
44
Die Kosten und Auslagen des Bescheids sind nicht zu beanstanden (vgl. Art. 1, 2, 6 KG i.V.m. Tarif-Nr. 7 IX. 4/3 Kostenverzeichnis und Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 KG).
VI.
45
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m.§§ 708 ff. ZPO.