Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.02.2024 – 24 CS 23.2336
Titel:

Folgeanordnung hinsichtlich Waffen und Munition nach Rücknahme einer waffenrechtlichen Erlaubnis

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
WaffG § 45, § 46 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 46 Abs. 2 S. 1 WaffG setzt nicht voraus, dass die zugrundeliegende Rücknahme- oder Widerrufsentscheidung im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war. Eine solche Grundentscheidung ist jederzeit zulässiger Anknüpfungspunkt für eine – so die amtliche Überschrift – weitere Maßnahme nach § 46 WaffG, wenn sie bestandskräftig oder (nur) sofort vollziehbar ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermessensausübung nach § 46 Abs. 2 S. 1 WaffG ist der Zusammenhang mit der Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 1 WaffG als der maßgeblichen Grundentscheidung zu berücksichtigen. Da diese Entscheidung nicht im Ermessen der Behörde steht, muss die Behörde grundsätzlich auch den Waffenbesitz, der nicht mehr durch eine entsprechende Erlaubnis gedeckt ist, beenden; denn andernfalls drohte die Rücknahmeentscheidung, die nicht im Ermessen der Behörde steht, wirkungslos zu werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG, Keine inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung der Grundentscheidung nach § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 WaffG im Rahmen der Überprüfung einer Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG in einem hierauf beschränkten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes., Waffenrecht, waffenrechtliche Erlaubnis, Rücknahme, Rechtsextremismus, Folgeentscheidung, Waffenbesitz beenden, Ermessensausübung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 29.11.2023 – M 7 S 23.3259
Fundstellen:
BayVBl 2024, 456
BeckRS 2024, 3132
LSK 2024, 3132

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG.
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Die Landeshauptstadt M. hat dem Antragsteller im Jahr 2021 einen auf drei Jahre befristeten Jagdschein und eine Waffenbesitzkarte erteilt. Im Mai 2022 erhielt das – nach einem Umzug des Antragstellers nunmehr zuständige – Landratsamt F. (im Folgenden: Landratsamt) vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz die Mitteilung, dass zum Antragsteller im Verfassungsschutzverbund die Erkenntnis vorliege, dass er „… … … … … … des Landesverbandes Bayern der JA Bayern“ gewesen sei. Diese sei seit Januar 2019 ein Beobachtungsobjekt im Bereich Rechtsextremismus. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
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Anlässlich eines Antrags auf Verlängerung des Jagdscheins leitete das Landratsamt gegen den Antragsteller ein Rücknahmeverfahren hinsichtlich der Waffenbesitzkarten ein. Nach entsprechender Anhörung nahm das Landratsamt mit Bescheid vom 6. Juni 2023 die Erteilung der Waffenbesitzkarte zurück (Nr. 1), verpflichtete den Antragsteller vor allem, die Waffenbesitzkarte zurückzugeben und näher bezeichnete Waffen unbrauchbar machen zu lassen oder einem Berechtigten zu überlassen (Nrn. 2 und 3). Zudem wurde die Sicherstellung und Verwertung oder Vernichtung angedroht (Nr. 4) und für Nummer 3 die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 5). Der Bescheid wird unter Verweis auf § 45 Abs. 1 WaffG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG und § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b WaffG damit begründet, dass die Zuverlässigkeit des Antragstellers schon bei Erteilung der Waffenbesitzkarte im November 2021 zu verneinen gewesen wäre. Im Übrigen werde die JA seit April 2023 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
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Der Antragsteller hat hiergegen Klage erhoben (M 7 K 23.1302), über die noch nicht entschieden ist, und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Er beantragte – in der Auslegung durch das Verwaltungsgericht –, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die in Nummern 3 und 4 des Bescheids enthaltenen Verfügungen wiederherzustellen. Den Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. November 2023 ab. Dieser sei nur gegen Nummer 3 des Bescheids zulässig erhoben worden, insoweit aber unbegründet. Die Erfolgsaussichten des Antrags gegen die Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG hingen von der Rechtmäßigkeit der Rücknahme der waffenrechtlichen Erlaubnis nach Nummer 1 des Bescheids ab. Da die Erfolgsaussichten der Klage insoweit derzeit als offen anzusehen seien, sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese falle zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Rücknahmeentscheidung ihrerseits kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei und sich deshalb das private Interesse des Antragstellers am vorübergehenden Behaltendürfen der Waffen nur bei besonderen – hier nicht gegebenen – Umständen durchsetzen könne.
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt sinngemäß,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage bezüglich der Nummer 3 des Bescheids vom 6. Juni 2023 wiederherzustellen.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass das Verwaltungsgericht für die Bejahung der Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG zu Unrecht die Verbindung des Antragstellers zur JA Bayern pauschal genügen lasse, ohne zu benennen, welche einschlägigen Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG der Antragsteller verfolgt haben solle.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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I. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder abzuändern. Das Verwaltungsgericht ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage überwiegt.
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1. Vorliegend wendet sich der Antragsteller mit seinem Eilrechtsantrag und seiner Beschwerde allein gegen Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids, also gegen eine Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Gegen deren Rechtmäßigkeit bestehen indes keine Bedenken. Insoweit kommt es auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung wegen offener Erfolgsaussichten nicht an.
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a) Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), kann die zuständige Behörde anordnen, dass jemand, der auf Grund einer Erlaubnis, die zurückgenommen, widerrufen oder erloschen ist, Waffen oder Munition erworben oder befugt besessen hat, binnen angemessener Frist die Waffen oder Munition dauerhaft unbrauchbar macht oder einem Berechtigten überlässt und den Nachweis darüber gegenüber der Behörde führt, wenn er die Waffen oder die Munition noch besitzt. Die Möglichkeiten der Rücknahme oder des Widerrufs richten sich nach § 45 Abs. 1 und 2 WaffG; der hiernach erforderliche Versagungsgrund, der entweder im Zeitpunkt der Erlaubniserteilung schon vorgelegen haben oder später eingetreten sein muss, liegt insbesondere vor, wenn die Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG fehlt.
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b) Die Rechtmäßigkeit einer Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG setzt ausweislich des Wortlauts voraus, dass eine Rücknahme oder Widerrufsentscheidung nach § 45 WaffG vorliegt, der Adressat auf Basis seiner bisherigen Erlaubnis Waffen oder Munition erworben hat und diese noch besitzt. Ferner muss die Ermessensausübung fehlerfrei sein und die Behörde inhaltlich eine Rechtsfolge ausgesprochen haben, die von § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG gedeckt ist.
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Die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG setzt indes nicht voraus, dass die zugrundeliegende Rücknahme- oder Widerrufsentscheidung im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war. Eine solche Grundentscheidung ist jederzeit zulässiger Anknüpfungspunkt für eine – so die amtliche Überschrift – weitere Maßnahme nach § 46 WaffG, wenn sie bestandskräftig oder (nur) sofort vollziehbar ist. Denn die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts hat zur Folge, dass sich seine Rechtswirkungen unmittelbar einstellen und er praktisch so zu behandeln ist, als sei er unanfechtbar (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 59; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht II, Werksstand März 2023, § 80 VwGO Rn. 265 (Stand der Kommentierung: Juli 2021)).
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Es kann vor diesem Hintergrund im Beschwerdeverfahren offenbleiben, ob die Rücknahmeentscheidung rechtmäßig war oder ob die Möglichkeit eines Austauschs der Rechtsgrundlage von § 45 Abs. 1 WaffG hin zu § 45 Abs. 2 WaffG zu prüfen wäre (vgl. allgemein BVerwG, B.v. 29.7.2019 – 2 B 19.18 – juris Rn. 24). Diese Frage stellt sich deshalb, weil für die Annahme einer Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst b WaffG die gerichtliche Überzeugung bestehen muss, dass die JA Bayern, bei der der Antragssteller jedenfalls in der Vergangenheit unstreitig Mitglied gewesen ist, im maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis im Jahr 2021 eine Vereinigung war, die Bestrebungen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst a WaffG verfolgt hat; der allein hierauf gerichtete „Verdacht“ gegenüber der Vereinigung genügt nicht (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709 – juris Rn. 16 ff.). Im Jahr 2021 hatte jedoch wohl schon der Antragsgegner noch keinen entsprechenden Gewissheitsgrad hinsichtlich der Verfassungsfeindlichkeit der JA Bayern erlangt. Es dürfte daher für die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung darauf ankommen, ob sich die nunmehrige Einschätzung des Antragsgegners hinsichtlich der JA Bayern als gesichert verfassungsfeindliche Vereinigung auch auf den Zeitraum erstreckt, in dem der Antragsteller unbestritten Mitglied der Vereinigung war. Ist das nicht der Fall, weil die Vereinigung erst nach Erteilung der Erlaubnis durch fortschreitende Radikalisierung verfassungsfeindlich geworden ist, dürfte ein Austausch der Rechtsgrundlage nur in Betracht kommen, wenn der Antragsteller entweder im dann maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen (Widerrufs) Entscheidung in der gesichert verfassungsfeindlichen Vereinigung nachweislich noch Mitglied gewesen ist oder zumindest in einer (nicht länger als fünf Jahre zurückliegenden) „Phase“ der Verfassungsfeindlichkeit Mitglied war bzw. hierfür jeweils Tatsachen eine diesbezügliche Annahme der Mitgliedschaft rechtfertigen (vgl. zu bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten § 45 Abs. 4 WaffG).
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b) An der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG bestehen im vorliegenden Fall keine Zweifel.
19
Der Antragsteller hatte eine Erlaubnis, auf deren Basis er jedenfalls Waffen erworben hat, die er noch besitzt. Diese Erlaubnis wurde zurückgenommen. Die Rücknahmeentscheidung ist zwar wegen der erhobenen Anfechtungsklage nicht bestandskräftig. Sie ist jedoch kraft Gesetzes sofort vollziehbar; nach § 45 Abs. 5 WaffG hat die erhobene Anfechtungsklage gegen die Rücknahmeentscheidung keine aufschiebende Wirkung, weil die Behörde die Erlaubnis wegen angenommener Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG, mithin wegen des Nichtvorliegens einer Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, zurückgenommen hat. Ein Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist diesbezüglich nicht gestellt worden.
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Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die Behörde hat bei ihrer Entscheidung zwar die privaten Belange des Antragstellers, die gegen eine Unbrauchbarmachung oder Überlassung der Waffen sprechen, mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen und mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen sachgerecht abzuwägen. Jedoch ist bei der Ermessensausübung der Zusammenhang mit der Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 1 WaffG als der maßgeblichen Grundentscheidung zu berücksichtigen. Da diese Entscheidung nicht im Ermessen der Behörde steht, muss die Behörde grundsätzlich auch den Waffenbesitz, der nicht mehr durch eine entsprechende Erlaubnis gedeckt ist, beenden; denn andernfalls drohte die Rücknahmeentscheidung, die nicht im Ermessen der Behörde steht, wirkungslos zu werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.1998 – 1 B 230.97 – juris Rn. 5). Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Ermessensausübung vorliegend keine Bedenken, zumal der Antragsteller ohnehin keine Aspekte vorgetragen hat, die spezifisch auf die Maßnahme nach § 46 Abs. 2 WaffG zielen.
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c) Ist demnach die Entscheidung des Antragsgegners nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG offensichtlich rechtmäßig, kommt es nicht in Betracht, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage wiederherzustellen.
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II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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III. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013. Das Interesse des Antragstellers an der Beseitigung der Nebenanordnungen ist mit dem Auffangstreitwert zu bemessen und im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu halbieren. Nachdem sich der Antrag insbesondere nicht gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung in Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheids richtet, ist die Waffenbesitzkarte in der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ändert der Senat nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG auch die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren im ersten Rechtszug.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 66 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 4 GKG).