Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 03.09.2024 – Ws 685/24
Titel:

Fortdauer der Führungsaufsicht nach Erledigterklärung und nach dem Widerruf der Reststrafaussetzung zu Bewährung

Normenkette:
StGB § 67d, § 68e, § 68f
Leitsätze:
Wird die zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt später für erledigt erklärt, tritt keine neue Führungsaufsicht gemäß § 67d Abs. 5 S. 2 StGB ein, weil der Verurteilte bereits mit der Bewährungsaussetzung aus dem Vollzug der Unterbringung entlassen wurde. Es besteht kein Bedarf für eine analoge Anwendung des § 67d Abs. 5 S. 2 StGB. (Rn. 15 – 16)
Die infolge der Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eingetretene Führungsaufsicht besteht auch nach der Erledigterklärung der Unterbringung und nach dem Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung fort (Ergänzung zu OLG München BeckRS 2013, 4336). (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Führungsaufsicht, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, Aussetzung zur Bewährung, Erledigterklärung, Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung, Fortdauer der Führungsaufsicht
Vorinstanz:
LG Ansbach, Beschluss vom 22.07.2024 – StVK 327/18
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Berichtigungsbeschluss vom 24.10.2024 – Ws 685/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31298

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Ansbach – Kleine Strafvollstreckungskammer – vom 22.07.2024 aufgehoben, soweit
- die durch die Erledigterklärung der Maßregel eingetretene Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 5 StGB nicht abgekürzt wurde (Ziff. III);
- erklärt wurde, dass mit Eintritt der gemäß Ziff.
III. eintretenden Führungsaufsicht gemäß § 67d Abs. 5 StGB die nach Aussetzung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 2 S. 3 StGB eingetretene Führungsaufsicht gemäß § 68e Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB beendet ist (Ziff IV);
- der Verurteilte während der Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt wurde (Ziff V);
- dem Verurteilten gemäß § 68b Abs. 1 StGB eine strafbewehrte Weisungen erteilt wurde (Ziff VI);
- die Erteilung weiterer Weisungen vorbehalten wurde (Ziff. VII) und
- die Belehrung über Weisungsverstöße dem Leiter der Justizvollzugsanstalt übertragen wurde, in der die Restfreiheitsstrafe vollstreckt wird (Ziff. VIII).
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Ansbach vom 20.06.2024 wird zurückgewiesen, soweit beantragt wird, festzustellen, dass die mit Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung eingetretene Führungsaufsicht beendet ist, und Regelungen zur neuen Führungsaufsicht gemäß § 67d Abs. 5 S. 2 StGB zu treffen.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet verworfen.
3. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Beschwerdegebühr wird um ein Drittel ermäßigt, von den notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse ein Drittel.

Gründe

I.
1
Das Landgericht Nürnberg-Fürth verhängte gegen den Verurteilten mit Urteil vom 19.04.2018 (Az. 1 KLs 372 Js 23953/16), rechtskräftig seit 27.04.2018, wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln in zwölf tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie einen Vorwegvollzug von sechs Monaten Freiheitsstrafe an.
2
Mit Beschluss vom 23.06.2020, rechtskräftig seit 07.07.2020, setzte das Landgericht Ansbach – Kleine Strafvollstreckungskammer – den weiteren Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten ab 27.07.2020 zur Bewährung aus und traf Regelungen für die nach § 67d Abs. 2 S. 3 StGB eintretende Führungsaufsicht.
3
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragte mit Verfügung vom 20.06.2024, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären und die Reststrafenaussetzung zu widerrufen. Ferner beantragte sie, festzustellen, dass die mit Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung eingetretene Führungsaufsicht mit Eintritt der neuen Führungsaufsicht gemäß § 68e Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB beendet ist, es bei der gesetzlichen Höchstdauer der eintretenden Führungsaufsicht zu belassen und die Ausgestaltung der Führungsaufsicht einem späteren Beschluss vorzubehalten.
4
Das Landgericht Ansbach – Kleine Strafvollstreckungskammer – widerrief mit Beschluss vom 22.07.2024 die bezüglich der Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth vom 19.04.2018 (Az. 1 KLs 372 Js 23953/16) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten mit Beschluss des Landgerichts Ansbach – Strafvollstreckungskammer – vom 23.06.2020 gewährte Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, da der Verurteilte gröblich und beharrlich gegen seine Abstinenzweisung verstoßen habe und sich beharrlich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe entzogen und dadurch Anlass zur Besorgnis gegeben habe, dass er erneut Straftaten begehen werde (Ziff. I). Gleichzeitig erklärte sie die mit vorgenanntem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.04.2018 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, da die Unterbringung keine Erfolgsaussicht mehr habe (Ziff. II). Die Kammer stellte fest, dass die durch die Erledigterklärung der Maßregel eingetretene Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 5 StGB nicht abgekürzt werde (Ziff. III) und die mit Eintritt der Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 5 StGB die nach Aussetzung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 2 S. 3 StGB eingetretene Führungsaufsicht beendet sei (Ziff. IV). Sie unterstellte den Verurteilten für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers (Ziff. V) und traf eine strafbewehrte Regelung zur Vorstellung beim Bewährungshelfer nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 StGB (Ziff. VI). Sie behielt sich die Erteilung weiterer Weisungen vor (Ziff. VII) und übertrug die Belehrung über Weisungsverstöße dem Leiter der Justizvollzugsanstalt, in der die Restfreiheitsstrafe vollstreckt wird (Ziff. VIII).
5
Gegen den dem Verurteilten am 25.07.2024 zugestellten Beschluss vom 22.07.2024 legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 30.07.2024, eingegangen beim Landgericht Ansbach am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Der Verurteilte legte mit Schreiben vom 30.07.2024, eingegangen beim Landgericht Ansbach am 31.07.2024, gegen den Widerruf der Bewährung sofortige Beschwerde ein.
6
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt mit Stellungnahme vom 02.08.2024, die sofortige Beschwerde als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.
7
Mit Schreiben vom 26.08.2024 hat der Verurteilte Stellung genommen.
II.
8
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Ansbach vom 22.07.2024 ist statthaft, §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO (Widerruf der Reststrafenaussetzung, Feststellung der Beendigung der Führungsaufsicht) bzw. § 463 Abs. 6 S. 1, 462 Abs. 3 S. 1 StPO (Erledigterklärung der Maßregel), form- und fristgerecht eingelegt und zulässig. Während sich der Verurteilte nur gegen den Widerruf der Bewährung wendet, ist die vom Verteidiger eingelegte sofortige Beschwerde umfassend, so dass im Ergebnis der Beschluss vom 22.07.2024 in Gänze angefochten ist. Die Entscheidungen zum Entfallen der bestehenden und zum Eintritt einer neuen Führungsaufsicht unter Ziffern III. bis VIII. des Beschlusses vom 22.07.2024 sind aufzuheben. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
9
1. Die Erledigterklärung der Maßregel und den Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung hat das Landgericht Ansbach zu Recht angeordnet.
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Zutreffend und mit ausführlicher Begründung, der sich der Senat anschließt, hat die Strafvollstreckungskammer dargelegt, dass der Verurteilte gegen die ihm erteilte Abstinenzweisung gröblich und beharrlich verstoßen hat sowie sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe beharrlich entzogen hat und dadurch die Besorgnis der erneuten Begehung von Straftaten besteht, so dass die Reststrafenbewährung zu widerrufen war. Auch das Vorbringen des Verurteilten in seinem Schreiben vom 26.08.2024 führt zu keiner anderen Beurteilung. Dem Verurteilten war trotz vorangegangener Weisungsverstöße nach einer Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer vom 23.01.2024 auch auf die Fürsprache des Bewährungshelfers hin nochmals die Gelegenheit eingeräumt worden, sich in Freiheit zu stabilisieren. Diese Chance hat der Verurteilte nicht genutzt, wie die Strafvollstreckungskammer in den Gründen ihrer Entscheidung eindrücklich beschrieben hat.
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Des Weiteren entspricht auch die Erledigterklärung der Unterbringung, gegen die sich der Verurteilte nicht wendet, der Sach- und Rechtslage.
12
2. Im Hinblick auf die in Ziffern III. bis VIII. getroffenen Entscheidungen zur Führungsaufsicht ist der Beschluss des Landgerichts Ansbach aufzuheben.
13
a) Die infolge der Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt durch Beschluss vom 23.06.2020 nach § 67d Abs. 3 S. 2 StGB eingetretene Führungsaufsicht endet entgegen der Feststellung in Ziffer IV. des angefochtenen Beschlusses nicht kraft Gesetzes.
14
Eine Führungsaufsicht endet nach § 68e Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB aufgrund Eintritts einer neuen Führungsaufsicht nur dann, wenn es sich nicht um eine unbefristete oder nach Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel eingetretene Führungsaufsicht handelt (§ 68e Abs. 1 S. 1 StPO). Vorliegend ist die Führungsaufsicht aber aufgrund der Aussetzung einer Maßregel eingetreten. Die bestehende Führungsaufsicht entfällt daher nicht, sondern besteht weiter fort. Sie ruht lediglich während der Dauer des Vollzugs der aktuell vollstreckten Restfreiheitsstrafe, § 68e Abs. 1 S. 2 StGB
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b) Es ist keine neue Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 5 S. 2 StGB eingetreten.
16
Nach § 67d Abs. 5 S. 2 StGB tritt Führungsaufsicht nach Erledigterklärung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit der Entlassung aus dem Vollzug ein. Der Verurteilte wurde aber nicht bei oder nach der Erledigterklärung aus der Unterbringung entlassen. Seine Entlassung aus der Unterbringung erfolgte bereits nach der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung am 27.07.2020, die selbst den Eintritt einer Führungsaufsicht ausgelöst hat. Damit scheidet eine direkte Anwendung von § 67d Abs. 5 S. 2 StGB aus (vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 03.11.2020, JKII Qs 35/20). In einem solchen Fall, in dem bereits aufgrund der Aussetzung der Maßregel Führungsaufsicht eingetreten ist, die nicht nach § 68c Abs. 1 S. 1 StGB durch das Eintreten einer neuen Führungsaufsicht oder den Vollzug einer neuen Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel beendet wird, besteht auch kein Bedarf für eine analoge Anwendung des § 67d Abs. 5 S. 2 StGB (so auch OLG München, Beschluss vom 31.07.2023, 3 Ws 292/23, 3 Ws 293/23, unveröffentlicht, unter Verweis auf die Abweichung des Falles zum Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 04.05.2012 [1 Ws 331/12, 1 Ws 334/12, beck-online], in dem die analoge Anwendung des § 67d Abs. 5 S. 2 StGB für einen Fall angenommen wurde, bei dem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Maßregel zunächst zur Bewährung ausgesetzt und dann widerrufen worden waren und sich der Verurteilte vor der erst nach dem Widerruf ausgesprochenen Erledigterklärung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht im Maßregelvollzug befunden hatte). Dazu kommt, dass vorliegend nach Vollverbüßung der wegen vorsätzlicher Taten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten mit der Entlassung aus dem Vollzug ohnehin nach § 68f Abs. 1 S. 1 StGB Führungsaufsicht eintritt. Im Hinblick auf diese Führungsaufsicht kann dann das Entfallen der bestehenden Führungsaufsicht wegen Aussetzung der Maßregel nach § 68e Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit S. 1 Nr. 3 StGB angeordnet werden.
17
c) Die Entscheidungen zur Dauer der neuen Führungsaufsicht und zur Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe, die Vorstellungsweisung beim Bewährungshelfer, der Hinweis auf die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes nach § 145a StGB, der Vorbehalt hinsichtlich der Erteilung weiterer Weisungen zur neuen Führungsaufsicht und die Übertragung der Belehrung hinsichtlich der strafbewehrten Weisung an die Justizvollzugsanstalt in Ziffern III. und V. bis VIII. des Beschlusses vom 22.07.2024 sind ebenfalls aufzuheben, da ihnen mangels Eintritts einer neuen Führungsaufsicht die Grundlage fehlt.
III.
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO.