Titel:
Gegenstandswert – Anfechtung des Spruchs einer Einigungsstelle
Normenketten:
RVG § 23 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 Hs. 2
BetrVG § 9, § 87 Abs. 1 Nr. 6
Leitsätze:
1. Die Bestimmung des Wertes für nicht-vermögensrechtliche Gegenstände nach § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 RVG hat zunächst von einer individuellen Bewertung auszugehen. Nur wenn diese nicht möglich ist, kann auf den Wert von 5.000 € zurückgegriffen werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wertfestsetzung über die Anfechtung eines Spruchs der Einigungsstelle ist unter Berücksichtigung der Staffelung nach § 9 BetrVG vorzunehmen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Wertfestsetzung, nicht-vermögensrechtliche Gegenstände, Beschlussverfahren, Anfechtung Spruch einer Einigungsstelle, Betriebsvereinbarung, Staffelung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 24.09.2024 – 3 Ta 125/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 31216
Tenor
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000,00 € festgesetzt, § 33 Abs. 1 RVG.
Gründe
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1. Gegenstand des vorliegenden, von Seiten der Arbeitgeberin eingeleiteten Beschlussverfahrens ist die Anfechtung eines Spruchs einer Einigungsstelle zur Regelung des Einsatzes und der Anwendung einer Software zur Nacharbeitserfassung. Gemäß Antragstellung beschäftigt die Arbeitgeberin etwa 170 Arbeitnehmer im Betrieb. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ergibt sich gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Die Arbeitgeberin bestritt zwar nicht grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, jedoch die Zuständigkeit der Einigungsstelle, weil diese durch falsche Angaben des Betriebsrats im Vorverfahren über die Einsetzung der Einigungsstelle erschlichen worden sei, die Aussagen der Arbeitgeberseite im Einigungsstellenverfahren falsch interpretiert worden seien, vorrangig jedenfalls aufgrund einer geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung von 15.2.2010 der örtliche Betriebsrat für eine Regelung (noch) nicht zuständig gewesen sei. Die Einigungsstelle hat zwei Mal getagt.
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2. Bei der Streitigkeit der Beteiligten hat es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit gehandelt.
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Die Arbeitgeberin hat die Unwirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs und damit die Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung geltend gemacht. Dabei stritten die Beteiligten über die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 I Nr. 6 BetrVG. Streitigkeiten, bei denen es um die Wahrung oder die Durchsetzung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte geht, haben keinen vermögensrechtlichen Charakter (LAG Hamburg 28.12.2015 – 6 Ta 24/15, NZA-RR 2016, 159 Rn. 11).
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Die Wertfestsetzung für das vorliegende Verfahren richtet sich nach § 23 III 2 RVG. Der Antrag des Betriebsrats betraf einen Anspruch betriebsverfassungsrechtlicher, also kollektiver Art, und ist nichtvermögensrechtlicher Natur (s. o.).
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In Ermangelung spezifischer Wertvorschriften ist der Gegenstandswert gem. § 23 III RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert nach § 23 III RVG mit 5.000 EUR nach Lage des Falls niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 EUR anzunehmen.
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Die Bestimmung des Wertes für nichtvermögensrechtliche Gegenstände hat zunächst von einer individuellen Bewertung auszugehen. Nur wenn diese nicht möglich ist, kann auf den Wert von 5.000 EUR zurückgegriffen werden. Dieses folgt daraus, dass das Gesetz eine Bewertung „nach Lage des Falls“ anordnet, so dass der Wert von 5.000 EUR nur dann Bedeutung erlangen kann, wenn der Fall keine individuellere Wertfestsetzung ermöglicht (LAG Hamburg 7.5.2020 – 1 Ta 21/20, BeckRS 2020, 63272).
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Allerdings kommt die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen auch im Anwendungsbereich des § 23 II 2 RVG grundsätzlich erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Unter den Begriff „nach Lage des Falls“ fallen sämtliche Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache, tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, Verfahrensdauer und zeitlicher Aufwand der Verfahrensbevollmächtigten (vgl. LAG Hamburg 19.5.2016 – 7 Ta 8/16, BeckRS 2016, 69160 Rn. 12).
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Wo ein objektiver Wert festgestellt werden kann, kommt es in erster Linie auf die Feststellung dieses Wertes an. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstands im Vordergrund der Bewertung stehen muss (LAG Hamburg 17.5.2013 – 2 Ta 8/13, NZA-RR 2013, 431 Rn. 13).
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Der in § 23 III 2 formulierte Wert ist dabei weder als Regelwert, von dem nur bei besonderen Umständen abgewichen werden darf, noch als Wertuntergrenze zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei dem Betrag um einen Hilfswert für den Fall des Fehlens individueller Anhaltspunkte, auf den nur dann zurückzugreifen ist, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausgeschöpft sind.
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Bei Streitigkeiten um Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 I BetrVG bietet die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Bedeutung der Angelegenheit. Dies gilt sowohl in Fällen, in denen es um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts geht, als auch in solchen Fällen, in denen die Einhaltung und Reichweite einer Betriebsvereinbarung im Streit sind. Bei der Wertermittlung gibt die Staffel des § 9 BetrVG eine Orientierung: Der gesteigerten Bedeutung einer Angelegenheit bei der Betroffenheit einer größeren Zahl von Arbeitnehmern kann im Regelfall dadurch Rechnung getragen werden, dass ausgehend vom Grundfall (bis zu 20 Arbeitnehmern) für die weiteren in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffeln jeweils zusätzlich 5.000 EUR zu berücksichtigen sind (LAG Hamburg 28.12.2015 – 6 Ta 24/15, NZA-RR 2016, 159 Rn. 15; 10.2.2012 – H 6 Ta 1/12; 30.11.2009 – 4 Ta 12/09, BeckRS 2010, 68790). Auch ein Streit über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs und damit über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ist hinsichtlich der Bemessung des Gegenstandswerts regelmäßig nach den Grundsätzen über den Streit um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts oder die Einhaltung einer Betriebsvereinbarung zu behandeln (vgl. LAG Hamburg 31.3.2021 – 5 TaBV 12/19, BeckRS 2021, 6226 Rn. 6).
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Unter Zugrundelegung der Zahl der von der vorliegenden Streitigkeit betroffenen Arbeitnehmer führt dieser Ansatz zur Festsetzung des vierfachen Hilfswerts, also zur Festsetzung des Gegenstandswerts auf 20.000 EUR. Damit ist jedenfalls die Bedeutung für die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ebenso wie die wirtschaftliche Bedeutung für die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall hinreichend und angemessen berücksichtigt.
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Die Lage des Falls gebietet keine andere Wertfestsetzung. Aufgrund der Vielzahl der Einwendungen der Arbeitgeberin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und der rechtlichen Schwierigkeit der Angelegenheit ist vorliegend ebenso wenig eine Reduzierung des Wertes als eine Erhöhung vorzunehmen.
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Zu beachten ist darüber hinaus, dass vorliegend die Beteiligten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zu einer Betriebsvereinbarung stritten, welche aufgrund einer, durch Spruch einer anderen Einigungsstelle, bereits bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung nicht zulässig gewesen sein soll. Sowohl die Tatsachen als auch die rechtliche Bewertung der angeblich sperrenden Gesamtbetriebsvereinbarung waren wiederum streitig, so dass letztlich auch die Wirksamkeit einer zweiten Gesamtbetriebsvereinbarung zusätzlich zu prüfen war. Hinsichtlich der Verfahrensdauer und des zeitlichen Aufwands der Verfahrensbevollmächtigten ergeben sich keine Besonderheiten.