Titel:
Gegenstandswert – Anfechtung des Spruchs einer Einigungsstelle
Normenketten:
RVG § 23 Abs. 3 S. 2. Hs. 2, § 33
BetrVG § 9, § 87 Abs. 1 Nr. 6
ArbGG § 100
Leitsätze:
Verfahren über die Anfechtung eines Spruchs der Einigungsstelle, der eine Betriebsvereinbarung enthält, sind regelmäßig mit dem doppelten Wert des § 23 Abs. 3 S. 2 2. HS RVG zu bewerten. (Rn. 15)
1. Bei Gegenstands- und Streitwertbeschwerden ist die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nicht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen, sondern es hat vielmehr eine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wertfestsetzung im Einsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG hat keine Relevanz für den Gegenstandswert im Anfechtungsverfahren eines Einigungsstellenspruchs, da sich die Streitgegenstände und ihre Bedeutung für die Betriebsparteien unterscheiden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Wertfestsetzung über die Anfechtung eines Spruchs der Einigungsstelle ist ohne Berücksichtigung der Staffelung nach § 9 BetrVG vorzunehmen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Beschlussverfahren, Anfechtung Spruch einer Einigungsstelle, Betriebsvereinbarung
Vorinstanz:
ArbG Regensburg, Beschluss vom 17.06.2024 – 5 BV 48/23
Fundstellen:
FDArbR 2024, 031215
BeckRS 2024, 31215
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 17.06.2024 – 5 BV 48/23 – teilweise wie folgt abgeändert:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Gebühr nach Ziff. 8614 der Anlage 1 zum GKG hat die Arbeitgeberin in voller Höhe zu tragen.
Gründe
1
Die Arbeitgeberin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts eines Beschlussverfahrens.
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Gegenstand des von der Arbeitgeberin eingeleiteten Beschlussverfahrens ist die Anfechtung eines Spruchs einer gerichtlich eingesetzten Einigungsstelle zur Regelung des Einsatzes und der Anwendung einer Software zur Nacharbeitserfassung. Die Software dient der Qualitätssicherung der Produktion und der Bemessung der Leistungsentgelte der Arbeitnehmer. Die Arbeitgeberin beschäftigt im Betrieb etwa 170 Arbeitnehmer; es ist zwischen den Beteiligten streitig, wie viele Arbeitnehmer von der Software betroffen sind. Die Arbeitgeberin hat zwar nicht grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, jedoch die Zuständigkeit der Einigungsstelle bestritten. Die Zuständigkeit sei durch falsche Angaben des Betriebsrats im Vorverfahren über die Einsetzung der Einigungsstelle erschlichen worden. Zudem seien die Aussagen der Arbeitgeberseite im Einigungsstellenverfahren falsch interpretiert worden. Schließlich sei aufgrund einer geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung der örtliche Betriebsrat für eine Regelung (noch) nicht zuständig gewesen.
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Das Arbeitsgericht Regensburg hat durch Beschluss vom 17.06.2024 – 5 BV 48/23 – den Gegenstandswert auf 20.000,00 € festgesetzt. Bei der Streitigkeit der Beteiligten habe es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit gehandelt, so dass sich die Wertfestsetzung nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG richte. Für die Bewertung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sei die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstands maßgeblich. Bei Streitigkeiten um Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG biete die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Bedeutung der Angelegenheit, wobei die Staffel des § 9 BetrVG eine Orientierung biete. Auch ein Streit über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs und damit über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung sei hinsichtlich der Bemessung des Gegenstandswerts regelmäßig nach den Grundsätzen über den Streit um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts oder die Einhaltung einer Betriebsvereinbarung zu behandeln (im Anschluss an LAG Hamburg 31.3.2021 – 5 TaBV 12/19 – Rn. 6). Unter Zugrundelegung der Zahl der vorliegend betroffenen 170 Arbeitnehmer führe dieser Ansatz zur Festsetzung des vierfachen Hilfswerts i. H. v. 20.000 €. Damit sei die Bedeutung für die Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ebenso wie die wirtschaftliche Bedeutung für die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall hinreichend und angemessen berücksichtigt. Die Lage des Falls gebiete keine andere Wertfestsetzung. Aufgrund der Vielzahl der Einwendungen der Arbeitgeberin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und der rechtlichen Schwierigkeit der Angelegenheit seien weder eine Reduzierung noch eine Erhöhung des Wertes vorzunehmen. Darüber hinaus sei die Wirksamkeit einer zweiten Gesamtbetriebsvereinbarung zusätzlich zu prüfen gewesen. Hinsichtlich der Verfahrensdauer und des zeitlichen Aufwands der Verfahrensbevollmächtigten würden sich keine Besonderheiten ergeben.
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Gegen diesen, ihr am 25.06.2024 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 09.07.2024 Beschwerde eingelegt. Der Gegenstandswert sei auf 3.000,00 €, höchstens auf 5.000,00 € festzusetzen. Das Arbeitsgericht habe die Empfehlung in Ziff. II Nr. 3.1. des Streitwertkatalogs nicht berücksichtigt. Nur in Ausnahmefällen sei danach eine Verdoppelung vorgesehen, so dass eine Festsetzung von 20.000,00 € höchst ungewöhnlich sei. Das unterschiedslose Abstellen auf die Anzahl der Arbeitnehmer überzeuge nicht, da es für die Wertfestsetzung auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere dem Umfang und der Bedeutung der Angelegenheit ankäme. Die Software habe nur ca. 105 Arbeitnehmer betroffen. Bei der Vielzahl der Einwendungen sei es „im Kern“ dieselbe Frage, d. h. die Unzuständigkeit der Einigungsstelle, gegangen. Soweit sich hinsichtlich der Verfahrensdauer und des zeitlichen Aufwands der Verfahrensbevollmächtigten keine Besonderheiten ergeben hätten, wäre der festzusetzende Wert zu reduzieren gewesen. Der Gegenstandswert des Einsetzungsverfahrens (§ 100 ArbGG) sei mit 5.000,00 € festgesetzt worden.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Der Wert des Einsetzungsverfahrens habe aufgrund des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabs der Verfahren keine Relevanz für die hier streitige Wertfestsetzung. An der Vielzahl der Einwendungen der Arbeitgeberin ändere sich nichts, wenn sie „im Kern“ auf dasselbe Ziel gerichtet seien.
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Die Verfahrensbevollmächtigen des Betriebsrats haben zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags auf die besondere Bedeutung der Sache für die Arbeitgeberin hingewiesen. Die Software diene zwei Zwecken. Die Regelung der Anwendung einer Software betreffe ein grundlegendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Mit dem Zweck der Software, die Vergütung der Beschäftigten zu bemessen, werde eine Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis angesprochen. Nach der Reglung des Geltungsbereichs in der Betriebsvereinbarung betreffe sie alle 170 Beschäftigten des Betriebs. Die Arbeitgeberin habe durch ihr Verhalten in besonders offensichtlicher Weise die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt und beständig gegen ihre betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen. Die Arbeitgeberin habe mit dem Anfechtungsverfahren versucht, den mitbestimmungswidrigen Zustand wiederherzustellen. Die Betriebsvereinbarung basiere auf ihrem eigenen Entwurf einer Regelung.
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Die Arbeitgeberin rügt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Argumente, dass sich das Arbeitsgericht nicht ausreichend mit ihren Einwänden auseinandergesetzt habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Beschwerdeakte Bezug genommen.
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Die nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
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1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Der Beschwerdeschriftsatz ist am letzten Tag (09.07.2024) der zweiwöchigen, mit der Zustellung des Wertfestsetzungsbeschlusses am 25.06.2024 in Lauf gesetzten Beschwerdefrist beim Arbeitsgericht eingegangen. Der Beschwerdewert des § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG ist bei einem um 17.000,00 € niedrigeren Gegenstandswert erreicht.
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2. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Gegenstandswert ist auf 10.000,00 € festzusetzen, §§ 33 Abs. 1, 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG.
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a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
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b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 01.02.2024 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2024, abgedruckt in NZA 2024, 307 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
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c) Der aktuell gültige Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit enthält in Ziff. II. Nr. 5 S. 1 die Empfehlung, dass bei der Wertfestsetzung für ein Beschlussverfahren mit dem Streitgegenstand „Einigungsstelle, Anfechtung des Spruchs“ vom Hilfswert nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG auszugehen sei und gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, z. B. Inhalt und Bedeutung der Regelung, eine Erhöhung bzw. ein Abschlag vorgenommen werden könne. Darüber hinaus könne dann, wenn der Spruch eine Betriebsvereinbarung zum Gegenstand habe, vom doppelten Hilfswert des § 23 Abs. 3 S. 2 RVG auszugehen sein, Ziff. II. Nr. 5 S. 2 Streitwertkatalog 2024.
15
Diese Empfehlung in Ziff. II. Nr. 5 S. 2 Streitwertkatalog 2024 wird auch von der erkennenden Beschwerdekammer zugrunde gelegt. Bei dem hier streitgegenständlichen Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle handelt es sich um einen nichtvermögensrechtlichen Gegenstand, da er nicht auf einer vermögensrechtlichen Beziehung beruht noch unmittelbar auf Geld oder Geldeswert gerichtet ist (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2024 – 5 Ta 40/24 – Rn. 6; LAG Hamburg, Beschluss vom 12.04.2023 – 7 Ta 4/23 – Rn. 26; a. A. Karsten Haase in: Düwell, BetrVG, 6. Aufl. 2022, § 76 BetrVG, Rn. 49 m. w. Nachw). Die Beteiligten stritten über die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. Nr. 6 BetrVG. Streitigkeiten, bei denen es um die Wahrung oder die Durchsetzung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte geht, haben keinen vermögensrechtlichen Charakter. Für die Bewertung nichtvermögensrechtlicher Gegenstände bestimmt § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG ausdrücklich (Wortlaut!), dass der Gegenstandswert mit 5.000,00 €, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 € anzunehmen ist (ebenso NKArbR/Müller, 2. Aufl. 2023, RVG § 23 Rn. 35 und 36; GK-ArbGG/Schleusener, Januar 2024, § 12 ArbGG Rn. 467). In Anlehnung an § 48 Abs. 2 GKG wird dieser Wert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache bestimmt (vgl. Riedel/Sußbauer RVG/Potthoff, 10. Aufl. 2015, RVG § 23 Rn. 268; TZA ArbR-Streitwert/Paschke, Teil 1 B. Rn. 121; BAG, Beschluss vom 14.12.2016 – 7 ABR 8/15 – Rn. 40). Der Spruch der Einigungsstelle, der eine Betriebsvereinbarung enthält, hat regelmäßig eine besondere (auch, aber nicht nur wirtschaftliche) Bedeutung für die Betriebsparteien, die es rechtfertigt, grundsätzlich vom doppelten Wert des § 23 Abs. 3 Satz 2 2. HS RVG auszugehen (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2024 – 5 Ta 40/24 – Rn. 8).
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d) Danach war der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats auf 10.000,00 € festzusetzen.
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aa) Umstände, die gegenüber dem Regelfall der Bewertung nach Ziff. II. Nr. 5 S. 2 Streitwertkatalog 2024 eine Reduzierung begründen könnten, liegen nicht vor.
18
Die aufgrund des angefochtenen Spruchs der Einigungsstelle ergangene Betriebsvereinbarung über die Regelung des Einsatzes und der Anwendung einer Software zur Nacharbeitserfassung betrifft das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und damit ein wichtiges Regelungsgebiet der Betriebsparteien. Wegen des mit der Software zur Nacharbeitserfassung auch verfolgten Zwecks der Bemessung der Leistungsentgelte der Arbeitnehmer hat die Betriebsvereinbarung zudem Auswirkungen auf die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer in der Produktion, deren Zahlung eine Hauptpflicht der Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis (§ 611a Abs. 2 BGB) ist. Selbst bei nur ca. 105 direkt betroffenen Arbeitnehmern sind die Auswirkungen der Software zur Nacharbeitserfassung bei 170 insgesamt im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern nicht auf einen kleinen Kreis beschränkt; es sind vielmehr 61,76% der Arbeitnehmer des Betriebs betroffen. Die wirtschaftliche Bedeutung bemisst sich darüber hinaus am Interesse der Arbeitgeberin, die mit der Software bezweckte Qualitätssicherung anders als nach der Betriebsvereinbarung aufgrund des Spruchs der Einigungsstelle zu regeln. Auf die Schwierigkeiten des Verfahrens und den Bearbeitungsaufwand kommt es nicht an (vgl. LAG München, Beschluss vom 19.10.2023 – 3 Ta 172/23 – Rn. 16 m. w. Nachw.). Die Wertfestsetzung im Einsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG hat keine Relevanz für den Gegenstandswert im Anfechtungsverfahren eines Einigungsstellenspruchs, da sich die Streitgegenstände und ihre Bedeutung für die Betriebsparteien unterscheiden.
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bb) Andererseits ist eine Überschreitung der Verdopplung nach Ziff. II Nr. 5 S. 2 Streitwertkatalog 2024 nicht angezeigt.
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(1) Eine über eine Verdopplung hinausgehende Bewertung kann nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2024 – 5 Ta 40/24 – Rn. 10). Denn bei der Gegenstandswertfestsetzung ist der Grundtendenz des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu entsprechen, wonach die der Arbeitgeberin obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten des Betriebsrats zu tragen, nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 23.01.2006 – 13 TaBV 200/05 – unter II. 2. der Gründe; Altenburg in: Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Hrsg. Moll, 5. Auflage 2021, Teil A § 3 Rn. 139).
21
Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Die Bedeutung der Angelegenheit wird nicht dadurch beeinflusst, dass eine Betriebspartei die ihr nach der Rechtsordnung zustehenden Rechte in allen möglichen Instanzen wahrnimmt. Durch die Anfechtung des Spruchs der Einigungsstelle wird auch kein mitbestimmungswidriger Zustand wiederhergestellt, wie die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats meinen. Die anfechtende Betriebspartei wendet sich allein gegen den konkreten Inhalt des Spruchs der Einigungsstelle.
22
(2) Soweit das Arbeitsgericht einen Gegenstandswert von 20.000,00 € im Hinblick auf § 9 BetrVG begründet hat, ist ihm nicht zu folgen.
23
Die Wertfestsetzung ist ohne Berücksichtigung der Staffelung nach § 9 BetrVG vorzunehmen. Auch wenn die streitwertmäßige Bedeutung einer Auseinandersetzung um ein Mitbestimmungsrechtes nach der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer zu bemessen ist, weil sich hieraus die Bedeutung der Angelegenheit für die Arbeitgeberin oder den Betriebsrat ableitet, erfordert dies nicht, sich an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren (so aber LAG Hamm, Beschluss vom 02.08.2005 – 13 TaBV 10/05 –; vom 23.03.2009 – 10 Ta 83/09 –; vom 23.03.2009 – 10 Ta 83/09 –; ihm folgend LAG Hamburg, Beschluss vom 30.11.2009 – 4 Ta 12/09 – unter II. 2. b) cc); vom 28.12.2015 – 6 Ta 24/15 – Rn.; und explizit für den Gegenstandswert bei Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs: Beschluss vom 31.03.2021 – 5 TaBV 12/19 – Rn. 7 vom 12.04.2023 – 7 Ta 4/23 – Rn. 39). Eine Begründung für diese Orientierung wird nicht gegeben und ist auch nicht ersichtlich.
24
Die schematische Erhöhung des Gegenstandswerts um den Regelwert von 5.000,00 € bei Erreichen einer weiteren Stufe des § 9 BetrVG lässt außer Acht, dass die Erhöhung und Herabsetzung des Wertes des § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls („nach Lage des Falles“) zu erfolgen hat und damit im Rahmen der Wertfestsetzung eine wertende Betrachtung aller Umstände und die Einbeziehung auch weiterer Umstände als die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer geboten ist. Anknüpfungspunkt für die Wertbemessung ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Die Bedeutung der Angelegenheit bemisst sich nur mittelbar aufgrund etwaiger Auswirkungen der mitzubestimmenden Maßnahme auf die Vergütung der einzelnen Beschäftigten. Schließlich ist – wie schon vorstehend ausgeführt – bei der Wertfestsetzung in Bedacht zu nehmen, dass die der Arbeitgeberin obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten des Betriebsrats zu tragen (§ 40 BetrVG), nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf. In Betrieben mit einer großen Anzahl von Beschäftigten besteht bei Anwendung der Staffelung nach § 9 BetrVG aber die Gefahr, dass jede Antragstellung wegen der schieren Beschäftigtenzahl zu einem Vielfachen des Regelwertes des § 23 Abs. 3 S. 2 2. HS RVG führt (vgl. auch LAG München, Beschluss vom 11.09.2024 – 3 Ta 108/24 –).
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil den Beteiligten Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 S. 2 RVG. Da die Beschwerde nur zu einem geringen Teil Erfolg hatte, kam eine Ermäßigung der Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht in Betracht. Aufgrund der st. Rspr. der Beschwerdekammer, nicht zuletzt aus Anlass der Beschwerden der Arbeitgeberin, ist dieser bekannt, dass die Beschwerdekammer den Empfehlungen der Streitwertkommission aufgrund der großen Bedeutung einer bundeseinheitlichen Rechtsprechung im Bereich des Streitwertrechts folgt, so dass sie die Bewertungsregel in Ziff. II. Nr. 5 S. 2 Streitwertkatalog 2024 hätte in Betracht ziehen müssen.
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Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.