Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.01.2024 – 15 ZB 23.2087
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für den Umbau und die Aufstockung eines bestehenden Einfamilienhauses

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BGB § 917
Leitsätze:
1. Das Gebot ausreichender Erschließung des Baugrundstücks nach § 34 BauGB hat keine nachbarschützende Funktion, vielmehr steht dem Nachbarn nur ausnahmsweise ein Abwehrrecht zu, wenn die Umsetzung der Baugenehmigung zu einer Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechtes nach § 917 BGB führen würde. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anordnung von zwei weiteren Stellplätzen, also insgesamt drei Stellplätzen auf dem Baugrundstück ist in einem (hier: reinen) Wohngebiet üblich. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entstehung eines Notwegerechts (verneint), Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot hinsichtlich zweier zusätzlicher Stellplätze im Gartenbereich bei Ausbau eines Einfamilienhauses in Wohnhaus mit vier Einheiten (verneint)., Zulassungsantrag, Nachbarklage, Erschließung, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze (zusätzliche), Notwegerecht, Vorbelastung, Ruhezone, Quantität in Qualität
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 07.09.2023 – RO 2 K 21.1107
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3120

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Klägerin wendet sich als Nachbarin gegen eine durch die Beklagte der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Umbau und die Aufstockung eines bestehenden Einfamilienhauses in ein Wohngebäude mit vier Wohneinheiten und drei Stellplätzen auf dem Baugrundstück. Zwei der drei Stellplätze sind im südlichen Bereich des Baugrundstücks vorgesehen. Für die bestehende Bebauung ist bereits im nördlichen Bereich des Baugrundstücks ein Stellplatz vorhanden, der über die I.-Straße durch einen privaten Weg erschlossen ist. Der private Weg verläuft nördlich auf dem Grundstück der Klägerin. Im Grundbuch der Klägerin ist ein Geh- und Fahrtrecht zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks der Beigeladenen eingetragen.
2
Mit streitgegenständlichem Urteil vom 7. September 2023 wies das Verwaltungsgericht die gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 19. April 2021 erhobene Klage ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, es sei für die Beigeladene kein Notwegerecht entstanden, da sich durch das genehmigte Vorhaben die Anforderungen an eine ausreichende Erschließung nicht geändert hätten. Es liege auch kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor, weil die südlichen Stellplätze noch zumutbar seien. Die Grundstücke seien durch die städtebaulich nachteilige Erschließungssituation im Hinblick auf eine Nachverdichtung vorbelastet. Daher habe sich die Klägerin nicht darauf verlassen können, dass sich an der bestehenden Situation nichts ändere. Ein Nachbar müsse Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Nutzungen grundsätzlich als sozialadäquat hinnehmen.
3
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte und die Beigeladene entgegentreten. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Grundstück werde durch ein Notwegerecht belastet. Das Rücksichtnahmegebot sei verletzt, da die zusätzlichen Stellplätze zu einem völlig neuen Lärmereignis unmittelbar gegenüber ihrem Garten, der als Ruhebereich diene, führen würden. Es seien keine Schutzvorkehrungen zu ihren Gunsten erfolgt. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch des reinen Wohngebiets werde verletzt, weil eine Nutzung in dieser Dimension ungeeignet sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
6
1. Die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor, vielmehr hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass die Klage unbegründet ist, weil die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt wird.
7
Die Klägerin kommt ihrem Darlegungsgebot nach § 124a VwGO nicht nach, da sie sich mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht auseinandersetzt. Wie das Verwaltungsgericht auf S. 6 des Urteils zu Recht ausgeführt hat, hat das Gebot ausreichender Erschließung des Baugrundstücks nach § 34 BauGB keine nachbarschützende Funktion, vielmehr steht dem Nachbarn nur ausnahmsweise ein Abwehrrecht zu, wenn die Umsetzung der Baugenehmigung zu einer Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechtes nach § 917 BGB führen würde. Unstreitig wurde der nördlich auf dem klägerischen Grundstück liegende Weg von den bisherigen Bewohnern des bestehenden Einfamilienhauses bereits zur Erschließung des Grundstücks der Beigeladenen genutzt. Folgte man der Argumentation der Klägerin, es fehle an einer ausreichenden Erschließung, weil kein Geh- und Fahrtrecht in einer Breite von 3 m vorliege, da die einschlägige Messungsanerkennung vom 30. November 1965 nicht vermaßt und zudem ausweislich des Protokolls vom 5. September 2023 nur eine lichte Durchfahrtsbreite von 2,50 m gemessen worden sei, wäre das Notwegerecht schon für das bereits errichtete Einfamilienhauses entstanden und nicht erst durch die nun streitgegenständliche Baugenehmigung. Die Klägerin legt auch nicht schlüssig dar, inwieweit es durch die streitgegenständliche Genehmigung, unterstellt, es sei durch den Bau des Einfamilienhauses bereits ein Notwegerecht entstanden, zu einer Ausweitung dieses Notwegerechts kommen könnte.
8
Die Klägerin ist der Meinung, jedenfalls die zwei Stellplätze im rückwärtigen südlichen Grundstücksbereich mit einer überaus problematischen Zufahrt entlang ihrer westlichen Grundstücksgrenze seien unzulässig, zumal sich die Zahl der Stellplätze verdreifachen und diese zu einem völlig neuen Lärmereignis unmittelbar gegenüber dem Garten der Klägerin führen würden. Schon in der Vergangenheit seien sehr viele Autos auf dem Grundstück der Beigeladenen abgestellt worden. Aus dieser Begründung ergibt sich nicht, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, auch die südlichen Stellplätze seien noch zumutbar, unrichtig ist. Das Verwaltungsgericht führt in zulassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise aus, dass das Baugebiet durch zahlreiche rückwärtig angeordnete, nur durch private Zufahrten von einer öffentlichen Straße aus anfahrbare Stellplätze geprägt ist, wodurch die Grundstücke durch die städtebaulich nachteilige Erschließungssituation im Hinblick auf eine weitere städtebaulich erwünschte Nachverdichtung vorbelastet sind. Mit dem streitgegenständlichen Vorhaben wird demnach nicht, wie von der Klägerin behauptet, erstmals eine private Zufahrt entlang der Ruhebereiche und dort befindlichen Terrassen mit gärtnerischen Erholungsbereichen in rückwärtige Bereiche hergestellt, vielmehr gibt es viele Vorbilder. Die Klägerin konnte daher nicht darauf vertrauen, dass sich an der Situation nichts ändert. Den Argumenten des Verwaltungsgerichts auf S. 7 ff. des Urteils tritt die Klägerin nicht substantiiert entgegen, sie behauptet lediglich das Gegenteil. Die Anordnung von zwei weiteren Stellplätzen, also insgesamt drei Stellplätzen auf dem Grundstück ist in einem Wohngebiet üblich. Das von der Klägerin behauptete Fehlverhalten von Mietern, die nach ihrer Meinung zu viele Fahrzeuge auf dem Grundstück parkten, ist städtebaulich nicht relevant (BayVGH, B.v. 10.1.2023 -9 ZB 22.1686 Rn. 13 – juris).
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Anders als die Klägerin meint, sind auch keine Schutzvorkehrungen aufgrund der neu eingerichteten Stellplätze zu ihren Gunsten erforderlich. Das Verwaltungsgericht hat auf S. 10 ff. des Urteils ausführlich begründet, weshalb nach seiner Auffassung die Lärmbelastung durch die Stellplätze noch zumutbar ist. Es hat sich dabei auch auf die plausiblen Aussagen der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Umweltingenieurin gestützt. Das Verwaltungsgericht hat für das von ihm als maßgeblich angesehene Geviert festgestellt, dass eine einheitliche Ruhezone nicht vorhanden und eine isolierte Betrachtung der Verhältnisse auf dem Grundstück der Klägerin nicht angezeigt ist. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Klägerin nicht auseinander, sie führt insbesondere keine überzeugenden Argumente an, weswegen ein anderes Geviert als das vom Verwaltungsgericht gewählte zutreffend sein soll, sondern behauptet lediglich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien unrichtig.
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Eben so wenig trifft die Behauptung der Klägerin zu, die Nutzung sei für das Grundstück zu überdimensioniert, so dass „Quantität in Qualität“ umschlage. Sie zeigt nicht auf, inwieweit die Schaffung von zwei weiteren Stellplätzen für ein Wohngebäude mit vier Wohneinheiten auf dem Grundstück der Beigeladenen die Prägung eines reinen Wohngebiets zerstören sollte.
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2. Die Klägerin behauptet zwar, die Rechtssache weise besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Sie legt diese aber nicht in einer Weise dar, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO entspricht, denn sie zeigt nicht auf, inwieweit hier in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten vorliegen sollen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Klägerin trägt billigerweise auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, weil diese einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
13
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Anhang) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.