Titel:
rechtmäßige Ausweisung (Einzelfall - Kosovo)
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 11 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Die Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Darlegungsanforderungen bei Mehrfachbegründung durch Verwaltungsgericht;, Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis;, Ausweisung;, Regelerteilungsvoraussetzung;, Ausweisungsinteresse;, Bestehen eines Ausweisungsinteresses, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Sperrwirkung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 30.11.2023 – M 4 S 20.3746
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3112
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid vom 27. Juli 2020, mit dem der Antragsgegner ihn u.a. aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt, ein auf sechs Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verfügt, die Abschiebung aus der Haft angeordnet und die Abschiebung in den Kosovo angedroht hat, weiter.
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Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
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§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass die Beschwerdebegründung die Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darlegen und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. Der Beschwerdeführer muss innerhalb der Monatsfrist konkret begründen, warum die Entscheidung des Verwaltungsgerichts änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll. Das Darlegungsgebot soll zu einer sorgfältigen Prüfung vor Einlegung des Rechtsmittels anhalten und dem Oberverwaltungsgericht eine Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses ermöglichen. Der Beschwerdeführer muss darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts er in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält; er hat substantiiert auszuführen, weshalb die Überlegungen des Verwaltungsgerichts falsch sind, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Er muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder die für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 19.5.2023 – 10 CS 23.783 – juris Rn. 2; B.v. 1.6.2022 – 10 CE 21.2270 – juris Rn. 3). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
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Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat, richtet sich die Beschwerdebegründung lediglich gegen die Annahme des Erstgerichts, dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe bereits die Sperrwirkung des aufgrund der Ausweisung verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) entgegen. Dabei verkennt die Beschwerde, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung selbständig tragend (vgl. S. 21 Rn. 78 des BA: „auch unabhängig von der Ausweisung“) auf das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aufgrund eines bestehenden Ausweisungsinteresses gestützt hat. Im Falle einer solchen Mehrfachbegründung kann die Beschwerde nur Erfolg haben, wenn im Hinblick auf jeden der für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Gründe in der Beschwerde etwas Durchgreifendes vorgetragen wird (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.5.2023 – 10 CS 23.783 – juris Rn. 7 f.; B.v. 7.5.2020 – 10 CS 20.842 – juris Rn. 4; B.v. 28.8.2006 – 24 CS 06.1049 – juris Rn. 16). Dies ist hier nicht der Fall, denn zum Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG enthält das Beschwerdevorbringen keine gesonderten Ausführungen.
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Selbst wenn man das Vorbringen in der Beschwerde zur Ausweisung auch als gegen die Annahme eines Ausweisungsinteresses und eines Regelfalls im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gerichtet ansehen wollte, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass beim Antragsteller, der mit Urteil des Landgerichts München I vom 2. August 2019 wegen einer Vielzahl von Wohnungseinbruchsdiebstählen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit schwerem Bandendiebstahl, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt worden war, eine erhebliche Wiederholungsgefahr besteht. Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Überschuldung des Antragstellers, die schon das Motiv für die bisherigen Straftaten gewesen sei, sei noch drückender geworden, wendet der Antragsteller lediglich ein, er habe nun wieder eine Beschäftigung und habe zur Tilgung seiner Schulden eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen, wonach er monatlich 10 Euro bezahle. Dass dies völlig unzureichend ist, in absehbarer Zeit die Schulden in Höhe von über 116.000 Euro zu tilgen und damit zu geordneten finanziellen Verhältnissen zu gelangen, bedarf keiner weiteren Begründung. Im Übrigen besteht – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – auch ein aktuelles generalpräventives Ausweisungsinteresse (zur Berücksichtigungsfähigkeit eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses bei der Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Leitsatz und Rn. 16 m.w.N.; BayVGH, B.v. 28.12.2018 – 10 ZB 18.1154 – juris Rn. 7), zu dem sich die Beschwerdebegründung nicht verhält.
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Die vom Antragsteller aufgeworfenen Bedenken zur Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sind in diesem Zusammenhang schon deswegen unbehelflich, weil es für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht darauf ankommt, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Es reicht vielmehr aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt – d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen – vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist. Der Begriff des Ausweisungsinteresses verweist auf das Ausweisungsrecht und greift die in § 53 Abs. 1, § 54 AufenthG gewählte und anhand von Beispielen erläuterte Begriffsbildung auf. Diese Vorschriften regeln die Aufenthaltsbeendigung bei Vorliegen eines öffentlichen Ausweisungsinteresses. Umgekehrt setzt die Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Eine Abwägung mit den privaten Bleibeinteressen erfolgt – sofern sie nicht durch § 10 Abs. 3 AufenthG ausgeschlossen ist – erst im Rahmen der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 19.5.2023 – 10 CS 23.783 – juris Rn. 12; B.v. 3.8.2021 – 10 ZB 21.937 – juris Rn. 11).
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Dass sein solcher Ausnahmefall vorläge, der sich von der Menge gleich gelagerter Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrundeliegenden öffentlichen Interesses beseitigen (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2023 – 10 CS 23.1074 – juris Rn. 7 m.w.N.), wird vom Antragsteller nicht dargelegt. Die bestehende Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen und die bevorstehende Geburt seines deutschen Kindes (vgl. dazu BayVGH, B.v. 12.8.2022 – 10 ZB 22.1511 – juris Rn. 19 m.w.N.), auf die der Antragsteller hinweist, überwiegen angesichts der ansonsten sehr geringen Integrationsleistungen und der sehr schweren Straffälligkeit des erst im Jahr 2015 nach Deutschland eingereisten Antragstellers jedenfalls derzeit das öffentliche Interesse, eine Aufenthaltsverfestigung bei einem bestehenden Ausweisungsinteresse zu verhindern, nicht. Weitere Ausführungen, die sich bei der Frage der fehlenden Regelerteilungsvoraussetzung berücksichtigen ließen, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass die im streitgegenständlichen Bescheid angedeutete Ermessenentscheidung (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) des Antragsgegners, die Aufenthaltserlaubnis aus denselben Gründen, die auch zur Ausweisung geführt hätten, nicht zu erteilen (S. 10, dritter Absatz des Bescheids), rechtsfehlerhaft wäre.
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Unabhängig von alledem teilt der Senat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Ausweisung des Antragstellers rechtmäßig ist. Insofern wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Erstgerichts (§ 122 Abs. 3 Satz 2 VwGO) und die ergänzenden Ausführungen des Senats zur Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG Bezug genommen. Deshalb steht aufgrund des in Folge der Ausweisung verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots auch die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegen. Ob sich die Ausweisung nach der Geburt des Kindes noch als verhältnismäßig darstellen oder dem Antragsteller dann aus familiären Gründen eine Duldung zu erteilen sein wird, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
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Zur Ablehnung seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot enthält die Beschwerde keine Ausführungen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).