Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.02.2024 – 1 CS 23.1957
Titel:

Erfolgreicher Eilantrag des Nachbarn - unzulässige Betriebsleiterwohnung

Normenkette:
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:
1. Auch für Betriebsleiter und Betriebsinhaber muss ihr Wohnen auf oder nahe dem Betriebsgrundstück (vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO) mit Rücksicht auf Art und Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sein. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn auf dem Betriebsgrundstück bereits geeignete Wohnungen vorhanden sind, die von dem Betriebsleiter oder Betriebsinhaber genutzt werden können. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den vergleichbaren Fall der Erweiterung eines landwirtschaftlichen Betriebs um eine Betriebsleiterwohnung gilt, dass ein dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs verpflichteter Landwirt ausreichend vorhandenen Wohnraum grundsätzlich vorrangig für den eigenen Wohnbedarf heranziehen würde‚ bevor er den Außenbereich für den Neubau eines weiteren Wohnhauses in Anspruch nimmt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Baugenehmigung ist grundsätzlich nicht teilbar, da sie die einheitliche Feststellung enthält, dass das im Bauantrag beschriebene und zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baugenehmigung für die Errichtung einer Kfz-Werkstatt mit Betriebsleiterwohnung, Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Bestandsgeschütztes Wohnhaus auf dem Vorhabengrundstück, Teilbarkeit der Baugenehmigung (verneint), Gesamtunwirksamkeit
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 16.10.2023 – M 29 S 23.4471
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3107

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die „Errichtung einer Kfz-Werkstatt mit Betriebsleiterwohnung sowie Garage und Stellplätzen“.
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Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung W., das sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet T.“ des Antragstellers befindet. Der Bebauungsplan weist für das Vorhabengrundstück ein Gewerbegebiet aus. Auf dem Vorhabengrundstück befindet sich ein vor Inkrafttreten des Bebauungsplans genehmigtes Wohnhaus einer ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle mit zwei Wohneinheiten.
3
Mit Bescheid vom 16. Mai 2023 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und Erteilung einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Errichtung einer Betriebsleiterwohnung, die im Obergeschoss des geplanten Gebäudes errichtet werden soll. Über die dagegen erhobene Klage des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Auf den erhobenen Eilantrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Oktober 2023 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid angeordnet. Die Klage werde voraussichtlich Erfolg haben. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimme sich nach § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 BauGB. Der Bebauungsplan sei nicht funktionslos. Die auf dem Vorhabengrundstück befindliche Wohnnutzung genieße zwar entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1 Abs. 10 BauNVO Bestandsschutz, die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich aber jedenfalls im Bereich des Vorhabengrundstücks nicht wesentlich verändert. Die Errichtung einer Betriebsleiterwohnung sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da sie dem Gewerbebetrieb aufgrund des vorhandenen Wohnraums nicht funktional zugeordnet sei. Das geplante Bauvorhaben sei nicht teilbar, insbesondere könne der Hauptbaukörper nicht ohne wesentliche Änderung des Bauvorhabens isoliert verwirklicht werden, da hierfür ein Dach notwendig werden würde.
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Der Beigeladene beantragt als Rechtsmittelführer im Beschwerdeverfahren,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16. Mai 2023 abzulehnen,
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hilfsweise den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 16. Mai 2023 bezüglich der Errichtung der Betriebsleiterwohnung anzuordnen und den Antrag im Übrigen abzulehnen.
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Das Bauvorhaben sei teilbar; durch die vorgeschlagene Trennung in Werkstatt und Betriebsleiterwohnung, die als zurückgesetztes Dachgeschoss auf das Dach der Werkstatt errichtet werde, würden ohne wesentliche Änderungen zwei funktionierende Einheiten entstehen. Die Teilbarkeit führe zu einem gerechten Ausgleich, da die Rechtsposition des Antragstellers, der sich nur gegen die Wohnung wende, nicht betroffen wäre. Auch der zwischenzeitlich eingereichte neue Bauantrag für die Genehmigung einer Kfz-Werkstatt ohne Wohnung verdeutliche, dass sich an der Dachkonstruktion nichts ändere. In Bezug auf die geplante Betriebsleiterwohnung habe das Verwaltungsgericht den Bestandsschutz einer Wohnung verkannt, die ansonsten im Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässig sei. Die uneingeschränkte Nutzung der bestehenden Wohneinheiten, die an Dritte vermietet werden könnten, stelle einen von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Belang dar. Ähnlich wie bei einem Landwirt, der sich für die Aussiedlung nicht auf vorhandene Wohnnutzung im Innenbereich verweisen lassen müsse, komme in diesem Fall ein Verweis auf die vorhandene Wohnnutzung nicht in Betracht. Zudem könnte durch zivilrechtliche Gestaltung wie beispielsweise abweichende Eigentumsverhältnisse an dem Wohnhaus oder dem Abschluss von Mietverträgen das öffentliche Recht zur Disposition gestellt werden.
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Der Antragsgegner stellt keinen Antrag und sieht von einer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren ab.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Aufgrund des vorhandenen Wohnraums fehle es an der erforderlichen funktionalen Zuordnung zum Gewerbebetrieb des Beigeladenen. Der Beigeladene werde nicht auf Wohnraum an einem vom Betriebsgrundstück räumlich abgesetzten Ort verwiesen. Mögliche besondere Fallkonstellationen könnten durch Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben gelöst werden. Die Baugenehmigung sei nach den vorgelegten Schnitten auch nicht teilbar, da ein andersartiger Dachaufbau mit einem Kiespressdach erforderlich werde und aufgrund der fehlenden Zuordnung der Stellplätze unklar bleibe, welche drei Stellplätze bei bauplanungsrechtlicher Unzulässigkeit der Betriebsleiterwohnung nicht mehr verwirklicht werden dürften.
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Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Beigeladenen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16. Mai 2023 zu Recht angeordnet. Die Klage des Antragstellers wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben, sodass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen vorrangig ist.
14
Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung von Wohnungen für Betriebsinhaber nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Betriebsleiterwohnung nur zulässig, wenn sie dem Gewerbebetrieb zugeordnet ist und in Grundfläche und Baumasse untergeordnet ist. Auch für Betriebsleiter und Betriebsinhaber muss ihr Wohnen auf oder nahe dem Betriebsgrundstück mit Rücksicht auf Art und Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll sein. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn auf dem Betriebsgrundstück bereits geeignete Wohnungen vorhanden sind, die von dem Betriebsleiter oder Betriebsinhaber genutzt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1984 – 4 C 50.80 – NVwZ 1984, 511). So liegt der Fall hier.
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Der Wohnraum im vorhandenen Gebäude auf dem Betriebsgrundstück ist ausreichend, um als Betriebsleiterwohnung für den Beigeladenen dienen zu können. Mit der Ausweisung eines Gewerbegebiets kommen dem Beigeladenen für das Wohnhaus der ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle Nutzungsmöglichkeiten nur im Rahmen des Bestandsschutzes zu. Eine Fremdkörperfestsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO hat der Antragsgegner nicht getroffen. Inwieweit eine neue fremde Wohnnutzung neben einer gewerblichen Nutzung durch den Beigeladenen zulässig wäre, kann dahingestellt bleiben. Denn für die Beurteilung, ob auf dem Betriebsgrundstück geeigneter Wohnraum zur Verfügung steht, ist grundsätzlich auch die Inanspruchsmöglichkeit von einer vermieteten Wohnung zu berücksichtigen. Auch für den vergleichbaren Fall der Erweiterung eines landwirtschaftlichen Betriebs um eine Betriebsleiterwohnung gilt, dass ein dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs verpflichteter Landwirt ausreichend vorhandenen Wohnraum grundsätzlich vorrangig für den eigenen Wohnbedarf heranziehen würde‚ bevor er den Außenbereich für den Neubau eines weiteren Wohnhauses in Anspruch nimmt (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2017 – 1 ZB 15.913 – juris Rn. 6, B.v. 2.12.2015 – 1 ZB 14.1445 – juris Rn. 6). Gleichermaßen kann der Betriebsleiter im Hinblick auf die restriktiv auszulegende Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO bei vorhandenem geeigneten Wohnraum auf diesen verwiesen werden, ohne dass darin eine unverhältnismäßige Einschränkung seines Eigentumsrechts gesehen werden kann. Soweit der Beigeladene geltend macht, dass die Situation anders zu bewerten wäre, wenn nicht er, sondern ein Dritter die Wohnimmobilie erworben hätte, stellt sich diese Frage vorliegend nicht.
16
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die bauplanungswidrige Unzulässigkeit der Betriebsleiterwohnung führe zur Gesamtunwirksamkeit des gesamten Genehmigungsbescheids, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Eine isolierte Trennbarkeit von Werkstatt und Betriebsleiterwohnung ist vorliegend nicht gegeben. Die Baugenehmigung ist grundsätzlich nicht teilbar, da sie die einheitliche und deshalb grundsätzlich unteilbare Feststellung enthält, dass das im Bauantrag beschriebene und zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben in seiner Gesamtheit nicht gegen zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562; B.v. 7.8.2012 – 15 CS 12.1147 – juris Rn. 14; OVG Saarl, B.v. 22.10.1996 – 2 W 30/96 – BauR 1997, 283; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Oktober 2023, Art. 68 Rn. 50). Eine Einschränkung der erteilten Baugenehmigung hinsichtlich der Zahl der Geschosse kann nicht ohne weiteres erfolgen, ohne dass es einer erneuten Überprüfung und Genehmigung des dann entstehenden weiteren Gebäudes bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – BauR 1998, 995; U.v. 2.3.1972 – IV C 35.70 – BayVBl 1973, 589). Auch wenn ein Bauantrag tatsächlich und rechtlich aufgeteilt werden könnte, kann dies nur mit Zustimmung des Bauherrn erfolgen, da er allein den Umfang der zu erteilenden Baugenehmigung bestimmt (vgl. SächsOVG, B.v. 13.8.2012 – 1 B 242/12 – NVwZ-RR 2013, 14).
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Das Verwaltungsgericht hat vorliegend zu Recht darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Teile des Bauvorhabens nicht unabhängig voneinander realisiert werden können, weil die Dachgeschosswohnung die Realisierung des Hauptbaukörpers voraussetzt und der gewerbliche Hauptbaukörper jedenfalls ein Dach benötigt. Der bei einer Beschränkung auf die Werkstatt erforderliche Dachaufbau anstelle der bisher vorgesehenen Geschossdecke macht eine Überprüfung und Genehmigung erforderlich, weil die angegriffene Genehmigung kein Dach als Abschluss des Erdgeschosses beinhaltet. Soweit der Beigeladene die geplante betonierte (Geschoss-)Decke als ausreichenden Abschluss ansieht übersieht er, dass auch ein Flachdach einen entsprechenden (Kies-)Aufbau erfordert. Auch die vorliegenden Pläne lassen die funktionale Zusammengehörigkeit des Bauvorhabens erkennen; im „Freiflächengestaltungsplan“ sowie im „Entwässerungsplan“ werden die Vorhaben ebenfalls als Einheit behandelt. Da maßgeblicher Zeitpunkt für das Verfahren bei Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ist, ist auch eine nachträgliche Zustimmung des Beigeladenen zu einer Beschränkung auf den gewerblichen Bau ohne Belang. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine entsprechende Rechtsprechung damit begründet, dass die Gemeinde bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Baugenehmigung erteilt werde, das Recht habe, die planungsrechtlichen Voraussetzungen zu Lasten des Bauherrn im Wege der Bauleitplanung zu ändern (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – BVerwGE 156, 1). Damit kann das Gesamtbauvorhaben im Klageverfahren nicht in möglicherweise zulässige Einzelbauvorhaben aufgeteilt werden. Dass der Antragsteller auf den zuletzt vom Beigeladenen eingereichten Bauantrag, der nunmehr die Errichtung einer Werkstatt ohne Betriebsleiterwohnung vorsieht, auf Antrag des Beigeladenen eine Freistellungserklärung abgegeben hat, steht dem nicht entgegen, da die Errichtung einer Werkstatt im Gewerbegebiet zu keinem Zeitpunkt in Frage stand.
18
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.10 des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).