Titel:
BVSK-Honorarbefragung als Schätzgrundlage für Sachverständigenkosten
Normenketten:
VVG § 115
StVG § 7
BGB § 249, § 254
ZPO § 287
Leitsatz:
Bei Standardgutachten zur Feststellung eines Kraftfahrzeugschadens nach einem Verkehrsunfall stellt zur Ermittlung der erforderlichen Sachverständigenkosten die Honorarbefragung des BSVG 2015/2022 eine geeignete Schätzgrundlage auch für die Nebenkosten dar. (Rn. 11 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensgutachten, Sachverständigenkosten, BVSK-Honorarbefragung, Nebenkosten
Fundstellen:
DAR 2024, 625
BeckRS 2024, 30830
LSK 2024, 30830
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 328,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.09.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 328,75 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Die zulässige Klage ist größtenteils begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 328,75 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PfIVG.
3
Unstreitig haftet die Beklagte als Haftpflichtversicherung des unfallgegnerischen Fahrzeugs für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall.
4
Streitig ist allein, ob noch ausstehende Sachverständigenkosten in Höhe von EUR 328,75 erstattungsfähig sind oder nicht, ob also insgesamt Sachverständigenkosten in Höhe von EUR 755,65 brutto laut Rechnung des klägerischen Sachverständigen vom 21.03.2023 ersetzt werden müssen. Einen Betrag in Höhe von EUR 425,90 hat die Beklagte auf die Sachverständigenkosten bereits unstreitig vorgerichtlich reguliert.
5
Die Beklagte bestreitet die Angemessenheit der geltend gemachten Sachverständigenkosten der Höhe nach.
6
Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des OLG München, der sich das Gericht in eigener Würdigung anschließt, ist zu den Sachverständigenkosten folgendes auszuführen:
7
Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Schädiger den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen. Er hat hierzu den Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags zu befriedigen und nicht etwa vom Geschädigten bezahlte Rechnungsbeträge zu erstatten (BGHZ 61, 56 [58] = NJW 1973, 1647).
8
Das Sachverständigengutachten dient der Ermittlung des Schadensumfangs. Die Kosten hierfür hat der Ersatzpflichtige als Sachfolgeschaden gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu tragen. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, NJW-RR 1989, 953, 956). Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob „ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten die Einschaltung eines Sachverständigen für zweckmäßig und geboten halten darf“ (BGHZ 115, 364/369). Diese Voraussetzungen sind zwar mit der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verwandt. Gleichwohl ergeben sie sich bereits aus § 249 BGB, so dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Geschädigten liegt. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar über den üblichen Preisen, so sind diese nicht geeignet, als erforderlich im Sinne des §§ 249 BGB zu gelten. Der erforderliche Geldbetrag ist vom Tatrichter anhand tragfähige Anknüpfungstatsachen gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2014, 3151).
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Ein wesentliches Indiz für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bildet nach der Rechtsprechung des BGH die Übereinstimmung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Kostenaufwands mit der tatsächlichen Rechnungshöhe und der ihr zugrundeliegenden Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten deutlich erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen (vgl. BGH NJW 2014, 1947; 2014, 3151). Vor diesem Hintergrund genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer von ihm beglichenen Rechnung des von ihm beauftragten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 19.7.2016, VI ZR 491/15; Urteil vom 5.6.2018 – VI ZR 171/16).
10
Anders liegt es, wenn die Kostenrechnung des Sachverständigen – wie hier – von dem Geschädigten nicht bezahlt wurde, denn nicht die Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solche, sondern allein der vom Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung tatsächlich erbrachte Aufwand bildet einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH NJW 2016, 3092; 2016, 3363; 2018, 693).
11
Bei Standardgutachten zur Feststellung eines Kraftfahrzeugschaden – wie im hiesigen Fall – kann nach der Rechtsprechung des OLG München (Beschluss vom 14.12.2015, 10 U 579/15) – der das Gericht folgt – gemäß § 287 ZPO die Honorarbefragung des BVSK 2015 als üblich Vergütung herangezogen werden – auch in Bezug auf die Nebenkosten.
12
Das OLG München (Beschluss vom 14.12.2015, 10 U 759/15) führt dazu aus: „Bei dieser Honorarbefragung handelt es sich […] um die einzige überhaupt vorhandene Liste über die Abrechnungspraxis von Schadensgutachtern auf breiterer Tatsachengrundlage. Die Entscheidung des BGH vom 22.07.2014 (Az. VI ZR 357/14, a.a.O.) hat die BVSK-Umfrage 2013 lediglich hinsichtlich der Nebenkostenumfrage für nicht tragfähig erachtet. Die BVSK-Umfrage 2015 hat dem ausdrücklich im Hinblick auf die Entscheidung des BGH Rechnung getragen, so dass eine Verwertbarkeit der Honorarbefragung 2015 des BVSK jedenfalls im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht ausgeschlossen ist. Da weder Sachverständige noch die Versicherungswirtschaft belastbare anderslautende Erhebungen vorgelegt haben und die Abrechnungstableaus einzelner Versicherungen naturgemäß keine verlässlichen Zahlenwerke beinhalten, da sie ausschließlich von der Interessenlage der jeweiligen Versicherung geprägt sind, ist eine alternative tragfähige Schätzgrundlage nicht ersichtlich.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
13
Die von der Beklagten favorisierte Zeitaufwandsermittlung erscheint weder vorzugswürdig noch praktikabel. Der Zeitaufwand soll im Übrigen wiederum von der Schadenhöhe, der Fahrzeugklasse, der Schadenintensität und dem Umfang abhängen, so dass im Ergebnis – wie bei der BVSK-Umfrage – genau die von der Beklagten monierten Parameter doch zum Tragen kommen.
14
Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BGH vom 29.10.2019 (VI ZR 104/19) verhält sich – anders als die Beklagte meint – nicht zu der Frage, ob die BVSK-Umfrage als Schätzgrundlage geeignet ist oder nicht. Die Umfrage war nur mittelbar Gegenstand der Entscheidung, weil sie nominell Gegenstand einer im fraglichen Fall nicht tragfähigen Honorarvereinbarung war. Ansonsten wurde vom BGH nur revisionsrechtlich nicht beanstandet, dass das Berufungsgericht im Streitfall keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Schätzung eines weitergehenden Anspruchs zu erkennen vermochte.
15
Das erkennende Gericht erachtet vorliegend in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des OLG München und des LG München I die Honorarbefragung des BVSK 2015 für eine geeignete Schätzgrundlage. Das gilt zur Überzeugung des Gerichts auch für Honorarbefragung 2022 als Fortschreibung der Honorarbefragung 2015.
16
Auf die Frage, ob der Sachverständige Mitglied im BVSK ist, kommt es dabei nicht an. Zum einen sagt die bloße Mitgliedschaft im BVSK nichts dazu aus, ob die Honorarbefragung des BVSK als taugliche Schätzgrundlage herangezogen werden kann. Zum anderen wurden vorliegend nicht Dienste eines – wie auch immer qualifizierten – Sachverständigen abgerechnet, sondern ein Werklohn in Rechnung gestellt. Dass das Gutachten als Werk minderwertig sei, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
17
Das angemessene Grundhonorar ohne Mehrwertsteuer bestimmt sich demnach nach dem BVSK 2022 HB V Korridor, wobei grundsätzlich der untere Betrag des Korridors anzuwenden ist, dazu kommen 50 % Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige öffentlich bestellt und allgemein vereidigt ist und/oder 50 % Aufschlag des oberen Betrages minus des unteren Betrages des Korridors, wenn der Sachverständige seinen Sitz in M. oder im Landkreis Mü. hat. Dies rechtfertigt sich darin, dass in diesem Korridor die Mehrheit der BVSK-Mitglieder (50 bis 60 %) je nach Schadenshöhe abrechnen und es sich daher um die übliche Vergütung eines Sachverständigen für ein Standardschadensgutachten handelt.
18
Nebenkosten (ohne Mehrwertsteuer) sind entsprechend der BSVK 2015/18/20-Vorgabe als angemessen anzusehen bis zu:
Fahrtkosten:
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0,70 €/km
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Fotokosten:
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2,00 €/Lichtbild und 0,50 € je Lichtbild des zweiten Fotosatzes
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Porto/Telefon pauschal
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15,00 €
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Schreibkosten
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1,80 €/Seite und 0,5 €/Kopie
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19
Weitere Nebenkosten sind nicht erstattungsfähig, da sie entsprechend der Umfrage nicht üblich sind und letztlich als Teil des Grundhonorars und nicht als gesondert zu vergüten anzusehen sind.
20
Nach Ansicht des OLG München ist insgesamt eine Gesamtbetrachtung der Honorarrechnung vorzunehmen, um zu vermeiden dass der Sachverständige benachteiligt wird, der ein niedrigeres Grundhonorar, dafür aber höhere Nebenkosten verlangt (oder umgekehrt), wenn das Gesamthonorar andere Gesamthonorare von Sachverständigen in vergleichbaren Fällen nicht übersteigt.
21
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführung ergeben sich im vorliegenden Fall folgende Werte: Beim Grundhonorar ist der untere Betrag des Korridors anzuwenden, da der Sachverständige weder seinen Sitz in M. oder im Landkreis hat, noch öffentlich bestellt und allgemein vereidigt ist. Damit beträgt das Grundhonorar EUR 623,00. Das Gutachten besteht aus 8 Schreibseiten und 8 Kopien. Die Anzahl der abgerechneten Lichtbilder begegnet im Interesse einer gründlichen Schadensdokumentation, die andernfalls oftmals bemängelt wird, ebenso wenig Bedenken wie die geltend gemachten Fahrkosten, die im Übrigen nicht bestritten sind. Die Fahrzeugbesichtigung erfolgte ausweislich des Gutachtens am Sitz des Klägers.
22
Es ergibt sich somit folgende Berechnung:
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Anzahl
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EUR Gesamt
|
Grundhonorar
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623
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Fahrtkosten 0,70 EUR/km
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13
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9,10
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Fotokosten 2,00 EUR
|
8
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16
|
2. Fotosatz (0,50 EUR)
|
0
|
0
|
Schreibkosten (1,80 EUR/S.)
|
8
|
14,40
|
Kopien (0,50 EUR/Kopie)
|
8
|
4
|
Porto/Telefon
|
|
15
|
Gesamtsumme Nebenkosten
|
58,50
|
Gesamtsumme incl. Grundhonorar netto
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681,50
|
MwSt 19 %
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129,49
|
Gesamtsumme incl. Grundhonorar brutto
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810,99
|
23
Demnach sind die in Rechnung gestellten Kosten um EUR 55,34 geringer als die zur Gutachtenerstellung erforderlichen Kosten.
24
Abzüglich der bereits auf die Sachverständigenkosten regulierten EUR 425,90 verbleibt eine berechtigte Restforderung von EUR 329,75, wovon EUR 328,75 streitgegenständlich sind.
25
Eine Verurteilung Zug um Zug gegen die Abtretung etwaiger Rückforderungsansprüche des Klägers gegen den klägerischen Sachverständigen wegen etwaiger erhöhter Sachverständigenkosten kommt vorliegend – mangels subjektiver Schadensbetrachtung – nicht in Betracht.
26
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
28
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 713 ZPO.