Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.10.2024 – 9 CS 24.545
Titel:

Baugenehmigung für Bullenstall und Fahrsilos im Außenbereich - Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens

Normenketten:
GG Art. 28
BV Art. 11 Abs. 2 S. 2
BauGB § 35, § 36
WHG § 10, § 93
BayWG Art. 15
Leitsätze:
1. Da die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB genannten Gründen versagen darf, sind die Voraussetzungen der § 31, § 33 bis § 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB der Planungshoheit der Gemeinde gegenüber der Baufreiheit Vorrang eingeräumt. Die Gemeinde soll sich mit ihren planerischen Vorstellungen auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetzen können. Sie hat das Recht, bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine Baugenehmigung erteilt wird, die planungsrechtlichen Voraussetzungen zulasten des Bauherrn im Wege der Bauleitplanung zu ändern. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine "ausreichende Erschließung" (§ 35 Abs. 1 BauGB) genügt bei Vorhaben, die von der Natur der Sache oder von ihrer Zweckbestimmung her bevorzugt in den Außenbereich gehören, ein dem Verkehrsbedarf des konkreten Vorhabens noch genügender, aber „außenbereichsgemäßer“ Standard. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baugenehmigung, Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, Bauvorhaben im Außenbereich (Bullenstall und Fahrsilos), Erschließung, Planungshoheit der Gemeinde, Trinkwasserversorgung, Abwasserbeseitigung, „außenbereichsgemäßer“ Standard, Erschließungsangebot
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 21.03.2024 – W 4 S 23.1658
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30814

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladenen tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladenen haften für ihren Kostenanteil als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine den Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Bullenstalls für 450 Tiere samt zweier Fahrsilos (Bauvorhaben).
2
Mit Bauantrag vom … … 2018 in der Fassung der Tektur vom … … 2020 und den Ergänzungen von … 2021 und … 2021 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für das Bauvorhaben auf dem Grundstück FlNr. … (Gemarkung …). Die Antragstellerin verweigerte hierfür das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen.
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Mit Bescheid vom … … 2023 erteilte das Landratsamt A. unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die streitgegenständliche Baugenehmigung. Dagegen erhob die Antragstellerin am … … 2023 beim Verwaltungsgericht Klage (Az.: …), über die noch nicht entschieden ist, und stellte mit Schriftsatz vom … … 2023 einen Antrag nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO. Mit Beschluss vom … … 2024 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage an. In seinen Entscheidungsgründen führte es unter anderem aus, es spreche Überwiegendes dafür, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei und die Rechte der Antragstellerin aus § 36 BauGB bzw. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verletzt seien. So sei voraussichtlich die Erschließung im Sinne des § 35 BauGB hinsichtlich der wegemäßigen Erschließung, hinsichtlich der Abwasserbeseitigung sowie hinsichtlich der Trinkwasserversorgung nicht ausreichend gesichert. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich bei dem Bauvorhaben um ein privilegiertes Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB oder ein sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB handle.
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Weder der … Weg (FlNr. …) noch der Feldweg (FlNr. …) seien gewidmet im Sinne des Art. 6 BayStrWG. Es handle sich allenfalls um tatsächlich-öffentliche Wege. Aufgrund des geplanten Bullenstalls für 450 Tiere samt zweier Siloanlagen sowie der sich östlich anschließenden Biogasanlage, die in untrennbarem Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorhaben stehe, werde es zu einer deutlichen Intensivierung des Verkehrs kommen. Da die Antragstellerin diese nicht hinnehmen müsse, sei sie nicht dauerhaft daran gehindert, jedenfalls den nicht gewidmeten Feldweg (FlNr …) zu sperren oder dessen Benutzung einzuschränken, weshalb nicht von einer Sicherung der wegemäßigen (ausreichenden) Erschließung in rechtlicher Hinsicht auszugehen sei. Ob der Feldweg (FlNr. …) auch in tatsächlicher Hinsicht ausreichend für die Erschließung des Bullenstalls samt Biogasanlage sei, sei offen. Die ausreichende Erschließung sei für die Abwasserbeseitigung ebenfalls nicht gesichert. Das Niederschlagswasser könne nicht vor Ort ins Grundwasser versickern. Es müsse nach seiner Sammlung im Regenrückhaltebecken über eine Druckleitung knapp 300 m südöstlich, jenseits der …straße (FlNr. …) in einen Zuleitungsgraben gepumpt werden, wovon er dann knapp 200 m nördlich in den dort verlaufenden Treppengraben eingeleitet werden solle. Die beiden Grundstücke (FlNrn. … und …), über die die geplante Abwasserleitung teilweise verlaufen solle, stünden im Eigentum der Antragstellerin, die den Beigeladenen ein entsprechendes Durchleitungsrecht nicht gewährt habe, einen Anspruch auf eine Sondernutzung nach Art. 18 BayStrWG stünde den Beigeladenen nicht zu. Auch eine Duldungsanordnung über § 93 WGH, die bisher noch nicht beantragt worden sei, sei wenig erfolgsversprechend. Gleiches gelte für die Versorgung des Bullenstalls mit Trinkwasser. Denn auch insoweit müssten die Beigeladenen Grundstücke der Antragstellerin in Anspruch nehmen, ohne dass eine entsprechende Sicherung der dafür notwendigen Durchleitung ersichtlich wäre.
5
Mit – ebenfalls angefochtenem – Bescheid vom gleichen Tag erteilte das Landratsamt A. den Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens eine Baugenehmigung zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Biogasanlage (75 kW el.) zur energetischen Nutzung von Wirtschaftsdüngern auf dem Grundstück, FlNr. …, Gemarkung …
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Mit weiterem – ebenfalls angefochtenem – Bescheid vom … … 2023 erteilte das Landratsamt A. den Beigeladenen die stets widerrufliche und bis zum 31. Dezember 2043 befristete Erlaubnis nach § 10 WHG i.V.m. Art. 15 BayWG, das auf den Dachflächen eines Bullenstalls und weiteren Fahrflächen auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, anfallende Niederschlagswasser in das Gewässer „Treppengraben (…)“ einzuleiten.
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Mit seiner am … … 2024 erhobenen Beschwerde richtet sich der Antragsgegner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom … … 2024. Er trägt vor, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Prüfung der Sicherung der wegemäßigen Erschließung den falschen Maßstab zugrunde gelegt. Da es sich um ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB handle, werde „nur eine ausreichende Erschließung“ gefordert. An die Erschließung eines im Außenbereich liegenden landwirtschaftlichen Betriebs seien nur geringe Anforderungen zu stellen. Das Verwaltungsgericht habe dies nicht erkannt. Das Gericht gehe fehlerhaft davon aus, dass eine künftige Nutzungsuntersagung der Flächen FlNr. … und FlNr. …, die dem allgemeinen Verkehr tatsächlich zur Verfügung stünden, durch die Antragstellerin auf Dauer möglich sei. Die Antragstellerin habe selbst eingeräumt, dass sie in Bezug auf die bisherigen Baugenehmigungen für den landwirtschaftlichen Betrieb der Beigeladenen jeweils ihr Einvernehmen auch in Bezug auf die (wegemäßige) Erschließung erteilt habe. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts werde der Betrieb bereits über den … Weg (FlNr. …) und den Feldweg (FlNr. …) erschlossen, weshalb die Antragstellerin auf Grund ihrer früher erklärten ausdrücklichen Einwilligungen sowie der Duldung zum Ausbau durch die Beigeladenen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an einer künftigen Nutzungseinschränkung gehindert sei (unter Verweis auf BVerwG, U.v. 31.10.1990 – 4 C 45.88). Der Feldweg FlNr. … sei Gegenstand der wegemäßigen Erschließung der Baugenehmigung vom … … 2003 (Wohnhaus mit Hofladen und Bergehalle). Im Übrigen würde durch die aus der Errichtung des Bullenstalls folgende Intensivierung des Verkehrs nicht zu einer Schädigung des Wegzustands führten, so dass sich der Antragstellerin nicht als Folge der streitgegenständlichen Baugenehmigung unangemessene Erschließungsmaßnahmen aufdrängten (unter Verweis auf BVerwG, U.v. 30.8.1985 – 4 C 48.81 – juris Rn. 15). Nur solche Erwägungen könnten jedoch für eine relevante Intensivierung herangezogen werden. Zudem sei von erheblich weniger zusätzlichen Fahrten als vom Verwaltungsgericht angenommen auszugehen. Die Erschließung hinsichtlich der Abwasserbeseitigung sowie hinsichtlich der Trinkwasserversorgung sei ebenfalls ausreichend gesichert. Der bisherige Betrieb sei unstreitig erschlossen. Bezüglich der Durchleitung sei von Seiten der Antragstellerin weder vorgetragen worden, die Durchleitung nicht dulden zu wollen noch sei ersichtlich, dass dies angesichts des privilegierten Vorhabens bei einem annehmbaren Erschließungsangebot rechtswirksam möglich wäre. Mittlerweile liege ein Erschließungsangebot vor. Dieses sei zu berücksichtigen, da als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach dem Meistbegünstigungsprinzip im Rahmen einer Drittanfechtungsklage nachträgliche Änderungen zu Gunsten des Bauherrn zu berücksichtigen seien.
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Den Ausführungen des Antragsgegners schließen sich die Beigeladenen uneingeschränkt an und führen weiter aus, dass der Antragstellerin zwischenzeitlich ein Erschließungsangebot vorgelegt worden sei, das im Rahmen der zu treffenden Beschwerdeentscheidung einzubeziehen sei. Was die Benutzung des Feldwegs (FlNr. …) zur wegemäßigen Anbindung angehe, so habe laut Auszug aus der Niederschrift über die am … … 2002 abgehaltene Sitzung des Bau-, Verkehrs- und Umweltausschusses „zur Sicherung der Wegeanbindung von dem …weg Flur-Nr. … zu dem nicht ausgebauten Feldweg Flur-Nr. … (…) Herr … … unentgeltlich aus seinen Grundstücken Flur-Nrn. … und … eine 3 m breite Grundstücksfläche an die Gemeinde … (abzutreten), diese Wegstrecke grenzt unmittelbar an das Bauvorhaben des Herrn … … an. Die neu herzustellende Wegefläche ist als nicht ausgebauter Feldweg gemäß den Vorgaben der Gemeinde … auf Kosten des Herrn … … mit einer ausreichenden Schottertragschicht zu befestigen“. Darüber hinaus hätten die Beigeladenen den Streckenabschnitt bei Bedarf unterhalten. Insofern habe die Antragstellerin den Ausbau bzw. die Unterhaltung des Weges auf Kosten der Beigeladenen geduldet bzw. gefordert. Dieser Umstand führe dazu, dass die Antragstellerin unter dem Aspekt von Treu und Glauben auf Dauer daran gehindert sei, die wegemäßige Anbindung an das Vorhabengrundstück zu untersagen (unter Verweis auf BVerwG, U.v. 3.5.1988, 4 C 54.85; U.v. 31.10.1990 – 4 C 45.88).
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Der Antragsgegner und die Beigeladenen beantragen,
10
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg abzuändern und den gestellten Antrag abzulehnen.
11
Die Antragstellerin beantragt,
12
die Beschwerde zurückzuweisen.
13
Zur Begründung führt sie aus, die Behauptung der Antragsgegnerseite, der bisherige Betrieb sei über den … Weg (FlNr. …) und den Feldweg (FlNr. …) erschlossen, sei unzutreffend. Insbesondere sei der betroffene Feldweg (FlNr. …) nicht Gegenstand der wegemäßigen Erschließung der Baugenehmigung vom … … 2003 (… …) für den „Neubau eines Aussiedlerhofes (Wohnhaus mit Hofladen und Bergehalle)“. Beide würden über die … Straße (FlNr. …) und den … Weg (FlNr. …) erschlossen. Da der ursprüngliche Verlauf des Feldwegs (FlNr. …) eine Errichtung des Aussiedlerhofs an der heutigen Stelle nicht möglich gemacht habe, sei im Rahmen der Errichtung dieses Aussiedlerhofs eine Neuvermessung und der Neuausbau eines Teilstücks des Feldwegs (FlNr. …) verlangt worden, damit der Feldweg um das Wohnhaus in ausreichendem Abstand herumgeführt werden könne. Die Antragstellerin müsse eine Intensivierung des Verkehrs grundsätzlich nicht hinnehmen (unter Verweis auf BVerwG, U.v. 31.10.1990, Az. 4 C 45.88). Auch die Binnenerschließung sei nicht gesichert. Die Erschließung in Bezug auf die Abwasserbeseitigung (Abwasserbeseitigung von Niederschlagswasser der Dachflächen des Bullenstalls sowie der Fahrfläche westlich des Bullenstalls) sei ebenfalls nicht ausreichend gesichert. Die beiden Grundstücke (Fl.Nrn. … und …), über die die geplante Abwasserleitung bis in den Zuleitungsgraben verlaufen soll, stünden im Eigentum der Antragstellerin, die diese für rein private Vorhaben nicht zur Verfügung stellen werde. Auch die Trinkwasserversorgung sei nicht ausreichend erschlossen. Dabei sei maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids die letzte Behördenentscheidung. Im Falle der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens sei – entgegen der Ansicht des Antragsgegners und der Beigeladenen – bei der Anfechtungsklage einer Standortgemeinde wegen der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ein Berufen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sogenannten Nachbarrechtsbehelfen, wonach Änderungen zulasten des Bauherrn, die nach der Genehmigungserteilung eintreten, außer Betracht blieben, nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten dagegen Berücksichtigung fänden, nicht möglich. Auf etwaige nachträgliche Erschließungsangebote komme es daher nicht an, die im Übrigen unzureichend seien. Schließlich seien jedenfalls die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als offen zu bewerten und im Rahmen der Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
15
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
16
Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zum hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung und unter Zugrundelegung des nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens wird die Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben, sodass das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Baugenehmigung überwiegt.
17
Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann die nach Landesrecht zuständige Behörde das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen ersetzen, wenn es von der Gemeinde rechtswidrig verweigert worden ist. Da die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB genannten Gründen versagen darf, sind die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen.
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1. Für diese Prüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids abzustellen. Später eingetretene Änderungen und die Frage, ob der Bauherr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Baugenehmigung hat, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist bei einer Anfechtungsklage einer Gemeinde wegen der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nicht auf das Meistbegünstigungsprinzip abzustellen, wonach im Rahmen einer Drittanfechtungsklage nachträgliche Änderungen zu Gunsten des Bauherrn zu berücksichtigen sind. Denn die dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Erwägung, dass es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährten Baufreiheit nicht zu vereinbaren wäre, eine im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste, spielt bei der Klage einer Gemeinde gegen eine unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung keine Rolle. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB der Planungshoheit der Gemeinde gegenüber der Baufreiheit Vorrang eingeräumt. Die Gemeinde soll sich mit ihren planerischen Vorstellungen auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetzen können. Sie hat das Recht, bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine Baugenehmigung erteilt wird, die planungsrechtlichen Voraussetzungen zulasten des Bauherrn im Wege der Bauleitplanung zu ändern. Erst die erteilte Genehmigung setzt der gemeindlichen Planungshoheit eine Grenze. Damit markiert der Erlass der Baugenehmigung zugleich den Zeitpunkt für die Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen zu Recht versagt hat. Sie hat ein Recht zu erfahren, ob die planungsrechtlichen Schritte, die sie bis zum Erlass der Baugenehmigung unternommen hat, ausreichend waren, um auf das streitige Vorhaben Einfluss zu nehmen (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris Rn. 17; OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.11.2017 – 11 B 6.15 – juris Rn. 42; BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 9 CS 19.581 – juris Rn. 20 m.w.N.).
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2. Das Landratsamt A. hat das gemeindliche Einvernehmen im streitgegenständlichen Bescheid zu Unrecht ersetzt. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung und der zugleich ausgesprochenen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens war nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die wegemäßige Erschließung des Bauvorhabens als offen (a)) und die Erschließung bezüglich der Trinkwasserversorgung sowie der Abwasserbeseitigung als nicht ausreichend gesichert (b) und c)) anzusehen. Dies gilt hier unabhängig davon, ob es sich bei dem Bauvorhaben der Beigeladenen um ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB oder um ein sonstiges Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB handelt. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Erschließungsangebote vorlagen, können diese keine Berücksichtigung finden (s.o.).
21
Der planungsrechtliche Begriff der Erschließung bezieht sich insbesondere auf die wegemäßige Erschließung, die Strom- und Wasserversorgung sowie die Abwasserbeseitigung (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Januar 2024, § 35 Rn. 69). Dabei ist bei Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB zu beachten, dass sich in der Gesetzesformulierung der Sicherung der „ausreichenden Erschließung“ die Privilegierung auch in den Erschließungsanforderungen niederschlägt. So genügt bei Vorhaben, die von der Natur der Sache oder von ihrer Zweckbestimmung her bevorzugt in den Außenbereich gehören, ein dem Verkehrsbedarf des konkreten Vorhabens noch genügender, aber „außenbereichsgemäßer“ Standard. Zu diesem zu fordernden Mindeststandard gehört, dass das Grundstück mit Kraftfahrzeugen erreichbar ist, die wie Polizei-, Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge sowie der Ver- und Entsorgung dienende Fahrzeuge im öffentlichen Interesse im Einsatz sind, die Zuwegung nicht durch den vom Vorhaben ausgehenden Ziel- und Quellverkehr sowie durch den sonstigen Verkehr überlastet wird und es nicht zu einer Schädigung des Straßenzustands kommt. So können je nach den örtlichen Gegebenheiten auch ein nur geschotterter Weg oder ein Feldweg ausreichen (zu alledem BVerwG, U. v. 7.2.1986 – 4 C 30.84 – juris, Rn. 20; U. v. 30.8.1985 – 4 C 48.81 – juris Rn. 14 ff.; U. v. 22.11.1985 – 4 C 71.82 – juris Rn. 18). Dabei spielen die Größe des Betriebes, seine spezielle Ausprägung und das hiernach zu erwartende Verkehrsaufkommen eine Rolle. Auch kann die Erschließung ausnahmsweise dann gesichert sein, wenn das Baugrundstück über ein im Eigentum einer Gemeinde stehendes Wegegrundstück, das dem allgemeinen Verkehr jedenfalls tatsächlich zur Verfügung steht, erreichbar ist, wenn die Gemeinde – trotz Fehlens einer förmlichen Widmung – auf Dauer rechtlich gehindert ist, den Anliegerverkehr zu dem Baugrundstück zu untersagen. In Betracht kommen kann insoweit etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn der Weg z.B. auch dem Zugang zu anderen ähnlich bebauten und genutzten Grundstücken dient, oder Treu und Glauben wegen des vorangegangenen Verhaltens der Gemeinde, etwa wenn sie der Bebauung in früherer Zeit vorbehaltlos zugestimmt oder den Ausbau des Weges auf Kosten des Bauherrn geduldet oder gar gefordert hat. Umgekehrt ist vorstellbar, dass die Gemeinde zwar gehalten sein kann, einen beschränkten Verkehr – z.B. den Fußgängerverkehr oder den Anliegerverkehr mit land- und forstwirtschaftlichen Fahrzeugen – zuzulassen, eine Intensivierung des Verkehrs jedoch verhindern darf. Wann die Gemeinde ausnahmsweise trotz Fehlens förmlicher Sicherungen an einer teilweisen oder vollständigen Sperrung eines nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Weges gehindert ist und sich hieraus in besonders gelagerten Fällen eine rechtliche Sicherung der ausreichenden Erschließung ableiten lässt, ist weitgehend eine Frage des jeweiligen Einzelfalls (BVerwG, U.v. 31.10.1990 – 4 C 45/88 – juris Rn. 19).
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a) Nach diesen Kriterien sieht der Senat die ausreichende wegemäßige Erschließung des Vorhabens der Beigeladenen als offen an. Es spricht einiges dafür, dass das Vorhabengrundstück zwar im Westen angefahren werden kann (aa)), jedoch stellt sich die Binnenerschließung – die Anbindung der Biogasanlage – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, als zweifelhaft dar (bb)).
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aa) Die Zufahrt auf das Vorhabengrundstück über den Feldweg (FlNr. …), dessen nordsüdlich verlaufendes Teilstück vom Beigeladenen angelegt, mit einer ausreichenden Schottertragschicht befestigt und tatsächlich bei Bedarf unterhalten wird, erscheint nicht unmöglich. Anders als der Antragsgegner und die Beigeladenen ausführen, folgt dies jedoch nicht aus der bisherigen Erschließungssituation des bestehenden Hofs der Beigeladenen.
24
Der bestehende Hof der Beigeladenen ist über den … Weg (FlNr. …) und die … Straße (FlNr. …) erschlossen, nicht aber zusätzlich über den Feldweg (FlNr. …). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Baugenehmigung vom … … 2003. Der in diesem Zusammenhang von Seiten der Antragstellerin vom Beigeladenen zu 1 geforderte Neubau des Teilstücks des Feldwegs (FlNr. …) resultierte daraus, dass bei Beibehaltung der bisherigen Wegesituation der Feldweg (FlNr. …) durch dessen Hofstelle geführt hätte. Die Auflassung der bisherigen Teilstrecke des Feldwegs (FlNr. …) und dessen Verlegung wurde durch den Neubau des Aussiedlerhofs erforderlich und ermöglichte damit dem Beigeladenen zu 1 erst die Verwirklichung seines damaligen Vorhabens. Die wegemäßige Erschließung des Aussiedlerhofes war hingegen weder das Ziel des Wegtauschs noch war er hierfür notwendig, da jener über den … Weg (FlNr. …) und die … Straße (FlNr. …) angefahren werden kann. Inwiefern der Feldweg (FlNr. …) tatsächlich zur Anfahrt des Aussiedlerhofs genutzt wird, ist daher rechtlich irrelevant. Vor diesem Hintergrund ist auch unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Nutzungsuntersagung des geschotterten Feldwegs über seine gesamte Länge für den zu erwarteten Zusatzverkehr nicht ohne Weiteres ausgeschlossen.
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Unabhängig davon, ob das streitgegenständliche Vorhabens über die geschotterte Teilstrecke wegemäßig erschlossen werden kann, erscheint es hingegen möglich, dass die Beigeladenen über die Fläche ihres Hofgrundstücks (FlNr. …) und unter nachfolgender Überquerung des Feldwegs (FlNr. …) auf das Vorhabengrundstück gelangen, da insoweit nur ein drei Meter breiter Streifen des Teilstücks in Anspruch zu nehmen wäre. Eine diesbezügliche Untersagung scheint der Antragstellerin vor dem Hintergrund, dass dieses Teilstück mit einer Schottertragschicht befestigt ist, die nach Aussagen der Beigeladenen von ihnen unterhalten werde und dessen Überquerung lediglich auf einer Länge von etwa drei Metern stattfindet und Begegnungsverkehr nicht zu erwarten ist, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt (BVerwG, U.v. 31.10.1990 – 4 C 45.88 – juris Rn. 19).
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bb) Was die Binnenerschließung des Vorhabengrundstücks anbelangt, teilt der Senat die vom Verwaltungsgericht angebrachten Zweifel. Mangels vorgesehener Güllegrube soll und muss der Mist der Tiere aus dem geplanten Bullenstall in die Biogasanlage geleitet werden, darüber hinaus ist beabsichtigt, Teile des Niederschlagswassers, die auf dem östlichen Stallgelände anfallen, über die Biogasanlage zu beseitigen. Dementsprechend stehen beide Anlagen in untrennbarem Zusammenhang miteinander, weshalb der Fahrverkehr von und zur Biogasanlage im Rahmen der wegemäßigen Erschließung Berücksichtigung finden muss. Die alleinige Nutzung des südlichen Randstreifens des Vorhabengrundstücks zur Binnenerschließung erscheint sehr knapp. Nach den vorgelegten Plänen ist dieser Streifen nicht durchweg 4 Meter breit, nach den nachvollziehbaren Berechnungen der Antragstellerseite teilweise sogar nur 3,02 Meter. Bei einer angegebenen Fahrzeugbreite von 2,55 Meter zuzüglich Spiegeln und einem gewissen Sicherheitsabstand von der Wand des Bullenstalls, um Schäden am Fahrzeug zu vermeiden, kann zumindest nach jetzigem Stand nicht ausgeschlossen werden, dass der Feldweg (FlNr. …) von den Transportern zumindest teilweise in Anspruch genommen wird. Anders als das mit einer Schottertragschicht befestigte Teilstück in südöstlicher Richtung, handelt es sich bei dem südlichen Randstreifen nach Auszügen aus dem Geoportal lediglich um einen unbefestigten Grünstreifen. Ob dieser in der Lage ist, den von dem streitgegenständlichen Vorhaben ausgehenden zusätzlichen Verkehr von Schleppern/Traktoren mit entsprechenden Anhägern zum Silotransport oder mit entsprechenden Gärresten ohne Beeinträchtigung des Straßenzustands aufzunehmen (zum entsprechenden Erfordernis vgl. BVerwG U.v. 28.10.1981 – 8 C 4.81 – juris Rn. 27; U.v. 3.2.1984 – 4 C 8/80 – juris Rn. 17) ist zweifelhaft und bedarf auch vor dem Hintergrund der noch offenen Frage der Anzahl der Fahrten einer näheren Klärung im Hauptsacheverfahren.
27
b) Nach überschlägiger Prüfung konnte im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung von einer ausreichenden Erschließung des Bullenstalls mit Trinkwasser nicht ausgegangen werden. Unstreitig wird das Wohnhaus auf dem bestehenden Aussiedlerhof mit Trinkwasser versorgt, dessen Anschluss in der Maschinenhalle eingerichtet ist. Die für die Fortführung dieser Leitung notwendige Querung des Feldwegs (FlNr. …) erscheint zwar nicht ausgeschlossen, sofern sich die Verlegung der Leitung nicht nachteilig auf den Bestand des Feldwegs auswirken kann, da in diesem Fall die Antragstellerin wohl kein legitimes Interesse an einer entsprechenden Untersagung hat (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 CS 12.802 – juris). Allerdings lag zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt kein diesbezügliches Erschließungsangebot vor. Darüber hinaus wäre noch zu klären, ob die bestehende Versorgungsleitung „DN 200 AZ … Straße“ ausreichende Kapazitäten zur Versorgung des Bullenstalls mit Trinkwasser hat und der notwendige Leitungsdruck aufrechterhalten bleibt.
28
c) Hinsichtlich der Abwasserbeseitigung spricht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage viel dafür, dass die Erschließung nicht ausreichend gesichert ist, da die Beigeladenen im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids kein Recht zum Anschluss an den …Treppengraben hatten.
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aa) Kein Rückschluss auf die gesicherte Erschließung kann aus dem wasserrechtlichen Bescheid vom … … 2023, der den Beigeladenen die beschränkte, stets widerrufliche Erlaubnis auf Einleitung des Niederschlagswassers in das Gewässer „Treppengraben (…)“ gewährt, gezogen werden. Zum einen ist dieser Bescheid erst gut ca. drei Monate nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids, auf dessen Zeitpunkt abzustellen ist, erlassen worden, so dass er für die Frage der gesicherten Erschließung keine Berücksichtigung finden kann. Zum anderen gewährt die Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 WHG lediglich die Befugnis, ein Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen. Sie stellt damit eine öffentlich-rechtliche Benutzungsbefugnis des Gewässers dar, gibt darüber hinaus jedoch kein Recht, Gegenstände und Anlagen, die im Besitz eines anderen stehen, in Gebrauch zu nehmen; die erteilte Erlaubnis entfaltet gegenüber Dritten keine privatrechtliche Wirkung (Schendel/Scheier in BeckOK, Umweltrecht, Stand 1. Juli 2024, § 10 Rn. 1).
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bb) Anders als der Antragsgegner meint, steht den Beigeladenen auch kein Durchleitungsrecht durch das im Eigentum der Antragstellerin stehende Grünflächengrundstück (FlNr. …) sowie durch die …straße zu. Für die …straße gilt das unter Buchst. b zum Feldweg (FlNr. …) Ausgeführte. Für das Grünflächengrundstück (FlNr. …) ist ein Recht der Beigeladenen auf Verlegung einer Leitung und auf Durchleitung des Niederschlagswassers sehr fraglich. Dieses Grundstück ist offenbar nicht öffentlichen Zwecken gewidmet, sondern fiskalisches Vermögen der Gemeinde. Zudem ist es bereits mit Stromleitungen belegt.
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Über die Ansicht des Antragsgegners, die Antragstellerin könne ein zumutbares Erschließungsangebot nicht ablehnen, ist mangels Vorliegens eines entsprechenden Angebots im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht zu entscheiden. Auch eine auf § 93 WHG gestützte Duldung der Errichtung der Abwasserleitung und anschließenden Durchleitung des Abwassers kommt nach jetzigem Stand nicht in Betracht, da es sich hierbei um eine Ermessensnorm („kann“) handelt und für eine Ermessensreduzierung auf Null nichts ersichtlich ist. Schließlich müsste die Duldungsverfügung erforderlich sein, was nur dann der Fall ist, wenn es dem Begünstigten trotz ernsthafter Bemühungen nicht gelungen ist, sich mit dem Eigentümer, hier der Antragstellerin, zu angemessenen Bedingungen über das Durchleitungsrecht vertraglich zu einigen (vgl. VGH BW, B.v. 19.11.2013 – 3 S 1525/13 – juris Rn. 9). Für einen entsprechenden Einigungsversuch lagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte vor.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3, § 159 Satz 2 VwGO.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 9.10, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).