Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 21.10.2024 – 4 U 4/24 e
Titel:

Keine gesonderte ärztliche Aufklärung trotz erhöhter Risiken

Normenkette:
BGB § 630e Abs. 1
Leitsätze:
Die höhergradige Ausprägung einer Erkrankung (hier: Morbus Dupuytren) gebietet keine gesonderte Aufklärung über hieraus resultierende erhöhte Operationsrisiken; eine Aufklärung über das grundsätzliche Bestehen dieser Risiken reicht aus. (Rn. 30)
Die Vermittlung eines "allgemeinen Bildes" über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Erfolgschancen reicht nicht aus, wenn der Eingriff aufgrund einer besonderen Befindlichkeit des Patienten, etwa aufgrund von Voroperationen im Operationsgebiet oder einer besonderen Konstitution des Patienten, besondere bzw. erhöhte Risiken aufweist. Dies betrifft aber lediglich solche Risiken, die ihre Ursache in einer besonderen, vom konkreten Beschwerdebild unabhängigen Verfassung des Patienten haben und zu einer Risikoerhöhung beitragen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufklärung, Risikoerhöhung, Arzthaftung, Risiko, Befindlichkeit
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Endurteil vom 13.12.2023 – 24 O 340/22 Hei
Weiterführende Hinweise:
Die Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss zurückgenommen.
Fundstellen:
MDR 2025, 103
MedR 2025, 304
LSK 2024, 30604
NJW-RR 2025, 222
BeckRS 2024, 30604

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 13.12.2023, Az. 24 O 340/22 Hei, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Berufungsstreitwert auf 224.446,56 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 13.11.2024.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verfolgt Ansprüche auf immateriellen und materiellen Schadensersatz (unbeziffertes Schmerzensgeld: Mindestbetrag 50.000,00 €, Verdienstausfall in Höhe von ca. 89.000,- €, Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden) nach chirurgischen Behandlungen seiner linken Hand im Krankenhaus der Beklagten zu 1).
2
Der Kläger leidet seit mindestens 2014 an der sog. dupuytren'schen Erkrankung (Morbus Dupuytren) beider Hände und befand sich deswegen in hausärztlicher und ambulanter chirurgischer Behandlung. Mit Blick auf das Leiden an der rechten Hand wurde am 17.07.2014 eine subtotale Aponeurektomie (Entfernung des pathologisch veränderten Bindegewebes) vorgenommen.
3
Mit Blick auf die linke Hand stellte sich der Kläger am 16.07.2019 ambulant im Haus der Beklagten zu 1) zu einer Beratung über die bestehenden Therapieoptionen vor. Dem Kläger wurde hierbei mitgeteilt, dass aufgrund der bestehenden Beugekontrakturen im Grund- und 3. Mittelgelenk des kleinen Fingers der linken Hand neben einer Operation keine sinnvolle Therapiealternative bestehe. Der Kläger wurde unter Verwendung eines Aufklärungsformulars über eine operative Versorgung aufgeklärt. Der Umfang der Beeinträchtigungen aufgrund der bestehenden Beugekontraktion und der Inhalt des Aufklärungsgesprächs sowie die Person des Aufklärenden werden von den Parteien in unterschiedlicher Weise geschildert.
4
Am 26.08.2019 erfolgte die operative Versorgung der linken Hand. Aufgrund von massiven Schwellungen sowie Wundheilungs- und Durchblutungsstörungen mit Ablösung der oberflächlichen Hautschichten am operierten Finger wurde am 30.08.2019 eine erste Revisionsoperation vorgenommen, bei der auch eine Vollhauttransplantation vom Unterarm erfolgte. Am 05.09.2019 erfolgte eine weitere Operation mit Nekrosenabtragung und eine erneute Hauttransplantation. Während des stationären Aufenthalts des Klägers (die Entlassung erfolgte am 12.09.2019) kam es zu einer Infektion der Operationswunde (Bakterium Citrobacter).
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Da sich eine Besserung der Wundsituation nicht einstellte und weiterhin erhebliche Nekrosen und Wundheilungsstörungen bestanden, begab sich der Kläger vom 27.09. bis 03.10.2019 erneut in die stationäre Behandlung in das Krankenhaus der Beklagten zu 1), wobei am 27.09.2019 ein weiterer operativer Eingriff vorgenommen wurde.
6
Schließlich erfolgte, nach weiteren ambulanten Behandlungen im Hause der Beklagten zu 1), bei fortbestehender Bewegungseinschränkung der linken Hand sowie Sensibilitätsstörungen und einer Schwanenhalsdeformität des Kleinfingers, am 19.10.2020 die Amputation des linken kleinen Fingers.
7
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass er über die (allenfalls relative indizierte) Erstoperation nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Es habe weder an Schmerzen gelitten noch habe die Beugekontraktur zu wesentlichen Einschränkungen in seiner Lebensführung geführt. Der Eingriff sei als „ganz normaler Routineeingriff“ bezeichnet worden; über die Risiken, dass auch eine massive Verschlechterung des Befunds eintreten könnte und zahlreiche Revisionsoperationen, schließlich sogar eine Amputation, notwendig werden könnten, sei er nicht aufgeklärt worden. Unzutreffenderweise sei ihm zudem mitgeteilt worden, dass sich seine Erkrankung bei Nichtdurchführung des Eingriffs zwingend verschlechtern würde. Tatsächlich hätte der Erkrankung auch durch gezielte und intensive Physiotherapie entgegengewirkt werden können, worüber er hätte informiert werden müssen.
8
Der Kläger hat erstinstanzlich auch Behandlungsfehler sowie im Hinblick auf die Wundinfektion einen Hygieneverstoß behauptet. Auch im Hinblick auf die weiteren operativen Eingriffe sei eine ausreichende Aufklärung nicht erfolgt. Zudem sei die Amputation auch nicht zwingend indiziert gewesen.
9
Zur Haftung des Beklagten zu 2), den er erstinstanzlich im Wege einer Klageerweiterung als Gesamtschuldner in Anspruch genommen hat, trägt der Kläger vor, dass dieser entweder die Aufklärungen selbst vorgenommen habe oder diese in dessen Verantwortungsbereich fielen.
10
Die Beklagten haben die Vorwürfe bestritten und die ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers behauptet. Ferner seien die Einschränkungen des Klägers nicht auf den Eingriff vom 26.08.2019 zurückzuführen, sondern durch die Grunderkrankung bedingt.
11
Das Landgericht hat die Klage nach persönlicher Anhörung des Klägers und des Beklagten zu 2) sowie nach Erholung eines schriftlichen handchirurgischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. A. (Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie) und ergänzender persönlicher Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 25.10.2023 (Bl. 146 ff. d. LG-Akte) abgewiesen.
12
Es hat ausgeführt, dass dem Kläger der Nachweis für ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen nicht gelungen und der Kläger zur Überzeugung des Gerichts auch ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Im Hinblick auf den Vorwurf der unzureichenden Aufklärung vor der am 26.08.2019 erfolgten Operation hat das Landgericht festgestellt, dass diese durch den Beklagten zu 2) durchgeführt worden sei und dass es auch an den Ausführungen des Beklagten zu 2) zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs vom 16.07.2019 nicht zweifle. Für die entsprechende Überzeugungsbildung stelle es auch kein Hindernis dar, dass sich der Beklagte zu 2) nach eigenen Angaben nicht an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnern könne. Ein Gericht könne seine Überzeugungsbildung auch dann auf die Angaben des Arztes über eine erfolgte Aufklärung stützen, wenn dessen Darstellung in sich schlüssig sei, die entsprechende Aufklärung der zum fraglichen Zeitpunkt praktizierten „ständigen Übung“ entspreche und die Angaben durch die ärztliche Dokumentation im Wesentlichen bestätigt werden. Hier stünden die Ausführung des Beklagten zu 2) mit den in den Behandlungsunterlagen vorhandenen Einträgen in Einklang. Im Anschluss an eine zusammenfassende Darstellung der Angaben des Sachverständigen A. zur Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung (EU Ziff. II.1.4.) hat das Landgericht konstatiert, dass es von einer vollständigen und wirksamen Aufklärung des Klägers hinsichtlich des Ersteingriffs am 26.08.2019 überzeugt sei. Auch hinsichtlich der nachfolgenden operativen Eingriffe hat das Landgericht jeweils eine ordnungsgemäße Aufklärung angenommen.
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Gegen das Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Mit dem Rechtsmittel verfolgt er seine in erster Instanz abgewiesenen Anträge in vollem Umfang weiter, wobei er das Urteil lediglich im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene ordnungsgemäße Aufklärung über den Eingriff vom 26.08.2019 zur Überprüfung stellt. Er rügt, dass sich das Landgericht nicht mit den inhaltlich konträren Angaben der Parteien zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs vom 16.07.2019 auseinandergesetzt habe. Die selektive Wiedergabe der medizinischen Wertungen des Sachverständigen und die Bezugnahme auf den Aufklärungsbogen genüge den Anforderungen an eine ordnungsgemäße richterliche Beweiswürdigung nicht, was als schwerwiegender Rechtsfehler anzusehen sei. Insbesondere habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass der Sachverständige bei einer wie beim Kläger vorliegenden hochgradigen Beugekontraktur ein deutlich höheres Komplikationsrisiko und geringere Erfolgsaussichten bestätigt und insoweit auch eine gesonderte Aufklärungspflicht bejaht habe. Auch in der Rechtsprechung sei anerkannt, dass bei präoperativ erkennbaren erhöhten Risiken eine entsprechende Aufklärung zu erfolgen habe. Der Kläger behauptet, dass er bei einem entsprechenden Hinweis die Operation nicht hätte vornehmen lassen, nachdem der Befund keine Schmerzen verursacht und ihn lediglich leicht eingeschränkt habe.
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Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1. Unter Abänderung des am 13.12.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Schweinfurt – 24 O 340/22 – werden die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verurteilt, wegen der rechtswidrigen Behandlung des Klägers im Zeitraum vom 16.07.2019 bis zum 21.10.2020 an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts zu stellendes Schmerzensgeld – mindestens 50.000,00 € – zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagten zu 1) und 2) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, materiellen Schadenersatz (Verdienstausfall) in Höhe von 88.801,30 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) – vorbehaltlich eines Anspruchsüberganges – gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren materiellen und zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht absehbaren weiteren immateriellen Schaden aus der rechtswidrigen Behandlung des Klägers im Zeitraum vom 16.07.2019 bis zum 21.10.2020 zu ersetzen.
4. Die Beklagten zu 1) und 2) werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 4.374,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
15
Die Beklagten beantragen,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung und tragen vor, dass die durch den Beklagten zu 2) vorgenommene Aufklärung die bei dem Kläger eingetretenen Folgen umfasst habe, was sich auch aus dem unstreitig vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogen ergebe. Insoweit habe auch der Sachverständige erklärt, dass das Spektrum der Komplikationsmöglichkeiten ausreichend durch die ausgefüllten Bögen skizziert worden sei. Die Frage der Notwendigkeit einer Aufklärung über ein erhöhtes Komplikationsrisiko habe der Sachverständige lediglich dahingehend beantwortet, dass er eine solche Positionierung als wünschenswert ansehe, was jedoch nicht bedeute, dass dies auch notwendig gewesen wäre. Darüber hinaus berufen sich die Beklagten auf die bereits erstinstanzlich erhobene Einwendung der hypothetischen Einwilligung und die Einrede der Verjährung.
17
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivortrags, des Wortlauts der erstinstanzlichen Anträge sowie wegen des Beweisergebnisses, des Inhalts und der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe: des angefochtenen Urteils (Bl. 168 ff. d. LG-A.), auf die Berufungsbegründung (Bl. 9 ff. d. A.) und auf die Berufungserwiderung (Bl. 20 ff. d. A.) sowie auf die danach noch gewechselten Schriftsätze (Kläger: vom 14.03.2024, Bl. 34 ff; Beklagter: vom 27.03.2024, Bl. 42 ff. und vom 29.04.2024, Bl. 44 ff.) Bezug genommen.
II.
18
Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
19
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten.
20
Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGHZ 158, 269 ff. = NJW 2004, 1876 ff.; BGHZ 162, 313 ff. = NJW 2005, 1583 ff.; BGH NJW 2003, 3480 ff.).
21
Diese Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Der Senat schließt sich dem angefochtenen Urteil an und nimmt vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen auf die dort getroffenen Feststellungen und die Begründung des Urteils Bezug.
22
Ergänzend wird ausgeführt:
23
Der Senat hat im Ergebnis keine Zweifel an der Feststellung des Landgerichts, wonach der Kläger über den am 26.08.2019 durchgeführten operativen Eingriff ausreichend im Sinne des § 630e Abs. 1 BGB aufgeklärt worden sei. Einer erneuten Tatsachenfeststellung bedarf es daher nicht.
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1. Dem Kläger ist in seiner Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung allerdings insoweit Recht zu geben, als in den Entscheidungsgründen die Einlassungen des Klägers und des Beklagten zu 2) zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs zwar wiedergeben werden, jedoch keine ausdrückliche Begründung erfolgt, weshalb das Gericht hinsichtlich des Inhalts des Aufklärungsgesprächs den Ausführungen des Beklagten zu 2) und nicht den Ausführungen des Klägers Glauben schenkt. Auch unter Berücksichtigung der vom Landgericht angeführten „immer-so“ Rechtsprechung (BeckOK BGB/ Katzenmeier, 71. Ed. 1.8.2024, BGB § 630h Rn. 33, m.w.N.), bedarf es in jedem Fall für die Feststellung, ob die geschuldete Aufklärung erbracht wurde oder nicht, einer verständnisvollen und sorgfältigen Abwägung der tatsächlichen Umstände (BGH, Urteil vom 28.1.2014 – VI ZR 143/13, NJW 2014, 1527, Rn. 11) und damit auch einer Auseinandersetzung mit den konkreten Behauptungen des Patienten.
25
Im vorliegenden Fall liegen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Kläger an das die Operation betreffende Aufklärungsgespräch tatsächlich nicht mehr (zutreffend) erinnert, so dass zur Frage, welchen Inhalt das Aufklärungsgespräch tatsächlich hatte, im Ergebnis nur auf die Einlassungen des Beklagten zu 2) abzustellen ist. So widerspricht die Angabe des Klägers, er sei am 16.07.2019 nicht durch den Beklagten zu 2) untersucht oder behandelt worden, sondern habe diesen erst nach der ersten Operation kennengelernt (S. 2 d. Protokolls v. 25.10.2023), dem Inhalt des in der als „digitale Reproduktion“ eingereichten Krankenakte befindlichen Aufklärungsbogens (Anlage K2 Teil 1, S. 31 ff.), der auf den 16.07.2019 datiert ist und der laut den eigenen Angaben des Beklagten zu 2) im Termin vom 25.10.2023 (S. 5 des Protokolls) auch dessen Unterschrift trägt, die zwar unleserlich ist, aber augenscheinlich auch mit denjenigen übereinstimmt, die sich an anderer Stelle der Patientenakte über dem gedruckten Namen „Prof. Dr. med. B.“ befinden (z. Bsp. Arztbrief v. 12.09.2019). Die Einlassung des Klägers, er sei vermutlich von einer Ärztin aufgeklärt worden (S. 2 des Protokolls), mag daher rühren, dass laut eines weiteren in der Krankenakte befindlichen ausgefüllten Aufklärungsformulars (Anlage K2 Teil 1, S. 36 ff.) der Kläger am 16.07.2019 auch über die Risiken der Anästhesie aufgeklärt wurde, wobei diese Aufklärung ausweislich der (unleserlichen) Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen jedenfalls nicht durch den Beklagten zu 2), aber möglicherweise durch eine Ärztin durchgeführt wurde. Da sich der Kläger daher offensichtlich schon in der Person des Aufklärenden geirrt hat, ist auch seine Einlassung, dass ihm bei dieser Aufklärung erklärt worden sei, dass es sich um einen kleinen Routineeingriff handle, und dass er vor dem Eingriff nicht über Risiken informiert worden sei (S. 4 des Protokolls), mit erheblichen Zweifeln belastet und damit nicht geeignet, den vom Beklagten zu 2) geschilderten Inhalt der Aufklärung, der auch mit dem Aufklärungsbogen vom 16.07.2019 übereinstimmt, in Zweifel zu ziehen.
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Die Feststellung des Landgerichts, wonach der Inhalt des OP-Aufklärungsgesprächs vom 16.07.2019 durch den Beklagten zu 2) zutreffend geschildert wurde, begegnet daher im Ergebnis keinen Bedenken im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
27
2. Die vom Beklagten zu 2) vorgenommene Risikoaufklärung ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deswegen unzureichend, weil er – insoweit unstreitig – nicht auf ein deutlich höheres Komplikationsrisiko und auf geringere Erfolgsaussichten wegen der bei ihm bestehenden hochgradigen Beugekontraktur (im Vergleich zu einer weniger ausgeprägten Kontraktur) hingewiesen wurde.
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Für eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung im Sinne des § 630e Abs. 1 BGB genügt es, den Patienten „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung vom Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei müssen die in Betracht kommenden Risiken nicht exakt medizinisch beschrieben werden. Es ist auch nicht erforderlich, dem Patienten genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Erweckt der aufklärende Arzt beim Patienten aber durch die unzutreffende Darstellung der Risikohöhe eine falsche Vorstellung über das Ausmaß der mit der Behandlung verbundenen Gefahr und verharmlost dadurch ein verhältnismäßig häufig auftretendes Operationsrisiko, so kommt er seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nach (ständige Rechtsprechung des BGH, siehe Beschluss vom 16.8.2022, Az. VI ZR 342/21, NJW 2023, 149, Rn. 9).
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Auf die beim Kläger eingetretenen Risiken, nämlich insbesondere die Gefahr einer Amputation und der Möglichkeit der Verschlechterung des Beschwerdebilds, wurde dieser jedoch nach den vom Landgericht auf Grundlage der informatorischen Angaben des Beklagten zu 2) getroffenen (und nicht zu beanstandenden, s.o.) Feststellungen hingewiesen.
30
Eines gesonderten Hinweises auf das Vorliegen eines höheren Komplikationsrisikos und auf geringere Erfolgsaussichten wegen der bei ihm bestehenden hochgradigen Beugekontraktur bedurfte es dagegen nicht. Es ist zwar anerkannt, dass die Vermittlung eines „allgemeinen Bildes“ über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und Erfolgschancen nicht ausreicht, wenn der Eingriff aufgrund einer besonderen Befindlichkeit des Patienten, etwa aufgrund von Voroperationen im Operationsgebiet oder einer besonderen Konstitution des Patienten, besondere bzw. erhöhte Risiken aufweist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. A 865a ff.). Diese Fallgruppe betrifft aber lediglich solche Risiken, die ihre Ursache in einer besonderen, vom konkreten Beschwerdebild unabhängigen Verfassung des Patienten haben und zu einer Risikoerhöhung beitragen. So liegt der Fall hier nicht. Eine Risikoerhöhung bestand hier nicht aufgrund einer besonderen Disposition des Klägers, sondern lediglich im Vergleich mit anderen graduellen Ausprägungen der Erkrankung. In solchen Fällen kann von einem Arzt jedoch nicht erwartet werden, dass er entsprechende Risikovergleiche zieht, durch die der Patient im Ergebnis auch keinen erhöhten Erkenntnisgewinn erzielt, da er im Zweifel auch nicht den Risikograd für das Gelingen und der möglichen Schädigungen der „leichteren“ Erkrankung kennt. Hierdurch würde eine Verpflichtung des Arztes bewirkt, bei Erkrankungen, die in verschiedenen Stadien oder Ausformungen vorliegen können, im Rahmen der Aufklärung eine vergleichende Risikobetrachtung darzustellen und – ungefragt – zu den jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten Auskunft zu geben. Dies ist jedoch im Rahmen der geschuldeten Aufklärung des Patienten im „Großen und Ganzen“ tatsächlich nicht gefordert (BGH, Beschluss v. 16.08.2022, a.a.O.).
31
Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Erfolgsaussichten derart vermindert sind bzw. die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken erhöht ist, dass sie außerhalb eines von einem verständigen Patienten erwartbaren Vorstellungshorizonts liegen. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Denn nach den Angaben des Sachverständigen (EU S. 18) war die Möglichkeit oder Aussicht, dass sich durch den Eingriff, wie er beim Kläger vorgenommen wurde, eine funktionelle Verbesserung ergibt, sehr viel wahrscheinlicher als der Eintritt einer Komplikation.
32
Eine weitergehende Aufklärungsverpflichtung ergab sich hier auch nicht deswegen, weil der Kläger nach eigenen Angaben wegen der bestehenden Kontraktion keine Schmerzen und kaum Einschränkungen gehabt habe. Zwar könnte sich in diesem Fall, weil sich der Aufklärungsumfang einerseits durch das Gewicht der medizinischen Indikation bestimmt, das sich wiederum aus der Notwendigkeit des Eingriffs, seiner zeitlichen Dringlichkeit und den Heilungschancen ergibt, und andererseits durch die Schwere der Schadensfolgen für die Lebensführung des Patienten im Fall der Risikoverwirklichung bestimmt wird (BGH, Urteil vom 18. 11. 2008 – VI ZR 198/07, NJW 2009, 1209), eine Verpflichtung ergeben, dem Kläger das Komplikationsrisiko ganz besonders deutlich vor Augen zu führen, wofür möglicherweise ein Vergleich der Komplikationsrisiken bei verschiedenen Kontrakturstadien geeignet gewesen wäre. Von einer nur unerheblichen Einschränkung musste der Beklagte zu 2) jedoch nicht ausgehen, da der Kläger in dem von ihm am 16.07.2019 ausgefüllten „Dash-Fragebogen“ (Anlage B2) zwar nur geringe Schmerzen, dafür aber deutliche Einschränkungen bei seiner Arbeit oder anderen täglichen Aktivitäten angegeben hat. Erhöhte Anforderungen an die Aufklärung ergaben sich daher, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine alternative Behandlungsmethode nicht zur Verfügung stand, nicht.
III.
33
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2 Nr. 3). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil auszuschließen ist, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen. Die beabsichtigte Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
34
Auf die bei Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen. Der Senat regt – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme des Rechtsmittels an.