Titel:
Bereicherungsrechtliche Rückforderung des Spieleinsatzes bei nichtiger Online-Spielwette
Normenketten:
GlüStV § 4 Abs. 1, Abs. 4
BGB § 762 Abs. 1 S. 2, § 812 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Verbot von (Online-) Sportwetten nach § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 ist verfassungs- und unionsrechtskonform. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abgeschlossene Verträge zur Durchführung von (Online-) Sportwetten sind wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 nichtig, § 134 BGB, wenn der Veranstalter nicht über eine Erlaubnis verfügt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ist nur einschlägig, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist der Spielvertrag hingegen gem. § 134 BGB nichtig, richtet sich die Rückforderung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen nach dem Bereicherungsrecht. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sportwette, Bereicherung, Nichtigkeit, gesetzliches Verbot, Onlinewette, Erlaubnis
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 16.05.2024 – 11 O 1597/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30595
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 16.05.2024, Az. 11 O 1597/23, wird zurückgewiesen.
2. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren trägt die Beklagte zu 1) 61% und die Beklagte zu 2) 39%. Die Beklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1) genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beklagten wenden sich in der Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu), durch welches sie – dem erstinstanzlichen Antrag des Klägers entsprechend – zur Rückzahlung von 12.404,66 € (Beklagte zu 1) bzw. 7.825,83 € (Beklagte zu 2) jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.12.2023 verurteilt wurden.
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Den in erster Instanz unstreitigen Sachverhalt hat das Landgericht bündig wie folgt zusammengefasst:
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Die [Bekl zu 1] bot und bietet unter der deutschsprachigen Internetdomain www. …de Sportwetten an. Die [Bekl zu 2] bot und bietet unter der deutschsprachigen Internetdomain www. … …de Online-Casinospiele, Online-Poker und virtuelle Automatenspiele an.
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Die [Bekl zu 1] erhielt am 09.10.2020 eine Lizenz für ihr Sportwettenangebot. Die [Bekl zu 2] erhielt im Oktober 2022 eine Erlaubnis für das Anbieten von virtuellen Automatenspielen. Davor gab es jeweils keine Erlaubnisse deutscher Behörden. Beide Anbieter sind über die gemeinsame Webseite www. …de zu erreichen, auf der oben zwischen den beiden verschiedenen Angeboten gewechselt werden kann:
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Die Klagepartei nahm an diesen Angeboten vom 10.2013 – 11.2019 (Sportwetten bis 31.12.2017) teil.
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Bei den hier streitgegenständlichen Teilnahmen am Online-Glücksspiel verwendete die Klagepartei folgende Anmeldeinformationen: www. …de; Benutzername / Nutzer-ID: …; E-Mail-Adresse: …de Über eine Glücksspiellizenz – einschließlich Sportwetten – in Deutschland oder für das Bundesland Bayern, den Wohnsitz des Klägers, verfügten die Beklagte jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober 2013 bis November 2019 nicht. Die Klagepartei verspielte unter Berücksichtigung ihrer Einzahlungen und den Auszahlungen bei der Beklagten zu 1. (Sportwetten) einen Betrag i.H.v. 12.404,66 EUR und bei der Beklagten zu 2. (Casinospiele) einen Betrag i.H.v. 7.825,83 EUR.
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Das Landgericht Kempten (Allgäu), das der Klage durch Endurteil vom 16.05.2024 stattgegeben hat, erachtete diese als zulässig: Es stützt seine internationale Zuständigkeit auf Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012, weil die Beklagten keine konkreten Anhaltspunkte für eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit oder Zielsetzung des Klägers bei der Teilnahme an den Glücksspielen vorgetragen hätten und solche – auch nach der Anhörung des Klägers – nicht ersichtlich seien. Eine Abtretung von Ansprüchen im Rahmen einer Prozessfinanzierung berühre die internationale Zuständigkeit nicht. Ausweislich der Anlage K15 sei der Kläger auch prozessführungsbefugt.
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Der Kläger habe nach dem anwendbaren deutschen Recht (Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom-I-VO) gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung:
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Die Beklagten hätten durch eine Leistung des Klägers einen vermögenswerten Vorteil in Höhe von 12.404,66 € (Beklagte zu 1) bzw. 7.825,83 € (Beklagte zu 2) erlangt. Dies ohne Rechtsgrund, weil die Spielverträge wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrags in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung (GlüStV 2012) gemäß § 134 BGB nichtig seien. Die Beklagten hätten im streitgegenständlichen Zeitraum keine Erlaubnis zur Durchführung von Sportwetten bzw. (Online-) Casino- und Pokerspielen gehabt. An diesem Ergebnis könne weder die maltesische Lizenz der Beklagten noch die behauptete Duldung durch staatliche Behörden etwas ändern. § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV seien nach ihrer Zielsetzung und nach ihren Auswirkungen verfassungs- und unionsrechtskonform.
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Nur durch die Annahme einer Nichtigkeit der Spielverträge sei der durch § 4 GlüStV 2012 bezweckte Schutz des Klägers umzusetzen. Dass den Beklagten die fehlende Erlaubnis straf- und verwaltungsrechtlich nicht entgegengehalten werden könne, ändere an diesem Ergebnis nichts.
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Die Rückforderung sei nicht gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Der Kläger habe in seiner Anhörung angegeben, erst 2023 Informationen betreffend eine Illegalität zur Kenntnis genommen zu haben. Eine Treuwidrigkeit des Klägers (§ 242 BGB) sei auch nicht festzustellen, zumal die Beklagten selbst gesetzeswidrig agiert hätten und daher nicht schutzwürdig seien. § 762 BGB greife nur, wenn ein wirksamer Spiel- oder Wettvertrag vorliege. Der klägerische Anspruch sei auch nicht verjährt: Das Landgericht gehe davon aus, dass der Kläger erst 2023 von der Illegalität des Angebots der Beklagten erfahren habe.
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Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts wird ergänzend Bezug genommen.
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Die Beklagten, die vorrangig eine Aussetzung des Verfahrens anstreben, wenden sich mit ihrer Berufung in vollem Umfang gegen dieses Urteil.
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Die Beklagten nehmen an, die Klage sei wegen der Finanzierung des Prozesses aus unterschiedlichen Gründen unzulässig (Berufungsbegründung, S. 27ff., 32 ff.).
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Die Beklagten rügen weiter, das Landgericht habe die regulatorischen Unterschiede für Online-Casinospiele und Online-Sportwetten nicht sauber genug herausgearbeitet, indem es seine Prüfung auf § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 konzentriert habe.
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Die Spielverträge betreffend das Casinoangebot der Beklagten zu 2) erwiesen sich nicht als nichtig: Das Landgericht habe es unterlassen, im Rahmen einer eigenen dynamischen Eingriffsprüfung wissenschaftliche Nachweise dafür zu verlangen, dass eine regulierte Zulassung von (Online-) Casinospielen den Spielerschutz bzw. die Gesundheit potentieller Spieler verschlechtern würde. Das Totalverbot von (Online-) Casinospielen habe sich zudem als ungeeignet und inkohärent erwiesen, was das Landgericht im Rahmen der gebotenen dynamischen Prüfung hätte berücksichtigen müssen: Die Evaluierung des Landes Hessen zum Glücksspielstaatsvertrag enthalte die Feststellung, dass der illegale (Online-) Casino- und Pokermarkt gewachsen sei, die Belastung der Bevölkerung durch die Glücksspielsucht sich seit 2012 aber kaum verändert habe. Es sei auch nicht gerechtfertigt gewesen, (Online-) Casinospiele zu verbieten, gleichzeitig aber dasselbe Automatenspielangebot terrestrisch ohne jegliche Limitbestimmungen und Sperrmöglichkeiten zu erlauben. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 sei im Übrigen kein Verbotsgesetz mit Nichtigkeitsfolge im Sinne von § 134 BGB.
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Auch die Spielverträge betreffend das Sportwettangebot der Beklagten zu 1) seien nicht nichtig gewesen: Das gesetzlich vorgesehene Konzessionserteilungsverfahren sei unionsrechtswidrig gewesen, das VG Wiesbaden habe festgestellt, dass der Beklagten zu 1) eine Konzession erteilt werden müsse. Zivilrechtlich habe dies zur Folge, dass der Beklagten zu 1) die fehlende Erlaubnis nicht entgegengehalten werden könne.
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Selbst wenn man – wie das Landgericht – von einem Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ausgehe, wären die zwischen den Parteien geschlossenen Glücksspielverträge nicht als nichtig gemäß § 134 BGB anzusehen, weil sich das Verbot der Durchführung von Online-Sportwetten ohne Erlaubnis nicht gegen das rechtsgeschäftliche Handeln richte, sondern nur gegen die Modalitäten der Veranstaltung. Der „Gesetzgeber“ habe seine Gefahrenannahmen für Sportwetten korrigiert und den Markt ganz bewusst für private Anbieter geöffnet. Es komme hinzu, dass die Verbotsnorm mit Blick auf das den Behörden eingeräumte Ermessen nicht hinreichend bestimmt sei. Es entspreche zudem ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass allein das Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnis nicht zur Nichtigkeit zivilrechtlicher Verträge führe.
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Das Landgericht habe in Bezug auf beide Beklagte zu Unrecht einen Kondiktionsausschluss gemäß § 817 S. 2 BGB verneint und dabei relevanten Vortrag der Beklagtenseite übergangen. Das Landgericht habe zudem das rechtliche Merkmal der „Leichtfertigkeit“ zu Unrecht als Tatfrage behandelt und nach Beweislast entschieden. Der Schutzzweck der nichtigkeitsbegründenden Norm erfordere vorliegend auch keine teleologische Reduktion von § 817 S. 2 BGB.
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Bei der Bestimmung der Anspruchshöhe habe das Landgericht den vom Kläger erlangten Unterhaltungswert zu Unrecht außer Betracht gelassen.
21
Ein deliktischer Anspruch scheide aus unterschiedlichsten Gründen aus.
22
Ansprüche des Klägers seien im Übrigen verjährt.
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Die Beklagten beantragen im Berufungsverfahren,
das am 16.05.2024 verkündete Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu), Az.: 11 O 1597/23, abzuändern und die Klage abzuweisen,
das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil (s. Berufungserwiderung vom 24.09.2024) und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat erteilte in seiner Terminsverfügung vom 09.09.2024 Hinweise nach § 139 ZPO (Bl. 139 d. BerA).
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Unstreitig ist zwischen den Parteien – wie in der mündlichen Berufungsverhandlung herausgearbeitet werden konnte (vgl. die Niederschrift vom 10.10.2024, Bl. 239 d. BerA) –, dass von der Homepage der Beklagten sowohl auf das (Online-) Wettangebot der Beklagten zu 1) zugegriffen werden konnte als auch auf die (Online-) Casinospiel der Beklagten zu 2), s. auch Anlage K11. Unstreitig ist weiter, dass ein Spieler auch schon vor Erteilung der Konzessionen mehr als 1.000,- € binnen eines Monats einzahlen und verspielen konnte.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil erweist sich als richtig.
28
Die Klage erweist sich – auch vor dem Hintergrund der Finanzierung des Prozesses durch [den Prozessfinanzierer] – als zulässig und sie ist auch begründet. Der Kläger kann von den Beklagten die Differenz zwischen den von ihm gezahlten Spieleinsätzen und den an ihn ausbezahlten Gewinnen aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB sowie aus §§ 823 Abs. 2 BGB, § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 verlangen.
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Gegenüber der Beklagten zu 1) besteht dieser Anspruch in Höhe von 12.404,66 € und er betrifft Einsätze für (Online-) Sportwetten im Zeitraum Oktober 2013 bis Dezember 2017. Gegenüber der Beklagten zu 2) besteht der Anspruch in Höhe von 7.825,83 € und er betrifft Einsätze für (Online-) Casinospiele im Zeitraum Oktober 2013 bis November 2019.
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Die Klage erweist sich – auch in Angesicht der Finanzierung des Prozesses durch [den Prozessfinanzierer] – als zulässig.
31
1. Das Landgericht Kempten (Allgäu) hat seine internationale Zuständigkeit zutreffend aus Art. 18 Abs. 1 VO (EU) 1215/2012 hergeleitet. Aus den von den Beklagten zitierten Entscheidungen (insb. EuGH C-89/91) folgt nichts anderes, denn in den zugrundeliegenden Fällen klagte gerade nicht der am Vertrag beteiligte Verbraucher.
32
2. Der Kläger ist auch prozessführungsbefugt: Er hat dargelegt und durch die Vorlage einer Bestätigung seines Prozessfinanzierers (Anlage K15) nachgewiesen, dass er berechtigt ist, die streitgegenständlichen Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen und dabei Zahlung an sich selbst zu verlangen. Damit liegen die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft vor (vgl. Weth, in: Musielak/Voit, § 51 ZPO, Rn. 25 ff., 32). Das erforderliche schutzwürdige Eigeninteresse des Klägers ist bei einer Sicherungszession – wie sie hier vorliegt – grundsätzlich gegeben (BGH NJW 2022, 1959, 1961). Weil ihn sein Prozessfinanzierer hierzu ausdrücklich ermächtigt hat, kann der Kläger auch nach Offenlegung der stillen Sicherungszession Leistung an sich selbst verlangen.
33
3. Die von den Beklagten behaupteten und vom Kläger nicht bestrittenen erheblichen finanziellen Zugeständnisse an den Prozessfinanzierer führen nicht dazu, dass die Klageerhebung durch den Kläger als Verbraucher gegen Treu und Glauben verstieße. Der Kläger hat nämlich weiterhin ein eigenes rechtliches und wirtschaftliches Interesse an der Rückforderung der rechtsgrundlos geleisteten Spieleinsätze. Dabei begründet insbesondere die Ungewissheit, ob die Forderung – auch auf Grundlage eines stattgebenden Urteils – gegen die im Ausland sitzenden Beklagten mit Erfolg und ohne erhebliche Verzögerungen vollstreckt werden kann, ein legitimes Interesse des Klägers daran, die Bedingungen des Prozessfinanzierungsvertrags zu akzeptieren, um nicht das Prozess- und das Vollstreckungsrisiko allein tragen zu müssen (OLG Stuttgart BeckRS 2024, 11182, Rn. 30).
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Die Klage ist in Höhe von 12.404,66 € begründet, weil dem Kläger in dieser Höhe ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der zur Durchführung von (Online-) Sportwetten an die Beklagte zu 1) (unter Ziff. II im Folgenden: Beklagte) erbrachten Zahlungen abzüglich der Gewinne zustand.
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1. Die Beklagte hat die vom Kläger gezahlten Sportwetteneinsätze im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB erlangt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger die jeweiligen Spieleinsätze auf ein Konto der Beklagten einbezahlt und dann für (Online-) Sportwetten eingesetzt hat.
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2. Bei den Zahlungen der Sportwetteneinsätze auf ein Konto der Beklagten handelte es sich jeweils um Leistungen i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, also um eine zweckgerichtete Mehrung des Vermögens der Beklagten durch den Kläger. Der Kläger leistete die Zahlungen auf das Konto der Beklagten, um online Sportwetten platzieren zu können. Dieses durch die AGB der Beklagten vorgezeichnete Verfahren entsprach der Vereinbarung zwischen den Parteien.
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3. Die Leistungen des Klägers erfolgten ohne Rechtsgrund. Die zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge zur Durchführung von (Online-) Sportwetten waren wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 nichtig, § 134 BGB. Die Beklagte besaß für die vom Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum platzierten (Online-) Sportwetten unstreitig keine Erlaubnis.
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3.1. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig (Online-) Sportwetten ohne deutsche Erlaubnis angeboten und damit § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 verstoßen.
39
Dass die maltesische Lizenz der Beklagten diese nicht dazu berechtigt, Sportwetten in einem anderen Mitgliedstaat anzubieten, entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH (s. nur EuGH C-316/07 Rn. 116 – Stoß). Dass das Land Hessen durch das VG Wiesbaden (erstinstanzlich) verurteilt wurde, der Beklagten eine für 7 Jahre gültige Konzession zur Veranstaltung von Sportwetten zu erteilen, steht einer Erlaubnis nicht gleich. Auch die faktische Duldung des Angebotes der Beklagten durch die zuständigen Behörden ändert nichts daran, dass die geforderte Erlaubnis nicht vorlag.
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3.2. Das Verbot von (Online-) Sportwetten nach § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 war entgegen der Annahme der Beklagten im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum verfassungs- und unionsrechtskonform.
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3.2.1. Der EuGH urteilt in ständiger Rechtsprechung (s. nur EuGH C-316/07 – Stoß), dass der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der spielenden Verbraucher sowie der Sozialordnung Eingriffe in den freien Dienstleistungsverkehr (inzwischen Art. 56 AEUV) rechtfertigen kann. Den Mitgliedstaaten kommt bei der Gestaltung der Rechtslage mit Blick auf ihre sittlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten und die – im freien Wettbewerb noch verschärften (EuGH C-156/13, Rn. 31 – Digibet) – schädlichen Folgen von Spiel und Wette für den Einzelnen und die Gesellschaft ein „weites Ermessen“ zu (EuGH C-156/13, Rn. 32 – Digibet), das insbesondere auch solche Rechtsvorschriften rechtfertigen kann, „die darauf abzielen, eine Anregung der Nachfrage zu vermeiden und vielmehr die Ausnutzung der Spielleidenschaft der Menschen zu begrenzen“ (EuGH C-316/07 Rn. 75f – Stoß). Die Mitgliedstaaten müssen die von ihnen festgelegten Ziele allerdings in einer kohärenten und systematischen Weise verfolgen (EuGH a.a.O. Rn. 83) und die Beschränkungen müssen sich als verhältnismäßig erweisen (EuGH a.a.O. Rn. 77f.). Ob das der Fall ist, muss von den nationalen Gerichten im Zuge einer dynamischen Prüfung, die sich von der Zielsetzung der Regelung bei Erlass löst und auch ihre Auswirkungen in den Blick nimmt, geprüft werden (EuGH C-464/15 Rn. 36f. – Admiral Casinos).
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3.2.2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe und unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten ist festzuhalten:
- Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die zum 01.07.2012 geschaffene Rechtslage in Form eines Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 verfassungs- und unionsrechtskonform war. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, die zu einem abweichenden Ergebnis führen würden.
- Der ausgiebig begründeten Annahme der Beklagten, dass es im Hinblick auf § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 ein Vollzugsdefizit gab, das zur Inkohärenz und Unionsrechtswidrigkeit des Verbots von (Online-) Sportwetten führte, vermag der Senat nicht zu folgen.
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3.2.3. Ein Vollzugsdefizit kann nach der Rechtsprechung des EuGH (EUGH C-157/13 – Digibet) das geltende Glücksspielrecht nur dann zu Fall bringen, wenn es dazu führt, dass die gesetzgeberischen Ziele nicht mehr in ausreichendem Umfang erreicht werden können. Der Gerichtshof spricht wörtlich von einer „erheblichen Beeinträchtigung“ der Eignung des Gesetzes zur Erreichung der mit den Beschränkungen des Glücksspiels verfolgten Zwecke des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung (EuGH a.a.O., Rn. 32, 36).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben: Zwar kam das angestrebte Konzessionsverfahren für private Anbieter nicht zur Erprobung, die damit fortbestehende Rechtslage, die staatlichen Anbietern ein terrestrisches Angebot in sehr begrenztem Umfang ermöglichte und (Online-) Sportwetten konsequent verbot, war aber – gerade was den Umgang mit Online-Glücksspielen angeht (Totalverbot) – denkbar kohärent und (weiterhin) geeignet, die gesetzgeberischen Ziele in einer verhältnismäßigen Weise zu erreichen.
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Für den Bundesgerichtshof ist dieses Ergebnis – wohl mangels konkreten Vortrages im zugrundeliegenden Verfahren – so naheliegend, dass er die Frage einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit des in Deutschland gelebten Rechts der (Online-) Sportwette in seiner Entscheidung vom 25.07.2024 (BGH NJW 2024, 2606) überhaupt nicht behandelt.
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Im vorliegenden Verfahren gibt der Vortrag der Beklagten Anlass zu den folgenden Bemerkungen:
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3.2.3.1. Die Beklagte scheint davon auszugehen, dass eine Unanwendbarkeit des vom Gesetzgeber vorgesehenen Erlaubnisvorbehalts dazu führt, dass (Online-) Sportwetten ohne Erlaubnis angeboten werden durften. Diese Annahme ist falsch, sie lässt sich auch nicht auf die Rechtsprechung des EuGH (C-46/08 – Carmen Media) stützen:
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Der Beklagten ist dabei darin zuzustimmen, dass der Erlaubnisvorbehalt „fällt“, wenn das Konzessionserteilungsverfahren „fällt“ (Berufungsbegründung, S. 63 = Bl. 83 d. BerA). Falsch ist aber die Annahme, dass dadurch auch das Verbot, ohne Erlaubnis Sportwetten anzubieten, wegfiele.
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Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass das – zur Umsetzung der Experimentierklausel des § 10a Abs. 1 GlüStV 2012 initiierte – Konzessionserteilungsverfahren zentralen Grundsätzen des Unionsrechts widersprach, ändert das nichts daran, dass es einem privaten Unternehmen wie der Beklagten verboten war, ohne Erlaubnis Sportwetten anzubieten, § 4 Abs. 1 GlüStV 2012. Aus der Systematik des GlüStV 2012 und den in § 1 des Staatsvertrages formulierten Zielen wird deutlich, dass das Verbot von Glücksspiel ohne Erlaubnis in jedem Fall gelten sollte. Es liegt auf der Hand, dass sich die Ziele des Staatsvertrags (u.a. Verhinderung von Glücksspielsucht und Wettsucht; Lenkung des Marktes in geordnete Bahnen; Jugend- und Spielerschutz) mit einem völlig unregulierten Glücksspielmarkt nicht erreichen lassen. Es galt eben ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und keine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt.
50
Dass der legislatorische Wille des nationalen Gesetzgebers klar darauf gerichtet war, das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele ohne Erlaubnis in jedem Fall und damit auch dann zu verbieten, wenn den Anbietern kein Erlaubnisverfahren zur Verfügung stünde, folgt schon aus der Gesetzessystematik. Über allem steht in § 4 Abs. 1, Abs. 4 das Verbot. § 4 Abs. 5 stellt es den Bundesländern frei („können“) Erlaubnisse zu erteilen, sofern die dort beschriebenen Voraussetzungen erfüllt werden.
51
Den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des EuGH (v.a. EuGH C-46/08 – Carmen Media, dort insb. Rn. 90) ist nichts anderes zu entnehmen, denn diese behandeln nur die Unionsrechtswidrigkeit des Erlaubnisverfahrens und nicht die Unionsrechtswidrigkeit des Verbots.
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3.2.3.2. Faktisch bestand damit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum das der Rechtslage vor Inkrafttreten des GlüStV 2012 entsprechende Sportwettenmonopol mit Internetverbot fort (EuGH C-336/14 Rn. 93; NK-WSS/Greco/Werkmeister § 284 StGB Rn. 15).
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Dass ein solches Monopol mit dem Unionsrecht in Einklang stehen kann, wenn es die Ziele des jeweiligen Gesetzgebers in einer verhältnismäßigen, kohärenten und systematischen Weise umsetzt, hat der EuGH bereits in seiner „Stoß“-Entscheidung klargestellt (EuGH C-316/07 Rn. 79, 81f.). Ob das der Fall ist, muss von den nationalen Gerichten im Zuge einer dynamischen Prüfung, die sich von der Zielsetzung der Regelung bei Erlass löst und auch ihre Auswirkungen in den Blick nimmt, geprüft werden (EuGH C-464/15 Rn. 36f.).
54
3.2.3.3. In diesem Zusammenhang geht der Senat davon aus, dass das fortgeltende Totalverbot der (Online-) Sportwetten für private Anbieter wirksam war und dass die Hinweise der Beklagten auf die Rechtsprechung des EuGH unbehelflich sind:
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Zwar hat der EuGH in der Rechtssache „Stoß“ (EuGH C-316/07) darauf hingewiesen, dass ein staatliches Monopol dann inkohärent bzw. unverhältnismäßig sein kann, wenn der Staat in anderen Bereichen private Angebote zulässt, wenn er für die eigenen Angebote übermäßig wirbt und wenn er bei nicht dem Monopol unterworfenen Glücksspielen mit höherem Suchtpotential eine Politik der Angebotserweiterung betreibt. Die Beklagte hat aber nicht vorgetragen, dass diese Voraussetzungen im streitgegenständlichen Zeitraum (noch?) vorlagen. Dass der Normgeber sich die Hinweise des EuGH zu Herzen genommen hat, lässt sich der vom Senat als allgemeinbekannt behandelten (vgl. Hinweis in der mündlichen Berufungsverhandlung) Gesetzesbegründung (veröffentlicht u.a. als ‚amtliche Erläuterungen zum GlüStV vom 07.12.2011‘, im Folgenden bezeichnet als ‚Erläuterungen 2012‘) entnehmen (dort, S. 13).
56
3.2.3.4. Der Senat verkennt auch nicht, dass der EuGH in der Rechtssache „Ince“ (EuGH C-336/14) ausgeführt hat, er könne nicht davon ausgehen, „dass […] die von den nationalen Gerichten festgestellte Unionsrechtswidrigkeit innerstaatlicher Rechtsbestimmungen, mit denen ein staatliches Monopol auf die Veranstaltung und die Vermittlung von Sportwetten eingeführt wurde, behoben worden ist.“ Dieses vermeintliche Verdikt einer Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Rechtslage übernimmt der EuGH aber aus der Vorlageentscheidung des Amtsgerichts Sonthofen, zu einer eigenen Beurteilung war und ist der EuGH nicht berufen.
57
Der Senat gelangt – wie dargestellt – aufgrund eigener Prüfung zu dem Ergebnis, dass (jedenfalls) seit dem Inkrafttreten des GlüStV 2012 eine Rechtslage bestand, die dem Verfassungs- und Unionsrecht entsprach.
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3.3. In seinem Beschluss vom 25.07.2024 (BGH NJW 2024, 2606) hat der Bundesgerichtshof ausführlich begründet, weshalb § 4 GlüStV 2012 ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB darstellt und weshalb aus dem einseitigen Verstoß der Beklagten gegen dieses Verbot die Nichtigkeit des Vertrages folgt. Der Senat erachtet die Argumentation des Bundesgerichtshofes als zutreffend und macht sie sich – auch mit Blick auf die Einwendungen der Beklagten im vorliegenden Verfahren – zu eigen.
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Für den Senat liegt auf der Hand, dass die durch Art. 56 AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit des Glücksspielanbieters kein anderes Ergebnis rechtfertigen kann. Richtig ist zwar, dass der Staat einem Anbieter von Sportwetten nicht entgegenhalten kann, er habe ohne Erlaubnis agiert, wenn derselbe Staat das Erlangen der Erlaubnis schuldhaft vereitelt hat (EuGH C-336/14). Im Verhältnis zu einem privaten Dritten, dessen Schutz die gesetzliche Regulierung des Glücksspielmarktes und die damit verbundene Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Anbieters dient (s. § 1 GlüStV 2012), muss aber anderes gelten, weil ansonsten der Schutz der Bevölkerung hinter die Interessen eines Anbieters zurücktreten würde, der in Kenntnis eines Verbots und ohne Erlaubnis im Internet Sportwetten angeboten hat. Ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt bietet auch formellen Schutz und dient jedenfalls im Verhältnis zwischen Privaten der Rechtssicherheit. Das Risiko, dass eine Konzession womöglich materiell zu Unrecht verweigert wurde, sollte nicht der Spieler tragen, dem eine Sportwette ohne eine solche Konzession angeboten wurde. Denn andernfalls wird das Risiko der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Genehmigungsfähigkeit auf den privaten Dritten verlagert. Der Glücksspielanbieter ist damit auch nicht schutzlos gestellt: Er mag den Staat aus Staatshaftung in Anspruch nehmen.
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Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum Sportwetten unter Bedingungen anbot, die nicht den Voraussetzungen von § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 entsprachen. In der mündlichen Berufungsverhandlung war unstreitig, dass die Homepage der Beklagten eine Verlinkung zu Sportwetten und zu Casinospielen enthielt und dass ein Spieler im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich mehr als 1000 € einzahlen und auch verspielen konnte.
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4. Der Kondiktionsanspruch des Klägers scheitert auch nicht an § 817 S.2 BGB (so auch BGH NJW 2024, 1950 Rn. 57 „aus tatsächlichen Gründen“).
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Dass der Kläger bei der Spielteilnahme das Verbot gekannt hätte, behauptet die Beklagte nicht. Dass er sich der Erkenntnis leichtfertig verschlossen hätte, hat die Beklagte, die ihr Angebot selbst für legal hält, nicht darlegen und beweisen können.
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Der mitgeteilte Inhalt der AGB (s. Berufungsbegründung, S. 89) samt Hinweis auf die maltesische Lizenz musste den Kläger im Gesamtkontext nicht an der Legalität des ganz offen auf den deutschen Markt ausgerichteten Angebots der Beklagten zweifeln lassen.
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Die spekulative Annahme, dem Kläger müssten „aufgrund der Algorithmen des Internets […] Medienberichte zur Illegalität von Online-Glücksspielen“ angezeigt worden seien, dürfte prozessrechtlich unbeachtlich sein. Unabhängig hiervor hat der Kläger in seiner Anhörung vor dem Landgericht deutlich gemacht, er habe „vor dem Jahr 2023 […] betreffend die Unzulässigkeit des Angebots der beiden Beklagten keinerlei Informationen gehabt“ und erst durch eine Werbung hiervon erfahren.
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5. Auch § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem Rückforderungsanspruch des Klägers nicht entgegen (BGH NJW 2024, 1950 Rn. 57). Die Norm ist nur einschlägig, wenn die Rückforderung auf den Spielcharakter gestützt wird. Ist der Spielvertrag hingegen – wie hier – gem. § 134 BGB nichtig, richtet sich die Rückforderung rechtsgrundlos erbrachter Leistungen nach dem Bereicherungsrecht (Grüneberg/Retzlaff, § 762 BGB Rn. 6; BGH NJW 1997, 2314).
66
6. Der Einwand der Berufung, das Landgericht habe die Anspruchshöhe falsch bestimmt, führt nicht weiter: Die von der Beklagten in erster Instanz angesprochene Saldotheorie erlaubt zwar – in Anwendung von § 818 Abs. 3 BGB – in bestimmten Fällen eine Verrechnung von Leistung und Gegenleistung (vgl. z.B. BGH NJW 2014, 2646). Für den pauschal behaupteten und nicht einmal bezifferten „Unterhaltungswert“ gilt das schon deshalb nicht, weil die angeblich von der Beklagten bewirkte „Unterhaltung“ des Klägers weder vertraglich geschuldet noch vermögensrelevant war.
67
7. Die Verjährungseinrede der Beklagten greift ebenfalls nicht durch (so i.E. auch BGH NJW 2024, 1950 Rn. 57):
68
Die für den Verjährungsanlauf darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht beweisen können, dass der Kläger Kenntnis von der fehlenden Konzession hatte. Im Gegenteil: Der vom Landgericht angehörte Kläger gab an, erst im Jahr 2023 von der „Unzulässigkeit des Angebots“ erfahren zu haben. Mit dieser Einlassung setzt sich die Beklagte in der Berufung nicht auseinander.
69
Die Beklagte, die selbst überzeugt von der Legalität ihres Angebots ist, hat auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den klagebegründenden Tatsachen vorgetragen. Der Kläger schloss die Verträge in Unkenntnis der Tatsache, dass die Beklagte über keine (gültige) Erlaubnis verfügte, die sie dazu berechtigte, in Deutschland Online-Glücksspiele anzubieten. Die Beklagte verfügte über eine maltesische Lizenz, mit der sie auf ihrer Website warb und die sie in den AGB herausstellte. Eine deutsche Lizenz hatte sie nicht. Dabei ist der Befund, dass die Beklagte nicht im Besitz einer in Deutschland gültigen Lizenz war, ein Sachverhalt, den man als „Umstand“ im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB zu verstehen hat. Diese Tatsache (genauer: Negativ-Tatsache) ist zugleich Anspruchsvoraussetzung für den klägerischen Bereicherungsanspruch. Denn dieser müsste scheitern, wenn die Beklagte im Besitz einer für Deutschland gültigen Lizenz gewesen wäre. Der Kläger hat die Lizenzlosigkeit der Beklagten auch nicht etwa grob fahrlässig verkannt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB), denn es kann nicht angenommen werden, dass dem Kläger dasjenige einleuchten musste, was selbst der Beklagten bisher nicht einleuchten mag: Diese meint bis heute, dass ihre maltesische Lizenz sie zu Angeboten in anderen EU-Mitgliedstaaten (insbesondere in Deutschland) ermächtige und dass § 4 GlüStV 2012 gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit verstoße. Sie beruft sich damit darauf, eine gültige Lizenz für Deutschland zu haben. Davon durfte auch der Kläger ausgehen, anderes ist – auch durch den Hinweis auf die AGB der Beklagten – nicht dargetan.
70
Ein Anspruch auf Zahlung von 12.404,66 € folgt auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012. Aus den vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.07.2024 (NJW 2024, 2606 Rn. 61 ff.) überzeugend herausgearbeiteten Gründen stellt § 4 GlüStV 2012 ein Verbotsgesetz dar.
71
Die Klage gegen die Beklagte zu 2) (unter Ziff. IV im Folgenden: Beklagte) ist in Höhe von 7.825,83 € begründet, weil dem Kläger in dieser Höhe ein – mittlerweile sicherheitshalber abgetretener (s.o., I.) – Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB auf Rückzahlung der zur Durchführung von (Online-) Casinospielen an die Beklagte erbrachten Zahlungen abzüglich seiner Gewinne zustand.
72
1. Die Beklagte hat die vom Kläger gezahlten Glücksspieleinsätze im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB erlangt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger die jeweiligen Spieleinsätze auf ein Konto der Beklagten einbezahlt und dann für (Online-) Casinospiele eingesetzt hat.
73
2. Bei den Zahlungen der Einsätze auf ein Konto der Beklagten handelte es sich jeweils um Leistungen i.S.v. § 812 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 BGB, also um eine zweckgerichtete Mehrung des Vermögens der Beklagten durch den Kläger. Der Kläger leistete die Zahlungen auf das Konto der Beklagten, um (Online-) Casinospiele betreiben zu können. Dieses durch die AGB der Beklagten vorgezeichnete Verfahren entsprach der Vereinbarung zwischen den Parteien.
74
3. Die Leistungen des Klägers erfolgten ohne Rechtsgrund. Die Beklagte hat durch das öffentliche Angebot von (Online-) Casinospielen im Internet ohne Erlaubnis gegen § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 verstoßen (dazu 3.1 – 3.2). Aus diesem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot folgt die Nichtigkeit der von der Beklagten abgeschlossenen Glücksspielverträge, § 134 BGB (dazu 3.3).
75
3.1. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig (Online-) Casinospiele ohne deutsche Erlaubnis angeboten und damit gegen § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2021 verstoßen.
76
3.2. Soweit die Beklagte meint, das Verbot von (Online-) Casinospielen nach Maßgabe des GlüStV 2012 erweise sich nach seiner regulatorischen Konzeption und erst recht im Vollzug als unionsrechtswidrig, vermag der Senat dem nicht zu folgen (so auch BVerwG 8 C 18/16 mit genauer Begründung).
77
3.2.1. Der EuGH urteilt in ständiger Rechtsprechung (s. nur EuGH C-316/07 – Stoß), dass der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der spielenden Verbraucher sowie der Sozialordnung Eingriffe in den freien Dienstleistungsverkehr (inzwischen Art. 56 AEUV) rechtfertigen kann. Den Mitgliedstaaten kommt bei der Gestaltung der Rechtslage mit Blick auf ihre sittlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten und die – im freien Wettbewerb noch verschärften (EuGH C-156/13, Rn. 31 – Digibet) – schädlichen Folgen von Spiel und Wette für den Einzelnen und die Gesellschaft ein „weites Ermessen“ zu (EuGH C-156/13, Rn. 32 – Digibet), das insbesondere auch solche Rechtsvorschriften rechtfertigen kann, „die darauf abzielen, eine Anregung der Nachfrage zu vermeiden und vielmehr die Ausnutzung der Spielleidenschaft der Menschen zu begrenzen“ (EuGH C-316/07 Rn. 75f). Die Mitgliedstaaten müssen die von ihnen festgelegten Ziele allerdings in einer kohärenten und systematischen Weise verfolgen (EuGH a.a.O. Rn. 83) und die Beschränkungen müssen sich als verhältnismäßig erweisen (EuGH a.a.O. Rn. 77f.). Ob das der Fall ist, muss von den nationalen Gerichten im Zuge einer dynamischen Prüfung, die sich von der Zielsetzung der Regelung bei Erlass löst und auch ihre Auswirkungen in den Blick nimmt, geprüft werden (EuGH C-464/15 Rn. 36f. – Admiral Casinos).
78
3.2.2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die mit Wirkung zum 01.07.2012 geschaffene Rechtslage verfassungs- und unionsrechtskonform war (sogleich 3.2.3.) und dass es auch kein Vollzugsdefizit gab, das zur Inkohärenz und Unionsrechtswidrigkeit geführt hätte (s.u., 3.2.4.).
79
3.2.3. Ausweislich der Gesetzesbegründung wollten die Länder als Normgeber an die bewährte strikte Regulierung des Glückspiels zum Schutz der Spieler und der Allgemeinheit anknüpfen und die neu akzentuierten Regelungsziele mit differenzierten Maßnahmen für die einzelnen Glücksspielformen erreichen (zu Einzelheiten, s. ‚Erläuterungen 2012‘, S. 5ff.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 26.10.2017 (8 C 18/16) sorgfältig begründet, weshalb die so geschaffene Rechtslage der Verfassung und dem Unionsrecht entspricht. Der Senat schließt sich dem – wie die obergerichtliche Rechtsprechung (s. nur BGH NJW 2024, 1950 Rn. 12; OLG Frankfurt NJW-RR 2022, 1280 m.w.N.; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 11188 mit ausführlicher Begründung) – an.
80
Zu den zentralen Einwendungen der Beklagten ist zu sagen:
81
3.2.3.1. Richtig ist, dass Eingriffe eines Mitgliedstaates in die Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich nur dann zu rechtfertigen sind, wenn sie von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein (EuGH C-148/15 Rn. 35 – Deutsche Parkinson). Genau dieses Prozedere wurde beachtet: Aus den Gesetzgebungsunterlagen der Länder zum GlüStV 2012 ergibt sich, dass den Ländern als Normgeber ein Bericht zur Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags vorlag und dass sie sich darüber hinaus auf eine international vergleichende Analyse des Glücksspielwesens stützen konnten, die sie in Auftrag gegeben hatten (‚Erläuterungen 2012‘, S. 3). Auf dieser Grundlage konstatierten die Länder eine hohe Manipulationsanfälligkeit von Casinospielen, ein herausragendes Suchtpotenzial, sowie eine Anfälligkeit für eine Nutzung zu Zwecken der Geldwäsche (‚Erläuterungen 2012‘, S. 12).
82
3.2.3.2. Der Vortrag der Beklagten, wonach 200 der führenden Suchtwissenschaftler aus 25 EU-Mitgliedstaaten bereits 2011 zu dem Befund gelangt seien, dass Glücksspiele im Internet im Vergleich zu ähnlichen stationären Glücksspielen keine erhöhte Gefährlichkeit aufweisen, ist schlicht falsch. Die Beklagte zitiert aus den Ergebnissen eines Workshops mit begrenzter Teilnehmerzahl. Dass der Europäischen Kommission im Jahr 2011 noch keine aussagekräftigen Daten zu den (Hinter-) Gründen für problematisches Spielverfahren vorlagen, ergibt sich aus ihrer Mitteilung zum Thema „Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel“ (COM(2012) 596 final) vom 23.10.2012.
83
3.2.3.3. Die Entscheidung des Normgebers, (Online-) Casino- und Pokerspiele (weiter) zu verbieten, Automatenspiele in Spielhallen o.ä. aber (weiter) zu erlauben, begründet keine Inkohärenz der gesetzlichen Regelung:
84
Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang darauf, die Mehrzahl der wegen pathologischen Glücksspiels in Behandlung befindlichen Personen gebe das Automatenspiel in Spielhallen als Hauptspielform an (Klageerwiderung, S. 42f.). Genau hiervon ist auch der Gesetzgeber im Jahr 2012 ausgegangen („Suchtpotential bei Geldspielgeräten […] am höchsten, vgl. ‚Erläuterungen 2012‘, S. 41). Der Normgeber hat die hohe Gefährlichkeit gewerblicher Automatenspiele aber nicht nur erkannt, sondern er hat auch umfangreiche beschränkende Maßnahmen ergriffen (s. näher ‚Erläuterungen 2012‘, S. 13, S. 41ff.; zur Wirksamkeit BVerfG GewA 2017, 339). Ein Verbot gewerblicher Automatenspiele stand ersichtlich deshalb nicht im Raum, weil zu befürchten wäre, dass gerade die Gruppe der problematischen und pathologischen Spieler auf – illegale – Angebote im Internet ausweichen würde.
85
Die besonderen Gefahren des Internet wiederum hatte der EuGH kurz zuvor (im Jahr 2010) nachvollziehbar wie folgt beschrieben (EuGH C-46/08 Rn. 102f. – Carmen Media):
86
Er [gemeint: Der Gerichtshof i.S. C-42/07 – Liga Portuguesa] hat insbesondere ausgeführt, dass über das Internet angebotene Glücksspiele, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich bergen, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden […].
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Desgleichen können sich die Besonderheiten des Angebots von Glücksspielen im Internet als Quelle von, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, anders gearteten und größeren Gefahren für den Schutz der Verbraucher und insbesondere von Jugendlichen und Personen erweisen, die eine besonders ausgeprägte Spielneigung besitzen oder eine solche Neigung entwickeln könnten. Neben dem bereits erwähnten fehlenden unmittelbaren Kontakt zwischen Verbraucher und Anbieter stellen auch der besonders leichte und ständige Zugang zu den im Internet angebotenen Spielen sowie die potenziell große Menge und Häufigkeit eines solchen Angebots mit internationalem Charakter in einem Umfeld, das überdies durch die Isolation des Spielers, durch Anonymität und durch fehlende soziale Kontrolle gekennzeichnet ist, Faktoren dar, die die Entwicklung von Spielsucht und übermäßige Ausgaben für das Spielen begünstigen und auf Grund dessen die damit verbundenen negativen sozialen und moralischen Folgen, die in ständiger Rechtsprechung herausgestellt worden sind, vergrößern können.
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Dieser – zur Überzeugung des Senats auch heute noch aktuellen – Einschätzung des EuGH hat sich der deutsche Normgeber im Jahre 2011 angeschlossen (s. ‚Erläuterungen 2012‘, S. 7). Und auch der Normgeber des Glücksspielstaatsvertrages 2021 sah „vielfältige wissenschaftliche Anhaltspunkte“ dafür, dass das Online-Glücksspiel glücksspielbezogene Probleme vermehrt auslöst (‚Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021‘, im Folgenden ‚Erläuterungen 2021‘, S. 6). Die Universität Hamburg (vgl. Klageerwiderung, S. 40 = Bl. 68 d.A.) sieht eine Vielzahl qualitativer Argumente, die für eine erhöhte Gefährlichkeit von Glücksspielen im Internet sprechen (Universität Hamburg, Endbericht vom 16.09.2019, S. 59 ff.) und schlussfolgert mit Blick auf die höhere Ereignisfrequenz: „Das Suchtpotenzial sowie die Schnelligkeit, mit der das Suchtstadium erreicht wird, ist bei Glücksspielen im Internet folglich im Allgemeinen deutlich stärker ausgeprägt als bei Offlinespielen“ (a.a.O., S. 59). Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es im Abschlussbericht von Hayer/Lahusen/Kalke an das Bundesministerium für Gesundheit zu „Standards für Jugend- und Spielerschutzmaßnahmen beim Online-Glücksspiel“ aus dem Dezember 2020 heißt: „Tatsächlich konnte ein aktueller systematischer Review das hohe Gefährdungspotential von Online-Glücksspielen im Kern bestätigen (Hayer, Girndt & Kalke, 2019): Von insgesamt 63 gesichteten Primärstudien verwiesen 48 und somit die große Mehrheit auf besondere Suchtgefahren in Verbindung mit internetgestützten Glücksspielangeboten.“
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3.2.3.4. Dass für (Online-) Sportwetten eine Erlaubnismöglichkeit geschaffen wurde, während (Online-) Casino- und Pokerspiele weiter verboten blieben, begründet weder eine Inkohärenz der gesetzlichen Regelung noch erweist es sich als unverhältnismäßig gegenüber der Beklagten.
- Das Verbot von (Online-) Casino- und Pokerspielen wurde nachvollziehbar mit dem herausragenden Suchtpotential, der hohen Manipulationsanfälligkeit sowie der Anfälligkeit für eine Nutzung zu Zwecken der Geldwäsche begründet (‚Erläuterungen 2012‘, S. 12).
- Im Bereich der Sportwetten konstatierte der Normgeber, es sei nicht gelungen, die erhebliche Nachfrage auf das nach Angebot und Vertriebsweg eng begrenzte Sportwettangebot der staatlichen Veranstalter zu kanalisieren. Deshalb sollte mittels einer Experimentierklausel erprobt werden, durch ein kontrolliertes Angebot privater Konzessionäre den – vor allem im Internet beheimateten – Schwarzmarkt teilweise in die Legalität zu überführen und im Übrigen zurückzudrängen.
- Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang eine genauere Begründung der höheren Gefährlichkeit von (Online-) Casino- und Pokerangeboten gegenüber Sportwetten einfordert (s. z.B. Klageerwiderung, S. 39), ist hierzu zu sagen:
- Der Normgeber hat eben diese Begründung geliefert: Er sieht neben dem „herausragenden Suchtpotential“ (dazu sogleich) eine hohe Anfälligkeit von (Online-) Casino- und Pokerspielen für Manipulationen und kriminelle Aktivitäten. Genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur (Online-) Sportwette: Beim (Online-) Casino- und Pokerspiel begibt man sich zwangsläufig in die Hand des Betreibers und seiner Computer. Bei Sportwetten sind demgegenüber allenfalls die bewetteten Ereignisse – im Einzelfall – manipulationsgefährdet.
- Aus Sicht des Senats spricht vieles dafür, dass jedenfalls gegenüber denjenigen Spielformen der (Online-) Sportwette, die der Gesetzgeber im Jahr 2012 zulassen wollte (vgl. § 21 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 – [Live-] Ergebniswetten), auch ein größeres Suchtpotential besteht: Die vom Normgeber in Auftrag gegebene international vergleichende Analyse des Glücksspielwesens bestätigte die „hohe Suchtgefahr des Internetglücksspiels aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht […] vor allem für Casinospiele, aber auch für Sportwetten“, spätere Studien kamen zu ambivalenten Ergebnissen (vgl. BT-Drs. 17/10365, S. 58 Fn. 43), aus heutiger Sicht spricht einiges dafür, dass die ursprüngliche Einschätzung des Normgebers zutreffend war. So heißt es im „Glücksspiel-Survey 2019“ (zitiert u.a. in Klageerwiderung, S. 42; vgl. die genauen Zahlen in Tabelle 24): „In der Gruppe der Personen, die irgendeine Form von Automaten- und Casinospielen spielen, ist das Risiko für problematisches Glücksspielverhalten am höchsten. Sportwetten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für problematisches Glücksspielverhalten. Lotterien weisen das geringste Risiko auf.“ Die Universität Hamburg (Klageerwiderung, S. 42) gelangt auf der Grundlage einer rein qualitativen Bewertung zu dem Ergebnis, dass Sportwetten nicht deutlich ungefährlicher sind als Casino- und Automatenspiele. Sie hat dabei aber Spielformen der Sportwette mit hoher oder sehr hoher Spielgeschwindigkeit im Blick (Ereigniswetten; [Live-] Ereigniswetten), die der Gesetzgeber im Jahr 2011 gerade nicht erlauben wollte (s. § 21 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012; ‚Erläuterungen 2012‘, S. 11, S. 39f.).
- Es war nach alledem konsequent, jedenfalls aber ermessensgerecht, das Experiment einer vorsichtigen Öffnung des Marktes für private (Online-) Anbieter zunächst (nur) im Bereich der (Ergebnis-) Sportwetten zu unternehmen.
90
3.2.4. Auch ein zur Inkohärenz führendes Vollzugsdefizit im Zeitraum 2013 – 2019 sieht der Senat bei Vornahme einer dynamischen Prüfung, die sich von der Zielsetzung der Regelung bei Erlass löst und auch ihre Auswirkungen in den Blick nimmt (EuGH C-464/15 Rn. 36f.), nicht. Er sieht sich auch insoweit im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. Kammergericht GRUR-RS 2020, 49879; die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen, BGH BeckRS 2012, 21504).
91
Der Entscheidung EUGH C-157/13 (Digibet) entnimmt der Senat dabei, dass ein Vollzugsdefizit das geltende Glücksspielrecht nur dann zu Fall bringt, wenn es dazu führt, dass die gesetzgeberischen Ziele nicht mehr in ausreichendem Umfang erreicht werden können. Der Gerichtshof spricht wörtlich von einer „erheblichen Beeinträchtigung“ der Eignung des Gesetzes zur Erreichung der mit den Beschränkungen des Glücksspiels verfolgten Zwecke des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung (EuGH a.a.O., Rn. 32, 36).
92
Auch insoweit greifen die Einwendungen der Beklagten nicht durch:
93
3.2.4.1. Die Beklagte nimmt an, die ‚heutige Studienlage‘ (Berufungsbegründung, S. 17) zu den Gefahren des Online-Glücksspiels rechtfertige kein Totalverbot von (Online-) Casinospielen. Ergebnis einer dynamischen Eingriffsprüfung sei daher die Unionsrechtswidrigkeit von § 4 GlüStV 2012.
95
3.2.4.2. Die beklagtenseits in erster Instanz zitierte Studie von Suzanne Lischer (Das Gefährdungspotential von Internet-Glücksspielen und Möglichkeiten des Spielerschutzes, ZfWG Sonderbeilage 5/2018, S. 2-21, juris) ist als „narrative Überblicksarbeit“ angelegt, ihren Erkenntnissen liegen keine eigenen Feldstudien oder Umfragen zugrunde. Lischer, deren Studie von der … Ltd. [= Unternehmen aus einem Spieleanbieter Konzern] gefördert wurde, räumt in ihrer zusammenführenden Bewertung ein, dass „die Befundlage zum exakten Ausmaß der glücksspielbezogenen Probleme bei Online-Glücksspielen in Deutschland […] insgesamt noch nicht erhärtet“ sei (S. 16). Ihre beklagtenseits zitierten Schlussfolgerungen sind vor diesem Hintergrund spekulativ und ermöglichen keine verlässliche Aussage über die speziellen Gefahren des Online-Glücksspiels in Deutschland (vgl. näher OLG Stuttgart BeckRS 2024, 11188 m.w.N. und ausführlicher Begründung).
96
3.2.4.3. Auch der Hinweis auf die Gesetzesbegründung zum GlüStV 2021 führt nicht weiter. Im Gegenteil:
97
Aus den zitierten Textstellen ergibt sich zunächst und vor allem, dass das zum 01.07.2012 eingeführte Regulierungsregime wirksam war („Prävalenzen im problematischen und pathologischen Glücksspielbereich auf niedrigem Niveau stabil“; „Anteil auffälliger Spieler […] im Vergleich zu 2009 signifikant gesunken“). Von einer ‚Beeinträchtigung der Eignung des Gesetzes zur Erreichung der mit den Beschränkungen des Glücksspiels verfolgten Zwecke des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung‘ kann keine Rede sein, schon gar nicht von einer „erheblichen Beeinträchtigung“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH.
98
Zu der Motivation, (Online-) Casinospiele dennoch in engen Grenzen zu erlauben, ist den Gesetzgebungsmaterialien zu entnehmen: „Das Bestehen und die Wahrnehmung von nicht erlaubten Spielformen im Internet, die keinen inhaltlichen Begrenzungen oder Vorgaben zum Spielerschutz unterliegen, zeigen, dass eine Kanalisierung in Richtung erlaubter Spielformen bislang nur eingeschränkt funktioniert und es zur besseren Erreichung der Ziele des Staatsvertrages geboten ist, das erlaubte Angebot in seiner inhaltlichen Ausgestaltung maßvoll zu erweitern“ (‚Erläuterungen 2021, S. 4f.). Mit anderen Worten: Die Hoffnung des Gesetzgebers, dass sich die private Glücksspielindustrie zum Schutz der Bevölkerung an das gesetzliche Verbot von (Online-) Casinospielen halten könnte, hatte sich nicht erfüllt. Aufgrund aktueller Studien durfte der Gesetzgeber hoffen, dass ein liberaleres Regulierungssystem keine massiven Auswirkungen auf die Größe des Marktes von Online-Glücksspielen haben würde (‚Erläuterungen 2021‘, S. 2 unter Hinweis auf die Studie ‚Fiedler‘). Der Gesetzgeber entschied sich vor diesem Hintergrund, von dem Modell ‚lieber wenige Spieler im Schwarzmarkt als viele Spieler im lizensierten Markt‘ (GlüStV 2012) zu dem Modell ‚lieber viele Spieler im regulierten Markt als ähnlich viele Spieler im unregulierten Schwarzmarkt‘ zu wechseln.
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Richtig ist danach, dass die Hoffnungen, die der Normgeber 2012 in das Verbot von (Online-) Casinospielen gesetzt hatte, sich zwar weitgehend (s.o.: „Prävalenzen im problematischen und pathologischen Glücksspielbereich auf niedrigem Niveau stabil“; „Anteil auffälliger Spieler […] im Vergleich zu 2009 signifikant gesunken“), aber nicht voll erfüllt hatten. Dass der Gesetzgeber im Jahr 2020 mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung in allen Lebensbereichen und die zunehmende Internetaffinität (‚Erläuterungen 2021‘, S. 5) einen Paradigmenwechsel vornahm und (Online-) Casinospiele erlaubte, beruhte nach alledem nicht auf einem messbaren Misserfolg der bisherigen Politik, sondern auf einer Prognose für die Zukunft.
100
3.2.4.4. Für die Annahme, (Online-) Casinospiele hätten sich in der Zeit nach dem 01.07.2012 als relativ ungefährlich erwiesen, findet sich in den Gesetzgebungsunterlagen keine Stütze. Im Gegenteil: Die Gesetzesbegründung spricht von einer „hohen Manipulationsanfälligkeit“ und einem „herausragenden Suchtpotential“ (‚Erläuterungen 2021‘, S. 24).
101
3.2.4.5. Dass das gescheiterte Konzessionsverfahren für Sportwettenanbieter nicht zur Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielrechts geführt hat, wurde bereits erläutert (s.o., II.). Faktisch erfolgte eine Gleichbehandlung privater Angebote von (Online-) Sportwetten und (Online-) Casinospielen, die die Beklagten an anderer Stelle einfordern.
102
3.3. In seinem (Sportwetten-) Beschluss vom 25.07.2024 (BGH NJW 2024, 2606) hat der Bundesgerichtshof ausführlich begründet, weshalb § 4 GlüStV 2012 ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB darstellt und weshalb aus dem einseitigen Verstoß eines Glücksspielanbieters gegen dieses Verbot die Nichtigkeit des Vertrages folgt. Der Senat erachtet die Argumentation des Bundesgerichtshofes als zutreffend und macht sie sich – auch mit Blick auf die Einwendungen der Beklagten im vorliegenden Verfahren und auch für den Bereich des (Online-) Casinospiels – zu eigen.
103
4. Der Kondiktionsanspruch des Klägers scheitert weder an § 817 S.2 BGB noch an § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB. Auch die Verjährungseinrede der Beklagten greift nicht durch. Der Senat verweist jeweils auf die Ausführungen unter II.
104
Ein Anspruch auf Zahlung von 7.825,83 € folgt auch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012. Aus den vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.07.2024 (NJW 2024, 2606 Rn. 61 ff.) überzeugend herausgearbeiteten Gründen stellt § 4 GlüStV 2012 ein Verbotsgesetz dar.
105
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
106
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
107
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2 ZPO, 711, 709 S. 2 ZPO.
108
Die von der Beklagten beantragte Aussetzung des Verfahrens in analoger Anwendung von § 148 ZPO war aus folgenden Gründen abzulehnen:
109
Eine Aussetzung analog § 148 ZPO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung einer Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde (BGH BeckRS 2012, 4329). Eine Aussetzung kann insbesondere dann unterbleiben, wenn die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ist, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt und wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH NJW 1983, 1257).
110
Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.07.2024 ein sie betreffendes Sportwettenverfahren ausgesetzt hat (BGH NJW 2024, 2606). Der Bundesgerichtshof hat in seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss eingehend und überzeugend begründet, warum er dazu neigt, im Rahmen nicht erlaubter Online-Angebote abgeschlossene Sportwettenverträge als generell nach § 134 BGB nichtig anzusehen (BGH a.a.O., Rn. 50 ff.). Diese Argumentation überzeugt. Vernünftige Zweifel daran, dass die vom BGH vertretene Rechtsauffassung gegen Unionsrecht verstößt, sieht der Senat nicht (s.o.). Noch im Frühjahr 2024 sah auch der Bundesgerichtshof derartige Zweifel jedenfalls in solchen Verfahren nicht, in denen – wie vorliegend – nicht alle materiellen Voraussetzungen des Erlaubnisvorbehalts erfüllt waren (BGH NJW 2024, 1950).
111
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, das Verfahren mit Blick auf das am 14. Juli 2023 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des ... (Malta) auszusetzen. Eine Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage Nr. 1 wäre für den Senat schon deshalb nicht gewinnbringend, weil die vom maltesischen Gericht unterstellte Sach- und Rechtslage (u.a.: „keine wissenschaftlichen Belege“) nicht dem Vortrag im vorliegenden Verfahren entspricht. Weshalb die Tatsache, dass Mittel des Spielers und Zahlungsansprüche im Herkunftsland des Anbieters „gesichert werden“, sich darauf auswirken sollte, ob dem Spieler ein Bereicherungsanspruch zusteht (Vorlagefrage Nr. 7), versteht der Senat nicht. Die Vorlagefragen Nr. 5 und Nr. 6 sind nicht entscheidungserheblich, die Vorlagefragen Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 wurden durch den EuGH bereits in den Verfahren C-316/07 (Stoß) und C-46/08 (Carmen Media) geklärt. Der Bundesgerichtshof hat nicht deutlich gemacht, weshalb er die bei ihm anhängigen Verfahren aussetzt, der Senat sieht keine Veranlassung, dem Bundesgerichtshof ‚blind‘ zu folgen.
112
Die Revision war zuzulassen, weil der Sache eine grundsätzliche Bedeutung nicht abzusprechen ist und in Einzelfragen (z.B. Verjährung) Senate anderer Oberlandesgerichte eine andere Auffassung vertreten haben.