Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.10.2024 – M 3 E 24.6083
Titel:

Fehlende Nachtermine und Ersatzprüfungen, Vorläufiger Besuch der nächsten Jahrgangsstufe aufgrund eines Notenbilds der vorhandenen Leistungsnachweise, welches ein Vorrücken ungeachtet der Noten in den noch abzulegenden Ersatzprüfungen zulässt

Normenketten:
BayEUG Art. 53 Abs. 1
GSO § 39 Abs. 6
GSO § 30 Abs. 1 S. 3
GSO § 27 Abs. 2
GSO § 27 Abs. 3
Schlagworte:
Fehlende Nachtermine und Ersatzprüfungen, Vorläufiger Besuch der nächsten Jahrgangsstufe aufgrund eines Notenbilds der vorhandenen Leistungsnachweise, welches ein Vorrücken ungeachtet der Noten in den noch abzulegenden Ersatzprüfungen zulässt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30588

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache den Besuch der Jahrgangsstufe 10 zu gestatten.
Weiter wird der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Antragstellerin Ersatzprüfungen in den Fächern Deutsch und Französisch für die im zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2023/24 versäumten Leistungsnachweise anzusetzen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,-- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin besuchte im Schuljahr 2023/24 die Jahrgangsstufe 9 des C.-Gymnasiums in G. (im Folgenden: die Schule).
2
Im Jahreszeugnis der Antragstellerin vom 26. Juli 2024 sind für die Fächer Deutsch und Französisch keine Noten eingetragen. Das Jahreszeugnis enthält die Bemerkung: „In den Fächern Deutsch und Französisch wurden keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht und mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen. Dies steht gemäß § 39 Abs. 6 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO hinsichtlich des Vorrückens einer Note 6 gleich.“ Die Erlaubnis zum Vorrücken wurde der Antragstellerin nicht erteilt.
3
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 6. September 2024 beantragte die Antragstellerin bei der Schule, ihr die Erlaubnis zum Vorrücken in die Jahrgangsstufe 10 zu erteilen, hilfsweise, ihr in den Fächern Deutsch und Französisch die Möglichkeit von Nachterminen oder Ersatzprüfungen für die versäumten Leistungen einzuräumen und anschließend ihr Jahreszeugnis des Schuljahres 2023/24 abzuändern.
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Mit Schreiben vom 24. September 2024 lehnte die Schule den Antrag ab.
5
Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Klage erheben lassen (M 3 K 24.6082). Zugleich beantragt sie im Wege der einstweiligen Anordnung
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1. ihr (vorläufig) den Besuch der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums zu gestatten;
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2. hilfsweise zu 1.: ihr (vorläufig) in den Fächern Deutsch und Französisch die Möglichkeit von Nachterminen oder jeweils einer Ersatzprüfung für die versäumten Leistungen einzuräumen und bei Bestehen dieser Prüfungen den Besuch der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums (vorläufig) zu gestatten.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin habe im Schuljahr 2023/24 aufgrund einer Covid-Erkrankung mit nachfolgender Post-/Long-Covid-Symptomatik entschuldigt häufig nicht am Unterricht teilnehmen können. Ihr sei nur für die erste Französisch-Schulaufgabe ein Nachtermin angeboten worden. Für die jeweils dritte Schulaufgabe in Deutsch und Französisch habe sie keinen Nachtermin erhalten. Für beide Fächer habe es keine Ersatzprüfungen gegeben. Die Antragstellerin habe in den Leistungsnachweisen, die sie habe ablegen können, so gute Noten erreicht, dass sie – selbst wenn alle versäumten Leistungsnachweise mit der Note 6 bewertet würden – das Klassenziel erreicht hätte.
9
Der Antragsgegner verweist mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2024 darauf, dass die Antragstellerin an 148 Schultagen sowie 30 Stunden an einzelnen Schultagen gefehlt habe. An der Schule sei es üblich, Schüler nach längerer Erkrankung zunächst den Schulalltag bewältigen zu lassen und dann Nachtermine und Ersatzprüfungen zu terminieren. Durch die bis zum Schuljahresende attestierte Krankheit der Antragstellerin sei dies nicht möglich gewesen. Zudem sei eine Ersatzprüfung für die weitere Genesung der Antragstellerin nicht förderlich erschienen, da bei dem noch nicht stabilen Gesundheitszustand der Antragstellerin schulischerseits unnötiger Druck aufgebaut werde. Die Antragstellerin weise im Schuljahr 2024/25 bei 23 Schultagen (Stand 11. Oktober 2024) bereits 8 Fehltage auf und sei für das erste Halbjahr vom Sportunterricht befreit.
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Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2024 führt der Antragsgegner auf Fragen des Gerichts im Wesentlichen aus, in mehreren Gesprächen sei den Eltern der Antragstellerin kommuniziert worden, dass man im Laufe des Jahres sehen müsse, welche Leistungsnachweise erhoben werden könnten und ob diese ausreichten, um das Schuljahr zu bestehen oder ein Vorrücken auf Probe zu ermöglichen. Eine schriftliche Information im Mai 2024 sei nicht erfolgt, da zu diesem Zeitpunkt keine durchgehenden Atteste bis zum Schuljahresende vorgelegen hätten. Im Fach Deutsch fehlten bei der Antragstellerin zwei Schulaufgabennoten sowie vier mündliche Leistungsnachweise. Der Unterschied zum Fach Englisch liege in den neuen Aufgabenformaten im Bereich der Schulaufgaben wie auch der mündlichen Leistungsnachweise. Ersatzprüfungen hätten bei der Antragstellerin aufgrund der durchgehenden Krankmeldungen der Antragstellerin vom 5. Februar bis zum 26. Juli 2024 nicht gestellt werden können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Klageverfahren (M 3 K 24.6082) Bezug genommen.
II.
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1. Der Antrag ist zulässig und begründet.
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a) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass die Eltern der Antragstellerin am 2. August 2024 in dem von der Schule vorgelegten Formular die Alternative angekreuzt haben, dass ihre Tochter im kommenden Schuljahr (2024/25) die Jahrgangsstufe wiederholen solle. Das vorgelegte Formular enthält als weitere Alternativen lediglich den Schulwechsel oder den Eintritt ins Berufsleben. Vor diesem Hintergrund hat das Formular in Bezug auf die Frage des Besuchs der Jahrgangsstufe 10 keinen Erklärungswert. Das für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche streitige Rechtsverhältnis ergibt sich aus dem an die Schule gerichteten Antrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 6. September 2024 mit dem Ziel ihres Vorrückens in die Jahrgangsstufe 10. Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht die seit Beginn des Schuljahres 2024/25 verstrichene Zeit entgegen. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, den in dieser Zeit (26 Schultage) versäumten Unterrichtsstoff der Jahrgangsstufe 10 noch aufzuholen.
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b) Der Antrag ist begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs, sowie eines Anordnungsgrundes, d.h. der Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung, glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht wurde.
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Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
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Vorliegend ergibt sich der Anordnungsgrund aus dem fortschreitenden Unterricht der Jahrgangsstufe 10.
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Ein Anordnungsanspruch ist nach den obigen Maßgaben ebenfalls glaubhaft gemacht.
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Der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderliche hohe Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg im Hauptsacheverfahren liegt hier vor. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Antragstellerin mit dem vorläufigen Besuch der Jahrgangsstufe 10 etwas erlangt, das über das mit der Hauptsache erreichbare Klageziel hinausgeht. Denn bei der Entscheidung über das Vorrücken oder Nichtvorrücken steht der Klassen- bzw. Lehrerkonferenz ein pädagogischer Beurteilungs- bzw. Wertungsspielraum zu, der nur eingeschränkt einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Erweist sich die Entscheidung der Lehrerkonferenz zum Nichtvorrücken als rechtswidrig, könnte das Gericht sie regelmäßig nur aufheben und die Verpflichtung aussprechen, gemäß der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag zu befinden. Zudem kann die Schule vorliegend in der Hauptsache erst nach Durchführung der noch ausstehenden Ersatzprüfungen in den Fächern Deutsch und Französisch erneut und unter Einbeziehung von deren Ergebnissen über das Vorrücken entscheiden. In einer derartigen Konstellation setzt eine im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochene Zulassung zum vorläufigen Besuch der Jahrgangsstufe 10 voraus, dass sich die Entscheidung der Lehrerkonferenz als voraussichtlich rechtswidrig erweist und mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Klassen- bzw. Lehrerkonferenz nach Durchführung der Ersatzprüfung bei einer erneuten Entscheidung rechtsfehlerfrei nur im Sinne eines Vorrückens entscheiden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.8.1992 – 7 CE 92.1896 – BayVBl. 1992, 659 zum Überspringen einer Jahrgangsstufe). Da vorliegend die Antragstellerin, selbst wenn sie in den Ersatzprüfungen lediglich die Note 6 erreicht, vorrücken kann, liegt ein solcher Fall hier ausnahmsweise vor.
20
Die Entscheidung der Schule über das Nichtvorrücken der Antragstellerin in die Jahrgangsstufe 10 ist voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Antragstellerin hat voraussichtlich einen Anspruch auf Durchführung einer Ersatzprüfung in den Fächern Deutsch und Französisch in Bezug auf die mit ausreichender Entschuldigung versäumten Leistungsnachweise des zweiten Halbjahres. Die Schule hat daraufhin erneut unter Einbeziehung der Ergebnisse der Ersatzprüfung über das Vorrücken in die Jahrgangsstufe 10 zu entscheiden. Aufgrund der im Schuljahr 2023/24 von der Antragstellerin erzielten Noten der erbrachten Leistungsnachweise ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin – unabhängig von den in der Ersatzprüfung erzielten Noten – vorrücken wird.
21
aa) Nach Art. 53 Abs. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetze vom 23. Juli 2024 (GVBl. S. 257, S. 263) rücken Schülerinnen und Schüler vor, die während des laufenden Schuljahres oder des sonstigen Ausbildungsabschnitts die erforderlichen Leistungsnachweise erbracht und dabei den Anforderungen genügt haben. Schülerinnen und Schüler, die die Erlaubnis zum Vorrücken nicht erhalten haben, können die bisher besuchte Jahrgangsstufe derselben Schulart wiederholen (Art. 53 Abs. 2 BayEUG). Die Grundlage für die Entscheidung über das Vorrücken bilden die Leistungen in den Vorrückungsfächern (§ 30 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 1 Gymnasialschulordnung – GSO – vom 23. Januar 2007, GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K, zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juli 2024, GVBl. S. 281). Vom Vorrücken sind Schülerinnen und Schüler ausgeschlossen, deren Jahreszeugnis in einem Vorrückungsfach die Note 6 oder in zwei Vorrückungsfächern die Note 5 aufweist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 GSO). Eine Bemerkung in einem Vorrückungsfach gemäß § 39 Abs. 6 GSO steht hinsichtlich des Vorrückens einer Note 6 gleich. Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 BayEUG werden Zeugnisse unter Berücksichtigung der einzelnen schriftlichen, mündlichen und praktischen Leistungen erteilt. Hierbei werden die gesamten Leistungen einer Schülerin bzw. eines Schülers in pädagogischer Verantwortung der Lehrkraft bewertet (Art. 52 Abs. 3 Satz 2 BayEUG). Das Zeugnis wird von der Klassenkonferenz festgesetzt. In den Fällen des Nichtvorrückens spricht die Klassenkonferenz eine Empfehlung aus; die Entscheidung trifft die Lehrerkonferenz (§ 39 Abs. 4 Satz 1, 2 GSO i.V.m. Art. 53 Abs. 4 BayEUG).
22
Die Entscheidung über das Nichtvorrücken der Antragstellerin im Jahreszeugnis vom 26. Juli 2024, die unter Bezugnahme auf § 30 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 39 Abs. 6 GSO darauf gestützt ist, dass in den Fächern Deutsch und Französisch keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht worden seien und die Antragstellerin mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen habe, ist voraussichtlich rechtswidrig, da die Voraussetzungen von § 39 Abs. 6 GSO in den Fächern Deutsch und Französisch nicht vorliegen.
23
Nach § 39 Abs. 6 GSO wird, sofern eine Schülerin oder ein Schüler in einem Unterrichtsfach keine hinreichenden Leistungsnachweise erbracht und mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen hat, anstelle einer Note eine entsprechende Bemerkung mit der Folge des § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO aufgenommen.
24
Die Antragstellerin hat im Fach Deutsch von den nach § 22 Abs. 1 Satz 1 GSO mindestens zu haltenden drei Schulaufgaben eine mitgeschrieben (Note: 1-) sowie zwei mündliche Leistungsnachweise (Noten: 2, 2) erbracht. Nach den Angaben der Schule im Schriftsatz vom 16. Oktober 2024 fehlen der Antragstellerin somit zwei Schulaufgabennoten und insgesamt vier mündliche Noten.
25
Im Fach Französisch hat die Antragstellerin von den nach § 22 Abs. 1 Satz 1 GSO mindestens zu haltenden drei Schulaufgaben eine mitgeschrieben (Note: 1-) sowie einen mündlichen Leistungsnachweis (Note: 2) erbracht. Nach der Stellungnahme der Lehrkraft im Fach Französisch vom 23. Juli 2024 fehlen der Antragstellerin zwei Schulaufgaben sowie zwei kleine Leistungsnachweise; auch sei im gesamten Schuljahr nur eine mündliche Note erhoben worden.
26
Ob die Einschätzung der Schule, in den Fächern Deutsch und Französisch sei, anders als im Fach Englisch, von nicht hinreichenden Leistungsnachweisen auszugehen, rechtlich zu beanstanden ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls hat die Anwendung von § 39 Abs. 6 GSO weiter zur Voraussetzung, dass der betroffene Schüler mit ausreichender Entschuldigung weder an Nachterminen noch an einer Ersatzprüfung teilgenommen hat. Dies setzt bereits dem Wortlaut nach voraus, dass Nachtermine (§ 27 Abs. 1 GSO) und eine Ersatzprüfung (§ 27 Abs. 2, 3 GSO) von der Schule angesetzt wurden. Gleiches folgt aus dem systematischen Zusammenhang mit § 27 Abs. 1 bis 3 GSO; danach muss die Schule bei einem entschuldigten Versäumen von Leistungsnachweisen zunächst einen Nachtermin und bei dessen entschuldigten Versäumen eine Ersatzprüfung ansetzen, um hinreichende Leistungsnachweise zu erheben. Die Vorschrift des § 39 Abs. 6 GSO regelt nach ihrem Sinn und Zweck ein „letztes Mittel“, wie ein Zeugnis erstellt werden kann, wenn „die erforderlichen Leistungsnachweise“ (Art. 53 Abs. 1 BayEUG) nicht erbracht werden konnten und somit andernfalls gar keine Entscheidung über das Vorrücken möglich wäre. Schließlich ergibt sich auch aus der Rechtsfolge des § 39 Abs. 6 GSO i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO, die in aller Regel zum Wiederholen der Jahrgangsstufe (vorbehaltlich §§ 32, 33 GSO) führt, dass die Schule zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfen muss, Leistungsnachweise zu erheben; nur wenn alle anderen Möglichkeiten der Erhebung von Leistungsnachweisen scheitern, ist die Folge des Wiederholens der Jahrgangsstufe verhältnismäßig.
27
Vorliegend ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Antragstellerin in den Fächern Deutsch und Französisch im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2023/24 für die versäumten Leistungsnachweise Nachtermine oder eine Ersatzprüfung angeboten wurden.
28
Dies konnte auch nicht deshalb unterbleiben, weil die Antragstellerin ab dem 5. Februar 2024 durchgehend entschuldigt nicht mehr am Unterricht teilnahm. Nach dem Wortlaut von § 27 Abs. 1 GSO ist zwingend ein Nachtermin anzusetzen; weder besteht diesbezüglich ein Ermessen der Schule noch ein Vorbehalt dergestalt, dass dies nur dann gelte, wenn der Schüler wieder am Unterricht teilnimmt. Gleiches gilt für das Ansetzen einer Ersatzprüfung nach § 27 Abs. 2, 3 GSO. Zwar regelt § 27 Abs. 2 Satz 1 GSO für den Fall, dass auch der Nachtermin mit ausreichender Entschuldigung versäumt wird, dass eine Ersatzprüfung angesetzt werden „kann“. Ein Ermessen steht der Schule jedoch nur insoweit zu, als es um die Frage geht, ob in einem Fach ein weiterer Nachtermin oder eine Ersatzprüfung angesetzt wird, nachdem letztere nur einmal im Schulhalbjahr stattfinden kann (§ 27 Abs. 3 Satz 1 GSO). Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Erheben der erforderlichen Leistungsnachweise Aufgabe der Schule ist (Art. 52 Abs. 1, Abs. 2, Art. 53 Abs. 1 BayEUG). Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 BayEUG richten sich Art, Zahl, Umfang, Schwierigkeit und Gewichtung der Leistungsnachweise nach den Erfordernissen der jeweiligen Schulart und Jahrgangsstufe sowie der einzelnen Fächer; insoweit besteht ein pädagogischer Wertungsspielraum. Dieser besteht jedoch nicht bei der Frage, ob die Schule die im Sinne des Art. 52 Abs. 1, Art. 53 Abs. 1 BayEUG „erforderlichen“ Leistungsnachweise erhebt oder zumindest das von ihrer Seite Erforderliche hierfür unternimmt.
29
Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, dass vorliegend angesichts der durch Atteste nachgewiesenen Erkrankung der Antragstellerin davon auszugehen ist, dass bei Ansetzen von Nachterminen oder einer Ersatzprüfung diese von der Antragstellerin (entschuldigt) versäumt worden wären und somit ohnehin die Folge des § 39 Abs. 6 GSO eingetreten wäre. Eine derartige fiktive Betrachtung ist nicht zulässig; dies wird gerade am Fall der Antragstellerin und ihrem Wunsch, an der Französisch-Schulaufgabe am 26. Januar 2024 trotz Krankheit teilzunehmen, ersichtlich. Weder das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen noch die Gymnasialschulordnung enthalten Vorschriften, die es einem erkrankten Schüler untersagen würden, Leistungsnachweise zu erbringen. Allgemeine prüfungsrechtliche Grundsätze finden jedenfalls insoweit auch im Schulrecht Anwendung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.11.2006 – 7 CE 06.2781 – juris Rn.14; B.v. 17.11.1992 – 7 CE 92.3166 – juris Rn. 19; VG Bayreuth, U.v. 13.5.2005 – B 6 K 04.1091 – juris Rn. 28 ff; VG München, U.v. 21.9.2021 – M 3 K 18.4900 – juris Rn. 74 ff.). Ein erkrankter Schüler ist danach rechtlich nicht gehindert, sich einer Prüfung zu unterziehen und Leistungsnachweise zu erbringen; es ist ihm dann im Regelfall nicht möglich, nachträglich unter Berufung auf Prüfungsunfähigkeit von der Prüfung zurückzutreten und eine Wiederholung der Prüfung zu verlangen (BVerwG, U.v. 7.10.1988 – 7 C 8/88 – juris Rn. 12). Soweit bei schulischen Prüfungen, die nicht Abschlussprüfungen sind, Besonderheiten für die Anwendung prüfungsrechtlicher Grundsätze sich daraus ergeben, dass diese Prüfungen nicht unmittelbar darauf abzielen, eine berufliche Befähigung festzustellen (Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018 Rn. 489 ff.), ist nicht ersichtlich, dass dies für die hier inmitten stehende Frage zur Nichtanwendung prüfungsrechtlicher Grundsätze führen könnte. Denn pädagogische Wertungen können nicht rechtfertigen, einem erkrankten Schüler das Erbringen von Leistungsnachweisen zu versagen, wenn die Folge nach § 39 Abs. 6 GSO das Nichtvorrücken ist.
30
Soweit der Antragsgegner unter Bezugnahme auf die E-Mail der Schule vom 1. Februar 2024 an die Eltern der Antragstellerin zur Frage der Teilnahme der Antragstellerin am Nachtermin der Französisch-Schulaufgabe geltend macht, eine Teilnahme nur an der Leistungserhebung sei nur bei Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attests, das Prüfungsfähigkeit attestiert, möglich, vermengt diese Rechtsauffassung unterschiedliche Fragestellungen. Wie oben ausgeführt, ist es einem erkrankten Schüler nicht untersagt, Leistungsnachweise zu erbringen. Die Teilnahme eines wegen Erkrankung dem Unterricht fernbleibenden Schülers nur an Terminen zu Leistungserhebungen mag allerdings im Einzelfall Zweifel an der Erkrankung und an der Verhinderung der Unterrichtsteilnahme rechtfertigen. Für diese Fälle sieht § 20 Abs. 2 Bayerische Schulordnung (BaySchO) vom 1. Juli 2016 (GVBl. S. 164, 241, BayRS 2230-1-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juli 2024 (GVBl. S. 281) die abschließend geregelten Möglichkeiten der Schule vor, weitere Nachweise für die Erkrankung zu verlangen. Eine Vorschrift, nach der vom Schüler die Vorlage von Nachweisen seiner Prüfungsfähigkeit bei einer vom diesem gewünschten Teilnahme an Leistungsnachweisen verlangt werden könnte, enthält § 20 Abs. 2 BaySchO hingegen nicht. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das von der Schule beanstandete „Herauspicken“ nicht in jedem Fall Zweifel an der Erkrankung wecken dürfte. Gerade in Fällen länger andauernder Erkrankungen mit einer ungewissen oder sehr langfristigen Genesungsperspektive liegt es auf der Hand, dass die betroffenen Schüler abwägen müssen zwischen der Schonung ihrer körperlichen Ressourcen und ihrem Interesse, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Leistungsnachweise zu erbringen, um nicht von vornherein auf die Rechtsfolge von § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO verwiesen zu sein.
31
Vorliegend konnte auch nicht ausnahmsweise im Hinblick auf die lange Dauer der Erkrankung der Antragstellerin das Ansetzen von Nachterminen oder einer Ersatzprüfung unterbleiben. Zwar bestehen nach der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Bildung von Jahresfortgangsnoten als Voraussetzung der Teilnahme an einer Abschlussprüfung Grenzen für die Anwendung der Vorschriften über Nachtermine und Ersatzprüfungen im Hinblick auf den Grundsatz der Chancengleichheit, der möglichst gleiche Prüfungsanforderungen und -bedingungen für die Prüflinge gebietet (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2010 – 7 ZB 09.1079 – juris Rn. 21 f.). Diese Erwägungen lassen sich auf den vorliegenden Fall jedoch nicht übertragen. Denn schulische Prüfungen, die nicht Abschlussprüfungen sind, zielen nicht unmittelbar darauf ab, die spezielle berufliche Befähigung des Prüflings festzustellen; auch stehen Schüler, anders als Kandidaten von Berufseingangsprüfungen, in Bezug auf das Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe in keinem unmittelbaren Wettbewerb untereinander (Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018 Rn. 489, 491). Auch Vorschriften der § 5 Abs. 1, §§ 34, 34a, 35 Abs. 1 GSO belegen, dass bei schulischen Entscheidungen, die nicht Abschlussprüfungen sind, ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist.
32
Da vorliegend in den Fächern Deutsch und Französisch für die im zweiten Halbjahr versäumten Leistungsnachweise weder Nachtermine noch Ersatzprüfungen angesetzt wurden, liegen die Voraussetzungen von § 39 Abs. 6 GSO nicht vor. Für eine analoge Anwendung von § 39 Abs. 6 GSO auf den Fall, dass es durch ein Verschulden der Schule nicht zu einem Nachtermin oder einer Ersatzprüfung kam, ist kein Raum (a.A. VG Ansbach, B.v. 28.9.2022 – AN 2 E 22.01817 – juris Rn. 32). Soweit es die Schule schuldhaft unterlässt, eine Ersatzprüfung anzusetzen, liegt zwar unstreitig noch weitergehend ein Fall ausreichender Entschuldigung des Schülers vor. Für eine analoge Anwendung von § 39 Abs. 6 GSO fehlt es jedoch zum einen an einer vergleichbaren Situation, nachdem, wie oben ausgeführt, die Rechtsfolge von § 39 Abs. 6 GSO nur bei Ausschöpfen aller Möglichkeiten zur Erlangung von Leistungsnachweisen verhältnismäßig ist. Zum anderen fehlt es aus dem gleichen Grund an einer planwidrigen Regelungslücke. Vielmehr hat der betroffene Schüler, jedenfalls bei rechtzeitigem Antrag, einen Anspruch auf einen Nachtermin bzw. auf Ablegung der Ersatzprüfung (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2002 – 7 CE 02.2433 – juris Rn. 20).
33
Vorliegend hat die Antragstellerin mit ihrer Fachaufsichtsbeschwerde vom 6. September 2024 ausdrücklich Nachtermine oder Ersatzprüfungen in den Fächern Deutsch und Französisch beantragt. Für die Frage der Rechtzeitigkeit des Antrags ist zu berücksichtigen, dass vorliegend auch nach dem Vortrag der Schule keine Information nach § 40 Abs. 3 Satz 1 GSO im Mai 2024 und auch kein späterer Hinweis an die Antragstellerin erfolgt ist, dass aus Sicht der Schule ein Vorrücken mangels hinreichender Leistungsnachweise nicht möglich erscheine. Nachdem auch Nachprüfungen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 GSO erst in den letzten Tagen der Sommerferien stattfinden, kann der Antrag der Antragstellerin auf Ersatzprüfungen, der zwar nach Erhalt des Jahreszeugnisses, aber vor Unterrichtsbeginn des folgenden Schuljahres einging, nicht als verspätet angesehen werden.
34
Die Bemerkung nach § 39 Abs. 6 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 3 GSO in den Fächern Deutsch und Französisch im Jahreszeugnis der Antragstellerin ist daher rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung der Lehrerkonferenz über das Nichtvorrücken nach § 39 Abs. 4 Satz 2 GSO, Art. 53 Abs. 1, 2, 4 BayEUG ist daher auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage erfolgt und somit rechtswidrig.
35
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf das Ansetzen von Ersatzprüfungen in den Fächern Deutsch und Französisch. In der Folge hat die Schule erneut unter Einbeziehung der Ergebnisse der Ersatzprüfungen über ein Vorrücken der Antragstellerin in die Jahrgangsstufe 10 zu entscheiden.
36
bb) Nach § 123 Abs. 1 VwGO wird der Antragsgegner zu einem zeitnahen Ansetzen der Ersatzprüfungen verpflichtet; ein Abwarten der Rechtskraft der Hauptsache erscheint vorliegend nicht zumutbar, da die Antragstellerin andernfalls über einen zeitlich nicht absehbaren Zeitraum den Prüfungsstoff der Ersatzprüfungen bereit halten müsste. Weiter ist der Antragstellerin vorläufig zu gestatten, die Jahrgangsstufe 10 zu besuchen. Zwar ist im Regelfall kein vorläufiger Besuch der nächsten Jahrgangsstufe aufgrund fiktiver Noten möglich. Vorliegend ist allerdings aufgrund der im Schuljahr 2023/24 von der Antragstellerin erzielten Noten der erbrachten Leistungsnachweise davon auszugehen, dass die Antragstellerin – unabhängig von den in der Ersatzprüfung erzielten Noten und letztlich auch bei Abgabe eines leeren Blattes – nach Ablegen der Ersatzprüfung Jahresfortgangsnoten erzielen wird, die ein Vorrücken zulassen.
37
In den Fächern Deutsch und Französisch wird die Jahresfortgangsnote aus einer Gesamtnote für die großen Leistungsnachweise und aus einer Gesamtnote für die kleinen Leistungsnachweise gebildet (§ 28 Abs. 1 Satz 1 GSO); die Gesamtnoten stehen im Verhältnis 2 : 1 (§ 28 Abs. 1 Satz 4 GSO).
38
Ausgehen von den Angaben der Schule fehlen der Antragstellerin im Fach Deutsch zwei Schulaufgaben und vier mündliche Noten. Setzt man für alle nachzuholenden Leistungsnachweise die Note 6 ein, ergeben sich folgende Notendurchschnitte:
39
Große Leistungsnachweise: (1 + 6 + 6) : 3 = 4,33
40
Kleine Leistungsnachweise: (2 + 2 + 6 + 6 + 6 + 6) : 6 = 4,66
41
Jahresfortgangsnote: 4 (4,44)
42
Im Fach Französisch fehlen der Antragstellerin nach der vorgelegten Stellungnahme der Lehrkraft vom 23. Juli 2024 zwei Schulaufgaben und zwei kleine Leistungsnachweise. Wird für alle nachzuholenden Leistungsnachweise die Note 6 angenommen, ergeben sich folgende Notendurchschnitte:
43
Große Leistungsnachweise: (1 + 6 + 6) : 3 = 4,33
44
Kleine Leistungsnachweise: (2 + 6 + 6) : 3 = 4,66
45
Jahresfortgangsnote: 4 (4,44)
46
Für den Fall, dass die Aussage der Lehrkraft, im ganzen Schuljahr habe nur eine mündliche Note erhoben werden können, so zu verstehen ist, dass weitere kleine Leistungsnachweise fehlen, ergäben sich – bei Heranziehung der Anzahl der kleinen Leistungsnachweise im Fach Deutsch – folgende Gesamtnoten:
47
Große Leistungsnachweise: (1 + 6 + 6) : 3 = 4,33
48
Kleine Leistungsnachweise: (2 +6 + 6 + 6 + 6 + 6) : 6 = 5,33
49
Jahresfortgangsnote: Durchschnitt aus den jeweiligen Gesamtnoten mit Nachkommastellen: 4,66
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Auch bei ungünstigsten Verlauf der Ersatzprüfungen ergibt sich somit ein Notenbild, bei dem voraussichtlich das Vorrücken rechtsfehlerfrei nicht versagt werden kann.
51
Vor diesem Hintergrund ist vorliegend die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Wahrscheinlichkeit gegeben, dass die Schule nur eine für die Antragstellerin positive Entscheidung wird treffen können.
52
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
53
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.