Titel:
Erschließungsbeitragsrecht, historische Straße, fehlende Straßenentwässerung, Herstellungsbeiträge, Finanzierungsbestätigung, Hausgartenrechtsprechung, Verzicht, Vertrauensschutz, Vollgeschoss
Normenketten:
KAG Art. 5a
BauGB § 128
AO § 254
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, historische Straße, fehlende Straßenentwässerung, Herstellungsbeiträge, Finanzierungsbestätigung, Hausgartenrechtsprechung, Verzicht, Vertrauensschutz, Vollgeschoss
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30587
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
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Der Kläger ist Miteigentümer des Grundstücks FlNr. …/10 (nachfolgend stets: Gemarkung B.), welches an der „E.“, einer Ortsstraße im Gemeindegebiet der Beklagten, anliegt. Die „E.“ befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 „Betreutes Wohnen“ vom 30. Juni 2009 sowie des Bebauungsplans Nr. 95 „E.“ vom 10. September 2019.
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Die Beklagte führte in den Jahren 2019 und 2020 Straßenbaumaßnahmen an der „E.“ durch.
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Mit Bescheid vom 18. Februar 2021, zugestellt am 19. Februar 2021, setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 7.891,46 Euro fest (Ziff. 1) und forderte ihn zur Zahlung innerhalb eines Monats auf (Ziff. 2).
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Hiergegen hat der Kläger am 9. März 2021 Klage erhoben.
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Die Beitragserhebung sei ausgeschlossen, weil es sich bei der „E.-straße“ (sic!) um eine sog. „historische“ Straße handele, die bereits am 29. Juni 1961 vorhanden gewesen sei. Die Straße habe eine befestigte Oberfläche gehabt, dem öffentlichen Verkehr gedient und über eine funktionstüchtige Entwässerungseinrichtung verfügt. Bereits am 2. August 1960 seien für die „E.-straße“ Straßenausbaubeiträge erhoben worden. Daher treffe es auch hinsichtlich der „E.“ nicht zu, dass diese – wie im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt werde – erstmals technisch hergestellt worden sei, weil es sich bei der „E.“ in der Vergangenheit um einen Teil der „E.-straße“ gehandelt habe. Weiter verstoße die Beitragserhebung gegen Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, da seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung über 25 Jahre vergangen seien. Im Übrigen hätten die Kosten für die Straßenentwässerung nicht umgelegt werden dürfen, da in der Vergangenheit bereits Herstellungsbeiträge für die Entwässerungsanlage bezahlt worden seien. Insoweit habe der erste Bürgermeister erklärt, dass bzgl. des Tagwasserkanals keine Kosten auf die Anrainer zukämen. Auch sei die Asphaltierung der „E.-straße“ ausreichend gewesen. Der Bescheid stütze sich ausweislich seines Betreffs zudem auf die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 25. November 2019, welche jedoch durch § 17 der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 23. Dezember 2020 außer Kraft gesetzt worden sei. Zuletzt sei es unzutreffend, dass die Beklagte für das klägerische Grundstück von zwei Vollgeschossen ausgehe und daher einen Nutzungsfaktor von 1,3 angesetzt habe.
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den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Vor Durchführung der Baumaßnahmen habe die „E.“ nur in Teilen über eine Asphaltdecke verfügt. Es habe auch an einem frostsicheren Unterbau und einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung gefehlt. Auf der gesamten Länge der „E.“ habe es lediglich eine Straßenlaterne gegeben, die seit 2018 defekt gewesen sei. Bei der „E.“ handele es sich um eine eigenständige Straße, die gemäß der Eintragungsverfügung vom 15. November 1962 als Ortsstraße in das Straßenbestandsverzeichnis eingetragen worden sei. Es sei jedoch nicht von einer sog. „historischen Straße“ auszugehen, da die Straße vor den Baumaßnahmen zu keinem Zeitpunkt den Anforderungen genügte, die bereits vor dem 30. Juni 1960 an eine erstmalige endgültige Herstellung zu stellen waren. Darüber hinaus sei die Vorschrift des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Vollgeschossberechnung sei korrekt durchgeführt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der auf Art. 5a Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1993 (GVBl. S. 264) BayRS 2024-1-I (KAG) i.V.m. der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 23. Dezember 2020 (EBS) beruhende Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2021 ist formell und materiell rechtmäßig, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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I. Der Bescheid stützt sich mit der EBS der Beklagten auf eine wirksame Rechtsgrundlage. Deren Falschbezeichnung im Betreff sowie in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ist unschädlich.
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Zweifel an der Wirksamkeit der EBS wurden seitens des Klägers weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
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Der Umstand, dass im Betreff und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides die Vorgängersatzung vom 25. November 2019 anstatt der im Zeitpunkt des Erlasses gültigen und kurz zuvor in Kraft gesetzten EBS in Bezug genommen wurde, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides.
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Hierin ist allenfalls ein nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlicher Begründungsmangel zu sehen, da offensichtlich ist, dass die Inbezugnahme der Vorgängersatzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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Das Verwaltungsgericht prüft, ob der angegriffene Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht und, falls nicht, ob der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt wird. Dabei sind alle einschlägigen Rechtsvorschriften und – nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO – alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht. Verwehrt ist dem Verwaltungsgericht dies nur insoweit, als durch die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid genannter Normen und Tatsachen die Grenzen überschritten würden, die der Zulässigkeit des sogenannten Nachschiebens von Gründen gezogen sind, das heißt, wenn die anderweitige rechtliche Begründung oder die Zugrundelegung anderer Tatsachen zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde (vgl. OVG SH, B.v. 13.11.2023 – 2 LA 85/19 – juris Rn. 6).
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Eine solche Wesensänderung hat der Kläger nicht geltend gemacht und ist für das erkennende Gericht auch nicht ersichtlich. Die Änderungen der EBS im Vergleich zu der Vorgängersatzung beschränkten sich im Wesentlichen auf redaktionelle Anpassungen sowie eine Erweiterung der hier nicht maßgeblichen Erlasstatbestände in § 16 Abs. 2 EBS. Die den Bescheid tragenden Beitragserhebungstatbestände der Erschließungsbeitragssatzung vom 25. November 2019 blieben im Übrigen jedoch unverändert.
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II. Die Beklagte hat die abgerechnete Erschließungsanlage zutreffend bestimmt.
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Bei der „E.“ handelt es sich um eine eigenständig abzurechnende Erschließungsanlage.
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Die Anlage beginnt bei gebotener natürlicher Betrachtungsweise (hierzu: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 3 ff.) an der trompetenförmigen, durch einen „Graniteinzeiler“ abgesetzten Einmündung zur „E.-straße“ auf Höhe der Westgrenzen der Grundstücke FlNrn. …/15, …/10, setzt sich nach Osten hin auf dem Flurstück FlNr. …/22 ca. 115,00 m fort und endet an dem dort befindlichen Wendehammer. Bei Berücksichtigung der Länge der Straße, der Zahl der erschlossenen Grundstücke und der konkreten örtlichen Verhältnisse im Übrigen stellt die „E.“ kein lediglich unselbständiges Anhängsel zur „E.-straße“ dar, sondern bildet eine selbständige Anbaustraße (vgl. zu den Kriterien im Einzelnen: Schmitz, a.a.O., § 6 Rn. 17 f.).
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III. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG steht der Beitragserhebung nicht entgegen.
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Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine vorhandene (sog. historische) Straße im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vor‚ wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des erschließungsbeitragsrechtlichen Teils des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war (BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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In den im „Bayern Atlas“ (https://geoportal.bayern.de/bayernatlas) abrufbaren historischen Flurkarten ist die „E.“ überhaupt erst ab dem Jahr 1969 verzeichnet. Die „E.“ wurde jedoch bereits aufgrund der Eintragungsverfügung vom 15. November 1962 in das nach Inkrafttreten des Bestandsverzeichnisses neu angelegte Straßenbestandsverzeichnis eingetragen. Auf einer in der Behördenakte (S. 10) befindlichen Flurkarte, die zuletzt 1960 ergänzt wurde, ist die „E.“ ebenfalls bereits verzeichnet, sodass die Kammer davon ausgeht, dass die Straße vor dem maßgeblichen Stichtag vorhanden war.
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Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der „E.“ zum damaligen Zeitpunkt bereits um eine Anbaustraße handelte, ist festzuhalten, dass auf der Flurkarte (Stand 1960) einzelne Gebäude erkennbar sind und die Beklagte in einem Aktenvermerk vom 31. Juli 2018 festgehalten hat, dass bezüglich der Anwesen E. 5 und 3 Bauakten aus den 1950er Jahren vorhanden seien. Mangels konkreter Angaben zur damaligen Nutzungsart ist anhand der verfügbaren Unterlagen jedoch nicht abschließend aufklärbar, ob die Straße zum damaligen Zeitpunkt bereits Erschließungsfunktion hatte.
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Dies kann vorliegend jedoch offenbleiben, da selbst wenn hiervon ausgegangen würde, der Ausbauzustand der „E.“ zum damaligen Zeitpunkt nicht den rechtlichen Anforderungen an die endgültige Herstellung entsprach.
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Denn bereits in den 1930er Jahren war auch im ländlichen Bereich eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung Voraussetzung dafür, dass eine Straße als endgültig fertiggestellt angesehen werden konnte (stRspr BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 7). Eine solche war bis zu den abgerechneten baulichen Maßnahmen nicht vorhanden.
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Wie sich aus der Bestandsdokumentation der Beklagten – insbesondere aus den vor Baubeginn am 20. September 2019 gefertigten Lichtbildern – ergibt, verfügte die „E.“ weder über Randsteine noch andere Entwässerungsleiteinrichtungen zur gezielten Ableitung des Oberflächenwassers. Das Niederschlagswasser floss vielmehr unkontrolliert über den nicht asphaltierten Wendehammer bzw. auf die „E.-straße“ ab. Gerade mit Blick auf die geringe Breite und das örtliche Höhenprofil der „E.“ hätte es auch bei einer Gemeinde der Größe B* … schon vor 1961 einer entsprechenden Straßenentwässerung bedurft.
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IV. Entgegen der Auffassung des Klägers wurde die „E.“ auch nach 1961 bis zu den nunmehr abgerechneten Baumaßnahmen nicht erstmalig endgültig hergestellt.
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Dies ergibt sich neben der fehlenden Straßenentwässerung, die seit der ersten Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 9. September 1964 durchgehend als Herstellungsmerkmal vorausgesetzt wurde, auch daraus, dass auf der gesamten Länge der „E.“ lediglich eine Straßenleuchte angebracht war und so die ebenfalls nach sämtlichen Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten seit 1964 durchgehend vorausgesetzte Straßenbeleuchtung nicht vorhanden war. Zudem war der in den Bebauungsplänen am Ostende der „E.“ vorgesehene Wendehammer bis zu den Baumaßnahmen 2019/ 2020 lediglich geschottert, sodass es insoweit an einer „Decke neuzeitlicher Bauweise“ fehlte.
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V. Die Anlage wurde zuvor weder beitragsrechtlich relevant anderweitig abgerechnet noch wurde auf die Erhebung von künftigen Erschließungsbeiträgen verzichtet.
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1. Die klägerseits vorgelegte „Bausparkassenbestätigung“ vom 2. August 1960 führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
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Abgesehen davon, dass die vorgelegte Bestätigung die „E.-straße“ und nicht die streitgegenständliche Erschließungsanlage betrifft, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass eine solche Anliegerbescheinigung regelmäßig nicht als Zusicherung anzusehen ist, eine Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen bzw. Vorausleistungen werde in Zukunft unterlassen, weil der Aussteller damit – objektiv erkennbar – keine rechtliche Verpflichtung begründen, sondern allein seine – gegebenenfalls irrige – Rechtsauffassung über die Beitragspflichtigkeit des betreffenden Grundstücks mitteilen will. Eine solche Bescheinigung scheidet daher als hinreichende Vertrauensgrundlage, deretwegen eine – erneute – Beitragserhebung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar wäre, regelmäßig aus. Einer entsprechenden Bescheinigung kann auch kein Verzicht auf eine künftige Beitragserhebung oder eine entsprechende Zusicherung entnommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U. v. 30.1.1968 – IV C 60.66 – Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 20 S. 84; U. v. 23.5.1975 – IV C 73.73 – BVerwGE 48, 247/251) sind mit Blick auf die gesetzliche Verpflichtung der Gemeinden zur Beitragserhebung an die Annahme eines solchen Verzichtswillens hohe Anforderungen zu stellen; danach sind Anliegerbescheinigungen des vorliegenden oder ähnlichen Inhalts in der Regel nicht als Beitragsfreistellungen, sondern lediglich als Mitteilungen zu verstehen, wie die Gemeinde die im Zeitpunkt ihrer Abgabe bestehende Rechtslage beurteilt (BayVGH, U.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 14 f.).
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2. Auch die in der Vergangenheit für die „E.-straße“ entrichteten Herstellungsbeiträge stehen der Beitragserhebung nicht entgegen.
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Abgesehen davon, dass der Beitragsbescheid vom 24. Mai 1985 schon nicht die streitgegenständliche Erschließungsanlage, sondern die „E.-straße“ betraf, handelte es sich um Herstellungsbeiträge im Sinne des Art. 5 KAG, die für die Herstellung eines Schmutzwasserkanals erhoben wurde, welcher der Abwasserentsorgung der anliegenden Grundstücke diente, nicht hingegen der Straßenentwässerung.
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3. Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Kläger vorgelegten Gedächtnisprotokoll eines Gespräches zwischen dem ersten Bürgermeister der Beklagten mit mehreren Anliegern der E.-straße am 19. Januar 2010.
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Ungeachtet der Frage, ob das Gespräch sich tatsächlich wie protokolliert ereignet hat, und abgesehen davon, dass es um die „E.-straße“ und nicht die streitgegenständliche Erschließungsanlage ging, lässt sich dem Protokoll gerade kein Verzicht auf Erschließungsbeiträge entnehmen. Ganz im Gegenteil teilte der erste Bürgermeister den Anliegern mit, dass die „Kosten für die Teerung mit Unterbau und die Entwässerung der Straße“ umgelegt werden müssten.
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Die Beklagte hat den erforderlichen Erschließungsaufwand zutreffend ermittelt, vgl. §§ 128 ff. BauGB i.V.m. § 3 EBS.
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Dass – wie der Kläger meint – überhöhte bzw. nicht gerechtfertigte Kosten für die Herstellung der Straßenentwässerung in Ansatz gebracht worden seien, vermag die Kammer nicht zu erkennen.
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In dem streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheid werden auf S. 3 46.261,37 Euro für die Herstellung der Straßenentwässerung ausgewiesen.
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Wie bereits dargelegt, verfügte die „E.“ vor Durchführung der Baumaßnahmen über keine Straßenentwässerungsanlage. Die für deren Herstellung in Ansatz gebrachten Kosten waren erforderlich, um die Anlage endgültig herzustellen. Weder begegnet es insoweit rechtlichen Bedenken, dass die Beklagte die Kosten auf die beiden Erschließungsanlagen „E.-straße“ und „E.“ in Anbetracht der jeweiligen Straßenläge im Verhältnis 0,35 zu 0,65 aufgeteilt hat, noch wurden die Kosten für die Kanalbauarbeiten auf die Anlieger umgelegt, da die jeweiligen Kostenpositionen – insoweit für die Kammer nachvollziehbar – lediglich zu 50 Prozent in Ansatz gebracht wurden (vgl. zur Kostenaufteilung beim sog. „Trennsystem“: Schmitz, a.a.O., § 8 Rn. 45).
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VII. Auch die Verteilung des Erschließungsaufwands auf die an der Erschließungsanlage anliegenden, erschlossenen Grundstücke begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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1. Die Beklagte hat das Abrechnungsgebiet, vgl. § 4 EBS, zutreffend bestimmt.
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Die Beklagte hat die Grundstücke FlNr. 486/15, 486/16 und 486/17 zurecht nur mit einem Teil der jeweiligen Grundstücksfläche herangezogen. Zwar gebieten grundsätzlich weder das im Norden befindliche Landschaftsschutzgebiet „… See – …“, die im Bebauungsplan Nr. 95 „E.“ festgesetzten privaten Grünflächen noch der Umstand, dass im Bebauungsplan Nr. 95 „E.“ auf den betreffenden Grundstücken nur beschränkte Flächen als Bauland ausgewiesen wurden, ein Abweichen vom Grundsatz der Heranziehung des gesamten Buchgrundstücks.
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Vielmehr ist die für die nicht als Bauland ausgewiesenen, in den Außenbereich „hineinragenden“ nördlichen Grundstücksflächen erforderliche Abgrenzung zwischen Innenbereich und Außenbereich, vgl. auch § 6 Abs. 3 EBS, angesichts der konkreten örtlichen Verhältnisse und insbesondere mit Blick auf die vorhandene Bebauung nach der sog. „Hausgarten-Rechtsprechung“ (vgl. etwa BayVGH, U.v. 16.2.2021 – 6 CS 20.3153 – juris Rn. 12 ff.) vorzunehmen.
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Danach endet das Erschlossensein eines Grundstücks „nicht unmittelbar an der in Richtung Außenbereich zeigenden Hauswand; es umfasst vielmehr auch den angrenzenden Hausgarten mit seiner ortsüblichen Ausdehnung, und zwar sowohl in der Breite, als auch in der Tiefe […]“ (BayVGH, a.a.O.).
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Bereits unter Heranziehung der zu Verfügung stehenden Luftbilder und Flurkarten konnte sich die Kammer eine für die Entscheidung ausreichende Beurteilungsgrundlage schaffen und daraus ihre Überzeugung bilden, dass das erschließungsbeitragsrechtlich relevante Abrechnungsgebiet sich mit den im (einfachen) Bebauungsplan festgesetzten bebaubaren Flächen deckt und die wohnakzessorische Nutzung der betreffenden Grundstücke an der dort festgesetzten Grenze zu den privaten Grünflächen endet. Dafür spricht auch, dass dieser Festsetzung ausweislich der Begründung des Bebauungsplans (S. 4) gerade die konkreten örtlichen Verhältnisse zugrunde gelegt wurden, nach denen sich die Grünflächen jeweils in einem Abstand von 5,00 m von der tatsächlich vorhandenen Bebauung befinden und diese Abstandsfläche „[…] der Möglichkeit zur Errichtung von Terrassen und Anbauten an die Bestandsgebäude“ – sprich der wohnakzessorischen Nutzung – dienen soll.
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2. Die Beklagte hat das Grundstück des Klägers auch zutreffend mit einem Nutzungsfaktor von 1,3 bei der Kostenverteilung berücksichtigt.
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Nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 EBS wird der Nutzungsfaktor von 1,0 (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 EBS) bei mehrgeschossiger Bebaubarkeit je weiterem Vollgeschoss um 0,3 erhöht. Für die Zahl der Vollgeschosse ist bei bebauten Grundstücken gemäß § 6 Abs. 5 Satz 6 i.V.m. Abs. 8 Nr. 1 EBS die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse maßgeblich. Vollgeschosse sind Geschosse, die vollständig über der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben, § 6 Abs. 8 Satz 2 EBS.
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Unter Anwendung dieses Maßstabs ist das klägerische Grundstück mit zwei Vollgeschossen bebaut.
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Die Beklagte hat anhand des Gebäudegrundrisses (Anlage B 7) nachvollziehbar dargelegt, dass das klägerische Wohnhaus eine Grundfläche von 107,46 m² aufweist. Die maßgebliche Grenze liegt demnach bei 71,64 m². Da das Obergeschoss des klägerischen Gebäudes auf einer Fläche von 85,10 m² eine Höhe von mindesten 2,30 m aufweist, handelt es sich um ein Vollgeschoss.
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Diese Berechnung wurde vom Kläger nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Insbesondere führt die Terrasse an der Westseite des Gebäudes nicht zu einem anderen Ergebnis.
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Die Grundfläche des Dachgeschosses wird bestimmt durch die von der Dachkonstruktion überdeckte Bodenfläche im Dachbereich ohne Dachüberstände und Gesimse etc. Beim Regelfall des Satteldachs wird sie begrenzt durch die beiden traufseitigen Schnittlinien der beiden (nach oben verlängerten) Außenwände mit den geneigten Dachflächen sowie durch die beiden Giebelwände (Rauscher/Franz/Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2024, Art. 2 Rn. 629). Somit war die Terrasse bei der Berechnung der Grundfläche des Dachgeschosses nicht mit einzubeziehen.
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VIII. Die Heranziehung des Klägers zu dem Erschließungsbeitrag war auch nicht ausgeschlossen.
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1. Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, nach dem die Beitragserhebung 25 Jahre nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung ausgeschlossen wäre, steht der Beitragserhebung nicht entgegen.
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Die Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Gesetzgeber für das Inkrafttreten der Norm gemäß § 2 Abs. 2 Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8. März 2016 (GVBl. S. 36) BayRS 2024-1-I den 1. April 2021 bestimmt hat. Die Festsetzung durch Beitragsbescheid erfolgte hier am 18. Februar 2021 und damit vor dem Inkrafttreten; auch die sachlichen Beitragspflichten entstanden davor.
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2. Der Beitragserhebung steht auch die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 Halbs. 1 KAG nicht entgegen.
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Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung eines Beitrages ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig.
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Die Vorteilslage tritt erst dann ein, wenn die Anlage endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 31).
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Vor Abschluss der Baumaßnahmen in 2019/ 2020 fehlte es jedoch jedenfalls an der Asphaltierung des im Bebauungsplan vorgesehenen Wendehammers im Osten der Erschließungsanlage, sodass die Frist erst nach dessen Herstellung zu laufen begann. Darüber hinaus wurde auch die Straßenentwässerung erst durch die nunmehr abgerechneten Baumaßnamen technisch fertiggestellt.
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Sonstige Einwände gegen die Beitragsfestsetzung wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
Dementsprechend erweist sich auch das Zahlungsgebot in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides als rechtmäßig, vgl. § 254 AO.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1, 2 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).