Inhalt

VG München, Urteil v. 24.10.2024 – M 19 K 23.50110
Titel:

Dublin-Verfahren, Zielstaat: Polen, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ablauf der Überstellungsfrist

Normenketten:
VwVfG § 51
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 34a
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 2
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Zielstaat: Polen, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ablauf der Überstellungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30579

Tenor

I.    Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. April 2022 im Wege des Wiederaufgreifens des Asylverfahrens aufzuheben.
II.    Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begeht die Durchführung seines Asylverfahrens in Deutschland.
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Der Kläger, ein Staatsangehöriger S. L. , reiste am 18. Dezember 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er äußerte am selben Tag ein Asylgesuch und stellte am 23. Februar 2022 einen förmlichen Asylantrag.
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Der Kläger war im Besitz eines am 5. November 2021 von den polnischen Behörden erteilten Visums, gültig vom 4. bis 26. Dezember 2021. Unter Berufung auf dieses Visum richtete das Bundesamt am 3. März 2022 ein Aufnahmeersuchen an Polen. Die polnischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 30. März 2022 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
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Mit Bescheid vom 13. April 2022, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 2. Mai 2022, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von zwölf Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Auf die Begründung zum Bescheid wird Bezug genommen.
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Nachdem eine dem Kläger mit Schreiben vom 5. August 2022 angekündigte Überstellung nach Polen am 16. August 2022 daran scheiterte, dass er nicht angetroffen wurde, verlängerte das Bundesamt die Überstellungsfrist am selben Tag auf 18 Monate.
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Mit E-Mail vom 30. September 2022 beantragte ein Mitarbeiter der Psychosozialen Beratung des Sub – Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum M. e.V. für den Kläger, den Dublin-Bescheid in Anbetracht des Ablaufs der Überstellungsfrist an diesem Tag aufzuheben sowie um Mitteilung, dass das Asylverfahren im nationalen Verfahren geprüft werde. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2022 bat der seinerzeitige Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht gegenüber dem Bundesamt, den Ablauf der Überstellungsfrist und die Übernahme des Asylverfahrens in deutscher Zuständigkeit zu bestätigen. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2022 teilte das Bundesamt daraufhin mit, dass der Kläger zum Zeitpunkt der angekündigten Überstellung flüchtig gewesen sei. Die Überstellungsfrist ende mithin am 30. September 2023. Mit Schreiben vom 23. November 2022 bat der gegenwärtige Bevollmächtigte des Klägers um eine Begründung dafür, dass der Kläger als flüchtig angesehen werde, woraufhin das Bundesamt mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 seine Akte übermittelte. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2022 nahm der Bevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt Stellung; u.a. beharrte er auf dem Ablauf der Überstellungsfrist. Das Bundesamt bestätigte mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 seine bisher geäußerte Haltung.
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Am 6. Februar 2023 erhob der Bevollmächtigte des Klägers in dessen Namen Klage und kündigte den Antrag an, die Beklagte zu verpflichten, den Asylantrag vom 23. Februar 2022 im nationalen Verfahren zu behandeln, hilfsweise, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Polen festzustellen.
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Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Verlängerung der Überstellungsfrist sei rechtswidrig, weil der Kläger nicht flüchtig gewesen sei. In Polen lägen überdies systemische Mängel im Asylverfahren vor. Dem homosexuellen Kläger drohe dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.
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Das Bundesamt erwiderte mit Schreiben vom 10. Februar 2023, die Klage sei abzuweisen, da sie bereits unzulässig sei; der streitgegenständliche Bescheid sei seit 10. Mai 2022 bestandskräftig, sodass die Klage vom 6. Februar 2023 offensichtlich verfristet sei. Sie sei auch unbegründet, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Polen keine systemischen Schwachstellen aufwiesen.
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Dem mit der Klage gestellten Antrag nach § 123 VwGO, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die zuständige Ausländerbehörde anzuweisen, die Abschiebung des Klägers auf Grundlage der Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids vom 13. April 2022 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen, gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Februar 2024 (Az. M 19 E 23.50111) statt. Die sechsmonatige Überstellungsfrist sei bereits am 30. September 2022 abgelaufen; das Bundesamt habe keine wirksame Verlängerung auf 18 Monate herbeigeführt. Mit Schreiben vom 10. März 2023 stellte sich das Bundesamt auf den Standpunkt, dass die Überstellungsfrist infolge dieses Beschlusses bis zum rechtskräftigen Abschluss im Hauptsacheverfahren gehemmt sei.
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Mit Schreiben vom 8. April 2023 führte der Bevollmächtigte des Klägers u.a. aus, dass es ihm bei seiner Klage nicht um die Rechtmäßigkeit des bestandskräftigen Bescheids vom 13. April 2022, sondern darum gehe, dass die Überstellungsfrist nicht wirksam verlängert worden sei. Das Verfahren sei wiederaufzugreifen. Bereits am 30. September 2022 habe ein Betreuer des Klägers in dessen Auftrag beantragt, den Bescheid vom 13. April 2024 aufzuheben. Die rechtsanwaltlichen Schreiben seien ohne inhaltliche Antwort geblieben. Sie seien als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu werten. Eine Untätigkeitsklage sei angezeigt gewesen. Das Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klageantrag werde präzisiert und somit beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren des Klägers wieder aufzugreifen, den Bescheid vom 13. April 2022 zurückzunehmen und das Asylverfahren des Klägers als nationales Verfahren zu betreiben.
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Hilfsweise beantragte der Klägerbevollmächtigte,
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die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Wiederaufgreifen und Rücknahme unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Weiter hilfsweise beantragte er,
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die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Polen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
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Mit Schreiben vom 17. April 2024 beantragte das Bundesamt erneut,
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die Klage abzuweisen.
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Es berief sich im weiteren Verfahren auf seine bereits vorgetragene Rechtsaufassung. Ein Wiederaufgreifensantrag sei überdies nicht wirksam gestellt worden. Entgegen einem gerichtlichen Hinweis mit Schreiben vom 7. März 2024 hemme der stattgebende Beschluss nach § 123 VwGO den Ablauf der 18-monatigen Überstellungsfrist. Nach dem Tenor dieser Entscheidung sei die Abschiebung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen.
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Mit Beschluss vom 19. Juni 2024 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 23. Oktober 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Hinsichtlich der weiteren Äußerungen der Beteiligten sowie Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Verfahren und die vorgelegte Asylakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Das Hauptbegehren des Klägers ist mit Blick auf § 88 VwGO dahingehend zu verstehen, dass er die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2022 im Wege des Wiederaufgreifens seines Asylverfahrens begehrt (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 55.20 – juris; VG Trier, U.v. 30.1.2024 – 2 K 1400/23.TR – juris). Er wendet sich mit seinem (konkretisierten) Hauptantrag ersichtlich nicht gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. April 2022 als solchen, sondern macht den Übergang der Zuständigkeit auf Deutschland infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist, also einen nachträglich eingetretenen Umstand geltend (vgl. § 51 Abs. 1 VwVfG).
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2. Die Klage hat mit ihrem Hauptantrag Erfolg; sie ist zulässig und begründet. Über die Hilfsanträge war dementsprechend nicht zu entscheiden.
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a) Die Verpflichtungsklage, hier in Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) ist zulässig.
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Insbesondere ist ihr mit dem Schreiben des ehemaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 20. Oktober 2022 an das Bundesamt, mit dem dieser den Ablauf der Überstellungsfrist geltend machte und den Zuständigkeitsübergang auf Deutschland bestätigt wissen wollte, erkennbar und sinngemäß ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorausgegangen, den die Beklagte nicht verbeschieden hat (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 55.20 – juris Rn. 8, 18). Dies gilt umso mehr, als diesem Schreiben wenige Wochen zuvor ein ausdrücklicher Antrag eines allerdings nicht als vertretungsberechtigt ausgewiesenen Mitarbeiters einer Psychosozialen Beratungsstelle vom 30. September 2022, den Dublin-Bescheid des Klägers aufzuheben, vorausging.
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b) Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Wiederaufgreifen seines Asylverfahrens gemäß § 51 VwVfG, dem die Beklagte mit der Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2022 Rechnung zu tragen hat. § 51 VwVfG ist unmittelbar und nicht vermittelt über § 71 AsylG heranzuziehen. Mangels Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages handelt es sich nicht um einen Folgeantrag. Es wurde (nur) eine Entscheidung über die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens getroffen, ohne dass eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens erfolgt ist (BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 55.20 – juris Rn. 18). Die Beklagte kann den Kläger daher nicht auf die Stellung eines Folgeantrags gemäß § 71 AsylG verweisen.
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Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes gestellt werden.
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aa) Die Antragsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG wurde gewahrt. Das Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 20. Oktober 2022, mit dem er sich auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage, nämlich den Ablauf der Überstellungsfrist zum 30. September 2022 berief, ging binnen dreier Monate seit diesem Datum bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2023 hat der Bevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Bundesamt im Übrigen auch den Ablauf der 18-monatigen Überstellungsfrist am 30. September 2023 geltend gemacht. Auch § 51 Abs. 2 VwVfG steht nicht entgegen, weil der Kläger den Ablauf der Überstellungsfrist nicht mit einem fristgerechten Rechtsbehelf gegen den Bescheid vom 13. April 2022 geltend machen konnte.
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bb) Die Sach- und Rechtslage hat sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) in erheblicher Weise geändert. Mit dem Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) ist die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf die Beklagte übergegangen, weshalb die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 und die daran anknüpfenden Folgeentscheidungen in Nr. 2 bis 4 des Bescheids vom 13. April 2023 (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 55.20 – juris Rn. 41) rechtswidrig sind. Hierauf kann sich der Kläger, der einen subjektiv-öffentlichen Anspruch darauf hat, dass die objektive Zuständigkeitsordnung eingehalten und ein durch das Fristenregime des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO bewirkter Zuständigkeitsübergang beachtet wird, berufen (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 26.20 – juris Rn. 35 m.w.N.).
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Die Überstellungsfrist begann vorliegend mit der Zustimmung des Mitgliedsstaats Polens am 30. März 2022 (vgl. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO; Bl. 241 der Akte des Bundesamts – BA) und ist bereits abgelaufen.
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Ob die Überstellungsfrist nach sechs Monaten am 30. September 2022 endete, wie der Kläger meint und dieses Gericht im Beschluss vom 16. Februar 2023 (M 19 E 23.50111) vertreten hat, oder wirksam auf 18 Monate, somit bis zum 30. September 2023 verlängert wurde, weil der Kläger beim Versuch seiner Überstellung flüchtig war, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist auch die letztgenannte Frist längst abgelaufen.
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Durch den Beschluss nach § 123 VwGO vom 16. Februar 2023 (M 19 E 23.50111) bzw. den zugrundeliegenden Antrag wurde eine ggf. noch laufende Überstellungsfrist nicht unterbrochen.
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Nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 Dublin III-VO endet die Überstellungsfrist sechs Monate nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, wobei die Frist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO verlängert werden kann. Die zweite Alternative des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO greift erst dann, wenn eine Überstellungsentscheidung erlassen wurde und wegen eines in Umsetzung der Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingelegten Rechtsbehelfs nicht vollzogen werden kann. Dies ist nach nationalem Recht der Fall, wenn der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG erhoben und innerhalb der Frist von einer Woche gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt hat. Denn nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG ist eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag unabhängig vom Verfahrensausgang kraft Gesetzes nicht zulässig. Diese Regelung dient der Umsetzung des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Dublin III-VO. Danach sorgen die Mitgliedstaaten unter anderem dadurch für einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen, und die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 – juris Rn. 20; VG Ansbach, U.v. 13.12.2021 – AN 18 K 20.50110 – juris Rn. 40).
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Ausgehend von diesem Regelungsfüge unterbricht nicht jede während eines gerichtlichen Verfahrens gegen eine Überstellungsentscheidung oder sogar erst nach dessen Abschluss ergehende gerichtliche Eilentscheidung den Lauf der Überstellungsfrist (erneut). Aus dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und dem auf eine schnelle Klärung der Zuständigkeitsfrage gerichteten Sinn und Zweck sowohl der Dublin III-VO insgesamt als auch des Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO im Besonderen ergibt sich vielmehr, dass ein – die Überstellungsfrist unterbrechender – Rechtsbehelf im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nur die zur Vermeidung der Bestandskraft der Überstellungsentscheidung gegen diese gerichtete Klage und ggf. ein in diesem Zusammenhang gestellter, fristgebundener Eilantrag ist. Dies gilt insbesondere, wenn einem Antrag auf Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO bzw. – wie hier – auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vom Gericht gerade mit der Begründung stattgegeben worden ist, dass die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen und damit die Zuständigkeit auf Deutschland übergegangen sei (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2021 – 1 C 26.20 – juris Rn. 34; VG Ansbach, U.v. 13.12.2021 – AN 18 K 20.50110 – juris Rn. 41; vgl. auch BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 18).
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Der Kläger hat vorliegend gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids vom 13. April 2022 gerade keinen nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG fristgebundenen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer betreffenden Klage – also keinen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Dublin III-VO – eingelegt. Vielmehr hat er erstmals am 6. Februar 2023 um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO nachgesucht. Der diesem Antrag stattgebende Beschluss vom 16. Februar 2023 (M 19 E 23.50111) stellt keine – die Überstellungsfrist unterbrechende – endgültige Entscheidung über einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im vorstehend genannten Sinne dar. Das Gericht hat im Tenor dieses Beschlusses der Beklagten antragsgemäß aufgegeben, die zuständige Ausländerbehörde anzuweisen, die Abschiebung des Klägers auf der Grundlage der betreffenden Abschiebungsanordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen. Dieser Ausspruch hat sowohl hinsichtlich des Wortlauts als auch des Regelungsgehalts eine andere Bedeutung als die Formulierung in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c Dublin III-VO. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass aus Sicht der Beklagten die Wirkungen des Beschlusses nach § 123 VwGO und die eines solchen nach § 80 Abs. 5 VwGO faktisch identisch sind (vgl. VG Ansbach, U.v. 13.12.2021 – AN 18 K 20.50110 – juris Rn. 42 m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.