Inhalt

VGH München, Urteil v. 11.10.2024 – 3 BV 22.769
Titel:

Ergänzende Versorgungsabfindung

Normenketten:
BayBeamtVG Art. 99a
AEUV § 45
Leitsatz:
Art. 45 AEUV, verleiht dem Beamten lediglich einen Anspruch auf eine der bei seinem ursprünglichen Dienstherrn erdienten beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaft gleichwertige Versorgung. Das Unionsrecht gibt nicht zwingend vor, dass sich der Umzug in einen anderen Mitgliedstaat im Hinblick auf die soziale Sicherheit der betreffenden Person neutral auswirkt. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschlag von 15%, Vordienstzeiten, ergänzende Versorgungsabfindung, Europäische Kommission, Europäischer Forschungsrat, Beurlaubung, Sachverständiger, Entlassung, Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, Nachversicherungsbescheinigung, ruhegehaltfähige Dienstzeit, Kapitalstock, monatlicher Zahlbetrag, Dynamisierung, Barwertermittlung, Vergleichsgruppe, Abfindung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 15.02.2022 – W 1 K 21.705
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30454

Tenor

I. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgeändert und erhält in Ziffer I. folgende Fassung: Der Bescheid des Beklagten vom 14. April 2020 wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine ergänzende Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a BayBeamtVG mit der Maßgabe zu gewähren, dass der Abschlag gemäß Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG zu unterbleiben hat sowie bei der Lebenserwartung die Sterbetafel für Frauen anzuwenden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Kläger 6/10 und der Beklagte 4/10.
V. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der 1966 geborene Kläger stand ab dem 1. April 1999 bis zum 15. Juli 2009 als Beamter in einem Dienstverhältnis zum Beklagten, davon leistete er ab 1. April 2004 Außendienst als nationaler Sachverständiger bei der Europäischen Kommission. Ab dem 16. Juli 2009 bis zum 15. Juli 2019 war er für die Ausübung einer Tätigkeit beim Europäischen Forschungsrat in B. beurlaubt. Auf seinen Antrag hin wurde der Kläger mit Ablauf des 15. Juli 2019 aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen, um seine Tätigkeit bei der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrates in B. fortzuführen.
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Anschließend beantragte der Kläger eine ergänzende Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a BayBeamtVG. Das Landesamt für Finanzen erstellte eine Nachversicherungsbescheinigung nach § 185 Abs. 3 SGB VI vom 20. August 2019, wonach sich unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgegebenen Beitragsbemessungsgrenzen ein Gesamtbetrag in Höhe von 125.680,01 Euro ergab, der zur Zahlung an die Deutsche Rentenversicherung B. Süd angewiesen wurde. Mit Bescheid vom 14. April 2020 setzte das Landesamt für Finanzen die ergänzende Versorgungsabfindung auf 125.098,00 Euro fest. Der Betrag wurde im Laufe des Verfahrens auf 126.535,00 Euro korrigiert.
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Der dagegen gerichteten Verbescheidungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. Februar 2022 (juris) teilweise stattgegeben. Der Kläger habe einen Anspruch auf Nachteilsausgleich für den Verlust der Altersvorsorge, der ihm durch seine wegen seines Wechsels auf eine Stelle bei der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats erfolgte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zum Beklagten zum 15. Juli 2019 und die danach erfolgte Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung entstanden sei. Die Voraussetzungen des Art. 99a BayBeamtVG lägen beim Kläger vor. Das Verwaltungsgericht sehe sich jedoch unter Anwendung der vom Europäischen Gerichtshof (U.v. 13.7.2016 – C-187/15, Rechtssache Pöpperl – juris) aufgezeigten Grundsätze gezwungen, die Bestimmung des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG unangewendet zu lassen, wonach der Kläger einen 15%igen Abschlag bei der Berechnung der der ergänzenden Versorgungsabfindung zugrunde zu legenden Versorgungsanwartschaft hinnehmen müsse. Diese Vorschrift verstoße gegen Art. 45 AEUV, weil sie Unionsbürger benachteilige, die als Beamte eines deutschen Bundeslandes eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausüben wollten und deshalb einen Nachteil gegenüber solchen Personen erlitten, die ihren Dienstherrn innerhalb Deutschlands wechselten. Mit dem 15%igen Abschlag sei die ergänzende Versorgungsabfindung nicht mehr geeignet, die Benachteiligung der ins Ausland wechselnden Bürger auszugleichen. Der 15%ige Abschlag könne auch nicht mit dem Schutz eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Der Europäische Gerichtshof habe darauf verwiesen, dass der Zweck, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung eines Bundeslands sicherzustellen, nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werde, wenn bei einer Versetzung in ein anderes Bundesland oder zum Bund kein vergleichbarer Nachteil entstünde. Ein erheblicher Abschlag bei der Altersversorgung sei entgegen der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 25.4.2019 – 14 BV 17.2353 – juris) nicht erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Deutschland insgesamt sicherzustellen. Dem stehe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entgegen. Das Lebenszeitprinzip sei auch bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands nicht gewahrt, weil die Dienst- und Treuepflicht sowie der spiegelbildliche Fürsorgegrundsatz immer zwischen dem konkreten Dienstherrn und dem Beamten zum Tragen komme. Auch die Kosten, die einem Dienstherrn bei einem Wechsel des Beamten dadurch entstünden, dass er neues Personal gewinnen, gegebenenfalls ausbilden und einarbeiten müsse, könnten in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, weil diese beim Wechsel innerhalb Deutschlands ebenfalls anfielen.
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Soweit der bayerische Gesetzgeber durch den Verweis in Art. 99a Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG (nur) auf Art. 97 BayBeamtVG dem Kläger die Möglichkeit genommen habe, die Dienstzeit des Zivildienstes (Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG) berücksichtigt zu bekommen, sei aufgrund des anzulegenden Vergleichsmaßstabs mit den Beamten, die einen Dienstherrnwechsel innerhalb Deutschlands durchführen, ebenfalls ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit anzunehmen, da insoweit im Unterschied zu den Ausbildungszeiten eine Anrechnung durch den neuen Dienstherrn außerhalb Deutschlands ausgeschlossen sein dürfte. Im Gegensatz zu den Ausbildungszeiten würden die Zivil- oder Wehrdienstzeiten zudem gemäß der gesetzlichen Regel des Art. 17 BayBeamtVG grundsätzlich als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten gelten und könnten nicht nur als solche anerkannt werden, was ebenfalls dafür spreche, dass sich die Nichtanrechnung bei der ergänzenden Versorgungsabfindung als ein gesetzgeberisches Versehen darstelle, so dass insoweit durch eine entsprechende Auslegung des Art. 99a BayBeamtVG dahingehend, dass bei der Berechnung der Dienstzeit nicht nur Art. 97 BayBeamtVG, sondern auch Art. 17 BayBeamtVG heranzuziehen sei, eine europarechtskonforme Lösung gefunden werden könne.
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Dass andere Dienstzeiten (etwa Ausbildungszeiten, Zeiten im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst, sonstige Zeiten oder wissenschaftliche Qualifikationszeiten, Art. 18-20, 22 BayBeamtVG) bei der Berechnung der ergänzenden Versorgungsabfindung von der gesetzlichen Regelung nicht berücksichtigt würden, führe nicht zu einem Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit.
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Soweit der Kläger moniere, durch die Barwertabfindung des Art. 99a BayBeamtVG würden zentral bedeutsame individuelle Verhältnisse wie eine höhere Lebenserwartung nicht berücksichtigt sowie sämtliche zukünftige Versorgungserhöhungen wegfallen, außerdem entstünden steuerliche Nachteile, führe diese Argumentation nur hinsichtlich der Berechnung der Lebenserwartung zu einer aus europarechtlichen Gründen notwendigen Modifikation der Berechnungsmethode des Beklagten, weil im vorliegenden Fall mangels anderer Regelungen die höhere Lebenserwartung von Frauen zugrunde zu legen sei (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 5.20 – juris Rn. 52). Im Übrigen verkenne der Kläger den Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der die sonstigen vom Kläger gerügten Pauschalierungen erlaube. Es sei nicht zu beanstanden, wenn der bayerische Gesetzgeber einen Nachteilsausgleich pauschalierend gewähre und dabei künftige Entwicklungen wie die Entwicklung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge nicht in vollem Umfang nachzeichne. Auch sei der bisherige Dienstherr nicht gezwungen, eine weitere monatliche Zahlungsverpflichtung einzugehen, wie dies mit dem AltGG des Bundes geschehen sei. Den inländischen steuerlichen Nachteil einer Zahlung in einem Betrag habe der Gesetzgeber durch den großzügigen pauschalen Aufschlag von 40 v.H. (Art. 99a Abs. 3 S. 4 BayBeamtVG) berücksichtigt. Darüber hinaus würde es die Verpflichtungen des Dienstherrn erheblich übersteigen, wenn dieser auch noch die jeweiligen steuerrechtlichen Regelungen in dem Staat, in den der Beamte wechselt, berücksichtigen müsste. Insoweit wäre fraglich eine Verpflichtung auch des aufnehmenden Staates aus Art. 45 AEUV, einen Wechsel nicht zu erschweren. Darüber hinaus gelte im Rahmen der Beamtenbesoldung und -versorgung das Bruttoprinzip. Der bayerische Landesgesetzgeber habe im Ergebnis auch im Sinne der Verwaltungsvereinfachung den Weg der ergänzenden Versorgungsabfindung beschreiten können. Inwieweit das im Einzelfall für den Beamten einen Vorteil oder einen Nachteil darstelle, lasse sich ohnehin erst in einer ex-post Betrachtung klären. Deshalb könne es auch keine Rolle spielen, ob die Auszahlung in einer Hochzins- oder einer Niedrigzinsphase erfolge. Keinesfalls sei der vom bayerischen Landesgesetzgeber gewählte Weg einseitig zu Lasten des entlassenen Beamten negativ und nicht mehr hinnehmbar.
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Beide Beteiligten haben das vom Verwaltungsgericht zugelassene Rechtsmittel eingelegt.
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Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen das Urteil, soweit er zur Nichtanwendung von Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG verpflichtet werde sowie gegen die Berücksichtigung der Zivildienstzeit. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht einen Verstoß des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG gegen Art. 45 AEUV angenommen. Der Europäische Gerichtshof habe lediglich festgestellt, dass die bloße Nachversicherung und der Wegfall der Beamtenversorgung eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellten. Zur Frage, ab welchem absoluten oder prozentualen Umfang eine Beschränkung vorliege, habe er keine Stellung genommen. Aus der Formulierung „erheblich niedriger“ werde deutlich, dass eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur dann vorliege, wenn sie geeignet sei, Beamte zu hindern oder davon abzuhalten, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat anzunehmen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts bewirke der 15%ige Abschlag keine „erheblich geringere“ Versorgung im Vergleich zum nationalen Wechsel, so dass keine Freizügigkeitsbeschränkung vorliege (vgl. OVG NW, U.v. 18.11.2020 – 3 A 1194/18). Es sei davon auszugehen, dass dieser Abschlag von 15% mit Unionsrecht in Einklang stehe. Der Abschlag bilde ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 17/20990 S. 35) letztlich nur die dem Bezugssystem immanenten mittelbaren Versorgungsnachteile ab, die auch ein im Inland wechselnder Beamter durch das unterschiedliche Besoldungsniveau der einzelnen Länder oft hinzunehmen habe. Im Übrigen wäre eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt, weil die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sei. Dass die Vermeidung von Nachteilen in der Altersversorgung noch keinen Anreiz für das Verlassen des Staatsdiensts begründe, treffe nicht zu, weil ein Wechsel auf eine Stelle im Ausland oder zu Institutionen der Europäischen Union meist mit einem höheren Aktivgehalt verbunden sei und deshalb ein „versorgungsneutraler Wechsel“ sehr wohl zu einem Anreiz führe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechtsfolgen einer Entlassung aus dem Dienstverhältnis und dem Wechsel des Dienstherrn bei Verbleib in einem Dienstverhältnis gerade zum Ausdruck gebracht, dass er insoweit von einem einheitlichen Amtsverhältnis ausgehe. Nichts Anderes ergebe sich aus Art. 33 Abs. 5 GG. Aus diesem Grund sei auch das Beamtenstatusrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Teil der konkurrierenden Gesetzgebung.
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Die Nichtberücksichtigung der Zivildienstzeiten sei nicht zu beanstanden. Gewolltes Bezugssystem für die Wechsel ins EU-Ausland sei der Wechsel nach dem Staatsvertrag über die Verteilung von Versorgungslasten bei bund- und länderübergreifenden Dienstherrenwechseln vom 16. Dezember 2009 und 26. Januar 2010. Hintergrund des § 6 Nr. 6.1 der Durchführungshinweise zum Staatsvertrag, wonach nur reine Beamten-, Soldaten- oder Richterdienstzeiten berücksichtigt würden, sei, dass über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten im Regelfall erst bei Eintritt des Versorgungsfalls nach Maßgabe des für den Versorgungsdienstherrn maßgeblichen Rechts entschieden werde. Die jeweiligen Gesetzgeber hätten dabei wesentlich größeren Gestaltungsspielraum, weil die Anerkennung von Vordienstzeiten nicht den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Dienstzeitabhängigkeit der Versorgung berühre. Es entspreche deshalb einem Grundprinzip, Vordienstzeiten nicht als Berechnungsparameter bei der Versorgungsabfindung zu berücksichtigen. Dies habe der Landesgesetzgeber folgerichtig auf die ergänzende Versorgungsabfindung nach Art. 99a BayBeamtVG erstreckt.
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Der Beklagte beantragt mit seiner Berufung,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Zum 15%igen Abschlag verweise der Beklagte auf überholte Rechtsprechung ohne europarechtliche Relevanz oder ohne Entscheidungsgehalt im hier einschlägigen Sinn, weil sie sich auf das AltGG beziehe. Es komme nicht auf die Folgen an, die bei einem Wechsel zu einem anderen Dienstherrn im Inland eintreten könnten. Dass die Nichtberücksichtigung der Pflichtdienstzeiten gegen höherrangiges Recht verstoße, könne nicht mit dem Prinzip der Versorgungslastenteilung in Abrede gestellt werden. Der haushalterische Ausgleich zwischen verschiedenen Dienstherrn, wenn ein Beamter dieselben wechsele, habe mit dem Ausgleich von Nachteilen nichts zu tun, die beim Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis in der Altersversorgung entstünden, aber nicht entstehen dürften, weil dadurch Art. 45 AEUV verletzt werde.
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Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen das angefochtene Urteil, soweit seine im Klageverfahren geäußerten Kritikpunkte an der Bestimmung des Nachteilsausgleichs nicht berücksichtigt wurden. Der Mindestruhegehaltssatz von 35% nach dem BayBeamtVG und die zum Zeitpunkt der Entlassung ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten und sonstigen Zeiten, insbesondere die Ausbildungszeiten (Studium und Promotion) und die Zeit der Beurlaubung im dienstlichen Interesse müssten berücksichtigt werden. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 4.5.2022 – 2 C 3.21 – juris) den Nachteilsausgleich auf „die reine bisherige Dienstzeit“ begrenze, könne dem nicht gefolgt werden, weil es dies nicht aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs herleite. Dass es zur zeitratierlichen Berechnung an § 40 Abs. 2 VersAusglG anknüpfe, sei nicht nachvollziehbar. Insoweit gehe es ihm europarechtswidrig um eine Begrenzung auf die Bewertung der Zeit, die tatsächlich im Beamtenverhältnis verbracht worden sei, nicht aber um einen effektiven Ausgleich des Art. 45 AEUV behindernden Nachteils für den ausscheidenden Beamten. Entgegen dem Verwaltungsgericht komme es auch nicht darauf an, ob bei einem Dienstherrnwechsel im Bundesgebiet der neue Dienstherr diese Zeiten in eigener Verantwortung anerkennen könne. Das Argument einer gegebenenfalls zweifachen Anrechnung habe das Bundesverwaltungsgericht verworfen, weil es nach dessen Auffassung auf die weitere Versorgung im EU-Ausland nicht ankomme.
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Der Berechnungsmodus sehe eine sachlich nicht begründete unrealistische Aufzinsung um 2,34 € und Diskontierung um 3,41% vor. Im Abgabenrecht stelle ein unrealistischer Zinsfuß eine ungerechtfertigte Pauschalierung dar (BVerfG B. v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14 – juris Rn. 115, 151, 199). Zu den Fragen der Methodik der Barwertermittlung (Aufzinsung und Diskontierung) werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Hinsichtlich der statistischen Lebenserwartung werde eine alle Berufsgruppen umfassende Sterbetafel angewandt, die erheblich von der gruppenspezifischen statistischen Lebenserwartung insbesondere von Berufsgruppen wie der des Klägers abweiche. Zur Zugrundelegung einer berufsgruppenspezifischen Sterbetafel werde daher ebenfalls die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
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Für den Kläger ergäben sich erhebliche Nachteile dadurch, dass kein monatlicher Ausgleichsbetrag ab dem Zeitpunkt des Ruhestands zugesprochen werde, sondern ein Kapitalstock mit der Maßgabe, aus diesem eigenverantwortlich für eine Altersversorgung zu sorgen, ohne dass die Kapitalisierung realen finanziellen Bemessungskriterien folgte. Der Regelungsinhalt von Art. 99a BayBeamtVG sei unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht hinreichend. Denn nach dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, wonach der Gesetzgeber besonders im Besoldungs- und Versorgungsrecht alle wesentlichen Inhalte selbst zu regeln habe, gehe es nicht an, dass die wesentlichen Faktoren der vom Gesetzgeber gewünschten Kapitalisierung nur in einer Verwaltungsvorschrift geregelt würden (Art. 99a Abs. 3 Satz 5 BayBeamtVG) und jederzeit abänderbar seien.
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Überdies werde der steuerliche Nachteil der inländischen Steuerprogression bei einer pauschalen Erhöhung des kapitalisierten Betrages um 40% nicht voll ausgeglichen.
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Wegen der offenen Fragen werde sicherheitshalber eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof beantragt (Fragestellung siehe Blatt 219 f. der elektronischen Akte).
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Mit seiner Berufung beantragt der Kläger,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts und den Bescheid des Beklagten vom 14. April 2020 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a BayBeamtVG nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt insoweit,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Der Europäische Gerichtshof habe gerade nicht entschieden, dass es mit dem beruflichen Wechsel keinerlei Unterschiede geben dürfe, sie dürften nur nicht dergestalt sein, dass sie der Ausübung des Freizügigkeitsrechts grundsätzlich entgegenstehen. Da der bayerische Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung für grenzüberschreitende Sachverhalte geschaffen habe, die geeignet sei, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, sei für die vom Kläger begehrte unmittelbare Anwendung von europarechtlichen Anspruchsgrundlagen kein Raum. Der Kläger begehre nicht nur mehr als einem bayerischen Beamten bei einem innerdeutschen Wechsel zustehen würde, sondern sogar mehr als das Bundesverwaltungsgericht bei einem direkten Anspruch aus Art. 45 AEUV zugestehen würde. Der Landesgesetzgeber habe im Wege der Verwaltungsvereinfachung den Weg der ergänzenden Versorgungsabfindung beschreiten dürfen, denn ihm seien aufgrund seines Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums Pauschalierungen erlaubt. Der Kläger habe durch die Lösung seines Beamtenverhältnisses keinen Anspruch darauf, auch nach der Entlassung weiterhin wie ein Beamter behandelt zu werden. Dies verkenne der Kläger, soweit er anstelle der Barwertabfindung eine monatliche Ausgleichszahlung begehre. Die Gleichbehandlung mit einem Beamten bei einem Dienstherrnwechsel auf nationaler Ebene sei zulässig. Ob die Abfindung an den neuen Dienstherrn entrichtet werde oder an den wechselnden Beamten, da der aufnehmende Dienstherr im Ausland die bisher entstandene (fiktive) Versorgungsanwartschaft nicht aufrechterhalte, sei dabei unerheblich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts dahingehend abgeändert, dass die Zeit des Zivildiensts nicht als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen ist. Im Übrigen bleibt die Berufung des Beklagten ebenfalls ohne Erfolg.
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1. Nach Art. 99a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG, der mit Wirkung vom 13. Juli 2016 durch Gesetz vom 18. Mai 2018 (GVBl. S. 286) in das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz eingefügt worden ist, erhalten auf Antrag nachzuversichernde Beamte und Beamtinnen auf Lebenszeit, die nach Erfüllung der Wartezeit nach Art. 11 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG auf Antrag entlassen wurden, eine ergänzende Versorgungsabfindung, wenn sie im unmittelbaren Anschluss eine im Inland herkömmlich in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ausgeübte Beschäftigung im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaats der Europäischen Union aufnehmen. Wie zwischen den Parteien unstrittig ist, ist die Vorschrift insoweit analogiefähig, als über den Wortlaut hinaus auch ein Wechsel in den Dienst der Organe oder Institutionen der Europäischen Union selbst miterfasst sein soll (vgl. S. 2 des Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat vom 28.5.2019, Versorgungsakte des Landesamts für Finanzen, Bl. 6). Die Unmittelbarkeitsvermutung des Satzes 2 der Vorschrift ist vorliegend ebenfalls erfüllt.
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Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 13.7.2016 – C-187/15, Rechtssache Pöpperl), wonach Beamtinnen und Beamte, die sich zur Aufnahme einer mit ihrer bisherigen Beamtentätigkeit vergleichbaren Beschäftigung im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union entlassen lassen, vergleichbare Altersversorgungsansprüche erhalten müssen, wie sie Beamtinnen und Beamten bei einem Dienstherrnwechsel im Inland zustehen würden, dergestalt umzusetzen, dass ihnen zum Ausgleich struktureller Unterschiede zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und Beamtenversorgung zusätzlich zur Nachversicherung eine ergänzende Versorgungsabfindung zusteht (LT-Drs. 17/20990 S. 34), hält sich innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Versorgungsgesetzgeber insoweit zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 4.6.1969 – 2 BvR 343/66, 2 BvR 377/66, 2 BvR 333/66, 2 BvR 323/66 – BVerfGE 26,141, juris Rn. 41).
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Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die gesetzgeberische Entscheidung, eine ergänzende Versorgungsabfindung vorzusehen, greifen schon mangels hinreichender Substantiierung nicht durch. Der Kläger sieht insoweit „erhebliche Nachteile in Bezug auf seine für ihn im Lebensunterhalt zentral bedeutsame Altersversorgung“ dadurch, dass ihm kein monatlicher Ausgleichsbetrag ab dem Zeitpunkt des Ruhestands zugesprochen wird (Schriftsatz vom 29.7.2022 S. 9, 11), sondern ein Kapitalstock mit der Maßgabe, aus diesem eigenverantwortlich für eine Altersversorgung zu sorgen. Dies allein lässt es indes vor dem Hintergrund des insoweit bestehenden Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu, seinem Wunsch nach einem monatlichen Zahlbetrag nachzukommen. In diesen Gestaltungsspielraum greift auch das Unionsrecht nicht ein, denn nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist (nur) dafür Sorge zu tragen, den Betreffenden Ruhegehalts- bzw. Altersrentenansprüche zuzuerkennen, die jenen von Beamten vergleichbar sind. Auch die Bezugnahme „auf die sogar im Abgabenrecht als ungerechtfertigt angesehene Pauschalierung eines unrealistischen Zinsfußes“ richtet sich nicht gegen die gesetzgeberische Grundentscheidung, weil das Gesetz insoweit darauf verweist, dass die für die Barwertermittlung notwendigen Berechnungsgrundlagen vom Staatsministerium der Finanzen und für Heimat bekannt gegeben werden (Art. 99a Abs. 3 Satz 5 BayBeamtVG). Auch die Einwände gegen die diesbezügliche Bekanntmachung des Staatsministeriums vom 28. Mai 2019 (Berechnungsgrundlagen für die ergänzende Versorgungsabfindung nach Art. 99a BayBeamtVG – Ergänzungsabfindungsbekanntmachung – BeVBek; Az. 24-P 1624-1/1, BayMBl. Nr. 227) bleiben pauschal und ohne Substanz. Insoweit verweist der Bevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 19. September 2024 (S. 4) darauf, dass die Dynamisierungsfaktoren nach § 181 Abs. 4 SGB VI ebenfalls nur durch Verwaltungsvorschrift geregelt seien (vgl. Gürtner in BeckOGK, Stand 1.7.2020, § 181 SGB VI Rn. 12). Der angeregten Beweiserhebung zur Methodik der Barwertermittlung durch Sachverständigengutachten ist der Senat nicht gefolgt, weil diese nicht auf eine Tatsachenermittlung, sondern auf die Rechtsanwendung abzielt (Krehl in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 3). In Bezug auf die finanzmathematischen Grundlagen ist allenfalls eine Willkürkontrolle denkbar, für die die Klagepartei ihrerseits substantiierte Anhaltspunkte vortragen muss, denn die Amtsermittlungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO beschränkt sich auf den Sachverhalt.
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2. Aus den vom Verwaltungsgericht bereits dargelegten Gründen sieht sich auch der Senat unter Anwendung europarechtlicher Grundsätze gehindert, die Bestimmung des Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG anzuwenden, wonach sich die ergänzende Versorgungsabfindung nach dem Unterschiedsbetrag der um einen Abschlag von 15 v.H. verminderten Versorgungsanwartschaft und der durch Nachversicherung begründeten Anwartschaft zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses bemisst. Der Europäische Gerichtshof hat (a.a.O. juris Rn. 37) entschieden, dass der Zweck, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung eines Bundeslandes sicherzustellen, nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird, wenn bei einer Versetzung in ein anderes Bundesland oder zum Bund kein vergleichbarer Nachteil entstünde wie bei einem Wechsel in das europäische Ausland. Dies wäre indes hier der Fall, weil dieser Abschlag einen innerhalb Deutschlands den Dienstherrn wechselnden Beamten nicht trifft.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nicht mit der Rechtsprechung des 14. Senats des Verwaltungsgerichtshofs zum Altersgeldgesetz (U.v. 25.4.2019 – 14 BV 17.2353) argumentiert werden; denn diese Entscheidung bezieht sich – wie die nachfolgende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt (U.v. 13.2.2020 – 2 C 10.19 – juris Rn. 9-14) – auf einen Fall ohne grenzüberschreitenden Bezug, der nicht an Art. 45 AEUV zu messen ist. Dass die Einzelfälle der Fortsetzung der Berufslaufbahn eines Landesbeamten im europäischen Ausland die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigten, ist zwar pauschal behauptet, aber nicht nachvollziehbar dargetan worden. In Bezug auf die Fortsetzung der Laufbahn bei den Institutionen der Europäischen Union wäre zudem die sonst gängige Praxis, auch im Eigeninteresse des Dienstherrn Abordnungen dorthin vorzunehmen, zu berücksichtigen.
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Die Begründung für den prozentualen Abzug des Art. 99a Abs. 3 BayBeamtVG kann auch nicht dahingehend ausgetauscht werden, dass dieser Abschlag letztlich nur die dem Bezugssystem immanenten mittelbaren Versorgungsnachteile abbilde, die auch ein im Inland wechselnder Beamter durch das unterschiedliche Besoldungsniveau der einzelnen Länder oft hinzunehmen habe. Denn dieses Besoldungsniveau ist kein Kriterium, das in der Regelungssystematik des Versorgungslastenstaatsvertrags verankert wäre. Ob die Besoldung und Versorgung im aufnehmenden Land besser oder schlechter ausfällt, unterliegt zudem stetem Wandel und könnte den Abzug nicht generell rechtfertigen.
33
Der weitere Begründungsversuch für den prozentualen Abzug, der darauf abstellt, dass die Versorgung im Fall des grenzüberschreitenden Bezugs niedriger sein dürfe, aber nicht erheblich niedriger, ist mangels tauglicher Kriterien für die Abgrenzung der Erheblichkeit als Eingriffsschwelle in die Grundfreiheit von den Fällen der fehlenden Erheblichkeit ebenfalls ungeeignet.
34
3. Vordienstzeiten finden bei der Ermittlung der ergänzenden Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG i.V.m. Art. 97 BayBeamtVG keine Berücksichtigung; davon ausgenommen ist nur die Zeit als Beamter auf Widerruf (Art. 99a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Art. 97 Abs. 2 Satz 3 BayBeamtVG). Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist nicht zu beanstanden und entspricht der Rechtslage, die sich bei Altfällen in Ermangelung einer landesrechtlichen Rechtsgrundlage (vgl. dazu Urteil des Senats vom gleichen Tag, 3 BV 21.334) in unmittelbarer Anwendung der europarechtlichen Grundsätze ergibt, wobei nach der zeitratierlichen Methode der Wert des Anteils der im Beamtenverhältnis verbrachten Zeit an der fiktiven Gesamtversorgung zu ermitteln ist (ähnlich § 40 Abs. 2 VersAusglG).
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Die maßgebliche Vergleichsgruppe ist die Gruppe der (ehemaligen) Beamten des Freistaats Bayern, die innerhalb Deutschlands den Dienstherrn gewechselt haben (EuGH, U.v. 13.7.2016 a.a.O. Rn. 36, 46 f., 49). Bei der Berechnung der für diese Vergleichsgruppe an den aufnehmenden Dienstherrn zu zahlenden Abfindung (§ 4 des Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrags vom 6.5.2010, GVBl. S. 206) finden gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1, § 6 des Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrags nur die Zeiten Berücksichtigung, die beim abgebenden Dienstherrn und bei früheren Dienstherren in einem Beamtenverhältnis zurückgelegt wurden. Die Anrechnung von Vordienstzeiten liegt hingegen in der Verantwortung des aufnehmenden Dienstherrn und kann, da das Beamtenversorgungsrecht seit der Föderalismusreform I 2006 in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der Länder liegt (Art. 73 Abs. 1 Nr. 8, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG), anderen Regelungen und, soweit es sich um Ermessensvorschriften handelt, einer abweichenden Ermessenspraxis unterworfen sein als beim abgebenden Dienstherrn. Auch der in den öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder der Europäischen Union selbst eintretende Beamte wechselt in ein anderes Versorgungssystem, in dem förderliche Vordienstzeiten zumindest potentiell anerkannt werden können. Unter welchen Voraussetzungen diese Zeiten im Versorgungssystem des aufnehmenden ausländischen Dienstherrn oder der Europäischen Union selbst berücksichtigt werden, kann im Einzelfall keine Rolle spielen, da der abgebende deutsche Dienstherr die jeweiligen ausländischen Regeln ebenso wenig nachvollziehen muss wie er dies hinsichtlich der Regelungen anderer Bundesländer tut, in deren öffentlichen Dienst ein bayerischer Beamter wechselt. Art. 45 AEUV verlangt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur, dass ein Beamter, der ins europäische Ausland wechselt, nicht schlechter gestellt wird als derjenige, der innerhalb Deutschlands zu einem anderen Dienstherrn wechselt.
36
Die Anerkennung von Vordienstzeiten als fiktive, im Beamtenverhältnis verbrachte Zeiten ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten.
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Art. 45 AEUV, der einerseits das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 45 Abs. 2 AEUV) als auch andererseits das Verbot, die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu beschränken, umfasst, verleiht dem Beamten lediglich einen Anspruch auf eine der bei seinem ursprünglichen Dienstherrn erdienten beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaft gleichwertige Versorgung (EuGH, U.v. 13.7.2016 a.a.O. Rn. 36). Das Unionsrecht gibt nicht zwingend vor, dass sich der Umzug in einen anderen Mitgliedstaat im Hinblick auf die soziale Sicherheit der betreffenden Person neutral auswirkt (EuGH, U.v. 13.7.2016 a.a.O. Rn. 24). Eine die Freizügigkeit beschränkende Wirkung kommt der zu erwartenden Einbuße allerdings zu, wenn sie erheblich über das hinausgeht, was im engeren Sinne auf den Verzicht auf den Beamtenstatus zurückzuführen ist. Der Beamte darf nicht durch den Verlust seiner erworbenen Ruhegehaltsansprüche aus der Beamtenversorgung an der Wahrnehmung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gehindert werden. Vorschriften, die geeignet sind, die Beamten zu hindern oder davon abzuhalten, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat anzunehmen, und die dadurch unmittelbar den Zugang der Beamten zum Arbeitsmarkt in anderen Mitgliedstaaten beeinflussen, sind daher unangewendet zu lassen (EuGH, U.v. 13.7.2016 a.a.O. Rn. 28). Die Anwendung nationaler Regelungen darf nicht dazu führen, dass Beitragsleistungen erbracht werden, denen kein Anspruch auf Gegenleistungen gegenübersteht (vgl. EuGH, U.v. 21.1.2016 – C-515/14, Kommission/Zypern – juris Rn. 40 m.w.N.). Letzteres gilt für Beamte, die ja keine Beiträge leisten, aber eine Versorgungsanwartschaft erworben haben können, entsprechend (vgl. BVerfG, U.v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99 – BVerfGE 105, 73, juris Rn. 196).
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Durch die Vordienstzeiten hat sich der Kläger keine Versorgungsanwartschaft erdient. Der im Kernbestand durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Anspruch des Beamten auf Versorgung resultiert aus seiner Dienstleistung gegenüber dem Dienstherrn (vgl. BVerfG, U.v. 27.9.2005 – 2 BvR 1387/02 – NVwZ 2005, 1294/1298 m.w.N.). Nach dem Dienstrecht des Bundes und der Länder wird die Versorgung des Ruhestandsbeamten von diesem durch die Dienstleistung während der Dienstzeit erdient. Der Dienstherr behält nicht ausdrücklich Beiträge für die Versorgung ein; vielmehr sind die Brutto-Dienstbezüge der aktiven Beamten im Hinblick auf die künftigen Versorgungsansprüche von vornherein niedriger festgesetzt und der Dienstherr behält einen fiktiven Anteil ein, um die Versorgung zu finanzieren, so dass sich der Beamte hierdurch mittelbar an der Finanzierung der Versorgung beteiligt (BVerfG, U.v. 6.3.2002 a.a.O. juris Rn. 166; U.v. 27.9.2005 a.a.O. – NVwZ 2005, 1294/1300 = juris Rn. 143; B.v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 – BVerfGE 139, 19 Rn. 80). Hieraus resultiert die Versorgungsanwartschaft, derer der Kläger durch die Ausübung seines Rechts auf Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht verlustig gehen darf. Der Anspruch des Klägers auf eine gleichwertige Versorgung erfordert daher (lediglich), dass sich neben den Bezügen des letzten Amtes die gesamte im deutschen Beamtenverhältnis verbrachte aktive Dienstzeit in ihrer späteren – „erdienten“ – Versorgung niederschlägt (vgl. auch BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14 – juris Rn. 50 m.w.N., Rn. 78). Das Vertrauen eines Beamten, der sich ursprünglich für den Eintritt in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entschieden hat und dieses Verhältnis freiwillig verlässt, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union tätig zu sein, auf unveränderte Anerkennung sämtlicher Vordienstzeiten im Rahmen der Versorgung durch den bisherigen Dienstherrn ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich geschützt. Der Beamte wechselt in ein neues Versorgungssystem, das – wie bereits ausgeführt – ebenfalls die Anrechnung förderlicher Vordienstzeiten vorsehen kann. Im Übrigen sind auch beitragsfreie, nicht bei der Beamtenversorgung berücksichtigte (deutsche) Ausbildungs- und Vordienstzeiten nicht „verloren“, sondern können als solche bei der Bemessung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden (§ 71 Abs. 4 SGB VI).
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Aus den dargelegten Gründen besteht kein Anlass, der Frage der Berücksichtigung von Vordienstzeiten im Wege des vom Kläger angeregten Vorabentscheidungsersuchens nachzugehen.
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4. Dies gilt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch für die Dienstzeit des Zivildiensts. Diese Zeiten werden gemäß § 6 des Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrags bei der an den aufnehmenden Dienstherrn zu zahlenden Abfindung ebenfalls nicht berücksichtigt. Dieser Vergleichsmaßstab kann nicht spekulativ mit der Erwägung verlassen werden, eine Anrechnung durch den neuen Dienstherrn außerhalb Deutschlands „dürfte ausgeschlossen sein“. So wie nach einer Auffassung in der Literatur (Nabizad in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, Stand Juni 2023, § 9 BeamtVG Rn. 37) nach nationalem Recht jeglicher Wehrdienst als ruhegehaltfähig anerkennungsfähig sein soll, ob dieser in Deutschland, einem EU-Land (vgl. NdsOVG, U.v. 9.12.2008 – 5 LC 204/07 – juris Rn. 42) oder woanders (vgl. NdsOVG, B.v. 26.7.2017 – 5 LA 168/16 – juris Rn. 22) geleistet worden ist, so muss sich auch ein nicht deutscher „Dienstherr“ bei seiner Versorgung europarechtskonform verhalten und hat gegebenenfalls die Möglichkeit, diese Zeiten zu berücksichtigen.
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5. Soweit der Kläger die Zeit seiner Beurlaubung ohne Bezüge vom 16. Juli 2009 bis 15. Juli 2019 als ruhegehaltfähige Dienstzeit anerkannt haben will, steht dem Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 BayBeamtVG entgegen. Der Umstand, dass die Beurlaubung öffentlichen Belangen oder dienstlichen Interessen gedient hat, zieht keinesfalls eine Ermessensreduzierung dahingehend nach sich, dass die Zeit der Beurlaubung zu berücksichtigen wäre, weil dies absehbar zu einer Doppelversorgung für diese geleistete Dienstzeit führen würde. Wenn der Kläger meint, die Regelung des Art. 99a BayBeamtVG führe für ihn zu einem „Zinsnachteil“, weil er juristisch erst 2019 aus dem Bayerischen Staatsdienst ausgeschieden sei, wirtschaftlich jedoch bereits 2009, kann ihm nicht gefolgt werden. Weder kommt eine Vorverlegung der ergänzenden Versorgungsabfindung auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Betracht, noch bestand bis zu seiner Entscheidung für die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis Veranlassung für einen Ausgleich in versorgungsrechtlicher Hinsicht.
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6. Ebenso wenig hat der Kläger einen Anspruch darauf, der Berechnung der ergänzenden Versorgungsabfindung den Mindestruhegehaltsatz von 35 v.H. zugrunde zu legen (Art. 26 Abs. 5 BayBeamtVG). Der Beklagte hat insoweit zurecht darauf hingewiesen, dass ein solcher Anspruch auch bei einem innerdeutschen Wechsel nicht entsteht. Die beamtenrechtliche Mindestversorgung dient zur Sicherung des Existenzminimums bei Alter und Invalidität und wird auch sonst eingeschränkt, wenn es dieser Sicherung nicht bedarf, weil dem Ruhestandsbeamten daneben aufgrund einer früheren Tätigkeit eine Rente zusteht. Beide Leistungen enthalten insofern nämlich sich überschneidende sozialpolitische Komponenten und lassen unberücksichtigt, dass die erfassten Tatbestände bereits zur Begründung oder Erhöhung des jeweils anderen Versorgungsanspruchs führen (vgl. Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand Februar 2022, Art. 26 BayBeamtVG Rn. 84; OVG Berlin-Bbg, B.v. 30.8.2011 – OVG 6 N 64.10 – juris Rn. 8). Für den aus dem Beamtenverhältnis ausgeschiedenen Kläger, bei dem die erdiente Beamtenversorgung einer späteren Versorgung durch die Europäische Union vorausgeht, ist ein solcher Mangelfall, der einen Rückgriff auf die Regelungen zur Mindestversorgung erforderlich machen könnte, nicht ansatzweise erkennbar.
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Nach alledem hält der Senat den im angegriffenen Bescheid zugrunde gelegten Ruhegehaltssatz von 22,13% für zutreffend.
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7. Soweit der Kläger über die bereits vom Verwaltungsgericht zur Anwendung gebrachte Sterbetafel für Frauen hinaus den Ansatz von berufsspezifischen Sterbetafeln für höhere Beamte erstrebt, ist nicht erkennbar, woraus sich die Verpflichtung des Beklagten ergeben soll, „Tabellen der Versicherungswirtschaft“ entsprechend zu übernehmen.
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8. Der pauschale Aufschlag von 40% nach Art. 99a Abs. 3 Satz 4 BayBeamtVG, der den sich aus dem beamtenrechtlichen Bruttoprinzip ergebenden Nachteil abdecken soll, ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Ausländisches Steuerrecht muss vom Versorgungsgesetzgeber nicht eruiert und berücksichtigt werden.
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9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und bestimmt sich nach dem Verhältnis des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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10. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht vorliegen.