Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.10.2024 – 7 ZB 23.1140
Titel:

Kein Bewertungsfehler in der schriftlichen Prüfung der Zweiten Juristischen Staatsprüfung

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Das Wort „nennen“ kann sowohl bei der Darlegung des Prüfungsmaßstabs (Sind alle abstrakten Prüfungskriterien genannt?) als auch bei der Subsumtion (Sind alle den abstrakten Prüfungskriterien zuzuordnenden konkreten Umstände im Rahmen der Einzelfallprüfung genannt?) verwendet werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rüge eines Bewertungsfehlers in der schriftlichen Prüfung der Zweiten, Juristischen Staatsprüfung., Bewertungsfehler, schriftliche Prüfung, nennen
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 28.04.2023 – B 3 K 22.919
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30451

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger nahm an der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2021/1 teil. Mit Bescheid vom 17. November 2021 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er die Prüfung mit der Prüfungsgesamtnote 6,14 bestanden habe. Die Aufgabe 7 der schriftlichen Prüfung wurde mit 7,0 Punkten bewertet.
2
Unter dem 13. Dezember 2021 und 14. Januar 2022 beantragte der Kläger die Nachprüfung der Aufgaben Nr. 1, 3, 7, 8, 9, 10 und 11. Mit Bescheid vom 6. April 2022 änderte der Beklagte den Prüfungsbescheid vom 17. November 2021 dahingehend ab, dass die Bewertung der Aufgabe 9 von 1,0 auf 2,0 Punkte angehoben wurde; im Übrigen blieb es bei den Punktebewertungen. Die neue Prüfungsgesamtnote ergab 6,21 Punkte.
3
Die am 13. Dezember 2021 erhobene Klage auf Neubewertung der Aufgabe 7 wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2023 abgewiesen, da die gerügten Bewertungsfehler nicht gegeben seien.
4
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtschutzbegehren weiter. Er macht die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend, weil die Prüfer von einem falschen Sachverhalt ausgegangen seien, eine Heilung der unzutreffenden Korrektur im Nachprüfungsverfahren nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG nicht in Betracht komme und die Voraussetzungen für einen Austausch von Begründungselementen nicht vorgelegen hätten.
5
Der Beklagte tritt dem Berufungszulassungsantrag entgegen.
6
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
7
Der zulässige Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
8
Der vom Kläger behauptete Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
9
Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 64 m.w.N.).
10
Durch die vom Kläger im Zulassungsverfahren vorgebrachten Einwendungen werden die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt und keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften.
11
Der das Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit gebietet eine gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten. Dies ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt ist. Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 u.a. – BVerfGE 84, 34, 50 ff.; BVerwG, B.v. 16.8.2011 – 6 B 18.11 – juris Rn. 16; VGH BW, U.v. 6.7.2015 – 9 S 2062.14 – juris Rn. 38).
12
Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise ausgegangen.
13
Soweit der Kläger einwendet, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Prüfer der Aufgabe 7 ihrer Bewertung einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt hätten, vermag er damit nicht durchzudringen. Der Kläger rügt insoweit die Korrekturbemerkung des Erstkorrektors, das Kriterium der „besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung“ werde nicht „genannt“, als unrichtig. Denn auf Seite 17 seiner Arbeit würden die Begrifflichkeiten „objektive Gefährlichkeit der Tathandlung“ bzw. „hochgefährliche Handlung“ erwähnt. Hierzu hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt, dass die Korrekturbemerkung auslegungsfähig ist und unter Berücksichtigung ihres Kontexts, spätestens unter Würdigung der Ausführungen des Erstkorrektors im Nachprüfungsverfahren, deutlich wird, dass der Korrektor mit seiner ursprünglichen Formulierung bereits meinte, es fehle an der Subsumtion der besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung.
14
Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass der Prüfer dann das Wort „subsumieren“ hätte verwenden müssen, da „nicht nennen“ etwas anderes sei als „nicht subsumieren“, weshalb eine Überspannung der Grenzen der Auslegung durch das Verwaltungsgericht vorliege. Das Wort „nennen“ kann sowohl bei der Darlegung des Prüfungsmaßstabs (Sind alle abstrakten Prüfungskriterien genannt?) als auch bei der Subsumtion (Sind alle den abstrakten Prüfungskriterien zuzuordnenden konkreten Umstände im Rahmen der Einzelfallprüfung genannt?) verwendet werden.
15
Die Differenzierung des Erstkorrektors zwischen „abstraktem Prüfungsmaßstab“ und „konkreter Subsumtion“ folgt nicht nur aus seinen Ausführungen im Nachprüfungsverfahren „Die Formulierung, die besondere Gefährlichkeit der Tatbegehung werde nicht genannt, sollte lediglich ausdrücken, dass die Bearbeitung nicht erläutert, ob diese besondere Gefährlichkeit vorliegend tatsächlich bestand. Die bloße Nennung des Kriteriums ohne Darlegung, ob und warum es auch im vorliegenden Fall vorlag, genügte nicht.“; sie ergibt sich auch schon aus dem Korrekturblatt auf Seite 2 Zeile 2 Spalte 1. Dort wird mit Aufzählungszeichen unterschieden zwischen „(rechtl.) Abgrenzung: Vorsatz / bewusste Fahrlässigkeit“ einerseits und „konkrete Situation (Gesamtschau), u.a.: erhöhte Geschwindigkeit/höhere Gefahr …“ andererseits. Daraus wird deutlich, dass nicht nur bei der (abstrakten) rechtlichen Abgrenzung, sondern auch im Rahmen der Subsumtion das Kriterium der höheren Gefahr hätte genannt werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der Satz des Erstkorrektors „Demnach wird die besondere Gefährlichkeit der Tatbegehung nicht genannt“ die Subsumtionsebene betrifft.
16
Im Übrigen weist der Beklagte mit Blick auf die zusammenfassende Würdigung des Erstkorrektors „Bei Tat 4 wurde nicht herausgearbeitet, dass nach der Rspr. eine Gesamtschau der objektiven und subjektiven Umstände der Tat zum Beleg des Tötungsvorsatzes erforderlich ist. Demnach wird die besondere Gefährlichkeit der Tatbegehung auch nicht genannt.“ zu Recht auf Folgendes hin: „Diese Ausführungen lassen sich in Bezug auf den zweiten vorstehend zitierten Satz lediglich dahingehend verstehen, dass der Erstbewerter beanstandet, dass auf die besondere Gefährlichkeit der Tatbegehung im konkreten Fall nicht eingegangen wird. Denn andernfalls erschließt sich nicht, weshalb der Erstbewerter aus sämtlichen objektiven und subjektiven Umständen der Tat, welche auf abstrakter Ebene für die Beurteilung des Vorliegens eines Tötungsvorsatzes eine Rolle spielen können, gerade den Umstand der besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung nach seinen Ausführungen im vorhergehenden Satz noch einmal explizit auf abstrakter Ebene hervorheben sollte.“ Auch aus dem sich anschließenden Satz „Die gegen den Vorsatz sprechenden Umstände werden jedoch zutreffend erfasst und bewertet“ wird deutlich, dass sich die Korrektur mit der Subsumtionsarbeit des Klägers beschäftigt.
17
Entgegen der Auffassung des Klägers liegt nach alledem kein Austausch von Begründungselementen, sondern lediglich eine Klarstellung im Nachprüfungsverfahren vor, die angesichts des Zwecks des Nachprüfungsverfahrens und mit Blick auf Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG auch berücksichtigungsfähig ist (vgl. hierzu Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 793).
18
Unabhängig davon wäre selbst in dem hier nicht vorliegenden Fall einer fehlerhaften Begründung der Prüfungsentscheidung eine Korrektur des Begründungsmangels durch die Bewertung mit einer neuen, richtigen Begründung im Nachprüfungsverfahren möglich bzw. zulässig (vgl. zum Überdenkungsverfahren BVerwG, B.v. 21.9.2016 – 6 B 14/16 – juris Rn. 14).
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
20
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).