Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.11.2024 – 24 CS 24.1306 , 24 CS 24.1307
Titel:

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis wegen geladener Waffen im verschlossenen Munitionsschrank

Normenketten:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 5, § 45 Abs. 2 S. 1
BJagdG § 17 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2
VwGO § 44, § 93, § 146, § 147
AWaffV § 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Trennung eines gem. § 44 VwGO einheitlich verfolgten Antragsbegehrens ist ermessensfehlerhaft, wenn zum einen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen im Wesentlichen die gleichen Rechtsvorschriften maßgeblich sind und zum anderen die Trennung unnötigerweise die Gefahr provoziert, dass für beide Verfahren maßgeblicher Prozessvortrag durch die Beteiligten versehentlich nur in einem der Verfahren erfolgt. (Rn. 12 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Waffe ist ungeladen, wenn sie nicht geladen ist. Geladen ist sie, wenn Munition oder Geschosse in der Trommel, im in die Waffe eingefügten Magazin oder im Patronen- oder Geschosslager sind, auch wenn sie nicht gespannt ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass eine Trommel offen, also nicht eingerastet ist, steht der Einordnung eines Revolvers als geladen nicht entgegen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die im Rahmen der von Gesetzes wegen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG erforderlichen Prognose ist insbesondere entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das prognoserelevante Verhalten begehen wird.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Kommt es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Widerrufsentscheidung maßgeblich auf eine konkrete verhaltensbezogene Prognose an, so kann diese jedenfalls in Grenzfällen kaum ohne persönlichen Eindruck vom Antragsteller gewonnen werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Offene Erfolgsaussichten, Ermessensfehler, Verfahrenstrennung, Erfolgsaussichten, Einziehung eines Jagdscheines, Begriff der geladenen Waffe, Unzuverlässigkeitsprognose, personenbezogene Prognose, offene Erfolgsaussichten, Ermessensfehler bei der Trennung und Verbindung von Verfahren durch das Verwaltungsgericht, Widerruf von Waffenbesitzkarten, Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheines, Luftdruckpistole ohne Gaskartusche, Argumentationsaufwand für Unzuverlässigkeitsprognose, persönlicher Eindruck bei personenbezogener Prognose
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 23.07.2024 – W 9 S 24.1200 , W 9 S 24.1201
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30440

Tenor

I. Die Verfahren 24 CS 24.1306 und 24 CS 24.1307 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird vor der Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung im Verfahren 24 CS 24.1306 auf 10.250,00 EUR und im Verfahren 24 CS 24.1307 auf 4.000,00 EUR und nach der Verbindung auf insgesamt 14.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse sowie gegen die Ungültigkeitserklärung und Einziehung seines gültigen Jagdscheins.
2
Er ist seit langem Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse in Form von Waffenbesitzkarten, einem Kleinen Waffenschein und einem Jagdschein. Am 6. März 2024 führte das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) in seiner Wohnung eine verdachtsunabhängige und unangekündigte Kontrolle durch. Dabei ist im verschlossenen Munitionsschrank ein Schreckschussrevolver mit offener, aber befüllter Trommel und eine Luftpistole aufgefunden worden, deren Magazin mit Diabolos gefüllt war.
3
Daraufhin widerrief das Landratsamt nach Anhörung mit Bescheid vom 21. Juni 2024 die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers (Nr. 1) und verpflichtete diesen, die Waffenbesitzkarten, seinen Kleinen Waffenschein und den Munitionserwerbsschein zurückzugeben (Nr. 2) sowie seine Waffen und die Munition nach näheren Vorgaben dauerhaft unbrauchbar zu machen, einem Berechtigten zu überlassen oder an eine zuständige Behörde abzugeben (Nr. 3). Der Jagdschein wurde für ungültig erklärt und eingezogen (Nr. 4), ferner eine diesbezügliche Rückgabeverpflichtung ausgesprochen (Nr. 5). Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 2 bis 5 angeordnet (Nr. 6) und Zwangsgelder (Nrn. 7, 9) sowie gegebenenfalls die Sicherstellung angedroht (Nr. 8). Das Landratsamt begründete seinen Bescheid damit, dass die bei der Kontrolle vorgefundene Aufbewahrung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspräche und deshalb von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers im Sinne § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG auszugehen sei. Nach § 36 WaffG i.V.m. § 13 Abs. 2 AWaffV sei es nicht gestattet, den Schreckschussrevolver und die Luftpistole als erlaubnisfreie Waffen in geladenem Zustand in einem Munitionsschrank aufzubewahren. Der Revolver sei wegen der eingefügten Munition als geladen anzusehen, obwohl die Trommel offen gewesen sei, die mit Munition bestückte Luftpistole, obwohl die Gaskartusche gefehlt habe.
4
Der Antragsteller hat hiergegen am 4. Juli 2024 Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Das Gericht trennte die Verfahren hinsichtlich der waffenrechtlichen und der jagdrechtlichen Anordnungen voneinander ab (W 9 K 24.1998 und W 9 K 24.1999 sowie W 9 S 24.1200 und W 9 S 24.1201). Die Eilanträge hatten keinen Erfolg. Der Antragsgegner sei voraussichtlich zu Recht vom Fehlen der Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Insbesondere stelle die Aufbewahrung einer geladenen Schreckschusswaffe einen erheblichen Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften für nicht erlaubnispflichtige Waffen dar.
5
Mit seinen Beschwerden verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen die Nummern 1 bis 3 des Bescheides anzuordnen und wiederherzustellen sowie vorsorglich und hilfsweise die aufschiebende Wirkung auch hinsichtlich der Nummern 6 bis 9 festzustellen.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass es hinsichtlich der Luftpistole bereits an einem Aufbewahrungsverstoß fehle. Die Luftpistole sei trotz der im Magazin enthaltenen Diabolos-Patronen nicht geladen gewesen, weil die für eine Schussbereitschaft erforderliche Gaskartusche nicht in die Waffe eingeführt gewesen sei. Auch die Schreckschusswaffe könne nicht als geladen angesehen werden. Die Patronen seien bereits abgefeuert gewesen. Dieser Vortrag sei – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – auch keine Schutzbehauptung des Antragstellers. Selbst unter Zugrundelegung dieser verwaltungsgerichtlichen Annahme sei die Unzuverlässigkeit des Antragstellers zu verneinen. Zum einen sei der Revolver offen gewesen, so dass es technischen Geschicks bedurft hätte, um die Trommel zu schließen und deshalb der Revolver nicht als geladen angesehen werden könne. Zum anderen sei dessen ungeachtet jedenfalls keine negative Prognose hinsichtlich der zukünftigen Aufbewahrung durch den Antragsteller gerechtfertigt. Die gesetzliche Notwendigkeit einer Prognose hinsichtlich künftigen Fehlverhaltens impliziere, dass nicht jeder Verstoß aus der Vergangenheit stets zu einer Aberkennung der Zuverlässigkeit führen könne, andernfalls bedürfte es keiner Prognose. Vorliegend habe ein etwaiger Verstoß nur geringes Gewicht, zumal eine Schreckschusswaffe mindergefährlich und sie ohnehin für Dritte unzugänglich aufbewahrt worden sei.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
12
A. Die durch die beiden weitgehend wortgleichen Schriftsätze eingeleiteten Beschwerdeverfahren sind zur gemeinsamen Entscheidung nach § 93 Satz 1 VwGO zu verbinden. Eine gemeinsame Entscheidung ist ersichtlich zweckmäßig, weil im Wesentlichen in beiden Verfahren die Unzuverlässigkeit des Antragstellers im Raum steht. Maßstab bildet hierfür jeweils § 5 WaffG. Hinsichtlich der angegriffenen Widerrufsentscheidung gemäß § 45 Abs. 2 WaffG ergibt sich das aus § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Hinsichtlich der angegriffenen Einziehung und Ungültigkeitserklärung des Jagdscheins gemäß § 18 Satz 1 BJagdG ist § 5 WaffG teilweise ausdrücklich als Folge des Verweises in § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagd anwendbar, teilweise der Sache nach, soweit § 17 Abs. 4 BJagdG ihm nachgebildet ist.
13
Der Senat weist – erneut (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 24 CS 23.2264 / 24 CS 23.2265 – juris Rn. 8 f.) – darauf hin, dass die durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Juli 2024 angeordnete Trennung des zunächst vom Antragsteller gemäß § 44 VwGO einheitlich verfolgten Antragsbegehrens ermessensfehlerhaft ist. Eine nach § 93 Satz 2 VwGO mögliche Trennung von mehreren in einem Verfahren erhobenen Ansprüchen muss nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgen. Das Gericht muss sich hierbei vom Gedanken der Ordnung des Prozessstoffes im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit leiten lassen und somit auch Missverständnissen bei der Aktenführung vorbeugen wollen (vgl. BVerwG, B.v. 17.9.2012 – 7 A 22.11 – juris Rn. 1 m.w.N.). Die Trennung von Verfahren trägt damit zusätzlichem Streitstoff oder einer Reduktion von Verfahrensaufwand Rechnung (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2019 – 7 C 19.1154 – juris Rn. 7). Das wegen des Wegfalls der Gebührendegression grundsätzlich bestehende Risiko erhöhter Prozesskosten hindert eine Trennung der Verfahren zwar nicht (vgl. BVerwG, B.v. 3.3.2016 – 3 PKH 3/15 – juris Rn. 6), ist aber dennoch bei der Ermessensausübung zu bedenken (vgl. Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 93 Rn. 11).
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Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Trennung das Verfahren ordnet, da für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen im Wesentlichen die gleichen Rechtsvorschriften maßgeblich sind. Das Verwaltungsgericht erkennt dies auch, denn es formuliert in seinem Beschluss hinsichtlich der Einziehung des Jagdscheins in weiten Teilen identisch mit dem Beschluss hinsichtlich des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse und verweist teilweise auch ausdrücklich auf ihn (vgl. BA S. 20 im Verfahren W 9 S 24.1200). Darüber hinaus provoziert die sachwidrige Trennung der Verfahren unnötigerweise die Gefahr, dass für beide Verfahren maßgeblicher Prozessvortrag durch die Beteiligten versehentlich nur in einem der Verfahren erfolgt.
B.
15
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Zwar erscheint vorbehaltlich einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren – insbesondere unter Berücksichtigung eines persönlichen Eindrucks vom Antragsteller – derzeit offen, ob die Antragsgegnerin zu Recht von dessen Unzuverlässigkeit ausgeht (I.). Jedoch überwiegt wegen des gesetzlich vorgesehenen Sofortvollzugs das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage (II.).
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I. Der Antragsteller dringt mit seiner in der Sache erhobenen Rüge, dass der Bescheid offenkundig rechtswidrig sei, im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch, auch wenn die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Bescheid sei voraussichtlich rechtmäßig, derzeit nicht überzeugt.
17
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist der Fall, wenn sich der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 WaffG erweist. Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG fehlt die Zuverlässigkeit, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Waffeninhaber Waffen oder Munition nicht sorgfältig verwahren wird.
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2. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AWaffV sind Waffen oder Munition, deren Erwerb von der Erlaubnispflicht freigestellt ist, ungeladen mindestens in einem verschlossenen Behältnis aufzubewahren.
19
a) Die Luftdruckpistole und der Schreckschussrevolver des Antragstellers sind erlaubnisfreie Schusswaffen (Abschnitt 2, Unterabschnitt 2, Nr. 1.1 oder 1.2 und Nr. 1.3 der Anlage 2 zu § 2 Abs. 2 bis 4 WaffG). Sie waren in einem verschlossenen Behältnis aufbewahrt. Der Begriff „ungeladen“ wird im Gesetz nicht ausdrücklich definiert. Abschnitt 2 Nr. 12 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG enthält allerdings eine Definition des Geladenseins; hiernach ist eine Waffe schussbereit, „wenn sie geladen ist, das heißt, dass Munition oder Geschosse in der Trommel, im in die Waffe eingefügten Magazin oder im Patronen- oder Geschosslager sind, auch wenn sie nicht gespannt ist“. Geht man davon aus, dass im waffenrechtlichen Sinne eine Waffe nur entweder geladen oder ungeladen sein kann (ein dritter Zustand also nicht möglich ist), so lässt sich aus der genannten Vorschrift ableiten, dass eine Waffe hiernach ungeladen ist, wenn sie nicht im vorstehenden Sinne geladen ist; dass in waffentechnischer Terminologie eine Waffe, bei der sich das Magazin in der Waffe befindet, aber noch keine Patrone im Patronenlager ist, nur als unterladen (synonym: teilgeladen) bezeichnet wird, ist rechtlich nicht relevant.
20
b) Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller nicht mit Erfolg vorbringen, dass der aufgefundene Schreckschussrevolver ungeladen gewesen sei, wenn man den vom Antragsteller behaupteten Umstand, wonach die im Magazin befindliche Munition bereits abgefeuert gewesen sei, mit dem Verwaltungsgericht nicht für glaubhaft, sondern für eine Schutzbehauptung hält (vgl. BA S. 21). Dass die Trommel offen, also nicht eingerastet war, steht der Einordnung des Revolvers als geladen nicht entgegen. Die Aufbewahrungsvorschriften zielen darauf, Dritten die einfache Wegnahme von Waffen zum schnellen, sofortigen Gebrauch zu erschweren (vgl. BVerwG, B.v. 3.3.2014 – 6 B 36.13 – juris Rn. 5). Daher ist der Zweck der Legaldefinition in Abschnitt 2 Nr. 12 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG insbesondere darin zu sehen, dass möglichst verhindert werden soll, dass Dritte eine unmittelbar einsatzbereite Waffe – nach einer zulässigen Öffnung eines vorschriftsgemäßen Aufbewahrungsbehältnisses durch den Berechtigten – ergreifen können. Ein solches „Ergreifungsrisiko“ ist nicht nur besonders gefährlich, wenn Waffe und Trommel bereits durch Einrasten eine mechanisch-körperliche Einheit bilden, sondern auch dann, wenn ein Dritter die nicht eingerastete Trommel in und mit dem Akt des Ergreifens und ohne besonderen Kraft- oder Geschicklichkeitsaufwand jederzeit arretieren und damit die Waffe unmittelbar einsatzbereit machen kann. Das „Einrasten“ der Trommel erfordert, anders als der Antragsteller behauptet, keine besondere Form der Geschicklichkeit. Es bildet keine relevante Hürde für den sofortigen Einsatz der Waffe nach ihrem Ergreifen.
21
c) Der gegen die Annahme einer Schutzbehauptung gerichtete Vortrag des Antragstellers vermag derzeit nicht zu überzeugen, auch wenn es ihm insbesondere im Rahmen einer mündlichen Verhandlung während des Hauptsacheverfahrens offen steht, das Verwaltungsgericht von der Glaubhaftigkeit seiner Aussage zu überzeugen. Jedenfalls nach Aktenlage erscheint es nachvollziehbar, von einer Schutzbehauptung auszugehen. Erstens hätte es nahegelegen, dass der Antragsteller noch im Rahmen der Kontrolle berichtet, dass die Munition abgefeuert gewesen war. Selbst aber, wenn man annehmen wollte, dass er dies wegen des Überraschungsmoments, der mit der unangekündigten Kontrolle verbunden gewesen sein wird, vergessen hat, so ist insbesondere die Annahme des Antragsgegners nachvollziehbar, dass es dem eingeübten Ablauf einer Kontrolle entspricht, die Waffe zu entladen und deshalb dem Kontrolleur aufgefallen wäre, wenn die Kartuschenmunition schon einmal abgefeuert gewesen wäre (vgl. Bescheid vom 21.6.2024, S. 5; Antragserwiderung v. 15.7.2024, S. 2: „Die Feststellung des Ladezustands ist im Rahmen der Aufbewahrungskontrolle der heikelste Moment, schon alleine wegen dem Eigenschutz der Kontrolleure, weshalb diesem Vorgang auch die größtmögliche Vorsicht und Aufmerksamkeit gewidmet wird“).
22
d) Im Ergebnis zutreffend dürfte das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen sein, dass die Luftpistole geladen war, obwohl die nötige Gaskartusche nicht in die Pistole eingebracht war und damit „eine weitere Komponente nötig gewesen wäre, um die Waffe letztendlich zu verwenden“ (Bescheid vom 21.6.2024, S. 5). Die Begriffsbestimmung von geladen in Nr. 12 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG steht zwar in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Schussbereitschaft, der bei natürlichem Sprachgebrauch möglicherweise nicht erfüllt ist, wenn eine Gaskartusche als wesentlicher Bestandteil der Pistole noch fehlt. Allerdings werden die Nr. 12 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG verwendeten Begriffe der Munition, Ladung und Geschosse in Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 der Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG so definiert, dass es nicht darauf ankommt, dass eine geladene Waffe unmittelbar verwendet werden kann (vgl. für einen mit Pulver, aber ohne Zündhütchen versehenen Perkussionsrevolver BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 12).
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3. Mit seiner Rüge, im vorliegenden Fall sei jedenfalls auch bei Annahme eines Aufbewahrungsverstoßes keine Unzuverlässigkeitsprognose möglich, dringt der Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch. Zutreffend beanstandet er zwar, dass das Verwaltungsgericht bereits nach Aktenlagen zu der sehr weitreichenden Annahme gekommen ist, voraussichtlich von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers ausgehen zu können. Allerdings rechtfertigen die erhobenen Einwände nicht, bereits derzeit davon auszugehen, dass eine solche Prognose fehlender Zuverlässigkeit ausscheidet. Die Hauptsache kann deshalb nur als offen, aber nicht schon als erfolgsträchtig angesehen werden; folglich bleibt es beim Vorrang des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs (vgl. hierzu Rn. 27 ff.).
24
a) Im Rahmen der von Gesetzes wegen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b WaffG erforderlichen Prognose ist insbesondere entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das prognoserelevante Verhalten begehen wird. Hierbei ist zu beachten, dass eine Annahme der Wiederholung schon begangener Aufbewahrungsverstöße umso mehr gerechtfertigt ist, je mehr in dem nachgewiesenen Verhalten eine allgemeine Distanz des Betroffenen zu den gesetzlich, insbesondere waffenrechtlich begründeten (Sorgfalts-)Pflichten zum Ausdruck kommt; je geringfügiger der Verstoß ist, umso eher kann die schlichte Annahme einer Wiederholung verneint werden (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.251 – juris Rn. 18 ff. m.w.N.).
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b) Im vorliegenden Fall erschöpft sich, wie der Antragsteller zutreffend vorträgt, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Prognose letztlich in nur einem Satz, der dem konkreten Fall möglicherweise nicht hinreichend Rechnung trägt (vgl. S. 23 des Beschlusses: „Vorliegend rechtfertigen die vom Landratsamt festgestellten Verstöße gegen die Aufbewahrungsvorschriften nach vorläufiger Bewertung die Annahme, der Antragsteller werde auch künftig Waffen oder Munition nicht sorgfältig aufbewahren“).
26
Nach Aktenlage erscheint eine solche Prognose zwar nicht ausgeschlossen, sie lässt sich aber nicht schon jetzt vornehmen. Kommt es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Widerrufsentscheidung – wie hier – maßgeblich auf eine konkrete verhaltensbezogene Prognose an, so kann diese jedenfalls in Grenzfällen kaum ohne persönlichen Eindruck vom Antragsteller gewonnen werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 15 f.). Im Rahmen des Eilrechtsschutzes ist hierfür im Regelfall kein Raum. Umso sorgfältiger muss das Verwaltungsgericht aber die Umstände des Einzelfalles würdigen, wenn es bereits im Eilverfahren zur Ansicht gelangt, der Bescheid sei wegen zutreffender Prognose voraussichtlich rechtmäßig und die Erfolgsaussichten der Klage daher nicht nur offen, sondern gering. Im vorliegenden Fall könnte immerhin zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen sein, dass – soweit ersichtlich – im Rahmen der Kontrolle hinsichtlich der erlaubnispflichten Schusswaffen (Feuerwaffen) keine Aufbewahrungsverstöße festgestellt worden sind und die festgestellten Verstöße möglicherweise von untergeordneter Bedeutung gewesen sein könnten; der Antragsgegner selbst geht in seinem Bescheid jedenfalls nicht von einem gröblichen Verstoß nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG aus. Es dürfte daher maßgeblich auf den persönlichen Eindruck vom Antragsteller ankommen, den das Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewinnt.
27
II. Vor dem Hintergrund der insoweit (nur) offenen Erfolgsaussichten der Klage kann die Beschwerde keinen Erfolg haben, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO – hier in Verbindung mit § 45 Abs. 5 WaffG – einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Aus diesem Grund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers. Vom Antragsteller sind keine Gründe vorgetragen, die über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hinausreichen. Inmitten steht ausschließlich das Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2023 – 24 CS 23.1196 – Rn. 17; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 24 CS 22.737 – juris Rn. 18).
28
Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug besteht auch – wie regelmäßig – für die nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten mit der Widerrufsentscheidung verbundenen notwendigen Anordnungen, die Waffen unbrauchbar zu machen oder sie einem Dritten zu übergeben (§ 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG) und für die Anordnung der Rückgabe von Erlaubnisurkunden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG – vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 29; B.v. 18.6.2020 – 24 CS 20.1010 – juris Rn. 25). Entsprechendes gilt auch für die übrigen waffenrechtlichen Anordnungen.
29
Bezogen auf die den Jagdschein betreffenden Regelungen des Bescheids besteht bei der vorzunehmenden Abwägung ebenfalls ein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses. Insoweit ist die sofortige Vollziehung anders als im Waffenrecht zwar nicht schon gesetzlich angeordnet, allerdings ist das öffentliche Vollzugsinteresse bei einer Entziehung des Jagdscheins wegen Unzuverlässigkeit inhaltlich deckungsgleich mit demjenigen des waffenrechtlichen Widerrufs (vgl. näher BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 24 CS 22.1575 – juris Rn. 25).
C.
30
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
D.
31
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der in den Nummern 1.5, 20.3, 50.2 und 50.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 enthaltenen Empfehlungen. Er entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
32
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).