Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem abmarkungsrechtlichen Verfahren
Normenketten:
BGB § 919 Abs. 1
BayAbmG Art. 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Leitsätze:
Ein zivilgerichtliches Urteil, mit dem ein Grundstückseigentümer gemäß § 919 Abs. 1 BGB zur Zustimmung zu einer Abmarkung entlang einer konkret bezeichneten Grenze verurteilt wird, enthält keine Festlegung eines Grenzverlaufs im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG. (Rn. 17 – 22)
Die Darlegungsanforderungen hinsichtlich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel am Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Urteil hängen gerade auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 1999, 20334). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlegung von Berufungszulassungsgründen durch „Berufungsbegründung“, Abmarkung, Festlegung eines Grenzverlaufs durch gerichtliche Entscheidung (verneint), Bindungswirkung eines zivilgerichtlichen Urteils, Grenzabmarkungsanspruch, Grenzverlauf als Vorfrage, Antrag auf Zulassung der Begründung, Darlegungsanforderungen, Grenzabmarkung, Festlegung eines Grenzverlaufs
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 11.04.2024 – RO 7 K 21.1456
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30415
Tenor
I. Der Antrag des Beigeladenen zu 1) auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. April 2024 – RO 7 K 21.1456 – wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene zu 1) hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene zu 2) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Beigeladenen zu 1) auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Kläger und die beiden Beigeladenen sind Grundstücksnachbarn. Im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens zwischen dem Beigeladenen zu 1 (damals Kläger) und dem Kläger (damals Beklagter) erließ das Landgericht Amberg am 16. Dezember 2019 (Az. 22 O 941/17) folgendes rechtskräftiges Urteil:
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„Der Beklagte wird verurteilt, der Abmarkung der Grenze zwischen dem Grundstück des Klägers, Landkreis S., Gemarkung N.., Flur-Stück x, und dem Grundstück des Beklagten, Landkreis S., Gemarkung D., Flur-Stück y, entsprechend des sich aus dem dem Urteil angefügten Auszug aus dem Liegenschaftskataster des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung N. vom 25.09.2017 ergebenen Grenzverlaufs nach Maßgabe des Bayerischen Abmarkungsgesetzes zuzustimmen.“
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Am 8. Februar 2021 stellte der Beigeladene zu 1) beim Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung N. (ADBV) unter Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts Amberg vom 16. Dezember 2019 einen Antrag auf Grenzermittlung/Grenzwiederherstellung hinsichtlich zweier Grenzpunkte an der westlichen bzw. südwestlichen Seite seines im landgerichtlichen Urteil genannten Grundstücks an der Grenze zum Grundstück des Klägers. Nach vorheriger Ankündigung nahm das ADBV unter Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts am 18. Juni 2021 die Abmarkung der gemeinsamen Grenzpunkte (Punkte A und B) vor. Der Kläger war bei dem Termin nicht anwesend.
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Mit dem streitgegenständlichen Abmarkungsbescheid des ADBV vom 21. Juni 2021 wurde die Abmarkung dem Kläger bekannt gegeben. Auf dessen Klage hin hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit dem angegriffenen Urteil vom 11. April 2024 (Az. RO 7 K 21.1456) den Abmarkungsbescheid vom 21. Juni 2021 aufgehoben. Die Voraussetzungen für die am 18. Juni 2021 vorgenommene Abmarkung hätten nicht vorgelegen, insbesondere sei mit dem Urteil des Landgerichts Amberg vom 16. Dezember 2019 keine gerichtliche Festlegung des Grenzverlaufs, sondern lediglich eine Verurteilung zur Zustimmung zur Abmarkung nach § 919 Abs. 1 BGB erfolgt.
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2. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2024 hat der Beigeladene zu 1) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. April 2024, ihm zugestellt am 15. Mai 2024, die Zulassung der Berufung beantragt. Eine Begründung enthielt dieser Schriftsatz nicht. Am 15. Juli 2024 hat der Beigeladene zu 1) sodann bei Gericht einen mit „Berufungsbegründung und Berufungsanträge“ überschriebenen Schriftsatz eingereicht. Darin hat er beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11. April 2024, AZ: RO 7 K 21.1456, aufzuheben, die Klage abzuweisen und vorsorglich Vollstreckungsschutz zu gewähren. Sodann hat er wie folgt ausgeführt:
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Das Urteil werde umfassend der Überprüfung des Berufungsgerichts unterstellt. Die vorgenommene Abmarkung und der streitgegenständliche Bescheid des ADBV vom 21. Juni 2021 seien rechtmäßig. Die streitgegenständliche Vermessung stelle die Grenzen der Grundstücke zutreffend fest. Der dem Verfahren vorausgehende Zivilprozess vor dem Landgericht Amberg habe den Grenzverlauf festgestellt (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG). Das Urteil des Landgerichts sei nach erfolgloser Berufung des Klägers rechtskräftig. Der Kläger habe im Zivilverfahren weder schlüssige noch substantiierte Einwände gegen den sodann ausgeurteilten Grenzverlauf vorgebracht, sondern lediglich pauschal behauptet, „der tatsächliche Grenzverlauf müsse erinnerlich ein anderer sein“.
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Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, in dem Urteil des Landgerichts Amberg vom 16. Dezember 2019 sei keine gerichtliche Feststellung des Grenzverlaufs im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 AbmG zu sehen, sei nicht haltbar. Das vom Verwaltungsgericht zitierte Schreiben des Landgerichts vom 23. Juni 2023 ändere hieran nichts. Ausschließlich entscheidend seien Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Zivilurteils. Auf Seite 7 seines Urteils komme das Landgericht zu folgender Feststellung: „Darüber hinaus steht der tatsächliche Grenzverlauf aber aufgrund des Grundbuchs und des Auszugs aus dem Liegenschaftskataster vom 25.09.2017 eindeutig fest. Dieser Umstand löst bereits die Rechtsfolge des § 919 BGB aus (vgl. auch BeckOKG/Vollkommer, 01.06.2019, BGB § 919 Rn. 6). Aufgrund der Einvernahme des Sachverständigen Zeugen F. sieht es das Gericht als bewiesen an, dass sich der tatsächliche Grenzverlauf aus dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 25.09.2017 ergibt.“ Das Landgericht verweise in seinen Entscheidungsgründen auf die Aussage des sachverständigen Zeugen F., dessen Aussagen ausschließlich auf vermessungstechnischen Verfahren beruhten. Das Landgericht habe zumindest inzident den Grenzverlauf tatsächlich festgestellt. Daher sei auch der Nachweis der Grundstücksgrenze im Liegenschaftskataster (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AbmG) gegeben.
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3. Dies zu Grunde gelegt hat der durch das Urteil des Verwaltungsgerichts materiell beschwerte Beigeladene zu 1) zwar zunächst fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Verwaltungsgericht ausdrücklich die Zulassung der Berufung beantragt und damit das zutreffende Rechtsmittel eingelegt. Bei dem in der Folge unter Wahrung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO beim Verwaltungsgerichtshof (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO) eingereichten Schriftsatz vom 15. Juli 2024 handelt es sich jedoch formal nicht um die erforderliche Darlegung konkreter Zulassungsgründe im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn der Schriftsatz trägt die Überschrift „Berufungsbegründung und Berufungsanträge“ und stellt auch durch Benennung konkreter Anträge auf eine bereits zugelassene Berufung ab. Inhaltlich allerdings wäre mit dem Schriftsatz vom 15. Juli 2024 – nach vorheriger Einlegung des zutreffenden Rechtsmittels eines Antrags auf Zulassung der Berufung – wohl den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrunds (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) noch genügt. Zwar wird keiner der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO konkret benannt. Für eine den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines Berufungszulassungsgrunds ist dies aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht zwingend erforderlich. Die Oberverwaltungsgerichte seien nach Art. 19 Abs. 4 GG vielmehr grundsätzlich verpflichtet, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 13). Es genügt daher, dass sich die Antragsbegründung der Sache nach einem bestimmten Zulassungsgrund zuordnen lässt. Wenn wie hier die Antragsbegründung in der Art einer Berufungsbegründung abgefasst wird, die sich mit der Begründung des angefochtenen Urteils auseinandersetzt, kann dies im Einzelfall ausreichen, um etwa als Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausgelegt zu werden (vgl. Happ in: Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 124a Rn. 57; Schoch /Schneider/Rudisile, 45. EL Januar 2024, VwGO § 124a Rn. 90 m.w.N.). Dabei kann und muss nicht jedes Vorbringen aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG dem Zulassungsgrund des § 124a Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet werden (vgl. BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 14). Ansonsten würde der Sinn des Zulassungsverfahrens unterlaufen (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2009 – 19 ZB 09.7 – juris Rn. 5). Entscheidend kommt es auf den Inhalt des auslegungsbedürftigen Schriftsatzes an. Für die Darlegung des Zulassungsgrunds nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist und die Sachgründe hierfür bezeichnet und erläutert werden, wobei die Darlegungsanforderungen gerade auch von Art und Umfang der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abhängen (vgl. OVG Niedersachsen, B.v. 18.1.1999 – 12 L 5431/98 – DVBl 1999, 478). Vorliegend dürfte sich dem Schriftsatz vom 15. Juli 2024 inhaltlich hinreichend entnehmen lassen, dass sich der Beigeladene zu 1) auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft. Er setzt sich mit dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts unter dem für das Verwaltungsgericht zentralen Aspekt der (fehlenden) inhaltlichen Bindungswirkung des Urteils des Landgerichts Amberg vom 16. Dezember 2019 auseinander und legt Gründe dar, warum er dieses als unrichtig erachtet.
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Hieran dürfte wohl die jüngst ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 16.9.2024 – 6 B 6.24 – juris Rn. 19 unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung zur Umdeutung eines unzutreffend eingelegten Rechtsmittels) zum umgekehrten Fall nichts ändern. Dort ist bei einer bereits zugelassenen und eingelegten Berufung anstelle einer Berufungsbegründung eine Berufungszulassungsbegründung eingereicht worden. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass deren Umdeutung in eine Berufungsbegründung jedenfalls nach Ablauf der Begründungsfrist nicht in Betracht komme, weil beide Rechtsmittel auf unterschiedliche Ziele gerichtet und wegen des Stufenverhältnisses nicht austauschbar seien. Zum einen dürfte es schon deshalb an der Übertragbarkeit dieser Entscheidung auf den vorliegenden Fall fehlen, weil sich das Bundesverwaltungsgericht zum umgekehrten Fall geäußert hat. Zum anderen dürfte zwischen der Begründung eines Berufungszulassungsantrags und der Begründung einer Berufung ein qualitativer Unterschied bestehen. Hiervon geht auch das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aus, wenn es betont, dass beide Rechtsmittel auf unterschiedliche Ziele gerichtet seien. In einer Berufungszulassungsbegründung sind – als „Minus“ in der Vorstufe – die geltend gemachten Zulassungsgründe darzulegen, ohne dass es hierbei auf die inhaltliche Rechtmäßigkeit ankäme. Wenn allerdings – wie vorliegend – versehentlich statt einer Zulassungsbegründung ein „Mehr“, nämlich eine Berufungsbegründung eingereicht wird, dürfte dies im Interesse des effektiven Rechtsschutzes einer Auslegung im vorgenannten Sinn zugänglich sein.
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4. Letztlich bedarf die Frage der Übertragbarkeit des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2024 (Az. 6 B 6.24) auf den vorliegenden Fall keiner Entscheidung, denn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor, so dass der Zulassungsantrag ohne Erfolg bleibt.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838).
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Dies zu Grunde gelegt bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 11. April 2024. Dieses hat zutreffend angenommen, dass die Abmarkung vom 18. Juni 2021, die dem seitens des Klägers angefochtenen Abmarkungsbescheid vom 21. Juni 2021 zu Grunde liegt, rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, und den Bescheid vom 21. Juni 2021 dementsprechend zu Recht aufgehoben.
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Abzumarken ist nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Abmarkungsgesetz (AbmG) in der Regel der sich aus dem Grenznachweis des Liegenschaftskatasters ergebende Grenzverlauf (vgl. Simmerding/Püschel, Bayerisches Abmarkungsrecht, 4. Auflage 2022, Art. 2 AbmG Rn. 1). Der Abmarkung hat die Feststellung des Verlaufs der Grundstücksgrenze durch die für Katastervermessungen zuständigen Behörden voranzugehen. Maßgebend hierfür ist der Nachweis der Grundstücksgrenzen im Liegenschaftskataster (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AbmG) oder der durch gerichtliche Entscheidung oder durch gerichtlichen Vergleich festgelegte Grenzverlauf (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG). Gemäß Art. 2 Abs. 2 AbmG kann, wenn eine abzumarkende Grundstücksgrenze bestritten wird, die Abmarkung von der staatlichen Vermessungsbehörde gleichwohl vollzogen werden, wenn der Nachweis im Liegenschaftskataster eine einwandfreie Feststellung des Grenzverlaufs zulässt. Ist eine einwandfreie Feststellung des Verlaufs der Grundstücksgrenze auf der Grundlage des Katasternachweises aber nicht möglich, so ist gemäß Art. 2 Abs. 3 Satz 1 AbmG grundsätzlich diejenige Grundstücksgrenze abzumarken, auf die sich die beteiligten Grundstückseigentümer einigen. Bei fehlender Einigung unterbleibt die Abmarkung (Art. 2 Abs. 3 Satz 2 AbmG).
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Die Abmarkung vom 18. Juni 2021 und auch der streitgegenständliche Abmarkungsbescheid vom 21. Juni 2021 (vgl. Art. 17 Abs. 2 Satz 1 AbmG) konnten entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 1) nicht auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG gestützt werden. Diese Vorschrift ermöglicht eine Abmarkung nach Maßgabe eines durch gerichtliche Entscheidung oder – hier nicht einschlägig – gerichtlichen Vergleich festgelegten Grenzverlaufs. In diesem Fall wäre ein unzureichender Ausweis des Liegenschaftskatasters unbeachtlich (Simmerding/Püschel, aaO., Art. 2 AbmG Rn. 9).
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Mit dem Urteil des Landgerichts Amberg vom 16. Dezember 2019 ist keine Festlegung der Grenze im Sinn der Vorschrift erfolgt. Diesbezüglich ist allerdings nicht auf das erläuternde Schreiben des Landgerichts Amberg an das Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung vom 23. Juni 2023 abzustellen, in dem das Landgericht mitgeteilt hat, durch das Endurteil vom 16. Dezember 2019 sei der Beklagte lediglich zur Zustimmung zur Abmarkung verurteilt worden, der gemeinsame Grenzverlauf der Grundstücke der Parteien sei durch das Urteil hingegen nicht festgelegt worden. Vielmehr ist allein auf den tatsächlichen Entscheidungsinhalt des Urteils abzustellen (§ 322 ZPO). Die objektive Reichweite der materiellen Rechtskraft richtet sich nach dem Streitgegenstand, über den durch das Gericht entschieden worden ist. Maßgeblich für den Streitgegenstand sind der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt sowie der Antrag, über den seitens des Gerichts entschieden worden ist (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff, vgl. Gruber in BeckOK ZPO, 53. Ed. 1.7.2024, ZPO § 322 Rn. 20 m.w.N.). Das Landgericht war nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die Parteianträge gebunden und nicht befugt, etwas zuzusprechen, das nicht beantragt war.
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Dies zu Grunde gelegt hat das Landgericht in dem rechtskräftigen Urteil vom 16. Dezember 2019 lediglich über einen Anspruch des hiesigen Beigeladenen zu 1) auf Zustimmung zur Abmarkung nach § 919 Abs. 1 BGB entschieden, hingegen gerade keine Grenzfeststellung getroffen oder eine Grenze festgelegt.
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Nach § 919 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen, dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und ggf. zur Wiederherstellung von Grenzzeichen mitwirkt. Die Vorschrift dient der Kennzeichnung einer festliegenden bekannten unstreitigen Grenze (Herrler in Staudinger, BGB, 2020, § 919 Rn. 1). Die Vorschrift hat jedoch kaum noch Bedeutung, weil in den Ländern, so auch in Bayern (vgl. Art. 5, Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AbmG), zumeist eine von den Voraussetzungen des § 919 BGB unabhängige öffentlich-rechtliche Abmarkungspflicht besteht. Besteht ein Streit um die Grenze, kommt § 919 BGB nicht zur Anwendung. In diesem Fall muss der Grenzverlauf zunächst geklärt werden, etwa durch eine – ggf. mit dem Anspruch nach § 919 BGB zu verbindende – Klage auf Feststellung des Grenzverlaufs bzw. des Eigentums an einem bestimmten Grenzstreifen gemäß § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. insgesamt Herrler, a.a.O., Rn. 7 f. m.w.N.). Ist der Grenzverlauf nicht mehr ermittelbar, weil keiner der Grenznachbarn in der Lage ist, einen entsprechenden Nachweis zu führen, kommt ausnahmsweise auch eine sogenannte Grenzscheidungsklage nach § 920 BGB in Betracht, die ebenfalls mit der Klage nach § 919 BGB verbunden werden kann.
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Vorliegend spricht bereits der Tenor des landgerichtlichen Urteils gegen die für Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG erforderliche Klärung der Eigentumsverhältnisse durch zivilgerichtliche Entscheidung. Eine Verbindung etwa einer Feststellungsklage mit dem Abmarkungsanspruch lässt sich diesem nicht entnehmen. Der Tenor enthält keine ausdrückliche Feststellung oder Festlegung des konkreten Grenzverlaufs nach § 256 Abs. 1 ZPO. Das Landgericht hat den Kläger vielmehr ausschließlich verurteilt, einer Abmarkung – entlang einer konkreten Grenze – zuzustimmen.
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Auch der Streitgegenstand – in der Auslegung durch das Landgericht – betraf nicht die Feststellung bzw. Festlegung eines konkreten Grenzverlaufs. Das Landgericht ist ausgehend von dem damaligen Hauptantrag des hiesigen Beigeladenen zu 1), der darauf gerichtet war, den hiesigen Kläger zu verurteilen, einen bestimmten Grenzverlauf „anzuerkennen“ durch Auslegung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Zustimmung zur Abmarkung nach § 919 BGB begehrt werde (vgl. Ausfertigung des Urteils des Landgerichts vom 16. Dezember 2019 – im Folgenden UA LG – S. 6). Dabei hat das Landgericht ausdrücklich zwischen dem Abmarkungsanspruch und Streitigkeiten über den Verlauf der Eigentumsgrenze differenziert und zudem unter dem Aspekt des Rechtsschutzbedürfnisses geprüft, ob eine einfachere und billigere Möglichkeit bestünde, die Abmarkung durchzusetzen (UA LG S. 5). Ob diese Auslegung des klägerischen Hauptantrags durch das Landgericht mit dem tatsächlichen Klageziel des Klägers übereingestimmt hat, ist mit Blick auf die materielle Wirkung des rechtskräftigen Urteils unerheblich.
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Voraussetzung für den danach vom Landgericht geprüften Anspruch nach § 919 Abs. 1 BGB ist, dass die Grenze gewiss und unbestritten ist. Unbestritten ist die Grenze auch, wenn der Nachweis im Liegenschaftskataster eine einwandfreie Feststellung des Grenzverlaufs zulässt, obwohl der Grenznachbar den Grenzverlauf bestreitet (Herrler, aaO., Rn. 7 m.w.N.). Hierauf hat auch das Landgericht abgestellt. Ausgehend von seiner Auslegung des klägerischen Antrags hat es daher als Vorfrage geprüft, ob trotz der Streitigkeit der Parteien über die Grenze deren Verlauf aus dem Liegenschaftskataster eindeutig feststehe. Durch Zeugeneinvernahme ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass dies der Fall sei (UA LG S. 7 f.). Bei dieser Feststellung, ob der Grenzverlauf eindeutig feststeht, handelt es sich aber nach der vom Landgericht vorgenommenen Auslegung des Hauptantrags lediglich um eine Vorfrage für den Anspruch nach § 919 BGB und gerade nicht um einen eigenen Klagegegenstand. Da sich die materielle Bindungswirkung der zivilgerichtlichen Entscheidung aber auf den prozessualen Anspruch – hier auf Zustimmung zur Abmarkung – beschränkt, nimmt die Beantwortung der Vorfrage an der Bindungswirkung des landgerichtlichen Urteils nicht teil (vgl. Gruber in BeckOK ZPO, 53. Ed. 1.7.2024, § 322 ZPO Rn. 29; Gottwald in MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 322 ZPO, Rn. 100 jeweils m.w.N.). Eine Bindungswirkung der vom Landgericht hinsichtlich des Grenzverlaufs getroffenen Feststellungen für eine Abmarkung nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AbmG bestand mithin nicht.
22
Die Abmarkung vom 18. Juni 2021 bzw. der Abmarkungsbescheid vom 21. Juni 2021 konnte auch nicht auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 AbmG gestützt werden, weil der Inhalt des Liegenschaftskatasters eine einwandfreie Feststellung des Grenzverlaufs gerade nicht zuließ. Der Beklagte hat im Verfahren dargelegt, dass der Verlauf der fraglichen Grenze in der amtlichen Flurkarte nur grafisch nachgewiesen sei und damit kein einwandfreier Katasternachweis in Form dokumentierter Maßzahlen aus früheren Messungen mit heute erforderlicher Genauigkeit vorliege (vgl. Bl. 95 der erstinstanzlichen Gerichtsakte). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 1) auch nicht aus den Feststellungen des Landgerichts Amberg im Urteil vom 16. Dezember 2019. Das Landgericht mag inzident zu der Auffassung gelangt sein, der fragliche Grenzverlauf stehe fest, diese Feststellung war jedoch schon nicht Streitgegenstand des landgerichtlichen Urteils (s.o.) und entfaltet bereits deshalb keine Bindungswirkung für die Vermessungsbehörden bei der Prüfung und Anwendung von Art. 2 Abs. 2 AbmG. Eine Einigung der Grundstücksnachbarn auf eine bestimmte Grenze ist schließlich ebenfalls zu keinem Zeitpunkt erfolgt, so dass die Abmarkung auch nach Art. 2 Abs. 3 Satz 1 AbmG nicht erfolgen konnte. Eine Abmarkung musste daher unterbleiben (Art. 2 Abs. 3 Satz 2 AbmG). Die dennoch erfolgte Abmarkung war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie hinsichtlich des Beigeladenen zu 2) auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).