Titel:
Neubesetzung der Ausschüsse und Kommissionen des Stadtrates in Folge des Austritts eines Parteimitglieds aus einer Stadtratsfraktion
Normenkette:
BayGO § 33 Abs. 1 S. 2, S. 5, Abs. 3
Leitsätze:
1. Eine Sitzverteilung ist unter dem Aspekt der Überkompensation fehlerhaft, wenn der Unterschied des genauen mathematischen Proporzes 0,99 übersteigt und aufgrund von Rundungsdifferenzen einer Gruppierung ein Sitz mehr zukommt, als ihr zusteht. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bildung von Ausschussgemeinschaften ist nur zulässig, soweit dem Spiegelbildlichkeitsgebot im Übrigen Rechnung getragen wird. Denn aus dem Minderheitenschutz kann sich keine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse ergeben. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bloße Zählgemeinschaften, die als solche weder vom Volk gewählt worden sind noch gemeinsame politische Ziele verfolgen, können nicht Grundlage der Sitzverteilung in den Ausschüssen sein (vgl. BVerwG BeckRS 2004, 20833). Das Gleiche gilt für politische Mehrheiten, die sich erst nach der Wahl in der Gemeindevertretung durch fraktionsübergreifende Absprachen gebildet haben (vgl. BVerwG BeckRS 2010, 48393 Rn. 22) (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kommunalverfassungsrecht, Erfolgswertgleichheit, Ausschussgemeinschaft, Berechnungsverfahren, Überkompensation, d‘Hondt, Hare-Niemeyer, Spiegelbildlichkeit, Ausschussgröße, Sitzverteilung, d'Hondt, mathematischer Proporz, vorbeugender Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 30217
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, bei der Entscheidung über die Neubesetzung der Ausschüsse ihres Stadtrates die Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde zu legen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Neubesetzung der Ausschüsse und Kommissionen des Stadtrates in Folge des Austritts eines Parteimitglieds aus der bisherigen Stadtratsfraktion der Antragstellerin.
2
1. Am 15. März 2020 fand die Stadtratswahl in … statt. Dabei hat sich ausweislich des amtlichen Endergebnisses folgende Sitzverteilung ergeben:
Christlich-Soziale Union (CSU)
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22
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Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
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18
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Bündnis 90 / Die Grünen
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14
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Alternative für Deutschland (AfD)
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4
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Die Linke
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3
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Freie Wähler (FW)
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2
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Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP)
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2
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Freie Demokratische Partei (FDP)
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1
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Politbande
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1
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Partei / Piraten
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1
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Linke Liste
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1
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Die Guten
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1
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70
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3
Die Antragstellerin ist die …-Gruppe im … Stadtrat, die nach Austritt des Fraktionsmitglieds … aus den übrigen drei gewählten Vertretern der … besteht.
4
Bei der konstituierenden Sitzung am 11. Mai 2020 gab sich der Stadtrat der Antragsgegnerin eine Geschäftsordnung, die insbesondere folgende Regelungen enthält:
„§ 6 Fraktionen Zusammenschlüsse von Stadtratsmitgliedern besitzen Fraktionsstatus, wenn sie kraft ihrer Stärke mit mindestens einem Mitglied in einem Stadtratsausschuss vertreten sind. Die Bezeichnung der Fraktionen sowie deren Vorsitzende und ihre Stellvertretungen werden in öffentlicher Sitzung mitgeteilt.
Die Ausschüsse und Kommissionen
(1) In den Ausschüssen und Kommissionen (Anlage 1) müssen die im Stadtrat vertretenen Parteien und Wählergruppen gemäß ihren Vorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Stärke im Stadtrat vertreten sein. Maßgebend ist somit nicht die Stimmenzahl, welche sie bei der Wahl erhalten haben, sondern die Zahl ihrer Mitglieder im Stadtrat. Stadtratsmitglieder können sich zur Entsendung gemeinsamer Vertreterinnen und Vertreter in die Ausschüsse zusammenschließen.“
5
Die zum Entscheidungszeitpunkt bestehende Bildung der Ausschüsse war Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren (vgl. VG Ansbach, B.v. 5.6.2020 – AN 4 E 20.973; BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442; VG Ansbach, B.v. 25.9.2020 – AN 4 E 20.1670; BayVGH, B.v. 26.10.2020 - 4 CE 20.2238 sowie VG Ansbach, G.v. 29.3. 2020 – AN 4 K 20.974). Der Stadtrat der Antragsgegnerin hatte ursprünglich die Größe bestimmter Ausschüsse auf 14 Mitglieder festgesetzt. Dabei wurden die gebildeten Ausschussgemeinschaften „Die Ausschussgemeinschaft“ (bestehend aus den gewählten Vertretern der FW, FDP, ÖDP, Linke Liste und von „Die Guten“), und „Bunte Ausschussgemeinschaft“ (bestehend aus den gewählten Vertretern der Gruppierungen „Die Linke“, die Politbande und die Partei) mit einem Vertreter berücksichtigt, die gewählten Vertreter der … jedoch nicht.
6
Das Gericht sah hierin ein Verstoß gegen das in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO festgesetzte Gebot der Spiegelbildlichkeit der Ausschussbesetzung. In Folge der Eilverfahren beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin über die Besetzung der Ausschüsse und Kommissionen in seiner Sitzung vom 21. Oktober 2020 letztendlich nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts. Dabei wurde die Größe bestimmter Ausschüsse auf 15 Sitze festgelegt und für die Sitzverteilung das Verfahren nach d’Hondt angewendet, so dass sowohl die bisherige …-Fraktion als auch die gebildeten Ausschussgemeinschaften mit einem Vertreter berücksichtigt werden konnten. Diese Verteilung wurde bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht geändert.
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2. Mit Schreiben vom 21. September 2024 teilte der für die … gewählte Stadtrat … dem Oberbürgermeister der Antragsgegnerin mit, er verlasse die Stadtratsfraktion der … Er werde weiterhin in der Partei verbleiben. Der Grund für den Austritt liege allein in der Stadtratsfraktion selbst.
8
Mit Mail-Nachricht vom 28. September 2024 informierte das Bürgermeisteramt die …-Stadträte … und … über die aus Sicht der Verwaltung eintretenden möglichen Folgen für die … nach dem Austritt von Herrn Stadtrat … Demnach verliere dieser seine Sitze in den Ausschüssen und Kommissionen nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GO. Nach Beschlusslage stehe einer Gruppierung mit drei Mitgliedern bei der Verteilung der Sitze nach d’Hondt und einer Größe der Ausschüsse von 15 Mitgliedern kein Sitz zu. Daher sei gemäß Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GO über die Sitzverteilung in den Ausschüssen und Kommissionen des Stadtrats neu zu entscheiden. Abhängig von der Entscheidung des Stadtrats könne dies dazu führen, dass der Antragstellerin zukünftig kein Sitz mehr in den Ausschüssen und Kommissionen zustehe. Dementsprechend könnten auch der Fraktionsstatus (vgl. § 6 der Geschäftsordnung des Stadtrats) und die sich hieraus ergebenden Vergünstigungen entfallen.
9
3. Mit Schriftsatz vom 30. September 2024 beantragt die Antragstellerin wörtlich:
Der Antragsgegnerin wird untersagt, über die Besetzung der Ausschüsse ihres Stadtrats neu zu bestimmen, ohne dabei die Antragstellerin zu berücksichtigen, indem sie für die Berechnung der proportionalen Feststellung der Spiegelbildlichkeit der Repräsentanz der Parteien im Plenum und in den Ausschüssen das System d’Hondt anwendet.
Der Antragsgegnerin wird geboten, im Falle der Neubesetzung ihrer Ausschüsse nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu verfahren.
10
Zur eigentlichen Sache führt der anwaltliche Vertreter der Antragstellerin aus, der Stadtrat der Antragsgegnerin habe am 21. Oktober 2020 seine 15 Mitglieder starken Ausschüsse unter Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens unter Berücksichtigung der für die … in den Stadtrat gewählten vier Abgeordneten gebildet.
11
Mit Schreiben vom 23. September 2024 habe der Stadtrat … seinen Austritt aus der …-Fraktion erklärt und dies auch der Antragsgegnerin mitgeteilt. Diese habe daraufhin am 26. September 2024 durch das Bürgermeisteramt erklärt, dass nach ihrer Auffassung deswegen die Mitglieder der Stadtratsausschüsse ohne Berücksichtigung der Stadträte, die der … angehören, neu besetzt werden müssten. Denn nun habe die Fraktion der … wegen des Austritts des Stadtrats … nur noch drei Mitglieder, weswegen ihr kein Sitz in einem der Ausschüsse mehr zustehe. Gleichzeitig verliere sie damit ihren Status als Fraktion. Darüber werde in der kommenden Plenarsitzung des Stadtrates am 23. Oktober 2024 eine entsprechende Beschlussfassung erfolgen.
12
Bei Anwendung der Zählverfahren Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers erhalte auch eine aus drei Stadträten bestehende Gruppe je einen Sitz in den aus 15 Mitgliedern bestehenden Ausschüssen. Das ergebe die Berechnung mit dem „Ausschussrechner“ der Fachhochschule Hof.
13
Zur Rechtslage führt der anwaltliche Vertreter zunächst aus, das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren sei grundsätzlich zulässig. Es könne im Einzelfall jedoch zu einem Ergebnis kommen, das mit dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit unvereinbar sei, zum Beispiel im Fall einer rechnerischen Überaufrundung (Überkompensation). Demnach sei eine Sitzverteilung fehlerhaft, wenn der Unterschied des genauen mathematischen Proporzes 0,99 übersteige und aufgrund von Rundungsdifferenzen einer Gruppierung ein Sitz mehr zufalle, als ihr bereits mathematisch zustehen dürfte.
14
Dieser Sitz stehe vielmehr grundsätzlich derjenigen Partei, Wählergruppe oder Ausschussgemeinschaft zu, die ihm rechnerisch nach Bruchteilen (also Restbeträgen von höchstens 0,99) am nächsten komme. Diese habe allerdings keinen Anspruch darauf, dass ihr dieser Sitz in Durchbrechung des d’Hondtschen Verfahrens zugeordnet werde. Denn das einmal gewählte Berechnungsverfahren müsse konsequent bis zur Verteilung alle Ausschusssitze angewendet werden. Die betroffene Gruppierung könne deshalb nur verlangen, dass ein anderes Berechnungsverfahren gewählt werde, das seinerseits die Überaufrundung zu ihren Lasten vermeide, ohne gleichzeitig bei einer der weiteren Parteien, Wählergruppen oder Ausschussgemeinschaften zu einer Unterrepräsentierung (in Bezug auf die rechnerischen Sitzanteile) zu führen.
15
Im vorliegenden Fall führe das zu einer Überkompensation zugunsten der …-Fraktion und zum Nachteil der …-Fraktion. Denn gemäß Ausschussrechner der FH Hof entfielen auf die …-Fraktion proporzgenau 3,86 Ausschussmitglieder in den 15er Ausschüssen, tatsächlich jedoch entfielen nach dem Berechnungsverfahren d’Hondt auf sie fünf Ausschussmitglieder, auf die …-Fraktion jedoch keines. Dann sei die Anwendung dieses Verfahrens nicht mehr zulässig, sondern es müsse eines der beiden anderen Zählverfahren angewendet werden.
16
Der Anwendung des d’Hondtschen Berechnungsverfahrens stehe im vorliegenden Fall auch seine missbräuchliche Wahl entgegen. Insoweit habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgeführt: „Eine weitere Grenze für die rechtmäßige Ausschussgestaltung im Rahmen der Geschäftsordnung ergibt sich im Fall des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Im Grundsatz seien die Beweggründe bei der Bestimmung des Berechnungsverfahrens unerheblich. Legitim können daher auch eigennützige Gründe sein, wie die Wahl desjenigen Verfahrens, das der eigenen oder einer kommunalpolitisch nahestehenden Partei oder Wählergruppe eine größere Zahl an Ausschusssitzen einbringt (BayVGH, B.v.21.10.2021 – 4 ZB 21.1776 – juris Rn.18). Ein Missbrauch liegt vor, wenn die in der Geschäftsordnung getroffenen Regelungen sich gegen eine bestimmte politische Gruppierung richten und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgen, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten (vgl. BayVGH, B.v.15.12.2020 – 4 CE 20.2166 – juris Rn. 26 m.w.N.). Die Beurteilung, ob eine diskriminierende Regelung vorliegt, ergibt sich nicht allein anhand der offiziellen Erklärungen jener Fraktionen und Wählergruppen, die sich mehrheitlich für die betreffenden Bestimmungen ausgesprochen haben. Von Bedeutung sind darüber hinaus die äußeren Umstände, die dem Erlass der Vorschriften zugrunde liegen, sowie mögliche Sachgründe, die sich für das gewählte Regieregelungskonzept anführen lassen. Je stärker von einer bisher überwiegend akzeptierten Handhabung abgewichen wird und je gezielter die gewählte Verfahrensgestaltung auf einen bestimmten (Ausgrenzungs-) Effekt hin zugeschnitten erscheint, desto gewichtiger müssen die sachbezogenen Argumente sein, die das Vorgehen der Ratsmehrheit rechtfertigen.“ (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – juris Rn. 23).
17
Die oben geschilderten Verhaltensweisen des Oberbürgermeisters und der übrigen Stadträte der Antragsgegnerin erfüllten diese Voraussetzungen für die Annahme einer missbräuchlichen Gestaltung ganz offensichtlich. Dabei spiele durchaus auch eine Rolle, dass die Antragsgegnerin schon in der konstituierenden Sitzung des Stadtrates vom 11. Mai 2020 versucht habe, mittels Änderung der Geschäftsordnung (Erhöhung der Anzahl der Ausschusssitze auf 14, Bildung von Ausschussgemeinschaften) die gewählten Stadträte der … aus den Ausschüssen fernzuhalten und ihnen somit den Fraktionsstatus zu verweigern. Wie gerichtsbekannt, habe die zitierte Entscheidung des erkennenden Gerichts herbeigeführt werden müssen, um diesen Stadträten die ihnen zustehenden Ausschusssitze und den Fraktionsstatus zu geben.
18
Die Antragstellerin lässt weiter mit Schreiben vom 14. Oktober 2024 ergänzend Stellung nehmen.
19
4. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2024 erwidert die Antragsgegnerin und beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
20
Das Vorbringen, der Ausschussrechner würde bei einem anderen Zählverfahren der … auch als Dreiergruppe einen Sitz zugestehen, gehe davon aus, dass die Ausschussgröße unverändert bleibe und es keine Ausschussgemeinschaften gebe. Das müsse aber nicht der Fall sein.
21
Rechtlich sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits unzulässig. Der Antrag verfolge in unzulässiger Weise das Ziel eines vorbeugenden, vorläufigen Rechtsschutzes. Es fehle ihm aktuell das Rechtsschutzbedürfnis, da der Beschluss zur Besetzung der Ausschüsse und Kommissionen allein vom … Stadtrat in seiner nächsten Sitzung am 23. Oktober 2024 getroffen werden könne. Erst in dieser werde über die etwaig eintretenden Folgen für die verbliebenen Mitglieder der …-Stadtratsgruppe entschieden.
„(…) Verfassungsrechtlich scheidet vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und den reaktiv konzipierten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) grundsätzlich aus. Prozessrechtlich geht es für die einstweilige Anordnung nicht um eine Frage des Anordnungsgrundes, sondern des Rechtsschutzbedürfnisses. Danach ist – ebenso wie bei der Hauptsache – ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses Rechtsschutzinteresse ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der VwGO im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen vorläufigen Rechtsschutz verwiesen werden kann. (…)“ (Schoch/Schneider/Schoch, 45. EL Januar 2024, VwGO § 123 Rn. 45, beckonline)
22
Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Nach dem Austritt des Stadtratsmitglied … aus der …-Stadtratsfraktion verliere der Stadtrat … gemäß0,99 Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GO seinen Sitz in den Ausschüssen und Kommissionen des Stadtrats. Es sei gemäß Art. 33 Abs. 1 Satz 1 GO erneut Beschluss zu fassen über die weitere Besetzung der Stadtratsausschüsse und Kommissionen. Dies könne im Ergebnis dazu führen, dass die drei verbliebenen …-Stadtratsmitglieder keinen Ausschusssitz mehr besetzen könnten.
23
Soweit der Stadtrat dem Vorschlag der Verwaltung folgen sollte, wäre bei Beibehaltung des Verteilungsverfahrens nach d`Hondt aus rechtlichen Gründen die Zahl der Ausschusssitze unter Umständen auf 14 Mitglieder festzulegen, um eine unzulässige Überaufrundung bei der Sitzverteilung für die …-Fraktion zu vermeiden. In diesem Fall stünde den …-Stadtratsmitgliedern kein Sitz mehr in den Ausschüssen zu, in denen die … bislang vertreten gewesen sei. Hierauf habe das Bürgermeisteramt die Antragstellerin aufmerksam gemacht.
24
Die Antragsgegnerin zitiert weiter: „Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung der Antragsgegnerin, das sog. Spiegelbildlichkeitsprinzip, demzufolge die Sitzverteilung in den Ausschüssen den ratsinternen Stärkeverhältnissen Rechnung zu tragen hat, gelte nur für die in den Stadtrat gewählten Parteien und Wählergruppen und nicht für die nachträglich durch Zusammenschluss kleinerer Gruppen gebildeten Ausschussgemeinschaften. Die in diesem Verständnis liegende Abschwächung des normativen Geltungsanspruchs des Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO, mit der eine Aufspaltung der Sitzverteilung in zwei zeitlich getrennte Schritte ermöglicht werden soll, findet im Gesetzestext keine Grundlage. Sie widerspricht darüber hinaus dem in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Grundsatz der demokratischen Repräsentation, wonach die Ausschüsse als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln müssen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2003 – 8 C 18.03 – BVerwGE 119, 305/308 = BayVBl 2004, 344). Machen kleinere Parteien oder Wählergruppen von der Möglichkeit der Bildung einer Ausschussgemeinschaft nach Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO Gebrauch, so unterliegen sie bei der Sitzverteilung den gleichen Regeln wie alle anderen im Rat vertretenen Gruppierungen; eine exklusive Zuteilung von eigens für sie geschaffenen zusätzlichen Ausschusssitzen ist unzulässig.“ (BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238).
25
Aufgrund der fortbestehenden Ausschussgemeinschaften könne daher nicht das Berechnungsergebnis angenommen werden, welches die Antragstellerin ihrer Antragsschrift in Anlage 2 beigefügt habe. Diese berücksichtige die Ausschussgemeinschaften nicht. In der vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Sachkonstellation habe die …-Stadtratsfraktion noch vier Mitglieder gehabt und hätte daher originär bei 14 Sitzen im Ausschuss bei der Berechnung nach d`Hondt einen Sitz erhalten und sei allein durch die Bildung der beiden Ausschussgemeinschaften verdrängt worden. Durch die eingetretene Änderung der Stärkeverhältnisse sei sie aber nunmehr nicht mehr so groß, dass ihr ein Ausschusssitz zustehen würde. Die angedachte Verkleinerung der Sitze sei auch sachlich gerechtfertigt möglich.
26
Die Antragsgegnerin zitiert weiter: „Hieraus folgt für die derzeit im Stadtrat der Antragsgegnerin bestehende Konstellation, dass bei Anwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens eine unzulässige Verdrängung der Gruppe der Antragsteller durch die Ausschussgemeinschaften nur vermieden wird, wenn die Zahl der Ausschusssitze auf 15 oder mehr erhöht wird und somit alle Parteien, Wählergruppen und Ausschussgemeinschaften bei der Sitzverteilung zum Zuge kommen. Im Falle einer unveränderten Ausschussgröße von 14 Sitzen müsste dagegen die kleinere der beiden Ausschussgemeinschaften bei der Vergabe der Ausschusssitze von vornherein außer Betracht gelassen werden, so dass der Gruppe der Antragsteller jeweils der dadurch freiwerdende Ausschusssitz zufiele. Bei einer Reduzierung auf 13 Ausschusssitze müssten sogar beide Ausschussgemeinschaften außer Betracht bleiben, da nur dann der vorrangige Anspruch der Antragsteller auf Mitwirkung in den Ausschüssen erfüllt werden könnte.
27
Hätte der Stadtrat die in früheren Wahlperioden geltende Zahl von 12 Ausschusssitzen beibehalten, so wären die Antragsteller dagegen selbst dann nicht in den Ausschüssen vertreten, wenn beide Ausschussgemeinschaften, denen dann jeweils ein Sitz zugestanden hätte, bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt würden; die freiwerdenden Sitze kämen dann den beiden größten Stadtratsfraktionen zugute. Eine Festlegung der Ausschussgröße auf 12 Sitze wäre demnach rechtlich nicht zu beanstanden gewesen, sofern sich die Stadtratsmehrheit von Beginn an auf diese oder eine noch kleinere Ausschussgröße verständigt hätte (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2020, a.a.O. Rn. 18; U.v. 7.10.1992 – 4 B 91.2372 – BayVBl 1993, 180/182). Nachdem allerdings bei der Konstituierung des Stadtrats eine Erhöhung auf 14 Sitze beschlossen und damit auch kleineren Gruppen von Mandatsträgern eine Mitwirkung in den Ausschüssen ermöglicht wurde, könnte eine nunmehrige Rückkehr zu der früheren Ausschussgröße kaum anders verstanden werden, als dass damit das Ziel verfolgt würde, der Gruppe der Antragsteller jene Ausschusssitze vorzuenthalten, die den Vertretern der beiden Ausschussgemeinschaften ohne weiteres zugestanden wurden. Darin läge unter den gegebenen Umständen eine von der Geschäftsordnungsautonomie des Stadtrats nicht mehr gedeckte diskriminierende Gestaltung des ratsinternen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2020, a.a.O. Rn. 23 m.w.N.).“ (BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – BeckRS 2020, 30443 Rn. 26, 27).
28
Seit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs habe sich allein die Größe der …-Stadtratsfraktion geändert, die nunmehr, wie auch die Partei „…“, nur noch mit drei Mitgliedern im Stadtrat vertreten sei.
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Die Verwaltung werde, auch aus rechtlichen Gründen, namentlich zur Vermeidung unzulässiger Überaufrundungen, die bei einer Beibehaltung der aktuellen Ausschussgröße von 15 Sitzen und dem Verteilungsverfahren nach d`Hondt eintreten würden sowie unter weitestgehender Berücksichtigung der bisherigen Ausschussbesetzung in der aktuellen Wahlzeit, dem Stadtrat vorschlagen, die Zahl der Ausschusssitze, abgesehen vom Jugendhilfe- (acht Mitglieder) und Rechnungsprüfungsausschuss (sieben Mitglieder), (wieder) auf 14 Ausschussmitglieder festzulegen und bei der Sitzverteilung weiterhin das Verteilungsverfahren nach d`Hondt anzuwenden.
„Einen Anspruch auf Anwendung dieses aus Sicht der Klägerin vorzugswürdigen Verfahrens gibt es jedoch nicht. Der Kommunalgesetzgeber hat, nachdem sich mit keinem der Verfahren eine exakte Spiegelbildlichkeit der Sitzverteilung erreichen lässt, ebenso wie der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils „bestmöglichen“ Verfahrens festzulegen (vgl. BayVGH, U.v. 8.5.2015 – 4 BV 15.201 – VGH n.F. 68, 112 Rn. 30; BayVBl 2015, 712; VerfGH, E.v. 26.10.2009, a.a.O., 206; VerfGH RhPf, U.v. 23.1.2018 – VGH O 17/17 – NVwZ-RR 2018, 546 Rn. 71 m.w.N.; Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 481/487 f.; a. A. Schreiber, BayVBl 1996, 134 ff., 170 ff.).“ (BayVGH,B.v. 21.10.2021 – 4 ZB 21.1776, BeckRS 2021, 33618 Rn. 17). Nach Ansicht der Antragsgegnerin könne es kein Optimierungsgebot im Hinblick auf die Gruppe der Antragstellerin geben, das die Antragsgegnerin dazu verpflichten würde, hier zwingend anlässlich des Fraktionsaustritts das Berechnungsverfahren dahingehend zu ändern, dass trotz des erfolgten Fraktionsaustritts ihr doch weiterhin ein Ausschusssitz erhalten bleiben müsse.
30
Auch liege kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. Ausschussgröße und Berechnungsverfahren hätten naturgemäß wechselseitige Auswirkungen auf das Ergebnis der Sitzverteilung in den Ausschüssen. Es könne hier aber nicht angenommen werden, dass zwingend des Berechnungsverfahren zu ändern wäre und in der hiesigen Situation eines Fraktionsaustritts die verbliebene Gruppe einen solchen Anspruch geltend machen könne.
31
Überdies lasse der formulierte Antrag offen, welches Berechnungsverfahren und welche Ausschussgröße nach Ansicht der Antragstellerin überhaupt konkret festzulegen wären. Ihr komme es allein darauf an, trotz des Fraktionsaustritts, in den Ausschüssen vertreten zu sein. Diese Entscheidung habe aber der Stadtrat im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten unter Nutzung seiner Organisationskompetenz, abzuleiten aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht, zu treffen. Insofern sei aus Gründen der Gewaltenteilung auch der so gestellte Hilfsantrag jedenfalls abzulehnen. Es müsse dem Nürnberger Stadtrat vorbehalten bleiben, über die Ausschussgröße und das Berechnungsverfahren autonom zu entscheiden.
32
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
33
Der Antrag ist im Hilfsantrag zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund im tenorierten Umfang glaubhaft gemacht. Es war daher gegenüber der Antragsgegnerin anzuordnen, die anstehende Entscheidung über die Besetzung der Kommissionen und Ausschüsse unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu treffen.
34
Im Übrigen war der Antrag abzulehnen.
35
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl der Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den die Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz begehren, als auch der Anordnungsgrund, der sich insbesondere aus der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Anordnung ergibt, nach § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen.
36
1. Der Hauptantrag ist unzulässig. Soweit die Antragstellerin in ihrem Hauptantrag begehrt, der Antragsgegnerin zu untersagen, über die Besetzung der Ausschüsse ihres Stadtrats neu zu bestimmen, ohne dabei die Antragstellerin zu berücksichtigen, indem sie das Verfahren nach d’Hondt anwendet, hat sie hierauf erkennbar keinen Anspruch.
37
Bei der Entscheidung über Größe und Zusammensetzung der Ausschüsse handelt es sich um einen Organisationsakt der Antragsgegnerin, der in der Geschäftsordnung zu treffen ist (Art. 33 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, 45 GO). Aufgrund ihrer Organisationshoheit kommt der Antragsgegnerin vorliegend ein weiter Spielraum zu (BeckOK/Wolff, Kommunalrecht Bayern, 13. Edition Stand: 1.2.2022, GO Art. 33 Rn. 2; Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 31. EL Februar 2021, GO Art. 33 Rn. 2). Der Organisationsakt hat sich an dem sachlichen Gesichtspunkt effektiver Ausschussarbeit auszurichten (vgl. BayVGH, B.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.117 – juris Rn. 15 für die Ausschussgröße).
38
Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Berechnungsverfahren (BayVGH, B.v. 21.10.2021 – 4 ZB 21.1776 – juris Rn. 16 f.). Die Rechtsprechung, insbesondere die verfassungsgerichtliche, hat die grundsätzliche Zulässigkeit des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens bestätigt und hervorgehoben, dass kein Verfahren die vollkommene Erfolgswertgleichheit aller Stimmen garantiere (BayVerfGH, E.v. 16.10.2009 – Vf. 16-VII-08 – juris Rn. 26 und 29 unter Bezugnahme auf BVerfGE 79, 169 ff.).
39
Vor dem Hintergrund dessen hat die Antragsgegnerin insbesondere die Möglichkeit, ihre Ausschussgrößen unter Anwendung des Verfahrens nach d’Hondt im Einklang mit den sonstigen rechtlichen Voraussetzungen so zu verkleinern, dass die Antragstellerin nicht mehr zu berücksichtigen wäre.
40
2. Der Hilfsantrag, wonach die Antragsgegnerin bei der Neuentscheidung über die Besetzung der Ausschüsse und Kommissionen nach Maßgabe der Rechtssauffassung des Gerichts zu verfahren hat, ist zulässig. Es liegt insbesondere ein schützenswertes Interesse an der Entscheidung des Gerichts im Vorfeld der Entscheidung des Stadtrats vor.
41
Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, handelt es sich vorliegend um einen Fall vorbeugenden Rechtsschutzes. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO – ebenso wie für eine in der Hauptsache erhobene vorbeugende Feststellungsklage – ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Es ist in der Regel zumutbar, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen sowie – falls erforderlich – um vorläufigen Rechtsschutz nachzusuchen. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn. 5 m.w.N.).
42
Aufgrund der Umstände des Einzelfalles nimmt das Gericht das Vorliegen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses an. Vertreter der Antragstellerin wurden mit Blick auf die durch den Austritt des Stadtrats … eintretenden Folgen zu einem Gespräch in das Bürgermeisteramt geladen, dessen Inhalt in der Mail-Nachricht vom 28. September 2024 nochmalig zusammengefasst wurde. Die Antragsgegnerin hat die Absicht der Verwaltung, die Besetzung der Ausschüsse mit 14 Mitgliedern auf Basis des Zählverfahrens nach d’Hondt vorzunehmen, nochmals bekräftigt (zu einem ähnlichen Fall vgl. VG Schwerin, B.v. 8.6.2023 – 3 B 809/23 SN – juris). Die noch anstehende Entscheidung des Stadtrates hätte aufgrund der Regelung des § 6 der Geschäftsordnung des Stadtrats der Antragsgegnerin den Verlust des Fraktionsstatus und aller damit verbundenen Rechte zur Folge. Auf weitere Folgen hat die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7. Oktober 2024 auf S. 8 hingewiesen. Vorliegend ist schließlich auch zu sehen, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse in der Vergangenheit bereits Gegenstand mehrerer Streitverfahren war und die Antragsgegnerin auch dort bereits die Absicht hatte, die Ausschüsse mit lediglich 14 Mitgliedern unter Ausschluss von Parteivertretern der Antragstellerin zu besetzen. Das Gericht hält daher auch in Ansehung des Grundsatzes der Gewaltenteilung mit Blick auf das Grundrecht des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG einen Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz nicht für zumutbar.
43
3. Der Hilfsantrag ist begründet. Die von der Verwaltung der Antragsgegnerin beabsichtigte Besetzung der Ausschüsse mit 14 Mitgliedern unter Anwendung des Berechnungsverfahrens nach d’Hondt ist mit den rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Die beabsichtigte Regelung widerspricht dem in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO verankerten Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Es steht erneut ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip und dem damit einhergehenden Gedanken der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimme (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) im Raum.
44
a) Wie oben bereits dargestellt, handelt es sich insbesondere bei der Bestimmung von Größe und Berechnungsverfahren für die Ausschüsse um einen Organisationsakt des Stadtrats der Antragsgegnerin, bei dem ihm ein weiter Spielraum zusteht (Art. 33 Abs. 1 Satz 1 GO). Dabei hat der Stadtrat nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO dem Stärkeverhältnis der in ihm vertretenen Parteien und Wählergruppen Rechnung zu tragen (Grundsatz der Spiegelbildlichkeit).
45
Unter Anwendung des Berechnungsverfahrens nach d’Hondt ergibt sich bei Berücksichtigung der Ausschussgemeinschaften, die bei der Sitzverteilung den gleichen Regeln wie alle anderen Gruppierungen unterliegen (BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 24), zunächst folgendes Bild, wobei in Klammern die Platzziffer der Verteilung steht:
Sitze geteilt durch
|
1
|
2
|
3
|
4
|
5
|
6
|
CSU
|
22
(1)
|
11
(4)
|
7,33
(6)
|
5,5
(10)
|
4,4
(14)
|
3,67
(15)
|
SPD
|
18
(2)
|
9
(5)
|
6
(9)
|
4,5
(13)
|
3,6
(16)
|
3
(-)
|
Grüne
|
14
(3)
|
7
(7)
|
4,6
(12)
|
3,5
(17)
|
2,8 (-)
|
2,33 (-)
|
Die Ausschussgemeinschaft (FW, ÖDP, FDP, u.a.)
|
7
(8)
|
3,5 (-)
|
1,75 (-)
|
|
|
|
Bunte Ausschussgemeinschaft (Linke, Politbande und die Partei)
|
5
(11)
|
2,5 (-)
|
1,25 (-)
|
|
|
|
AfD
|
3
(18)
|
1,5 (-)
|
1
(-)
|
|
|
|
Linke Liste (rechnerisch, soweit nicht über AG repräsentiert)
|
3
(18)
|
1,5 (-)
|
1
(-)
|
|
|
|
Eine Sitzverteilung ist unter dem Aspekt der Überkompensation fehlerhaft, wenn der Unterschied des genauen mathematischen Proporzes 0,99 übersteigt und aufgrund von Rundungsdifferenzen einer Gruppierung ein Sitz mehr zukommt, als ihr zusteht. Denn eine solche Sitzzuteilung basiert nicht mehr auf einer Rundungsdifferenz aus der spiegelbildlichen Verkleinerung des Ratsgremiums (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.117 – juris sowie U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris). Unter dem Aspekt der Überkompensation ergeben sich folgende Grenzen aus der mathematischen Proporzberechnung:
|
|
Proporz
|
Maximal
|
Proporz
|
Maximal
|
|
im Rat
|
15 Sitze
|
15 Sitze
|
14 Sitze
|
Sitze
|
CSU
|
22
|
4,71
|
5
|
4,4
|
5
|
SPD
|
18
|
3,86
|
4
|
3,6
|
4
|
Grüne
|
14
|
3
|
3
|
2,8
|
3
|
AfD
|
3
|
0,64
|
1
|
0,6
|
1
|
46
Dementsprechend ist die Einschätzung der Verwaltung, wonach nach dem Ausscheiden des …-Mitglieds … der 15. Ausschutzsitz nunmehr zu einer unzulässigen Überkompensation führen würde, zutreffend. Nach der hiesigen Berechnung stünde der 15. Sitz der … mit dem höchsten Teiler als 6. Ausschusssitz zu. Nach mathematischem Proporz kämen der … bei 15 Ausschusssitzen jedoch 4,71 Sitze zu, so dass sich der 6. Sitz nicht aus einer Teilungsdifferenz ergeben kann und das Verfahren nach d’Hondt hier zu einer unzulässigen mathematischen Verwerfung führt. Dementsprechend kann die Ausschussverteilung mit 15 Sitzen auch nicht auf der Basis des Verfahrens nach d’Hondt beibehalten werden.
47
Eine mathematische Verwerfung aus dem Überkompensationsgedanken, und allein aus diesem, ergibt sich daneben nicht bei der Festlegung auf 14 Ausschusssitze und der Berechnung der Verteilung nach d’Hondt. Denn auch die gebildeten Ausschussgemeinschaften unterliegen bei der Sitzverteilung den gleichen Regeln wie alle anderen im Rat vertretenen Gruppierungen (BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 24).
48
b) Die Festlegung auf 14 Ausschusssitze unter Anwendung des Berechnungsverfahrens nach d’Hondt verstößt demgegenüber (erneut) gegen den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit nach Art. 33 Abs. 1 Satz 2 VwGO unter dem Aspekt der Erfolgswertgleichheit. Das gilt unabhängig davon, dass vorliegend, anders als in dem zu Beginn der Wahlperioden entschiedenen Fallkonstellation, der Antragstellerin kein Ausschusssitz aus eigener Kraft zustehen würde. Vielmehr ist es auch in der vorliegenden Fallkonstellation so, dass die gebildeten Ausschussgemeinschaften eine grundsätzlich größere Gruppierung verdrängen.
49
aa) Die Möglichkeit des Bildens von Ausschussgemeinschaften ist im Gesetz in Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO ausdrücklich vorgesehen. Bei der Anwendung dieser Vorschrift sind indessen die weiteren verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten, die zur Unzulässigkeit der Bildung von Ausschussgemeinschaften im Einzelfall führen können. Ausschussgemeinschaften sind nicht als Ausnahme vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit zu sehen, da dieser grundlegend die Erfolgswertgleichheit der Stimmen in den zu bildenden Ausschüssen absichert, wonach alle Parteien in einem möglichst dem Stimmzahlen entsprechenden Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sein müssen (v. Mangoldt/Klein/Stark, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 38 Rn. 146). Die Bildung von Ausschussgemeinschaften ist dementsprechend nur zulässig, soweit dem Spiegelbildlichkeitsgebot im Übrigen Rechnung getragen wird. Denn aus dem Minderheitenschutz kann sich keine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse ergeben. Ansonsten wären kleinere Gruppierungen in der Lage, beliebig neue Mehrheiten zu schaffen und so das im Rat niedergeschlagene Wahlergebnis zu verfälschen. Die Zulässigkeit einer Ausschussgemeinschaft nach Art. 33 Abs. 1 Satz 5 GO muss vor diesem Hintergrund bestimmt werden, was im Einzelfall eine verfassungskonforme Auslegung gebietet.
50
In Übereinstimmung mit dem Ausgeführten können bloße Zählgemeinschaften, die als solche weder vom Volk gewählt worden sind noch gemeinsame politische Ziele verfolgen, nicht Grundlage der Sitzverteilung in den Ausschüssen sein (BVerwG, U.v. 10.12.2003 – 8 C 18.03 – juris Rn. 15). Das Gleiche gilt für politische Mehrheiten, die sich erst nach der Wahl in der Gemeindevertretung durch fraktionsübergreifende Absprachen gebildet haben (BVerwG, U.v. 9.12.2009 – 8 C 17.08 – juris Rn. 22). Ein solcher Zusammenschluss kann schließlich auch nicht als Ausdruck des freien Mandates verstanden werden.
51
Nach der Rechtsprechung ist ein Zusammenschluss von Einzelgängern oder solchen Fraktionen oder Gruppen erlaubt, die ohne eine solche Verbindung keinen Sitz in einem Ausschuss erhalten würden. Das Gesetz will lediglich die Mitarbeit von sonst nicht ausschussfähigen kleinen Gruppierungen in den Ausschüssen ermöglichen, nicht jedoch die Basis der dort ohnehin vertretenen Parteien oder Wählergruppen verstärken (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – juris Rn. 26 m.w.N.).
52
bb) In diesem Sinne ist die Berücksichtigung der Ausschussgemeinschaften in der betrachteten Konstellation, wonach Ausschüsse mit 14 Sitzen auf Grundlage des Berechnungsverfahrens nach d’Hondt gebildet werden sollen, unzulässig.
53
Im entschiedenen Fall würde der ausschließlich aus kleineren Gruppierungen bestehenden Ausschussgemeinschaft „Die Ausschussgemeinschaft“ ermöglicht werden, in den Ausschüssen mitzuwirken, während die Antragstellerin diese Möglichkeit nicht hätte, obwohl die Antragstellerin mit mehr Mitgliedern in den Stadtrat der Antragsgegnerin eingezogen ist. Jedenfalls in der streitgegenständlichen Konstellation ist dies nicht mit dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit vereinbar. Die größte Einzelgruppierung von „Die Ausschussgemeinschaft“ ist mit zwei Mitgliedern in den Stadtrat eingezogen, während die Antragstellerin nach derzeitigem Stand drei Mitglieder hat.
54
Soweit in der Vergangenheit hierzu bereits entschieden wurde, dass sich Ausschussgemeinschaften nur dann in zulässiger Weise bilden können, wenn dadurch nicht eine ansonsten ausschussfähige andere Partei oder Wählergruppe den einzigen ihr zustehenden Sitz verliert, steht dies der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – juris Rn. 30 ff. sowie BayVGH, B.v. 26.10.2020 – 4 CE 20.2238 – juris Rn. 25). Die Antragsgegnerin verweist insoweit darauf, dass der Antragstellerin, anders als in der Vergangenheit, nunmehr nicht aus eigener Kraft ein Ausschusssitz zusteht. Mit diesem Argument kann sie im Ergebnis nicht durchdringen.
55
Vorliegend ist es so, dass die Antragstellerin nur deshalb nicht den „einzig ihr zustehenden Sitz“ verliert, da eine Berechnung ohne die Ausschussgemeinschaften zu einem mathematischen unzulässigen Ergebnis unter dem Aspekt der Überkompensation führen würde, wie sich bereits aus der oben angeführten Berechnungstabelle nach d’Hondt und dem Wegfall der Platzziffern 8 und 11 ergeben würde. Die beiden (bei 14 Sitzen) bzw. letzten drei (bei 15 Sitzen) Platzziffern würden dann jeweils zu unzulässigen Überaufrundungen führen.
56
Die vorliegende Entscheidung ergeht vielmehr im Einklang mit der weiteren Rechtsprechung. Denn im Fall einer Überkompensation hätte die Antragstellerin den Anspruch auf die Heranziehung eines anderen Verfahrens (BayVGH, U.v. 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – juris Rn. 28). Die durch die Bildung der Ausschussgemeinschaften sonst vermiedene Überkompensation muss sich demgegenüber an die sonstigen Regelungen, namentlich der demokratischen Repräsentation und der Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimme, anpassen. Auch die durch Überkompensation entstandenen „überschießenden“ Sitze sind nicht frei verteilbar.
57
Offenbleiben und nicht zu entscheiden ist vorliegend, ob kleinere Gruppierungen niemals die Möglichkeit haben, größere, nicht repräsentierte Gruppierungen und in anderen mathematischen Konstellationen zu verdrängen. Ebenfalls nicht zu entscheiden ist, ob eine solche Möglichkeit der Verdrängung bei der „Bunten Ausschussgemeinschaft“ in Betracht kommt, zu der die Gruppierung „…“ gehört, die ebenso stark wie die Antragstellerin ist und ansonsten ggf. in eine Stichwahl müsste.
58
c) Ohne dass es darauf für die Entscheidung der Antragsgegnerin verbindlich ankommt, weist das Gericht als obiter dictum darauf hin, dass unter Zugrundelegung der Berechnung nach Hare-Niemeyer und unter Berücksichtigung der bestehenden Ausschussgemeinschaften die bisherige Sitzverteilung beibehalten werden kann:
|
|
Proporz
|
Sitze
|
CSU
|
22
|
4,71
|
5
|
SPD
|
18
|
3,86
|
4
|
Grüne
|
14
|
3
|
3
|
AfD
|
3
|
0,64
|
1
|
Die AG
|
7
|
1,5
|
1
|
Bunte AG
|
5
|
1,07
|
1
|
59
4. Die Kosten waren vorliegend den Beteiligten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
60
Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch betraf zwar den gleichen Gegenstand und hat auch nicht zu einer Streitwerterhöhung geführt (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Die Antragstellerin ist mit ihrem weitergehenden Antrag aber in inhaltlich nicht unerheblichem Maße unterlegen.
61
5. Der Streitwert ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013).
62
Das Gericht schließt sich für den hier zu entscheidenden Fall der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geäußerten Auffassung an, dass vor dem Hintergrund der laufenden Wahlperiode bis 30. April 2026 die Vorwegnahme der Hauptsache lediglich einen untergeordneten Zeitraum betreffen wird. Auf eine Wiederanhebung des Streitwerts auf den vollen Regelstreitwert war vor diesem Hintergrund abzusehen (BayVGH, B.v. 7.8.2020 – 4 CE 20.1442 – juris).