Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 14.02.2024 – B 6 K 22.956
Titel:

Kein Rechtschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage nach Erledigung des Verwaltungsakts

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 84 Abs. 1
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
VwZVGArt. 23 Abs. 1, Art. 31 Abs. 3 S. 2
Leitsatz:
Eine Anfechtungsklage ist mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig, wenn mit dem Rechtsbehelf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird, der sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erledigt hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzbedürfnis, Unzulässigkeit, Erledigung Auskunftspflicht nach ZensG 2022, Erledigung Zwangsgeld(androhung), Zensus 2022, Aufhebungsantrag, Erledigung, Kosten, Zulässigkeit, gerichtlicher Hinweis, Zwangsgeldandrohung, Zwangsvollstreckung, Klageverfahren, Gerichtsbescheid
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29966

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften im Rahmen des Zensus 2022 (Gebäude- und Wohnungszählung).
2
Der Kläger ist Eigentümer des Gebäudes …, … Mit Schreiben, erstmals versendet am 27. Mai 2022, forderte das Bayerische Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung (im Folgenden: Landesamt) den Kläger auf, Angaben zur Gebäude- und Wohnungszählung für den Zensus 2022 mit Stichtag 15. Mai 2022 über einen Onlinefragebogen zu machen. Dieser Aufforderung kam der Kläger trotz Erinnerung vom 5. Juli 2022 mit erneuter Zusendung der Zugangsdaten für den Onlinefragebogen und Zusendung eines Papierfragebogens nicht nach. Mit Bescheid vom 28. September 2022 verpflichtete das Landesamt den Kläger dazu, die in den beigefügten Erhebungsunterlagen zur Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 erfragten Angaben für alle dort aufgeführten Objekte vollständig und wahrheitsgemäß in der in Ziffer 2 des Bescheides bezeichneten Form zu übermitteln (Ziffer 1). Weiter legte es fest, in welcher Form die Auskunftserteilung erfolgen könne (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Kläger der in den Ziffern 1 und 2 festgelegten Auskunftsverpflichtung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides nicht vollständig und ordnungsgemäß nachkomme, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 Euro fällig (Ziffer 3).
3
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Oktober 2022 ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 28.09.2022, Aktenzeichen: …, erheben und beantragte zugleich,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid anzuordnen.
4
Mit Schriftsatz vom 2. November 2022 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
5
Zur Begründung werden im Wesentlichen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides gemacht. Darüber hinaus wird im selben Schriftsatz mit Blick auf den Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz (Az.: B 9 S 22.955) unter anderem ausgeführt, die Daten der Befragten bei der Gebäude- und Wohnungszählung seien nur bis Ende Dezember 2022 verwertbar. Ein späterer Zufluss in die statistische Verwertung sei ausgeschlossen. Kernpunkt der amtlichen Statistik sei die zeitnahe Bereitstellung der Daten, die eine termingenaue Abgabe der Meldungen voraussetze. Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung verspätet eingehende Meldungen würden für die amtliche Statistik unbrauchbar sein.
6
Mit Beschluss vom 10. November 2022 (Az. B 9 S 22.955) lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Mit Schriftsatz vom 21. November 2022 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen diesen Beschluss Beschwerde ein.
7
Mit Pressemitteilung Nr. 41 vom 17. Januar 2023 gaben die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder auf der Internetseite des Zensus 2022 (www.z... .de) bekannt, dass die Befragungen der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 für Bürgerinnen und Bürger beendet seien. Die Erhebung sei abgeschlossen. Im Beschwerdeverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az.: 5 CS 22.2452) teilte die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Januar 2023 mit, dass der streitgegenständliche Bescheid wirkungslos geworden sei, da eine Datenmeldung durch die Verpflichteten nicht mehr möglich sei. Im Zuge der Beendigung der Datenerhebung habe der Beklagte auch die Beitreibung sämtlicher in diesem Kontext bereits fällig gewordener Zwangsgelder eingestellt, indem die entsprechenden Vorgänge durch das Bayerische Landesamt für Statistik mit dem Ende der Erhebungsphase bei der Staatsoberkasse storniert worden seien.
8
Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2023 beantragte der Kläger im vorliegenden Klageverfahren, den Bescheid des Beklagten vom 28.9.2022 aufzuheben.
9
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sei bereits im Eilverfahren ausführlich vorgetragen worden. Darauf komme es jedoch nicht mehr an, da der Bescheid zwischenzeitlich in jedem Falle aufzuheben sei. Er zitierte hierzu die oben wiedergegebenen Ausführungen des Beklagten aus dessen Schriftsatz vom 2. November 2022 zur Unverwertbarkeit der angeforderten Daten, wenn die Abgabe der Meldung nach Ende Dezember 2022 erfolge. Damit habe der Bescheid im Hinblick auf die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf die Anordnung des Zwangsgeldes keine inhaltliche Grundlage mehr. Die Daten seien nach eigener Auskunft des Beklagten zwischenzeitlich ohnehin nicht mehr verwertbar, Meldungen zum jetzigen Zeitpunkt unbrauchbar und ihre Verwertung sei ausgeschlossen. Insoweit könne der Kläger auch nicht mehr zur Abgabe der Erklärungen verpflichtet sein. Auch die Zwangsgeldandrohung sei damit spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2022 unwirksam geworden. Die Sache sei entscheidungsreif und der Klage sei vollumfänglich stattzugeben.
10
Mit Beschluss vom 16. Mai 2023 (Az. 5 CS 22.2452) verwarf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. In den Gründen wird ausgeführt, die Beschwerde sei unzulässig. Unter Bezugnahme auf die Pressemitteilung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder – als Herausgeber wird abweichend das Statistische Bundesamt genannt – vom 17. Januar 2023 und den Schriftsatz der Landesanwaltschaft im Beschwerdeverfahren vom 20. Januar 2023 wird unter anderem ausgeführt, es bestehe kein Grund mehr, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid zur Vermeidung einer etwaigen Zwangsvollstreckung anzuordnen. Eine Erledigungserklärung habe der Kläger ausdrücklich nicht abgegeben, sondern vielmehr an seinem Antrag festgehalten.
11
Mit Schreiben des Gerichts vom 30. Mai 2023 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde um Mitteilung gebeten, ob der Rechtsstreit angesichts der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2023 für erledigt erklärt werde.
12
Mit Schreiben des Gerichts vom 6. Juni 2023 wurden die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
13
Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 bezog sich der Beklagte auf seine Ausführungen zum Klage- und Antragsverfahren im Schriftsatz vom 2. November 2022 und führte darüber hinaus im Wesentlichen aus: Es sei richtig, dass sich mit Ende der Erhebungen der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 die Auskunftsverpflichtung sowie die damit einhergehende Vollstreckung zwischenzeitlich fällig gewordener Zwangsgelder durch Zeitablauf erledigt hätten.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten, auch diejenigen des Verfahrens B 9 S 22.985, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Hs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden vor Erlass des Gerichtsbescheides gehört (§ 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
I.
16
Die Klage wird abgewiesen, weil der Rechtsbehelf zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unzulässig ist.
17
Für die mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2022 erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landesamtes vom 28. September 2022 ist das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
18
Eine Anfechtungsklage ist mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig, wenn mit dem Rechtsbehelf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird, der sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erledigt hat (BVerwG, B. v. 27.7.2005 – 6 B 37/05 – juris Rn. 6; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Vor §§ 40-53 VwGO Rn. 16). Der Kläger kann durch die beantragte gerichtliche Entscheidung keine Verbesserung seiner Rechtsstellung erreichen. Die Aufforderung zur Auskunftserteilung in Ziffer 1 und 2 sowie die Zwangsgeldandrohung, auch in ihrer Funktion als Leistungsbescheid (Art. 31 Abs. 3 Satz 2, Art. 23 Abs. 1 VwZVG), in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides haben sich erledigt. Aus der Pressemitteilung Nr. 41 vom 17. Januar 2023 ergibt sich, dass die Erhebung von Auskünften zur Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 beendet ist. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers führt in seinem Schriftsatz vom 23. Januar 2023 in Bezug auf die vom Beklagten dargelegte Unverwertbarkeit von Auskünften, die nach dem 31. Dezember 2022 erteilt würden, aus, dass der Kläger insoweit nicht mehr zur Abgabe der Erklärungen verpflichtet sein könne und auch die Zwangsgeldandrohung damit spätestens mit Ablauf des 31. Dezembers 2022 unwirksam geworden sei. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 bestätigt, dass sich die Auskunftsverpflichtung sowie die damit einhergehende Vollstreckung zwischenzeitlich fällig gewordener Zwangsgelder durch Zeitablauf erledigt hätten. Damit misst der Beklagte dem Bescheid zweifelsfrei keine tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr bei und geht auch der Kläger – jedenfalls teilweise – hiervon aus. Der streitgegenständliche Bescheid hat damit seine Regelungsfunktion verloren und sich zumindest auf andere Weise im Sinne von Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt (vgl. OVG NRW, B. v. 28.6.2023 – 4 B 484/23 – juris Rn. 4).
19
Der Kläger hat in Kenntnis der Umstände nach Erledigung mit Schriftsatz vom 23. Januar 2023 seinen Aufhebungsantrag wiederholt und an seinem Begehren ausdrücklich festgehalten. Auf die Anfrage des Gerichts, ob mit Blick auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2023 (Az. 5 CS 22.2452) die Klage für erledigt erklärt werde sowie den Schriftsatz des Beklagten, der ebenfalls die Erledigung bestätigte, erfolgte seitens des Klägers keine Reaktion.
II.
20
Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.