Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 07.05.2024 – B 1 S 24.329
Titel:

Fahrtenbuchauflage, Zeugnisverweigerungsrecht, erstmaliger Verstoß, gravierende Ordnungswidrigkeit, Geschwindigkeitsübertretung von 30 km/h, ausreichende Ermittlungen, Begründung des Sofortvollzugs

Normenketten:
StVZO § 31a
VwGO § 80 Abs. 3
Leitsätze:
1. Weigert sich der Fahrzeughalter, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken, muss die Behörde nur dann weiter ermitteln, wenn sich besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten. (redaktioneller Leitsatz)
2. In einem Geschäftsbetrieb, in dem ein Fahrzeug mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung steht, ist es Sache der Leitung des Betriebes, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Fahrzeug benutzt hat. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Berufung auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren steht der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nicht entgegen. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrtenbuchauflage, Zeugnisverweigerungsrecht, erstmaliger Verstoß, gravierende Ordnungswidrigkeit, Geschwindigkeitsübertretung von 30 km/h, ausreichende Ermittlungen, Begründung des Sofortvollzugs
Fundstellen:
FDStrVR 2024, 029964
BeckRS 2024, 29964

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 1.200,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Fahrtenbuchauflage durch den Antragsgegner.
2
Der Antragsteller ist unter der Adresse seiner Firma … in … gemeldet, tatsächlich wohnhaft jedoch in … Mit Schreiben vom 15. Dezember 2023 wurde das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) vom Bayerischen Polizeiverwaltungsamt darüber informiert, dass mit einem auf den Antragsteller zugelassenen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … am 5. September 2023 um 22:44 Uhr auf der A9 Fahrtrichtung München, Höhe Wendelstein, Abschnitt 680, km 4.7, außerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschritten worden sei (zulässige Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h, festgestellte Geschwindigkeit nach Toleranzabzug: 110 km/h) und es sich bei diesem Verstoß um eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit handle, die nach den geltenden Bußgeldvorschriften mit einem Bußgeld von 150,00 EUR belegt worden wäre und zu der Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister geführt hätte. Da der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können, sei das Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren eingestellt worden. Das angefertigte Lichtbild sei geeignet, den Fahrzeugführer zu identifizieren. Der Antragsteller als Fahrzeughalter habe jedoch keine bzw. nur unzureichende Angaben zum Fahrzeugführer gemacht. Da dieser angegeben habe, keine Auskünfte geben zu wollen, sei davon auszugehen, dass der Fahrer sehr wohl bekannt sei. Deshalb erscheine eine Fahrtenbuchauflage geeignet, erforderlich und angemessen, um bei zukünftigen Verkehrsverstößen den Verantwortlichen ermitteln zu können. Die Prüfung einer Fahrtenbuchauflage werde deshalb angeregt.
3
Unter dem 9. Oktober 2023 wurde der Antragsteller durch das Bayerische Polizeiverwaltungsamt zu der Verkehrsordnungswidrigkeit angehört und erhielt hierdurch Gelegenheit, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Er wurde aufgefordert, den beiliegenden Anhörungsbogen bis spätestens 23. Oktober 2023 zurückzusenden, auch wenn er selbst der Fahrzeugführer gewesen sein sollte oder von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch mache.
4
Nachdem der Anhörungsbogen nicht in Rücklauf kam, bat das Bayerische Polizeiverwaltungsamt die Polizeiinspektion … (im Folgenden: PI), bis zum 23. November 2023 den verantwortlichen Fahrzeugführer festzustellen und anzuhören sowie dessen vollständige Personalien mitzuteilen und ggf. ein Vergleichsbild beizugeben. Zudem solle gegen einen neuen Betroffenen bis spätestens 4. Dezember 2023 das Verfahren eröffnet werden, da die Verkehrsordnungswidrigkeit sonst verjähre.
5
In einem Aktenvermerk der PI (Az. …, vgl. BA digital Bl. 16) ist festgehalten, dass der Antragsteller am 12. November 2023 persönlich nicht angetroffen worden und einer Vorladung vom 12. November 2023 (vgl. BA digital Bl. 20) nicht nachgekommen sei, weshalb am 16. November 2023 die Übersendung eines Lichtbilds bei der Stadt … beantragt worden sei. Per Kurzmitteilung vom 30. November 2023 informierte die PI das Bayerische Polizeiverwaltungsamt darüber, dass der Antragsteller anhand des Lichtbildes definitiv als Fahrer habe ausgeschlossen werden können. Eine Umfeldermittlung in der Nachbarschaft habe keine weiteren Erkenntnisse gebracht. Die Polizei in … habe den Antragsteller nochmals an seiner Wohnadresse in … aufgesucht, wobei dieser gegenüber den Beamten angegeben habe, den Fahrer nicht zu kennen, dass es sich aber um einen Firmenmitarbeiter handeln würde (vgl. Auskunft der Landespolizeiinspektion … auf das Ermittlungsersuchen der PI vom 19. November 2023, BA digital Bl. 26). Nach einem Hinweis der Kollegen in …, dass ein jüngerer Herr E. an der Adresse des Antragstellers gemeldet sei, sei auch von diesem ein Lichtbild bei der Stadt … angefordert worden. Anhand dieses Bildes sei auch Herr E. als Fahrzeugführer auszuschließen. Es werde noch darauf hingewiesen, dass die Fahrzeuge des Antragstellers bereits öfters beanstandet worden seien und es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen bei der Fahrerermittlung gekommen sei.
6
Mit Verfügung des Bayerischen Polizeiverwaltungsamts vom 15. Dezember 2023 wurde das Ermittlungsverfahren (Az. …*) wegen Nichtermittelbarkeit des Fahrzeugführers eingestellt (vgl. BA digital Bl. 31).
7
Unter dem 6. Februar 2024 wurde der Antragsteller vom Landratsamt zu einer Fahrtenbuchauflage angehört. Ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. März 2024 eingeräumt (vgl. BA digital Bl. 33 f.).
8
Mit Bescheid vom 18. März 2024 erlegte das Landratsamt dem Antragsteller auf, für das auf ihn zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … oder ein eventuell zuzulassendes Ersatzfahrzeug ein Fahrtenbuch zu beschaffen und ab 15. April 2023 für die Dauer eines halben Jahres ordnungsgemäß* zu führen (Ziff. 1). In einem zusätzlichen Hinweis zum Begriff „ordnungsgemäß“ ist festgehalten, dass das Fahrtenbuch für jede einzelne Fahrt einen zuverlässigen Nachweis darüber erbringen müsse, wer das Fahrzeug geführt habe. Vor Beginn der Fahrt sei einzutragen: Name, Vorname und Anschrift des Fahrzeugführers, Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt und nach Beendigung der Fahrt unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift des Fahrzeugführers. Das Fahrtenbuch sei sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für welche es angeordnet worden sei, aufzubewahren. Es sei auf Verlangen kontrollierenden Polizeibeamten sowie dem Landratsamt zur Einsichtnahme vorzulegen. Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 werde angeordnet (Ziff. 2). Der Antragsteller habe als veranlassender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziff. 3). Die Gebühr für den Bescheid werde auf 150,00 EUR festgesetzt (Ziff. 4).
9
Der Tatbestand des § 31a Abs. 1 StVZO sei erfüllt. Es stehe fest, dass mit einem auf den Antragsteller zugelassenen Fahrzeug eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sei. Darüber hinaus sei die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich gewesen. Die Bußgeldbehörde sei nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage gewesen, den Täter innerhalb der Verjährungsfrist zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Die Ermittlungen seien zeitgerecht und in erforderlichem Umfang durchgeführt worden. Weitere Ermittlungen seien nicht zumutbar. Die Anordnung des Fahrtenbuchs entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung. Der erfüllte Verkehrsordnungswidrigkeitstatbestand sei in jeder Hinsicht unfallgefährdend und unverantwortlich. Die Auflage eines Fahrtenbuchs sei in einem solchen Fall auch bei einem erstmaligen Verstoß mit Nichtfeststellung des Fahrzeugführers gerechtfertigt. Bei einem derart gravierenden Fehlverhalten sei es notwendig, den Fahrzeugführer namhaft zu machen. Die Nichtbeachtung der Höchstgeschwindigkeit wie im vorliegenden Fall berechtige zum Verdacht einer unzureichenden Verkehrsdisziplin und der daraus resultierenden Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Die Höhe des Bußgeldes und die Tatsache, dass die Ordnungswidrigkeit zu einem Punkt im Fahreignungsregister geführt hätte, zeigten, dass diese Verkehrsordnungswidrigkeit vom Gesetzgeber als schwere Gefährdung der Verkehrssicherheit angesehen werde. Im Interesse aller Verkehrsteilnehmer sei es erforderlich, dass bei einem derartigen Verstoß ein Wiederholungsfall durch geeignete Verwaltungsmaßnahmen ausgeschlossen werde. Die Auflage ergehe für den Zeitraum eines halben Jahres und sei deshalb auch nicht so einschneidend und beschwerend, dass sie dem Fahrzeugführer nicht zugemutet werden könne. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Im Hinblick auf die Verkehrssicherheit sei dem Antragsteller der Mehraufwand zumutbar. Bei der Interessenabwägung überwiege deshalb das öffentliche Interesse an der Fahrtenbuchauflage.
10
Die sofortige Vollziehbarkeit werde angeordnet, da auf das Führen eines Fahrtenbuches im Interesse der Verkehrssicherheit nicht bis zum Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verzichtet werden könne. Die Gründe der Verkehrssicherheit sprächen hier dafür, die Fahrtenbuchauflage zeitnah zu verwirklichen. § 31a StVZO diene der Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter. Das Vollzugsinteresse falle folglich mit dem Interesse am Erlass der Fahrtenbuchauflage zusammen.
11
Es folgt die Begründung der Kostenentscheidung.
12
Mit Schriftsatz vom 18. April 2024, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid vom 18.03.2024 zum Aktenzeichen … aufzuheben.
13
Unter dem 22. April 2024 wurde im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
14
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei ungeachtet eines Sachvortrages und der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig, da der Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden könne.
15
Mit Schriftsatz vom 24. April 2024 beantragte das Landratsamt, den Antrag abzulehnen.
16
Die Sofortvollzugsanordnung sei ordnungsgemäß begründet worden. Gerade für Maßnahmen der präventiven Gefahrenabwehr sei anerkannt, dass sich die Gründe für den Erlass des Grundverwaltungsaktes mit denen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung decken könnten. Aus den bereits genannten Gründen der Verkehrssicherheit sei dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers Vorrang einzuräumen. Zudem sei anzumerken, dass die Anfechtungsklage gegen den Landkreis gerichtet sei, weshalb es an der Passivlegitimation fehle. Darüber hinaus bestünden an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids keine Zweifel.
17
Unter dem 6. Mai 2024 führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers aus, dass die Anordnung eines Fahrtenbuches unverhältnismäßig sei, da der Fahrer eines Fahrzeuges des Antragstellers zum ersten Mal nicht habe ermittelt werden können. Überdies berücksichtige die Entscheidung nicht, dass dem Antragsteller ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Die Fahrzeuge des Antragstellers würden auch von Verwandten geführt. Die Fahrtenbuchauflage laufe einem Zeugnisverweigerungsrecht zuwider.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
19
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
20
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
21
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg, da die zwar zulässige Klage in der Hauptsache bei summarischer Prüfung unbegründet ist, weil der Bescheid des Antragsgegners vom 18. März 2024 keinen Rechtmäßigkeitsbedenken begegnet. Damit kommt auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessensabwägung nicht in Betracht.
22
a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. 1 in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheides genügt insbesondere den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. anstatt Vieler BayVGH, B.v. 6.3.2008 – 11 CS 07.3451 – juris Rn. 17) gehört § 31a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter – nämlich die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs – das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfällt. Die Interessenabwägung darf sich in solchen Fällen auf die Prüfung beschränken, ob nicht wegen der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung ausnahmsweise weniger dringlich ist als im Normalfall. Dementsprechend ist auch den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei der Anordnung des Sofortvollzugs einer Fahrtenbuchauflage bereits dann genügt, wenn die Begründung der Anordnung erkennen lässt, dass die Behörde diese Gesichtspunkte bei ihrer Interessenabwägung berücksichtigt hat. Die Ausführungen des Antragsgegners zur Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 18. März 2024 werden diesen Anforderungen gerecht. Der Bescheid verweist zur Begründung der Sofortvollzugsanordnung im Wesentlichen auf die Gründe der Verkehrssicherheit, auf denen auch das Interesse an der Fahrtenbuchauflage an sich basiere. Weiterhin verweist der Antragsgegner auf die Notwendigkeit, bei einem solch gravierenden Fehlverhalten, das leicht zu Unfällen führen könne, den Fahrzeugführer namhaft zu machen, da die Nichtbeachtung der Höchstgeschwindigkeit den Verdacht einer unzureichenden Verkehrsdisziplin und daraus resultierend eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer begründe. Die Höhe des Bußgeldes und die Tatsache, dass die Ordnungswidrigkeit zur Eintragung von einem Punkt im Fahreignungsregister geführt hätte, zeigten, dass es sich bei dem Verkehrsverstoß mit dem PKW des Antragstellers um eine auch vom Gesetzgeber als schwere Gefährdung der Verkehrssicherheit eingestufte Ordnungswidrigkeit handle und es im Interesse aller Verkehrsteilnehmer deshalb erforderlich sei, bei einem solch schwerwiegenden Verstoß einen Wiederholungsfall durch geeignete Verwaltungsmaßnahmen zeitnah – ohne Abwarten eines evtl. verwaltungsgerichtlichen Verfahrens – zu verhindern.
23
b. Die Kammer geht bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Bescheid auch im Übrigen rechtmäßig ist und den Antragsteller wohl nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24
Gemäß § 31a Abs. 1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber dem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist dann i.S.v. § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Dabei hängen Art und Ausmaß der Ermittlungen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters an der Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleichgelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 12.12.1982 – 7 C 3.80 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14).
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aa. Verfahrensfehler sind nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich.
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1) Unschädlich ist, dass der Antragsteller nicht innerhalb der von der Rechtsprechung entwickelten Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Halters angehört worden ist. Die Zweiwochenfrist gilt nicht für vom Regelfall abweichende Gestaltungen, in denen – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Ihre Nichteinhaltung ist außerdem unschädlich, wenn feststeht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris Rn. 16). Für die Kammer bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass eine verspätete Anhörung ursächlich für die unterbliebene Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers gewesen sein könnte. Vielmehr beruht diese auf der Weigerung des Antragstellers, an der Ermittlung des Fahrzeugführers mitzuwirken. So sendete er den Anhörungsbogen zur Verkehrsordnungswidrigkeit nicht an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt zurück. Gegenüber den Polizeibeamten der Landespolizeiinspektion …, die ihn als Zeugen im Ordnungswidrigkeitsverfahren aufsuchten und vernahmen, wollte er außerdem keine Angaben machen und äußerte lediglich, es handele sich um einen Firmenmitarbeiter, den er jedoch nicht kennen würde.
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2) Die Kammer geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass die erfolglos gebliebenen Bemühungen des Antragsgegners, den verantwortlichen Fahrer zu ermitteln, den rechtlichen Anforderungen genügen. Bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids wurden alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft.
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Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Vielmehr darf ein Fahrzeughalter, der unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, grundsätzlich durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden. Die Weigerung des Fahrzeughalters, Sachdienliches auszusagen, zwingt nicht in jedem Fall, sondern nur dann zu weiteren behördlichen Ermittlungen, wenn sich im Einzelfall besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten (vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – BayVBl 1983, 310; BayVGH, B.v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris LS). Der Antragsteller hat im polizeilichen Ermittlungsverfahren ausgesagt, den Fahrer nicht zu kennen, dass es sich aber um einen Firmenmitarbeiter handeln würde. Damit wäre ihm als Betriebsinhaber aber zumindest – wenn er seinen Mitarbeiter nicht namentlich kennen sollte – eine Identifizierung des besagten Mitarbeiters wohl möglich gewesen. Zudem entspricht es der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass es in einem Geschäftsbetrieb, in dem ein Fahrzeug mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung steht, Sache der Leitung des Betriebes ist, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Fahrzeug benutzt hat (VGH BW, B.v. 20.11.1998 – 10 S 2673/98 – juris). Es ist nicht Sache der Behörde, innerbetrieblichen Vorgängen und Unterlagen nachzuspüren, denen die Führung des Betriebs ungleich nähersteht (Klaus-Ludwig/Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 31a StVZO Rn. 54). Im Übrigen ist anzumerken, dass die Behörde vorliegend umfangreiche Ermittlungen durchgeführt hat und allen Ermittlungsansätzen nachgegangen ist. So wurde der Antragsteller von der PI zur Vorsprache vorgeladen und ist diesem Termin nicht nachgekommen. Weiterhin wurde ein Lichtbild des Antragstellers von der Stadt … angefordert, um einen Abgleich mit der Aufnahme der Messanlage durchzuführen, der ergeben hat, dass der Antragsteller nicht die Person auf dem aufgenommenen Bild ist. Daraufhin bat die PI die Landespolizeiinspektion … per Ermittlungsersuchen um eine Vernehmung des Antragstellers als Zeugen. Nachdem diese die PI darüber informierte, dass unter der Anschrift des Antragstellers auch ein Hr. E. wohnhaft ist, wurde zum Zwecke des Abgleichs auch ein Lichtbild des Hrn. E von der Stadt … angefordert. Dieses führte zur Erkenntnis, dass auch Hr. E. nicht Fahrer des Fahrzeugs war. Hieran zeigt sich bereits, dass alle vorhandenen Ansätze in ermittlungstechnischer Hinsicht ausgeschöpft wurden, auch wenn diese final nicht zur Fahrerermittlung geführt haben.
29
bb. Die Fahrtenbuchauflage hält sich bei vorläufiger Prüfung an die gesetzlichen Vorgaben des § 31a StVZO. Die ergänzenden Ausführungen zu den Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Führung des Fahrtenbuchs in Ziff. 1 des Bescheids entsprechen den Vorgaben in § 31a Abs. 2 und 3 StVZO. § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO ermöglicht es der Behörde auch – so wie in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids geschehen –, ein (oder mehrere) Ersatzfahrzeug(e) zu bestimmen. Die Vorschrift des § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO ist durch Artikel 1 Nr. 6 der 15. Änderungsverordnung vom 23. Juni 1993 (BGBl. I 1024) neu eingefügt worden. Ziel dieser Bestimmung war nach der Begründung zur Änderungsverordnung (VkBl. 1993, 611), zu verhindern, dass sich der Halter durch den Verkauf des mit der Auflage versehenen Fahrzeugs der bestehenden Verpflichtung zu entziehen versucht. Diese Verpflichtung des Halters, zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs ein Fahrtenbuch zu führen, anhand dessen die Feststellung des für einen Verkehrsverstoß verantwortlichen Fahrzeugführers künftig sichergestellt werden kann, soll nicht umgangen werden können, indem der Halter das mit der Fahrtenbuchauflage belastete Fahrzeug veräußert oder stilllegt; vielmehr soll die Straßenverkehrsbehörde die mit der Fahrtenbuchauflage verbundene Verpflichtung bei Veräußerung des „Tatfahrzeugs“ ersatzweise auf ein oder mehrere andere Fahrzeuge desselben Halters erstrecken können. Durch die Regelung des § 31a StVZO soll nämlich nicht der Umgang mit einem bestimmten Fahrzeug, sondern die Beachtung der einem Kfz-Halter obliegenden Aufsichtspflicht über die von ihm in Verkehr gebrachten Fahrzeuge sichergestellt werden.
30
cc. Der Einwand des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, die Fahrtenbuchauflage würde einem etwaigen Zeugnisverweigerungsrecht des Antragstellers zuwiderlaufen, welches diesem zustünde, da dessen Fahrzeuge auch von Verwandten geführt würden, verfängt nicht. Insofern ist bereits anzumerken, dass der Antragsteller im Behördenverfahren von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr gab er gegenüber den Polizeibeamten in … an, bei dem Fahrer handele es sich um einen Firmenmitarbeiter, den er nicht kenne. Es entspricht außerdem der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs nicht verlangen kann, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, auch nicht, wenn er von seinem Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht im Behördenverfahren Gebrauch macht. Es besteht kein Recht, in einem solchen Fall von einem Fahrtenbuch verschont zu bleiben, da dies dem Zweck des § 31a StVZO widerspräche, der der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dient, die auch der Antragsteller für sich gegenüber anderen in Anspruch nehmen kann (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.1.2015 – 11 ZB 14.1129 – BeckRS 2015, 42424, Rn. 24 m.w.N.). Im Übrigen ist anzumerken, dass eine Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO nicht den Charakter einer Strafe oder einer Sanktion für das Nichtmitwirken des Halters bei der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers hat, für die die Regelungen zum Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht (§§ 52, 55 StPO) aber gelten (vgl. ausführlich schon BayVGH, B.v. 30.6.1976 – 139 VII 76 – juris Rn. 10).
31
dd. Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hätte. Vielmehr hat das Landratsamt das ihm bei der Entscheidung zustehende Ermessen erkannt und umfangreich ausgeführt, weshalb es im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Interesse an der Fahrtenbuchauflage die privaten Interessen des Antragstellers überwiegt (vgl. S. 3 ff.).
32
ee. Die Fahrtenbuchauflage erweist sich bei summarischer Prüfung auch als verhältnismäßig.
33
Ungeachtet des Wortlauts von § 31a StVZO, wonach jeder noch so geringfügige Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift für die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs ausreicht, hat die Behörde – wie bei allen Ordnungsverfügungen – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Danach rechtfertigt nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht eine solche Anordnung. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h – vorliegend wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit sogar um 30 km/h überschritten – rechtfertigt nach Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch ohne zusätzliche Umstände die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches (vgl. anstatt Vieler BayVGH, B.v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris LS). Bereits die erstmalige Begehung eines Verkehrsverstoßes, der nach Anlage 13 zu § 40 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) mit wenigstens einem Punkt im Verkehrszentralregister erfasst wird, ist ausreichende Grundlage für die Fahrtenbuchanordnung von sechs Monaten, ohne dass es einer Feststellung der näheren Umstände der Ordnungswidrigkeit bedarf (vgl. anstatt Vieler BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 11 CS 14.176 – juris Rn LS und Rn. 10 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 17.5.1995 – 11 C 12/94 – BverwGE 98, 227, 229 und BVerwG, B.v. 23.6.1989 – 7 B 90/89 – NJW 1989, 2704). Die Androhung einer Fahrtenbuchauflage bei einem erstmaligen Verstoß vor deren Verhängung sieht das Gesetz nicht vor. Diese ist auch nicht Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung (Knop in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, StVZO § 31a Rn. 32-33; BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 11 CS 07.2210, BeckRS 2008, 27714).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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3. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).