Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 05.02.2024 – B 1 S 24.72
Titel:

Methamphetamin und Amphetamin, Konsum harter Drogen, Fahreignung, Abweichung von Regelfallbeurteilung, Bußgeldverfahren, Ärztlicher Untersuchungsbericht

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1, Abs. 3
FeV § 46 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7
FeV Nr. 9.1 und 9.5 der Anlage 4 zur
Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV Nr. 2
Schlagworte:
Methamphetamin und Amphetamin, Konsum harter Drogen, Fahreignung, Abweichung von Regelfallbeurteilung, Bußgeldverfahren, Ärztlicher Untersuchungsbericht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29963

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners, in dem u.a. die Entziehung seiner Fahrerlaubnis angeordnet wurde.
2
Der Antragsteller, geb. am …, wohnhaft in …, war seit dem 7. November 2019 Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
3
Am 18. September 2023 wurde die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) vom Polizeipräsidium … über folgenden Sachverhalt informiert: Am 11. Mai 2023 gegen 20:10 Uhr sei der Antragsteller, der zu dieser Zeit in seinem Audi …, amtliches Kennzeichen …, den … in … befahren habe und durch seine rasante und verkehrswidrige Fahrweise aufgefallen sei, einer allgemeinen Verkehrskontrolle durch eine zivile Einsatzgruppe der Polizeiinspektion … unterzogen worden, als er in der …-Straße … angehalten habe. Beifahrer sei Herr … gewesen, der den Beamten aus zurückliegenden Verkehrskontrollen bekannt gewesen sei, da er bereits bei mehreren Drogenfahrten als Beifahrer aufgefallen sei. Auf Nachfrage der Polizeibeamten habe der Antragsteller angegeben, vor Fahrtantritt Alkohol konsumiert zu haben. Es seien drogentypische Auffälligkeiten – Mundtrockenheit, lichtstarre Pupillen, blasse Gesichtsfarbe, sprunghaftes Verhalten – festgestellt worden (vgl. Aktenvermerk der Polizei, BA Bl. 9; polizeilicher Bericht über Drogen im Straßenverkehr, BA Bl. 15 f.). Da der Kläger die Durchführung sämtlicher Tests vor Ort abgelehnt habe, sei er ins Klinikum … zur Blutentnahme verbracht worden.
4
Die Blutentnahme wurde um 20:47 Uhr durch Herrn Dr. … durchgeführt. Der Antragsteller habe sich gereizt und aggressiv gezeigt und habe die Untersuchung verweigert (vgl. ärztlicher Bericht, BA Bl. 19). In dem forensisch-toxikologischen Gutachten des MVZ Labor … GbR vom 23. Mai 2023 ist dokumentiert, dass die Blutuntersuchung auf Ethanol negativ verlaufen ist. Aus einem weiteren forensisch-toxikologischen Gutachten des MVZ Labor … GbR vom 26. Mai 2023 ergibt sich, dass im Blut des Antragstellers Amphetamin (30 ng/ml) und Methamphetamin (328 ng/ml) festgestellt werden konnten. Zudem enthält das Gutachten den Hinweis darauf, dass der Nachweis von Methamphetamin und dessen Abbauprodukt Amphetamin beweisend für einen kürzlich erfolgten Abusus von Crystal Meth sei. Die Befundkonstellation spreche auch für einen Cannabis-Konsum, ein kürzlich erfolgter Abusus lasse sich jedoch nicht eindeutig beweisen. Insofern wurde festgehalten, dass die Blutuntersuchung negativ auf THC und 11-Hydroxy-THC und positiv auf THC-Carbonsäure (1,7 ng/ml) sowie positiv auf Cannabidiol (2,4 ng/ml) verlaufen sei.
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Mit Schreiben vom 19. September 2023 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört. Ihm wurde eine Frist bis zum 2. Oktober 2023 zur Äußerung eingeräumt. Zudem wurde er auf die Möglichkeit hingewiesen, freiwillig auf die Fahrerlaubnis zu verzichten. Die am 11. Mai 2023 im Klinikum … entnommene Blutprobe habe eine Amphetamin-Konzentration von 30 ng/ml und eine Methamphetamin-Konzentration von 328 ng/ml ergeben. Durch die chemisch-toxikologische Untersuchung sei belegt, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Blutentnahme und somit auch während der Fahrt unter dem Einfluss der nachgewiesenen berauschenden Mittel Amphetamin und Methamphetamin gestanden habe. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV seien Personen, die Betäubungsmittel einnähmen, ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, ohne dass es auf die Häufigkeit des Betäubungsmittelgebrauchs ankomme. Zudem könne eine einjährige Abstinenz nicht nachgewiesen werden, da der letzte nachweisliche Konsum am 11. Mai 2023 stattgefunden habe. Aufgrund der durch die Blutuntersuchung festgestellten Einnahme von Betäubungsmitteln stehe die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen fest.
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Unter dem 27. September 2023 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers gegenüber der Behörde an und beantragte Akteneinsicht sowie Fristverlängerung zur Stellungnahme um zwei Wochen.
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Das Landratsamt gewährte dem Antragsteller Fristverlängerung bis zum 6. Oktober 2023.
8
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2023, zugestellt am 16. Oktober 2023 gegen Empfangsbekenntnis des Bevollmächtigten des Antragstellers, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L und ordnete an, dass der Führerschein mit der Nummer … umgehend beim Landratsamt abzuliefern sei (Ziff. 1). Für den Fall, dass der Antragsteller den Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheids abliefere, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziff. 2). Der Antragsteller habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr werde auf 150,00 EUR festgesetzt (Ziff. 3).
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Da bis zum 6. Oktober 2023 keine Verzichtserklärung oder sonstige Äußerung beim Landratsamt eingegangen sei, werde die Fahrerlaubnis mittels kostenpflichtigen Bescheides entzogen. Es werden die Ausführungen des Anhörungsschreibens vom 19. September 2023 wiederholt. Der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da bei der Einnahme von Betäubungsmitteln nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV keine Fahreignung mehr bestehe. Der Fahrerlaubnisbehörde stehe bei dieser Entscheidung kein Ermessen zu. Die Nichteignung stehe zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, § 11 Abs. 7 FeV. Insbesondere seien keine nachvollziehbaren Umstände geltend gemacht worden, die im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV eine von diesem Regelwerk abweichende Bewertung der Fahreignung geboten erscheinen lasse. Auch könne keine einjährige Abstinenz nachgewiesen werden. Bis zum Ablauf dieser Frist dürfe die Fahrerlaubnisbehörde jedenfalls von der fehlenden Fahreignung des Antragstellers ausgehen. Die Fahrerlaubnis sei deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV zu entziehen. Der Antragsteller sei zu diesem Entzug angehört worden. Eine Fristverlängerung um zwei Wochen habe aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht gewährt werden können.
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Die Ablieferungspflicht des Führerscheins stütze sich auf § 47 Abs. 1 FeV.
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Die Zwangsgeldandrohung basiere auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Das Zwangsmittel sei geeignet, den Zweck der Abgabe des Führerscheindokuments zu erreichen. Es handle sich hierbei um das Regelzwangsmittel. Die festgesetzte Höhe von 500,00 EUR erreiche das wirtschaftliche Interesse, das der Antragsteller an der Nichtvorlage des Führerscheins habe. Dem Antragsteller könne zugemutet werden, das Dokument binnen einer Frist von 5 Tagen abzuliefern.
12
Es folgt die Begründung der Kostenentscheidung.
13
Am 23. Oktober 2023 wurde die Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts vom Polizeipräsidium … über eine weitere Straßenverkehrsteilnahme des Antragstellers unter Drogeneinfluss informiert (vgl. BA Bl. 56 ff.). Der Antragsteller sei am 9. Juni 2023 gegen 21:55 Uhr einer Verkehrskontrolle im Bereich … unterzogen worden, wobei beim Antragsteller drogentypische Auffälligkeiten festgestellt worden seien. Eine Blutuntersuchung habe ergeben, dass der Antragsteller kürzlich Crystal Meth konsumiert habe. Im Blut seien 14 ng/ml Amphetamin und 61 ng/ml Methamphetamin festgestellt worden.
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Unter dem 13. November 2023 ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben.
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Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte für den Kläger, den Bescheid des Beklagten vom 10.10.2023, AZ … kostenpflichtig aufzuheben und dem Beklagten aufzugeben, den vom Kläger übergebenen Führerschein wieder auszuhändigen.
16
Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes wurde beantragt,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben.
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Gegen den Bußgeldbescheid betreffend die Fahrt unter Drogeneinfluss sei Einspruch eingelegt worden. Das Verfahren sei derzeit noch anhängig. Es lägen erhebliche Widersprüche der ärztlichen Untersuchung mit den Ergebnissen der Blutprobe vor. Der untersuchende Arzt habe festgestellt, dass die Pupillenreaktion prompt gewesen sei, was einem Einfluss von Crystal eklatant widerspreche. Vom Arzt werde der Einfluss von Drogen dem äußeren Anschein nach zudem verneint. Die Feststellungen sprächen gegen einen Drogeneinfluss. Der Beklagte hätte diesen Widersprüchen nachgehen müssen und im Wege des § 11 Abs. 2 FeV weitere Maßnahmen anordnen müssen. Dies sehe insbesondere der Hessische Verwaltungsgerichtshof so, der in einer Entscheidung konstatiere, dass auch in Fällen eines nachgewiesenen Kokainkonsums in der Regel ein ärztliches Gutachten einzuholen sei (HessVGH, B.v. 14.1.2002 – 2 TG 3008/01 – juris). Die sofortige Anwendung von § 11 Abs. 7 FeV sei rechtsfehlerhaft.
18
Mit Schriftsatz vom 4. Januar 2024 beantragte der Antragsgegner,
die Klage abzuweisen.
19
Es werde vollumfänglich auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Soweit der Antragsteller seinen Vortrag auf vermeintliche Widersprüche des ärztlichen Untersuchungsberichts zu den Ergebnissen der Blutanalyse stütze, könne er damit nicht durchdringen, denn das forensisch-toxikologische Gutachten komme zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Fahrt unter dem Einfluss von Crystal Meth gestanden habe. Anhaltspunkte, die die Aussagekraft des Gutachtens in Zweifel ziehen würden, seien weder ausreichend dargetan noch sonst ersichtlich. Zudem bestehe kein offensichtlicher Widerspruch zwischen der ärztlichen Untersuchung und dem Laborergebnis, zumal der Antragsteller die Untersuchung verweigert habe. Es werde darauf hingewiesen, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof der zitierten Entscheidung des VGH Kassel aus dem Jahr 2002 nicht folge. Bereits der einmalige Konsum harter Drogen genüge für einen Fahrerlaubnisentzug. Es sei anzumerken, dass inzwischen zwei weitere Anzeigen wegen Fahrten unter Drogeneinfluss eingegangen seien: Tatzeit: 9. Juni 2023 (14 ng/ml Amphetamin und 61 ng/ml Methamphetamin) und Tatzeit 19. September 2023 (20 ng/ml Amphetamin und 102 ng/ml Methamphetamin).
20
Unter dem 10. Januar 2023 wies die Berichterstatterin die Beteiligten darauf hin, dass der streitgegenständliche Bescheid keine Sofortvollzugsanordnung enthält.
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Unter dem 22. Januar 2024 ordnete das Landratsamt die sofortige Vollziehung von Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2023 an (Ziff. 1). Ziff. 2 des Bescheides vom 10. Oktober 2023 werde durch folgende Androhung ersetzt: Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheides abliefert, werde hiermit ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziff. 2). Der Bescheid ergehe kostenfrei (Ziff. 3).
22
Das Landratsamt halte die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziff. 1 für dringend erforderlich, da diese im öffentliche Interesse geboten sei. Die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen verlange, dass Verkehrsteilnehmer, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet seien, von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen seien. Es gelte zu verhindern, dass der Antragsteller die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährde. Der Antragsteller sei nunmehr mit bereits drei Fahrten unter Drogeneinfluss aufgefallen (11. Mai 2023, 9. Juni 2023 und 19. Juni 2023). Bei den Verkehrskontrollen habe er sich uneinsichtig gezeigt. Solange der Führerschein nicht abgegeben worden sei, bestehe die Möglichkeit des Missbrauchs. Durch die Abgabe solle diesem Missbrauch entgegengewirkt werden. Das Interesse des Betroffenen, bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung den Führerschein behalten zu dürfen, müsse eindeutig hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern zurücktreten.
23
Die Androhung des Zwangsgeldes werde neu gefasst, um dem Antragsteller nochmals eine angemessene Frist zur Ablieferung seines Führerscheindokuments zu gewähren. Es werden die Gründe für die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 10. Oktober 2023 wiederholt.
24
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antragsstellers vom 30. Januar 2024 wurde klarstellend mitgeteilt, dass im Hinblick auf den nunmehr ergangenen Bescheid des Antragsgegners beantragt werde,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben.
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Unter dem 2. Februar 2024 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
26
Zur Begründung werde auf die bereits erfolgte Stellungnahme verwiesen. Dem Landratsamt habe kein Ermessensspielraum zur Verfügung gestanden. Der Antragsteller sei unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gefahren. Deshalb sei er nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV nicht mehr geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
28
Der Antrag hat keinen Erfolg.
29
1. Im wohlverstandenen Interesse des anwaltlich vertretenen Antragstellers wird der Antrag dahingehend ausgelegt, dass dieser hinsichtlich der Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 10. Oktober 2023 die Wiederherstellung und hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheides vom 22. Januar 2024, in dem der Sofortvollzug hinsichtlich der Ziff. 1 des Bescheides vom 10. Oktober 2023 angeordnet und die Ziff. 2 dieses Bescheides ersetzt wurde, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt. Bei der durch Bescheid vom 22. Januar 2024 ersetzten Zwangsgeldandrohung handelt es sich um eine kraft Gesetztes vollziehbare Anordnung, Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG).
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2. Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
31
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
32
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. Die zwar zulässige Klage in der Hauptsache ist wohl unbegründet, da die Bescheide des Landratsamts vom 10. Oktober 2023 und 22. Januar 2024 nach summarischer Prüfung rechtmäßig sind.
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a. Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Oktober 2023 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
34
aa. Die in Ziff. 1 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L begegnet keinen Rechtmäßigkeitsbedenken.
35
Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV ist die Fahreignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) nicht mehr gegeben. Amphetamin ist in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und Methamphetamin in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als Betäubungsmittel aufgeführt. Die Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelt, dass die Fahreignung bei Betäubungsmittelkonsum erst wieder bei einjähriger Abstinenz hergestellt wird.
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Aus dem forensisch-toxikologischen Gutachten des MVZ Labor … GbR vom 26. Mai 2023 ergibt sich, dass im Blut des Antragstellers Amphetamin (30 ng/ml) und Methamphetamin (328 ng/ml) festgestellt werden konnten. Zudem enthält das Gutachten den Hinweis darauf, dass der Nachweis von Methamphetamin und dessen Abbauprodukt Amphetamin beweisend für einen kürzlich erfolgten Abusus von Crystal Meth sei. Damit steht fest, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle, mithin während der Fahrt mit seinem PKW am 11. Mai 2023, unter dem Einfluss von Crystal Meth stand.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs schließt bereits der einmalige Konsum sogenannter harter Drogen im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, so dass in diesen Fällen die Fahrerlaubnis auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV in Verbindung mit Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV zu entziehen ist (BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2421 – juris Rn. 12). Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2021 – 11 CS 21.390 – juris Rn. 15; B.v. 13.3.2020 – 11 ZB 20.1 – juris Rn. 11; B.v. 4.6.2019 – 11 CS 19.669 – juris Rn. 11; B.v. 5.2.2018 – 11 ZB 17.2069 – juris Rn. 10 jeweils m.w.N.). Die hierin zum Ausdruck kommende Strenge liegt in der Aufnahme des jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die die besondere Gefährlichkeit im Falle des Konsums berücksichtigt. Dieser umfassende Eignungsausschluss beruht insbesondere auf der Gefährlichkeit dieser Substanzen und der fehlenden subjektiven Wirkungskontrolle.
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Zwar ist nach Nr. 2 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 zur FeV für die Beurteilung, ob im Einzelfall noch eine Eignung vorliegt, in der Regel ein ärztliches oder medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen. Dies kann jedoch unterbleiben, wenn kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die in der Anlage 4 vorgenommene Regelfallbeurteilung der Fahreignung im zu entscheidenden Fall ausnahmsweise nicht zum Tragen kommt (vgl. VG Regensburg, B.v. 25.8.2005 – RO 5 S 05.1100 – juris Rn. 23). So liegt der Fall hier. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall der Konsum von Methamphetamin ausnahmsweise nach Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV nicht zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nach deren Nr. 9.1 hätte führen können, sind nicht ersichtlich, insbesondere auch nicht substantiiert vorgetragen. Der Vortrag des Antragstellers, das Ergebnis der Blutuntersuchung würde von dem ärztlichen Untersuchungsbericht abweichen, ist nicht geeignet, eine Ausnahme von der Regelfallbeurteilung zu begründen, zumal auch der Arzt im Rahmen seines Arztberichts (vgl. BA Bl. 19) ein aggressives und gereiztes Verhalten des Antragstellers sowie den äußerlichen Anschein des Einflusses von Alkohol – mithin eines berauschenden Mittels – dokumentiert hat. Zwar hat der Arzt das Bewusstsein als klar und die Pupillenreaktion als prompt eingeschätzt. Auch dies führt jedoch unter besonderer Berücksichtigung der höchst individuellen Wirkungsweise von Drogen nicht etwa dazu, das Ergebnis der Blutuntersuchung in Zweifel ziehen zu können. Zudem wurde bereits vom Landratsamt zutreffend angemerkt, dass ausweislich des Arztberichts die Untersuchung durch den Antragsteller verweigert wurde, weshalb eine umfassende Untersuchung nicht durchgeführt werden konnte.
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Eine einjährige Abstinenz im Sinne der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV im maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung (vgl. insoweit BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – juris Rn. 16), die geeignet ist, die Fahreignung wiederherzustellen, kann vom Antragsteller, selbst unter Heranziehung des erstmalig festgestellten Konsums harter Drogen im Mai 2023 zur Berechnung der Abstinenzfrist, nicht dargelegt werden. Zwischen diesen beiden Zeitpunkten lagen lediglich 5 Monate.
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Im maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrerlaubnisentziehung stand damit zur Überzeugung des Landratsamts fest, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, weshalb ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen war, ohne vorher ein ärztliches Gutachten anzuordnen, § 11 Abs. 7 FeV.
41
Dem steht insbesondere auch nicht entgegen, dass ein Bußgeldverfahren anhängig ist, so wie vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2023 vorgetragen wurde. § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG regelt, dass solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuchs in Betracht kommt, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen darf. Die Vorschrift regelt indes nur das Verhältnis des Entziehungsverfahrens zum Strafverfahren, nicht aber zu einem Ordnungswidrigkeitsverfahren. Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Die Fahrerlaubnisbehörde muss mithin nicht auf den Ausgang laufender Ordnungswidrigkeitsverfahren warten (vgl. Will in BeckOK StVR, Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, 21. Edition, Stand: 15.10.2023, § 3 Rn. 85; BayVGH, B.v. 15.9.2015 – 11 CS 15.1682 – juris Rn. 17).
42
bb. Die Abgabeverpflichtung des Führerscheins erweist sich ebenfalls als rechtmäßig. Die Abgabeverpflichtung ist als begleitende Anordnung geboten, um die Ablieferungspflicht nach § 47 Abs. 1 FeV durchzusetzen.
43
cc. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziff. 1 des Bescheids vom 10. Oktober 2023 mit Bescheid vom 22. Januar 2023 genügt auch den (formalen) Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 29; B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris Rn. 4). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 – 11 CS 08.1890 – juris Rn. 18). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht. So stellte der Antragsgegner zu Recht auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ab. Hinsichtlich der Sofortvollzugsanordnung in Bezug auf die Abgabeverpflichtung wird auf das öffentliche Interesse an der Beseitigung des durch den Besitz des Führerscheins vermittelten Rechtsscheins der Fahrerlaubnis abgestellt, um einer Missbrauchsgefahr vorzubeugen (vgl. S. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 22. Januar 2024).
44
b. Die Zwangsgeldandrohung in Ziff. 2 des Bescheids vom 22. Januar 2024, durch die die Zwangsgeldandrohung des Ausgangsbescheides vom 10. Oktober 2023 ersetzt wurde, erweist sich bei summarischer Prüfung ebenfalls als rechtmäßig. Die Zwangsgeldandrohung beruht auf den Art. 19, 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Das Zwangsmittel ist angemessen und richtet sich nach dem Verhältnis der angeordneten Verpflichtung zur Notwendigkeit ihrer Vollstreckung im öffentlichen Interesse (Art. 29 Abs. 3, 31 VwZVG). Dieses öffentliche Interesse an der Vollstreckung ergibt sich aus der Missbrauchsgefahr, die besteht, wenn eine fahrungeeignete Person weiterhin im Besitz des Führerscheins ist, der den Rechtsschein einer Fahrerlaubnis vermittelt. Das Zwangsgeld ist das mildeste Zwangsmittel und als solches geeignet und erforderlich, das mit ihm verfolgte Ziel zu erreichen. Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds bewegt sich im unteren Bereich des Rahmens, den Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG vorgibt und berücksichtigt das wirtschaftliche Interesse, das der Antragsteller an einem weiteren Besitz des Führerscheins hat, Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG. Rechtmäßigkeitsbedenken im Hinblick auf die gesetzte Frist von 5 Tagen zur Ablieferung des Führerscheins bestehen nicht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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4. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).