Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 28.08.2024 – B 8 K 21.648
Titel:

Erstattungsanspruch eines unerkannt örtlich unzuständigen Jugendhilfeträgers

Normenketten:
SGB VIII § 34, § 36, § 86c, § 89c Abs. 1 S. 1, § 89f Abs. 1
SGB IX § 14, § 104 Abs. 1 S. 1
SGB X § 111 S. 1, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die – auch über einen langen Zeitraum – fahrlässig unterlassene Mitteilung des Zuständigkeitsübergangs nach § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII oder ein veralteter Hilfeplan nach § 36 SGB VIII begründen für sich genommen grundsätzlich noch keinen Verstoß gegen das Gebot der Gesetzeskonformität einer Jugendhilfe oder den Interessenwahrungsgrundsatz. (Rn. 64)
2. Aufgrund des „Vor-Ort-Prinzips“ nach § 89f Abs. 1 S. 2 SGB VIII kann sich der  Erstattungspflichtige grundsätzlich nicht darauf berufen, er hätte im Gegensatz zur  (rechtmäßigen) Verwaltungspraxis des Erstattungsberechtigten eine andere Hilfe erbracht oder die vom Erstattungsberechtigten gewählte Hilfe günstiger erbringen können. (Rn. 75)
3. Erbringt ein örtlich unzuständiger Jugendhilfeträger in Unkenntnis der eigenen örtlichen  Unzuständigkeit – auch unter Berücksichtigung des weiten erstattungsrechtlichen  Leistungsbegriffs – eine gänzlich neue Jugendhilfeleistung, liegt keine Fortsetzung der  Leistung nach § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII vor. (Rn. 80)
4. In diesem Fall kommt eine nachrangige Zuständigkeit des örtlich an sich unzuständigen  Jugendhilfeträgers unter Rückgriff auf § 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 SGB IX in Betracht, die zu  einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X führen kann (Anschluss an BSG, U.v.  1.3.2018 – B 8 SO 22/16; U.v. 27.2.2019 – B 8 SO 10/17 R; U.v. 4.4.2019 – B 8 SO 11/17; LSG BW, U.v. 22.2.2024 – L 7 SO 87/23; U.v. 18.4.2024 – L 7 SO 1581/22). (Rn. 85)
Schlagworte:
Zuständigkeitswechsel des Jugendhilfeträgers mit Übergang der Personensorge, Erstmalige Hilfegewährung nach erfolgtem Übergang der örtlichen Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers, Verstoß gegen Interessenwahrungsgrundsatz (verneint), Nachrangige Zuständigkeitsbegründung des Jugendhilfeträgers nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX bei fehlender Mitteilung, Eingliederungshilfe, Heimunterbringung, Jugendhilfe, Hilfe zur Erziehung, Kostenerstattung, Jugendhilfeträger, örtliche Zuständigkeit, Gesetzeskonformität, Interessenwahrungsgrundsatz
Fundstellen:
BeckRS 2024, 29956
FDSozVR 2024, 029956

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 326.801,63 € zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der klagende Landkreis nimmt den beklagten Landkreis auf Erstattung von Kosten für verschiedene Sozialleistungen in Anspruch, die dieser als unzuständiger Sozialleistungsträger nach dem Achten bzw. Neunten Sozialgesetzbuch für die Kinder S. (geboren am …, fortan „S.“) und F. (geboren am …, fortan „F.“) im Zeitraum vom 16.02.2016 bis 16.06.2019 erbracht hat.
2
Die Familie der beiden Kinder S. und F. wurde seit 2009 durch das Jugendamt des Klägers betreut. In diesem zeitlichen Rahmen wurden verschiedene Leistungen (u.a. Familienhebamme, Heimerziehung, Kinder- und Jugendschutzdienst, pädagogisch-therapeutische Begleitung, Tagesgruppe) gewährt (Bl. 4 ff. der Beiakte I).
3
Zum Zeitpunkt der Geburt von S. waren beide Elternteile R. und B. personensorgeberechtigt. Für F. war zunächst nur die Kindsmutter personensorgeberechtigt. Die Kindsmutter hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis A., der Kindsvater ab 2013 im Landkreis B. Mit Beschluss des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 27.10.2014 wurde die Vaterschaft des R. von Sohn F. festgestellt, nachdem am 21.05.2014 der Lebenspartner von B., Herr S., die Vaterschaft anerkannt und eine Sorgerechtserklärung abgegeben hatte (Bl. 54 ff. der Beiakte I). Eine Sorgeerklärung durch R. für den Sohn F. wurde nach der familiengerichtlichen Feststellung, dass S. nicht der Kindsvater war, nicht abgegeben. Für Einzelheiten wird auf Bl. 1 f. der Gerichtsakte und Bl. 1 f.und Bl. 62 f. der Beiakte I verwiesen.
4
Beide Kinder wurden ab dem 08.05.2015 durch das Jugendamt des Klägers in Obhut genommen (Bl. 41, 92, 133 ff. der Beiakte I). Mit Beschluss des Amtsgerichts, Familiengericht, vom 15.05.2015 wurde dem Kindsvater u.a. das Recht zur Antragstellung für Leistungen nach § 27 SGB VIII übertragen, nachdem das Gericht eine Fremdunterbringung mit familientherapeutischer Arbeit zum Wohl der Kinder angesichts der fortwährenden Eskalation in der Familie für unabdingbar erachtete. Ab dem 08.06.2015 wurde schließlich auf Antrag des Kindsvaters Hilfe zur Erziehung in Form einer Heimunterbringung für beide Kinder durch das Jugendamt des Klägers bewilligt (Bl. 48 und 95 der Beiakte I). Von einer Unterbringung in einer Pflegefamilie hat der Kläger abgesehen, da angesichts der geringen Anzahl an verfügbaren Pflegefamilien im Zuständigkeitsbereich des Klägers vorgesehen ist, lediglich 0-3 jährige Kinder dort nach einer Inobhutnahme unterzubringen. Die Kinder wurden Februar 2021 zum Kindsvater zurückgeführt.
5
Mit Beschluss des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 (Bl. 138 ff. der Beiakte I) wurde schließlich das alleinige Sorgerecht der beiden Kinder S. und F. dem Kindsvater R. übertragen, der dieses seit diesem Zeitpunkt ausübt. Dieser Beschluss und der Umstand, dass nunmehr der Kindsvater allein personensorgeberechtigt war, gelangte dem Kläger zur Kenntnis. Auch nach Erlass des Beschlusses gewährte der Kläger weiterhin verschiedene Leistungen nach dem Achten Sozialgesetzbuch. Im Dezember 2017 erhielt der Kläger Kenntnis davon, dass der Kindsvater nicht mehr unter seiner bekannten Adresse in N. wohnte, sondern nunmehr in R., beide im Landkreis B. Mit Bescheid vom 06.06.2019 (richtig wohl: 06.06.2018) wurde dem Sohn F. ab dem 13.08.2018 zusätzlich Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers (Schulbegleiter) für das Schuljahr 2018/2019 gewährt (Bl. 99 f. der Beiakte I). Mit Bescheid vom 16.07.2019 wurde die Leistung auch für das Schuljahr 2019/2020 bewilligt, aber mit Bescheid vom 05.02.2020 vorzeitig eingestellt (Bl. 101 ff. der Beiakte I).
6
Mit Schreiben vom 14.06.2019 (Bl. 251 f. der Beiakte I), zugegangen beim Beklagten am 17.06.2019, wurde dem Beklagten schließlich der Zuständigkeitswechsel angezeigt und Kostenerstattung nach §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII beantragt.
7
Die dem Kläger angefallenen Kosten für Leistungen an die beiden Kinder S. und F. erstattete der Beklagte für den Zeitraum ab Zugang der Anzeige am 17.06.2019 (Bl. 264, 267 der Beiakte I). Nicht erstattet wurden die Kosten der Hilfe zur Erziehung in Form einer Heimunterbringung für beide Kinder und die Kosten der Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers für den Sohn F. für die Zeit zwischen dem Beschluss des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 und dem Zugang der Mitteilung des Zuständigkeitswechsels am 17.07.2019.
8
Der Kläger beziffert die Kosten der in diesem Zeitraum erbrachten und nicht erstatteten Leistungen für das Kind S. mit einem Betrag von 133.245,00 EUR, diejenigen für das Kind F. mit einem Betrag von 193.556,63 EUR, insgesamt 326.801,63 EUR. In Abzug gebracht wurde das Kindergeld, die Eltern waren nicht kostenbeitragspflichtig für die Leistungen.
9
Die Beteiligten vereinbarten für diesen Zeitraum aufgrund aufgetretener rechtlicher Unstimmigkeiten noch im Jahr 2019 die Einholung einer Stellungnahme des DIJuF, die die Entscheidungsgrundlage für die Kostenerstattung sein sollte. Mit Stellungnahme vom 11.02.2020 äußerte sich das DIJuF zur Sache (Bl. 270 ff. der Beiakte I). Auf Nachfrage der Beteiligten äußerte sich das DIJuF ergänzend mit Stellungnahme vom 17.07.2020 (Bl. 287 ff. der Beiakte I). Mit E-Mail vom 30.03.2021 lehnte der Beklagte die Erstattung unter Verweis auf seinen Kreistagsbeschluss letztlich ab (Bl. 300 der Beiakte I).
10
Der Kläger erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 25.05.2021 Klage, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 31.05.2019. Die Klage ist dem Beklagten am 04.06.2021 zugegangen.
11
Der Kläger beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 326.801,63 EUR zu zahlen.
12
Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, ihm stünde ein Anspruch auf Erstattung der aufgewendeten Kosten auch für den Zeitraum zwischen dem 12.02.2016 und dem 17.07.2019 zu.
13
Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 23.08.2021:
Die Klage wird abgewiesen.
14
Zur Begründung wird durch den Beklagten im Wesentlichen auf den Interessenwahrungsgrundsatz verwiesen, welchen der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum durch sein Verhalten verletzt habe. Durch die Kenntnis vom Beschluss des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 habe der Kläger positiv vom Zuständigkeitswechsel gewusst. Spätestens, als der Kläger vom Umzug des Kindsvaters von N. nach R. im Dezember 2017 erfahren habe, hätte er seine örtliche Zuständigkeit überprüfen müssen. Er habe viel zu spät die Mitteilung nach § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII veranlasst.
15
Hinzu komme, dass es weitere Verzögerungen seitens des Klägers gegeben habe, sodass es erst 2020 zu einem Übergabegespräch zwischen den beiden Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) der Beteiligten kam und der Fall durch ASD des Beklagten übernommen werden konnte. Den ASD-Akten des Klägers sei zu entnehmen, dass das letzte Hilfeplangespräch im Juni 2018 geführt worden sei. Zum Zeitpunkt der ersten Mitteilung des Klägers über den Zuständigkeitswechsel habe damit die Hilfeplanung bereits ein Jahr zurückgelegen. Die Feststellung über die gewählte Hilfeart solle aber regelmäßig aktualisiert werden. Dem käme bei der Heimerziehung hinsichtlich der Ziele nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB VIII eine besondere Bedeutung zu. Weder der Inhalt der Leistungserbringung noch diese beiden explizit vom Gesetzgeber genannten Zielrichtungen seien aber zumindest ab dem letzten Hilfeplan im Juni 2018 überprüft worden. Der Beklagte, der Kinder vorrangig in Pflegefamilien unterbringe oder diese Unterbringung in Heimerziehung vorbereite und zeitversetzt vollziehe, wäre durch die Unterlassung der Mitteilung des Zuständigkeitswechsels seitens des Klägers daran gehindert worden. Es sei unerheblich, ob die gesetzgeberische Intention aus entwicklungspsychologischer Sicht auf den Vorrang familiärer Erziehung (in der eigenen oder einer Pflegefamilie) abgehoben habe. In der Folge sei nämlich auch diese immer auch mit Kosten verbunden.
16
Der Beklagte hätte folglich eine wesentlich kostengünstigere Unterbringung der Kinder in Pflegefamilien prüfen können, welche sehr wahrscheinlich auch erfolgt wäre. Damit wären die Kosten in einer weitaus geringeren Höhe angefallen. Auch die Anbahnung der Rückführung zum Kindsvater hätte durch den Beklagten viel früher erfolgen können. Diese habe mit der entsprechenden Vorbereitung und Lernschritten im Haushalt des Vaters vom Beklagten innerhalb nur eines Jahres im Februar 2021 erreicht werden können. Die Familie werde seitdem lediglich ambulant betreut und F. benötige keine Schulassistenz mehr.
17
Mit Schriftsatz vom 10.09.2021 ergänzt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Er habe zunächst nicht erkannt, dass es infolge des Beschlusses des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 zu einem möglichen Zuständigkeitswechsel des örtlich zuständigen Leistungsträgers gekommen sei. Die Versäumnis der Mitteilung des Zuständigkeitswechsels an den Beklagten nach § 86c Abs. 2 SGB VIII ginge sowohl auf eine erhöhte Arbeitsbelastung als auch auf den Umstand zurück, dass sich durch den Beschluss keine wesentlichen Änderungen an der eigentlichen Arbeit mit den Eltern ergeben hätten. Hierdurch habe sich der Kläger nicht veranlasst gesehen, überhaupt eine erneute Prüfung der örtlichen Zuständigkeit vorzunehmen. Das erhöhte Arbeitsaufkommen beim Kläger sei nicht monokausal für die verspätete Mitteilung an den Beklagten.
18
Weiterhin führt der Kläger an, dass auch für den Zeitraum nach Juni 2018 eine Heimunterbringung der Kinder erforderlich gewesen sei. Es habe im Hilfegespräch am 18.06.2018 mit den Eltern nicht geklärt werden können, wie es mit den beiden Kindern weitergehe, d.h., wie lange sie in der Einrichtung verbleiben oder ob sie irgendwann zum Vater ziehen würden. Es sei daher gemeinsam mit den Eltern beschlossen worden, dass die Kinder zunächst weiterhin in der Einrichtung bleiben sollen und F. zusätzlich Unterstützung in der Schule erhalte. Dies sei mit dem Hilfeplanprotokoll für ein halbes Jahr festgelegt worden, d.h. nach der Prüfung des Jugendamtes des Klägers sei daher die Heimunterbringung bis März 2019 bewilligt worden. Es hätten zudem immer wieder Gespräche mit der Einrichtung und mit den Eltern stattgefunden, insbesondere zur Vereinbarung von Besuchsterminen. Diese seien jedoch nicht immer schriftlich dokumentiert worden, so dass lediglich das Gesprächsprotokoll vom 02.08.2019 aktenkundig sei.
19
Die Unterbringung beider Kinder im Heim sei daneben vor dem Hintergrund des Kindeswohls notwendig gewesen, da die Zusammenarbeit und die therapeutischen Leistungen der Einrichtung den Kindern ein sicheres Umfeld geboten hätten. Während der gesamten Hilfeplanung sei überprüft worden, welche Optionen zur Verfügung gestanden hätten. Der Kindesvater sei nicht bereit gewesen, die Kinder bei sich aufzunehmen, da dort bereits zwei Kinder gelebt hätten. Es wäre sehr schwierig gewesen, im Zuständigkeitsbereich des Klägers eine Pflegefamilie zu finden, zumal die Unterbringung in einer Pflegefamilie eine Anmeldung der Kinder an einer anderen Schule bedeutet hätte. Dies hätte zudem eine erneute Herausnahme der Kinder aus einem gewohnten Umfeld bedeutet. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass die Kinder einen erhöhten Bedarf an Unterstützung gehabt hätten.
20
Weiterhin habe der Kläger regelmäßig Rückmeldung und Protokolle der Kontakterzieherin zur Entwicklung von F. erhalten, so dass geprüft worden sei, ob die zusätzliche Unterstützung des Integrationshelfers weiterhin erforderlich gewesen sei. Das sei auch zuletzt vor dem Bescheid vom 16.07.2019 für das Schuljahr 2019/2020 überprüft worden. Aufgrund der Notwendigkeit sei dies ab dem 19.08.2019 bewilligt worden. Es sei durch die Schule und die fachliche Einschätzung des Integrationshelfers festgestellt und durch den Kläger überprüft worden, dass ein Unterstützungsbedarf in der Schule für F. bestanden habe.
21
Die Beteiligten wurden mit Schreiben des Gerichts vom 21.07.2023 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
22
Im Übrigen wird für die Einzelheiten des Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten samt Anlagen und die Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Das Gericht konnte unter den Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden.
24
Die zulässige Leistungsklage ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten in der beantragten Höhe zu.
I.
25
Die Klage ist zulässig.
26
Der Verwaltungsrechtsweg für die geltend gemachten Erstattungsansprüche ist eröffnet. Hinsichtlich des Erstattungsanspruchs für die Heimunterbringung der beiden Kinder folgt dies aus § 40 Abs. 1 VwGO (VG Würzburg, U.v. 23.7.2020 – W 3 K 18.1656 – juris Rn. 32). Hinsichtlich der Kostenerstattung für die Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.1.2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Art. 8d OZG-ÄnderungsG vom 19.7.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 245) gilt § 114 SGB X. Nach § 114 S. 1 SGB X ist für einen Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff. SGB X derselbe Rechtsweg wie für den Anspruch auf die Sozialleistung gegeben, wobei gemäß § 114 S. 2 Alt. 2 SGB X in den Fällen der §§ 103 bis 105 SGB X der Anspruch gegen den erstattungspflichtigen Leistungsträger maßgebend ist. Für Ansprüche nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.09.2012 zuletzt geändert durch Art. 5 G zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht vom 8.5.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 152) ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, § 40 Abs. 1 VwGO (Kühl/Stölting, NZS 2023, 241/244).
II.
27
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung in der geltend gemachten Höhe. Der Anspruch folgt für die Heimunterbringung der beiden Kinder aus §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 89f Abs. 1 SGB VIII und für die Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers jedenfalls aus § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X.
28
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (VGH BW – U.v. 23.2.2024 – 12 S 775/22 – juris Rn. 32). Hinsichtlich des materiellen Rechts ist daher maßgeblich auf die Rechtslage für den Zeitraum vom 12.02.2016 bis 16.06.2021 abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 6/11 – juris Rn. 6).
29
1. Die vom Kläger aufgewendeten Kosten für die Heimunterbringung sind sowohl dem Grunde nach als auch in der geltend gemachten Höhe erstattungsfähig.
30
a) Die Kosten sind dem Grunde nach gem. §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII erstattungsfähig. Nach § 89c Abs. 1 S. 1 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist.
31
aa) Die Voraussetzungen der Pflicht nach § 86c SGB VIII sind vorliegend gegeben. Der Kläger hat im Rahmen seiner aus § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII folgenden Pflicht Kosten aufgewendet. Wechselt hiernach die örtliche Zuständigkeit für eine Leistung, so bleibt der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.
32
(a) Bis zur Übertragung der alleinigen Personensorge am 12.02.2016 war der Kläger für die nach dem Achten Sozialgesetzbuch gewährten Leistungen örtlich zuständig.
33
Zwischen den Beteiligten herrscht im Ergebnis zurecht keine Unstimmigkeit darüber, dass der Kläger für die Tochter S. bis dahin örtlich zuständiger Jugendhilfeträger war. Die vorige örtliche Zuständigkeit des Klägers ergibt sich dabei ohne Unterschied entweder aus § 86 Abs. 2 S. 1, 2 SGB VIII oder aus § 86 Abs. 5 S. 1 SGB VIII.
34
Auch für den Sohn F. war für die Bewilligung der Leistungen in Form der Heimunterbringung nach § 34 SGB VIII zunächst der Kläger örtlich zuständig. Für die Heimunterbringung folgt das aus § 86 Abs. 2 S. 1 SGB VIII, da die allein sorgeberechtigte Kindsmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch vom 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) zuletzt geändert durch Art. 4 OZG-Änderungsgesetz vom 19.7.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 245)) im Landkreis A. hatte.
35
(b) Mit Übertragung der alleinigen Personensorge für beide Kinder auf den Kindsvater mit Entscheidung des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 wurde der Beklagte letztlich nach § 86 Abs. 2 S. 1 SGB VIII örtlich für die Leistungen zuständig, da dort der Kindsvater seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
36
(c) Der Beklagte hat die Leistungen auch fortgesetzt. Unter „Fortsetzung der Leistung“ im Sinne von § 86c Abs. 1 SGB VIII ist nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Übernahme des Hilfefalles durch den anderen, neuen Jugendhilfeträger in die eigene Regelungszuständigkeit zu verstehen (BVerwG, U.v. 14.11.2002 – 5 C 51/01 – juris Rn. 17). Dies ist ab dem Zugang der klägerseitigen Mitteilung der Zuständigkeitsänderung vom 14.06.2019 zum 17.06.2019 auch geschehen. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte die Leistungen in eigener Zuständigkeit fortgeführt.
37
(d) Der Kläger hatte mit der Leistung zudem auch schon begonnen (vgl. zu diesem Erfordernis Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 86c Rn. 4; Kern in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2018, § 86c Rn. 4; Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 29.5.2024, § 86c Rn. 24). Zum Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels infolge des Beschlusses des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 waren die beiden Kinder bereits (ab dem 08.06.2015) im Heim untergebracht und waren dies auch bis zum Ende des streitgegenständlichen Zeitraums.
38
bb) Keine Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 89c Abs. 1 S. 1 SGB VIII ist es, dass der vormals örtlich zuständige Jugendhilfeträger Kenntnis von seiner Pflicht aus § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII hat (BVerwG, U.v. 14.11.2002 – 5 C 51/01 – juris Rn. 13). Es genügt die objektive Leistung im Rahmen der Verpflichtung aus § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII (vgl. Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89c Rn. 2; Möller in: Möller, Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 86c Rn. 3; Kern in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2018, § 89c Rn. 7 m.w.N.). Die Übernahme der Verpflichtung aus § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII soll sich nämlich weder zulasten des Leistungsberechtigten noch zugunsten des zuständigen Jugendhilfeträgers auswirken (Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89c Rn. 1).
39
cc) Die Kostenerstattung ist auch nicht bereits dem Grunde nach ausgeschlossen.
40
(a) Es ist zunächst unerheblich, ob ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII vorliegt. Nach § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII hat der örtliche Träger, der von den Umständen Kenntnis erhält, die den Wechsel der Zuständigkeit begründen, den anderen davon unverzüglich zu unterrichten. Eine schuldhafte Verspätung der Mitteilung führt jedenfalls nicht allein für sich genommen zu einem Ausschluss des Erstattungsanspruchs, wie bereits das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat (BVerwG, U.v. 14.11.2002 – 5 C 51/01 – juris Rn. 13; vgl. auch OVG NW, B.v. 24.3.2010 – 12 A 2732/09 – juris Rn. 13; Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89c Rn. 2; Möller, in: Möller Praxiskommentar SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 89c Rn. 2; Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 1.8.2022, § 89c Rn. 6).
41
(b) Der geltend gemachte Anspruch nach § 89c Abs. 1 S. 1 SGB VIII ist auch nicht aufgrund der Ausschlussfrist des § 111 S. 1 SGB X ausgeschlossen. Der Anspruch auf Erstattung ist hiernach ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Die Norm ist neben den §§ 89 ff. SGB VIII anwendbar (Bohnert/Stähr in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 1. EL 2024, Vor §§ 89 bis 89h Rn. 7).
42
Die Voraussetzungen für einen solchen Ausschluss liegen indes nicht vor, denn es fehlt an der Erbringung der Leistung. Erforderlich zur Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals ist, dass der Leistungserfolg dieser (einheitlichen) Leistung eingetreten ist (VG München, U.v. 20.12.2023 – M 18 K 18.3906 – juris Rn. 42; Weber in: BeckOK SozR, 73. Ed. 1.6.2024, § 111 SGB X Rn. 15; Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 26.6.2024, § 111 SGB X Rn. 38; Becker in: Hauck/Noftz SGB X, 2. EL 2024, § 111 Rn. 46). Der Kläger hat mit Schreiben vom 14.06.2019, zugegangen beim Beklagten am 17.06.2019, den Anspruch gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kinder S. und F. noch im Heim untergebracht, die Leistung folglich noch nicht vollständig erbracht bzw. erfüllt. Die Frist konnte daher auch nicht früher ablaufen.
43
(c) Der Erstattungsanspruch für die Heimunterbringung im Jahr 2016, der als einziger Zeitabschnitt für eine Verjährung in Betracht zu ziehen ist, ist nicht nach § 113 Abs. 1 S. 1 SGB X verjährt. Erstattungsansprüche verjähren hiernach in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten nach § 113 Abs. 2 SGB X die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß (§§ 203 ff. BGB).
44
Die Verjährungsfrist beginnt analog § 111 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 zuletzt geändert durch Art. 7 G zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht vom 8.5.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 152) mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 40 SGB I, s. BayVGH, U.v. 23.11.2009 – 12 BV 08/2146 – juris Rn. 14 ff.; VG Bayreuth, U.v. 15.6.2016 – B 3 K 15.1001 – juris Rn. 60; Bohnert/Stähr in: Hauck/Noftz, SGB VIII, 1. EL 2024, Vor §§ 89 bis 89h Rn. 12 m.w.N.).
45
Die Verjährungsfrist hinsichtlich des Erstattungsanspruchs für den Zeitraum 2016, der frühestens im gleichen Jahr entstanden ist, begann frühestens am 01.01.2017 zu laufen. Die Verjährungsfrist wäre dann zwar grundsätzlich am 31.12.2020 (24 Uhr) abgelaufen, sie wurde jedoch nach § 113 Abs. 2 SGB X i.V.m. §§ 203, 209 BGB gehemmt. Schweben hiernach zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, so ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt dabei frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein.
46
Vorliegend haben die Beteiligten über die Ansprüche verhandelt. Der Begriff der Verhandlung ist weit zu verstehen. Verhandlungen schweben schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Gläubiger die Annahme gestatten, der Schuldner lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung von Ansprüchen ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird (BGH, U.v. 26.10.2006 – VII ZR 194/05 – juris Rn. 10). Mit Schreiben vom 14.06.2019, zugegangen beim Beklagten am 17.06.2019, hat der Kläger die Übernahme der bis dato angefallenen Kosten für die Kinder S. und F. beim Beklagten beantragt. Noch im Jahre 2019, als die Verjährungsfrist noch lief, haben sich die Beteiligten deshalb darauf geeinigt, auf eine einvernehmliche Lösung hinzuarbeiten und hierzu ein Gutachten des DIJuF in Auftrag gegeben, das mit Datum vom 11.02.2020 erstattet wurde. Eine endgültige Ablehnung der Erstattung durch die Beklagte erfolgte frühestens mit E-Mail vom 27.11.2020. Es kann dahinstehen, ob diese E-Mail die Anforderungen an ein Scheitern der Verhandlungen erfüllt und damit die Hemmung der Verjährung nach § 203 S. 2 BGB geendet hat. Jedenfalls liefen die Verhandlungen so lange, dass der Kläger aufgrund der damit verbundenen Verjährungshemmung mit Klage vom 25.05.2021, zugegangen bei dem Beklagten am 04.06.2021, fristwahrend Klage einreichen konnte.
47
b) Die Kosten sind auch der Höhe nach erstattungsfähig. Die Kosten sind gem. § 89f Abs. 1 SGB VIII erstattungsfähig. Die aufgewendeten Kosten sind nach § 89f Abs. 1 SGB VIII zu erstatten, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspricht, § 89f Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Dabei gelten die Grundsätze, die im Bereich des tätig gewordenen örtlichen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens angewandt werden, § 89f Abs. 1 S. 2 SGB VIII.
48
aa) „Das Gebot der Gesetzeskonformität der aufgewendeten Kosten zielt darauf ab, zum einen sicherzustellen, dass der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger bei der Leistungsgewährung nicht in Erwartung einer Erstattungsleistung die durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch gezogenen Grenzen überschreitet, und zum anderen den erstattungspflichtigen Jugendhilfeträger davor zu bewahren, Aufwendungen für solche Leistungen zu erstatten, die bei ordnungsgemäßer Leistungsgewährung nach Art oder Umfang so nicht hätten erbracht werden müssen“ (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 5 C 30/12 – juris Rn. 14 m.w.N.).
49
Dies hat das BVerwG (U.v. 29.6.2006 – 5 C 24/05 – juris Rn. 16) weitergehend konkretisiert: „Das Gebot der Gesetzeskonformität der aufgewendeten Kosten verlangt bereits nach seinem Wortlaut nicht, dass die Leistungsgewährung in jeder Hinsicht objektiv rechtmäßig gewesen ist, und ist beschränkt auf die Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch. Gesetzeskonformität i.S.d. § 89f Abs. 1 SGB VIII und objektive Rechtmäßigkeit sind nicht durchweg identisch, auch wenn sich die Anwendungsergebnisse im Wesentlichen überschneiden werden. Nach seinem Sinn und Zweck formt das Gebot der Gesetzeskonformität das allgemeine, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung für das Erstattungsrechtsverhältnis zwischen Jugendhilfeträgern aus. (…) Der Kostenerstattung begehrende Träger hat bei der Leistungsgewährung die rechtlich gebotene Sorgfalt anzuwenden, zu deren Einhaltung er in eigenen Angelegenheiten gehalten ist; der auf Erstattung in Anspruch genommene Jugendhilfeträger kann eine darüber hinausgehende Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nicht verlangen und daher eine Erstattung nicht verweigern, wenn auch er selbst die angefallenen Kosten nicht hätte vermeiden können, weil er nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Hilfegewährung gegebenen Erkenntnisstand nicht anders gehandelt hätte.“
50
bb) Auf Grund dieser Betrachtungsweise bleiben formelle Fehler der Gewährung der Leistung grundsätzlich außer Betracht, soweit der erstattungspflichtige Jugendhilfeträger inhaltlich dieselbe Hilfe geleistet hätte (Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 89f Rn. 11). Soweit gefordert wird, dass zumindest aufgrund eines zugrundeliegenden Bescheids geleistet wird (so Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 89f Rn. 12), so wurde dieser Anforderung hier hinsichtlich beider Kinder entsprochen. Der Kindsvater konnte die Anträge für die beiden Kinder gerichtet auf diese Leistung alleine stellen, da mit Beschluss des Amtsgerichts, Familiengericht, vom 15.05.2015 das Recht, Leistungen nach § 27 SGB VIII zu übertragen, ihm übertragen worden war (zur Notwendigkeit der Antragstellung durch die Personensorgeberechtigten bei Leistungen zur Hilfe der Erziehung OVG RhPf, U.v. 29.10.2012 – 7 A 10868/12 – juris Rn. 30; Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 89f Rn. 14).
51
cc) Nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger die ihm gesetzten, materiell-rechtlichen Grenzen bei der Gewährung der Heimunterbringung (§ 27 SGB VIII in der bis 09.06.2021 geltenden Fassung i.V.m. § 34 SGB VIII) im Hinblick auf den streitgegenständlichen Zeitraum überschritten hätte.
52
„Auf eine Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung hat der bzw. die Personensorgeberechtigte/n dann einen Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 vorliegen und die außerfamiliäre stationäre Hilfeart geeignet und notwendig ist, den erzieherischen Bedarfen des Kindes oder des Jugendlichen zu entsprechen“ (Trede in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. EL 2024, § 34 Rn. 20; vgl. SächsOVG, B.v. 19.9.2006 – 5 B 327/06 – juris Rn. 10).
53
Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII wird Hilfe zur Erziehung insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt, u.a. auch für die hier erfolgte Heimerziehung nach § 34 SGB VIII. Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll nach § 34 S. 1 SGB VIII Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten, § 34 S. 2 SGB VIII. Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden, § 34 S. 3 SGB VIII.
54
Zum Prüfungsmaßstab im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass es sich bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte handelt, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthält, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss; die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 39; vgl. BayVGH, U.v. 9.3.2020 – 12 B 19.795 – juris Rn. 26). Es ist insoweit nochmals hervorzuheben, dass die Prüfung aus Sicht ex ante zu erfolgen hat (Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 89f Rn. 15).
55
(aa) Nicht zu beanstanden ist entsprechend dieser Anforderungen und dem heranzuziehenden Prüfungsmaßstab des Gerichts zunächst, dass die Heimerziehung vom 12.02.2016 bis Juni 2018 erbracht wurde. Beide Elternteile sind dem Jugendamt des Klägers bereits seit 2009 bekannt gewesen und wurden von diesem unterstützt. Den Elternteilen wurden dabei vor der hier gegenständlichen Heimunterbringung bereits zahlreiche ambulante Hilfen zuteil, die offensichtlich keinen durchgreifenden Erfolg zeitigten (Bl. 134 der Beiakte I). Vielmehr eskalierte die Situation zusehends so weit, dass sich nach erneuten verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen der Kindsmutter und ihrem Ehemann das Jugendamt genötigt sah, beide Kinder ab dem 08.05.2015 in Obhut zu nehmen. Nachdem die Mutter der Heimerziehung der beiden Kinder nicht zugestimmt hatte, sah es auch das Familiengericht in seinem Beschluss vom 15.05.2015 für unabdingbar an, dass die Kinder Jugendhilfeleistungen in Form einer Fremdunterbringung mit familientherapeutischer Arbeit erhalten (Bl. 142 der Beiakte I). Das Wohl der Kinder war offensichtlich nicht gewährleistet. Der allein sorgeberechtigte Vater war unbestritten über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht bereit, die beiden Kinder bei sich aufzunehmen, da in seinem Haushalt bereits zwei weitere Kinder gewohnt haben. Aus Sicht des Beklagten war zudem die Einrichtung, in der die Kinder untergebracht werden sollten, sehr gut geeignet, den Kindern Sicherheit und Unterstützung zu bieten, um dem Kindeswohl zu entsprechen. Gleichzeig bot die Einrichtung aus Sicht des Klägers gute therapeutische Leistungen. Auch im weiteren Verlauf hat sich gezeigt, dass die Einrichtung in die Konfliktlösung zwischen Kindseltern und den Lebensgefährten der Kindsmutter eingeschaltet war, was der Zielerreichung nach § 34 S. 2 SGB VIII dienlich ist.
56
Aufgrund dieser Vorgeschichte und der weiteren Entwicklung gibt es aus erstattungsrechtlicher Sicht seitens der Kammer nichts gegen die Entscheidung des Klägers, nach der Inobhutnahme bereits Hilfe in Form der Heimunterbringung zu gewähren und die Kinder zunächst in dem Heim zu belassen, zu erinnern. Insbesondere gelten nach § 89f Abs. 1 S. 2 SGB VIII die Grundsätze, die im Bereich des tätig gewordenen örtlichen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens angewandt werden (sog. „Vor-Ort-Prinzip“). Zu diesem Prinzip gehören auch verwaltungsinterne Festlegungen, Richtlinien und eine in allen gleich gelagerten Fällen zugrunde gelegte Praxis (Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 89f Rn. 22; vgl. Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89f Rn. 2). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Maßstab der Rechtmäßigkeit und nicht der Kostengünstigkeit Anwendung findet (Möller in: Möller, SGB VIII, 3. Aufl. 2023, § 89f Rn. 4). Der Kläger hat hierzu unwidersprochen ausgeführt, dass es bei ihm in Ermangelung hinreichender Kapazitäten bei Bereitschaftspflegefamilien Verwaltungspraxis ist, lediglich für in Obhut genommene 0-3-jährige Kinder Pflegefamilien in Anspruch zu nehmen. Angesichts der Vorfälle war es zudem seitens des Klägers auch nicht fernliegend anzunehmen, dass eine Pflegefamilie bei Aufnahme der beiden Kinder ohnehin überfordert gewesen wäre, zumal mit einem Umzug weitere Nachteile wie ein Schulwechsel verbunden gewesen wären (vgl. zum Prinzip der Regionalisierung Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 24.1.2024, § 34 Rn. 49 m.w.N.). Ob der Beklagte die Kinder wahrscheinlich selbst kostengünstiger in einer Pflegefamilie untergebracht hätte, ist nach diesen Maßstäben für das Gebot der Rechtmäßigkeit unerheblich.
57
(bb) Auch für den Zeitraum ab Juni 2018 ist nicht ersichtlich, dass von einer weiteren Heimunterbringung der beiden Kinder hätte abgesehen werden müssen. Soweit der Kläger einen veralteten Hilfeplan moniert, ist zunächst festzustellen, dass selbst ein vollständig fehlender schriftlicher Hilfeplan nicht zur Folge gehabt hätte, dass mangels Feststellbarkeit die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe einer Erstattung im Wege steht (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 39; Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 11.12.2023, § 89f Rn. 14; Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89f Rn. 2). Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu aus: „Gegen die Annahme, die Erstellung eines Hilfeplans sei eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Jugendhilfe, spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung, wonach die Fachkräfte zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen „sollen“. Ist der Hilfeplan somit nicht unverzichtbare Voraussetzung der Gewährung von Jugendhilfe, so ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit als entscheidend anzusehen, ob die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe auch ohne eine schriftliche Fixierung in einem Hilfeplan festgestellt werden kann“ (BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24/98 – juris Rn. 39). Entsprechend unschädlich wäre grundsätzlich auch ein zwar einmal erstellter aber nicht fortgeführter Hilfeplan (Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 11.12.2023, § 89f Rn. 14).
58
Vorliegend hat der Kläger mit Schriftsatz vom 07.09.2021 substantiiert dargelegt, warum er auch nach dem dokumentierten Hilfeplangespräch am 18.06.2018 von der Geeignetheit und der Notwendigkeit der Fortdauer der Voraussetzungen der Heimunterbringung bezüglich beider Kinder ausgegangen ist. Dem ist der Beklagte nicht mehr entgegengetreten. Diese Gründe für die Heimunterbringung entsprechen im Wesentlichen bereits den Gründen, die nach Auffassung der Kammer bereits die ursprüngliche Heimunterbringung getragen haben, da sich diesbezüglich im weiteren zeitlichen Verlauf keine Änderungen ergeben haben.
59
(cc) Soweit der Beklagte einwendet, dass die Anbahnung der Rückführung hätte früher stattfinden können, erscheint es ebenso plausibel, dass die Möglichkeit der Rückführung zum Kindsvater zumindest auch auf die im Laufe der Jahre geänderten Bedürfnisse der Kinder zurückgeht. Hinzu kommt nach unbestrittenem Vortrag des Klägers, dass dieser fortlaufend das Gespräch mit den beiden Elternteilen und der Einrichtung gesucht hat. So wurde immer wieder geprüft ob bzw. welche Hilfen für die Kinder geeignet waren. Wie bereits dargelegt, geht auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit gerade keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit erheben kann. Es sind für die Kammer keine Gründe ersichtlich, dass die Grenzen einer fachlich vertretbaren und nachvollziehbareren Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation überschritten worden sind.
60
bb) Ein Verstoß gegen den sog. Interessenwahrungsgrundsatz durch die Heimunterbringung beider Kinder, der einen Ausschluss oder Minderung des Erstattungsanspruchs bewirken kann, ist vorliegend auch nicht anzunehmen (zu dieser Wirkung BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 5 C 30/12 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 13.5.2019 – 12 BV 18.2142 – juris Rn. 21; vgl. Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. Stand: 1.5.2024, § 110 Rn. 23 ff.).
61
Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 13.6.2013 – 5 C 30/12 – juris Rn. 17 ff.) führt zum Interessenwahrungsgrundsatz aus: „Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt die Pflicht des kostenerstattungsberechtigten Sozialleistungsträgers, die Interessen des erstattungspflichtigen Trägers von Sozialleistungen zu wahren.
Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im Verwaltungsrecht. Er wird aus § 242 BGB abgeleitet, der über seinen Wortlaut hinaus das allgemeine Gebot der Beachtung von Treu und Glauben im rechtlichen Verkehr als allgemeinen Maßstab enthält, unter dem das gesamte private und öffentliche Recht steht. Der genannte Grundsatz bedarf wegen seiner Allgemeinheit der Konkretisierung. Diese erfolgt durch Typisierung anhand von Fallgruppen (vgl. Urteile vom 11. Oktober 2012 – BVerwG 5 C 22.11 – NJW 2013, 629 Rn. 25 und vom 23. November 1993 – BVerwG 1 C 21.92 – BVerwGE 94, 294 <298> = Buchholz 451.64 BBankG Nr. 3 S. 1 <S. 6>; Beschluss vom 30. April 2008 – BVerwG 6 B 16.08 – juris Rn. 7). Der Grundsatz von Treu und Glauben begrenzt die Ausübung von Rechten. Ein außerhalb seiner Grenzen liegender Anspruch ist keine Ausübung eines „Rechts“, sondern Überschreitung desselben. Deshalb kann der aus § 242 BGB folgende Rechtsgrundsatz materiellen Ansprüchen entgegengehalten werden. Anspruchsvernichtende Wirkung kann ihm insbesondere zukommen, wenn der Anspruchsteller in seine Rechtsposition unter Verletzung eigener Rechtspflichten gelangt ist (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1973 – BVerwG 1 C 34.72 – Buchholz 451.52 § 19 MuFG Nr. 2 S. 9 <S. 12 f.>).
Im Zusammenhang mit Erstattungsansprüchen von Sozialleistungsträgern untereinander ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben der in der Rechtsprechung des Senats anerkannte kostenerstattungsrechtliche Interessenwahrungsgrundsatz (vgl. Urteile vom 8. Juli 2004 a.a.O. S. 4, vom 29. Juni 2006 a.a.O. Rn. 16 und vom 26. Oktober 2006 – BVerwG 5 C 7.05 – Buchholz 436.511 § 89d KJHG/SGB VIII Nr. 3 Rn. 22). Danach hat der zur Kostenerstattung berechtigte Sozialleistungsträger bei der Leistungsgewährung die rechtlich gebotene Sorgfalt anzuwenden, zu deren Einhaltung er in eigenen Angelegenheiten gehalten ist (vgl. Urteil vom 29. Juni 2006 a.a.O. Rn. 16). Der Erstattungsberechtigte muss nicht nur darauf hinwirken, dass der erstattungsfähige Aufwand gering ausfällt (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2006 a.a.O. Rn. 22), sondern gegebenenfalls auch, dass der Anspruch gegenüber dem Erstattungspflichtigen nicht entsteht. Zur Erreichung dieser Ziele hat er alle nach Lage des Einzelfalles möglichen und zumutbaren Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen.“
62
Der Interessenwahrungsgrundsatz soll mithin bewirken, dass der Leistungsträger so handelt, als müsste er selbst die anfallenden Kosten für die Leistungen letztlich selbst tragen bzw. diesen wie einen Fall in eigener Zuständigkeit behandeln (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2017 – 5 C 3/16 – juris Rn. 25; OVG NW, B.v. 17.10.2003 – 12 A 3945/01 – juris Rn. 8; SächsOVG, U.v. 11.12.2007 – 4 B 758/04 – juris Rn. 21; LSG SH, U.v. 28.8.2009 – L 8 SO 16/07 – juris Rn. 53 jeweils m.w.N.; Böttiger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. Stand: 1.5.2024, § 110 Rn. 24). Die Prüfung des Interessenwahrungsgrundsatzes hat dabei unter Berücksichtigung der normierten Wertungen des Erstattungsrechts zu erfolgen.
63
Gemessen an diesen Voraussetzungen vermag die Kammer einen Verstoß gegen den Interessenwahrungsgrundsatz nicht zu erkennen.
64
(a) Allein die dem Kläger zurechenbaren Umstände, die zu einer zeitlichen Verzögerung der Mitteilung nach § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII an den Beklagten geführt haben, stellen zwar einen fahrlässigen Verstoß gegen § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII dar, dieser vermag aber für sich genommen einen Verstoß gegen den Interessenwahrungsgrundsatz nicht zu begründen.
65
(aa) Soweit der Beklagte unter Verweis auf den Gutachtensauftrag vorbringt, dass der Kläger dort selbst einräume, positive Kenntnis vom Zuständigkeitswechselt gehabt zu haben, und nur wegen der Arbeitsbelastung die Anzeige unterlassen zu haben (Bl. 260 der Beiakte I), kann dieser Schlussfolgerung nicht gefolgt werden, jedenfalls ist dies im Ergebnis unerheblich.
66
Es ist kein Grund ersichtlich, wieso der Kläger die Mitteilung in Kenntnis des Zuständigkeitswechsels hätte vorsätzlich verschleppen sollen, etwa in Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht. Die entsprechenden Ausführungen im Gutachtensauftrag lassen sich vielmehr auch so verstehen, dass der Kläger – was unstreitig ist – zwar Umstandskenntnis vom Beschluss des Amtsgerichts A., Familiengericht, vom 12.02.2016 hatte, die entsprechenden rechtlichen Schlüsse in Form des Zuständigkeitswechsels hieraus aber nicht gezogen hat, da er ohne formale Prüfung weiterhin von seiner örtlichen Zuständigkeit ausgegangen ist. Ein solcher Irrtum rechtfertigt lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Eine solche Deutung ist naheliegender, da – wie auch der Beklagte vorträgt – die Zuständigkeitsmitteilung selber einen vernachlässigbaren Verwaltungsaufwand hervorruft. Wenn die entsprechenden Stellen des Klägers tatsächlich überlastet waren, was ebenso nicht bestritten wird, wäre eine zeitnahe Zuständigkeitsmitteilung durch den Kläger durch den Beklagten eine naheliegende Abhilfemöglichkeit für den Kläger gewesen. Hinzu kommt, dass auch im Rahmen von §§ 86c Abs. 1 S. 1, 89c Abs. 1 S. 1, 89f SGB VIII nicht sämtliche Kosten oder Nachteile des Klägers ausgeglichen werden müssen (vgl. § 109 S. 1 SGB X, s. hierzu nur Loos in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 89f Rn. 5), was ebenfalls für das eigene Interesse des Klägers an einer raschen Mitteilung spricht. Letztlich unbestritten blieb auch der Vortrag des Klägers, dass trotz des genannten Beschlusses des Amtsgerichts, Familiengericht, v. 12.02.2016 und der damit verbundenen Übertragung der Personensorge auf den Kindsvater beide Elternteile wie gehabt mit dem Jugendamt des Klägers zusammengearbeitet haben und es keine wesentlichen Änderungen im Tagesgeschehen gab. Alle diese Umstände sprechen für ein bloß fahrlässiges Unterlassen der Mitteilung.
67
Doch selbst unterstellt, dass der Kläger zunächst den rechtlichen Schluss des Zuständigkeitswechsels gezogen hat, sprechen die eben angeführten Umstände auch dafür, dass die erforderliche Mitteilung im weiteren zeitlichen Verlauf aus Fahrlässigkeit unterblieben ist und in Vergessenheit geriet.
68
(bb) Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kläger von dem Umzug des Kindsvaters von N. nach R. im Dezember 2017 erfahren hat. Da sich beide Gemeinden im Landkreis B. befinden, musste der Kläger nicht davon ausgehen, dass sich seine ursprüngliche (aber unzutreffend angenommene) örtliche Zuständigkeit nachträglich geändert hat. Wie auch der Beklagte selbst vorträgt („hätte […] auffallen müssen“), begründet aber auch dieser Umstand allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem Kläger.
69
(cc) Eine fahrlässig unterbliebene Mitteilung nach § 86c Abs. 2 SGB VIII reicht nach Auffassung der Kammer für sich genommen nicht aus, einen Verstoß gegen den Interessenwahrungsgrundsatz zu bejahen. Dies kann zunächst ohne weiteres mit der oben dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet werden, wonach ein bloßer Verstoß gegen § 86c Abs. 2 SGB VIII den Erstattungsanspruch nicht ausschließt. Wie das BVerwG ausführt, wäre im Falle eines Ausschlusses des Anspruchs bei einem Verstoß gegen § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII mit einer Regelung über einen Ausschluss im Falles eines Gesetzes zu rechnen gewesen (BVerwG, U.v. 14.11.2002 – 5 C 51/01 – juris Rn. 12). Daneben setzt der Erstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 S.1 SGB VIII, wie oben ebenfalls dargestellt wurde, auch keine Kenntnis des weiterleistenden Jugendhilfeträgers voraus (BVerwG, U.v. 14.11.2002 – 5 C 51/01 – juris 12). Insoweit ist es gerade ein Hauptanwendungsfall des Erstattungsanspruchs, dass ein Jugendhilfeträger seine Unzuständigkeit (fahrlässig) verkannt hat und gleichwohl objektiv nach § 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII weiterleistet (Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 86c Rn. 2: „in erster Linie“). Es widerspräche der gesetzlichen Grundkonzeption, unter Rückgriff auf Treu und Glauben in Form des Interessenwahrungsgrundsatzes in solchen Fällen einen Ausschluss des Erstattungsanspruchs herbeizuführen. Beim Grundsatz von Treu und Glauben im Verhältnis zu zwingenden Rechtssätzen geht es gerade um die Atypik einer Konstellation, die zu einem nicht hinnehmbaren Interessenkonflikt führt, der im Einzelfall aufzulösen ist (vgl. Olzen in: Staudinger/Looschelders, BGB, Neubearbeitung 2019, § 242 BGB Rn. 336). Derartige atypische Umstände sind nicht zu erkennen.
70
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es nicht zuletzt aus Haushaltsgründen aus Sicht des Beklagten misslich ist, überraschend mit einer hohen Erstattungslast konfrontiert zu werden, die sich über eine lange Zeit kumuliert hat. Aber auch, wenn vorliegend der Erstattungsanspruch einen vergleichsweise langen Leistungszeitraum umfasst, so ist der Beklagte doch nicht stets vollständig schutzlos gestellt. Mit den Regelungen der §§ 111 S. 1, 113 Abs. 1 S. 1 SGB X wird der Erstattungspflichtige in zeitlicher Hinsicht geschützt (vgl. Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 86c Rn. 4). Im Übrigen bleibt daran zu erinnern, dass der Erstattungsanspruch von seiner Funktion her betrachtet auch dazu gedacht ist, den an sich zuständigen Jugendhilfeträger nicht auf Kosten des unzuständigen Jugendhilfeträgers, der an sich rechtmäßige Leistungen erbringt, zu privilegieren. Der an sich zuständige Jugendhilfeträger wird durch den Interessenwahrungsgrundsatz in anderer Hinsicht geschützt (vgl. Kunkel/Pattar in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2021, § 86c Rn. 11).
71
(dd) Da nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf anzunehmen ist, braucht nicht geklärt zu werden, ob eine vorsätzliche Anmaßung der Zuständigkeit des neuen Jugendhilfeträgers einen Ausschluss des Erstattungsanspruchs herbeiführen kann (vgl. zum Rehabilitationsrecht BayVGH, U.v. 7.10.2013 – 12 B 11.1886 – juris Rn. 24 ff.).
72
(b) Auch das weitere Vorbringen des Beklagten rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Kläger gegen Treu und Glauben in Form des Interessenwahrungsgrundsatzes verstoßen hat.
73
(aa) Soweit der Beklagte einen veralteten Hilfeplan seitens des Klägers moniert, so bleibt zunächst auch hier unter Verweis auf die obigen Ausführungen festzustellen, dass dieser nach der gesetzlichen Konzeption keine materiell-notwendige Voraussetzungen für die Gewährung von Jugendhilfe ist. Diese gesetzlichen Wertungen würden umgangen, wenn der Interessenwahrungsgrundsatz insoweit als Sanktionsautomatismus begriffen würde.
74
Dass im streitgegenständlichen Zeitraum gerade durch den nach Ansicht des Beklagten veralteten Hilfeplan unnötige Kosten unter Verstoß gegen die eigenübliche Sorgfalt des Klägers verursacht wurden, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Wie oben dargelegt wurde, durfte der Kläger – der immerhin die Familie seit 2009 betreute und damit die schwierigen Familienverhältnisse kannte – aus Sicht ex ante und unter Anwendung eigener Grundsätze (§ 89f Abs. 1 S. 2 SGB VIII) vom Vorliegen der Voraussetzungen der Heimunterbringung ausgehen. Insoweit kann dem Erstattungsanspruch gerade nicht entgegengehalten werden, der Erstattungsverpflichtete handhabe derartige Fälle anders (vgl. Loos in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 89f Rn. 8). Einzelfallumstände, die nach Treu und Glauben zu einer anderen Betrachtung führen, sind nicht ersichtlich.
75
(bb) Aus dem gleichen Grund dringt der Beklagte auch nicht mit dem Einwand durch, dass dieser selbst die Kinder wahrscheinlich früher in einer (kostengünstigeren) Pflegefamilie untergebracht und früher zum Kindsvater zurückgeführt hätte. Für den Erstattungsanspruch aus §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII erklärt § 89f Abs. 1 S. 2 SGB VIII das Vor-Ort-Prinzip für maßgeblich. Bei einem fahrlässigen Verstoß des örtlich unzuständigen Jugendhilfeträgers gegen die Mitteilungspflicht des § 86c Abs. 2 S. 1 SGB VIII – einem der Regelanwendungsfälle des § 89c Abs. 1 S. 1 SGB VIII – wäre es zudem selbst unbillig, aufgrund der Zufälligkeiten (Leistungsangebote, Verwaltungspraxis etc.) im Zuständigkeitsbereich des an sich zuständigen Jugendhilfeträgers den Anspruch zu kürzen. Umgekehrt würde nämlich auch der an sich zuständige Jugendhilfeträger davon profitieren, wenn der örtlich unzuständige Jugendhilfeträger nach seinen Maßstäben im Vergleich kostengünstigere Hilfen gewährt hätte.
76
(cc) Für den Interessenwahrungsgrundsatz erheblich ist demgegenüber die Frage nach einem Verschulden gegen sich selbst, namentlich, ob der unzuständige Jugendhilfeträger bei mehreren gleich effektiven Anschlusshilfemaßnahmen die am wenigsten kostenintensive Hilfe herangezogen hat (vgl. BVerwG, U.v. 12.8.2004 – 5 C 51/03 – juris Rn. 16; U.v. 8.7.2004 – 5 C 63/03 – juris Rn. 16; Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 89f Rn. 2). Auch insoweit bleibt aber festzustellen, dass der Kläger – wie oben beim Grundsatz der Rechtmäßigkeit im Einzelnen dargelegt – nachvollziehbar den Hilfebedarf der beiden Kinder unter Berücksichtigung der familiären Umstände ermittelt und regelmäßig überprüft hat. Dabei kam der Kläger zu dem Ergebnis, dass die Heimunterbringung der beiden Kinder die geeignete und notwendige Hilfe ist. Ob dies aktenkundig gemacht wurde, ist nicht von Bedeutung. Anhaltspunkte, dass die Heimunterbringung nicht erforderlich war oder die Geltendmachung des Anspruchs sonst treuwidrig wäre, sind nicht zu sehen.
77
(dd) Andere vorgebrachte Gründe für einen Verstoß gegen den Interessenwahrungsgrundsatz sind – soweit sie nicht bereits dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit zuzuordnen sind – weder vorgetragen noch ersichtlich.
78
cc) Dass die einzelnen Kostenpositionen, die der Kläger für die Heimunterbringung der Kinder geltend macht, nicht berechtigt sind, ist weder vorgetragen noch für das Gericht ersichtlich. Auch wurden die Einnahmen des Klägers in Form des Kindergeldes in Abzug gebracht. Seitens der Elternteile bestand im Übrigen keine Kostenbeitragspflicht.
79
2. Der Kläger hat daneben sowohl dem Grunde nach als auch in der geltend gemachten Höhe den Erstattungsanspruch gegen den Beklagten für die mit Bescheid vom 06.06.2019 ab dem 13.8.2018 bewilligte Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers (§ 35a SGB VIII i.V.m. § 90 Abs. 1, 4, § 112 SGB IX). Dieser folgt entweder aus den §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII, jedenfalls aber aus § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X.
80
a) Für einen Anspruch aus §§ 89c Abs. 1 S. 1, 86c Abs. 1 S. 1 SGB VIII ist – da die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen – allein zweifelhaft, ob in der Bewilligung einer Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers eine Fortsetzung der bisherigen Leistung oder eine qualitativ bedeutsame Änderung des Bedarfs anzunehmen ist (vgl. zum weiten zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff BVerwG, U.v. 23.10.2018 – 5 C 15/17 – juris Rn. 16, 20; hierzu Lange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. Stand: 19.08.2024, § 86 Rn. 67). Für das Letztere spricht, dass die Hilfe aufgrund einer seelischen Beeinträchtigung des Kindes bewilligt wurde, die zu einer erwartenden Beeinträchtigung bzw. einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führt (Bl. 100 der Beiakte I), die der Heimunterbringung nicht zugrunde lag. Letztlich kann dies aber dahinstehen.
81
b) Der Anspruch des Klägers ergibt sich jedenfalls aus § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X, wenn keine einheitliche Leistung anzunehmen ist.
82
aa) § 16 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX führt zu keinem vollständigen Ausschluss der §§ 102 ff. SGB IX (vgl. Joussen in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl. 2022, § 16 Rn. 9; Jabben/Krohne in: Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Westphal/Krohne, SGB IX, 15. Aufl. 2024, § 16 Rn. 2; Kellner in: BeckOK SozR, 73. Ed. 1.6.2024, § 16 SGB IX Rn. 3; Götze in: Hauck/Noftz SGB IX, 3. EL 2024, § 16 Rn. 31 ff.; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl. Stand: 1.10.2023, § 16 Rn. 37 m.w.N.). § 104 SGB X kann daneben Anwendung finden (BayVGH, U.v. 7.10.2013 – 12 B 11.1886 – juris Rn. 21 ff.; LSG BW, U.v. 18.4.2024 – L 7 SO 1581/22 – juris Rn. 30).
83
bb) Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen vor. Hat hiernach ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, so ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
84
(a) Der Kläger hat auch – mit Ausnahme der örtlichen Zuständigkeit – rechtmäßig Sozialleistungen in Form der Eingliederungshilfe erbracht, §§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. §§ 90 Abs. 1, 4, 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 SGB IX (bzw. i.V.m. der bis zum 31.12.2019 geltenden Vorgängervorschrift in § 53 SGB VII a.F.). Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger dargelegt, dass der Bedarf des Kindes seitens der Schule, dem Integrationsamt und dem Kläger vor Bewilligung geprüft wurde. Ausweislich der Behördenakte gab es Stellungnahmen bzw. Gutachten (Bl. 97 der Beiakte I), die eine Abweichung der seelischen Gesundheit und damit Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft attestierten, die der Kläger der Bewilligung der Leistung zugrunde gelegt hat (Bl. 100 der Beiakte I). An der Kongruenz der Leistungen besteht auch kein Zweifel (hierzu Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 24.11.2023, § 104 Rn. 30 ff.). Die Ausnahme nach § 104 Abs. 1 S. 1 a.E. SGB X ist nicht gegeben. Die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X liegen auch nicht vor.
85
(b) Der Kläger war auch nachrangig verpflichtet. Nachrangig verpflichtet ist nach § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. § 14 SGB IX schafft hierbei nach der Rechtsprechung des BSG, der sich die Kammer anschließt, ein entsprechendes Vor- und Nachrang-Verhältnis des zuständigen zum unzuständigen Leistungsträger, unabhängig davon, ob nach sonstigen sozialrechtlichen Vorschriften ein solches anzunehmen ist (BSG, U.v. 1.3.2018 – B 8 SO 22/16 R – juris Rn. 14; U.v. 27.2.2019 – B 8 SO 10/17 R – juris Rn. 14; U.v. 4.4.2019 – B 8 SO 11/17 juris Rn. 12; vgl. LSG BW, U.v. 22.2.2024 – L 7 SO 87/23 juris Rn. 47; U.v. 18.4.2024 – L 7 SO 1581/22 juris Rn. 31, 34; Kater in: BeckOGK, 15.11.2023, § 104 SGB X Rn. 28; DIJuF-Rechtsgutachten TG-1259 Rn. 21). So liegt der Fall hier, denn der erstangegangene Kläger wurde aufgrund von § 14 Abs. 2 SGB IX im Außenverhältnis zuständiger (erstangegangener) Rehabilitationsträger, nachdem dieser keine Mitteilung nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX erstattete. Dieser war jedoch abseits der Wirkung des § 14 SGB IX an sich nicht örtlich zuständig, sondern der Beklagte (s.o.).
86
(c) Eine zielgerichtete Zuständigkeitsanmaßung des Klägers, die einen Anspruch aus § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X ausschließen würde, ist nach Überzeugung der Kammer nicht anzunehmen (vgl. BSG, U.v. 27.2.2019 – B 8 SO 10/17 R – juris Rn. 15; U.v. 26.6.2007 – B 1 KR 34/06 R – juris Rn. 25; VG München, U.v. 17.4.2024 – M 18 K 19.1530 – juris Rn. 63). Voraussetzung wäre für einen solchen Ausschluss, dass der Kläger zunächst seine Zuständigkeit geprüft und verneint hat, danach aber gleichwohl leistet (BSG, U.v. 26.6.2007 – B 1 KR 34/06 R – juris Rn. 25). Hat der Träger dagegen die Zuständigkeit geprüft und bejaht, muss er im Nachhinein zu einer Korrektur im Rahmen der Erstattung befugt sein (BSG, U.v. 26.6.2007 – B 1 KR 34/06 R – juris Rn. 26). Wie oben zum Erstattungsanspruch für die Heimunterbringung ausführlich dargelegt, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zielgerichtet in die Kompetenzen des Beklagten eingegriffen hat. Vielmehr liegen die Umstände nahe, dass der Kläger zwar Umstandskenntnis von den Tatsachen hatte, die eine objektiv andere Zuständigkeitsverteilung als bisher zur Folge hatte, hieraus aber im Zeitpunkt der Bewilligung und dem nachfolgenden Zeitraum nicht den rechtlichen Schluss auf seine eigene Unzuständigkeit gezogen hat. Vielmehr ging der Kläger offenbar im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins ohne formale Zuständigkeitsprüfung davon aus, zuständig gewesen zu sein (vgl. zur unterlassenen Zuständigkeitsprüfung BSG, U.v. 1.3.2018 – B 8 SO 22/16 R – juris Rn. 13; in diesem Sinne wohl auch LSG BW, U.v. 22.2.2024 – L 7 SO 87/23 – juris Rn. 47; DIJuF-Rechtsgutachten TG-1259 Rn. 21).
87
4. Die Kosten des Klägers für die Eingliederungshilfe in Form des Integrationshelfers sind auch der Höhe nach zu erstatten.
88
a) Einwendungen gegen den Kostenansatz (vgl. § 104 Abs. 3 SGB X) für die Eingliederungshilfe wurden seitens des Beklagten nicht vorgebracht und sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.
89
b) Ein Ausschluss nach § 111 SGB X ist nicht gegeben. Die Eingliederungshilfe wurde mit Bescheid des Klägers vom 16.07.2019 zunächst bis Ende des Schulhalbjahres 2020 bewilligt, aber bereits zum 31.01.2020 eingestellt. Aus den Akten des Klägers lässt sich entnehmen, dass spätestens ab März 2020 auch die Eingliederungshilfe Gegenstand des Erstattungsbegehrens des Klägers wurde, nachdem das DIJuF sich zu dieser weiteren Leistung äußern sollte (Bl. 277 ff. der Beiakte I).
90
c) Es kann dahinstehen, ob im Rahmen von § 104 SGB X der Interessenwahrungsgrundsatz Anwendung findet. Jedenfalls ist dieser auch im Rahmen der Gewährung der Eingliederungshilfe aus den bereits dargestellten Gründen nicht verletzt.
III.
91
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.