Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.11.2024 – 24 CS 24.948
Titel:

Waffenbesitzverbot und den Widerruf von Waffenbesitzkarten 

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6
WaffG § 6, § 41 Abs. 1, § 45 Abs. 2 S. 1
AWaffV § 4
BayVwVfG Art. 24, Art. 26
Leitsätze:
1. Eine Untersuchungs- und Beibringungsanordnung nach § 6 Abs. 2 WaffG muss erlassen werden, wenn der Behörde Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die persönliche Eignung im Sinne von § 6 Abs. 1 WaffG begründen. Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind (Rn. 20). Werden der Waffenbehörde einschlägige Tatsachenbehauptungen Dritter bekannt, hat sie diese nach Maßgabe der herkömmlichen Unterscheidung von Glaubhaftigkeit der Aussage (Sachdarstellung) und Glaubwürdigkeit des Dritten (Persönlichkeit) zu würdigen, um vom Vorliegen einer Tatsache ausgehen zu können (Rn. 34). Eine gegebenenfalls erforderliche weitere Aufklärung des Sachverhalts hat die Waffenbehörde nach Maßgabe des Art. 24 BayVwVfG mit den Beweismitteln nach Art. 26 BayVwVfG zu leisten (Rn. 35 ff.). (Rn. 34 – 38)
2. Hiernach bewiesene Tatsachen begründen Bedenken an der waffenrechtlichen Eignung, wenn nach lebensnaher Betrachtung Zweifel an der Eignung nicht fernliegend erscheinen. (Rn. 26)
Unterbleiben in diesen Fällen Ermittlungen nach Art. 24 BayVwVfG oder bringen sie keine Erkenntnisse, sodass Tatsachen, an die begründete Zweifel an der Eignung des Betroffenen anknüpfen könnten, rechtmäßigerweise nicht zur Überzeugung der Behörde feststehen können, steht das spezifische Aufklärungsinstrument des § 6 Abs. 2 WaffG nicht zur Verfügung. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untersuchungs- und Beibringungsanordnung wegen Bedenken gegen die persönliche Eignung i.S.v. § 6 WaffG, Inhalt der Anordnung (keine Pflicht, Fachrichtung und Qualifikation des Gutachters festzulegen), Überzeugung vom Vorliegen von Tatsachen, Ermittlungspflichten der Waffenbehörde, Glaubwürdigkeits- und Glaubhaftigkeitsprüfung bei Tatsachenbehauptungen durch, Zeugen, Waffenbesitzverbot, Waffenbesitzkarte, Widerruf, Untersuchungsanordnung, Beibringungsanordnung, persönliche Eignung, Tatsachenbehauptung, Ermittlungspflicht, Waffenbehörde, Aussage, Glaubhaftigkeit
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 13.05.2024 – M 7 S 23.3923
Fundstellen:
DVBl 2024, 1571
BayVBl 2025, 266
BayVBl 2025, 49
DÖV 2025, 130
LSK 2024, 29910
BeckRS 2024, 29910

Tenor

I. Unter Aufhebung der Nummern I und II des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Mai 2024 wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummern I.1., I.4. und I.5. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2023 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nummer I.3. angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 17.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, mit der er sich insbesondere gegen ein Waffenbesitzverbot und den Widerruf seiner Waffenbesitzkarten wendet.
2
Der Antragsteller ist Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse in Form mehrerer Waffenbesitzkarten und eines Jagdscheins. Mit Bescheid vom 20. Juli 2023 untersagte die Landeshauptstadt München (im Folgenden: Antragsgegnerin) dem Antragsteller auf Dauer, erlaubnisfreie Waffen und Munition zu erwerben oder zu besitzen (Nr. I.1.), versagte die beantragte Verlängerung des Jagdscheins (Nr. I.2.), widerrief die Waffenbesitzkarten und den Kleinen Waffenschein (Nr. I.3.), gab ihm insbesondere auf, die in seinem Besitz befindlichen Waffenteile innerhalb einer festgesetzten Frist an einen Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen (Nr. I.4.) und den Kleinen Waffenschein abzugeben (Nr. I.5.). Die Nummern I.1., I.4. und I.5. wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. I.6.) und ein Zwangsgeld angedroht (Nr. I.7.).
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Der Bescheid wurde damit begründet, dass dem Antragsteller die erforderliche persönliche Eignung fehle. Auf das Fehlen der Eignung des Antragstellers dürfe geschlossen werden, weil er die ihm zuvor mit Schreiben vom 8. Mai 2023 aufgegebene Verpflichtung, sich einer Untersuchung zu unterziehen und ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Gutachten über seine geistige oder körperliche Eignung beizubringen, nicht befolgt habe. Anlass für die Auferlegung dieser Verpflichtung war für die Antragsgegnerin eine tätliche Auseinandersetzung des Antragstellers mit seinem ehemaligen Rechtsanwalt, belastende Aussagen dieses Rechtsanwalts sowie der früheren Lebensgefährtin und eines früheren Mitarbeiters des Antragstellers, die ihm im Wesentlichen Drogenkonsum, Amok- und Gewaltphantasien und illegalen Besitz eines Sturmgewehrs vorwerfen sowie Charakterdefizite bescheinigten („Narzisst“, „Soziopath“).
4
Der Antragsteller hat am 3. August 2023 Klage gegen den Bescheid vom 20. Juli 2023 erhoben (M 7 K 23.3871) und stellte am 7. August 2023 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Die Antragsgegnerin habe nicht auf das Fehlen seiner Eignung schließen dürfen, obwohl er es unterlassen habe, ein entsprechendes Gutachten vorzulegen. Denn die Aufforderung zur Vorlage vom 8. Mai 2023 sei formell und materiell rechtswidrig.
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Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 13. Mai 2024 abgelehnt, da die Verpflichtung zur Vorlage eines Gutachtens voraussichtlich rechtmäßig gewesen sei. Ausgehend von den im Raum stehenden Tatsachen könne in ihrer Gesamtheit nicht mit der im Waffenrecht erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche persönliche Eignung nicht besitze.
6
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Mai 2024 abzuändern, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20. Juli 2023 hinsichtlich der Nummern I.1., I.4. und I.5. des Bescheides wiederherzustellen und bezüglich Nummer I.3. des Bescheides anzuordnen.
8
Zur Begründung trägt er insbesondere vor, dass anders als das Verwaltungsgericht meine, die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Untersuchungs- und Beibringungsanordnung die Fachrichtung des Gutachters – wie im Fahrerlaubnisrecht – festzulegen habe.
Andernfalls bestehe das Risiko, dass ein angefertigtes Gutachten von der Antragsgegnerin nicht akzeptiert werde und somit eine vermeidbare Mehrfachbegutachtung notwendig werde, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers in verfassungsrechtlicher Hinsicht verletze. Außerdem läge es im Interesse der öffentlichen Sicherheit, eine zielgerichtete Begutachtung von Probanden zu gewährleisten. Ferner sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die Fragestellung, mit welcher sich der Gutachter hätte befassen sollen, im Bescheid vom 8. Mai 2023 nicht hinreichend bestimmt; die Anordnung sei nicht aus sich heraus verständlich. In materieller Hinsicht fehlten geeignete Tatsachen, die Bedenken an der Eignung begründen könnten. Die Zeugen seien unglaubwürdig, belastbare Tatsachen, die die Anordnung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
13
A. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die geltend gemachten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, erfordern es, die angegriffene Entscheidung aufzuheben. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts bestehen durchgreifende Bedenken gegen den Widerruf der Waffenbesitzkarte in Nummer I.3. (I.) und aus den gleichen Gründen auch gegen das ausgesprochene Besitzverbot in Nummer I.1. (II.) und die übrigen waffenrechtlichen Nebenentscheidungen in den Nummern I.4. und I.5. des Bescheids vom 20. Juli 2023 (III.). Infolgedessen überwiegt das Vollzugsinteresse nicht das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (IV.).
14
I. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist von der Rechtswidrigkeit der Widerrufsentscheidung auszugehen. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung hängt im vorliegenden Fall maßgeblich von der Rechtmäßigkeit der Untersuchungs- und Beibringungsanordnung vom 8. Mai 2023 ab (1.). Hieran fehlt es. Zwar war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die Fachrichtung und Qualifikation des auszuwählenden Gutachters vorab festzulegen (2.). Jedoch lagen die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der Anordnung nicht vor. Es waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses entweder schon keine Tatsachen i.S.v. § 6 Abs. 2 WaffG bekannt oder die bekannten Tatsachen waren nicht geeignet, Bedenken gegen die persönliche Eignung des Antragstellers i.S.v. § 6 Abs. 1 WaffG zu begründen (3).
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1. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Einen solchen Versagungsgrund normiert § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Hiernach setzt eine waffenrechtliche Erlaubnis die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG voraus. Persönliche Eignung ist dabei der Oberbegriff für geistige und körperliche Eignung (vgl. § 6 Abs. 2 WaffG a. E.). Bestehen Bedenken gegen die persönliche Eignung ist unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 WaffG die zuständige Waffenbehörde verpflichtet, eine Untersuchungs- und Beibringungsanordnung zu erlassen. Lässt sich der Betroffene nicht untersuchen oder legt er ein entsprechendes Gutachten nicht vor, darf sie im Rahmen des Widerrufsverfahrens auf den Wegfall der Eignung schließen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 WaffG und § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV). Die Möglichkeit einer solchen Schlussfolgerung und einer hierauf gestützten Widerrufsentscheidung setzt allerdings die inzident zu überprüfende formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Untersuchungs- und Beibringungsanordnung voraus (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211 – juris Rn. 22).
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2. Mit seiner Rüge, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, in einer Untersuchungs- und Beibringungsanordnung die Fachrichtung und Qualifikation des auszuwählenden Gutachters vorab festzulegen, dringt der Antragsteller nicht durch. Eine mit § 11 Abs. 2 Satz 3 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl I Nr. 56), vergleichbare Vorschrift kennt das Waffenrecht nicht. Der Gesetzgeber hat die einschlägigen Vorgaben in beiden Rechtsmaterien unterschiedlich detailliert ausgestaltet.
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Hiergegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere ist der Normgeber nicht aus Gleichheitsgründen verpflichtet, in beiden Rechtsgebieten das Eignungsverfahren identisch auszugestalten. Gerade die Festlegung des Verfahrens obliegt in weitem Umfang seiner Ausgestaltung. Auch eine analoge Anwendung der fahrerlaubnisrechtlichen Vorschriften scheidet aus. Weder ist eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen noch von der Vergleichbarkeit der Materien auszugehen. Die einschlägigen Vorgaben des § 11 FeV wurden zwar bereits im Jahr 1998 (vgl. BGBl I S. 2214; s.a. BR-Drs. 443/98, S. 255 f.) und damit vor Inkrafttreten des § 4 AWaffV am 1. Dezember 2003 (vgl. § 36 der Allgemeine Waffengesetz-Verordnung vom 27.10.2003, BGBl I S. 2123) eingeführt. Das alleine genügt aber nicht, anzunehmen, der Gesetzgeber habe versehentlich und unbeabsichtigt eine gleichartige Ausgestaltung des Vorgehens bei Eignungsbedenken unterlassen. Vielmehr hat der Normgeber ausdrücklich und bewusst die Absicht verfolgt, „das Verfahren betreffend die Feststellung der persönlichen Eignung möglichst einfach und kostengünstig“ (BRDrs. 415/03, S. 38) zu gestalten, mithin auch der Waffenbehörde weniger Vorgaben zu machen. Ungeachtet dessen ist die differenzierte Regelungsdichte auch nachvollziehbar. Die Möglichkeiten gesundheitlicher Beeinträchtigungen, die im Fahrerlaubnisrecht die Eignung der Betroffenen in Frage stellen können, sind zahl- und variantenreicher als im Waffenrecht (vgl. VG Stuttgart, U.v. 28.8.2020 – 5 K 8253/19 – juris Rn. 54; zu den unterschiedlichen Zwecksetzungen der beiden Rechtsgebiete vgl. auch BayVGH, B.v. 5.1.2018 – 21 CS 17.1521 – juris Rn. 14). Es ist deshalb sachgerecht, im Fahrerlaubnisrecht dem Entstehen von Unklarheiten und damit verbundener Risiken von Mehrfachbegutachtungen durch spezifischere behördliche Vorgaben hinsichtlich des Gutachters vorzubeugen. Dieses Risiko ist für Waffenerlaubnisinhaber ungleich niedriger, zumal die Behörde auch nach Erlass ihrer Anordnung verpflichtet ist, gegebenenfalls bestehende Unklarheiten auf Nachfrage des Gutachters zu beseitigen, die er etwa nach einer Akteneinsicht gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 AWaffV erkennt.
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3. Erfolg hat der Antragsteller hingegen mit seiner Rüge, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Untersuchungs- und Beibringungsanordnung nicht vorlagen, weil der Waffenbehörde keine Tatsachen bekannt waren, die Bedenken gegen seine persönliche Eignung begründen konnten (a). Die Rechtswidrigkeit der Anordnung ist nicht heilbar (b), sodass auch der auf die Nichtvorlage eines solchen Gutachtens gestützte Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse rechtswidrig ist; andere Tatsachen, die einen Widerruf aus anderen Gründen rechtfertigen können, sind nicht erkennbar (c).
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a) Nach § 6 Abs. 2 WaffG hat die zuständige Waffenbehörde der betroffenen Person die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung aufzugeben, wenn Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die persönliche Eignung begründen. § 6 Abs. 2 WaffG unterscheidet seiner Struktur nach zwei Ebenen. Er setzt zunächst das Bekanntsein von Tatsachen voraus und lässt sodann hierauf gestützte Bedenken an der waffenrechtlichen Eignung genügen, um eine Untersuchungs- und Beibringungsanordnung zu erlassen. Vorliegend sind als Tatsachen die tätliche Auseinandersetzung des Antragstellers mit seinem früheren Rechtsanwalt, die polizeiliche Durchsuchung seiner Wohnung und seine vorläufige Unterbringung ausreichend nachgewiesen und deshalb bekannt (aa). Allerdings tragen diese Tatsachen die Annahme von Eignungsbedenken nicht (bb). Andere Tatsachen, an die Eignungsbedenken anknüpfen könnten, sind nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen (cc).
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aa) Tatsachen sind nach allgemeiner Ansicht Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. In praktischer Hinsicht sind Tatsachen insbesondere von Gerüchten, Vermutungen oder vagen Anhaltspunkten abzugrenzen (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 14 a.E.). Bekannt i.S.v. § 6 Abs. 2 WaffG sind Tatsachen erst, wenn die Waffenbehörde (und im Fall der Kontrolle auch das Verwaltungsgericht) von ihrem Vorliegen überzeugt sind bzw. sein dürfen. Mangels bestehender Spezialregelungen ist im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren im Allgemeinen, und somit auch hier, das Beweismaß der Überzeugung maßgeblich. Hierfür ist weder absolute Gewissheit erforderlich (vgl. Schneider in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: November 2023, § 24 VwVfG Rn. 113 f.; Ramsauer/Schlatmann in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 25. Aufl. 2024, § 24 Rn. 33) noch die für eine gedachte strafrechtliche Verurteilung notwendige Überzeugungsgewissheit. Notwendig ist aber, dass die Umstände so erhärtet sind, dass an ihnen vernünftigerweise kein Zweifel besteht (vgl. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – Rn. 8 zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG).
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Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber vorliegend eine Reduktion dieses Beweismaßes – etwa dahingehend, dass nur ein untergeordneter Grad an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen genügen würde – vorgesehen hat. § 6 Abs. 2 WaffG ist ausweislich seines Wortlauts keine generalklauselartige Befugnis zur Aufklärung waffenrechtlicher Sachverhalte, die immer und solange anwendbar ist, bis ausgeschlossen werden kann, dass die Eignung eines Antragstellers oder Erlaubnisinhabers fehlt. Das verkennen die Antragsgegnerin (vgl. Bescheid v. 20.7.2024, S. 9) und das Verwaltungsgericht (vgl. Rn. 42) gleichermaßen. Vielmehr stellt § 6 Abs. 2 WaffG der Waffenbehörde nur ein spezifisches Aufklärungsinstrument zur Verfügung, das die herkömmlichen Amtsermittlungspflichten der Behörde dort modifiziert, wo diese deshalb an Grenzen stoßen, weil eine spezifische Mitwirkung des Betroffenen – durch die Bereitschaft, sich ärztlich oder psychologisch untersuchen zu lassen – unausweichlich ist. Weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die herkömmliche Verteilung der Beweislast neu gestalten oder die allgemeinen Grundsätze der behördlichen Amtsermittlung ändern wollte. Vielmehr erwähnt er im Zusammenhang mit der Einführung des § 6 Abs. 2 WaffG durch das Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970) gerade die Mitwirkungsobliegenheit des § 26 Abs. 2 Satz 1 VwVfG und verortet § 6 Abs. 2 WaffG damit im Kontext der behördlichen Ermittlungspflichten (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 56; das zunächst vorgesehene Ermessen der Behörde wurde allerdings im Rahmen des Vermittlungsverfahrens zugunsten einer gebundenen Entscheidung gestrichen, vgl. BR-Drs. 524/02, S. 5).
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Darüber hinaus trägt das Erfordernis des tatsachengestützten Überzeugungsmaßstabs der grundrechtlichen Wirkung Rechnung, die mit einer Anordnung nach § 6 Abs. 2 WaffG verbunden ist. Gerade die Anordnung einer psychologischen Untersuchung stellt (noch mehr als die Aufklärung körperlicher Gebrechen durch einen Arzt) einen nicht unerheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG dar, der nicht deshalb unbeachtlich ist, weil es dem Betroffenen mangels Vollstreckungsdruck freisteht, eine Untersuchung abzulehnen (vgl. für das Dienstrecht BVerfG, B.v. 21.10.2020 – 2 BvR 652/20 – juris Rn. 32; für das Fahrerlaubnisrecht BayVGH, B.v. 25.4.2016 – 11 CS 16.227 – juris Rn. 14).
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Auch der unstreitige Zweck des Waffengesetzes, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko nur bei Personen hinzunehmen, die ein entsprechendes Vertrauen verdienen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 16 m.w.N.), rechtfertigt keine Unterschreitung des Überzeugungsmaßstabs. Es ist methodisch unzulässig mit dem Ziel fortgesetzter Optimierung des Rechtsgüterschutzes im Gewand teleologischer Auslegung den Wortlaut und die Regelungssystematik des § 6 Abs. 2 WaffG zu überformen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709 – Rn. 24; s.a. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 10 a.E.).
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Im vorliegenden Fall bestehen vernünftigerweise keine Zweifel an der tätlichen Auseinandersetzung des Antragstellers mit seinem früheren Rechtsanwalt, der polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung und seiner vorläufigen Unterbringung. Es handelt sich um Tatsachen, die bekannt i.S.v. § 6 Abs. 2 WaffG sind.
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bb) Allerdings begründen diese Tatsachen keine Bedenken gegen die persönliche Eignung i.S.v.§ 6 Abs. 2 WaffG.
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(1) Eignungsbedenken bestehen, wenn es nicht fernliegend ist oder bei lebensnaher Einschätzung sogar zu erwarten ist, dass die in § 6 Abs. 1 WaffG genannten Defizite in der Person des Antragstellers vorliegen (vgl. für das Fahrerlaubnisrecht Dronkovic in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK StVR, Stand: 15.7.2024, § 11 FeV Rn. 10; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 68). Entscheidende Bedeutung kommt hier jeweils den Umständen des jeweiligen Falles zu. Die Anforderungen dürfen jedenfalls nicht überspannt werden. Anders als § 6 Abs. 1 Satz 1 WaffG, der auf die gerechtfertigte Annahme der fehlenden Eignung abstellt, ermächtigt § 6 Abs. 2 WaffG zur Aufklärung und setzt daher wesensmäßig eine Situation der Ungewissheit und Unwissenheit voraus. Auch der von den waffenrechtlichen Vorschriften bezweckte wirksame Rechtsgüterschutz spricht dafür, keine hohen Anforderungen an die Ableitung von Bedenken zu stellen. Entsprechend können auch wenige oder nur eine einzige Tatsache genügen, um in ausreichendem Maße Eignungsbedenken begründen zu können.
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(2) Hieran gemessen begründet die durch polizeiliche Ermittlungen festgestellte tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Antragsteller und seinem früheren Rechtsanwalt keine Bedenken an der Eignung i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 3 WaffG. Ob sich der Antragsteller, wie er vorträgt, auf Notwehr nach § 32 StGB berufen kann, bedarf vorliegend keiner näheren Aufklärung. Denn ungeachtet dessen betreffen strafbare Handlungen – wie hier die vorgenommenen Körperverletzungshandlungen – ohnehin die Zuverlässigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 WaffG), nicht aber die persönliche Eignung nach § 6 Abs. 1 WaffG. Deshalb führt die für sich betrachtet zutreffende Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Einstellungen strafrechtlicher Ermittlungsverfahrens nach § 170 StPO einer waffenrechtlichen Berücksichtigung des tatsächlichen Geschehens nicht entgegenstehen (BA, Rn. 39), nicht weiter.
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Der Heranziehung einer tätlichen Auseinandersetzung als Tatsache nach § 6 Abs. 2 WaffG steht im Übrigen auch entgegen, dass andernfalls eine Umgehung der im Rahmen der Zuverlässigkeit vom Gesetz vorgesehenen Grenzen der Verwertbarkeit von Straftaten drohte. § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 WaffG setzen Verurteilungen und damit sogar nach strafgerichtlicher Überzeugung aufgeklärte Sachverhalte voraus; Handlungen, hinsichtlich derer Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, bleiben außer Betracht (vgl. hierzu auch § 5 Abs. 4 WaffG). Im Übrigen ist es auch nicht zulässig, aus der vormaligen Begehung einer Straftat ohne Weiteres auf die Annahme einer konkreten Gefahr einer Fremdgefährdung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WaffG zu schließen.
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Dass vorliegend hinsichtlich der körperlichen Auseinandersetzung des Antragstellers deshalb ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, weil die fraglichen Handlungen (zusätzlich) gewaltgewordener Ausdruck von psychischen Eignungsdefiziten i.S.v. § 6 Abs. 1 WaffG wären, ist schon dem Delikt nach eher fernliegend und auch angesichts der Art der konkreten und auch nur einmaligen Handlungsweise des Antragstellers nicht erkennbar, zumal die Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt wurden (Bl. 345, 352, 365 der Behördenakte).
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(3) Die Tatsache, dass die Wohnung des Antragstellers durchsucht worden ist, ist ebenfalls nicht geeignet, Eignungsbedenken zu begründen. Die richterlich angeordnete Maßnahme an sich genügt entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts (vgl. BA Rn. 37, 40) von vorherein nicht. Maßgebend können allein diejenigen Tatsachen sein, die das Amtsgericht zur Anordnung der Durchsuchung veranlasst haben, oder solche Tatsachen, die durch die Durchsuchung hervorgebracht wurden.
31
Vorliegend waren Anlass der Durchsuchung die Belastungsaussagen der früheren Lebensgefährtin und eines weiteren Zeugen, denen zufolge der Antragsteller ein illegales Sturmgewehr vergraben und in der Vergangenheit einen Geschäftspartner mit der Waffe bedroht habe. Abgesehen davon, dass diese Aussagen wohl inhaltlich ebenfalls eher Zuverlässigkeits- als Eignungsbezug haben dürften und – wie alle vorliegenden Aussagen – durchgreifenden Glaubhaftigkeits- und Glaubwürdigkeitsbedenken begegnen (vgl. hierzu Rn. 40 ff.), steht einer Heranziehung nach § 6 Abs. 2 WaffG entgegen, dass die Durchsuchung keinerlei Erkenntnisse ergeben hat, die entweder den Durchsuchungsanlass bestätigen oder sich als andere eignungsrelevante Tatsachen darstellen. Auch die Auswertung eines Smartphones und eines Computers des Antragstellers haben keine eignungsrelevanten Tatsachen hervorgebracht (vgl. den Durchsuchungsbericht vom 16.11.2022, Bl. 303 der Behördenakte).
32
(4) Schließlich kann auch die vorläufige Unterbringung des Antragstellers durch die Polizei nach Art. 12 BayPsychKHG aufgrund von Selbst- und Fremdgefährdung (Bl. 246 der Behördenakte) nicht als geeignete Tatsache herangezogen werden. Der schlichte Umstand eines Aufenthalts in einer entsprechenden Einrichtung, auch wenn er angeordnet war, genügt für sich genommen nicht. Es kommt insoweit – wie auch bei der Durchsuchung (vgl. Rn. 30 f.) – auf den Anlass und die sonstigen Umstände des konkreten Aufenthalts im jeweiligen Fall an. Es sind deshalb im Rahmen des Möglichen Anlass der Unterbringung, (Un-)Freiwilligkeit der Unterbringung, Dauer der Unterbringung und gegebenenfalls hierbei gewonnene ärztliche Erkenntnisse aufzuklären. Hieran fehlt es. Dem einschlägigen polizeilichen Vermerk (Bl. 246 ff. der Behördenakte) lassen sich keine nachvollziehbar belastbaren Erkenntnisse entnehmen, die es rechtfertigen würden, von erstens überhaupt und zweitens von einer konkreten Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WaffG auszugehen.
33
cc) Andere Tatsachen, an die Eignungsbedenken anknüpfen könnten, sind nicht in ausreichendem Maße nachgewiesen. Die Antragsgegnerin durfte von dem Vorliegen der durch Zeugen vorgetragenen Tatsachen nicht mit der gebotenen Überzeugung ausgehen. Der Antragsteller rügt deshalb zu Recht, dass die bestrittenen Vorwürfe den Erlass einer Anordnung nach § 6 Abs. 2 WaffG nicht rechtfertigen.
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(1) Werden der Behörde Aussagen Dritter bekannt, die über Verhaltensweisen des Erlaubnisinhabers berichten, aus denen sich Eignungsbedenken ableiten ließen, hat sie diese nach Maßgabe der herkömmlichen Unterscheidung von Glaubhaftigkeit der Aussage (Sachdarstellung) und Glaubwürdigkeit des Dritten (Persönlichkeit) zu würdigen (vgl. allgemein BGH, U.v. 3.6.2014 – VI ZR 394/13 – juris Rn. 16; BGH, U.v. 13.3.1991 – IV ZR 74/90 – juris Rn. 12). Denn eine belastende Aussage bildet für sich genommen keine Tatsache i.S.v. § 6 Abs. 2 WaffG. Fest steht durch eine Aussage zunächst nur, dass der Dritte eine bestimmte Behauptung aufgestellt hat und gegebenenfalls selbst deren Wahrheit annimmt, aber nicht, dass die Behauptung auch der Wahrheit entspricht. Ein Dritter ist daher allenfalls Zeuge und damit Beweismittel für eine von ihm behauptete Tatsache, aber nicht die Tatsache selbst. Ob er „gleichsam als Bürge für die von ihm behaupteten Tatsachengrundlagen“ (Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241/2244) fungieren kann – und damit eine Tatsache i.S.v. § 6 Abs. 2 WaffG bekannt wird –, kann erst Ergebnis der Würdigung des Aussagehalts und der Person sein.
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(2) Häufig wird schon die Würdigung der Glaubhaftigkeit einer Aussage und die Glaubwürdigkeit eines Zeugen eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erfordern, jedenfalls ist diese geboten, wenn nach der Würdigung noch Ungewissheiten über die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung verbleiben. Die Aufklärung erfolgt nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BayVwVfG. Hiernach hat die Waffenbehörde den Sachverhalt zu ermitteln und dabei alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Als Aufklärungsmittel stehen der Waffenbehörde insbesondere die in Art. 26 Abs. 1 BayVwVfG genannten Beweismittel zur Verfügung (vgl. auch Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG). Über Art, Umfang und Intensität der notwendigen Amtsermittlung entscheiden die Umstände des Einzelfalles (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 13 ff., 17; VG Ansbach, U.v. 3.8.2021 – AN 16 K 21.00671 – juris Rn. 19). Eine Rangordnung zwischen verschiedenen Beweismitteln besteht regelmäßig nicht (vgl. Engel/Pfau in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 26 Rn. 1).
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Namentlich kann die Waffenbehörde gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1, 3 BayVwVfG Auskünfte jeder Art einholen sowie Urkunden und Akten beiziehen (vgl. zum Beweiswert polizeilicher Einsatzberichte als öffentliche Urkunden OVG RhPf, B.v. 26.7.2022 – 7 B 10522/22 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 11.3.2004 – 11 LA 380/03 – juris Rn. 4 ff.). Die bei Betroffenheit von personenbezogenen Daten nach dem sog. Doppeltürmodell (BVerfG, B.v. 24.1.2012 – 1 BvR 1299/05 – juris Rn. 123; BayObLG, B.v. 1.7.2024 – 203 VAs 236/24 – juris Rn. 11) notwendigen Befugnisse ergeben sich für die Waffenbehörde aus § 43 Abs. 2 WaffG und für die aktenabgebende oder auskunftserteilende Stelle in weitreichender Hinsicht aus den einschlägigen Fachgesetzen (vgl. für die bayerische Polizei Art. 56 PAG, für die Staatsanwaltschaft § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. §§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b EGGVG oder – in seltenen Fällen – für Unterbringungseinrichtungen die Art. 31 BayPsychKHG i.V.m. Art. 34 BayMRVG (Einleitungssatz) i.V.m. Art. 197 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayStVollzG).
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Ferner ist es der Waffenbehörde nach Art. 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BayVwVfG gestattet, Beteiligte anzuhören, Zeugen zu vernehmen oder deren schriftliche oder elektronische Äußerungen einzuholen. Dass ihr im Weigerungsfall die Möglichkeiten fehlen, solche Personen zum Erscheinen oder zu einer Aussage zu verpflichten, ist mit Blick auf § 4 Abs. 5 WaffG für den Antragsteller schon nicht zutreffend. § 4 Abs. 5 WaffG ist ausweislich der Gesetzesbegründung gerade dazu geschaffen worden, dass die Waffenbehörde ihrer Pflicht „zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung“ bei im Raum stehenden Zweifeln an der persönlichen Eignung „besser nachkommen“ kann (BT-Drs. 19/15875, S. 36). Soweit solche Möglichkeiten gegenüber Dritten nicht bestehen (vgl. Art. 26 Abs. 3 BayVwVfG), ist das entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin (vgl. Bescheid v. 20.7.2023, S. 8) keine Rechtfertigung dafür, den Versuch ihrer Vernehmung oder Einholung einer Äußerung auf freiwilliger Basis von vornherein zu unterlassen.
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Vor diesem Hintergrund wird die Waffenbehörde insbesondere bei Vortrag von dürftigen, lückenhaften oder einseitigen Behauptungen („Belastungseifer“) häufig weitere Umstände ermitteln müssen, um die gebotene Würdigung der Aussagengehalte und der aussagenden Personen sachgerecht erbringen zu können. Gleiches gilt, wenn sich Aussagen im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen als haltlos oder zumindest im Ergebnis unzutreffend erwiesen haben (vgl. für die Prüfung eines Anfangsverdachts i.S.v. § 152 StPO Diemer in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl. 2023, § 152 Rn. 7).
39
(3) Unterbleiben in diesen Fällen solche Ermittlungen oder bringen sie keine Erkenntnisse, sodass Tatsachen, an die begründete Zweifel an der Eignung des Betroffenen anknüpfen könnten, rechtmäßigerweise nicht zur Überzeugung der Behörde feststehen können, steht das spezifische Aufklärungsinstrument des § 6 Abs. 2 WaffG nicht zur Verfügung. Die fehlende Möglichkeit der Überzeugungsbildung geht nicht zu Lasten der Betroffenen. Die Antragsgegnerin geht daher fehl, wenn sie – wie (erst) im Widerrufsbescheid dokumentiert – meint, es sei für den Erlass der Anordnung unschädlich, dass sich die Aussagen dreier Zeugen hinsichtlich der dem Antragsteller vorgeworfenen Straftaten als nicht belastbar gezeigt hätten und es nicht auszuschließen sei, dass weitere Aussagen von Belastungseifer geprägt gewesen seien, weil eben auch das Gegenteil nicht auszuschließen sei und im Waffenrecht keine Restzweifel hinzunehmen seien (Bescheid v. 20.7.2023, S. 9).
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(4) Im vorliegenden Fall drängen sich nach Aktenlage Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen und Glaubhaftigkeit der Aussagen auf. Eine weitere Aufklärung und „Verdichtung“ der Tatsachenbehauptungen hat die Waffenbehörde nicht durch andere Mittel der Amtsaufklärung vorgenommen; vermutlich wäre eine weitere Aufklärung angesichts der schon erfolglosen polizeilichen Aufklärungsmaßnahmen auch nicht gelungen. Deshalb verbleibende Überzeugungslücken können nicht durch eine konturenarme Gesamtbetrachtung von Tatsachen, Verdachtsmomenten und subjektiven Zuschreibungen ersetzt werden, auch wenn diese vorliegend eine Dichte aufweisen, die fraglos eine Waffenbehörde zur Amtsermittlung nach Art. 24, 26 BayVwVfG veranlassen dürfen.
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Angesichts der bereits von der Antragsgegnerin selbst erkannten (vgl. Bescheid v. 20.7.2023, S. 9), aber rechtlich unzutreffend eingeordneten Glaubwürdigkeitsbedenken beschränkt sich der Senat hinsichtlich der im Raum stehenden Behauptungen auf folgende Bemerkungen:
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[a] Zu Recht rügt der Antragsteller, dass die Behörde den von seiner früheren Lebensgefährtin gegenüber der Polizei erhobenen Vorwurf, er sei ein Soziopath, nicht als Tatsache zugrunde hätte legen dürfen. Der ersichtlich laienhaft verwendete Begriff bringt keine Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung im Sinne einer anerkannten Krankheitsklassifikation und damit auch keine Tatsache, sondern lediglich eine Bewertung von erheblicher subjektiver Prägung zum Ausdruck. Das gleiche gilt für die von der Behörde erwähnte Aussage, der Antragsteller sei nach Angaben Dritter Narzisst.
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[b] Zweifel an den Tatsachenbehauptungen der ehemaligen Lebensgefährtin, die diese bei der Polizei zur Anzeige gebracht hatte und die inhaltlich insbesondere Drogenkonsum, krankhafte Gewaltphantasien, Suizidabsichten und den Vorwurf häuslicher Gewalt betrafen (vgl. die beiden Anzeigen v. 8.11.2022 (Bl. 269 ff. der Behördenakte) und Anzeige vom 19.11.2022 (Bl. 248 der Behördenakte)), drängen sich schon deshalb auf, weil sie ausweislich des Ermittlungsberichts der Polizei „enormen Belastungseifer“ gezeigt habe (vgl. S. 327 der Behördenakte). Dass ihre Aussagen nicht ohne Weiteres glaubhaft sind, sondern Anlass für eine weitere Aufklärung zur Ermittlung von Tatsachen bieten, verdeutlicht auch der Umstand, dass sie am 17. November 2022 bei der Polizei mit einem Ofenkäse, den sie am Tag zuvor von dem Antragsteller bekommen habe, erschien und diesen zur Untersuchung auf Drogen übergeben wollte (Bl. 325 der Behördenakte). Gleichzeitig ist mit dem erst kürzlichen Ende der langjährigen Beziehung und einem sich anbahnenden Sorgerechtsstreit um die gemeinsame Tochter ein denkbares Motiv für eine falsche oder jedenfalls stark einseitige Aussage erkennbar. Insoweit darf auch der Umstand nicht ausgeblendet werden, dass einerseits der gegen den Antragsteller gerichtete Antrag der früheren Lebensgefährtin auf Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz im Ergebnis keinen Erfolg hatte (vgl. AG München, B.v. 15.3.2023 – Az 523 F 10648/22 (Bl. 353 der Behördenakte); vgl. auch den Hinweisbeschluss des OLG München v. 5.6.2023 – Az. 16 UF 311/23 e (Bl. 396 der Behördenakte)), gleichzeitig aber die nunmehrige Lebensgefährtin des Antragstellers gegen die frühere Lebensgefährtin einen entsprechenden Antrag erwirken konnte (vgl. Amtsgericht München, B.v. 16.5.2023 – 561 F 4944/23, Bl. 393 der Behördenakte).
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[c] Schließlich haben sich die trotz der von der Polizei ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen – Zeugenbefragungen, Wohnungsdurchsuchung, Verkehrsdatenerhebung und die technische Auswertung von beschlagnahmten Geräten (vgl. hierzu den polizeilichen Vermerk Bl. 323) – keine Bestätigungen der Aussagen der Zeugin ergeben. Auch das erschwert eine Überzeugungsbildung vom Vorliegen entsprechender Tatsachen.
Ferner blieben nicht nur polizeiliche Bestätigungen der Tatsachenbehauptungen aus, sondern hat auch der Zeuge, der nach Aussage der früheren Lebensgefährtin (als Zeugin vom Hörensagen) und eines anderen Zeugen (als Beobachter) vom Antragsteller mit einer Schusswaffe bedroht worden sein soll, die berichtete Bedrohung bestritten (vgl. Vernehmung vom 30.11.2022, Bl. 333 ff. der Behördenakte). Die wegen Körperverletzung eingeleiteten Strafverfahren wurden nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt (Bl. 345, 352, 365 der Behördenakte).
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b) Das teilweise Fehlen einschlägiger Tatsachen sowie das Fehlen von berechtigten Bedenken im Übrigen führen zur Rechtswidrigkeit der Anordnung. Zwar bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, weitere Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung zu ergreifen. Sollten weitere Aufklärungsmaßnahmen einschlägige Tatsachen bekannt machen, die Eignungsbedenken begründen, so kann die Antragsgegnerin dies zum Anlass für eine neue Anordnung nehmen, die bestehende Rechtswidrigkeit der Anordnung allerdings nicht heilen (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 17). Wäre die Antragsgegnerin befugt, den Sachverhalt nachträglich auf Basis neu gewonnener Erkenntnisse zu ergänzen, auszutauschen (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 15) oder auch nur die Überzeugungsbildung nachträglich zu vertiefen, würde der Zweck der formellen Anforderungen an eine Anordnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Var. 3 AWaffV und ihr Zweck entkernt, dem Antragsteller die Möglichkeit zu geben, sich ab der Bekanntgabe der Anordnung ein Urteil darüber zu bilden, ob das behördliche Verlangen rechtmäßig ist oder ob er die Untersuchung und Beibringung verweigern darf, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die waffenrechtliche Erlaubnis unter Berufung auf § 45 Abs. 4 WaffG und § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV entzogen wird (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 10; VG Bayreuth, B.v. 15.7.2020 – B 1 S 20.528 – Rn. 29; für das Fahrerlaubnisrecht vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2023 – 11 CS 23.907 – juris Rn. 23 m.w.N.).
46
c) Erweisen sich nach alledem die dem Antragsteller in den Gutachtensanforderungen mitgeteilten Umstände nicht als geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, dass ihm die persönliche Eignung fehlt, durfte die Antragsgegnerin bei der Widerrufsentscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG aus der verweigerten Untersuchung nicht nach § 45 Abs. 4 WaffG und § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV auf die fehlende Eignung des Antragstellers schließen. Da auch keine anderen Tatsachen ersichtlich sind, auf die der Widerrufsbescheid gestützt werden könnte, ist er rechtswidrig.
II.
47
Das Waffenbesitzverbot in Nummer 1 des Bescheids vom 20. Juli 2023 ist ebenfalls rechtswidrig. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, weil das Verbot einen Dauerverwaltungsakt darstellt. Maßgebliche Rechtsgrundlage ist daher insoweit § 41 WaffG in der Fassung, die er zum 31. Oktober 2024 durch das Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems vom 25. Oktober 2024 erhalten hat (BGBl I 2024 Nr. 332). Sind vorliegend keine Tatschen bekannt, die Eignungsbedenken begründen, scheidet auch der Erlass eines hierauf gestützten Waffenbesitzverbots nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 WaffG aus. Andere Gründe, die den Bescheid rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere ist nicht erkennbar, dass vom Antragsteller eine Gefahr i.S.v. § 41 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ausgeht. Es kann daher offen bleiben, ob sich die Rechtswidrigkeit des Waffenbesitzverbots auch aus dem Fehlen einer Befristung oder jedenfalls einer hierfür erforderlichen Ermessenserwägung ergeben kann.
III.
48
Vor diesem Hintergrund erweisen sich schließlich auch die übrigen angegriffenen waffenrechtlichen Nebenentscheidungen als rechtswidrig.
IV.
49
Mit Blick auf die offenkundige Rechtswidrigkeit des Bescheids kommt es nicht in Betracht, die Beschwerde zurückzuweisen und das Vollzugsinteresse höher zu gewichten als das Suspensivinteresse, obwohl sich der Gesetzgeber in § 45 Abs. 5 WaffG für einen gesetzlichen Sofortvollzug entschieden und der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er in besonderer Weise auf seine waffenrechtliche Erlaubnis angewiesen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709 – juris Rn. 28).
50
B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
51
C. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der in den Nummern 1.5 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 enthaltenen Empfehlungen. Er entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
52
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).