Titel:
Kein Differenzschaden wegen Vorteilsausgleichs unter fiktivem Ansatz eines marktgerechten Veräußerungserlöses
Normenketten:
BGB § 254 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Auf den Differenzschaden wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen hat sich der Käufer die ihm aus der vorgenommenen, uneingeschränkten Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Vorteile anrechnen zu lassen, wie dies auch im Rahmen der Bestimmung des kleinen Schadensersatzes nach § 826 BGB gilt. Danach hat sich der Käufer die Nutzungsvorteile und den Restwert des Fahrzeugs – unabhängig von einer Weiterveräußerung insoweit schadensmindernd anzurechnen zu lassen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem Weiterverkauf des betroffenen Fahrzeugs zu einem Kaufpreis, der nur 60% des zu erzielenden Preises beträgt, verstößt der ursprüngliche Käufer gegen seine Schadensminderungspflicht, so dass er sich im Ergebnis so behandeln lassen muss, als habe er das Fahrzeug zum Zeitwert veräußert. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Differenzschaden, nicht marktgerechte Veräußerung, Nutzungsvorteile, Vorteilsausgleich
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 02.09.2021 – 4 O 8589/20
Fundstellen:
FDStrVR 2024, 029750
BeckRS 2024, 29750
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. September 2021, Az. 4 O 8589/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 19.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
1
Die klägerische Berufung hat keinen Erfolg, da der Klagepartei kein Anspruch auf den zuletzt allein noch geltendgemachten „Differenzschaden“ zusteht, denn dieser ist bei Ansatz eines marktgerechten Veräußerungserlöses vollständig „aufgezehrt“.
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1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV den Ersatz des zuletzt alleine noch geltend gemachten sog. „Differenzschadens“ schuldet, denn ein solcher Anspruch wäre vorliegend (wie im Übrigen auch ein Anspruch auf „kleinen“ Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB) vollständig „aufgezehrt“.
3
Sowohl bei der Berechnung des „kleinen“ Schadensersatzes als auch beim „Differenzschaden“ sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) erreichen bzw. übersteigen (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 80 bei juris) und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er durch eine Weiterveräußerung realisiert worden ist (BGH, Urteil vom 27. November 2023 – VIa 159/22, Rn. 13 bei juris). Ist der „Differenzschaden“ hierdurch vollständig ausgeglichen, steht dem Erwerber kein Schadenersatz mehr zu.
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Der Senat stellt für die Ermittlung des Nutzungsvorteils auf die vom BGH gebilligte lineare Berechnungsmethode ab (vgl. hierzu OLG München, Urteil vom 21. Februar 2022 – 21 U 3704/21, Rn. 83 bei juris; BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 – VIII ZR 434/21, Rn. 19 bei juris).
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Mithin hat der Senat die Höhe des anzurechnenden Nutzungsvorteils nach folgender Formel ermittelt:
Nutzungsvorteil = [Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb) ] / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
6
Der Senat schätzt (§ 287 ZPO) die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf Grund des vorliegenden Fahrzeugtyps, im Hinblick auf Haltbarkeit, Qualität und die Größe des Motors auf 250.000 km (vgl. zur Schätzung: BGH, Urteil vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20, Rn. 11 bei juris).
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Die Klagepartei hat – dies ist unstreitig – das streitgegenständliche Fahrzeug als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 35.975,28 € und mit einer Laufleistung von 0 km erworben. Zum Zeitpunkt der Veräußerung im September 2021 wies das Fahrzeug unstreitig eine Fahrleistung von 79.800 km auf. Es ergibt sich unter Ansatz der anzunehmenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km eine anzusetzende Nutzungsentschädigung von 11.483,31 €.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) ist auch der Restwert des Fahrzeugs bei der Frage, ob dem Käufer ein „Differenzschadensersatzanspruch“ zuzuerkennen ist, in den Blick zunehmen, wenn Nutzungsentschädigung und Restwert des Fahrzeugs den Kaufpreis übersteigen.
9
Vorliegend hat die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug unstrittig für 15.000,00 € veräußert. Die Beklagte hat zu Recht eine nicht marktgerechte Veräußerung eingewandt und dabei eine etwaige Indizwirkung für eine marktgerechte Veräußerung erschüttert, da der DAT-Verkaufswert zum Weiterveräußerungszeitpunkt nach der von der Beklagten vorgelegten Gebrauchtfahrzeugbewertung 27.583,00 € betrug. Selbst bei einem Abschlag von 10%, da es sich um einen Händlerverkaufswert und nicht um einen Einkaufswert handelt, weicht der von der Klagepartei verlangte und erzielte Kaufpreis von 15.000,00 € hiervon deutlich ab, ohne dass die Klagepartei Gründe hierfür darlegt. Die Erholung des klägerseits angebotenen Sachverständigengutachtens war bei dieser Vortragslage nicht veranlasst, da dies einer Ausforschung im Hinblick auf etwaige, den geringen Kaufpreis rechtfertigende Umstände, die die Klagepartei aber nicht vorträgt, gleich käme.
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Ein Sachverständigengutachten war auch deshalb nicht geboten, weil der Senat eine Auskunft nach Schwacke zum Restwert des Fahrzeuges erholt hat. Schwacke ermöglicht entgegen der Auffassung der Klagepartei die Bewertung zu einem Stichtag. Die erholte Auskunft ergab zum Stichtag 20. September 2021 einen Zeitwert von 27.950,00 €. Selbst unter Berücksichtung des Umstandes, dass bei einem Privatverkauf dieser Wert nicht auf den Punkt erzielt werden muss, ohne gegen Schadensminderungspflichten zu verstoßen, kommt der Senat unter Ansatz eines 10%igen Abschlages zu einem zu erzielenden Preis von rund 25.000,00 €. Die Klagepartei hat mit der Veräußerung, die 10.000,00 € darunter lag und damit nur 60% des zu erzielenden Preises betrug, gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, so dass sie sich gem. § 254 Abs. 2, Satz 1, Fall 2 BGB im Ergebnis so behandeln lassen muss, als habe sie das Fahrzeug für 25.000,00 € veräußert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Oktober 2023 – VIa ZR 468/21, Rn. 14. OLG Stuttgart, Urteil vom 4. Juli 2024 – 24 U 2868/22, Rn. 143ff., bei juris).
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Für die Frage des Mitverschuldens sind die Grundsätze heranzuziehen, welche die ständige Rechtsprechung zur Restwertverwertung von Unfallfahrzeugen aufgestellt hat. Insofern ist anerkannt, dass der Geschädigte sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen hält, wenn er die Veräußerung seines Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Anders verhält es sich aber dann, wenn der Geschädigte den Restwert ohne eine solche, hinreichende Absicherung realisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu niedrig erweist; in diesem Fall ist das Risiko eines Mindererlöses vom Geschädigten zu tragen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04, Rn. 14, bei juris. Hieran anknüpfend trifft auch den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs die Obliegenheit, den Marktwert des Fahrzeugs vor der Veräußerung des Fahrzeugs abzuklären, was in zumutbarer Weise etwa durch die Einholung verschiedener Ankaufsangebote von KfZ-Händlern geschehen kann. Unterlässt der Geschädigte eine hinreichende Abklärung des Marktwertes, so hat er im Prozess das Risiko einer Veräußerung unter Wert zu tragen, vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 148. Eine solche Abklärung des Marktwertes hat die Klagepartei nicht behauptet. Anhaltspunkte für Besonderheiten des streitgegenständlichen Fahrzeugs, etwa in Form von Beschädigungen, welche ein Unterschreiten des Marktwertes rechtfertigen könnten, sind ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Da die anzusetzende Nutzungsentschädigung von 11.483,31 € und der Restwert von 25.000,00 € in der Summe (36.483,31 €) über dem Kaufpreis des Fahrzeugs von seinerzeit 35.975,28 € liegen, konnte der Klagepartei kein „Differenzschadensersatzanspruch“ zuerkannt werden.
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Ein Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf anhängige Vorlagen verschiedener Landgerichte zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht veranlasst. Denn dieser hat bereits entschieden, dass die Sanktionen nach Art. 46 der RL 2007/46/EG und Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten des Schadensersatzes von den Mitgliedsstaaten festzulegen sind und dass die nationalen Gerichte befugt sind, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C 100/21, Rn. 92 und 94, bei juris). Der Bundesgerichtshof hat diese Modalitäten bereits ausgeformt und hierbei den Vorgaben europäischen Rechts Rechnung getragen. Eine Aussetzung ist nicht angezeigt, weil der nationale Gestaltungsspielraum in diesem Zusammenhang nach Überzeugung des Senats gewahrt wurde (so auch OLG Frankfurt a. M. Hinweisbeschluss v. 25.3.2024 – 9 U 68/22, BeckRS 2024, 8345 Rn. 21, beck-online; OLG Düsseldorf Urt. v. 21.6.2024 – 7 U 266/22, BeckRS 2024, 14794 Rn. 25).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 709, § 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Insbesondere sind die Maßstäbe zum Mitverschulden bei der Veräußerung des Fahrzeuges aus Sicht des Senats höchstrichterlich bereits geklärt. Auch die abweichende Entscheidung des OLG Celle vom 20. Dezember 2023, Az. 7 U 1742/19, begründet keine Zulassung. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es Gerichte gibt, die bei der Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung der ihnen im jeweiligen Einzelfall von den Parteien unterbreiteten Informationen im konkreten Ergebnis zu einer abweichenden Einschätzung gelangen.