Titel:
Erfolgreicher Antrag auf aufschiebende Wirkung einer Beseitigungsanordnung bezüglich einer Überdachung/eines wandlosen Carports unter Anordnung des Sofortvollzugs
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4, Abs. 5
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6 S. 1 Nr. 1, Abs. 7 S. 1 Nr. 1, Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Beim Fehlen von Außenwänden, die in der Regel für die Berechnung der Abstandsflächen maßgeblich sind, sind die Außenwände zu fingieren, unabhängig davon ob es sich um ein Gebäude oder um vortretende Bauteile handelt, die nicht nach Art. 6 Abs. 6 BayBO unbeachtlich sind. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die streitgegenständliche Stellplatz- und Eingangsüberdachung nicht bis zu einer Entscheidung über die Beseitigungsanordnung in der Hauptsache in unveränderter Form bestehen kann, kann die im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht zu treffende Interessensabwägung auch dann zugunsten des Antragstellers ausfallen, falls die Klage gegen die Beseitigungsanordnung als Hauptsacheklage aller Wahrscheinlichkeit nach erfolglos bleiben wird. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bauaufsichtliche Beseitigungsanordnung für Stellplatz- und Eingangsüberdachung;, Nichteinhaltung der Abstandsflächen;, Bestimmtheit der bauaufsichtlichen Maßnahme;, besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, Bestimmtheit der bauaufsichtlichen Maßnahme, Nichteinhaltung der Abstandsflächen, Bauaufsichtliche Beseitigungsanordnung für Stellplatz- und Eingangsüberdachung, öffentliches Interesse, Sofortvollzug, bauaufsichtliche Maßnahme, Bestimmtheit, Abstandsflächen, Beseitigungsanordnung, Überdachung, Carport
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2973
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 8. Dezember 2023 (AN 3 K 23.2496) gegen den Bescheid vom 7. November 2023 – Az. … bzw. … – wird hinsichtlich dessen Ziff. 1 wiederhergestellt und hinsichtlich dessen Ziff. 3 angeordnet.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2023, mit dem den Antragstellern aufgegeben wurde, die Einhaltung des Abstands zur nördlichen Grundstücksgrenze sicherzustellen.
2
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (* …, …; im Folgenden wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet, da alle genannten Grundstücke innerhalb der Gemarkung … liegen). Das Grundstück grenzt westlich an die … an. Nördlich (Grundstücke FlNr. …, … und …) und südlich (Grundstück FlNr. …) schließen sich mit Einfamilienhäusern bebaute Grundstücke an. Das streitgegenständliche Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus mit Garage, die auf einer Länge von knapp 11,00 m grenzständig an der nördlichen Grundstücksgrenze und mit einem Abstand von 6,00 m zur … errichtet wurde, bebaut. Das streitgegenständliche Grundstück liegt innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. … „…“, der ein reines Wohngebiet (WR) festsetzt, und der Satzung über die Herstellung, Bereithaltung und Gestaltung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradstellplätzen sowie deren Ein- und Ausfahrten (Stellplatzsatzung-StS).
3
Mit Antrag vom 20. März 2022 beantragten die Antragsteller die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für den Neubau einer Stellplatz- und Eingangsüberdachung als offenes Rankgerüst ohne Abdeckung in einer Holz-Stahl-Konstruktion. Nach den vorgelegten Plänen soll das Vorhaben zwischen der vorhandenen Garage und der … im nordöstlichen Teil des Grundstücks situiert sein. Die Überdachung soll eine Größe von 5,16 m x 4,80 m aufweisen und im Abstand von 0,2 m zur westlich befindlichen Garage, 3 m zur nördlichen Grundstücksgrenze und 1 m zur östlichen Grundstücksgrenze (zur … hin) errichtet werden. Die Überdachung wird getragen durch eine etwa 0,3 m breite Wand, die von der nördlichen Grundstücksgrenze etwa 6,20 m entfernt stehen soll. Die Überdachung soll vollständig außerhalb der Baugrenzen errichtet werden und eine Höhe von 2,70 m aufweisen. Der obere Abschluss des Daches soll durchlässig als Holz-Stahl-Konstruktion mit diagonalen Lamellen ausgestaltet sein.
4
Mit Bescheid vom 5. Mai 2022 wurde den Antragstellern durch die Stadt … hinsichtlich des Neubaus einer Stellplatz- und Eingangsüberdachung für das Vorhaben eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … „…“ erteilt. Aus der Begründung des Bescheides ergibt sich, dass die Befreiung erforderlich gewesen sei, da die Überdachung außerhalb der festgesetzten Flächen errichtet werden solle.
5
Mit E-Mail vom 16. März 2023 wandten sich die Eigentümer des nördlich an das streitgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. … an den Antragsgegner mit der Bitte um Prüfung, ob der zwischenzeitlich errichtete massive Carport den eingereichten Unterlagen entspreche. Bei einer Ortsbesichtigung am 21. März 2023 ergab sich, dass der Carport größer als beantragt errichtet worden sei. Die Höhe betrage im Norden ca. 2,95 m und im Süden ca. 2,70 m. Der Grenzabstand belaufe sich im Norden auf ca. 2,5 m und im Osten auf ca. 0,50 m. Der Carport habe eine Größe von etwa 5,5 m x 6,0 m. Die Dacheindeckung sei im Carportbereich vollständig.
6
Die Antragsteller wurden daraufhin mit Schreiben des Antragsgegners vom 30. März 2023 darauf hingewiesen, dass die Überdachung größer als eingereicht errichtet worden sei und in vielen Punkten von den Planunterlagen zur isolierten Befreiung abweiche. Die Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr.1 Buchst. b BayBO entbinde allerdings nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt würden und ließen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt. Laut Aussage der Stadt … entspreche das Vorhaben nicht den Vorschriften des Bebauungsplans. Es halte auch nicht die erforderlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ein. Die Antragsteller wurden aufgefordert, bis spätestens 31. Mai 2023 die Einhaltung des Abstands zur nördlichen Grundstücksgrenze sicherzustellen und einen Antrag auf isolierte Abweichung hinsichtlich der weiteren Veränderungen einzureichen. Die Einhaltung der notwendigen Abstandsflächen könne entweder durch einen Rückbau oder durch Vorlage einer von den Nachbarn bestätigten Abstandsflächenübernahmeerklärung nachgewiesen werden. Gleichzeitig werde Gelegenheit gegeben, sich innerhalb der genannten Frist zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen schriftlich zu äußern.
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Mit Schreiben vom 20. April 2023 zeigten sich die Bevollmächtigten der Antragsteller an und wiesen mit Schreiben vom 25. Mai 2023 darauf hin, dass der Carport keine Abstandsflächen aufwerfe, da es sich weder um ein oberirdisches Gebäude noch um eine Anlage handele, die wie ein Gebäude wirke. Im Übrigen sei bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 4 BayBO auf den Schnittpunkt zwischen tragenden Pfeilern und Dachhaut abzustellen. Darüber hinaus würde Art. 6 Abs. 7 Nr. 1 BayBO eingreifen.
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Mit Formblatt vom 24. Mai 2023, bei der Stadt … eingegangen am 20. Juni 2023, beantragten die Antragsteller die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans sowie die Erteilung einer Abweichung von örtlichen Bauvorschriften für den Neubau einer Stellplatz- und Eingangsüberdachung. Nach den beigefügten Plänen soll das Vorhaben eine Größe von 5,95 m x 5,30 m aufweisen. Die tragende Wand in einer Entfernung von 5,66 m zur nördlichen Grundstücksgrenze soll ein Sichtfenster enthalten. Das südlich angrenzende Dachteil soll in offener Konstruktion gefertigt werden, während das nördlich an die Wand angrenzende Dachteil aus einem Gründachbereich (2,66 m x 3,495 m) bestehen soll. Umlaufend um die offene Konstruktion bzw. den Gründachbereich soll ein geschlossener „Dachüberstand“ angebracht sein. Dieser soll im nördlichen Bereich 0,40 m, im westlichen Bereich 0,905 m, im südlichen Bereich ca. 0,8 m und im östlichen Bereich 0,9 m tief sein. Der Abstand des Gründachbereiches zur nördlichen Grundstücksgrenze betrage 3 m.
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Mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. August 2023 erteilte die Stadt … die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … „…“ in Form einer Befreiung für die Carport- und Eingangsüberdachung außerhalb der durch Baugrenzen festgesetzten Fläche, nicht aber die Abweichung für den von der öffentlichen Verkehrsfläche freizuhaltenden Mindestabstand von 1 m nach der Stellplatzsatzung.
10
Der Bevollmächtigte der Antragsteller wiederholte mit Schriftsatz vom 24. August 2023 zum Teil die Hinweise aus dem Schriftsatz vom 25. Mai 2023 und bat um Übermittlung eines rechtsmittelfähigen Bescheides. Auf das Grenzgaragenprivileg würden sich die Antragsteller nicht mehr berufen. Trotz Nichterteilung der Befreiung werde insoweit keine Verpflichtungsklage erhoben. Der Carport werde im vorderen Teil gekürzt.
11
Eine Ortsbesichtigung des Antragsgegners am 11. September 2023 ergab, dass am Carport keine Änderungen vorgenommen worden seien. Der Grenzabstand im Norden betrage etwa 2,5 m, im Osten ca. 0,5 m. Nach nochmaliger Fristsetzung für einen Rückbau bis 30. Oktober 2023 teilten die Bevollmächtigten der Antragsteller mit, dass beabsichtigt sei, den Carport straßenseitig kürzen zu lassen und baten um Fristverlängerung bis 15. Dezember 2023.
12
Daraufhin erließ der Antragsgegner folgenden Bescheid vom 7. November 2023:
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1. Herr … und Frau … werden verpflichtet, die Einhaltung des Abstands zur nördlichen Grundstücksgrenze sicher zu stellen.
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2. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wird angeordnet.
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3. Falls Herr … und Frau … der unter Ziffer 1 der genannten Anordnung nicht bis spätesten 20. Januar 2024 nachkommen, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR zur Zahlung fällig.
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4. Der Antragsteller und die Antragstellerin haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr von 300,00 EUR festgesetzt.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich die Rechtsgrundlage aus Art. 76 Satz 1 BayBO ergebe. Die Stellplatz- und Eingangsüberdachung entspreche den Vorschriften des Bebauungsplans nicht, da sie zum Teil außerhalb der Fläche, die für die Garage mit Zufahrt vorgesehen sei, liege. Innerhalb dieser Fläche sei an der nördlichen Grundstücksgrenze bereits eine Garage mit anschließendem Geräteraum mit einer Gesamtlänge von knapp unter 11 m Länge vorhanden, sodass eine weitere Grenzbebauung, die die Abstandsflächentiefe zur nördlichen Grundstücksgrenze nicht einhalte, an der nördlichen Grenze nicht mehr zulässig sei.
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Die Stellplatz- und Eingangsüberdachung sei abweichend von dem in den Planunterlagen zur isolierten Befreiung dargestellten Bau errichtet. Eine Stellplatzüberdachung die den Vorgaben des Art. 6 Abs. 7 BayBO nicht entspreche, löse Abstandsflächen von mind. 3 m aus, die aufgrund der Lokalisierung auf dem Grundstück nach Norden nicht eingehalten würden. Die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände auf andere Weise, z.B. durch Vorlage einer Abstandsflächenübernahme durch die nördlichen Nachbarn, sei nicht nachgewiesen worden. Die Beseitigungsanordnung stehe im pflichtgemäßen Ermessen das Landratsamtes. Das Landratsamt habe die Beseitigungsanordnung erlassen, um die Einhaltung der öffentlich-rechtlich vorgegebenen Abstandsflächenregelung sicher zu stellen, die auch nachbarschützende Wirkung entfalte. Das Interesse der Allgemeinheit an der teilweisen Beseitigung der baulichen Anlage sei höher zu bewerten als die persönlichen Interessen der Bauherren. Andernfalls könne ein Grundstückseigentümer, der nicht genehmigungsfähige Bauarbeiten ausgeführt habe, den Erlass einer Beseitigungsanordnung damit abwehren, dass ihm die behördliche Maßnahme wirtschaftlichen Schaden zufüge.
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Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 sei im öffentlichen Interesse angeordnet. Durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächenvorschriften seien die öffentlich-rechtlich geschützten Belange der nördlichen Nachbarn beeinträchtigt. Das Vorgehen der Bauherren würde zur Nachahmung nicht nur im Gebiet der Stadt …, sondern auch in anderen Gegenden des Landkreises anspornen und damit die Effektivität der Verwaltungstätigkeit ernstlich gefährden, wenn sich das Landratsamt als dauerhaft ohnmächtig erweisen sollte. Es bestehe in der Regel ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO daran, dass unzulässige bauliche Anlagen wegen der Gefahr von Bezugnahmen ehestmöglich beseitigt werden.
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Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Antragsteller gegen Empfangsbekenntnisses am 13. November 2023 zugestellt.
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Hiergegen ließen die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen über das besondere Anwaltspostfach am selben Tag, Anfechtungsklage erheben (AN 3 K 23.2496), über die noch nicht entschieden ist.
23
Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen über EGVP und qualifiziert signiert am 28. Dezember 2023, stellten die Bevollmächtigten der Antragsteller einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Einhaltung des Abstands zur nördlichen Grundstücksgrenze einen teilweisen Abriss bzw. Rückbau des Carports darstelle. Das Interesse der Antragsteller an der Außervollzugsetzung des Verwaltungsaktes überwiege das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung, denn bei sachgerechter Prüfung werde das Verwaltungsgericht in der Hauptsache den fehlerhaften Bescheid aufheben. Die Anlage sei nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden. Die Antragsgegnerin gehe wohl von einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO aus. Der Carport löse aber schon keine Abstandsflächen aus, da ein Carport kein oberirdisches Gebäude sei. Das Gesetz stelle offensichtlich auf die Existenz von Außenwänden ab. So sei z.B. nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO der Punkt zur Berechnung der Abstandsfläche der Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut. Die streitgegenständliche Stellplatzüberdachung habe aber gerade keine Außenwand. Auch gingen von der Anlage keine Wirkungen wie von einem Gebäude aus. Dazu wäre erforderlich, dass zumindest der Eindruck einer Umfriedung erzielt werde. Dies wäre bei einem üblichen Carport, welcher im Regelfall an den Außenwänden Stützen aufweise, möglicherweise der Fall, nicht aber bei der hier in Rede stehenden Konstruktion. Jedenfalls sei bei Anwendung von Art. 6 Abs. 4 BayBO auf den Schnittpunkt zwischen tragendem Pfeiler und Dachhaut abzustellen, denn dann wäre das Abstandsflächenrecht nicht verletzt. Ab dem Schnittpunkt zwischen Dach und tragendem Pfeiler handele es sich um einen Dachüberstand, welcher nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BayBO keine Abstandsflächen auslöse.
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Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der am 8. Dezember 2023 zum Az.: AN 3 K 23.2496 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. November 2023 – Az.: … bzw. …wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung auszusetzen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
26
Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Grenzabstand der Überdachung im Norden ca. 2,50 m betrage und im Osten zur Straße hin ca. 50 cm. Die Überdachung habe eine Größe von ca. 5,50 m x 6 m. Die Dacheindeckung sei im Carportbereich vollständig und nicht durchbrochen. Die Konstruktion bestehe aus Balken und querverlaufenden Platten und werde durch ein Dach mit einer Stärke von ca. 8 cm vervollständigt. Dieses Dach überrage die Unterkonstruktion nach Norden um ca. 40 cm. Daher befinde sich auch die Unterkonstruktion noch im Bereich des Abstandes von 3 m zur nördlichen Grundstücksgrenze. Die tatsächlich vorhandene Konstruktion weiche auch von dem am 20. Juni 2023 bei der Stadt … eingereichten Planunterlagen ab.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse (Schoch/Schneider VwGO § 80 Rn. 211b). Mit der Anordnung im Bescheid vom 7. November 2023 sei nicht grundsätzlich die komplette Beseitigung der baulichen Anlage verbunden. Der Nachweis der Einhaltung der Abstandsflächen könne auch durch Vorlage einer durch den Nachbarn bestätigten Abstandsflächenübernahmeerklärung erfolgen. Aber auch, wenn die Überdachung zur Nordseite hin um 50 cm gekürzt werden würde, könne diese ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand und ohne Verlust des Funktionszweckes weiterhin als Abstellmöglichkeit genutzt werden. Die Überdachung würde auch nach Kürzung eine Breite von ca. 2,5 m aufweisen und würde als Unterstellmöglichkeit für ein Fahrzeug ebenfalls ausreichen. Aufgrund dieser Gegebenheiten im Einzelfall sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt.
28
Bezüglich der Gebäudeeigenschaft der strittigen Überdachung sei bei Gebäuden, die teilweise oder ganz räumlich nicht umschlossen seien, die Außenwände für die Abstandflächen zu fingieren (Busse/Kraus BayBO, Art. 2, Rn 250). Art. 6 Abs. 6 BayBO könne hinsichtlich der Dachüberstände keine Anwendung finden, da von dieser Vorschrift erfasste vortretende Bauteile keine über die gestalterische Funktion hinausgehende Aufgabe haben dürften. Dies sei jedoch bei der Stellplatz- und Eingangsüberdachung nicht der Fall. Ein Aufenthalt unter der Dachfläche sei mit gleicher Schutzwirkung in allen Bereichen des geschlossenen Daches möglich, da gerade bei der von den Bauherren gewählten Ausführung keine Stützen am Abstellen des Fahrzeuges hinderten.
29
Die Bevollmächtigten der Antragsteller erwiderten mit Schriftsatz vom 19. Januar 2024, dass Art. 6 Abs. 4 Satz 1, Art. 5 und 6 BayBO auf die Außenwände abstellten. Bei der Auslegung durch die Antragsgegnerin wäre kaum eine Anlage denkbar, die keine Abstandsflächen aufwerfe. Dies würde zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Bebaubarkeit und Nutzbarkeit von Grundstücken führen. Unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 8 Ziffer 1 BayBO (gemeint wohl Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO) ergebe sich, dass sicher nicht von der Außenkante des Daches zu rechnen sei. Dachüberstände blieben bei der Bemessung von Abstandsflächen außer Betracht. Der Antragsgegner räume ein, dass das Dach der Anlage sich zur in Rede stehenden Grenze hin verjünge und die Stärke abnehme. Dies sei ein klassischer Dachüberstand.
30
Das Interesse der Antragsteller überwiege die Interessen des Antragsgegners. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei die Ausnahme, da Anfechtungsklagen regelmäßig aufschiebende Wirkung entfalteten. Werde der von einem renommierten Architekten geplante Carport eingekürzt, wäre nach gewonnener Anfechtungsklage das Anflicken aufwendig und ästhetisch beeinträchtigend. Mit der Begründung des Antragsgegners ließe sich nahezu jeder erlassene Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklären. Dem Antragsgegner sei schon etwas mehr Begründungsaufwand abzufordern.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch des Verfahrens AN 3 K 23.2496, und auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
32
Der zulässige Antrag ist begründet.
33
1. Der Antrag ist zulässig.
34
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 8. Dezember 2023 gegen den Bescheid vom 7. November 2023 wiederherzustellen, ist dahingehend auszulegen, dass er sich gegen die Ziffern 1 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids richtet. Der Antrag ist insbesondere statthaft, da die Klage der Antragsteller gegen den sie belastenden streitgegenständlichen Bescheid eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO darstellt, die im Hinblick auf Ziffer 1 des Bescheides gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und in Bezug auf Ziffer 3 des Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a BayVwZVG keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Folglich ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlich, um die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
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2. Der Antrag ist begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen bzw. wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die aufschiebende Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Neben den formellen Anforderungen an die Anordnung des Sofortvollzugs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sind im Rahmen der Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, so wird im Regelfall nur die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos.
37
Der Antrag hat Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit genügt zwar dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (2.1) und die Beseitigungsanordnung vom 7. November 2023 erweist sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig (2.2). Allerdings beruht die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hier nicht auf einem besonderen Vollzugsinteresse (2.3). Entsprechend ist auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheids erfolgreich (2.4).
38
2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit trägt dem Begründungserfordernis ausreichend Rechnung.
39
Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind regelmäßig die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe anzugeben, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 16 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 9 CS 18.996 – juris Rn. 14). An dieses Begründungserfordernis sind jedoch inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; es genügt vielmehr jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet.
40
Der Antragsgegner hat hier auf die geschützten Belange der Nachbarn und die Gefahr von Bezugnahmen abgestellt und ist damit auf die Besonderheiten des konkreten Falles eingegangen. Den gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist damit Genüge geleistet. Ob diese Aspekte das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO tragen, spielt für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs keine Rolle (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 16 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 3.5.2018 – 20 CS 17.1797 – juris Rn. 2).
41
2.2 Die von dem Antragsgegner verfügte Beseitigungsanordnung wird sich im Hauptsacheverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach als rechtmäßig erweisen.
42
2.2.1 Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung, insbesondere wurden die Antragsteller mit verschiedenen Schreiben – vom 30. März 2023, 1. Juni 2023 und 25. September 2023 – gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört.
43
2.2.2 Rechtsgrundlage der Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Tatbestandlich ist daher Voraussetzung, dass die Anlage formell und materiell illegal ist. Bei genehmigungsfreien Vorhaben – wie hier nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO – kommt es allein auf die materielle Rechtslage an (BayVGH, B.v. 29.7.2020 – 1 CS 20.1334 – juris Rn. 8; B.v. 20.1.2003 – 20 ZB 99.3616 – juris Rn. 3; Decker in: Busse/Kraus, BayBO Art. 76 Rn. 89).
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2.2.3 Bei der Stellplatz- und Eingangsüberdachung handelt es sich unproblematisch um eine Anlage i.S.v. Art. 76 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO, welche wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum nördlich gelegenen Grundstück FlNr. … nicht die erforderlichen Abstandsflächen einhält und daher materiell illegal ist.
45
2.2.3.1 Entgegen der Auffassung der Antragsteller muss die streitgegenständliche Stellplatz- und Eingangsüberdachung auch Abstandsflächen, insbesondere zur nördlichen Grundstücksgrenze, einhalten.
46
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayBO müssen Gebäude und Anlagen gleicher Wirkung Abstandsflächen einhalten. Diese müssen grundsätzlich auf dem Vorhabengrundstück liegen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO, und 0,4 H, mindestens 3 m, betragen, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO.
47
Insoweit ist nicht von Bedeutung, ob die Überdachung bereits als Gebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO – denn auch ein wandloser Carport kann als Gebäude im Sinne des Art. 2 Abs. 2 BayBO angesehen werden (Kraus in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 22) – oder als Anlage mit gebäudegleicher Wirkung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO anzusehen ist, denn allein durch die Überdachung mit einer Höhe von etwa 3 m auf ihrer nördlichen Seite ohne das Vorhandensein von Außenwänden und an den Ecken angebrachten Pfosten werden die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts – ausreichende Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden – offensichtlich berührt (Kraus in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 36; zur Einstufung als Gebäude oder Vorhaben mit gebäudegleicher Wirkung z.B. VG Würzburg, U.v. 8.1.2008 – W 4 K 07.1077 – juris Rn. 28).
48
Beim Fehlen von Außenwänden, die in der Regel für die Berechnung der Abstandsflächen maßgeblich sind, sind die Außenwände zu fingieren, unabhängig davon ob es sich um ein Gebäude oder um vortretende Bauteile handelt, die nicht nach Art. 6 Abs. 6 BayBO unbeachtlich sind (OVG BB, B.v. 25.1.2013 – OVG 2 N 47.10 – juris Rn. 3; Kraus in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 22; Schönfeld in BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 6 Rn. 17). Unter Berücksichtigung des Zwecks der Überdachung, einen möglichst großen, nicht durch Pfosten bzw. Wände eingeschränkten, überdachten Raum zu erhalten, geht die Kammer bei summarischer Prüfung davon aus, dass diese fingierte Wand jeweils die an den Ecken angenommenen Stützpfeiler verbindet.
49
Die Stellplatz- und Eingangsüberdachung wird nicht durch Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BayBO von der Einhaltung von Abstandsflächen befreit, da es sich bei der Überdachung nicht um ein Bauteil in diesem Sinne handelt. Die von Art. 6 Abs. 6 BayBO erfassten Bauteile (Nr. 1), Vorbauten (Nrn. 2 und 3) und Dachaufbauten (Nr. 3) sind kraft Gesetzes unselbständiger Teil der Außenwand bzw. im Fall der Nr. 4 generell unbeachtlich. Sie stehen in unmittelbarer gestalterischer und funktionaler Beziehung zu Gebäude und/oder Außenwand und müssen deshalb untergeordnet sein. Die in Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BayBO geregelten, vor die Außenwand tretenden, Bauteile sind schon vom Begriff her untergeordnet, woraus sich ergibt, dass neben die gestalterische Wirkung eines Dachüberstandes kein weiterer Zweck, wie die objektive Schaffung eines nutzbaren Raumes, z.B. zum Abstellen eines Fahrzeuges, hinzutreten darf (Kraus in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 407; Schönfeld in BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 6 Rn. 187). Insoweit ist es für das Gericht nach summarischer Prüfung ausgeschlossen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Überdachung um einen untergeordneten Dachüberstand handeln könnte. Unabhängig davon, dass die Überdachung nicht nur eine rein gestalterische Wirkung hat, sondern – was schon die Bezeichnung im Befreiungsantrag nahelegt – auch der Überdachung eines Stellplatzes dient, ist die Überdachung das wesentliche Element der Anlage, die ohnehin nur aus einer Mauer und einem Dach besteht.
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Dabei kommt bei summarischer Prüfung auch eine Aufteilung des Daches in den Gründachbereich, der wohl im Wesentlichen mit der Unterkonstruktion übereinstimmt, und einen über die Dachkonstruktion hinausreichenden Dachüberstand nicht in Betracht, denn die Funktion, einen überdachten Stellplatz zu schaffen, umfasst gerade das gesamte Dach. Letztlich würde aber auch eine entsprechende Aufteilung nicht dazu führen, dass bei Außerachtlassung der nördlichen über die Unterkonstruktion hinausreichenden Dachfläche von 0,40 m die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsfläche von mindestens 3 m zur nördlichen Grundstücksgrenze eingehalten würde, da sich bei den Ortsbesichtigungen durch den Beklagten am 21. März 2023 und am 11. September 2023 ergeben hat, dass der Grenzabstand des Carports zur nördlichen Grundstücksgrenze abweichend von den eingereichten Plänen tatsächlich nur ca. 2,50 m beträgt und auch ein Teil der Unterkonstruktion noch innerhalb der einzuhaltenden Abstandsflächen liegt (vgl. Bl. 10, 12 und 85 der Behördenakte).
51
Die Stellplatz- und Eingangsüberdachung ist auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Zwar kann dieses Privileg grundsätzlich auch einem Carport zugutekommen, da ein Carport als offene Garage gilt (§ 1 Abs. 2 Satz 3 GaV; Kühner in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 481), jedoch hält die grenznah errichtete Stellplatz- und Eingangsüberdachung zusammen mit der sich anschließenden Garage die zulässige Gesamtlänge von 9 m je Grundstücksgrenze nicht ein. Die Längen aller Außenwände gegenüber derselben Grundstücksgrenze sind zusammenzuzählen (Kühner in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 523).
52
2.2.3.2 Dass daneben das Vorhaben auch wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Abstandes nach § 4 Abs. 6 Satz 5 StS zur … hin und wegen diesbezüglich bestandskräftig abgelehnter Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BayBO materiell illegal ist, ist vorliegend nicht von Bedeutung, da Gegenstand der Beseitigungsanordnung ausschließlich der Abstand der Überdachung zur nördlichen Grundstücksgrenze ist.
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2.2.4 Die Antragsteller wurden auch in rechtmäßiger Weise als Handlungsstörer in Anspruch genommen.
54
2.2.5 Die von der Antragsgegnerin erlassene Beseitigungsanordnung ist weder hinsichtlich der Ermessensausübung noch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit zu beanstanden.
55
2.2.5.1 Nach Art. 40 BayVwVfG hat eine Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ein gem. § 114 VwGO seitens des Gerichts zu berücksichtigender Ermessensfehler ist nicht gegeben. Die Ermessenserwägungen im streitgegenständlichen Bescheid sind zwar knapp, aber ausreichend. Bei der Ermessensentscheidung über das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände genügt es regelmäßig, dass die Behörde – so wie hier – zum Ausdruck bringt, der beanstandete Zustand müsse wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2022 – 15 ZB 22.1402 – juris Rn. 13 m.w.N; U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 31 unter Bezug auf BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 4 C 22.94 – BVerwGE 110, 64;). Insbesondere geht aus dem Bescheid hervor, dass dem Antragsgegner bewusst war, dass ihm im Rahmen der Entscheidung nach Art. 76 Satz 1 BayBO ein Ermessen zusteht. Ein Ermessensausfall scheidet daher aus. Der Antagsgegner hat die nachbarschützende Wirkung der Abstandsflächenregelung berücksichtigt und die Interessen der Antragsteller demgegenüber und gegenüber den öffentlichen Interessen, rechtskonforme Zustände zu schaffen, als geringwertiger erachtet. Die Antragsteller haben ein von den der Befreiung vom 5. Mai 2022 zugrundeliegenden Plänen, wonach die Abstandsflächen eingehalten gewesen wären, abweichendes Vorhaben errichtet. Selbst die Pläne, die dem zweiten Befreiungsantrag vom 24. Mai 2023 beigefügt waren, geben nicht zutreffend die tatsächliche Situierung der Stellplatz- und Eingangsüberdachung wieder. Im Falle einer baurechtswidrigen Bauausführung ist aber das Risiko vom Bauherrn selbst zu tragen und der Einwand eines Substanzverlustes nicht tragfähig (vgl. BVerwG, B.v. 30.8.1996 – 4 B 117.96 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 21; U.v. 12.05.2005 – 26 B 03.2454 – juris Rn. 31).
56
2.2.5.2 Auch wurde seitens des Antragsgegners bei der Ausübung des Ermessens der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Nach Auffassung der Kammer scheidet ein milderes Mittel – namentlich die nachträgliche Legalisierung der Stellplatz- und Eingangsüberdachung hinsichtlich der Abstandsflächen nach Norden – mangels Genehmigungsfähigkeit aus, insbesondere da die Antragsteller die im bauaufsichtlichen Verwaltungsverfahren (z.B. Schreiben vom 30.3.2023, Bl. 38 der Behördenakte) aufgezeigte Möglichkeit, durch Vorlage einer Abstandsflächenübernahmeerklärung der nördlich angrenzenden Grundstückseigentümer die Einhaltung der Abstandsflächen nachzuweisen, nicht wahrgenommen haben.
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Trotzdem hat der Antragsgegner diese – zumindest theoretisch – bestehende Lösungsmöglichkeit im Rahmen der aufgegebenen Maßnahme berücksichtigt, indem gerade nicht nur der (Teil-) Rückbau angeordnet worden ist, sondern die Antragsteller verpflichtet worden sind, sicherzustellen, dass der erforderliche Abstand von mindestens 3 m zur nördlichen Grundstücksgrenze eingehalten wird, was einerseits durch den Rückbau, andererseits aber auch durch die Vorlage einer Abstandsflächenübernahmeerklärung erfolgen kann.
58
Insoweit geht das Gericht davon aus, dass die angeordnete Maßnahme ausreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist.
59
Der Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit einer Einzelfallregelung bedeutet zum einen, dass deren Adressat in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist; zum anderen folgt daraus, dass der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein kann. Der Regelungsgehalt muss sich dabei nicht unmittelbar und ausschließlich aus dem Entscheidungssatz ergeben. Es reicht, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.2008 – 7 C 38/07 – BVerwGE 131, 259; U.v. 25.4.2001 – 6 C 6/00 – BVerwGE 114, 160; BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 41/87 – BVerwGE 84, 335; BayVGH, U.v. 28.6.2012 – 9 B 10.2532 – juris Rn. 21; U.v. 15.12.1992 – 2 B 92.88 – BayVBl 1993, 274; VG München, U.v. 23.6.2020 – M 1 K 17.3953 – juris Rn. 31 ff.). Entsprechend wird die allgemeine Forderung, „den ordnungsmäßigen Zustand herzustellen“, regelmäßig den Bestimmtheitsanforderungen nicht genügen (Decker in Busse/Kraus, BayBO Art. 76 Rn. 187 ff.).
60
Auch wenn der Bescheid vom 7. November 2023 in seinem Tenor nicht festlegt, welche Maßnahmen die Antragsteller zu ergreifen haben bzw. in welchem Umfang ein Rückbau der Stellplatz- und Eingangsüberdachung erfolgen soll, so sind den Antragstellern mit dem Tenor in Zusammenschau mit der Bescheidsbegründung ausreichend konkrete Handlungsanweisungen gegeben. Denn dem Bescheidstenor lässt sich entnehmen, dass sich die bauaufsichtliche Maßnahme ausschließlich auf die Einhaltung des Abstandes zur nördlichen Grundstücksgrenze, bezieht. Welcher Abstand insoweit maßgeblich ist, ergibt sich aus Ziffer II. 6 der Bescheidsbegründung, ebenso wie die Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen, nämlich Rückbau oder Abstandsflächenübernahme, zur Erfüllung der Verpflichtung in Betracht kommen, wobei es grundsätzlich nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde ist, nach Möglichkeiten zu suchen, wie der Bauherr rechtmäßige Zustände herstellen kann (Manssen in BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO Art. 76 Rn. 60; im Ergebnis so auch VG München, U.v. 23.6.2020 – M 1 K 17.3953 – juris Rn. 36).
61
Die Anordnung erscheint nach summarischer Prüfung auch nicht als unangemessen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde gewahrt. Dieser Grundsatz beinhaltet, dass der durch die behördliche Maßnahme zu erwartende Schaden nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen darf. Zwischen Erfolg und Schaden muss ein angemessenes Verhältnis bestehen. Abzuwägen ist dabei zwischen dem Schaden des Betroffenen und dem Vorteil, welcher der Allgemeinheit durch die behördliche Maßnahme erwächst, und umgekehrt. So müsste gegebenenfalls von einer rechtlich zulässigen und vielleicht sogar gebotenen Maßnahme Abstand genommen werden, wenn ihre Wirkung einen materiellen oder ideellen Schaden hervorrufen würde, der, gemessen an dem Gesamtvorgang, unverhältnismäßig ist. Haben jedoch Gebote oder Verbote Eingang in öffentlich-rechtliche Vorschriften gefunden, so besteht damit ein hinreichend öffentliches Interesse an ihrer Einhaltung (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO Art. 76 Rn. 243 m.w.N.).
62
Im Rahmen der Abwägung kommt den Gemeinwohlbelangen vorliegend ein größeres Gewicht zu und das Interesses der Antragsteller am Erhalt ihrer Stellplatz- und Eingangsüberdachung in unveränderter Form muss zurücktreten. Es ist weder von den Antragstellern vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, weshalb die Belange der Antragsteller ausnahmsweise das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Baugesetze überwiegen sollten.
63
2.3 Obwohl demnach nach summarischer Prüfung die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, ist vorliegend trotzdem die aufschiebende Wirkung der Klage bzgl. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides wiederherzustellen, da ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsanordnung hier nicht gegeben ist.
64
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung des Sofortvollzugs ein besonderes Vollzugsinteresse erforderlich. Die Vollziehung des Verwaltungsakts muss wegen öffentlicher oder überwiegender privater Interessen besonders dringlich sein und keinen Aufschub bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dulden (BayVGH, B.v. 23.8.2012 – 15 CS 12.130 – juris Rn. 12). Eine baurechtliche Beseitigungsanordnung ist in aller Regel eine schwerwiegende Maßnahme, deren Vollzug dem Betroffenen hohe Kosten verursacht und nur mehr schwer rückgängig zu machende Zustände schafft. Ihr Gewicht wird durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung verstärkt, weil dadurch die Entscheidung in der Hauptsache im Kern vorweggenommen wird (BayVGH, B.v. 6.10.2000 – 2 CS 98.2373 – juris Rn. 16). Erforderlich ist deshalb ein besonderes Vollzugsinteresse, das im Falle der Baubeseitigung grundsätzlich nicht mit dem Interesse am Erlass des Bescheids identisch ist und regelmäßig im Hinblick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO nur ausnahmsweise vorliegen wird (Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 76 Rn. 332 ff.). Bei Beseitigungsanordnungen ist deshalb regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (BayVGH, B.v. 28.3.2007 – 1 CS 06.3006 – juris Rn. 27). Selbst die offensichtliche Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung genügt in der Regel nicht, um deren sofortige Vollziehung zu begründen (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 25).
65
Von dem Grundsatz, dass der Sofortvollzug einer Beseitigungsanordnung die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnimmt, hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen und Fallgruppen gebildet (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 76 Rn. 334 ff.). Ein besonderes öffentliches Interesse für die sofortige Beseitigung wird z.B. bei einfachen Anlagen (wie z.B. Feldstadel, Werbeanlagen etc.), die problemlos und ohne großen Aufwand, vor allem ohne Substanzverlust, ab- und ggf. später, sollte sich die Beseitigungsanordnung als rechtswidrig erweisen, wiederaufgebaut werden können, zu bejahen sein, weil durch die Beseitigung keine endgültigen, nicht wieder umkehrbaren Verhältnisse geschaffen werden. Damit läuft auch der effektive Rechtsschutz nicht leer. Außerdem wurde die Anordnung des Sofortvollzugs bei Bauwerken, die in besonders schützenswerten Landschaften, in einem Landschaftsschutz- oder Naturschutzgebiet liegen und deshalb besonders störend wirken, anerkannt (vgl. bspw. BayVGH, B.v. 15.3.2006 – 25 CS 05.2410 – juris Rn. 5).
66
Beide Fallgruppen liegen hier nicht vor. Es handelt sich um eine durchaus aufwendig und hochwertig hergestellte Stellplatz- und Eingangsüberdachung in einem reinen Wohngebiet. Soweit sich die Antragserwiderung vom 10. Januar 2024 erstmals mit einem besonderen öffentlichen Interesse u.a. durch ausführliche Wiedergabe der Kommentierung bei Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 211b, auseinandersetzt und feststellt, dass nicht die komplette Beseitigung gefordert wird und die Kürzungen ohne unverhältnismäßigen Kostenaufwand und ohne Verlust des Funktionszwecks möglich ist, wird übersehen, dass diese Argumentation letztlich auf das bloße Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO abzielt, die deren sofortige Vollziehung nicht per se zu rechtfertigen vermögen (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 27). Auch teilt das Gericht die in den Ausführungen des Antragsgegners angedeutete Auffassung, dass eine Kürzung um etwa 0,5 m keinen wesentlichen Substanzverlust darstelle, zumindest im vorläufigen Rechtsschutz nicht. Zwar handelt es sich insgesamt lediglich um 3 qm, die beseitigt werden müssten, jedoch gehen damit weitgehend die gestalterischen Erwägungen verloren, die nachträglich nur schwer wiederhergestellt werden könnten. Eine Rückgängigmachung der Kürzung dürfte ohne Austausch der Unterkonstruktion nur schwer möglich sein.
67
Soweit auch eine negative Vorbildwirkung ausnahmsweise ein besonderes öffentliches Interesse begründen kann, so liegen hier diese Voraussetzungen nicht vor. Im Hinblick auf die anzulegenden strengen Maßstäbe genügt nämlich eine lediglich abstrakte Bezugsfallwirkung nicht. Es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte, z. B. konkrete Bezugsfälle oder sonst konkrete Folgeerscheinungen vorliegen, die sich allerdings nicht auf die engere Umgebung beziehen müssen. Eine allgemeine Befürchtung, dass ein Schwarzbau weitere Schwarzbauten zur Folge haben könnte, was sich wohl immer sagen lässt, reicht nicht aus (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 27; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 76 Rn. 335; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Art. 76 Rn. 131).
68
Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Begründung nicht, denn der Antragsgegner hat sich gerade nicht mit konkreten Bezugsfällen und konkreten Folgeerscheinungen auseinandergesetzt. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass in dem weitgehend vollständig bebauten Baugebiet auf Grundlage des Bebauungsplanes Nr. … „…“ eine konkrete Nachahmungsgefahr bestehen sollte.
69
Entsprechend fällt die Interessensabwägung trotz aller Wahrscheinlichkeit nach fehlender Erfolgsaussichten in der Hauptsache zugunsten der Antragsteller aus. Es sind keine Gründe ersichtlich, dass die Stellplatz- und Eingangsüberdachung nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache in unveränderter Form bestehen kann.
70
2.4 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls erfolgreich.
71
Bezüglich der nach Art. 21a Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung in Nr. 5 des Bescheids fehlt es aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids an einem vollstreckungsfähigen Grundverwaltungsakt i.S.d. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten ist. Denn der Antragsgegner hat gerade nicht die Erfüllungsfrist im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vom Eintritt der Unanfechtbarkeit des streitgegenständlichen Bescheides abhängig gemacht, sondern ausschließlich ein festes Datum, bis zu dem ein Rückbau hätte erfolgen müssen, festgesetzt (Umkehrschluss aus BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 9 CS 18.2533 – juris Rn. 30).
72
Auf die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen der Art. 18 ff., 29 ff. VwZVG gegeben sind, kommt es damit nicht mehr an (VG München, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – M 1 S 15.4318 – juris Rn 34).
73
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.