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OLG München, Hinweisbeschluss v. 09.07.2024 – 17 U 1889/24 e
Titel:

Kein Differenzschadensersatz für Diesel-Fahrzeug (hier: Audi Q 7 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 242, § 826
ZPO § 141 Abs. 3 S. 2, § 286 Abs. 1, § 287
Leitsätze:
1. Der Erfahrungssatz, dass ein Käufer ein Fahrzeugs in Kenntnis von vorhandenen Abschalteinrichtungen nicht gekauft hätte, kann für widerlegt gehalten werden, wenn (speziell in einem Massenverfahren) nicht zu unterscheiden ist, was in Schriftsätzen wirklich von der Partei stammt und was allein auf dem Wissen des Prozessbevollmächtigten beruht. (Rn. 6 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind auf den Anspruch auf kleinen Schadensersatz erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die durchschnittliche Laufleistung kann in Höhe von 250.000 km geschätzt werden, da zwar viele Fahrzeuge eine erheblich höhere Laufleistung erreichen, andererseits aber auch viele Fahrzeuge eine solche Laufleistung wegen technischen oder wirtschaftlichen Totalschadens nicht erreichen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, EA 897, unzulässige Abschalteinrichtung, Massenverfahren, Erfahrungssatz, Differenzschaden, Nutzungsvorteile, Restwert, durchschnittliche Laufleistung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 25.04.2024 – 52 O 1427/23 Die
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29739

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.04.2024, Az. 52 O 1427/23 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der Streitwert wird vorläufig auf € 3.838,18 festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten im Rahmen des sogenannten Dieselskandals um Schadensersatzansprüche der Klägerin betreffend den Kauf eines gebrauchten Audi Q 7 3.0 TDI (EU 6) mit Motor EA 897 (Erstzulassung: 24.08.2015) am 10.03.2020 für € 39.500,00 bei einer Dritten.
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Das LG Ingolstadt hat die Klage abgewiesen, weil es die Ursächlichkeit unzulässiger Abschalteinrichtungen für einen Nichtkaufentschluss für dieses Fahrzeugs bei der Klägerin verneinte.
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Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
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1. Die Beweiswürdigung der ersten Instanz ist fehlerfrei:
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a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (BGH, Urteil vom 12.03.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, 1876, 1876, Ziffer 2 a; Urteil vom 03.06.2014, ZR 394/13, NJW 2014, 2797, 2797, Randziffer 10; s.a. Urteil vom 06.10.2016, ZR 140/15, NJW 2016, 3656, 3661f., Randziffer 42; Beschluss vom 25.07.2017,ZR 103/17, NJW 2018, 308, 309, Randziffer 9; Urteil vom 19.07.2019, V ZR 255/17, WM 2019, 2214, 2222, Randziffer 65). Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor, wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urteil vom 12.03.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, 1876, 1876, Ziffer 2 a aa).
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b) Zwar besteht ein Erfahrungssatz, dass die Klägerin dieses Fahrzeugs in Kenntnis von den von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen nicht gekauft hätte (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, WM 2023, 1514, 1522, Randziffer 55).
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c) Das beeinträchtigt die Beweiswürdigung der ersten Instanz jedoch nicht. Von diesem Erfahrungssatz ist das LG Ingolstadt nämlich ausgegangen. Sodann ist es zur Überzeugung gelangt, dass es diesen Erfahrungssatz für widerlegt halte, weil speziell in Massenverfahren nicht zu unterscheiden sei, was in Schriftsätzen wirklich von der Partei und was allein auf dem Wissen des Prozessbevollmächtigten beruhe (eine Erfahrung, die der Senat teilt).
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d) Das gilt hier um so mehr, als die Beklagte bereits in der Klageerwiderung über eine eng beschriebene Seite Ausführungen zur (nach ihrer Ansicht) fehlenden Abhängigkeit behaupteter Abschalteinrichtungen für die Entscheidung zum Kauf gemacht hat.
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e) Die Berufungsbegründung kann dies nicht erschüttern:
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Unverständlich ist bereits die Behauptung der Klägerin, die Beweiswürdigung stelle eine Gängelung ihrer Person dar: Mit gutem Grund hat das Erstgericht das persönliche Erscheinen der Klägerin u.a. zur Aufklärung des Sachverhalts angeordnet. Das war schon deshalb erforderlich, weil nicht von vorneherein feststand, dass die Beklagte den mitgeteilten angeblichen aktuellen Kilometerstand unstrittig lassen würde. Wenn die Klägerin dann nicht kommt, riskiert sie allein schon deshalb einen negativen Ausgang des Rechtsstreits, was auch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), weshalb es nach Auffassung des Senats im vorliegenden Einzelfall auch keines Hinweises bedurfte.
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Im Übrigen ist die Klage nicht abgewiesen worden, weil die Klägerin nicht erschienen ist, sondern weil das Erstgericht sich aufgrund nicht gedeckten Aufklärungsbedarfs (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO!) nicht vom Vorhandensein aller Tatbestandsmerkmale eines Differenzschadensersatzanspruchs überzeugen konnte, da auch die für die Klägerin anwesende Rechtsanwältin keine weiteren Auskünfte geben konnte.
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f) Auch der Senat gelangt daher zu der Überzeugung, dass die Klägerin das Fahrzeug auch in Kenntnis der von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen erworben hätte.
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2. Darüber hinaus liegt ein Differenzschaden im Sinne der Urteile des BGH vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21, WM 2023, 1514; VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270), vom 12.07.2023 (VIa ZR 1119/22, WM 2023, 1530), vom 20.07.2023 ZR 267/20, WM 2023, 1839; ZR 303/20 – nach juris), vom 24.07.2023 (VIa ZR 752/22, VersR 2023, 1526), vom 11.09.2023 (VIa ZR 1533/22, WM 2023, 2343; VIa ZR 45/22 – nach juris; VIa ZR 1249/22 – nach juris; VIa ZR 83/23 – nach juris; VIa ZR 149/23 – nach juris; VIa ZR 1669/22 – nach juris; VIa ZR 1470/22 nach juris; VIa ZR 385/23 – nach juris; VIa ZR 1501/22 – nach juris), vom 18.09.2023 (VIa ZR 1508/22 – nach juris; VIa ZR 632/22 – nach juris; VIa ZR 92/22 – nach juris; VIa ZR 190/22 nach juris; VIa ZR 580/21 – nach juris; VIa ZR 580/22 – nach juris; VIa ZR 308/23 – nach juris; VIa ZR 1724/22 – nach juris), vom 25.09.2023 (VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064; VIa ZR 1643/22 – nach juris; VIa ZR 1199/22 – nach juris; VIa ZR 1277/22 – nach juris; VIa ZR 97/22 – nach juris; VIa ZR 1537/22 – nach juris; VIa ZR 1633/22 – nach juris; VIa ZR 1687/22 – nach juris; VIa ZR 463/22 – nach juris), vom 09.10.2023 (VIa ZR 26/21, WM 2023, 2190; VIa ZR 338/22 nach juris; VIa ZR 598/22 – nach juris; VIa ZR 56/22 – nach juris; VIa ZR 460/22 – nach juris; VIa ZR 674/21 – nach juris; VIa ZR 736/21 – nach juris; Urteil vom 09.10.2023, VIa ZR 26/21, WM 2023, 2190, 2190f., Randziffer 11), vom 12.10.2023 (VII ZR 319/21 – nach juris), vom 16.10.2023 (VIa ZR 37/21, WM 2023, 2191; VIa ZR 14/22, WM 2023, 2193; VIa ZR 374/22, WM 2023, 2194, 2195f., Randziffern 9 und 16 VIa ZR 1139/22 – nach juris; VIa ZR 1511/22 nach juris; VIa ZR 170/22 – nach juris; VIa ZR 356/22 – nach juris; VIa ZR 604/21 – nach juris; VIa ZR 644/22 – nach juris; VIa ZR 112/22 – nach juris; VIa ZR 1255/22 – nach juris; VIa ZR 446/22 – nach juris), vom 19.10.2023 ZR 221/20 – nach juris), vom 23.10.2023 (VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232; VIa ZR 430/22 – nach juris; VIa ZR 1209/22 – nach juris; VIa ZR 476/22 – nach juris; VIa ZR 621/22 – nach juris; VIa ZR 186/22), vom 24.10.2023 (VI ZR 493/20, WM 2024, 36; ZR 493/20 – nach juris; ZR 131/20 – nach juris), vom 26.10.2023 (VII ZR 306/21 – nach juris; ZR 619/21 – nach juris), vom 30.10.2023 (VIa ZR 183/21 – nach juris; VIa ZR 255/21 – nach juris; VIa ZR 870/22 – nach juris; VIa ZR 1230/22 – nach juris; VIa ZR 440/22 – nach juris;; VIa ZR 320/22 – nach juris;; VIa ZR 386/222 – nach juris), vom 06.11.2023 (VIa ZR 535/21, WM 2024, 40, 41, Randziffer 15), vom 08.11.2023 (VII ZR 629/21 – nach juris), vom 13.11.2023 (VIa ZR 582/22 – nach juris; VIa ZR 252/22 – nach juris; VIa ZR 591/22 – nach juris; VIa ZR 387/22 – nach juris; VIa ZR 129/22 – nach juris; VIa ZR 717/22 nach juris; VIa ZR 303/22 – nach juris; VIa ZR 1065/22 – nach juris; VIa ZR 885/22 – nach juris; VIa ZR 147/21 – nach juris), vom 20.11.2023 (VIa ZR 289/22 – nach juris; VIa ZR 119/21 nach juris; VIa ZR 133/22 – nach juris; VIa ZR 1/21 – nach juris; VIa ZR 319/22 – nach juris; VIa ZR 445/22 – nach juris; VIa ZR 661/21 – nach juris), vom 27.11.2023 (VIa ZR 159/22, WM 2024, 224, 225, Randziffer 11; VIa ZR 1425/22, Randziffer 19 – nach juris), vom 04.12.2023 (VIa ZR 1067/22 – nach juris; VIa ZR 181/22 – nach juris; VIa ZR 817/22 – nach juris; VIa ZR 857/22 – nach juris; VIa ZR 1099/22 – nach juris; VIa ZR 281/21 – nach juris; VIa ZR 421/22 nach juris; VIa ZR 689/22 – nach juris; VIa ZR 397/21 – nach juris), vom 11.12.2023 (VIa ZR 148/22 – nach juris; VIa ZR 340/22, WM 2024, 225, 226, Randziffern 9f.), vom 23.01.2024 (VIa ZR 1284/22, Randziffern 14 und 23f. – nach juris), vom 30.01.2024 (VIa ZR 1003/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris; VIa ZR 1015/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris; VIa ZR 1291/22, Randziffern 12 und 17 – nach juris; VIa ZR 1513/22, Randziffern 11 und 14 nach juris; VIa ZR 311/21, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 361/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris; VIa ZR 59/23, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 605/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 623/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 647/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris; VIa ZR 727/21, Randziffern 9 und 11 – nach juris; VIa ZR 727/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris – nach juris; VIa ZR 743/21, Randziffern 10 und 12; VIa ZR 971/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris), vom 06.02.2024, (VIa ZR 1096/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 1214/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 1324/22, Randziffern 15 und 17 – nach juris; VIa ZR 1366/22, Randziffern 12 und 14 nach juris VIa ZR 244/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 266/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 368/22, Randziffern 18 und 20 – nach juris; VIa ZR 578/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris; VIa ZR 604/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris VIa ZR 682/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris – nach juris; VIa ZR 764/22, Randziffer 19; VIa ZR 796/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 944/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris), vom 13.02.2024 (VIa ZR 1356/22, Randziffern 16 und 18 – nach juris; VIa ZR 141/22, Randziffern 9 und 11 – nach juris; VIa ZR 219/22, Randziffern 9 und 11 – nach juris; VIa ZR 465/21, Randziffern 9 und 11 – nach juris; VIa ZR 687/21, Randziffern 9 und 11 – nach juris), vom 20.02.2024 (VIa ZR 1009/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 1117/22, Randziffern 11 und 14 – nach juris; VIa ZR 1283/22, Randziffern 15 und 25 – nach juris; VIa ZR 1589/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 479/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris VIa ZR 593/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 929/22, Randziffern 11 und 13; VIa ZR 947/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris VIa ZR 949/22, Randziffern 11 und 13 nach juris) und vom 27.02.2024 (VIa ZR 1082/22, Randziffern 11 und 13 – nach juris; VIa ZR 1148/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 1208/22, Randziffern 10 und 12 – nach juris; VIa ZR 1480/22, Randziffern 12 und 14 – nach juris) nicht vor:
14
a) Abweichend von der allgemeinen Regel, dass es für die Berechnung des konkreten Schadens – sofern der Schuldner nicht bereits vorher seine Ersatzpflicht erfüllt – grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ankommt, ist für die Bemessung des kleinen Schadensersatzes grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Die Bemessung des kleinen Schadensersatzes hat vom objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen, bei dessen Bestimmung die mit der Prüfstanderkennungssoftware verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko dem Kläger nachteiliger behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen sind. Denn das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen ändert sich nicht dadurch, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfährt; der Vertrag wird dadurch nicht günstiger oder ungünstiger (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 15). Auf den so ermittelten Betrag muss sich der Geschädigte Vorteile anrechnen lassen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis stehen (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 16). Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB. Dass für die Bemessung des kleinen Schadensersatzes grundsätzlich der objektive Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich ist, schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Rahmen der Vorteilsausgleichung nicht aus (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 17). Dabei können nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen sein, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d.h. bei denen dem Geschädigten die Anrechnung zumutbar ist und die den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein. Demgemäß ist bei der Ermittlung des Anspruchs auf kleinen Schadensersatz im Wege der Vorteilsausgleichung eine Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update als nachträgliche Maßnahme der Beklagten zu berücksichtigen, die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen sollte (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 18). Darin müssen sich die gegenzurechnenden Vorteile indessen nicht erschöpfen. Der Käufer eines Fahrzeugs erwirbt die Möglichkeit, dieses ohne zeitliche Begrenzung über die gesamte Laufleistung zu nutzen. Kaufpreiszahlung und Gesamtnutzung stehen sich kongruent und daher anrechenbar gegenüber; sie sind bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden, wenn der Käufer den großen Schadensersatzanspruch geltend macht. Gleiches gilt für einen (Rest-)Wert des Fahrzeugs, der in einem inneren Zusammenhang mit dem Schaden steht (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 19). Nichts anderes gilt bei wertender Betrachtung für den kleinen Schadensersatzanspruch. Dass der Geschädigte in diesem Fall, anders als im Falle der Geltendmachung des großen Schadensersatzes, nicht einen ungünstigen Vertrag rückabwickeln, sondern die Differenz zwischen dem Wert seiner Leistung und der Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liquidieren will, ändert an der Rechnungseinheit zwischen einerseits dem von ihm gezahlten Kaufpreis und andererseits dem Nutzungswert und tatsächlichen Restwert des Kraftfahrzeugs nichts. Denn bei der Bemessung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist insbesondere das Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung einzubeziehen. Hat sich dieses wertbestimmende Risiko bis zum Ende der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs nicht verwirklicht, muss dieser Umstand im Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545, Randziffer 20). Soweit der Bundesgerichtshof den inneren Zusammenhang zwischen den Gewinnen aus einer Beteiligung einerseits und dem schädigenden Vertragsschluss über die Beteiligung andererseits und somit eine Vorteilsausgleichung bei der Geltendmachung des Anspruchs auf kleinen Schadensersatz abgelehnt hat, sofern der Anleger die Ausschüttungen auch bei einem Erwerb der Beteiligung zu einem ihrem damaligen tatsächlichen Wert entsprechenden Anlagebetrag oder der Unternehmenskäufer den Gewinn aufgrund eigenen unternehmerischen Einsatzes erzielt hätte, ergibt sich hieraus für die Anrechnung von Nutzungsvorteilen nichts Gegenteiliges. Denn in den dort entschiedenen Fällen erwirtschaftete der Geschädigte die Ausschüttungen oder Gewinne unabhängig von der zum schädigenden Vertragsschluss führenden Täuschung über die wertbestimmenden Faktoren. Demgegenüber kommt dem Geschädigten in Fällen wie dem hier zur Entscheidung gestellten im Umfang der Laufleistung gerade der für die Wertbestimmung des Fahrzeugs maßgebliche Faktor zugute, der der Kaufpreiszahlung kongruent gegenübersteht. Entsprechend wirkt sich die Täuschung über die Stilllegungsgefahr, an die die Haftung nach § 826 BGB anknüpft, im Umfang des mit der tatsächlichen Nutzung verknüpften Vorteils nicht mehr vermögensmindernd aus (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 545f., Randziffer 21). Allerdings sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Anspruch auf kleinen Schadensersatz erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. Eine Anrechnung kommt folglich erst dann und nur in dem Umfang in Frage, in dem der Geschädigte höhere Vorteile gezogen hat, als der tatsächliche Wert bei Vertragsschluss betragen hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 546, Randziffer 22). Anders als bei der Ermittlung des Schadens als solchem ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile – sofern der Schuldner nicht bereits vorher seine Ersatzpflicht erfüllt – grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, wobei die Vorteilsanrechnung auch nicht auf den Zeitraum bis zu einem etwaigen Eintritt des Schuldner- oder Annahmeverzugs der Beklagten beschränkt ist. Die Gesamtlaufleistung und der damit verknüpfte Nutzungsvorteil ist vom Tatrichter nach § 287 ZPO zu schätzen (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 546, Randziffer 23). Dabei kann der Anspruch auf kleinen Schadensersatz, was aus Rechtsgründen grundsätzlich nicht zu beanstanden wäre, schon durch die als Vorteil gegenzurechnende Nutzungsentschädigung vollständig aufgezehrt werden (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, WM 2022, 543, 546, Randziffer 24).
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b) Das gilt auch für die Frage des Differenzschadens (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, WM 2023, 1514, 1525, Randziffer 80).
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c) Legt man die gefahrenen Kilometer (Zeitpunkt zugunsten der Klägerin: 19.03.2024) von 153.450 km zugrunde, ergibt sich nach linearer Berechnungsweise ein Nutzungsersatz in Höhe von € 16.493,74:

Bruttokaufpreis:

€ 39.500,00

Gesamtlaufleistung:

250.000 km

Anfangskilometer:

84.231 km

€ 39.500,00 x (153.450 – 84.231) / (250.000 – 84.231):

€ 16.493,74

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In ständiger Rechtsprechung legt der Senat eine durchschnittliche Laufleistung in Höhe von 250.000 km zugrunde. Dabei ist dem Senat bewusst, dass viele Fahrzeuge eine erheblich höhere Laufleistung erreichen. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass auch viele demjenigen der Klägerin vergleichbare Fahrzeuge eine solche Laufleistung wegen technischen oder wirtschaftlichen Totalschadens usw. nicht erreichen, weshalb der Senat diese Gesamtlaufleistung entsprechend schätzt.
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d) Das Fahrzeug hat nach einer DAT-Abfrage vom 09.07.2024 einen Händlerverkaufspreis von € 29.268,00 und einen Händlereinkaufspreis in Höhe von abgerundet € 25.713,00, weshalb bei der Klägerin kein Schaden mehr vorliegt.
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Der aktuelle Restwert des Fahrzeugs übersteigt zur Überzeugung des Senats die Differenz aus vorstehend berechneter Nutzungsentschädigung und Kaufpreis. Maßgeblich ist der Händlerverkaufspreis, da die Klägerin – wie oben unter Ziffer 2 a ausgeführt – durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens lediglich so behandelt wird, als wäre es ihr in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis, der ebenso ein Händlerverkaufspreis wäre, abzuschließen. Für die Restwertschätzung (§ 287 ZPO) geht der Senat mangels Mitteilung der aktuellen Laufleistung zugunsten der Klägerin davon aus, dass ihr Fahrzeug einen aktuellen Kilometerstand von 153.450 km hat (Angabe der Klägerin allerdings mit Stand 19.03.2024).
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Auf Grundlage einer am 09.07.2024 durchgeführten SilverDAT-Abfrage durch den Senat auf der Homepage der DAT Group (www.dat.de) unter Eingabe der (sich im Wesentlichen über die Eingabe der FIN ergebenden) Daten „Hersteller Audi, Modell Audi Q 7 (4MB)(03.2015->), 3.0 TDI, quattro, 2015 – 2018, Anzahl Halter 3, Erstzulassung 24.08.2015, Laufleistung 153.450 km, FIN: …68, Leistung 200 kW / 272 PS, Hubraum 2967 ccm, Unfallschaden unbekannt, Motorart Diesel EU 6, Getriebe Automatik – Tiptronic 8-Stufen“ beträgt der aktuelle Händlerverkaufswert € 29.268,00. Der Senat ist im Rahmen seines Schätzungsermessens (§ 287 ZPO) überzeugt, dass der zugunsten der Klägerin bei Annahme einer inzwischen höheren Laufleistung errechnete Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs (€ 29.268,00) addiert mit der – zugunsten der Klägerin bei Annahme einer im Vergleich zum 10.03.2024 unveränderten – anzurechnenden Nutzungsentschädigung (€ 16.493,74) insgesamt € 45.761,74 beträgt und damit den von der Klägerin gezahlten Kaufpreis (€ 39.500,00) deutlich übersteigt. Damit liegt kein ersatzfähiger Schaden (mehr) vor. Selbst wenn man den Händlereinkaufspreis in Höhe von ebenfalls am 09.07.2024 festgestellten abgerundet € 25.713,00 zugrunde legte, würde der Kaufpreis mit € 42.206,74 deutlich überstiegen.