Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 01.10.2024 – 5 U 139/21
Titel:

Kein Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens wegen Vorteilsausgleichs

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Der Differenzschaden wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Fahrzeug bestimmt sich nach dem Unterschied zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem objektiven Wert des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt. Die Höhe dieses Schadens unterliegt der gerichtlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO und bewegt sich im Bereich von 5% bis 15% des aufgewendeten Kaufpreises. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf diesen Schaden hat sich der Käufer jedoch die ihm aus der vorgenommenen, uneingeschränkten Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Vorteile anrechnen zu lassen, wie dies auch im Rahmen der Bestimmung des kleinen Schadensersatzes nach § 826 BGB gilt. Danach hat sich der Käufer die Nutzungsvorteile und den Restwert des Fahrzeugs – unabhängig von einer Weiterveräußerung insoweit schadensmindernd anzurechnen zu lassen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Differenzschaden, Nutzungsvorteile, Vorteilsausgleich, Restwert
Vorinstanzen:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 28.05.2024 – VIa ZR 1315/22
OLG Bamberg, Urteil vom 09.08.2022 – 5 U 139/21
LG Coburg, Endurteil vom 24.03.2021 – 13 O 638/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29723

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens wird abgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 24.03.2021, Az. 13 O 638/20, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Coburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. 5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
2
Dem Antrag des Klägers, den Rechtsstreit im Hinblick auf das vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Vorabentscheidungsverfahren (Az.: C-668/23) auszusetzen, ist nicht zu entsprechen.
3
Vorliegend ist allein noch die Frage erheblich, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn eine Schadensberechnung nach dem nationalen Haftungsrecht vorsieht, dass sich der Geschädigte die Vorteile der Nutzung des Fahrzeugs auf den Differenzschaden anrechnen lassen muss, soweit diese Vorteile zusammen mit dem Restwert den gezahlten Kaufpreis abzüglich jenes Schadenersatzbetrags übersteigen. Diese Frage ist aus den vom Bundesgerichtshof ausgeführten Gründen (vgl. Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Tz. 80; vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Tz. 17 ff.; vom 10.10.2022 – VIa ZR 542/21, Tz. 15 ff.) im Sinne eines acte claire beantwortet und bedarf daher keiner Beantwortung durch den Gerichtshof. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Insbesondere hat sich der Bundesgerichtshof ausführlich mit der Vorgabe des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C 100/21, Tz. 92 ff.) auseinandergesetzt, wonach es Sache des nationalen Rechts ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines (fahrlässig) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.
III.
4
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
5
1. Ein Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, den der Kläger nunmehr allein verfolgt, besteht nicht.
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Es kann dabei offen bleiben, ob das Fahrzeug des Klägers über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt und deshalb die von der Beklagten erteilte Übereinstimmungsbescheinigung inhaltlich unzutreffend ist. Denn ein eventueller Schaden des Klägers ist im vorliegenden Fall durch den anzurechnenden Vorteilsausgleich konsumiert.
7
a) Der Differenzschaden bestimmt sich nach dem Unterschied zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem objektiven Wert des Fahrzeugs im Erwerbszeitpunkt. Die Höhe dieses Schadens unterliegt der gerichtlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO und bewegt sich aus den durch den Bundesgerichtshof näher dargelegten Gründen, denen sich der Senat anschließt, im Bereich von 5% bis 15% des vom Kläger aufgewendeten Kaufpreises (vgl. BGH, Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/2, Tz. 74 ff.). Wenn man den vom Kläger vorgetragenen Schaden in Höhe von 5% des Kaufpreises zugrundelegt, ergibt dies einen Betrag in Höhe von 1.537,50 €.
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b) Auf diesen Schaden hat sich der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die ihm aus der vorgenommenen, uneingeschränkten Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Vorteile anrechnen zu lassen, wie dies auch im Rahmen der Bestimmung des kleinen Schadensersatzes nach § 826 BGB gilt (vgl. BGH aaO, Tz. 80). Danach hat sich der Kläger auf den o.g. Betrag die Nutzungsvorteile und den Restwert des Fahrzeugs – unabhängig von einer Weiterveräußerung (BGH, Urt. v. 27.11.2023 – VIa ZR 159/22 Tz. 13) – insoweit schadensmindernd anzurechnen zu lassen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen.
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aa) Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug mit 18.371 km erworben. Der Kilometerstand hat am 01.10.2024 unstreitig 198.342 km betragen. Auf Grundlage der linearen Berechnungsmethode und unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern berechnet sich der Nutzungsersatz zum Schluss der mündlichen Verhandlung mit 23.892,12 € (§ 287 ZPO). Das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten hat insoweit keine Aussagekraft, weil es bereits einen grundlegend abweichenden Fahrzeugtyp betrifft.
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bb) Der Kläger hat einen Restwert des Fahrzeugs von 10.500 € behauptet. Es kann vorliegend dahinstehen, ob wie von der Beklagten behauptet, das Fahrzeug einen höheren Restwert hat, weil selbst unter der Annahme des vom Kläger behaupteten Restwerts ein Differenzschaden schon rechnerisch nicht gegeben ist.
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cc) Denn der Restwert und der Nutzungsersatz (10.500 € + 23.892,12 € = 34.392,12 €) übersteigen den objektiven Wert im Zeitpunkt des Erwerbs von 29.212,50 € (Kaufpreis abzüglich 5%) um 5.179,62 €, so dass der geltend gemachte Differenzschaden von 1.537,50 € vollständig konsumiert ist.
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c) Vorstehendes gilt entsprechend auch bei Annahme eines höheren Schadens von bis zu 15% des Kaufpreises.
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2. Es besteht kein eigenständiger Zinsanspruch, weil sich die Situation auch in der Vergangenheit rechnerisch nicht anders als heute dargestellt hat. Denn der Senat geht davon aus, dass der für einen früheren Zeitpunkt anzunehmende geringere Kilometerstand zwar zu einem niedrigeren Nutzungsersatz geführt hat. Da jedoch wegen der anzunehmenden niedrigeren Kilometerzahl und des jüngeren Fahrzeugalters ein höherer Restwert als heute anzunehmen ist, ist auch für diese früheren Zeitpunkte davon auszugehen, dass der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens durchgehend aufgezehrt war (§ 287 ZPO).
IV.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und erstreckt sich auch auf die Kosten des Revisionsverfahrens.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Der Bundesgerichtshof hat, wie seine vorstehend zitierten Entscheidungen zeigen, sämtliche für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits relevanten Fragen zwischenzeitlich beantwortet.