Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.02.2024 – 4 CE 23.2267
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Überfliegen eines Grundstücks mit einer Drohne

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
BayGO Art. 24 Abs. 3
DS-GVO Art. 6 Abs. 1
BayDSG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
LuftVO § 1
AO § 99
Leitsätze:
Die Generalklausel des Art. 4 Abs. 1 BayDSG ist keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine ohne Einwilligung des Grundstückeigentümers durchgeführte Drohnenbefliegung eines Wohngrundstücks zur Herstellung und Weiterverarbeitung von Lichtbildaufnahmen im Auftrag einer Gemeinde (hier zur Geschossflächenermittlung). (Rn. 18)
1. Bei bildlichen Aufzeichnungen von Grundstücken (und daraus erstellten Modellen) handelt es sich nicht lediglich um Sachdaten, sondern um personenbezogene Daten. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund ihrer allgemeinen Fassung ist Art. 4 Abs. 1 BayDSG nur im Falle einer Datenverarbeitung anwendbar, die mit einem geringfügigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen verbunden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Drohneneinsatz zum Zwecke der fotografischen Dokumentation eines Wohngrundstücks und des dortigen Wohngebäudes von außen greift in den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung und -führung ein. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
allgemeiner öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gemeindlich veranlasste Drohnenbefliegung von Wohngrundstücken zur Ermittlung von Geschossflächenzahlen, Rechtmäßigkeit der Datenerhebung, allgemeiner öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, gemeindlich veranlasste Drohnenbefliegung von Wohngrundstücken zur Ermittlung von Geschossflächenzahlen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 22.11.2023 – M 7 E 23.5047
Fundstellen:
BayVBl 2024, 411
ZD 2024, 293
DÖV 2024, 537
BeckRS 2024, 2968
LSK 2024, 2968

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Unterlassung der Befliegung seines Wohngrundstücks mit einem unbemannten Fluggerät (Drohne), der dabei erfolgenden bildlichen und georeferenzierten Aufzeichnung seines Grundstücks samt Wohngebäude sowie der anschließenden Verwendung der Aufzeichnungen insbesondere zur Erstellung dreidimensionaler Modelle (im Folgenden insgesamt als Drohnenbefliegung bezeichnet).
2
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Wohngrundstücks im Stadtgebiet der Antragsgegnerin, welches an die gemeindliche Abwasserentsorgung angeschlossen ist. Diese wird gemäß der Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 1990 (Entwässerungssatzung – EWS), zuletzt geändert durch die Änderungssatzung vom 9. Januar 2006, als öffentliche Einrichtung betrieben. Gemäß § 5 Abs. 1 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 16. Oktober 1986 (im Folgenden: Beitrags- und Gebührensatzung), zuletzt geändert durch die Änderungssatzung vom 31. Juli 2018, wird der Herstellungsbeitrag nach der Grundstücks- und der Geschossfläche der vorhandenen Gebäude berechnet. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, die Geschossflächen der an die Entwässerungsanlage angeschlossenen oder anschlussberechtigten Grundstücke zu ermitteln. Mithilfe dieser aktualisierten Bemessungsgrundlage sollen die Herstellungsbeiträge neu kalkuliert werden.
3
Mit der Ermittlung der aktuellen Geschossflächen und der anschließenden Beitragsberechnung hat die Antragsgegnerin einen Ingenieurdienstleister und eine Kommunalberatung beauftragt. Es ist vorgesehen, mittels einer mit einer Kamera ausgestatteten Drohne die Grundstücke der Anschlussnehmer zu befliegen und die Gebäude bildlich aufzuzeichnen; die bildlichen Aufzeichnungen sind georeferenziert. Sie sollen ausgewertet werden, indem insbesondere dreidimensionale Modelle der Grundstücke der Anschlussnehmer erstellt und die Geschossflächen in m2 je Gebäude bzw. Gebäudeteil sowie die Gebäudeumrisse in cm2 dokumentiert werden. Die Auswertung soll als Grundlage für die Berechnung der Herstellungsbeiträge dienen.
4
In der nicht öffentlichen Stadtratssitzung vom 27. Juli 2023 wurde beschlossen, den Ingenieurdienstleister mit der Befliegung nebst Aufzeichnung und Auswertung zu beauftragen. Mit Schreiben vom 14. September 2023 wurden der Antragsteller und die sonstigen Anschlussnehmer über die ursprünglich im Oktober 2023 geplanten Maßnahmen informiert.
5
Auf den dagegen gerichteten Eilantrag des Antragstellers vom 18. Oktober 2023 hin verpflichtete das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 22. November 2023 im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache sicherzustellen, dass das Grundstück des Antragstellers nicht wie beabsichtigt mittels eines unbemannten Fluggeräts (Drohne) beflogen wird, dabei bildliche Aufzeichnungen erstellt und die bildlichen Aufzeichnungen ausgewertet werden.
6
Die Anspruchsvoraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs dürften vorliegen. Im Falle des Antragstellers sei jedenfalls seine grundgesetzlich geschützte Rechtsposition aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG betroffen. Geschützt sei hinsichtlich der Preisgabe von Einblicken in die räumliche Privatsphäre auf Wohngrundstücken die nach den konkreten Gegebenheiten begründete und für Dritte erkennbare Erwartung des Betroffenen, dass seine privaten Verhältnisse den Blicken der Öffentlichkeit entzogen blieben und von ihr nicht zur Kenntnis genommen würden. Die streitgegenständlichen Maßnahmen dürften ohne Einwilligung des Antragstellers einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Die Ermittlung der Geschossfläche durch die streitgegenständlichen Maßnahmen solle in zwei Schritten erfolgen. Bei der Befliegung nebst zeitgleich erfolgender und georeferenzierter bildlicher Aufzeichnung der Grundstücke solle in einem ersten Schritt der aktuelle Zustand der Grundstücke der Anschlussnehmer bildlich festgehalten werden. Im Rahmen der im zweiten Schritt erfolgenden Auswertung sollten auf Grundlage der erfassten Daten Pläne erstellt und Aufmaßdaten dokumentiert werden. Insbesondere sollten erstellt bzw. dokumentiert werden: Eine digitale, parzellenscharfe Flurkarte und ein georeferenziertes Luftbild in Farbe für jedes Grundstück sowie die Einzelpositionen der Geschossflächen je Gebäude bzw. Gebäudeteil in allen Geschossen und die exakte Bemaßung mit cm-Genauigkeit der Gebäudeumrisse. Abschließend sollten die ausgewerteten Daten an den Auftragsgeber abgegeben werden. Unter Berücksichtigung des heutigen Stands der Technik dürften die streitgegenständlichen Maßnahmen in die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition des Antragstellers eingreifen. Dieser dürfe nach den konkreten Gegebenheiten die begründete und für Dritte erkennbare Erwartung hegen, dass seine privaten Verhältnisse den Blicken der Öffentlichkeit entzogen blieben und von ihr nicht zur Kenntnis genommen würden. Mangels Rechtsgrundlage dürften die streitgegenständlichen Maßnahmen rechtswidrig sein. Weder die Luftverkehrsordnung oder kommunalrechtliche Bestimmungen noch unionale bzw. nationale Datenschutzvorgaben dürften zu den beabsichtigten Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller ohne dessen Einwilligung ermächtigen. Der Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sei eröffnet, da es sich bei den Informationen, die durch die streitgegenständlichen Maßnahmen erhoben werden sollten, um personenbezogene Informationen i. S. v. Art. 4 Nrn. 1 und 2 DSGVO handele. Die streitgegenständlichen Maßnahmen dürften nicht gemäß Art. 4 Abs. 1 BayDSG zur Erfüllung einer der Antragsgegnerin obliegenden Aufgabe erforderlich sein. Neben dem Befliegungsverfahren sei auch eine Grundstücksbegehung und eine Selbstauskunft der Betroffenen zur Ermittlung der Geschossfläche geeignet. Gegen die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch die streitgegenständlichen Maßnahmen spreche auch der Grundsatz der Speicherbegrenzung. Sofern die Antragsgegnerin mit der Datenerhebung weitere, zusätzliche Zwecke verfolge wie die Ermittlung von Gebäudehöhen, Firsthöhen und Dachneigungen, rechtfertigten diese Zwecke die konkrete Datenerhebung und -speicherung nicht.
7
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
8
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.
9
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
10
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag zu Recht stattgegeben.
11
a) Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Antragsgegnerin im fristgemäß eingegangenen Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 21. Dezember 2023 vor, die geplante Drohnenbefliegung sei erforderlich, da es keine Möglichkeit gebe, den Zweck der Datenverarbeitung auch auf andere, zumutbare Weise zu erreichen. Gegenüber einer Begehung vor Ort als weitere geeignete Maßnahme sei die Drohnenbefliegung für die Betroffenen weniger eingriffsintensiv. Eine Eigenmessung durch die Grundstückseigentümer würde angesichts der Komplexität der Geschossflächenermittlung zwangsläufig zu unrichtigen und uneinheitlichen Ergebnissen führen. Es fehlten auch rechtlich zulässige Instrumente, um Betroffene mit angemessenem Aufwand zur Erteilung von Selbstauskünften innerhalb angemessener Zeit anhalten zu können. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an der Exaktheit der zu erhebenden Daten. Demgegenüber wiege das Interesse des Einzelnen auf Schutz seiner Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung im konkreten Fall nicht sonderlich schwer. Die Eingriffsintensität sei niedrig, weshalb sich die Maßnahme der Drohnenbefliegung auf Art. 4 Abs. 1 BayDSG stützen lasse. Dass es sich um personenbezogene Daten handele, weil die gespeicherten Daten zwangsläufig dem Grundstück und damit der Person des Antragstellers zugeordnet werden müssten, besage nichts über die Eingriffsintensität. Die erhobenen Informationen beträfen lediglich die Außenansicht des Gebäudes. Es sei sichergestellt, dass Personen nicht erkennbar, keine Einblicke in Wohnräume (durch Fenster oder Glastüren) möglich und Gegenstände, die nicht zum Gebäude gehörten, nur schemenhaft erkennbar seien. Der persönliche Lebensbereich der Grundstückseigentümer bzw. Bewohner der Gebäude werde nicht erfasst. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin mit der geplanten Maßnahme nur solche Daten aktualisiere, über die sie im Grundsatz ohnehin verfüge und die ihr als Kommune auch vorliegen müssten. Die betreffenden Daten (Außenansicht und -maße eines Gebäudes) stellten im Verhältnis von Gemeinde und Bürger keine besonders schutzwürdigen Daten dar. Vielmehr müsse der Staat aus baurechtlichen, steuerrechtlichen und kommunalrechtlichen Gründen Kenntnis von diesen Daten haben. Art. 4 Abs. 1 BayDSG als generalklauselartige Befugnis für öffentliche Stellen, personenbezogene Daten zur Erfüllung eigener Aufgaben zu verarbeiten, sei mangels einer bereichsspezifischen Verarbeitungsbefugnis anwendbar. Ob die Geschossflächendaten, die für kommunalabgabenrechtliche Zwecke dauerhaft gespeichert werden müssten, später auch für andere, beispielsweise baurechtliche Zwecke verwendet werden könnten, sei eventuell eine Frage der datenschutzrechtlichen Zweckbindung, wirke sich aber nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Drohnenbefliegung aus. Schließlich sei auf die Notwendigkeit der Digitalisierung der Verwaltung hinzuweisen.
12
b) Dieses Vorbringen kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch auf Unterlassung der geplanten Drohnenbefliegung gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu; die Antragsgegnerin zieht nicht in Zweifel, dass zudem ein Anordnungsgrund besteht (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
13
aa) Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Drohnenbefliegung des Wohngrundstücks des Antragstellers bedarf gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e und Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einer Rechtsgrundlage, da dieser keine Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a, Art. 7 DSGVO erteilt hat.
14
Bei der geplanten Drohnenbefliegung sollen im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO personenbezogene Daten verarbeitet werden. Die Lichtbildaufnahmen eines Grundstücks und eines Gebäudes könnten zunächst als sachbezogen angesehen werden. Im angefochtenen Beschluss (BA Rn. 38) wird jedoch zutreffend ausgeführt, dass sich der Personenbezug im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO zum einen aus der Georeferenziertheit dieser Daten ergibt, d.h. aus ihrer Verknüpfung mit Geodaten zur Lage und Bezeichnung des Grundstücks, mit denen wiederum ein Bezug zur Person des jeweiligen Grundstückeigentümers hergestellt werden kann (vgl. Schild in: Wolff/Brink/v. Ungern-Sternberg, BeckOK Datenschutzrecht, Stand 1.11.2023, Rn. 23 zu Art. 4 DSGVO). Zum anderen weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hin, dass mithilfe von Drohnen gefertigte Aufnahmen auch z.B. Terrassen sowie Balkonflächen und durch Glasflächen auch (Wohn-)Räume erfassen und damit Details der dortigen Wohnverhältnisse dokumentieren können. Die bildliche Erfassung des unmittelbaren persönlichen Lebensumfelds und sich dort aufhaltender Personen betrifft unmittelbar personenbezogene Daten. Auch die Antragsgegnerin bezweifelt nicht, dass es sich bei einer Drohnenbefliegung mit Kamera um eine Datenverarbeitung handelt, die einer Rechtsgrundlage bedarf.
15
bb) Im Abgabenrecht fehlt eine bereichsspezifische Rechtsgrundlage, auf die eine Drohnenbefliegung zur Ermittlung einer Bemessungsgrundlage für die Beitragserhebung gestützt werden könnte.
16
Rechtsgrundlage einer Datenverarbeitung im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b DSGVO kann grundsätzlich auch eine gemeindliche Satzungsregelung sein (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 4 CS 21.2254 – BayVBl 2022, 803 Rn. 28; Albers/Veit in: Wolff/Brink/v. Ungern-Sternberg, BeckOK Datenschutzrecht, Stand 1.8.2023, Rn. 82 zu Art. 6 DSGVO; Erwägungsgrund 41 Satz 1 DSGVO). Weder in der Entwässerungssatzung noch in der Beitrags- und Gebührensatzung der Antragsgegnerin findet sich jedoch eine Regelung zur Drohnenbefliegung. Welche rechtlichen Anforderungen an eine entsprechende Satzungsregelung und eine etwaige gesetzliche Satzungsermächtigung zu stellen wären, ist daher nicht entscheidungserheblich.
17
Auch aus dem Betretungsrecht gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) cc) ccc) KAG i.V.m. § 99 AO ergibt sich keine Befugnis für eine Drohnenbefliegung. Danach sind die von der jeweiligen Gemeinde mit der Einnahme eines Augenscheins betrauten Amtsträger und die nach den §§ 96 und 98 AO zugezogenen Sachverständigen berechtigt, u.a. Grundstücke während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeit zu betreten, soweit dies erforderlich ist, um im Besteuerungsinteresse Feststellungen zu treffen. Die betroffenen Personen sollen angemessene Zeit vorher benachrichtigt werden. Wohnräume dürfen gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden. Bereits begrifflich kann eine Drohnenbefliegung nicht unter dieses Betretungsrecht gefasst werden. Letzteres erlaubt das Betreten u.a. von Grundstücken und im Notfall von Wohnräumen zum Zwecke der Augenscheinnahme, nicht das Befliegen zum Zwecke der Anfertigung von Fotoaufnahmen aus der Luft mit einer Draufsicht oder aus seitlicher Perspektive auf das Grundstück und das Gebäudeäußere.
18
cc) Die streitgegenständliche Drohnenbefliegung kann nicht auf die subsidiäre Generalklausel des Art. 4 Abs. 1 BayDSG gestützt werden.
19
(1) Diese Befugnisnorm erlaubt eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle nur dann, wenn diese mit einem lediglich geringfügigen Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen verbunden ist.
20
Gemäß Art. 4 Abs. 1 BayDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Stelle unbeschadet sonstiger Bestimmungen zulässig, wenn sie zur Erfüllung einer ihr obliegenden Aufgabe erforderlich ist. Es handelt sich dabei um eine Rechtsgrundlage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e und Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die subsidiär zu etwaigen spezialgesetzlichen Regelungen gilt (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 17/19628 S. 33). Aufgrund ihrer allgemeinen Fassung ist sie nur im Falle einer Datenverarbeitung anwendbar, die mit einem geringfügigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen verbunden ist (vgl. Gesetzesbegründung zur entsprechenden bundesrechtlichen Vorschrift des § 3 BDSG in BT-Drs. 18/11325 S. 81; Stief in Schröder, BayDSG, 1. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 1). Diese Einschränkung ergibt sich insbesondere aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und -klarheit.
21
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 23.2.2007 – 1 BvR 2368/06 – NVwZ 2007, 688 Rn. 46 f.) soll der Grundsatz der Normenbestimmtheit und Normenklarheit sicherstellen, dass die gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet und dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können; ferner ermöglichen die Bestimmtheit und Klarheit der Norm, dass der betroffene Bürger sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann. Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden.
22
Die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigung richten sich nach der Art und der Schwere des Eingriffs. Diese ergeben sich aus der Art der vorgesehenen Maßnahme und der von ihr für den Betroffenen ausgehenden Wirkungen. Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Intensität eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Art der Beeinträchtigung. Insofern kann auch von Belang sein, ob die betroffenen Personen für die Maßnahme einen Anlass geben und wie dieser beschaffen ist. Verdachtslose Eingriffe mit großer Streubreite, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf (vgl. BVerfG, a.a.O.).
23
Diese Rechtsprechung steht auch in Einklang mit dem aktuell geltenden Unionsrecht. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und b DSGVO müssen personenbezogene Daten auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden („Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz“); sie müssen für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden („Zweckbindung“). Die entsprechende Rechtsgrundlage oder Gesetzgebungsmaßnahme soll gemäß Erwägungsgrund 41 Satz 2 DSGVO klar und präzise sein; ihre Anwendung soll für die Rechtsunterworfenen gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorhersehbar sein.
24
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Februar 2007 (a.a.O. Rn. 53 ff.) in Bezug auf die gleichfalls als subsidiäre Generalklauseln konzipierten Art. 16 Abs. 1 BayDSG in der Fassung vom 23. Juli 1993 (im Folgenden Art. 16 BayDSG a.F.) und Art. 17 Abs. 1 BayDSG in der Fassung vom 26. Juli 2006 (im Folgenden Art. 17 BayDSG a.F.) ausgeführt hat, enthält eine derartige Ermächtigungsgrundlage keine hinreichenden Vorgaben für einen intensiven Grundrechtseingriff (dort Videoüberwachung öffentlicher Plätze). In Bezug auf Art. 16 Abs. 1 BayDSG a.F. als allgemeine Befugnisnorm für Datenerhebungen durch staatliche Stellen wird ausgeführt, diese Norm knüpfe lediglich an die Zuständigkeit der jeweils handelnden Behörde an und begrenze die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erforderlichkeit. Aufgaben- oder bereichsspezifische Voraussetzungen der Datenerhebung fehlten. Das in Art.16 Abs. 1 BayDSG a.F. enthaltene Gebot der Erforderlichkeit könne die behördliche Praxis nicht hinreichend anleiten oder Kontrollmaßstäbe bereitstellen, wenn es nicht auf ein näher beschriebenes Normziel ausgerichtet werde. Die Norm biete daher keine hinreichenden Maßstäbe für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung. Auch könne der Einzelne auf dieser Grundlage nicht vorhersehen, bei welcher Gelegenheit, zu welchem Zweck und auf welche Weise Informationen über ihn erhoben werden dürften. Art. 17 Abs. 1 BayDSG, der die Speicherung, Veränderung und Nutzung der erhobenen Daten regele, enthalte gleichfalls keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermächtigungsgrundlage für den beabsichtigten Grundrechtseingriff in Betracht zu kommen.
25
Diese Rechtsgrundsätze können auf die insoweit vergleichbare Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 BayDSG übertragen werden. Auch diese Vorschrift enthält keine konkretisierenden Vorgaben im vorgenannten Sinne für nicht nur geringfügige Grundrechtseingriffe (vgl. zu entsprechenden Vorgaben in einer Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung auch Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 DSGVO).
26
(2) Der Einsatz einer Drohne im Auftrag einer Gemeinde zur Anfertigung von Fotoaufnahmen eines Wohngrundstücks und eines Wohngebäudes von außen zur Ermittlung von Geschossflächen kann nicht auf Art. 4 Abs. 1 BayDSG gestützt werden, sondern bedarf einer speziellen Rechtsgrundlage. Die Maßnahme stellt einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) dar, welches das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Achtung der Privatsphäre umfasst.
27
Ein Drohneneinsatz zum Zwecke der fotografischen Dokumentation eines Wohngrundstücks und des dortigen Wohngebäudes von außen greift in den Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung und -führung ein. Die Privatsphäre umfasst zunächst den räumlich inneren Hausbereich. Eine schützenswerte Privatsphäre besteht jedoch auch außerhalb dieses Bereichs in gleicher Weise beispielsweise dann, wenn sich jemand in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der er objektiv erkennbar für sich allein sein will. Danach ist ein umfriedetes Grundstück jedenfalls dann der Privatsphäre zuzurechnen, wenn es dem Nutzer die Möglichkeit gibt, frei von öffentlicher Beobachtung zu sein (vgl. BVerfG, U.v. 15.12.1999 – 1 BvR 653/96 – NJW 2000, 1021/1022 f.; BGH, U.v. 9.12.2003 – VI ZR 373/02 – NJW 2004, 762/763). Mithilfe einer Drohne können Aufnahmen der zur Wohnung zählenden Terrassen, Balkone sowie Gartenflächen mit deren Ausstattung und Gestaltung hergestellt werden. Auch die sich dort aufhaltenden Personen werden – unabhängig von ihrer Eigenschaft als Beitragsschuldner – fotografiert. Weiter ist nicht auszuschließen, dass durch Glasflächen auch Innenräume erfasst werden. Dem steht nicht entgegen, dass diese Gefahr eventuell durch Spiegelungen verringert wird. Drohnen können zudem besonders scharfe Aufnahmen fertigen; dies betrifft auch ansonsten schwer einsehbare Orte. Hinzu kommt, dass sie häufig schwer wahrnehmbar sind, was Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre erschwert. Auch wird eine Drohnenbefliegung nicht durch ein Verhalten des Grundstückseigentümers veranlasst, wenn sie wie vorliegend der Beitragsbemessung dient. Sie erfolgt unter Umständen auch ohne vorherigen Erlass eines Duldungsbescheids und ohne konkrete Terminankündigung, was ggf. die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erschwert.
28
Die Antragsgegnerin trägt insoweit vor, die Flughöhe von ca. 65 Metern über Grund sei durch verschiedene Testläufe so gewählt worden, dass u.a. Personen nicht erkennbar, große Geometrien wie z.B. Hauskanten, Dachfenster, Säulen etc. dagegen über die Verknüpfung mehrerer Bilder im Genauigkeitsbereich weniger Zentimeter darstellbar und ermittelbar seien. Es sei sichergestellt, dass keine konkreten Details der Wohnverhältnisse und keine Gegenstände auf nicht überdachten Flächen wie Terrassen von einer Größe von über drei Zentimetern erkennbar erfasst würden; ein drei Zentimeter großer Gegenstand (z.B. ein Autoschlüssel) werde lediglich als ein einziger Pixel dargestellt. Es würden auch keinerlei Aufnahmen erstellt, auf denen das Innere von Gebäuden erkennbar sei.
29
Durch diesen Vortrag der Antragsgegnerin wird die potentiell erhebliche Eingriffsqualität von Drohnenbefliegungen auf Wohngrundstücken nicht substantiiert in Frage gestellt. Sie bezieht sich nur auf den vorliegenden Einzelfall und verweist im Wesentlichen pauschal auf eine im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegte Mitteilung des beauftragten Ingenieurbüros. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern größere Gegenstände und Personen nicht erkennbar sein sollten und die Aufnahme von Innenräumen generell ausgeschlossen werden könnte. Es ergibt sich zudem nicht aus dem Vortrag der Antragsgegnerin und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass solche Aufnahmen aus technischen Gründen auszuschließen wären. Auch die Flughöhe kann stark variieren.
30
dd) Die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog (vgl. zur Zulässigkeit einer entsprechenden Unterlassungsklage im Anwendungsbereich der DSGVO BayVGH, U.v. 30.5.2023 – 5 BV 20.2104 – BayVBl 2023, 735 Rn. 23) liegen bereits deshalb vor, weil die erforderliche Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Drohnenbefliegung des Wohngrundstücks des Antragstellers ohne dessen Zustimmung fehlt. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und sonstige im angefochtenen Beschluss erörterte Fragen sind folglich nicht entscheidungserheblich.
31
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
32
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).