Inhalt

OLG München, Endurteil v. 18.01.2024 – 36 U 5951/22
Titel:

Anspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster auf Ersatz des Differenzschadens und Verbotsirrtum

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Fahrzeughersteller muss, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung (hier Thermofenster) ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
2. Den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums kann der Fahrzeughersteller mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Thermofenster, Differenzschaden, Übereinstimmungsbescheinigung, Verbotsirrtum, erteilte EG-Typgenehmigung
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Urteil vom 01.09.2022 – 32 O 237/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 2967

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 01.09.2022, Az. 32 O 237/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Deggendorf ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 44.820,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
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Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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1. Die Klägerin erwarb am 22.08.2019 bei einem nicht am Verfahren beteiligten Autohaus einen gebrauchten VW T6 Multivan Comfortline SGMGH7, FIN …359, Erstzulassung 29.05.2018, mit einer Laufleistung von 17.236 km zum Kaufpreis von 46.900,00 € brutto.
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Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, Hubraum 2,0 l TDI, Leistung 150 kW, ausgestattet, der der Abgasnorm Euro 6 unterliegt und von der Beklagten hergestellt wurde. Im Fahrzeug ist ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines SCRKatalysators verbaut.
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Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts und nicht von einem verpflichtenden Software-Update betroffen.
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Zum 15.11.2023 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 54.287 km.
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2. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 46.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.05.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.080,85 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Des Weiteren hat die Klägerin beantragt festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 28.05.2021 mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.589,92 € nebst Zinsen freizustellen.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich folgende Abschalteinrichtungen moniert: Fahrkurvenerkennung, unzulässige Abschalteinrichtung beim NOx-Speicherkatalysator (NSK), AdBlue-Dosierstrategie beim SCR-Katalysator, Thermofenster (20 °C bis 30 °C).
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3. Das Landgericht Deggendorf hat mit Endurteil vom 01.09.2022 die Klage abgewiesen.
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Einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB hat das Landgericht aufgrund eines fehlenden schädigenden sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten abgelehnt. Der Klägerin sei es schon nicht gelungen substantiiert vorzutragen, dass das Fahrzeug über eine Fahrkurvenerkennung verfüge. Der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund von Parametern in der Lage sei, einen Prüfstandslauf zur Aktivierung/Deaktivierung technischer Funktionen zu erkennen, sei nicht ausreichend, um von einer prüfstandsbezogenen Manipulation zur Erschleichung der Typgenehmigung auszugehen, wenn damit nicht zugleich die Emissionen in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand gezielt manipuliert würden. Die entsprechenden Behauptungen der Klägerin seien ins Blaue hinein erfolgt. Des Weiteren sei die Funktionsweise 2015 dem Kraftfahrtbundesamt vorgestellt und von diesem keine Beanstandungen erhoben worden. Die Behauptung der Manipulation der AdBlue-Einspritzung sei ohne greifbare Anhaltspunkte erfolgt. Es fehle an einer Täuschung des Kraftfahrtbundesamts und an einer Täuschungsabsicht der Beklagten, sofern die Grenzwerte auch ohne die entsprechenden Funktionen erreicht werden. Darüber hinaus wäre mangels zu besorgender Betriebsuntersagung auch kein Schaden gegeben, zumal an Fahrzeugen mit dem streitgegenständlichen Motor zahlreiche Untersuchungen unter variierten Prüfungsanforderungen durch unabhängige Gutachter ohne Befund durchgeführt worden seien.
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Ebenso wenig reiche das bloße Vorhandensein eines Thermofensters für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit aus. Die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung arbeite sowohl auf dem Prüfstand als auch im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte dargetan, die dafür sprechen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt habe. Die Rechtslage zum Thermofenster sei mit Blick auf die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig gewesen. Die Interpretation der Beklagten zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes sei damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar gewesen.
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Im Übrigen scheide eine sittenwidrige Schädigung aufgrund der Tatbestandswirkung der unverändert wirksamen Typgenehmigung aus. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 beinhalte darüber hinaus nicht die Verpflichtung der Autohersteller, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern biete von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren. Letztlich habe das Kraftfahrtbundesamt trotz zahlreicher Untersuchungen keinen Anlass für einen verpflichtenden Rückruf gesehen.
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Den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der VO (EG) Nr. 715/2007 hat das Landgericht am fehlenden Schutzgesetzcharakter scheitern lassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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4. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der sie zunächst noch den sog. großen Schadensersatz weiterverfolgt und nach Klageumstellung zuletzt den sog. Differenzschaden begehrt.
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Die Beklagte habe Bauteile und Software bewusst so konstruiert, dass die Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb überschritten werden. Die Klägerin, die mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in ihrem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes keine genauen Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung einer Abschalteinrichtung haben könne, habe ausreichend greifbare Anhaltspunkte für den Vorwurf vorgebracht, ihr Fahrzeug sei in zweifacher Hinsicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Auf einen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts komme es nicht an. Das Vorgehen der Beklagten in Bezug auf den Motortyp EA 189 sei ein Indiz dafür, dass sie auch beim Motortyp EA 288 die Behörden und Erwerber getäuscht habe. Überdies wichen die tatsächlichen Schadstoffwerte, insbesondere die Stickoxidausstöße, sehr deutlich von den Werten im Prüfbetrieb ab; die gesetzlichen Grenzwerte werden deutlich überschritten. Daneben gebe es umfangreiche behördliche Ermittlungen gegen die Beklagte wegen des Verdachts der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen, auch in Bezug auf den Motortyp EA 288.
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Die Funktion der temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen sei bewusst auf die Bedingungen des Prüfstandes zugeschnitten und auf die Manipulation der im Prüfstandsbetrieb gewonnenen Ergebnisse ausgerichtet. Die Beklagte hätte einen Motor konstruieren müssen, der unter üblichen und zu erwartenden Betriebsbedingungen die Grenzwerte einhalte, und hätte keine Vorrichtung erfinden dürfen, die diese Werte nur in einem sehr eingeschränkten Bereich (zufällig auch im Rahmen des Prüfverfahrens) gewährleiste. Wäre sie dazu nicht in der Lage gewesen, hätte sie das offenlegen müssen, habe dies jedoch unterlassen. Gegenüber dem KBA und den Kunden habe sie den Eindruck erweckt, die vorgegebenen Werte einhalten zu können.
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Die Beklagte habe mit dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das die Grenzwerte überschreite, mindestens fahrlässig gegen die VO (EG) Nr. 715/2007 verstoßen. Sie könne sich nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen.
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Die Klägerin beziffert den Differenzschaden mit 15% des Kaufpreises. Als Bemessungskriterien führt sie die Kosten für das Umrüsten des Fahrzeugs mit einer wirksamen Abgasanlage, die Kosten für den ergänzenden Kraftstoff (AdBlue) und für zusätzliche Wartungsintervalle, den signifikanten Minderwert beim (hypothetischen) Verkauf des von einer Stilllegung bedrohten Fahrzeugs und den Vertrauensschaden der Klägerin infolge der falschen Zusicherung der Beklagten, eine Investition in eine umweltfreundliche Technik getätigt zu haben, an. Der Restwert des Fahrzeugs betrage ca. 36.100,00 €.
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Die Klägerin hat zunächst in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 46.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.05.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.080,85 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 7.035,00 € Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit 28.05.2021 zu zahlen.
II. Unter Abänderung des am 01.09.2022 verkündeten Urteils des LG Deggendorf, Az.: 32 O 237/22 die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 2.589,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Sie habe keine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug ausgestellt.
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Eine Fahrkurvenerkennung sei in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs nie hinterlegt gewesen. Sie stelle im Übrigen keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus auch ohne diese Einrichtung eingehalten werden. Einer Umschaltlogik komme sie nicht gleich.
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Der Beklagten könne kein fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden. Es sei von einer hypothetischen Genehmigung auszugehen. Bereits Ende 2015 habe die Beklagte dem KBA die in (einigen) EA 288-Fahrzeugen verbaute Fahrkurvenerkennung offengelegt. Im November 2015 habe die Beklagte entschieden, die Fahrkurve bei den EA 288-Aggregaten mit SCR-Technologie für neu produzierte Modelltypen sowie Modellpflegen schon produzierter Modelle ab November 2015 zu entfernen und generell ab einem Produktionsstart oder dem Modelljahreswechsel der 22. Kalenderwoche 2016 nicht mehr zu verwenden. Für die Änderung der Bedatung des Motorsteuergeräts habe sie die sog. Applikationsrichtlinie erstellt, die mit dem KBA abgestimmt gewesen sei. Das KBA habe detaillierte Felduntersuchungen durchgeführt, darunter solche nach dem NEFZ mit kaltem Motor und NEFZnahen Prüfzyklen auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb mit unterschiedlichen einzelnen Parametern. Das Bundesverkehrsministerium habe im September 2019 das Fehlen von Anhaltspunkten für den Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen in EA 288-Fahrzeugen bestätigt.
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Jedenfalls habe sich die Beklagte insoweit in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Das Kraftfahrtbundesamt hätte auch bei einer unterstellten früheren Mitteilung über die Existenz der Fahrkurvenerkennung in bestimmten EA 288-Fahrzeugen die Erteilung der Typgenehmigung nicht deswegen verweigert, weil es seit 2007 uneingeschränkt der Auffassung sei, dass eine nicht grenzwertrelevante Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem aus regulierungsrechtlicher Sicht keine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Darüber hinaus scheide ein Verschulden wegen einer Verhaltensänderung aus.
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Das Thermofenster stelle bereits tatbestandlich keine Abschalteinrichtung dar. Innerhalb eines Bereichs von ca. +12 °C bis über +75 °C Umgebungstemperatur erfolge keine aktive Veränderung der Abgasrückführungsrate; hier seien 100% der normierten Abgasrückführungsrate eingeregelt. Aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Fahrzeugbetriebs komme es bei Umgebungstemperaturen unter ca. +12 °C zu einer graduellen Reduzierung der Abgasrückführungsrate bis ca. +7 °C und nochmals zwischen ca. -12 °C und ca. -15 °C. Bei Umgebungstemperaturen unterhalb von ca. -15 °C werde das AGR-Ventil in einem bestimmten Betriebspunkt vollständig geschlossen, sodass dann keine Abgasrückführung mehr stattfinde. Ohne die mit dem Thermofenster verbundene Abrampung bei niedrigen Temperaturen bestehe das Risiko, dass es bei dem Übergang von gekühlter auf ungekühlte Hochdruck-AGR, die ihrerseits der Vermeidung von Versottung und Verlackung des AGR-Systems diene, zu Löchern im Saugrohr bzw. zu einem Saugrohrschmelzen und in der Folge zu einem Austritt von heißen Gasen und letztlich zu einem Fahrzeugbrand kommen könne. Außerdem gebe es ein Wechselspiel zwischen den ineinandergreifenden Systemen der innermotorischen Abgasrückführung und der Abgasnachbehandlung in Form des SCR-Katalysators mit Kompensationseffekten.
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Für das vom EuGH postulierte „verkehrstechnische Kriterium“ komme es auf das tatsächliche Fahrverhalten (Tag/Nacht), auf die Verhältnisse in der Europäischen Union insgesamt sowie auf die zeitliche Häufigkeit der tatsächlichen Fahrzeugnutzung im Unionsgebiet bei einer bestimmten Umgebungstemperatur (mehr als 183 Tage) an. Diese durchschnittliche jährliche Umgebungstemperatur liege im Unionsgebiet bei +12 °C. In sieben von zwölf Monaten eines Jahres liege die monatliche Durchschnittstemperatur im Unionsgebiet bei +17 °C.
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Die Beklagte ist der Ansicht, nicht einmal fahrlässig gegen das EG-Typgenehmigungsrecht verstoßen zu haben. Sie könne sich auf eine tatsächliche, zumindest aber auf eine hypothetische Genehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt berufen. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 2016/646 (RDE2-Verordnung) vom 16.05.2016 seien Fahrzeughersteller für neue Fahrzeugtypen dazu verpflichtet, der Typgenehmigungsbehörde für neue Typgenehmigungen sowie Nachtragsgenehmigungen im Einzelnen darzustellen, welche Emissionsstrategie in dem zu genehmigenden Fahrzeugtyp zum Einsatz komme (BES/AES-Dokumentation). Die Beklagte als Herstellerin habe diese Vorgaben umgesetzt. Konkret habe sie dem Kraftfahrtbundesamt die Entwicklung und die neueste technische Ausgestaltung der Abgasrückführung einschließlich der Applikationsrichtlinie (unter anderem in Bezug auf das Thermofenster) im Rahmen eines „Technik-Workshops“ am 22.01.2016 erläutert, ohne dass das KBA Beanstandungen geäußert habe. Für vor Mai 2016 typgenehmigte Fahrzeuge und im Mai 2016 noch produzierte Fahrzeuge mit EA 288-Aggregat habe die Beklagte freiwillig die BES/AES-Dokumentation der Typgenehmigungsbehörde zur Kenntnis und Prüfung nachgereicht, bezogen auf den klägerischen Fahrzeugtyp mit der streitgegenständlichen Motorkonfiguration am 21.02.2018. Die Typgenehmigungsbehörde habe die dokumentierte Bedatung (auch des Thermofensters) geprüft und genehmigt und für die streitgegenständliche Fahrzeugkonstellation am 27.02.2018 die Typgenehmigung e1*2001/116*0220*49 erteilt.
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Der Klägerin sei kein Schaden entstanden, da das Fahrzeug keinen Minderwert habe. Der Schaden dürfe nicht geschätzt werden. Die Ansicht des BGH sei nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vom 21.03.2023 vereinbar. Die abstrakte Betroffenheit eines Fahrzeugs sei nicht ersatzfähig, da sie noch keinen tatsächlich entstandenen Schaden darstelle. Der Beklagten müsse es möglich sein, im Einzelfall das Fehlen eines Schadens darzulegen und zu beweisen. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EGTypgenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden. Einen Rückruf gebe es nicht, eine Stilllegung auf dieser Grundlage drohe nicht. Unzulässige Abschalteinrichtungen kämen nicht zum Einsatz. Das Fahrzeug sei voll funktionstüchtig und nicht von einem software-bedingten Wertverlust betroffen.
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Zumindest könne ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens nicht mehr als 5% des Kaufpreises betragen (kein Risiko einer behördlichen Anordnung, allenfalls geringer Grad des Verschuldens, geringes Gewicht des (unterstellten) Rechtsverstoßes). Ein Differenzschaden werde durch den Vorteilsausgleich mit Restwert (41.947,00 €) und Nutzungsvorteil (7.187,41 €) vollständig ausgeglichen.
32
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts bedarf es vorliegend nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Senats mangels Überschreitung einer Beschwer in Höhe von 20.000,00 € (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) unzweifelhaft nicht zulässig ist (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO).
II.
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Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Differenzschadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung hat sie nicht ausreichend dargetan. Im Hinblick auf das Thermofenster kann sich die Beklagte mit Erfolg auf eine tatsächliche Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts berufen.
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1. Die Behauptung der Klägerin, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einer Fahrkurve versehen, erfolgte angesichts des substantiierten Bestreitens der Beklagten ins Blaue hinein. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für diese Behauptung ist eine Beweisaufnahme hierzu nicht veranlasst.
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a) Nach allgemeinen Regeln trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung als solcher im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Klägerin als Anspruchstellerin, weil es sich um einen anspruchsbegründenden Umstand handelt. Die Klägerin muss Tatsachen vortragen, die in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geeignet und erforderlich sind, den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu rechtfertigen, ohne allerdings ihren Tatsachenvortrag durch die Angaben weiterer Einzelheiten substantiieren zu müssen. Die Anforderungen an den Tatsachenvortrag der Klägerin zum Vorhandensein einer Abschalteinrichtung dürfen dabei nicht überspannt werden. Die Klägerin darf aber nicht willkürlich, aufs Geratewohl und ohne greifbare Anhaltspunkte Behauptungen aufstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 53; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252, juris Rdnr. 22; BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 733/21, juris Rdnr. 21).
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b) Die Klägerin ist bei ihren Ausführungen nicht konkret auf das streitgegenständliche Fahrzeug eingegangen. Dies wäre erforderlich gewesen, da das Fahrzeug am 29.05.2018 erstmals zugelassen worden war. Zu dieser Zeit war der sog. „Abgasskandal“ allerdings schon weit fortgeschritten, die Hersteller hatten bereits reagiert und das Kraftfahrtbundesamt hatte diverse Prüfungen durchgeführt. So hatte die Beklagte z. B. schon im November 2015 die „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabeverfahren EA 288“ vorgelegt, mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmt und in der Folgezeit Maßnahmen ergriffen.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich die Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung im Allgemeinen dargestellt. Die Mutmaßung, aus internen VW-Dokumenten solle eine „Beschreibung der SCR-Dosierstrategie im Zyklus und außerhalb des Zyklus“ hervorgehen, ist für den Streitfall unbehelflich. Auch die Behauptung „stark abweichender Messwerte der Motoren der Beklagten auf dem Prüfstand und im Realbetrieb“ unterfüttert das notwendige Vorbringen zu der bestrittenen Abschalteinrichtung nicht. Der Umstand, dass ein Fahrzeug im realen Betrieb die gesetzlichen Grenzwerte nicht einhält, ist rechtlich unbeachtlich. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rdnr. 30; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, ZIP 2022, 276, juris Rdnr. 23).
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Die Ausführungen der Klägerin zur geringeren AdBlue-Dosierung außerhalb des Testmodus mit den dargestellten Konsequenzen lassen einen Kontext zum streitgegenständlichen Fahrzeug nicht erkennen. Gleiches gilt für das Beweisangebot der Klägerin durch Benennung von Mitarbeitern der Beklagten und von Zulieferfirmen, die zwischen 2006 und 2014 an der Entwicklung beteiligt gewesen sein und die Entscheidung der Beklagten bestätigen können sollen, eine Software-Lösung anstelle einer technisch praktisch möglichen und deutlich teureren technischen Lösung zu verwenden. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde im Mai 2018 erstmals zugelassen, was auf einen Produktionszeitraum Anfang 2018 schließen lässt. Die Klägerin hat verkannt, dass die Sachlage zu dieser Zeit bereits eine wesentlich andere war, und hat sich damit nicht befasst.
39
Ein simpler Vergleich mit dem Vorgehen der Beklagten in Bezug auf den Motortyp EA 189, wie ihn die Klägerin in der Berufungsbegründung gezogen hat, wird den Anforderungen an die Darlegungslast nicht gerecht. Auch reicht ein Verweis auf – nicht näher spezifizierte – behördliche Ermittlungen gegen die Beklagte wegen des Verdachts der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen dafür nicht aus.
40
Insgesamt bietet der Vortrag der Klägerin für das hier streitgegenständliche Fahrzeug keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fahrkurvenerkennung. Mit den vielfältigen Bestätigungen des Kraftfahrtbundesamts oder dem Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen hat sie sich nicht auseinandergesetzt.
41
c) Die Beklagte traf keine sekundäre Darlegungslast zur Frage prüfstandsbezogener Abschalteinrichtungen.
42
Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hängen davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine darüberhinausgehende Substantiierungslast trifft die nicht beweisbelastete Partei nur ausnahmsweise dann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 03.02.1999, VIII ZR 14/98, NJW 1999, 1404, juris Rdnr. 19).
43
Die Beklagte hat die Existenz der Fahrkurvenerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht nur einfach bestritten, sondern detailliert erläutert, welche Maßnahmen sie ab 2015 durchgeführt hat und inwieweit die Genehmigungsbehörde involviert war. Auch wenn sich die Klägerin zu technischen Einzelheiten nicht äußern muss, reicht es nicht aus, nur die Kompetenz und die Prüfungen des Kraftfahrtbundesamts in Zweifel zu ziehen.
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Der Grundsatz, dass sich der Umfang der Darlegungslast nach der Einlassung des Gegners richtet, besagt, dass der Tatsachenvortrag der Ergänzung bedarf, wenn er infolge der Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt. Die Ablehnung eines Beweises für eine beweiserhebliche Tatsache ist nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geradewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte rechtfertigen können (BGH, Urteil vom 23.04.1991, X ZR 77/89, NJW 1991, 2707, juris Rdnr. 20; BGH, Urteil vom 12.07.1984, VII ZR 123/83, NJW 1984, 2888, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rdnr. 28).
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Gerade mit Blick auf die – ausgehend von der Erstzulassung am 29.05.2018 – anzunehmende Bauzeit Anfang 2018 wäre die Klägerin gehalten gewesen, sich in ihrem Vorbringen auf das streitgegenständliche Fahrzeug zu fokussieren, da Vorgänge in den Jahren 2015/2016, wie sie sie vielfach für ihre Behauptungen heranzieht, hier bereits überholt waren.
46
d) Die erstinstanzlichen Ausführungen der Klägerin zur unzulässigen Abschalteinrichtung beim NOx-Speicherkatalysator (NSK) kommen nicht zum Tragen, weil das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem SCR-System versehen ist.
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2. In Bezug auf das Thermofenster steht einem Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV entgegen, dass es an einem Verschulden der Beklagten fehlt, die sich wegen der tatsächlichen Genehmigung der streitgegenständlichen Thermofensterbedatung durch das Kraftfahrtbundesamt auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann.
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a) Die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 10).
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Die von der Beklagten gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgebrachten Einwände verfangen nicht. Aufgrund der Vorgaben des EuGH auf Gewährung eines effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzes im Falle des enttäuschten Käufervertrauens (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, NJW 2023, 1111, juris Rdnr. 90, 93) ist eine unionsrechtliche Lesart des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV geboten, wie sie der Bundesgerichtshof umsetzt. Der Wortlaut dieser Normen steht einem unionsrechtlich fundierten Verständnis als Schutzgesetze, deren sachlicher Schutzbereich den Differenzschaden bei Abschluss des Kaufvertrags umfasst, nicht entgegen. Ein Schutzgesetz kann jede Norm des objektiven Rechts sein, sofern darin nur ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausgesprochen wird (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, b) Das von der Beklagten beschriebene Thermofenster stellt aufgrund seiner Auswirkungen auf die Abgasrückführungsrate grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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aa) Gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 bezeichnet der Ausdruck „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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Nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
52
Die VO (EG) Nr. 715/2007 definiert den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ selbst nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und Tragweite auch nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Es handelt sich hierbei um unionsrechtliche Begriffe, die in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen sie vorkommen, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2021, C-422/19, NJW 2021, 1081, juris Rdnr. 45; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 38 f.). Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, also nicht nur auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen des NEFZ, der im Labor durchgeführt wird, lediglich einen Ausschnitt aus einem durchschnittlichen Fahrverhalten nachbildet und nicht auf realen Betriebsbedingungen beruht. Der Begriff „normaler Fahrbetrieb“ verweist somit auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 40 zum früheren Zulassungstest NEDC).
53
bb) Die Existenz eines Thermofensters in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist unstreitig. Es hat nach den eigenen Ausführungen der Beklagten zur Bedatung auch Auswirkungen auf das Emissionskontrollsystem.
54
Ein Thermofenster, das die Abgasrückführung bereits unterhalb von ca. +12 °C Umgebungstemperatur reduziert, deckt den normalen Fahrzeugbetrieb im Sinne der vorgenannten Vorschriften nicht ab, da Fahrten außerhalb dieses Temperaturbereichs im Unionsgebiet regelmäßig zu erwarten sind. So liegen beispielsweise im Januar die durchschnittlichen Höchsttemperaturen in den Städten Luxemburg, Berlin, Brüssel, Frankfurt, Straßburg und Prag (vgl. https://klima.org/) jeweils unter +5 °C. Es handelt sich dabei nicht um Extrembedingungen.
55
Die Jahresdurchschnittstemperatur im gesamten Unionsgebiet ist dagegen kein geeigneter Maßstab für die Frage, ob es sich bei dem Temperaturbereich außerhalb des Thermofensters um vernünftigerweise zu erwartende Bedingungen für den normalen Fahrzeugbetrieb handelt. Die normalen Fahrbedingungen lassen sich nicht abbilden im Wege einer Mittelung der Temperaturen zwischen Nord- und Südeuropa. Ebenso wenig ist eine Aufschlüsselung nach tatsächlichem Fahrverhalten bei Tag und bei Nacht oder die Ermittlung der zeitlichen Häufigkeit der tatsächlichen Fahrzeugnutzung im Unionsgebiet sachgerecht.
56
Im Ergebnis sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 erfüllt.
57
cc) Ein Ausnahmetatbestand zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007, welcher statuiert, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, ist nicht erfüllt.
58
Eine Ausnahme ist in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007 dann vorgesehen, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Verbot der Verwendung emissionsbeeinträchtigender Abschalteinrichtungen eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 50).
59
Dabei genügt ein Fahrzeughersteller seiner Darlegungs- und Beweislast nicht, wenn er pauschal vorbringt, in dem Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 54). Eine Begründung des Fahrzeugherstellers für die Abschalteinrichtung muss – als Pendant zur Behauptung des Vorliegens einer solchen – so gestaltet sein, dass das Gericht in die Lage versetzt wird zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift vorliegen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es die Abschalteinrichtung ermöglicht, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen, da eine bloße Verschmutzung oder der Verschleiß des Motors als im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent nicht unter die Begriffe „Beschädigung“ und „Unfall“ subsumiert werden können (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2021, 1216, juris Rdnr. 109 f.; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 53 f.). Daher können nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, die Verwendung einer Abschalteinrichtung rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 56). Hinzu kommt, dass die Abschalteinrichtung zum Motorschutz und zur Gewährleistung des sicheren Betriebs nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich sein muss.
60
Eine Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007, wenn zum Zeitpunkt der EGTypgenehmigung keine andere technische Lösung die vorgenannten unmittelbaren Risiken abwenden kann (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C- 128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 69 EuGH, Urteil vom 08.11.2022, C873/19, NJW 2022, 3769, juris Rdnr. 95).
61
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht.
62
Allein auf die Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter kann sich die Beklagte dabei nicht berufen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 70). Die vom EuGH postulierte „ausschließliche Notwendigkeit“ geht über den Maßstab einer dem Stand der Technik entsprechenden Abschalteinrichtung hinaus. Auch die Bekanntmachung der EU-Kommission vom 26.01.2017 für die Bewertung zusätzlicher Emissionsstrategien und des Vorhandenseins von Abschalteinrichtungen im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) (C(2017) 352 final) vertritt diese Position. Danach sei, soweit technisch möglich, eine auf dem Markt verfügbare Technologie oder Konstruktion, die eine verbesserte Emissionsminderung ermöglicht, zu verwenden. Auf Kostenargumente kann sich der Hersteller in Anbetracht des mit der VO (EG) Nr. 715/2007 verfolgten Ziels der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus und Verbesserung der Luftqualität in der Union nicht berufen. Eine Abschalteinrichtung kann daher nicht allein deshalb zugelassen werden, weil z. B. die Kosten für die Forschung hoch sind, die technische Ausrüstung teuer ist oder für den Nutzer häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 67 f.; EuGH, Urteil vom 08.11.2022, C-873/19, NJW 2022, 3769, juris Rdnr. 92 f.).
63
Auf fehlende technische Alternativen zur Sicherstellung des gefahrlosen Betriebes im maßgeblichen Zeitpunkt des EG-Typzulassungsverfahrens lässt sich aus dem Vortrag der Beklagten zur Notwendigkeit des Thermofensters nicht schließen. Die Studie der Professoren B., K. und R. aus dem Juni 2020 (Anlage B6) kommt zwar zu dem Ergebnis, dass eine generelle temperaturabhängige Regelung der Emissionsminderungsstellgrößen, insbesondere eine kühlwasser- oder außentemperaturabhängige Regelung des Abgasrückführventils, technisch notwendig sei, um nutzungs- und emissionsrelevante Schäden von Bauteilen mit Folgerisiken für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs abzuwenden. Es wird darin jedoch auch betont, dass ein einheitlich „richtiges“ Thermofenster für alle Dieselfahrzeuge nicht existiere, vielmehr die erforderlichen Temperaturschwellen bzw. temperaturabhängigen Parametrierungen der AGR-Raten von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp und auch zwischen den Entwicklungszeitpunkten unterschiedlich seien.
64
Gegen eine ausschließliche Notwendigkeit des streitgegenständlichen Thermofensters in seiner konkreten Bedatung spricht auch der – gerichtsbekannte – Umstand, dass es in den durch die Beklagte und deren Konzerngesellschaften zeitgleich auf den Markt gebrachten Motoren nach dem Sachvortrag des Herstellers durch technische Neuerungen, insbesondere dem kombinierten Einsatz einer Hoch- und NiederdruckAbgasrückführung, möglich war, die Bedatung des Thermofensters auf einen größeren Temperaturbereich (teilweise sogar von -24 °C bis +70 °C) aufzuweiten.
65
Der pauschale Hinweis der Beklagten auf einen Kompensationseffekt des SCR-Katalysators in Fahrzeugen mit aktiver Abgasnachbehandlung vermag eine ausnahmsweise Zulässigkeit des hier konkret bedateten Thermofensters nicht zu rechtfertigen. Konkrete Ausführungen dazu, dass in dem Maße, in dem die Abgasrückführung temperaturbasiert zurückgefahren wird, der Verlust durch einen verstärkten Einsatz des SCR-Katalysators vollständig ausgeglichen wird, fehlen.
66
c) Die Beklagte hat bei der Inverkehrgabe der Übereinstimmungsbescheinigung allerdings nicht fahrlässig und damit nicht schuldhaft gehandelt, da sie einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen ist.
67
aa) Gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung für die Haftung. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes ist auch für die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB maßgebend. § 37 Abs. 1 EGFGV sanktioniert sowohl den vorsätzlichen als auch den fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 38; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 30).
68
Zwar trifft hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründender Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch wird das Verschulden des Fahrzeugherstellers innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet.
69
Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 59, 63).
70
Den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums kann der Fahrzeughersteller mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 64).
71
bb) Die Beklagte hat schriftsätzlich ihre Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt erläutert und unter anderem dargetan, dass sie freiwillig auch für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp die detaillierte Dokumentation der Emissionsstrategien (und damit die Korrektur der Abgasrückführung über die Umgebungstemperatur, sog. Thermofenster) im Rahmen der BES/AESDokumentation dem KBA zur Kenntnis und Prüfung nachgereicht habe, ohne dass es insoweit zu Beanstandungen gekommen wäre (vgl. in erster Instanz Klageerwiderung vom 06.07.2022, S. 29 ff.; in zweiter Instanz zuletzt Schriftsatz vom 26.09.2023, S. 22 ff.). In der Sitzung hat sie ergänzend den 21.02.2018 als Tag der Einreichung der Dokumentation und den 27.02.2018 als Tag der Typgenehmigung „auf dieser Grundlage“ nachgetragen.
72
Mit ihrem in der Sitzung erhobenen Verspätungseinwand dringt die Klägerin nicht durch. Es handelt sich bei dem Nachtrag der Beklagten nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel i. S. d. §§ 530, 521 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 296 Abs. 1, Abs. 2 ZPO analog, sondern um die Konkretisierung bereits in beiden Instanzen erfolgten Vorbringens.
73
Da in der formlos in Augenschein genommenen Zulassungsbescheinigung I des streitgegenständlichen Fahrzeugs die von der Beklagten genannte Typgenehmigungsnummer mit dem Datum 27.02.2018 eingetragen ist, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte vor dem maßgeblichen Zeitpunkt, dem Kauf des Fahrzeugs durch die Klägerin am 22.08.2019, eine tatsächliche Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts erlangt hat, die auch die konkrete Bedatung des Thermofensters umfasst.
74
Dies folgt aus den Erfordernissen, die die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 vom 18.07.2008 in der Fassung vom 07.07.2017 (Geltung ab 01.09.2017) für die Erteilung der EG-Typgenehmigung aufstellt. Art. 3 Nr. 1 S. 1 dieser Verordnung listet eine Reihe von Prüfverfahren auf, die der Fahrzeughersteller zum Erhalt einer EG-Typgenehmigung hinsichtlich der Emissionen und der Reparatur- und Wartungsinformationen erfolgreich durchlaufen muss. Konkret verweist Art. 3 Nr. 2 auf eine Tabelle in Anhang I Abbildung I.2.4, die die Prüfvorschriften für die Typgenehmigung und Erweiterungen aufgliedert. Danach werden Dieselfahrzeuge unter anderem auf gasförmige Schadstoffe und Partikelzahlen, jeweils auch im RDE (Emissionen im praktischen Fahrbetrieb/real driving emissions, siehe Art. 2 Nr. 41), Dauerhaltbarkeit, On-Board-Diagnosesysteme, CO₂-Emissionen (außer bei niedrigen Temperaturen), Kraftstoffverbrauch, Stromverbrauch und elektrische Reichweite sowie auf Motorleistung geprüft.
75
In Bezug auf die Messung der Emissionen bei niedrigen Temperaturen schließt Art. 3 Nr. 9 die entsprechende Prüfung für Dieselfahrzeuge zwar aus.
76
Die Hersteller haben bei der Beantragung einer Typgenehmigung der Genehmigungsbehörde jedoch zu belegen, dass die NOxNachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei -7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht. Darüber hinaus wird dem Hersteller aufgegeben, der Genehmigungsbehörde Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems (AGR), einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen, zu machen. Diese Angaben müssen auch eine Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen umfassen.
77
Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Genehmigungsbehörde keine Typgenehmigung erteilt, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht.
78
Gemäß Art. 3 Nr. 10 der Verordnung hat der Hersteller sicherzustellen, dass die nach den Vorschriften des Anhangs IIIA bestimmten und während einer RDE-Prüfung nach diesem Anhang ausgestoßenen Emissionen eines Fahrzeugs, das nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 typgenehmigt worden ist, während seiner gesamten normalen Nutzungsdauer die in Anhang IIIA festgelegten Werte nicht überschreiten.
79
Art. 5 Nr. 1 und Nr. 2 statuiert das Erfordernis eines Antrags auf EGTypgenehmigung eines Fahrzeugs unter anderem hinsichtlich der Emissionen, den der Hersteller der Genehmigungsbehörde vorzulegen hat und für den Anhang I Anlage 3 ein Muster enthält. Diese Anlage zeigt, dass ein umfangreicher Katalog an Angaben erforderlich ist, darunter auch zu emissionsmindernden Einrichtungen wie Katalysator, Sensoren, Abgasrückführung mit Kennwerten und Art (z. B. Niederdruck/Hochdruck/kombinierter Druck), Partikelfilter, Systeme mit periodischer Regenerierung, und dass diese Angaben mit Details zu unterfüttern sind.
80
Art. 5 Nr. 11 erfordert darüber hinaus eine erweiterte Dokumentation mit Informationen über den Betrieb aller zusätzlichen Emissionsstrategien (AES) und Standard-Emissionsstrategien (BES), einschließlich einer Beschreibung der von jeder AES veränderten Parameter und der Grenzen, innerhalb deren die AES arbeiten, sowie Angaben darüber, welche AES und BES unter den Bedingungen des Prüfverfahrens gemäß dieser Verordnung voraussichtlich aktiv sind, sowie Angaben zur Logik des Kraftstoffregelsystems, zu den Steuerstrategien und zu den Schaltpunkten bei allen Betriebszuständen. Dass diese Dokumentation von der Genehmigungsbehörde zu prüfen und zu genehmigen ist, folgt aus Art. 5 Nr. 12 der Verordnung.
81
Schließlich sieht Art. 6 Nr. 1 der Verordnung vor, dass die Genehmigungsbehörde eine EG-Typgenehmigung erteilt, wenn die einschlägigen Anforderungen erfüllt sind, nämlich die vorstehend zitierten Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Nr. 11 und 12 sowie Art. 13 (Zugang zu Informationen über OBD-Systeme) und eine Zulassung gemäß näher beschriebener UNECE-Regelungen.
82
Die Beklagte musste, um am 27.02.2018 die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug zu erlangen, diese Voraussetzungen erfüllt haben. Für den Senat steht damit fest, dass das Kraftfahrtbundesamt auch die zusätzliche Strategie des Thermofensters gekannt und geprüft hat.
83
Aus vorgenannten Gründen hat die Klägerin daher keinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens mehr.
III.
84
Der Antrag auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilt als Nebenforderung das Schicksal des Hauptantrages und kann weder auf § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 16.10.2023, VIa ZR 14/22, MDR 2023, 1586, juris Rdnr. 13) noch auf andere Anspruchsgrundlagen wie z. B. § 826 BGB gestützt werden.
IV.
85
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
86
Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
87
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwerts ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, in der Berufungsinstanz also die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene wertreduzierende Antragsänderungen (z. B. teilweise Berufungsrücknahme, teilweise Klagerücknahme, teilweise Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016, 15 U 2407/16, NJW-RR 2017, 700, juris Rdnr. 16; Toussaint/Elzer, Kostenrecht, 53. Auflage 2023, § 40 Rdnr. 11). Die Klägerin hat mit der Berufung zunächst Zahlung von 46.900,00 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.080,85 € beantragt.
V.
88
Die Revision ist nicht zuzulassen; die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beantworten. Im Übrigen handelt es sich um einzelfallbezogene, tatrichterliche Würdigungen.