Inhalt

LG Traunstein, Urteil v. 16.04.2024 – 9 NBs 660 Js 2205/22 (2)
Titel:

Beleidigung eines Landrats anlässlich der Corona-Pandemie

Normenkette:
StGB § 53, § 185, § 194
Leitsatz:
Unter Abwägung der grundsätzlich zulässigen Machtkritik in der aufgeheizten Stimmung der Covid-Situation, der Stellung und Äußerung des Geschädigten, der erheblichen persönlichen Betroffenheit des Angeklagten einerseits, des Vorbedachten der Äußerungen, ihres Verbreitungsgrades, der Schwere der Ehrverletzung und der Artikulationsfähigkeit des Angeklagten andererseits, trat hier die Meinungsfreiheit der Äußerungen hinter den Ehrschutz zurück (teilweise bestätigt durch BayObLG BeckRS 2024, 29671). (Rn. 73 – 88) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beleidigung, Wahrnehmung berechtigter Interessen, Abwägung, Machtkritik
Vorinstanz:
AG Laufen, Urteil vom 03.08.2022 – 3 Cs 660 Js 2205/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 30.10.2024 – 206 StRR 278/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29674

Tenor

1. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 03.08.2022 aufgehoben.
Der Angeklagte wird wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 35,00 EURO verurteilt.
2. Die Berufung des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen, sowie die Kosten des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

I.
1
Gegen den Angeklagten erging am 17.03.2022 ein Strafbefehl des Amtsgerichts Laufen wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beleidigung, gegen welchen form- und fristgerecht Einspruch eingelegt wurde. Mit Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 03.08.2022 wurde er wegen eines Falls der Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,- verurteilt, hinsichtlich der zweiten Beleidigung wurde er freigesprochen.
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Gegen dieses Urteil wandten sich sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils unbeschränkten Berufungen. Mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.01.2023 wurde das Urteil des AG Laufen aufgehoben und der Angeklagte wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 EUR verurteilt. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen.
3
Mit Beschluss vom 17.08.2023 hob das Bayerische Oberste Landesgericht das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurück.
4
Die Staatsanwaltschaft erstrebte nach wie vor eine vollständige Verurteilung, der Angeklagte einen vollständigen Freispruch. Die staatsanwaltschaftliche Berufung hatte Erfolg, der Berufung des Angeklagten blieb dieser versagt.
II.
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Der Angeklagte ist ledig und deutscher Staatsangehöriger. Er hat keine Kinder. Er absolvierte in R... die Fachoberschule und legte dort das Fachabitur ab. Anschließend war er 6 Jahre als Soldat bei der Bundeswehr tätig, bevor er ein Betriebswirtschaftsstudium an der Fachhochschule R... und danach ein Fernstudium zum Diplom-Medienbetriebswirt absolvierte, das er im Jahr 2007 abschloss.
6
Seit Januar 2021 führt der Angeklagte den Gasthof „…“ in S.-S., den er von seiner Mutter übernommen hat. Der Angeklagte beschäftigt in seinem Gasthof derzeit 4 Vollzeit- und 1 Teilzeitangestellte. Er zahlt an seine Mutter 2.000,- Euro/Monat für die Übergabe des Gasthofs sowie Kost und Logis. Bei Übernahme des Gasthofes bestand ein Schuldenstand von 250.000 EUR, welchen der Angeklagte inzwischen auf 100.000 EUR reduzieren konnte. Nach Abzug aller Verbindlichkeiten stehen ihm monatlich ca. 1.100,- zum Leben zur Verfügung. Er ist Eigentümer eines Einfamilienhauses in S.-S., das von ihm selbst bewohnt wird. Hierfür besteht noch ein Kredit, welcher monatlich mit 300 Euro bedient wird. Weitere Schulden hat der Angeklagte nicht, auch bestehen keine Unterhaltsverpflichtungen.
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Relevante gesundheitliche Einschränkungen bestehen nicht.
8
Der Angeklagte ist seit vielen Jahren politisch aktiv. Bereits mit 16 Jahren trat er der jungen Union bei. Später war er Kreisvorsitzender bei der CSU. 2008 trat er aus der CSU aus und wurde Mitglied der AfD. Hier baute er in wesentlicher Funktion die Kreisverbände … mit auf, bis er Mitte 2020 austrat. Von 2017 bis 2021 war er Büroleiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten …. Dieser behielt ihn aufgrund besonderen Vertrauens auch nach dem Parteiaustritt des Angeklagten bis zum Ende des Mandats.
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Strafrechtlich ist der Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten.
III.
1. Vorgeschichte:
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a. Der Angeklagte betreibt den offenen f.-Account „…“ im Rahmen dessen er Videos und Posts zu Politikern und Parteien absetzt. Den Posts fügt er häufig aktuelle Schlagzeilen/Fotos aus anderen Medien an, auf die er sich bezieht. Ca. ab dem 2. Halbjahr 2021 befassten sich diese in geringem Umfang mit Flüchtlings- und Klimapolitik, im Schwerpunkt jedoch mit den bundesweiten und regionalen Maßnahmen der Politik betreffend Covid-19 sowie der Frage des Nutzens der Impfungen gegen SarsCov19 auseinandersetzt. Dieses Thema war für ihn zum damaligen Zeitpunkt existentiell, weil durch die Beschränkungen wiederholt der Betrieb der von ihm übernommenen Gastwirtschaft gefährdet/verhindert war.
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Während sich die Videos und Posts zunächst bis Anfang November im Schwerpunkt um die vom Angeklagte als „Vervakzinierung“ aufgrund des „China-Virus“ und die „Zeugen-Coronas“ geht, beschäftigen sich die Posts ab 12.11.2021 vermehrt auch mit dem Thema Lockdown.
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Im Amtsblatt Nr. 45a vom 12. November 2021 wurde die vom Landratsamt Berchtesgadener Land erlassene Allgemeinverfügung zur Verschärfung der Hotspot-Regelung/Rote Ampel-Regelung veröffentlicht, welche u.a. in Abweichung zu den aktuell geltenden HotSpot-Regelungen/Rote Ampel-Regelungen gemäß § 17 Satz 2 Nr. 1 und § 17 a Abs. 1 Satz 2 der 14. BaylfSMV den Zugang zu Gaststätten und Beherbergungsbetrieben nur Gästen gestattete, soweit diese im Sinne des COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung geimpft oder genesen sind oder das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (sog. 2G) bzw. Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können und dies vor Ort insbesondere durch Vorlage eines schriftlichen ärztlichen Zeugnisses im Original nachweisen, bei Vorlage eines Testnachweises (PCR-Test, PoC-PCR-Test oder eines Tests mittels weiterer Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik, der vor höchstens 48 Stunden durchgeführt wurde).
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Am 12.11.2021 erklärt der Angeklagte zunächst, dass nun der nächste Lockdown da sei, „auch wenn es anders genannt wird! Die Ungeimpften werden jetzt also zu Aussätzigen! […]"
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Am 14.11.2021 postet er unter Bezug auf die Focus-Schlagzeige „L. droht mit Stopp von Gaslieferungen im Falle neuer EU-Sanktionen“: „Warum nur muss ich bei der aktuellen Situation an dieser Grenze sowie den Spinnern in den Regierungen und dem Zündeln mit dem China Virus an den Sender G. und dessen Folgen denken"
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Am 16.11.2021 postet er: „Kommt das nächste Einsperren der Bürger um in Ruhe in der Nacht Truppen nach Polen verlegen zu können"
16
Am 19.11.2021 postete er: „Diese bl*de Dr*ecks**verkündet schon wieder ein Einsperren der Gastronomie! In der Hölle soll er schmoren!"
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Am 20.11.2021 kommentierte er eine Schlagzeile in dem eine Medizinethikerin die „Triage bei Ungeimpften in Spiel“ bringt sowie den Tod von K.H...
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Die nächste im Zusammenhang mit dem BaylfSMV stehende Allgemeinverfügung des Landratsamts Berchtesgadener Land wurde im Amtsblatt 47a vom 24. November 2021 veröffentlicht, welche im Schwerpunkt nur eine Datumskorrektur enthält. Das Amtsblatt enthält jedoch auch folgende zweite Bekanntmachung:
„Im Landkreis Berchtesgadener Land hat die vom R.K.-Institut im Internet veröffentlichte 7-Tages-Inzidenz den Wert von 1000 überschritten, er beträgt tagesaktuell (24.11.2021) 1.080,6. Mit Wirkung ab dem 25.11.2021 gelten damit für den Landkreis Berchtesgadener Land die Regelungen des § 15 der 15. BaylfSMV.“
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Damit herrschte ab diesem Zeitpunkt der sog. „strenge Lockdown“, welcher in § 15 Abs. 1 Nr. 1 c) der 15. BaylfSMV Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt (Abgabe zum Nicht-vor-Ort-Verzehr war jedoch erlaubt).
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Am 24.11.2021 veröffentlichte der Angeklagte ein Foto eines Kreuzes mit Maske und der Schlagzeile „Das Evangelium nach Corona selig sind, die erklären, geimpft zu sein […]“
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Dieses kommentierte er mit: „Das Evangelium der Zeugen-Corona! Und deren „christliche“, Dr. M. und unser Landrat verkünden es voller Inbrunst!"
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Am 25.11.2021 setzte er 3 Posts ab:
„Baerlnnenziege als Außenministerlnnen(undAußen) – Realsatire kann so schön sein"
„Es dauert nicht lange, bis der 1. Kath. Bischof oder gar die Deutsche Bischofskonferenz als 8. hl. Sakrament die Impfung fordert"
„mRNA Vakzination – die Eugenik des 21. Jahrhunderts! Und Deutschland und Österreich wieder vorne mit dabei …“
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Am 27.11.2021 postete er: „S. (P.) E. (SPD) und V. (M.) B. (grüne Khmer) werden sicher Staatssekretäre …“
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Am 30.11.2021 postete er mit einem Foto eines alten OP-Saals und der Schlagzeile „Frankreich nach Impfpflicht fürs Medizin-Personal. Bonne chance Deutschland!“ Folgendes: „Mehr braucht man nicht zu sagen! Und mit vollem Hurra sind Dr. M. und unser Landrat mit vorne dabei, solches auch bei uns umzusetzen! Hauptsache der eigene Geldbeutel, äh, die vulnerablen Gruppen, sind geschützt …“
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Am selben Tag kommentierte er einen ihm gesandten Link mit Kritik der österreichischen Impfpolitik mit: „Und unsere tägliche Vakzination gib uns heute, morgen, übermorgen … Oder, frei nach dem bekannten Lied: Heute vakzinieren, morgen vakzinieren und übermorgen wieder. Ich bin dein und du bist mein und froh ist unser Ü.! …“
2. Tatgeschehen vom 01.12.2021
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Am 01.12.2021 setzte er folgenden Post ab:
„Wenn bald die Unvervakzinierten in die Lager kommen, wird unser LR Daumenschraube sicher 1. Oberlagerführer – am O..“
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Eine Verbindung zu einem Video oder Camps in Australien wurde hierbei nicht gesetzt.
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Die zeitlich ältesten Kommentar hierzu lauten:
„E.W. S…
K. wir sind mittlerweile voll und ganz in der Tradition des Gefreiten angekommen. Es werden noch willfährige Helfer gesucht, die die Rampe betreuen. Man gedenkt dem 9. November, nach der Feier macht man das Gleiche, das man aus der Vergangenheit kennt, Mio Menschen auszugrenzen.
U.L… M…
Versteh den Text nicht.
E.G…
Lieber K., mach mal wieder ein Video.
Nö E…
Au jaaa – ich liebe die original K.- … r-Videos! Die bauen einen auf und haben Humor trotz der tiefen Kuhexkremente, die man hier von oben auf uns verteilt …
M.F…
B. hat 2 g also werden die lager nicht für die ungeimpften sein
T.W…
Die hoffen einfach nur auf besseres Wetter. Dann geht auch die Grippewelle zurück. Das war schon immer so! Im Frühjahr werden sie dann sagen: Dank der Impfung haben wir nun besseres Wetter!
K.H…-Aktuell
Ja, kann ich mir vorstellen. Ich habe mir auch schon überlegt, nun immer, wenn es nicht regnet, mit Regenschirm rumzulaufen – auch in Innenräumen. Nur, um die Unbeschirmten vor schlechtem Wetter zu schützen …“
3. Zwischengeschehen
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Am 03.12.2021 setzte der Angeklagte sodann 4 Posts ab:
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Der 1. lautete: „Deshalb braucht man Omicron – um die Genesenen auch ausgrenzen zu können! Und die Zeugen-Corona machen brav mit!“ Dieser bezog sich auf eine Schlagzeile das nach Erkenntnissen aus Südafrika bei Omicron anscheinend auch 2G nicht ausreichend sei.
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Der nächste Post bezog sich auf eine Schlagzeile, dass es 18 Todesfälle nach einem Corona-Ausbruch in einem Thüringer Pflegeheim gegeben habe, bei welchem die Mehrheit ungeimpft gewesen sei: „Der Verfasser dieser Meldung ist ein Covidiot und Zeuge-Corona 1. Klasse! Es ist schon mehr als eine Frechheit von Ippen-Medien, eine solche Meldung überhaupt zu bringen! Das zeigt entweder absolute Dummheit beim Schreiberling oder aber bedingungslose Kapitulation vor dem C-Virus Regime, welches in Deutschland im Handstreich die Macht übernommen hat! […]"
In den Kommentaren zu diesem Post wird von einem A.M… ein Video verlinkt mit dem Titel „Inside Austraila’s Covid internment camp“ hierzu schreibt dieser A.M…: „Ausschnitt aus einem Quarantäne-Camp in Australien … Ab 9.50 min geht’s los … Wollt ihr das wirklich? Deutschland erinnere DICH DEINER GESCHICHTE!!!"
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Der nächste Post bezieht sich auf eine F.-Schlagzeile zu möglicherweise falschen Inzidenzen bei Ungeimpften, da Daten aus Bayern Zweifel daran aufkommen lassen würden: „Dr. S., der Daumenschrauben-Landrat und das gesamte C-Regime lügen und betrügen wie sie wollen! Und die Covidioten laufen ihn hinterher, lobpreisen sie und huldigen ihre Taten"
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Der 4. Post bezieht sich auf einen Artikel, indem es u.a. darum geht, ob der Landkreis B... Land auf ein Ende der Hotspot-Regel hoffen könne: „Wäre doch gelacht, wenn Landrat Daumenschraube die Zahl nicht spätestens am Sonntag auf 1000 hoch getestet hat – und zur Not nimmt der einfach falsche Zahlen her. Ist doch bei den ganzen Betrügereien auch schon egal. Aber Landrat Daumenschrauben wird sicher NICHT lockern – eher beißt er sich die Zehennägel ab"
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Der letztgenannte Post stand damit im Zusammenhang, dass seit 01.12.2021 im Landkreis Berchtesgadener Land die vom R.K.-Institut im Internet veröffentlichte 7-Tages-Inzidenz unter dem maßgeblichen Inzidenzwert von 1.000. lag und somit ein Ende des strengen Lockdowns zum 06.12.2021 bei Fortdauer der Entwicklung möglich schien.
4. Tatgeschehen vom 04.12.2021
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Am 04.12.2021 postete er neben eines Posts, dass die jungen Geboostern unsolidarisch seien „gegenüber den Vulnerablen, für die nicht genug Stoff da ist!“ Folgendes:
„Mit Tränen in den Augen und einem unermesslichen Sabbern beim Lutschen der Zehennägel von Dr. S… wird Landrat D. wohl in diesem Moment nach Australien schauen. Und er wird sich schon sehen: Schneidig in schwarzer Uniform, als 1. Oberlagerleiter auf dem O...!"
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Zu diesem Post verlinkt er das bereits oben genannte Video auf Y...
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Auf diesem Video wird über eine australische Frau berichtet, sie sei von der Polizei nach H...S..., einem Camp für Coviderkrankte in Australien, gebracht worden, weil eine Freundin positiv getestet worden sei. Sie sei gezwungen worden dort 14 Tage zu bleiben, obwohl sie negativ getestet worden sei. Bei Minute 7.14/7.15 ist dort bei einem Bus, scheinbar genutzt als Covid-Teststation, kurz ein schwarz Uniformierter zu sehen. Später werden innerhalb des Camps noch einmal Personen gezeigt, welche allerdings weiße Kittel tragen.
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Es finden sich folgende älteste Kommentare zum verfahrensgegenständlichen Post:
„B..B…
Ja fällt schon auf, dass es nur das Volk betrifft. Auch verhalten sich die Politiker, als würde das Virus nur beim Volk so gefährlich sein.
H.O…
Plaupause für 2020:
Nach missglücktem Testlauf der Schweinegrippe-Pandemie hat es die Pharmaindustrie 2020 endlich geschafft, mit Angst und Schrecken zuerst die Politiker mit genügend Lobbygeld zu überzeugen … um dann ihren Schrott zu vergolden!!!!
https://wmv....…
J.P…
Die eigentliche Frage ist doch: gewaschen oder ungewaschen? Die Zehennägel.
Hierauf antwortet der Angeklagte Ungewaschen! Alles andere wäre doch geschmacklos …“
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Der Angeklagte wusste und wollte in beiden Fällen, dass die Veröffentlichungen auf seinem F.-Account von sämtlichen F.-Nutzern, insbesondere von seinen ,Followern“, wahrgenommen werden konnten und würden. Er wollte bewusst mit den tatgegenständlichen Posts seine eigene Missachtung und Geringschätzung des geschädigten Landrats K… als Person zum Ausdruck bringen und ihn in seiner Ehre angreifen. Ihm war auch bewusst, dass die Posts aus objektiver Sicht von den Empfängern in dieser Form wahrgenommen werden und dass diese nicht gerechtfertigt oder entschuldigt sind.
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Landrat K… hat wegen beider Veröffentlichungen form- und fristgerecht Strafantrag gestellt.
5. Nachtatgeschehen
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Am 05. Dezember 2021 wurde im Amtsblatt Nr. 48 a bekannt gemacht, dass im Landkreis Berchtesgadener Land die vom R.K.-Institut im Internet veröffentlichte 7-Tages-Inzidenz am Sonntag, den 05.12.2021, bei 819,2 und damit bereits den fünften Tag in Folge unter dem maßgeblichen Inzidenzwert von 1.000 liegt. Mit Wirkung ab dem 06.12.2021 galten damit für den Landkreis B... Land die Regelungen des § 15 der 15. BaylfSMV nicht mehr.
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Die weiteren Posts ab 07.12.2021 befassen sich dann wieder mit der Frage der Covid-Impfungen und verwandten Themen.
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Die verfahrensgegenständlichen Posts waren bis zum Abend des 15.04.2023 unverändert auf dem F.-Account des Angeklagten abrufbar.
IV.
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1. Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten und dem Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 28.03.2024.
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2. Der festgestellte Sachverhalt steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten – soweit ihr gefolgt werden kann – im Übrigen aufgrund der Beweisaufnahme, insbesondere der Posts nebst Kommentaren.
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a. Der Angeklagte hat eingeräumt, Betreiber des F.-Acounts zu sein und die Posts sowie die Videos veröffentlicht zu haben. Er streitet jedoch ab, damit eine Beleidigung ausgesprochen zu haben. Inhaltlich handle es sich um eine überspitzte satirische Auseinandersetzung mit aktuellen Themen der Politik, insbesondere den Maßnahmen zum „C-Virus“, welche ihn mit der frisch übernommenen Gastwirtschaft, insbesondere den damit verbundenen erheblichen Zahlungsbelastungen, in seiner Existenz bedroht hätten. Den Landrat nenne er nicht namentlich, ohne Sinnzusammenhang könne es sich um jeden Landrat handeln. Die Formulierung „Landrat Daumenschraube“ beziehe sich auf eine Äußerung des Landrats in einem Interview, in dem dieser davon gesprochen habe, man müsse im Landkreis in der Corona-Bekämpfung „die Daumenschrauben anziehen“. Seine Äußerungen hätten sich immer nur gegen die politische Person des Landrats gerichtet.
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Einen Vergleich mit dem NS-Regime habe er nie beabsichtigt. Einen solchen nutze er auch in seinen sonstigen Posts nie. Später erklärte er hierzu, dass er nicht nie, sondern „seltenst“ gesagt habe. Er ziehe oft Vergleiche mit der ehemaligen DDR oder sonstigen autoritären Staaten heran, nicht jedoch mit der NS-Zeit. Der Vergleich mit dem Einmarsch in Polen, sei ebenfalls nicht auf die NS-Zeit bezogen, sondern auf die aktuelle Lage in der Ukraine. Soweit er von schwarzen Uniformen geschrieben habe, könnte das jede Uniform sein – auch auf dem Video sei ein australischer Polizist in schwarzer Uniform zu sehen. Den O... habe er als Ort nur genannt, weil es sich dabei um die größte touristische Attraktion im Berchtesgadener Land handle, auf dem auch zum damaligen Zeitpunkt ein Hotel leergestanden sei, welches sich ebenfalls für so ein „Camp“ geeignet hätte. Von Lagerleiter habe er geschrieben, weil das Video über die Internierung einer jungen Frau in Australien eben genau eine solche Unterbringung in Lagern zeige. Auch hierin habe er aber nicht auf Konzentrationslager der NS-Zeit Bezug genommen. Soweit er im ersten Post „Oberlagerführer“ geschrieben habe, habe er hierin keinen Unterschied gesehen.
48
Seine Äußerung „mit unerträglichem Sabbern beim Lutschen der Zehennägel“ beziehe sich ebenso wie die anderen Äußerungen darauf, dass der Landrat bereitwillig alles umsetzte, was der Ministerpräsident anordnete. Er habe sich darauf bezogen, dass früher als Unterwerfungsgeste den Fürsten die Füße geküsst wurden. Er habe also das Verhältnis des Landrats zum Ministerpräsidenten kritisch beleuchten, nicht aber den Landrat als Person beleidigen wollen.
49
Am Ende des letzten Worts erklärte der Angeklagte noch: „Ich habe mich auf Diktaturen bezogen, in allen Posts“.
50
b. Die zugestandene Urheberschaft des Angeklagten, der Grund für das Betreiben des Accounts, Inhalt der Posts und des Videos vom 04.12.2021 sowie die amtlichen Bekanntmachungen werden neben der insoweit glaubhaften Einlassung des Angeklagten bewiesen durch das Amtsblatt Nummer 45 a vom 12.11.2021 für den Landkreis Berchtesgadener Land, Amtsblatt Nummer 47 a vom 24.11.2021 für den Landkreis Berchtesgadener Land und Amtsblatt Nummer 48 a vom 05.12.2021 für den Landkreis Berchtesgadener Land sowie die Post auf F... vom 26.10.2021, 04.11.2021, 11.11.2021, 12.11.2021, 14.11.2021, 16.11.2021, 19.11.2021, 20.11.2021, 24.11.2021, 25.11.2021, 27.11.2021, 30.11.2021, 01.12.2021, 03.12.2021, 04.12.2021, 07.12.2021 und 08.12.2021 und das Video vom 04.12.2021 „Inside Australia’s Covid Internment Camp“.
51
Soweit der Angeklagte angibt, der Inhalt der urteilsgegenständlichen Posts sei keine herabwürdigende Gleichsetzung des Landrats als Person mit Lagerführern während des NS-Regimes, ist dies widerlegt durch den im Kontext ermittelten Sinngehalt der Posts.
52
Beide Äußerungen sind zunächst vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasste Meinungsäußerungen. Jedermann hat insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern (BVerfG, Beschluss vom 24.09.2009, 2 BvR 2179/09). In einer Verfassungsordnung der Freiheit sind auch vernunftslose, wirre, peinliche und die Ränder des demokratischen Konsens berührende Schriften hinzunehmen (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Beschluss vom 16.12.2020 – Lv 1/20 –, juris). Auch Menschen, die, wie möglicherweise der Angeklagte, zur ausgewogenen und respektvollen Argumentation nicht willens oder nicht in der Lage sind, genießen den Schutz dieses Grundrechts (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, a.a.O.).
53
Die inhaltliche Begrenzung dieses Grundrechts findet sich unter anderem in den §§ 185 ff. StGB, bei welchen es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handelt, und in dem Recht der persönlichen Ehre (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 14, sowie NJW 2022, 680 Rn. 26, jeweils beck-online).
54
Daher sind bereits bei der Deutung umstrittener Äußerungen, die zu strafrechtlichen Sanktionen führen, die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertersetzende Bedeutung des Grundrechts auf Normanwendungsebene zur Geltung kommt (BVerfG, Beschluss vom 24.09.2009, 2 BvR 2179/09).
55
Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung (BVerfG, a.a.O.). Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (BVerfG, a.a.O.).
56
Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, dieser legt den objektiven Sinn jedoch nicht abschließend fest, er wird vielmehr auch vom Kontext und den Begleitumständen der Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (BVerfG, a.a.O.). Die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Kontexts ergibt sich besonders, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur schlagwortartig zusammenfasst (BVerfG, a.a.O.), wie es gerade bei T.-Nachrichten der Fall ist.
57
Ist eine Äußerung mehrdeutig, so kann die den Straftatbestand erfüllende Bedeutung nur zugrunde gelegt werden, wenn andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfG, a.a.O.; BayObIG, Beschluss v. 15.01.2024, 207 StRR 440/23; OLG München, Urteil vom 07.01.2020, 18 U 1491/19 Pre, juris).
aa. Zum Post vom 01.12.2021:
58
Dass sich dieser auf den Landrat K… bezieht, ist für den objektiven Leser bereits aus der Formulierung „unser LR“ und dem gesamten Bezug des Accounts zum Berchtesgadener Land, indem auch an anderen Stellen von „unser Landrat“ bzw. „Landrat D...“ geschrieben wird, zu entnehmen. Darüber hinaus hat der Angeklagte selbst angegeben, dass sich die Formulierung „D...“ auf eine Äußerung des Landrats K... im Zusammenhang mit den Covid 19-Maßnahmen bezog und von ihm wiederholt im Zusammenhang mit den Maßnahmen des Landrats verwendet wurde, was seinen „Followern“ auch bekannt war.
59
Im Gesamtkontext bezieht sich der Post auf die bereits in den vorangegangenen Posts geäußerte Ansicht/Besorgnis des Angeklagten, die Bürger würden eingesperrt (Posts vom 16.11.2021: „Kommt das nächste Einsperren der Bürger um in Ruhe in der Nacht Truppen nach Polen verlegen zu können“ und 19.11.2021 „Diese bl*de Dr*ecks**verkündet schon wieder ein Einsperren der Gastronomie! In der Hölle soll er schmoren!“), insbesondere die Ungeimpften („Unvervakzinierten“).
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In diesem Fall würde, so der Post, der Landrat die Stellung eines „1. Oberlagerführer – am O...“ bekleiden.
61
Lagerführer war eine Dienstrangbezeichnung unter dem NS-Regime für den obersten SS-Offizier eines Arbeits- oder Konzentrationslagers. Die Verwendung der Formulierung „Einsperren“ weist auf ein Gefängnis oder ein Lager hin. Der O... ist dem objektiven und verständigen Leser bekannt als „Führersperrgebiet“ mit dem Schwerpunkt auf der Kenntnis als Wohnsitz von Adolf Hitler. Besonders im Landkreis B... Land, in welchem der O... liegt und an dessen Einwohner sich der F.-Account des Angeklagten ausweislich des Inhalts im Schwerpunkt richtet, löst die Nennung dieses Orts Assoziation mit dem Unrechtsregime der NS sowie der Verfolgung und Internierung von Personengruppen, welche durch das Regime als minderwertig angesehen wurden, aus. Dies wird bestätigt durch die glaubhafte Aussage des Zeugen K…, welcher angab, dass man aufgrund des historischen Zusammenhangs bereits nie gewagt habe, trotz zahlreicher leerstehender Gebäude, darüber zu diskutieren, dort Unterkünfte für Geflüchtete einzurichten. Es wird ferner bestätigt durch die Kommentare von „E.W. S…“ und „M.F…“, welche sich in den Posts auf die Gedenkfeiern des 9. November bzw. B... beziehen.
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Der Angeklagte selbst hat angegeben, dass er sich in den Posts stets auf Diktaturen bezog. Im Zusammenhang den im Sachverhalt dargestellten Posts und dem oben dargestellten Inhalt des gegenständlichen Posts kann ausgeschlossen werden, dass dieser für den objektiven und verständigen Leser mehrdeutig in dem Sinne sein könnte, dass er sich auch auf eine andere Diktatur (DDR, Sowjetunion) oder das bloße Einrichten eines Lagers für Ungeimpfte in den leerstehenden Hotels am O... ohne die Gleichsetzung des Landrats mit einem obersten SS-Offizier eines Arbeits- oder Konzentrationslagers bezieht. In dieser Gesamtschau führt die Tatsache, dass es kein Lager auf dem O... gab, ebenfalls zu keiner anderen Auslegungsmöglichkeit.
63
Die Behauptung des Angeklagten, er habe nie bzw. nur „seltenst“ Vergleiche mit der Nazidiktatur gezogen, ist ebenfalls widerlegt: Am 14.11. nimmt er Bezug auf den durch die SS fingierten Überfall auf den Radiosender G... „und dessen Folgen“, am 16.11. knüpft er an diese damaligen Folgen an, indem er spekuliert, ob das „Einsperren der Bürger“ dazu dient „die Truppen nach Polen verlegen zu können“ (Seine Einlassung, dies habe sich nicht auf den Einmarsch der Nationalsozialisten in Polen, sondern auf den russischen Angriffskrieg bezogen, ist in diesem Gesamtzusammenhang ebenfalls widerlegt). Am 25.11. beschreibt er die „mRNA Vakzination“ als „Eugenik des 21. Jahrhunderts! Und Deutschland und Österreich wieder vorne mit dabei …“
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Auch unter Außerachtlassung der verfahrensgegenständlichen Posts sind dies bereits 3 „Vergleiche“ mit dem NS-Regime in unter 2 Wochen.
bb. Zum Post vom 04.12.2021
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Hier nimmt der Angeklagte erstmalig auf das oben beschriebene Video Bezug, welches ihm am Tag zuvor mit dem Zusatz „Deutschland erinnere DICH DEINER GESCHICHTE!!!“, wodurch bereit ein Bezug zur deutschen Geschichte hergestellt war, verlinkt wurde. Dies versieht er mit dem beschriebenen Kommentar, in welchem er nun ausdrücklich von „Landrat D...“ schreibt und damit aus den oben dargelegten Gründen den Bezug zur Person des Landrats K… herstellt.
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Der Post fügt sich trotz der Bezugnahme auf Australien und das Video in den oben dargestellten Kontext mit den früheren Posts und des Posts vom 01.12.2021 ein. Obwohl hier der Begriff „Oberlagerführer“ durch „Oberlagerleiter“ ersetzt wird, führt dies aufgrund des Gesamtkontextes zu den vorangegangenen Posts und innerhalb der Formulierung des Posts selbst zu keiner Mehrdeutigkeit oder anderen Auslegungsmöglichkeit. Denn wiederum nimmt der Angeklagte Bezug auf den O... und erklärt, dass sich der Landrat in „schwarzer Uniform“ sehe. Eine Uniformfarbe, welche zwar auch bei der Polizei in anderen Ländern, u.a. in Australien, heute noch vorkommt, aber im Kontext der obigen Posts und im direkten Zusammenhang mit O... und 1. Oberlagerleiter, auf die Uniformfarbe der SS verweist. Im Übrigen kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.
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Ergänzt wird dieser Post noch durch den vorangestellten Satz, dass der Landrat „Mit Tränen in den Augen und einem unermesslichen Sabbern beim Lutschen der Zehennägel von Dr. S… wird Landrat D...“ nach Australien sehe und sich das Szenario von ihm in schwarzer Uniform als Oberlagerleiter am O... vorstelle. Dieser Halbsatz beinhaltet nicht nur, wie vom Angeklagten behauptet, einen satirisch überspitzten Vergleich der Unterwerfungsbereitschaft des Landrats gegenüber dem Ministerpräsidenten in Form des Füßeküssens. Vielmehr versteht der objektive und verständige Leser ihn auch dahingehend, dass der Landrat dabei einen besonderen Genuss („Tränen in den Augen“ und „unermeßliches Sabbern“) verspüre die Zehennägel zu „lutschen“ und sich vorzustellen, er würde wie ein SS-Offizier ein Lager leiten.
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c. Aus dem oben dargelegten Zusammenhang ergibt sich, dass der Angeklagte wusste und wollte, dass beide Posts so verstanden werden, und dass er damit seine Missachtung, auch auf den Landrat als Person bezogen, kundtun wollte. Der Angeklagte gibt selbst an, dass er ein politisch sehr interessierter Mensch ist, welcher sich auch stark mit früheren Diktaturen auseinandersetzt. Dies wird durch den Inhalt der Posts bestätigt. Ihm musste daher bewusst gewesen sein, wie die Formulierungen ausgelegt werden. Seine Einlassung, er habe nie die Person(en) an sich, sondern nur die Maßnahmen herabwürdigen wollen, ist zusätzlich dadurch widerlegt, dass er an anderen Stelle schreibt „Diese bl*de Dr*ecks**verkündet schon wieder ein Einsperren der Gastronomie! In der Hölle soll er schmoren!“ Ein Post der keine prozessuale Tat mit den angeklagten Posts bildet, dennoch sich vom Zusammenhang auf Landrat … bezog, der zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der regionalen Hot-Spot-Regelungen für die Verkündung des Inkrafttretens eines „strengen Lock-Downs“ zuständig war.
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Der Wille des Angeklagten auch die Person des Landrats herabzuwürdigen ergibt sich ferner aus dem Rückkommentar auf den Kommentar des „J.P…“ vom 04.12.2021:
„Die eigentliche Frage ist doch: gewaschen oder ungewaschen? Die Zehennägel.“
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Die Antwort des Angeklagten: „Ungewaschen! Alles andere wäre doch geschmacklos …“ unterstreicht die Beschreibung der behaupteten „Sehnsüchte“ des Landrats als abstoßend.
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Das Strafantrag gestellt wurde, ergibt sich aus der Strafantragsurkunde, deren Inhalt durch den Zeugen … zusätzlich bestätigt wurde.
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Das die verfahrensgegenständlichen Posts bis zum Abend vor der Berufungsverhandlung noch abrufbar waren, wird bestätigt durch die glaubhafte Aussage des Zeugen K…, welcher angab, in Vorbereitung der Hauptverhandlung dies noch einmal geprüft zu haben und auch entsprechende Ausdrucke vorlegte.
V.
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Der Angeklagte hat sich der Beleidigung in, 2 Fällen §§ 185, 194, 53 StGB strafbar gemacht. Hinsichtlich der vorzunehmenden Sinnermittlung der Äußerungen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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Die Äußerungen waren auf Grundlage dieser Sinnermittlung nicht gerechtfertigt durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB.
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Dies ergibt sich aus der umfassenden Einzelfallabwägung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BayObLG, 206 StRR 162/33; BVerfG, NJW 2020, 2622, a.a.O.).
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Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Der Begriff Meinung beinhaltet, eine Stellungnahme, eine Wertung, somit alles das, womit ein geistiger Standpunkt zu Vorgängen und Verhältnissen kundgetan wird. Dies ist für den politischen Bereich und insbesondere für die Auseinandersetzung mit der Covid-Beschränkungen in der Zeit ihrer Gültigkeit dahin zu präzisieren, dass eine beurteilende Äußerung einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage bedeutet. Es können daher überhöhte Anforderungen an die Form der öffentlichen Kritik im politischen Meinungskampf nicht erhoben werden. Teil der Meinungsfreiheit, welche gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet, ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden (BVerfG, NJW 2020, 2622 Rn. 30, beck-online)
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Die Meinungsfreiheit tritt nur in eng umgrenzten Sonderfällen, wie der Schmähkritik, der Formalbeleidigung und dem Angriff auf die Menschenwürde, bereits ohne eine umfassende Abwägung, hinter dem Ehrenschutz zurück (BayObIG, a.a.O.; BVerfG, a.a.O.).
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Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde. Erfolgen solche allein auf die persönliche Kränkung zielenden Äußerungen unter den Kommunikationsbedingungen des Internets, sind sie aber nicht selten auch von Privatfehden losgelöst. Sie können persönlich nicht bekannte Personen, auch des öffentlichen Lebens, betreffen, die im Schutz der Anonymität des Internets ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu einer Sachkritik grundlos aus verwerflichen Motiven wie Hass- oder Wutgefühlen heraus verunglimpft und verächtlich gemacht werden (BVerfG, NJW 2022, 1931 Rn. 15, beck-online).
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Zwar nahm die öffentliche Auseinandersetzung zu politischen Fragen in der Zeit der Covid-Beschränkungen aufsehenerregende und nicht immer zu billigende Formen an. Dieser Zustand muss grundsätzlich hingenommen werden, auch wenn dies mit dem Begriff der geistigen Auseinandersetzung manchmal nur schwer in Einklang zu bringen ist. Betreffend die Äußerung, dass der Landrat „Mit Tränen in den Augen und einem unermesslichen Sabbern beim Lutschen der Zehennägel von Dr. S… wird Landrat D...“ nach Australien sehe, hat der Angeklagte aus Sicht der Kammer den auch vom kämpferischen Aussagen durchzogenen damaligen politischen Diskurs verlassen und Schmähkritik geübt. Hierbei war Zweck der Äußerung nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person des Landrats, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik als abstoßend dargestellt werden sollte.
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Letztlich lässt die Kammer die Frage, ob es sich bei diesem Teil der Posts bereits um Schmähkritik handelt, jedoch dahingestellt, da jedenfalls die Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen der jeweiligen Inhalte und der Situation, in der die Äußerungen erfolgten, ergibt, dass die Meinungsfreiheit in beiden Fällen hinter dem Ehrschutz zurücktritt. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen gehören insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten (BVerfG, a.a.O.). Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG, a.a.O.).
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Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass der Angeklagte mit seinem Account auch zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen und Machtkritik üben will. Ferner war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte mit der Gastwirtschaft und mit deren Übernahme verbundener Schulden besonders hart durch die Beschränkungen getroffen wurde und in seiner Existenz gefährdet sah. Berücksichtigt wurde auch, dass der Landrat als Amtsträger, auch wenn er lediglich die dem Landkreis bereits vorgegebenen Verordnungen ausführte, für die Art und Weise als verantwortlich anzusehen war, und es daher möglich bleiben musste, ihn in anklagender und personalisierter Weise anzugreifen, insbesondere auch im Hinblick auf seine Äußerung, dass man „die D... anziehen müsse“.
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Allerdings bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern (BVerfG, a.a.O.). Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus (BVerfG, a.a.O.). Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt (BVerfG, a.a.O.). Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt dabei nicht nur an Art und Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen (BVerfG, a.a.O.).
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Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch Nutzung des Internets ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie Politikerinnen und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann (BVerfG, a.a.O.). Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (BVerfG, a.a.O.).
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Insoweit ist in die Abwägung einzustellen, dass es sich hier um keine spontane mündliche Äußerung im Rahmen einer hitzigen Debatte handelt. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen im Internet (BVerfG, a.a.O.).
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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass seit 01.12.2021 im Landkreis … die vom R.K.-Institut im Internet veröffentlichte 7-Tages-Inzidenz unter dem maßgeblichen Inzidenzwert von 1.000. lag und somit ein Ende des strengen Lockdowns zum 06.12.2021 bei Fortdauer der Entwicklung möglich schien. Die Posts erfolgten mithin zu einem Zeitpunkt in dem mit einem Ende der strengen Maßnahmen zu rechnen war und nicht als unmittelbare Reaktion auf die Ankündigung der Maßnahmen zum 25.11.2021.
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Zu berücksichtigen ist auch, dass der Account des Angeklagten aufgrund seiner früheren politischen Aktivitäten und der Verwurzelung in der Region, dort einen nicht unerheblichen Verbreitungsgrad hatte. Dies ergibt sich zum einen aus den Kommentaren unterschiedlicher Personen unter den Posts sowie dem Umstand, dass Landrat K… nach seinen glaubhaften Angaben von eigenen Mitarbeitern auf die Posts angesprochen wurde. Zu berücksichtigen ist auch, dass durch den O... in diesem Landkreis ein Ort gelegen ist, welcher in besonderem Maße mit Hitler und dem NS-Regime im Zusammenhang steht und daher der Vergleich mit einem Oberlagerführer/-leiter den Landrat dieses Kreises besonders persönlich angreift. Dies zeigt sich auch darin, dass Landrat K… glaubhaft angab, dass er sich durch einen vor seinem Landratsamt öffentlich aufgestellten Sarg, auf welchem ein Schild angebracht war, dass dieser für ihn sei, weniger angegriffen fühlte. Er versicherte zudem glaubhaft, dass er trotz zahlreicher anderer erheblicher ehrkränkender Äußerungen während der Covid-Beschränkung, nur in diesem Fall Strafantrag gestellt habe, eben weil ihn dies besonders erschüttert habe.
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Die Artikulationsfähigkeit des Angeklagten hätte es nach Überzeugung der Kammer durchaus zugelassen, dass er sich ausgewogenen und respektvoll mit der Thematik auseinandersetzt. Dies zeigen sein Lebenslauf, seine Bezugnahme auf historische Fakten und seine gewandte Ausdrucksweise im Rahmen der Hauptverhandlung. Der Angeklagte ist wie die Posts, die an dieser Stelle nicht nochmals wiederholt werden, zeigen, zu einer solchen Auseinandersetzung zwar in der Lage, aber nicht willens. Er genießt zwar dennoch den Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit (vgl. oben), jedoch ist in die Abwägung einzustellen, dass sein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung auf seinem verfahrensgegenständlichen Account jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit dem Absetzen der verfahrensgegenständlichen Posts zu einem erheblichen Teil auch in der Beschimpfung bzw. Verunglimpfungen von Personen besteht, deren Ansichten er nicht teilt bzw. die entgegen seinen Vorstellungen handeln.
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Unter Abwägung der oben genannten Punkte zur Machtkritik in der aufgeheizten Stimmung der Covid-Situation, der Stellung und Äußerung des Geschädigten, der erheblichen persönlichen Betroffenheit des Angeklagten einerseits, des Vorbedachten der Äußerungen, ihres Verbreitungsgrades, der Schwere der Ehrverletzung und der Artikulationsfähigkeit des Angeklagten andererseits, tritt die Meinungsfreiheit bei beiden Posts hinter dem Ehrschutz des Zeugen K… zurück.
VI.
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Der Strafrahmen ist dem § 185 StGB zu entnehmen.
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Zu Gunsten des Angeklagten spricht, dass er nicht vorbestraft ist und sich teilgeständig zeigte. Ferner wurde die oben im Rahmen der Abwägung zu Gunsten der Meinungsfreiheit eingestellten Umstände ebenso zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, da diese sein Handeln insgesamt im milderen Licht erscheinen lassen.
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Zu seinen Lasten war allerdings einzustellen, dass die Posts bis zum Abend vor der Berufungsverhandlung weiterhin veröffentlicht waren.
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30 Tagessätze waren daher jeweils als Einzelstrafe angemessen. Deren Höhe war entsprechend den Einkünften gem. § 40 Abs. 2 StGB auf 35 Euro festzusetzen.
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Unter nochmaliger Berücksichtigung der oben im einzelnen geschilderten Strafzumessungserwägungen, denen auch bei der Bildung der Gesamtstrafe wesentliche Bedeutung zukommt und auf die verwiesen wird, ist gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 2 StGB aus den Einzelstrafen unter Erhöhung der Einzelgeldstrafe von 30 Tagessätzen eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 35 Euro festzusetzen.
VII.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1,465 StPO.