Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.10.2024 – 206 StRR 278/24
Titel:

Abwägung von Ehrenschutz und Meinungsfreiheit

Normenketten:
StGB § 185
GG Art. 5 Abs. 1
Leitsatz:
Die Meinungsfreiheit umfasst zwar das Recht, staatliches Handeln auch scharf, überspitzt und selbst mit irrationalen Argumenten anzugreifen. Bei der Beschreibung einer Person als unermesslich sabbernde, (ungewaschene) Zehennägel des Ministerpräsidenten lutschende Person, in der Hoffnung, von diesem zum „Lagerleiter“ ernannt zu werden, tritt jedoch die Sachkritik an staatlichen Covid-Maßnahmen gegenüber der groben, geradezu gehässigen persönlichen Verächtlichmachung des Geschädigten so weit zurück, dass die Abwägung zugunsten des Ehrenschutzes des so Diffamierten ausfallen muss. (Rn. 23 – 28) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Beleidigung, Meinungsfreiheit, Ehrenschutz, Abwägung, Sachkritik, Verächtlichmachung
Vorinstanzen:
LG Traunstein, Urteil vom 16.04.2024 – 9 NBs 660 Js 2205/22 (2)
AG Laufen, Urteil vom 03.08.2022 – 3 Cs 660 Js 2205/22
Fundstellen:
LSK 2024, 29671
ZUM-RD 2025, 4
BeckRS 2024, 29671

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. April 2024 1. wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft M. das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den verbleibenden Tatvorwurf insoweit eingestellt, als dem Angeklagten zur Last gelegt wird, den Landrat des Landkreises A. am 1. Dezember 2021 durch einen Post auf seinem offenen F. Account durch folgende Äußerung beleidigt zu haben: „Wenn bald die Unvervakzinierten in die Lager kommen, wird unser LR D. sicher 1. Oberlagerführer – am O.“,
2. wird das Urteil des Landgerichts im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und im Ausspruch über die Höhe des einzelnen Tagessatzes dahin geändert, dass diese 30,00 Euro beträgt,
3. wird klargestellt, dass der Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt ist,
4. wird klargestellt, dass der Teilfreispruch aus dem Urteil des Amtsgerichts (betreffend die Äußerung vom 1. Dezember 2021) entfallen ist,
5. wird das Urteil des Landgerichts in Ziff. 1 und 2 des Urteilsausspruchs wie folgt neu gefasst:
„1. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 3. August 2022 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass die Höhe des einzelnen Tagessatzes 30,00 Euro beträgt.
2. Die weitergehenden Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden als unbegründet verworfen.“
In Ziff. 3 wird das Urteil aufgehoben und durch nachstehende Kostenentscheidung ersetzt.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last. Soweit er verurteilt ist, hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen einschließlich der Kosten des gegenständlichen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Laufen hat den Angeklagten mit Urteil vom 3. August 2022 wegen Beleidigung schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 Euro verhängt. Dem lag ein Eintrag des Angeklagten vom 3. (oder 4.) Dezember 2021 in seinem F. Account, betreffend einen Landrat, zugrunde. Vom Vorwurf der Beleidigung wegen eines weiteren F. -Eintrags am 1. Dezember 2021, betreffend denselben Geschädigten, hat das Amtsgericht den Angeklagten freigesprochen.
2
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Traunstein den Angeklagten in einem (ersten) Berufungsurteil vom 25. Januar 2023 wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt, gebildet aus zwei Einzelstrafen von jeweils 30 Tagessätzen; die Höhe des einzelnen Tagessatzes hat es auf 30,00 Euro festgesetzt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Urteil mit Beschluss vom 17. August 2023 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
3
Das Landgericht Traunstein hat mit Urteil vom 16. April 2024 den Angeklagten erneut wegen zweier Fälle der Beleidigung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen, beruhend auf zwei Einzelgeldstrafen von jeweils 30 Tagessätzen, verhängt. Die Tagessatzhöhe hat es mit 35,00 Euro bemessen.
4
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die – insoweit ohne Einzelausführungen – die Verletzung formellen Rechts sowie mit der Begründung, die Äußerungen des Angeklagten seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
5
Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat mit Stellungnahme vom 28. Juni 2024 beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
6
Auf Hinweis des Senats an die Verfahrensbeteiligten, dass die im angegriffenen Urteil festgesetzte Tagessatzhöhe gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO verstößt, hat die Generalstaatsanwaltschaft deren Herabsetzung auf 30,00 Euro gemäß § 354 Abs. 1a StPO beantragt. Ferner hat sie gemäß § 154 Abs. 2 StPO beantragt, das Verfahren wegen der Tat vom 1. Dezember 2021 einzustellen.
II.
7
1. Der Senat hat das Verfahren wegen des Tatvorwurfs der Beleidigung durch F. -Eintrag vom 1. Dezember 2021 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den verbleibenden Tatvorwurf wegen der Tat vom 3. bzw. 4 Dezember 2021 eingestellt.
8
a) Der insoweit erfolgte Schuldspruch im angegriffenen Urteil ist dadurch in Wegfall gekommen. Der Senat hat zur Klarstellung in den Beschlusstenor aufgenommen, dass der diesen Vorwurf betreffende Teilfreispruch im Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 3. August 2022 ebenfalls entfallen ist.
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b) Die wegen der vorbezeichneten Tat verhängte Einzelgeldstrafe ist ebenfalls entfallen, ohne dass es einer Aufhebung bedürfte. Der Wegfall dieser Einzelstrafe hat der vom Landgericht verhängten Gesamtgeldstrafe die Grundlage entzogen; sie war daher aufzuheben.
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c) Gegenstand der weiteren revisionsrechtlichen Prüfung war demzufolge nur noch der Schuldspruch wegen Beleidigung aufgrund des Tatgeschehens vom 3. oder 4. (zum Datum s. nachfolgend) Dezember 2021 und die deswegen verhängte Einzelgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35,00 Euro.
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2. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch wegen Beleidigung durch die Äußerung des Angeklagten auf seinem F. -Account am 3./4. Dezember 2021 wendet, bleibt sie ohne Erfolg. Die erhobene allgemeine Verfahrensrüge ist nicht zulässig, denn sie ist nicht ausgeführt und entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten im Schuldspruch ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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a) Der Verurteilung wegen Beleidigung liegt die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde, dass der Angeklagte am 4. Dezember 2021 nachfolgend wiedergegebene Äußerung auf seinem öffentlich einsehbaren F. -Account eingestellt hat, nachdem er bereits zuvor staatliche Maßnahmen während der Corona-Pandemie vielfach scharf kritisiert hatte.
13
aa) Während das Landgericht als Tattag den 4. Dezember 2021 nennt (UA S. 8), war im vorangegangenen Verfahrensverlauf stets vom 3. Dezember 2021 die Rede gewesen. Das Landgericht begründet diese Abweichung nicht, möglicherweise handelt es sich um ein Schreibversehen. Jedenfalls besteht, was der Senat als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen hatte, kein Zweifel daran, welche konkrete prozessuale Tat angeklagt war und gemäß § 264 StPO dem Urteil zugrunde liegt, denn es handelt sich bei der inkriminierten Äußerung um ein unverwechselbares historisches Geschehen. Der Angeklagte hat die inkriminierte Äußerung nur einmal (entweder am 3.12. oder am 4.12.2021) in seinem Account gepostet; im Übrigen war sie gemäß den Urteilsfeststellungen noch am 15. April 2024 dort veröffentlicht.
14
bb) Die Äußerung lautet wie folgt:
„Mit Tränen in den Augen und einem unermesslichen Sabbern beim Lutschen der Zehennägel von Dr. B. wird Landrat D. wohl in diesem Moment nach Australien schauen. Und er wird sich schon sehen: Schneidig in schwarzer Uniform, als 1. Oberlagerleiter auf dem Ob.!“. Zu diesem Post war nach den Feststellungen ein Link angebracht, der zu einem Video auf Yt. führte, in welchem ein Camp für Coviderkrankte in Australien zu sehen war. In diesem Video ist auch kurz eine schwarz uniformierte Person zu sehen. Auf den Eintrag eines F. -Nutzers mit dem Inhalt „Die eigentliche Frage ist doch: gewaschen oder ungewaschen? Die Zehennägel.“ antwortete der Angeklagte „Ungewaschen! Alles andere wäre doch geschmacklos“. (UA S. 8)
15
Ausweislich der Feststellungen wusste und wollte der Angeklagte, dass die Veröffentlichung von sämtlichen F. -Nutzern, insbesondere seinen „Followern“ wahrgenommen werden könnten und würden (UA S. 9).
16
cc) In den Urteilsgründen ist zudem ausführlich festgestellt, dass der Angeklagte, vorstehender Äußerung vorangehend, sich auf seinem F. -Account ab dem zweiten Halbjahr 2021 intensiv (kritisch) mit bundesweiten und regionalen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, mit Fragen des Nutzens der Impfungen gegen SarsCov19, und seit 12. November 2021 verstärkt mit dem Thema Lockdown beschäftigt hatte. Als Gastronom war er von den genannten Regelungen persönlich in ökonomischer Hinsicht stark betroffen. Kritisch kommentierte er insbesondere die Anordnungen, die für den Landkreis A. vom dortigen Landrat getroffen wurden. In einem Post vom 1. Dezember 2021 hatte er geäußert: “Wenn bald die Unvervakzinierten in die Lager kommen, wird unser LR D. sicher 1. Oberlagerführer – am Ob.. Die Äußerung war ursprünglich von der Anklage unter dem Tatvorwurf der Beleidigung erfasst; diese Tat bildet den Gegenstand der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO.
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b) Der Schuldspruch hinsichtlich des verbliebenen Tatvorwurfs hat Bestand. Die Wertung des Landgerichts, dass es sich bei dieser Äußerung um eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB handelt, ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft M. in ihrem Vorlageschreiben vom 28. Juni 2024 nach Maßgabe folgender ergänzender und teilweise abweichender Ausführungen Bezug genommen.
18
aa) Die Auslegung der Äußerung dahin, dass sie sich konkret auf den Landrat des A. bezieht und mit dem Ausdruck „Lager“ die Besorgnis geäußert wird, nicht gegen Covid-19 geimpfte Personen könnten (demnächst) interniert werden, ist nicht zu beanstanden. Soweit das Gericht darüber hinaus ausführt, der Landrat werde mit einem „obersten SS-Offizier eines Arbeits- oder Konzentrationslagers“ gleichgesetzt (UA S. 13), begegnet dies zwar durchgreifenden Bedenken, die jedoch im Ergebnis nicht zur Aufhebung des Schuldspruchs führen.
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(1) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt richtig gesehen, dass die Einordnung einer Äußerung als strafbare Beleidigung zunächst voraussetzt, dass der Sinn der Äußerung unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG zutreffend erfasst wird (vgl. Beschluss des Senats in dieser Sache vom 17. August 2023, Az. 206 StRR 162/23, S. 5; Senat, Beschluss vom 18. März 2024, 206 StRR 63/64, BeckRS 2024, 4969 Rn. 15 m.w.N.), wobei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums maßgeblich ist (BVerfG, Beschluss vom 24. November 2023, 1 BvR 1962/23, NJW 2024, 745 Rn. 4; st. Rspr.).
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(2) Wie bereits im Senatsbeschluss vom 17. August 2023 aufgezeigt, hält die Auslegung, der Landrat werde mit einem „SS-Offizier“ und „Leiter eines Konzentrationslagers“ – was durch die Formulierung „oder eines Arbeitslagers“ nur ergänzt, nicht aber abgemildert wird – gleichgesetzt, rechtlicher Prüfung nicht stand. An den dortigen Beschlussgründen wird festgehalten; sie bedürfen keiner Ergänzung. Dass, wie das Landgericht ausführt, der Begriff „Ob.“ nach dem Verständnis der im Landkreis A. wohnhaften Bevölkerung Assoziationen an das NS-Regime auslöse (UA S. 13), wird vom Senat nicht in Frage gestellt, ist aber keine ausreichende Grundlage dafür, es als einzig mögliche Auslegung anzusehen, dass der Landrat vom Angeklagten einem „obersten SS-Offizier“ gleichgesetzt werde, der ein „Konzentrationslager“ leite (oder dies anstrebe).
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(3) Der Senat kann aufgrund der ausführlichen Feststellungen des Landgerichts zum Kontext der Äußerung jedoch selbst eine Auslegung vornehmen. Zum einen ist die Äußerung im Futur formuliert, beschreibt also keinen Ist-Zustand, sondern eine vom Angeklagten künftig für möglich gehaltene und befürchtete Maßnahme, wonach nicht gegen Covid-19 Geimpfte wie in Australien in Lagern interniert werden könnten. Er zeichnet dabei ein Bild des Landrats, das den Eindruck vermittelt, er sei, auch zum Zweck persönlicher Genugtuung damit einverstanden und erhoffe begierig, künftig – uniformiert – ein derartiges Lager zu leiten. Ferner zeichne sich dieser durch eine extreme Unterwürfigkeit gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten – zumindest im Hinblick auf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie – aus. Das in diesem Zusammenhang vom Angeklagten evozierte Bild (bzgl. der Zehennägel) spricht für sich und bedarf keiner weiteren Auslegung.
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bb) Dass es sich bei dieser Verlautbarung auch in der vom Senat vorgenommenen Auslegung um eine den Landrat persönlich herabwürdigende Charakterisierung handelt, liegt auf der Hand und erfordert keine nähere Begründung.
23
cc) Zutreffend hat das Landgericht dargelegt, dass eine Strafbarkeit wegen einer ehrverletzenden Äußerung nur dann in Betracht kommt, wenn nach den hierzu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben das Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG hinter den Schutz des Persönlichkeitsrechts zurücktreten muss. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe S. 16 ff. sowie auf den Senatsbeschluss vom 17. August 2023 Bezug genommen. Im Ergebnis weist die vom Landgericht im konkreten Fall vorgenommene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.
24
(1) Vorauszuschicken ist zunächst, dass der Auffassung des Landgerichts, die Äußerung des Angeklagten sei als „Schmähkritik“ einzuordnen, selbst dann nicht zu folgen wäre, wenn man der vorstehend aufgezeigten Auslegung durch das Gericht folgen würde. Dass die Äußerung einen Sachbezug hat, liegt auf der Hand: Es handelt sich um eine, wenn auch polemische, überspitzte und verletzende, Kritik am Amtshandeln des Landrats im Zusammenhang mit den staatlichen Einschränkungen in der Corona-Zeit. Dies schließt die Annahme einer Schmähkritik, bei der es ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten bar jeden Sachbezugs geht, aus. Dies hat der Senat bereits im Beschluss vom 17. August 2023 ausführlich dargelegt (dort S. 4). Die dort genannten Gründe bedürfen keiner Ergänzung.
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(2) Der Senat hat erwogen, ob das vom Angeklagten verbal gezeichnete, Ekel erregende Bild des „Sabberns“ und „an den Zehennägeln Lutschens“ eine Formalbeleidigung darstellt, was ebenfalls eine Einzelabwägung der betroffenen Rechtsgüter aus Art. 5 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG überflüssig machen würde. Er kann dies aber aus nachfolgenden Gründen offenlassen.
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(3) Im Ergebnis ist jedenfalls die vom Landgericht – hilfsweise – vorgenommene sorgfältige Abwägung, mit der es unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Maßstäbe zu dem Ergebnis gelangt, dass im konkreten Fall die Meinungsfreiheit des Angeklagten hinter dem Persönlichkeitsschutz des Adressaten zurückzutreten hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Abwägung und ihr Ergebnis verlieren nicht dadurch ihre Richtigkeit, dass der Senat dem verwendeten Ausdruck „Lagerleiter auf dem Ob. einen anderen, graduell weniger ehrverletzenden Sinn als das Berufungsgericht beilegt. Im Hinblick darauf sind, ergänzend zu den Urteilsgründen, lediglich noch folgende Bemerkungen veranlasst:
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Die Meinungsfreiheit umfasst das Recht, staatliches Handeln auch scharf, überspitzt und selbst mit irrationalen Argumenten anzugreifen. Es gehört zu ihrem Kernbereich, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen kritisieren zu können (s. nur BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622 Rn. 30). Die Beschreibung des Geschädigten als unermesslich sabbernde, (ungewaschene) Zehennägel des Ministerpräsidenten lutschende Person, in der Hoffnung, von diesem zum „Lagerleiter“ ernannt zu werden, ist geeignet, beim durchschnittlichen Leser Abscheu und Ekel gegenüber der geschilderten Handlung und negative Emotionen gegenüber demjenigen, der sich selbst in dieser extrem demütigen Weise einem anderen unterwirft, hervorzurufen. Die in der Äußerung noch erkennbar enthaltende Sachkritik an den vom betroffenen Landrat umgesetzten staatliche Maßnahmen während der Covid-Pandemie tritt gegenüber dieser groben, geradezu gehässigen persönlichen Verächtlichmachung des Geschädigten so weit zurück, dass die Abwägung zugunsten des Ehrenschutzes des so Diffamierten ausfallen muss. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass, wie das Landgericht richtig hervorgehoben hat, die Äußerung nicht unüberlegt im Rahmen eines hitzigen Wortgefechts gefallen ist, sondern schriftlich geäußert und – vor dem Hintergrund einer Vielzahl im Urteil wiedergegebener weiterer Äußerungen des Angeklagten – erkennbar mit Bedacht gewählt wurden.
29
3. Die Rechtsfolgenentscheidung bedarf hingegen in einem Punkt aus rechtlichen Gründen der Korrektur.
30
a) Hinsichtlich der gegenständlichen, nach der Teileinstellung des Verfahrens verbliebenen Tat ist eine Einzelgeldstrafe von 30 Tagessätzen festgesetzt. Insoweit hat die revisionsgerichtliche Überprüfung keine Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vom Senat vorgenommenen teilweise abweichenden Auslegung der inkriminierten Äußerung. Es kann im Hinblick auf die Schärfe der persönlichen Angriffe gegen den Geschädigten und die Dauer der Veröffentlichung des beleidigenden Posts (bis zur Berufungsverhandlung rund zwei Jahre und vier Monate) ausgeschlossen werden, dass die am untersten Rahmen der gesetzlichen Strafdrohung angesiedelte Strafe niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht die Äußerung so wie der Senat ausgelegt hätte.
31
b) Einen – geringfügigen – Erfolg erzielt das Rechtsmittel jedoch hinsichtlich der Höhe des einzelnen Tagessatzes.
32
Die vom Landgericht festgesetzte Höhe von 35,00 Euro entspricht zwar den festgestellten wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, § 40 Abs. 2 StGB. Sie verstößt jedoch gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO. Das (erste) Berufungsurteil des Landgerichts Traunstein hatte auf eine Tagessatzhöhe von 30,00 Euro erkannt. Gegen dieses hatte allein der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO hat der Senat die Höhe des Tagessatzes auf 30,00 Euro herabgesetzt.
33
4. Die Kostenentscheidung betreffend den eingestellten Tatvorwurf fußt auf § 467 Abs. 1 StPO; im Übrigen beruht sie auf 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 StPO. Das lediglich geringfügige Obsiegen des Angeklagten hinsichtlich der Höhe des Tagessatzes rechtfertigt keine andere Entscheidung. Es ist nicht unbillig, den Angeklagten insoweit mit den Kosten zu belasten.