Titel:
Absehen von der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung bei eine Abschiebung
Normenketten:
StPO § 456a
EGGVG § 23, § 28 Abs. 3
StVollstrO § 21
Leitsätze:
1. Befindet sich der Antragsteller nach der Strafverbüßung in der Sicherungsverwahrung, hat die Vollstreckungsbehörde im Rahmen einer Entscheidung nach § 456a StPO ihre Erwägungen daran zu orientieren, ob auf Grund konkreter Tatsachen die Annahme begründet ist, dass der in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte alsbald in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren und hier neue (erhebliche) Straftaten begehen wird. Für die Entscheidung nach § 456a StPO bei einem Sicherungsverwahrten ist nicht von Belang, ob der Antragsteller ohne weitergehende Behandlung oder Therapie ein Risiko für die Bevölkerung in dem möglichen Abschiebeland darstellen würde. (Rn. 14)
2. Die Vollstreckungsbehörde hat die Rückkehrgefahr zu prüfen und in ihrem Bescheid tatsachenfundiert und für das Gericht nachvollziehbar darzulegen. (Rn. 15)
3. Für die Prognose sind auch die Umstände der Tat in die Überlegungen mit einzustellen. Denn das Risiko der Begehung von erneuten Straftaten im Inland lässt sich in der Regel nicht ohne Blick auf die begangenen Taten und ihre Vorgeschichte beurteilen. (Rn. 15)
Schlagworte:
Sicherungsverwahrung, Abschiebung, Gefahr der Rückkehr, Therapie, Vorschaltverfahren
Fundstellen:
StV 2025, 44
LSK 2024, 29531
BeckRS 2024, 29531
Tenor
1. Auf Antrag des Untergebrachten werden die Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 2. Juli 2024 und der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft München vom 8. August 2024 aufgehoben.
2. Die Staatsanwaltschaft München I wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
3. Der weitergehende Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen.
4. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Der Antragsteller, ein österreichischer Staatsangehöriger, wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, von der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nicht nach § 465a StPO abzusehen.
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1. Das Landgericht München I hat mit Urteil vom 22. Dezember 2009 – 1 Ks 114 Js 12241/08-, rechtskräftig seit 19. Oktober 2010, den Antragsteller wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen des versuchten Mordes, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem Raub, sowie wegen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Feststellungen verübte der damals in Österreich lebende Antragsteller gemeinsam mit seinem ebenfalls wegen der Taten rechtskräftig verurteilten Bruder in den Jahren 2003 bis 2008 im Umland von München fünf Banküberfälle jeweils unter dem Einsatz von scharfen Schusswaffen und erbeutete zum Teil mittels massiver Gewaltanwendung insgesamt rund 730.000 Euro. Als der Antragsteller beim letzten Überfall am 20. November 2008 von zwei Polizeibeamten beim Verlassen der Bank gestellt wurde, schoss er mehrmals mit bedingtem Tötungsvorsatz auf die Beamten und verletzte einen von ihnen mit einer Schusswunde am Oberschenkel. Nach seiner Festnahme am 20. November 2008 befand sich der Antragsteller zunächst in Untersuchungshaft, verbüßte ab dem 20. Oktober 2010 Strafhaft und befindet sich nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe seit dem 20. November 2023 in der Sicherungsverwahrung.
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2. Gegen den Antragsteller liegt ein seit 13. Oktober 2011 bestandskräftiger Bescheid der Ausländerbehörde des Landratsamts München vom 02. September 2011 vor, in dem der Verlust seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt und gleichzeitig ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gegen ihn verhängt wurde. Mit Bescheid des Landratsamts M. vom 23. März 2020 wurden die Wirkungen der mit Bescheid vom 02. September 2011 getroffenen Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auf zehn Jahre ab der nachgewiesenen Ausreise aus dem Bundesgebiet befristet.
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3. Der Verurteilte erstrebt seit längerem eine Sachbehandlung nach § 456a StPO. Der Senat hat zuletzt mit Beschluss vom 25. September 2023 einen Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Mit – vom Antragsteller angefochtenem – Beschluss des Landgerichts Regensburg, auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht Straubing, vom 5. Oktober 2023 wurde wegen der fortdauernden Gefährlichkeit des Antragstellers der Vollzug der Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 12. Januar 2024 hat der Verurteilte einen weiteren Antrag nach § 456a StPO gestellt. Zur Begründung trägt er vor, dass er die 15-jährige Freiheitsstrafe nunmehr vollständig verbüßt habe. Konkrete Anhaltspunkte, dass er nach seiner Entlassung alsbald wieder zum Zwecke der Begehung von Straftaten in das Bundesgebiet einreisen würde, lägen nicht vor. Die Justizvollzugsanstalt S.- Einrichtung für Sicherungsverwahrung – hat in ihrer Stellungnahme vom 10. Juni 2024 Bedenken geäußert. Zwar sei das vollzugliche Verhalten des in einer geriatrischen Wohngruppe untergebrachten mobilitätseingeschränkten Antragstellers, der nach seiner Entlassung eine Rückkehr in sein Heimatland Österreich plane, bislang beanstandungsfrei verlaufen. Aus der Sicht der Einrichtung seien auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Untergebrachte alsbald nach seiner Abschiebung nach Deutschland zurückkehren würde. Der Verurteilte lehne jedoch Behandlungsangebote nachhaltig ab. Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer sei es der Anstalt nicht in ausreichendem Maße möglich gewesen, zu versuchen, auf die Gefährlichkeit des Untergebrachten in relevantem Maße einzuwirken.
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4. Die Staatsanwaltschaft München I hat den Antrag vom 12. Januar 2024 mit Verfügung vom 2. Juli 2024 abgelehnt. Aufgrund der Kürze des Aufenthalts in der Sicherungsverwahrung sei es der Einrichtung nicht möglich gewesen, auf die Gefährlichkeit des Untergebrachten in relevantem Maße einzuwirken. Der Verurteilte habe Behandlungsangebote abgelehnt; es gäbe keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass es dem Verurteilten gelungen sei, seine Gefährlichkeit selbständig zu reduzieren. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Juli 2024 hat der Untergebrachte Beschwerde gegen diese Verfügung der Staatsanwaltschaft München I eingelegt. Die Staatsanwaltschaft München I hat der Beschwerde mit Verfügung vom 2. August 2024 nicht abgeholfen. Der Generalstaatsanwalt in München hat mit Bescheid vom 8. August 2024 die Beschwerde des Antragstellers gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 2. Juli 2024 zurückgewiesen. Der Untergebrachte habe sich bei den der Vollstreckung zugrundeliegenden Taten als sehr gefährlich erwiesen. Er habe sich bislang nicht mit seinen Taten auseinandergesetzt. Nach einem psychiatrischen Gutachten vom 3. August 2023 sei zu vermuten, dass es sich bei den vom Untergebrachten geschilderten körperlichen Symptomen um rein psychosomatische Beschwerden handeln würde. Soweit der Untergebrachte ein Zusammenleben mit seiner früheren Lebensgefährtin anstrebe, sei zu bedenken, dass sie ihn während des 15 Jahre dauernden Strafvollzugs kein einziges Mal besucht habe. Der Sozialkontakt zur früheren Lebensgefährtin in Österreich sei nicht belastbar. Die Aufnahme einer Beschäftigung zur Sicherung des Lebensbedarfs und zur Begleichung der hohen Schulden sei angesichts der langen Inhaftierung und der Persönlichkeit des Antragstellers fernliegend. Sozialen Kontakt halte er im Wesentlichen zu seinem ebenfalls in der Sicherungsverwahrung in Deutschland untergebrachten Bruder. Mangels effizienter Grenzkontrollen könne der Untergebrachte vom Nachbarland aus jederzeit wieder nach Deutschland einreisen.
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5. Gegen den seinem Bevollmächtigten am 20. August 2024 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 25. August 2024, eingegangen beim Bayerischen Obersten Landesgericht am selben Tage und ergänzt am 4. Oktober 2024, Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt und beantragt, die Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 2. Juli 2024 und den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft München vom 8. August 2024 aufzuheben und von der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung abzusehen, hilfsweise die Staatsanwaltschaft München I zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu verbescheiden. Die Wiedereinreise zur Begehung neuer Straftaten drohe nicht. Eine Wohnsitznahme in Österreich und ein hinreichender Lebensunterhalt seien gesichert. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 16. September 2024 beantragt, den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. Die Vollstreckungsbehörde habe ihre Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen. Der vom Antragsteller behauptete soziale Empfangsraum bei seiner früheren Lebensgefährtin in Österreich sei fraglich. Der Senat nimmt inhaltlich auf die genannten Entscheidungen, Verfügungen, Stellungnahmen, Schriftsätze und Schreiben vollumfänglich Bezug.
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Der Antrag des Untergebrachten auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 und 2 EGGVG in Verbindung mit § 456a StPO statthaft, er ist gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG form- und fristgerecht eingelegt und auch nach § 24 Abs. 2 EGGVG zulässig, da das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) durchgeführt worden ist.
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In der Sache erweist sich der Hilfsantrag als vorläufig erfolgreich, da die nach § 456a StPO getroffene Entscheidung der Vollstreckungsbehörde einen Ermessensfehler aufweist und der Antragsteller deswegen in seinen Rechten verletzt ist (§ 28 Abs. 1 S. 1 EGGVG).
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1. Bei der nach § 23 EGGVG anfechtbaren Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 456a Abs. 1 StPO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 28 Abs. 3 EGGVG (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschluss vom 21. August 2023 – 203 VAs 243/23 –, juris Rn. 5; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 456a Rn. 14; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 456a Rn. 5; Appl in KK-StPO, 9. Aufl., § 456a StPO Rn. 3a).
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2. Nach § 28 Abs. 3 EGGVG sind ablehnende Entscheidungen durch die Gerichte nur daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung willkürlich ist, wenn die Vollstreckungsbehörde von einem unvollständig ermittelten oder unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, wenn sie Gesichtspunkte zum Nachteil des Antragstellers berücksichtigt hat, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes keine Rolle spielen dürfen, oder maßgebliche Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein können, falsch bewertet oder außer Acht gelassen hat oder wenn sie insgesamt keine diese Prüfung ermöglichende Begründung enthält (st. Rspr., vgl. Senat a.a.O. Rn. 5; Mayer in KK-StPO, a.a.O. EGGVG § 28 Rn. 3; Schmitt a.a.O. EGGVG, § 28 Rn. 10 m.w.N.; Appl a.a.O. § 456a Rn. 5).
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3. Gegenstand der Überprüfung ist dabei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom 2. Juli 2024 in der Gestalt, die sie durch den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft München vom 8. August 2024 im Vorschaltverfahren erhalten hat (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2021- 203 VAs 274/21-, juris Rn. 15 m.w.N.).
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4. Für die Überprüfung der Ermessensentscheidung ist der Zweck der Vorschrift zu berücksichtigen. Der Zweck der Ermächtigung des § 456a StPO liegt nach den gesetzgeberischen Motiven in der Entlastung des Vollzugs bei Straftätern, auch bei im Maßregelvollzug Untergebrachten, die das Bundesgebiet aufgrund hoheitlicher Anordnung verlassen müssen und denen gegenüber die weitere Vollstreckung weder unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung noch unter dem der Prävention sinnvoll wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 21. August 2023 – 203 VAs 243/23 –, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 6. November 2012 – III-1 VAs 104/12 –, juris Rn. 8; Appl a.a.O. § 456a Rn. 1; Graalmann-Scheerer, a.a.O., § 456a Rn. 1). Die Vorschrift des § 456a StPO wurde aus fiskalischen Erwägungen im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geschaffen, um diese im vertretbaren Rahmen von der Last der Strafvollstreckung zu befreien (OLG Hamm, Beschluss vom 13. Oktober 2011 – III-1 VAs 58/11 –, juris Rn. 19). Sie dient nicht dem weltweiten Sicherungsinteresse der Allgemeinheit (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2020 – 203 VAs 470/20 –, juris Rn. 17; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Februar 2022 – 2 VAs 1/22 –, juris Rn. 8).
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5. Befindet sich der Antragsteller im Strafvollzug, sind nach der gefestigten Rechtsprechung bei der Entscheidung, ob von der weiteren Vollstreckung nach § 456a StPO abgesehen werden kann, die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Dauer des bisher verbüßten Teils der Strafe, das öffentliche Interesse an nachhaltiger Strafvollstreckung einerseits und andererseits die familiäre und soziale Lage des Verurteilten und das Interesse daran, sich beizeiten von der Last der Vollstreckung von Strafen gegen Ausländer zu befreien, gegeneinander abzuwägen und in eine Gesamtbetrachtung einzustellen (Senat, Beschluss vom 21. August 2023 – 203 VAs 243/23 –, juris Rn. 7; Graalmann-Scheerer a.a.O. § 456a Rn. 14; Appl a.a.O § 456a Rn. 3a; Schmitt a.a.O. § 456a Rn. 5).
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6. Befindet sich der Antragsteller nach der Strafverbüßung in der Sicherungsverwahrung, können die in der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Frage eines Absehens von der weiteren Vollstreckung einer Freiheitsstrafe entwickelten Grundsätze allerdings nicht mehr uneingeschränkt Geltung beanspruchen (Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2020 – 203 VAs 470/20 –, juris Rn. 18). So kann das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung bei der Abwägung im Rahmen des § 456a StPO keine Rolle mehr spielen, nachdem der Untergebrachte die schuldangemessene Strafe bereits voll verbüßt hat (Senat a.a.O. Rn. 19 m.w.N.). Für die Entscheidung nach § 456a StPO bei einem Sicherungsverwahrten ist auch nicht von Belang, ob der Antragsteller ohne weitergehende Behandlung oder Therapie ein Risiko für die Bevölkerung in dem möglichen Abschiebeland darstellen würde (Senat a.a.O. Rn. 22; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 23. September 2020 – III-1 VAs 54/20 –, juris Rn. 11). Bezogen auf den – weiteren – Vollzug der Sicherungsverwahrung kommt es vielmehr maßgeblich darauf an, ob auf Grund konkreter Tatsachen (Senat a.a.O. Rn. 20; Graalmann-Scheerer a.a.O. § 456a Rn. 14) die Annahme begründet ist, dass der in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte alsbald in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren und hier neue (erhebliche) Straftaten begehen wird (Senat a.a.O. Rn. 20; OLG Hamm a.a.O. Rn. 11).
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7. Die Vollstreckungsbehörde hat diese Rückkehrgefahr zu prüfen und in ihrem Bescheid tatsachenfundiert und für das Gericht nachvollziehbar darzulegen (so auch OLG Hamm a.a.O. Rn. 12; Graalmann-Scheerer a.a.O. § 456a Rn. 17). Bloße Vermutungen genügen nicht. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft die persönliche Situation des Untergebrachten zu beurteilen. Für die Prognose sind auch die Umstände der Tat in die Überlegungen mit einzustellen (OLG Hamm a.a.O. Rn. 16). Denn das Risiko der Begehung von erneuten Straftaten im Inland lässt sich in der Regel nicht ohne Blick auf die begangenen Taten und ihre Vorgeschichte beurteilen.
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8. Gemessen daran hat die Vollstreckungsbehörde hier maßgebliche Gesichtspunkte, die bei ihrer Ermessensentscheidung von Belang sein können, außer Acht gelassen.
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a. Keine rechtlichen Bedenken bestehen nach dem oben Gesagten gegen das Heranziehen der Umstände der Tatbegehung. Dass der Antragsteller ungeachtet seiner damaligen persönlichen Beziehungen in Österreich in der Vergangenheit seine finanziellen Bedürfnisse zu decken versuchte, indem er jeweils kurzzeitig nach Deutschland einreiste und hier bewaffnete Banküberfälle verübte, ist grundsätzlich geeignet, die Prognose zu stützen, dass er nach seiner Entlassung erneut versuchen könnte, sich von seinen aktuell hohen Verbindlichkeiten auf ähnliche Weise zu befreien, zumal er bislang einer therapeutischen Intervention nicht zugänglich war und ihm legale Einkünfte nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.
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b. Dass der ergänzend zur Begründung der Wiedereinreisegefahr herangezogene Aspekt, der einzige verlässliche Sozialkontakt lebe in Deutschland, nicht trägt, nachdem eine persönliche Verbindungsaufnahme des mit einem Einreiseverbot belegten Antragstellers zu seinem weiterhin in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Bruder an den Beschränkungen der Einrichtung scheitern dürfte, kommt es nicht maßgeblich an.
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c. Der vom Antragsteller geforderten weiteren Ermittlungen zu der Ernsthaftigkeit der Absichten seiner früheren Lebensgefährtin bedurfte es mit Blick auf sein Vorleben nicht. Damals verließ er sein Heimatland nur zur Begehung der Straftaten und zog sich anschließend wieder nach Österreich zurück. Eine Gefahr, dass der Antragsteller sich von seinem Heimatland lösen und anschließend auf Dauer hier im Untergrund leben würde, sieht auch die Staatsanwaltschaft nicht.
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d. Jedoch durfte die Vollstreckungsbehörde die von der Einrichtung für Sicherungsverwahrung beschriebene deutliche Einschränkung der Mobilität und den mentalen Zustand des Antragstellers bei ihrer Abwägung nicht unerörtert lassen. Nach der oben benannten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt S.- Einrichtung für Sicherungsverwahrung – vom 10. Juni 2024 ist der Antragsteller nicht nur in der geriatrischen Wohngruppe untergebracht, sondern auf Gehhilfen angewiesen. Größere Strecken lege er mit dem Rollstuhl zurück. Von einer zweistündigen Ausführung am 11. Januar 2024 in den Supermarkt sei er „sichtlich erschöpft“ zurückgekehrt. Außerhalb der Einrichtung sei er auf die Unterstützung seiner Begleiter angewiesen gewesen. Nach der Aktenlage hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg bereits mit Beschluss vom 6. Dezember 2023 im Vollstreckungsverfahren anlässlich des Eindrucks des Untergebrachten bei einer gerichtlichen Anhörung am 19. September 2023 die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens bestimmt, das sich zur Frage der Gefährlichkeit des Antragstellers unter Berücksichtigung seines derzeitigen Gesundheitszustands äußern sollte. Den Auftrag, den Anlass und ein möglicherweise nunmehr vorliegendes Ergebnis des Gutachtens durfte die Generalstaatsanwaltschaft München nicht übergehen. Ihr Verweis in ihrem Bescheid vom 8. August 2024 auf die Vermutung einer psychosomatischen Ursache von gesundheitlichen Beschwerden genügt insoweit nicht. Das von der Generalstaatsanwaltschaft herangezogene Gutachten vom 3. August 2023 kann nach Aktenlage durch den Gutachtensauftrag des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. Dezember 2023 überholt sein. Hinzu kommt, dass sich eine Reversibilität der Symptome jedenfalls bei einer verfestigten psychosomatischen Erkrankung auch im Falle einer Entlassung aus der Anstalt nicht von selbst verstehen würde.
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e. Ob bei dem deutlich gealterten Antragsteller angesichts einer Vollzugsdauer von nunmehr 16 Jahren nach der Verbringung nach Österreich weiterhin die Fähigkeit vorhanden ist, in einem anderen Land (Deutschland) und nunmehr ohne die Unterstützung seines Bruders erhebliche Straftaten zu planen, logistisch vorzubereiten und auszuführen, durfte daher für die Frage des Risikos der alsbaldigen Begehung von Straftaten im Inland nicht offen bleiben. Die Vollstreckungsbehörde wird sich bei ihrer neuen Entscheidung unter Einbeziehung der Erkenntnisse der Vollzugsbehörde aus weiteren Ausführungen nicht nur mit dem Gesundheitszustand des Antragstellers, sondern auch mit der sachverständigen Beurteilung der Kriminalprognose vertiefter auseinanderzusetzen haben. Dem Senat ist es verwehrt, die von der Vollstreckungsbehörde versäumten Erwägungen selbst nachzuholen.
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Soweit der Untergebrachte beantragt hat, auszusprechen, dass von der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung abzusehen ist, ist der Antrag zurückzuweisen. Der Senat würde ansonsten in unzulässiger Weise sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Vollstreckungsbehörde setzen. Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null liegt aufgrund der lückenhaften Aufklärung des Zustands des Antragstellers ersichtlich nicht vor.
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1. Eine Kostengrundentscheidung nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG war nicht veranlasst, da der Antrag weder zurückgenommen noch (insgesamt) zurückgewiesen wurde. Da der Antragsteller nur einen vorläufigen (Teil-)Erfolg erzielt hat, besteht keine Veranlassung gemäß § 30 Satz 1 EGGVG ausnahmsweise die Staatskasse mit seinen außergerichtlichen Kosten zu belasten.
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2. Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
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3. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.