Titel:
Auffangstation für Wildtiere als tierheimähnliche Einrichtung
Normenketten:
TierSchG § 2, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 21 Abs. 5 S. 1
BNatSchG § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 45 Abs. 5
Leitsätze:
1. Tierheimähnliche Einrichtungen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG sind Einrichtungen, bei denen die wesentlichen Merkmale eines Tierheims vorliegen (Anschluss an: BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 – 7 C 9/08; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.04.2023 – 3 L 12/23.Z, jeweils bei juris). Es ist Sinn und Zweck dieser Norm, im Wege der behördlichen Vorabkontrolle die materiellen Anforderungen (insbesondere nach § 2 TierSchG) unter den besonderen Bedingungen des Tierheims sicherzustellen. (Rn. 8)
2. Die auf Dauer angelegte Aufnahme einer größeren Anzahl an Wildtieren ist auch in Form des Betreibens von Auffangstationen für (herrenlose) Wildtiere im Regelfall als tierheimähnliche Einrichtung erlaubnispflichtig. (Rn. 8 – 10)
Eine tierheimähnliche Einrichtung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Tiere in größerer Anzahl gehalten werden, die Einrichtung auf Dauer angelegt ist und umfassende Betreuungs- und Obhutspflichten übernommen werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ähnlichkeit, Anzahl, Auffangstation, Besitzverbot, Bestimmtheitsgebot, Betreuung, Dauerpfleglinge, Einrichtung, Entnahmeverbot, Erlaubnispflicht, Geldbuße, Gewinnerzielung, Haltung, Heimtier, herrenlos, hilflos, Inbesitznahme, vorübergehend, krank, Kurzzeitpfleglinge, Obhut, Pflege, Pflegestation, privat, Rechtsbeschwerde, Sachkunde, Tier, Tierhaltung, Tierheim, tierheimähnliche Einrichtung, Unterbringung, verfassungsrechtliche Bedenken, Vorabkontrolle, Vielzahl, Wildtier, Wohnanwesen, Wohnhaus, Zuverlässigkeit.
Fundstelle:
BeckRS 2024, 29367
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 14.02.2024 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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Das Landratsamt […] hat gegen die Betroffene am 06.10.2021 einen Bußgeldbescheid erlassen, in welchem dieser zur Last gelegt wurde, vorsätzlich seit 22.06.2020 an ihrer Wohnadresse eine Auffang- und Pflegestation für Wildtiere (verschiedene Vögel und Fledermäuse) ohne die erforderliche Erlaubnis nach § 11 TierSchG betrieben zu haben, und in dem deshalb eine Geldbuße in Höhe von 700,- Euro festgesetzt wurde. Nach form- und fristgerechter Einlegung des Einspruchs hat das Amtsgericht die Betroffene am 14.02.2024 wegen der Ordnungswidrigkeit, vorsätzlich eine Tätigkeit ohne die nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG erforderliche Erlaubnis ausgeübt zu haben, zu einer Geldbuße von 500,- Euro verurteilt.
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Hiergegen richtet sich die mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Diese macht v.a. geltend, keine tierheimähnliche Einrichtung betrieben zu haben.
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Mit Stellungnahme vom 07.05.2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde der Betroffenen als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Hierzu hat sich der Verteidiger mit Gegenerklärung vom 04.06.2024 geäußert.
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Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
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Zur Begründung wird auf die – auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung vom 04.06.2024 – zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 07.05.2024 Bezug genommen.
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Ergänzend bemerkt der Senat:
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1. Zutreffend hat das Amtsgericht angenommen, die Betroffene habe eine tierheimähnliche Einrichtung i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG betrieben, ohne die erforderliche Erlaubnis zu haben.
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a) Tierheimähnliche Einrichtungen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG sind Einrichtungen, bei denen die wesentlichen Merkmale eines Tierheims vorliegen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 – 7 C 9/08; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.04.2023 – 3 L 12/23.Z, jeweils bei juris). Eine Einrichtung ist nur dann einem Tierheim ähnlich, wenn die Gründe, die für die Erlaubnispflicht der Tierhaltung in einem Tierheim sprechen, bei der Einrichtung in gleicher Weise bestehen (BVerwG a.a.O.; VG Darmstadt, Beschluss vom 28.03.2011 – 5 L 1/11, BeckRS 2011, 50289), also wenn Sinn und Zweck der Erlaubnispflicht für Tierheime auch für die Erlaubnisbedürftigkeit dieser Einrichtungen spricht. Es ist Sinn und Zweck des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG, im Wege der behördlichen Vorabkontrolle die materiellen Anforderungen (insbesondere nach § 2 TierSchG) unter den besonderen Bedingungen des Tierheims sicherzustellen. Nach Nr. 12.2.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes (AVV) vom 9. Februar 2000 sind Tierheime oder ähnliche Einrichtungen dadurch gekennzeichnet, dass sie auf Dauer angelegt sind und überwiegend der Aufnahme und Pflege von Fund- und Abgabetieren dienen. Es bedarf auch der Haltung von Tieren in größerer Anzahl konzentriert an einem Ort (Hirt/Maisack/Moritz/Felde/Hirt TierSchG 4. Aufl. § 11 Rn. 6). Abzugrenzen ist das Halten von Tieren in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung von der normalen privaten bzw. nicht gewerbsmäßigen Tierhaltung, für die keine Erlaubnispflicht besteht (vgl. dazu BVerwG a.a.O.).
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b) Gemessen an diesen Kriterien hat die Betroffene in ihrem Wohnanwesen eine tierheimähnliche Einrichtung betrieben. Sie beherbergte seit Juni 2020 eine erhebliche Anzahl an verschiedenen Wildtieren (44 Vögel am 12.08.2020 und 42 Vögel sowie 3 Fledermäuse am 14.07.2021), dies ist also eine auf Dauer angelegte Haltung einer größeren Anzahl von Tieren. Sie verfolgte damit das Ziel, die Tiere bis auf wenige Dauerpfleglinge nach der Pflege in die Wildnis zu entlassen. Dies geht über eine private Tierhaltung hinaus. Dass die Betroffene diese Tierhaltung in einem auch von ihr bewohnten Wohnhaus ausübte, ist nicht von Bedeutung. Denn § 11 TierSchG stellt nicht darauf ab, dass die Tierhaltung in bestimmten Gebäudeformen betrieben wird, sondern nur darauf, dass sie für die Tätigkeit geeignet sind, wie sich aus der gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 TierSchG bis zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 TierSchG weiter anzuwendenden Vorschrift des § 11 Abs. 2 TierSchG in der bis zum 13. Juli 2013 geltenden Fassung ergibt. § 11 Abs. 2 TierSchG a.F. sieht vor, dass die Erlaubnis nur erteilt werden darf, wenn die für die Tätigkeit verantwortliche Person die nötige Sachkunde und Zuverlässigkeit hat und die der Tätigkeit dienenden Räume und Einrichtungen eine den Anforderungen des § 2 TierSchG a.F. entsprechende Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere ermöglichen (OLG Köln NStZ-RR 2006, 222). Eine Erlaubnis hatte die Betroffene aber nicht.
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c) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Betroffene (verletzte) Wildtiere aufgenommen hat, um diese gesund zu pflegen. Denn auch Auffangstationen (herrenloser) Wildtiere sind als tierheimähnliche Einrichtung erlaubnispflichtig (Erbs/Kohlhaas/Metzger TierSchG 250. EL Dezember 2023 § 11 Rn. 4), jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um vereinzelte Tiere handelt (VG Darmstadt a.a.O.). Zwar ist in Art. 1 Abs. 4 des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Heimtieren (HeimtierÜbK) das „Tierheim“ als eine nicht auf Gewinnerzielung gerichtete Einrichtung, in der Heimtiere in größerer Anzahl gehalten werden können, definiert. Heimtiere sind nach Art. 1 Abs. 1 HeimtierÜbK Tiere, die der Mensch insbesondere in seinem Haushalt zu seiner eigenen Freude und als Gefährten hält oder die für diesen Zweck bestimmt sind. Wildtiere fallen darunter grundsätzlich nicht. Eine tierheimähnliche Einrichtung ist aber nicht identisch mit einem Tierheim, sonst bedürfte es keiner gesonderten Erwähnung im Gesetzestext. Die Ähnlichkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Tiere in größerer Anzahl gehalten werden, die Einrichtung auf Dauer angelegt ist und umfassende Betreuungs- und Obhutspflichten übernommen werden (OLG Köln a.a.O.). Dann sprechen Sinn und Zweck der durch § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG begründeten Erlaubnispflicht auch für die Erlaubnisbedürftigkeit der Einrichtung. Gerade unter den spezifischen Haltungsbedingungen dort, wo viele Tiere an einem Ort konzentriert gehalten werden, sind jedoch Verstöße gegen die materiellen Anforderungen an das Halten von Tieren zu besorgen, denen durch die Erlaubnispflicht begegnet werden soll (BVerwG a.a.O.; VG Regensburg, Beschluss vom 21.12.2021 – RN 4 S 21.1842, BeckRS 2021, 61344). Eine Erlaubnispflicht besteht im Fall tierheimähnlicher Einrichtungen auch deshalb, weil die untergebrachten Tiere in kürzeren Zeitabständen wechseln und das Risiko besteht, dass die aufgenommenen Tiere sich in schlechtem Zustand befinden. Das gilt auch für Wildtiere jedenfalls im hier vorliegenden Fall.
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d) Eine Differenzierung von Kurzzeitpfleglingen und Dauerpfleglingen ist hier zur Frage des Vorliegens einer tierheimähnlichen Anlage nicht erforderlich, da die Betroffene jeweils über 40 Kurzzeitpfleglinge beherbergte.
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2. Die Betroffene kann sich, wie die Generalstaatsanwaltschaft München zutreffend in ihrer Stellungnahme ausführt, auch nicht auf § 45 Abs. 5 BNatSchG berufen. § 45 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG begründet abweichend von den Entnahme- und Besitzverboten (§ 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BNatSchG) sowie vorbehaltlich des jagdrechtlichen Aneignungsrechts die Befugnis zur vorübergehenden Inbesitznahme verletzter, hilfloser oder kranker Tiere der besonders geschützten Arten mit dem Ziel, sie gesund zu pflegen (Landmann/Rohmer/Gellermann Umweltrecht 102. EL September 2023 § 45 BNatSchG Rn. 15). Nicht geregelt ist hier aber die tatsächliche Haltung und Pflege einer Vielzahl von Tieren, was sich nach dem TierSchG richtet.
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3. § 11 TierSchG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere liegt bei dem Begriff der „tierheimähnlichen Einrichtung“ kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vor. Das Bestimmtheitsgebot verlangt für den gesetzlichen Tatbestand, dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit/Ordnungswidrigkeit so genau umschrieben sind, dass der einzelne die Möglichkeit hat, sein Verhalten auf die Rechtslage einzustellen; für jedermann muss vorhersehbar sein, welches Verhalten unter welchen Umständen mit Strafe/Geldbuße bedroht ist (vgl. hierzu Fischer StGB 71. Aufl. § 1 Rn. 3ff.). Diesen Voraussetzungen wird die Bestimmung durch den Bezug zum Tierheim gerecht. Dem Gesetzgeber ist es gestattet, angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Verhältnisse mit allgemeinen Begriffen zu arbeiten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
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Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet die Einzelrichterin.