Titel:
Unzulässigkeit der Klage vor einem Finanzgericht aufgrund deren fehlenden gesetzlich vorgeschriebenen Form
Normenketten:
FGO § 47 Abs. 1 S. 1, § 52a Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 52d S. 3, § 54 Abs. 2, § 62 Abs. 2 S. 1, § 79, § 90 Abs. 2, § 135 Abs. 1
StBPPV § 4, § 15 Abs. 2
AO § 122 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
StBerG § 86d Abs. 1, § 86c, § 157e
Leitsätze:
1. § 52 d Satz 3 FGO ist nur bei technischen Problemen im Rahmen des vollständig eingerichteten und somit aktivierten besonderen elektronischen Steuerpostfachs anwendbar (vgl. BFH-Beschluss vom 31.10.2023 IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20, BeckRS 2023, 31691). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach gemäß § 52d Satz 4 FGO glaubhaft zu machen und auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Keine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen im Sinne des § 52d Satz 3 FGO bei fehlender Aktivierung des beSt infolge nicht erfolgter Identifizierung und Authentisierung nach § 4 StBPPV, finanzgerichtliches Verfahren
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VI R 24/24
Fundstellen:
EFG 2025, 194
LSK 2024, 29124
BeckRS 2024, 29124
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
1
Streitig ist, ob die Kläger eine fristgerechte Klage durch die Einreichung der Klageschrift per Fax und in Papierform erhoben haben, sowie ob der Beklagte (das Finanzamt – FA –) in den Einkommensteuerbescheiden für 2017 und 2018 zu Recht Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft aufgrund des Gewinns aus der Veräußerung des Grundstücks mit der Flurnummer ... der Gemarkung F angesetzt hat.
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Der Kläger zu 1.) und seine am 08.05.2021 verstorbene Ehefrau wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1.), der Kläger zu 2.) und der Kläger zu 3.) sind die Erben und Rechtsnachfolger der verstorbenen Ehefrau.
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Der Kläger zu 1.) erzielte in den Streitjahren gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Photovoltaikanlagen, Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus einem Planungsbüro, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Lehrer, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
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Die verstorbene Ehefrau erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
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Mit Vertrag vom 31.10.1974 wurde das landwirtschaftliche Anwesen von seinen Eltern an den Kläger zu 1.) übergeben. Es wurden das Anwesen nebst aller in einem beigefügten Grundstücksverzeichnis aufgeführten Grundstücke übergeben, sowie nach III. des Übergabevertrags das gesamte zum Anwesen gehörende tote und lebende Inventar, insbesondere alles Zubehör, alle landwirtschaftlichen Maschinen, Gerätschaften, Vorräte und die gesamte Haus- und Kücheneinrichtung. Ferner war der Vertragsbesitz zu diesem Zeitpunkt nach den Ausführungen im Übergabevertrag unter V. weder vermietet noch verpachtet.
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Im Zuge des Ausbaus der Ortsdurchfahrt wurde im Jahr 1978 eine Vereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern -Straßenbauverwaltung-, der Gemeinde und dem Kläger zu 1.) geschlossen. Gegenstand der Vereinbarung waren unter anderem die Ablösung und der Abriss des in der Vereinbarung näher bezeichneten Teils des Wohnhauses und der Nebengebäude des landwirtschaftlichen Anwesens des Klägers zu 1.) gegen Zahlung von … DM.
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Mit notariellem Vertrag veräußerte der Kläger zu 1.) aus dem übergebenen Grundbesitz eine Teilfläche der Flurnummer ... der Gemarkung F. Der Kaufpreis für das 2.977 m² große Grundstück mit der neu zugeteilten Flurnummer ... der Gemarkung F betrug … €.
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In den Einkommensteuerbescheiden für 2017 bzw. 2018 berücksichtigte das FA Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von … € bzw. … €. Das FA erläuterte, dass sich die Einkünfte aufgrund der Aufdeckung der stillen Reserven aus dem Grundstücksverkauf ergeben hätten. Eine Betriebsaufgabe des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs habe nicht nachgewiesen werden können. Der Abriss des Hofgebäudes samt Stallungen im Jahr 1978 stelle einkommensteuerrechtlich keine Betriebsaufgabe dar. Hierbei sei lediglich die Möglichkeit der aktiven zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Bewirtschaftung untergraben worden. Die stillen Reserven der Grundstücke seien nicht aufgedeckt worden. Der aktive Betrieb hätte jederzeit in Form von Acker- oder Futterbau wieder aufgenommen werden können.
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Die gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegten Einsprüche, die unter anderem damit begründet wurden, dass das veräußerte Grundstück Privatvermögen gewesen sei, da durch die Ablösung und den Abriss der Hofstelle im Jahr 1978 eine wesentliche Grundlage des landwirtschaftlichen Betriebs aufgegeben worden sei, danach keine zur Bewirtschaftung geeignete Hofstelle mehr vorhanden gewesen sei und somit der land- und forstwirtschaftliche Betrieb zwangsweise aufgegeben worden sei, blieben erfolglos.
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Aus nicht streiterheblichen Gründen ergingen geänderte Einkommensteuerbescheide für 2017 und 2018 und nochmals für 2018.
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Gegen die am 21.08.2023 ergangene Einspruchsentscheidung, welche in der Rechtsbehelfsbelehrungeinen Hinweis auf § 52a der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 52d FGO enthielt, erhob der Prozessbevollmächtigte für die Kläger am 20.09.2023 Klage per Fax. Am 21.09.2023 wurde die Klage in Papierform nachgereicht.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 22.09.2023 wies das Finanzgericht den Prozessbevollmächtigten darauf hin, dass vorbereitende Schriftsätze und ihre Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch eine nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigte Person, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung stehe, eingereicht würden, als elektronisches Dokument zu übermitteln seien (vgl. § 52d Sätze 1 und 2 FGO). Für Steuerberater gebe es ab 1. Januar 2023 einen sicheren Übermittlungsweg (besonderes elektronischen Steuerberaterpostfach – beSt). Die Bundessteuerberaterkammer habe gemäß § 86d Abs. 1 StBerG für jedes einzelne Kammermitglied ein persönliches beSt eingerichtet. Für Berufsangehörige mit besonderem Dringlichkeitsbedarf sei eine bevorzugte „Schnellspur-Registrierung“ (Fast Lane) vorgesehen. Den Schriftsatz vom 20.09.2023 habe er nicht auf diesem Weg elektronisch eingereicht. § 52d FGO stellte eine von Amts wegen zu berücksichtigende Formvorschrift für rechtswirksame Prozesshandlungen dar. (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Nov. 2021, § 52d FGO Rz. 2 mit weiteren Nachweisen – m.w.N.-).
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Am 31.10.2023 reichte der Prozessbevollmächtigte die Klagebegründung in Papierform beim Finanzgericht ein, der Unterlagen beigefügt waren, die dem Prozessbevollmächtigten mit gerichtlichem Schreiben vom 22.09.2023 übermittelt worden waren.
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Daraufhin erging am 06.11.2023 ein weiteres gerichtliches Schreiben, in welchem der Prozessvertreter wiederum darauf hingewiesen wurde, dass seine Schriftsätze nicht den Formvorschriften für wirksame Prozesshandlungen nach § 52d FGO i.V.m § 52a FGO entsprächen.
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Am 06.12.2023 erging ein Hinweis des Gerichts nach § 79 FGO, in welchem nochmals auf die Nutzungsverpflichtung des beSt für Steuerberater ab 1. Januar 2023 gem. § 52d Satz 1 und 2 FGO hingewiesen wurde. Ferner wurde nochmals erläutert, dass § 52d FGO eine von Amts wegen zu berücksichtigende Formvorschrift für rechtswirksame Prozesshandlungen darstelle. Ein Dokument, das unter Verstoß gegen die Pflicht zur elektronischen Übermittlung in Papierform oder als Telefax übermittelt werde, gelte prozessrechtlich als nicht eingereicht. Die im Dokument enthaltenen Prozesshandlungen seien unwirksam (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221, BFH-Beschluss vom 31.10.2023 IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20). Die Klageschrift vom 20.09.2023 (Einreichung per Fax am 20.09.2023 und in Papierform am 21.09.2023) sowie der Schriftsatz vom 31.10.2023 genügten diesen Anforderungen nicht.
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In seiner Stellungnahme hierzu trug der Prozessbevollmächtigte in einem wiederum per Fax und in Papierform eingereichten Schriftsatz vom 18.01.2024 vor, dass sein beSt erst am 14.12.2023 aktiviert worden sei. Die Einrichtung des beSts durch die Bundessteuerberaterkammer sei zunächst gescheitert, da er als Legitimation seinen Reisepass vorgelegt habe und dieser nicht ausgereicht habe, sein persönliches beSt einzurichten. Die Bundessteuerberaterkammer habe ihn aufgefordert einen gültigen Personalausweis zur Einrichtung vorzulegen. Daraufhin habe er bei der Bundessteuerberaterkammer Beschwerde eingelegt mit der Begründung, der Reisepass sei als Legitimation ausreichend. Der Beschwerde sei nicht stattgegeben worden. Da er keinen Personalausweis besessen habe, habe er diesen zunächst bei der Gemeinde beantragen müssen. Dieser sei ihm im Dezember 2023 ausgehändigt worden. Ihm sei es aus technischen Gründen nicht möglich gewesen, die Klageschrift als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die Übermittlung sei nach den allgemeinen Vorschriften nach § 52d Satz 3 FGO zulässig gewesen und genüge den Anforderungen.
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In seiner Klagebegründung macht der Prozessbevollmächtigte in der Sache geltend, dass bereits im Zeitpunkt des Übergabevertrages die Landwirtschaft nicht mehr aktiv betrieben worden sei. Vielmehr seien die Wiesen verpachtet gewesen. Durch die Ablösung und den Abriss der Hofstelle im Jahre 1978 sei der landwirtschaftliche Betrieb zwangsweise aufgegeben worden, da dadurch eine wesentliche Grundlage des landwirtschaftlichen Betriebs aufgegeben worden sei. Eine Wiederaufnahme der Landwirtschaft sei nicht geplant gewesen. Es seien teilweise einzelne Flurstücke verpachtet worden.
18
Im Ergebnis trägt er vor, dass der Gewinn aus der Veräußerung des betroffenen Grundstücks nicht im Rahmen der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zu erfassen sei.
19
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Einkommensteuerbescheide für 2017 und für 2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.08.2023, zu ändern, und den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks mit der Flurnummer ... der Gemarkung F nicht mehr steuerlich zu erfassen.
21
Zur Begründung führt es aus, es halte an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest, dass der landwirtschaftliche Betrieb nicht durch die Ablösung und den Abriss der Hofstelle im Wirtschaftsjahr 1978/1979 zwangsweise aufgegeben worden sei. Das veräußerte Grundstück sei im Zeitpunkt der Veräußerung Betriebsvermögen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs gewesen, so dass die realisierten stillen Reserven als laufender Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft zu erfassen seien.
22
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.
23
Der Rechtsstreit wurde der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
25
Die Klage ist unzulässig.
26
Die Kläger haben innerhalb der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO keine Klage in der gesetzlich vorgeschriebenen Form nach § 52d i.V.m. § 52a FGO erhoben. Wiedereinsetzungsgründe bestehen nicht.
27
1. Die einmonatige Klagefrist war mit Ablauf des 25.09.2023 abgelaufen. Die Einspruchsentscheidung vom 21.08.2023 gilt nach § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) am 24.08.2023 als bekannt gegeben. Somit hat die Frist für die Erhebung der Klage im Streitfall am 25.08.2023 zu laufen begonnen. Die Klagefrist lief damit am Montag, den 25.09.2023 ab (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Innerhalb dieser Frist ist nicht wirksam Klage erhoben worden.
28
a) Gemäß § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
29
b) Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung.
30
aa) Durch Art. 6 Nr. 4 i.V.m. Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2013, 3786) wurde in § 52d FGO mit Wirkung zum 01.01.2022 eine Nutzungspflicht der elektronischen Gerichtskommunikation unter anderem für Rechtsanwälte und Behörden eingeführt. Für andere vertretungsberechtigte Personen gilt dies erst, wenn ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht. Mit Art. 4 Nr. 35 und 77 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021 (BGBl I 2021, 2363) wurden unter anderem die Steuerberaterplattform und das beSt eingeführt.
31
bb) Gemäß § 86d Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) ist die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) verpflichtet, über die Steuerberaterplattform (§ 86c StBerG) für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein beSt empfangsbereit einzurichten. Nach § 86d Abs. 6 StBerG ist der Inhaber des beSt verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beSt zur Kenntnis zu nehmen (passive Nutzungspflicht). Nach § 157e StBerG ist die Regelung am 01.08.2022 in Kraft getreten und erstmals ab dem 01.01.2023 anzuwenden.
32
cc) Der gesetzlichen Verpflichtung ist die BStBK durch Einrichtung der Steuerberaterplattform und der beSt-Infrastruktur fristgerecht nachgekommen.
33
dd) Gemäß § 15 Abs. 1 der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung (StBPPV) vom 25.11.2022 (BGBl I 2022, 2105) erfolgt die Erstanmeldung am beSt mittels einer Identifizierung und Authentisierung im Sinne des § 4 Abs. 1 StBPPV sowie eines Registrierungstokens, den der Postfachinhaber von der BStBK oder einer von ihr bestimmten Stelle erhält (sogenannter Registrierungsbrief). Nach § 15 Abs. 2 StBPPV erzeugt der Postfachinhaber bei der Erstanmeldung einen öffentlichen und einen privaten Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel wird in einem Verzeichnis der BStBK abgelegt. Der private Schlüssel ist vom Postfachinhaber eigenständig abzulegen und mit einem Passwort vor einer unbefugten Verwendung zu schützen (Zertifikats-Passwort).
34
ee) Die BStBK hat die sogenannten Registrierungsbriefe und damit die für die Erstanmeldung der Berufsträger notwendigen Informationen tatsächlich erst beginnend im Januar 2023 in alphabetischer Reihenfolge in mehreren Tranchen bis hin zum 17.03.2023 versandt. Erst zu diesem Zeitpunkt war der erstmalige „System-Rollout“ abgeschlossen.
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Allerdings hat die BStBK dieser Verzögerung, die auf den Umstand gründete, dass es ihr technisch nicht möglich war, sämtlichen Berufsträgern die Registrierungsbriefe bis zum 01.01.2023 zu übermitteln, durch ein sogenanntes „Fast-Lane“-Verfahren Rechnung getragen. Dieses von Anbeginn der Registrierungskampagne 2022 und bis zu deren Abschluss eröffnete Verfahren ermöglichte es Steuerberatern, die aktiv mit den Finanzgerichten (FG) kommunizieren, sich auf Antrag bei der BStBK zeitlich vorgezogen und damit regelmäßig vor dem 01.01.2023 oder kurzfristig noch während des „System-Rollouts“ für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr registrieren zu lassen (vgl. zu Vorstehendem BFH-Beschluss vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221, mit weiteren Nachweisen – m.w.N. –).
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c) Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger stand danach spätestens seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg „zur Verfügung“, zu dessen Nutzung er nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet war.
37
Ob dem jeweiligen Steuerberater die von ihm vorzuhaltenden „technischen Einrichtungen“ zur Verfügung standen und das beSt von diesem tatsächlich freigeschaltet wurde, ist insoweit unerheblich (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221).
38
d) Eine wirksame Ersatzeinreichung der Klageschrift per Fax oder in Papierform liegt nicht vor.
39
aa) Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften nach § 52d Satz 3 FGO zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach gemäß § 52d Satz 4 FGO glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. § 52 d Satz 3 FGO ist nur bei technischen Problemen im Rahmen des vollständig eingerichteten und somit aktivierten beSt anwendbar (BFH-Beschluss vom 31.10.2023 IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20).
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Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat weder dargelegt noch nach § 52d Satz 4 FGO glaubhaft gemacht, dass eine rein technische Störung bei seinem beSt vorgelegen hat. Auf den Hinweis des Gerichts vom 06.12.2023, in welchen nochmals erläutert wurde, dass weder die Klageschrift noch die Begründung den Anforderungen des § 52d FGO entspreche, wurde mit Schriftsatz vom 18.01.2024 vorgetragen, dass das beSt erst am 14.12.2023 aktiviert wurde. Der Prozessbevollmächtigte habe bis Dezember 2023 keinen Personalausweis besessen, um sich nach § 4 Abs. 1 StBPPV zu identifizieren und authentisieren. Er habe sich durch Vorlage seines Reisepasses legitimieren wollen und diesbezüglich auch eine erfolglos gebliebene Beschwerde bei der BStBK eingelegt.
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bb) Insoweit liegt bereits keine „vorübergehende technische Störung“ vor. Die Ersatzeinreichungsmöglichkeit ist dem Wortlaut der Vorschrift nach auf Fälle der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit beschränkt. Bei Verzögerungen der Einrichtung des beSt handelt es sich vielmehr um einen strukturellen Mangel, der den Rückgriff auf die Papierform nicht rechtfertigen kann. § 52d Satz 3 FGO ist nur bei technischen Problemen bei Verwendung des vollständig eingerichteten beSt, nicht hingegen bei Verzögerungen bei dessen Einrichtung anwendbar (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221 m.w.N).
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cc) Eine vorübergehende technische Störung ist ferner nicht gegeben, wenn – wie vorliegend – ein zugelassener elektronischer Übermittlungsweg eingerichtet war, aber noch nicht aktiviert wurde und die Ursache dafür in der Verantwortungssphäre des Prozessbevollmächtigten lag. Der Prozessbevollmächtigte hatte die Möglichkeiten der Identifizierung und Authentisierung nach § 4 Abs. 1 StBPPV. Erforderlich war die die Vorlage eines der folgenden Identifizierungsmittel:
- eines elektronischen Identitätsnachweis nach § 18 des Personalausweisgesetzes, nach § 12 des eID-Karte-Gesetzes oder nach § 78 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes oder
- eines anderes elektronisches Identifizierungsmittel, das nach Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der RL 1999/93/EG (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 73; L 23 vom 29.1.2015, S. 19; L 155 vom 14.6.2016, S. 44) mit dem Sicherheitsniveau „hoch“ im Sinne des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung notifiziert worden ist.
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Ferner hätte nach § 4 Abs. 2 StBPPV für den Fall, dass aus Rechtsgründen keines der genannten Identifizierungsmittel zur Verfügung gestanden hätte, der im Rahmen der Registrierung gegenüber der Bundessteuerberaterkammer zu erbringende Identitätsnachweis auch durch eine in öffentlich beglaubigter Form abgegebene Erklärung über den Namen und die Anschrift des Inhabers des Nutzerkontos und des beSts erbracht werden können.
44
Keines dieser Identifizierungsmittel wurde zeitnah nach Abschluss des System-Rollouts vom Prozessbevollmächtigten herangezogen.
45
e) Der Verstoß gegen § 52d FGO führt zur Unwirksamkeit der Klageschrift und schließt damit die Wahrung der Klagefrist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO aus.
46
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt (§ 56 Abs. 1 FGO).
47
a) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist zudem die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 FGO). Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich jeder Beteiligte wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
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b) Einen Wiedereinsetzungsantrag hat der Prozessbevollmächtigte nicht gestellt. Die versäumte Rechtshandlung, hier die Erhebung einer formgerechten Klage ist nicht nachgeholt worden. Eine zulässige Ersatzeinreichung der Klage nach § 52d Satz 3 und 4 FGO liegt nicht vor. Die FGO kennt keinen isolierten Wiedereinsetzungsantrag; Wiedereinsetzung kann vielmehr nur in Zusammenhang mit einer nachgeholten Prozesshandlung beantragt und bewilligt werden (BFH-Beschluss vom 13.12.2001 IV R 50/00, BFH/NV 2002, 655).
49
c) Der Prozessbevollmächtigte war nicht ohne Verschulden daran verhindert, die Klagefrist einzuhalten. Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen in der Regel das Verfahrensrecht kennen (z.B. Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Auflage, § 56 Rz. 75, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere für die Verpflichtung der Steuerberater, ab dem 01.01.2023 Schriftsätze sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen über das beSt als elektronisches Dokument an die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit zu übermitteln (BFH-Beschluss vom 31.10.2023 IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20). In der Rechtsbehelfsbelehrungder Einspruchsentscheidung war ein Hinweis auf § 52a FGO und § 52d FGO erfolgt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 22.09.2023 wurde er darauf hingewiesen, dass die Klageschrift nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingereicht wurde. Mit Zugang dieses Schreibens hatte der Prozessbevollmächtigte Kenntnis von der nicht formgerechten Klage. Er verstieß gegen seine Sorgfaltspflichten, indem er nicht umgehend auf das Schreiben reagierte.
50
Die Klagefrist ist am 25.09.2023 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt war sein beSt noch nicht aktiviert. Es erfolgte auch keine umgehende Aktivierung des beSt nach Ablauf der Klagefrist. Die Verzögerung der Aktivierung des beSt bis Dezember 2023 lag nach eigenem Vortrag des Prozessbevollmächtigten daran, dass er bis Dezember 2023 kein zulässiges Identifizierungsmittel nach § 4 StBPPV vorgelegt hat. Diesen Umstand hat er selbst zu vertreten. Die Kläger müssen sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wie eigenes zurechnen lassen.
51
d) Die zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist ist bereits verstrichen. Die Antragsfrist beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses. Das ist regelmäßig der Zeitpunkt, in dem der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter von der Fristversäumnis Kenntnis erlangt und in dem er somit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls frühestens den Antrag bei Gericht stellen kann (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Auflage, § 56 Rz. 103). Bereits mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 22.09.2023, spätestens mit dem gerichtlichen Hinweis vom 06.12.2023 wurde dem Prozessbevollmächtigten bekannt, dass bis zum Ablauf der Klagefrist keine formwirksame Klage erhoben worden war. Erstmals mit Schriftsatz vom 18.01.2024 hat er zur Thematik des § 52d FGO Stellung genommen. Er hat innerhalb der zweiwöchigen Frist keine Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könnten, substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beruht auf § 90 Abs. 2 FGO.