Inhalt

VG München, Urteil v. 01.08.2024 – M 25 K 21.32102
Titel:

Asylrecht (Herkunftsland: Tansania), Drohende Beschneidung durch Großmutter, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Abschiebungsverbot (verneint), Verweis auf Bescheid

Normenketten:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und 7
AsylG § 77 Abs. 3
Schlagworte:
Asylrecht (Herkunftsland: Tansania), Drohende Beschneidung durch Großmutter, Glaubhaftigkeit (verneint), Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung (verneint), Abschiebungsverbot (verneint), Verweis auf Bescheid
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28876

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die tansanischen Klägerinnen wenden sich gegen den ablehnenden Asylbescheid der Beklagten.
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Wegen des Sachverhalts wird zunächst auf die Feststellungen des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 21. September 2021, mit dem der Asylantrag der Klägerinnen abgelehnt sowie die Abschiebung nach Tansania angedroht worden ist, Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Bei der Anhörung bei der Beklagten am 28. März 2019 gab die Klägerin zu 1), Mutter der Klägerin zu 2), im Wesentlichen an, Tansania aus Furcht vor einer möglichen Beschneidung (Female Genital Mutilation – FGM) der Klägerin zu 2) – initiiert von ihrer Mutter – verlassen zu haben. Der streitgegenständliche Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 25. September 2021 zugestellt.
3
Die Klägerinnen haben mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 30. September 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage erhoben und beantragt,
1.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 2021 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerinnen als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen.
3.
Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägerinnen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen.
4.
Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
4
Eine gesonderte Begründung erfolgte nicht.
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Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie sich auf die angefochtene Entscheidung bezogen.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 7. Juni 2024 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2024 wurden die Verfahren der Familie zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Die Klägerin zu 1), sowie ihr Ehemann sind informatorisch gehört worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte dieses Verfahrens, sowie die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten des Ehemanns/Vaters (M 25 K 21.32103) und der Schwester (M 25 K 21.32261), verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2024 trotz Ausbleibens der Beklagten entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Klägerinnen haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 AsylG) keinen Anspruch auf die beantragten Verwaltungsakte (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Abs. 1 GG) und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Auch sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (§ 4 AsylG) nicht gegeben.
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Zwar könnte die Gefahr der weiblichen Genitalverstümmelung der Klägerin zu 2) im Grunde zu einem Anspruch führen, jedoch hält das Gericht den klägerischen Sachvortrag, nach der ausführlichen informatorischen Befragung der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes, nicht für glaubhaft. Zudem erscheinen die befürchtete Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden jedenfalls auch nicht beachtlich wahrscheinlich. Die diesbezüglichen Befürchtungen der Klägerin zu 1) und ihres Ehemannes konnten nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts dargelegt werden.
15
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris Rn. 16) muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Wenn wegen Fehlens anderer Beweismittel nicht anders möglich, muss die richterliche Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Asylsuchenden glaubt. Daran kann er sich wegen erheblicher Widersprüche im Vorbringen des Asylbewerbers gehindert sehen, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten können überzeugend aufgelöst werden.
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Das Gericht hat erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Sachvortrags. Die Ausführungen sind nicht schlüssig. Die Klägerin zu 1) gab an, dass sie befürchte, dass ihre Töchter von ihrer eigenen Mutter entführt und gegen den ausdrücklichen Willen von ihr und ihrem Ehemann sowie dessen Familie beschnitten werden würde ohne, dass dies durch Hinzuziehung der staatlichen Sicherheitsbehörden (§ 3d AsylG) oder Verlegung ihres Wohnsitzes in einen anderen Teil Tansanias (§ 3e AsylG) verhindert werden könnte.
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Zwar wird die weibliche Genitalverstümmelung in Teilen Tansanias noch praktiziert. Überwiegend jedoch in den zentralen und nördlichen Regionen Mara, Arusha, Manyara, Singida, Dodoma, Tanga und Kilimanjaro (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Tansania, Stand: 11/2021, S. 19; Terre des Femmes, Genitalverstümmelung, 1.12.2019, S. 1). In der Herkunftsregion der Klägerin zu 1) Tabora liegt die Beschneidungsrate lt. den vorliegenden Erkenntnismitteln bei 0,6%. Auf Sansibar, wo die Klägerin zu 1) aufgewachsen ist und mit ihrer Familie gelebt hat liegt die Beschneidungsrate bei 0,1% (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Tansania, a.a.O.). Die Klägerin zu 1) gehört zudem dem Stamm der Manyema an, der den vorliegenden Erkenntnismitteln zu Folge kein üblicherweise praktizierender Stamm ist (vgl. Terre des Femmes, Genitalverstümmelung, 1.12.2019, S. 1).
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(1) Die Klägerin zu 1) führte in der mündlichen Verhandlung hierzu zwar auch aus, dass ihre kleine Schwester an den Folgen einer – durch die Mutter veranlassten – Beschneidung verstorben sei. Gleichzeitig wurde jedoch vorgetragen, dass ihr Vater sie selbst vor der Beschneidung schützen konnte, indem er sie zu ihrem Onkel nach Sansibar gebracht habe, wo sie aufgewachsen sei. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso es den Eltern der Klägerin zu 2) nicht möglich sein soll, ihre Töchter vor einer drohenden Beschneidung durch die Großmutter zu schützen, beispielsweise durch die Verlegung ihres Wohnsitzes. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum die Mutter beharrlicher auf die Beschneidung ihrer Enkelkinder bestehen sollte, als auf die der eigenen Tochter, zumal sie sich dadurch einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde. Sofern die Klägerin zu 1) diesbezüglich vorträgt, dass sie selbst gar nicht wisse, ob sie Beschnitten sei, dies aber aufgrund von Schmerzen befürchte ist entgegenzuhalten, dass ausweislich eines gynäkologischen Attests bei der Klägerin zu 1) keinerlei Anzeichen einer durchgeführten Beschneidung ersichtlich sind. Der Verweis darauf, dass die Großmutter erst wieder Interesse an Beschneidungen bekommen habe, als ihre Ehe zu Bruch gegangen sei, kann nicht nachvollzogen werden. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, dass weder die Klägerin zu 1) noch ihr Vater, die sich beide vehement gegen Beschneidungen aussprechen, nach dem Tod der Schwester bzw. Tochter aufgrund einer Beschneidung, keine Anzeige bei der Polizei erstattet haben. Die Erklärung, dass eine Anzeige nicht erfolgt sei, da die Klägerin zu 1) ansonsten lediglich einen kleinen Bruder habe, überzeugt nicht. Noch weniger überzeugt die Erklärung, dass der Vater zur Polizei habe gehen wollen, dies im Ergebnis jedoch unterlassen habe, da nach der Beerdigung der Tochter keine Beweise mehr vorhanden gewesen seien und es daher „sinnlos“ gewesen wäre. Menschlich nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Klägerin zu 1) von der – nach eigenen Angaben – üblicherweise großen Beschneidungsfeier nichts mitbekommen hat und auch keine Ausführungen zur Beerdigung ihrer Schwester machen kann, da sie nicht anwesend gewesen sei.
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(2) Weiter ist auch kein plausibler Nutzen für die Großmutter ersichtlich. Sofern die Klägerin zu 1) zur Motivationslage der Großmutter angibt, dass es in der Tradition des Stammes stehe und man daher nicht anders handeln könne, überzeugt dies nicht, da die Klägerin zu 1) selbst nicht beschnitten wurde. Sofern sie auf nochmalige Nachfrage ergänzt, dass es auch um die Beschränkung der Sexualität gehe, ist nicht ersichtlich, inwiefern dies die Großmutter tangieren sollte, zumal sie diese Beschränkung bei der Klägerin zu 1) nicht verfolgt hat.
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(3) Ungeachtet der vorangegangenen Ausführungen sind die Angaben zur Mutter der Klägerin zu 1) im Übrigen ebenfalls nicht schlüssig. Auf der einen Seite wird wiederholt betont, dass diese sehr erfolgreich sei und die Familie überall in Tansania finden könne und sie auch Beziehung und Einfluss in ganz Tansania vorweisen könne, sodass die Sicherheitsbehörden und ein Umzug keine Option wären. Konkrete Nachfragen zu der Frau können jedoch nicht oder nur widersprüchlich beantwortet werden. Die Klägerin zu 1) weiß nur, dass ihre Mutter ein Haus, ein Auto und einen Laden habe. In dem Laden verkaufe sie Kleidung aus Dubai, China und Indien. Ein übermäßiger Reichtum lässt sich hier nicht erkennen. Inwiefern dies zu landesweiten – laut der Klägerin zu 1) sogar – kontinentalen (auf Afrika bezogen) Beziehungen der Mutter und einem erheblichen landesweiten Einfluss führen soll, kann auch auf nochmaliges Nachfragen hin nicht erklärt und daher auch nicht im Ansatz nachvollzogen werden. Auch der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Klägerin zu 2) kann lediglich äußerst oberflächliche Angaben zur Schwiegermutter machen. Er gab an, dass er nicht viel Kontakt zu ihr habe, da sie mit der Ehe nicht einverstanden gewesen sei. Vieles die Schwiegermutter betreffend, weiß er schlichtweg nicht oder er stellt bloße Vermutungen auf (vgl. dazu insbesondere Sitzungsprotokoll S. 7).
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b) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
22
c) Schließlich sind die Abschiebungsandrohung und die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird auf die Begründung im angefochtenen Bescheid gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen. Familiäre Belange entsprechend der neuen Rechtslage in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG sind bei der Abschiebungsandrohung nicht zu berücksichtigen, da mit Urteilen des Gerichts vom 1. August 2024 auch die Asylklagen des Ehemanns und der weiteren Tochter abgewiesen worden sind (M 25 K 21.32103 und M 25 K 21.32261 – n.v.).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).