Titel:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege, Bedarfsdeckender Platznachweis, Fahrtzeit, Betreuungsumfang
Normenkette:
SGB VIII § 24
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege, Bedarfsdeckender Platznachweis, Fahrtzeit, Betreuungsumfang
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28872
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
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Der Antragsteller ist am 18. August 2020 geboren.
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Die Eltern des Antragstellers meldeten am 14. Juni 2024 bei der Antragsgegnerin einen Bedarf für einen Ganztages-Betreuungsplatz für den Antragsteller ab dem 1. September 2024 an und teilten mit, dass ein bereits zugesagter Betreuungsplatz überraschend gekündigt worden sei, sodass dringend ein Platz benötigt werde.
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Mit E-Mail vom 23. Juli 2024 bot die Antragsgegnerin den Eltern des Antragstellers einen Platz in der Einrichtung K. ab September 2024 an und bat um Kontaktaufnahme mit der Einrichtung spätestens zum 28. Juli 2024.
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Mit E-Mail vom 31. Juli 2024 bat der Vater des Antragstellers die Antragsgegnerin um Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Einrichtung, insbesondere in Bezug zu zwei favorisierten Einrichtungen in der Nähe.
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Auf die Nachfrage der Antragsgegnerin vom 1. August 2024 hinsichtlich des Platzangebotes vom 23. Juli 2024 teilte der Vater des Antragstellers mit E-Mail vom 4. August 2024 mit, dass man ohne Erfolg versucht habe, den Kindergarten telefonisch zu erreichen. Der Kindergarten mache einen sehr sympathischen Eindruck, befinde sich jedoch am äußersten Rand des Möglichen aufgrund der erforderlichen Fahrzeit von fast 30 Minuten. Man wäre daher dankbar, für eine schnelle Unterstützung.
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Im Folgenden erfolgte eine weitere Kommunikation zwischen den Beteiligten, insbesondere hinsichtlich der aktuellen Schließzeit der angebotenen Einrichtung und deren räumlichen Entfernung vom Wohnort der Antragspartei.
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Am 26. August 2024 besichtigte die Antragspartei die Einrichtung. Diese bot ihr einen Betreuungsvertrag mit Start zum 9. September 2024 an. Die Antragspartei bat um Bedenkzeit aufgrund der Entfernung der Einrichtung. Ihr wurde mitgeteilt, dass eine Rückmeldung spätestens zum 4. September 2024 erfolgen müsse, da der Platz sonst anderweitig vergeben werde.
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Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob mit Schriftsatz vom 16. September 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München (M 18 K …).
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Mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag wurde beantragt,
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den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung im Umfang von täglich mindestens 5 Stunden montags bis freitags bis zum Schuleintritt nachzuweisen.
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Zur Begründung würde zum Sachverhalt lediglich ausgeführt, dass der Antragsteller auf seinen Antrag vom 14. Juni 2024 bis zum heutigen Tage keine Zusage erhalten habe. Den Eltern stehe kein Pkw zur Verfügung. Beide Eltern seien Vollzeit berufstätig.
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Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2024 legte die Antragsgegnerin die Behördenakten elektronisch vor und beantragte,
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den Antrag abzuweisen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt das dem Antragsteller ein bedarfserfüllender Platz in der Einrichtung K. nachgewiesen worden sei. Laut ...-Maps würde man mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen 18 bzw. 26 Minuten von der Wohnung zur Einrichtung benötigen.
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Mit Beschluss vom 9. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 VwGO zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2024 erwiderte die Antragspartei, dass eine One-Way-Fahrt zum Kindergarten ca. 31 Minuten in Anspruch nehmen würde. Die Rückfahrt zur Arbeitsstelle würde im Durchschnitt etwa 40 Minuten dauern. Es sei utopisch, dies mit einer Vollzeitstelle zu vereinbaren. Als Anlage war ein Auszug aus einer MVV Abfrage beigefügt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten auch im Verfahren M 18 K 24. … verwiesen.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
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Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatschlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
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Nach diesen Maßgaben hat die Antragspartei keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Mit dem vorliegenden Verfahren wird der Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII begehrt. Danach hat ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Nach einheitlicher ständiger Rechtsprechung vermittelt § 24 Abs. 3 SGB VIII einen Anspruch auf eine Betreuungszeit von maximal sechs Stunden täglich (montags bis freitags); nicht hingegen auf eine Ganztagsbetreuung (vgl. zuletzt VGH BW, 27.9.2024 – 12 S 883/24 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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Das Gericht geht davon aus, dass der, spätestens am 26. August 2024 nachgewiesene und angebotene Betreuungsplatzes in der Einrichtung K. zumutbar und damit Anspruchs erfüllend war.
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Insoweit irritiert bereits, dass mit der Antragsschrift keinerlei Hinweis auf dieses Platzangebot und die Gründe der Ablehnung durch die Antragspartei erfolgte. Insbesondere im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens obliegt es der Antragspartei, den Sachverhalt, der dem geltend gemachten Anordnungsanspruch zu Grunde liegt, vollständig und glaubhaft darzulegen. Hingegen ist es regelmäßig nicht Aufgabe des Gerichts, zu unzweifelhaftem und durch die Behördenakten belegtem Tatsachenvortrag der Behörde ergänzende Stellungnahmen der Antragspartei einzuholen.
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Unabhängig davon erachtet das Gericht den angebotenen Betreuungsplatz auch hinsichtlich der räumlichen Entfernung als zumutbar und die Argumentation der Antragspartei im ergänzenden Schriftsatz vom 7. Oktober 2024 als nicht nachvollziehbar.
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Die Beurteilung der Zumutbarkeit von Entfernungen eines Betreuungsplatzes beruht nicht auf festen zeitlichen oder km-Angaben, sondern ist nach der ständigen Rechtsprechung nach den individuellen Gegebenheiten im Einzelfall zu beurteilen (vgl. NdSOVG, B.v. 15.1.24 – 14 ME 119/23 Rn. 27; OVG NW, B.v. 27.7.2023 – 12 B 726/23; OVG RhPf, B.v. 13.4.23 – 7 B 10115/23.OVG – jeweils juris). Regelmäßig ist jedoch davon auszugehen, dass die Tageseinrichtung bei Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in nicht mehr als 30 Minuten von der Wohnung des Antragstellers aus erreichbar sein muss (vgl. zuletzt VGH BW, 27.9.2024 – 12 S 883/24 – juris Rn. 18 ff. m.w.N.).
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Dieser zeitliche Rahmen ist sowohl nach der Recherche der Antragsgegnerin als auch der Antragspartei noch eingehalten. Während sich in die Antragsgegnerin bei ihrer Recherche auf Google-Maps beruft, wonach die Strecke innerhalb von 17 Minuten über die Bushaltestelle B. erreichbar ist, legt die Antragspartei die Auskunft der MVV- bzw. MVG-App zugrunde, und benannte zunächst eine Fahrzeit „fast 30 Minuten“ (E-Mail vom 4. August 2024) bzw. nunmehr 31 Minuten. Auch die jeweilige Recherche durch das Gericht bestätigt diese Angaben, wenn auch über die MVG-App mit einer Wegzeit von 29 Minuten, was an unterschiedlichen Grundeinstellungen liegen mag.
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Allerdings erscheint auch für das Gericht die von Google Maps angebotene Wegführung über die Endpunkthaltestelle B. mit einem anschließendem einminütigem Fußweg als deutlich sinnvoller als die durch die MVG-App angebotene Variante über die Haltestelle W. mit einem im Anschluss 12-minütigen Fußweg. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, warum diese Variante, die zu einer Wegstrecke von 17 Minuten führt und durch die Bedienung durch zwei Buslinien überwiegend im 10-Minuten-Takt zur Verfügung steht, tatsächlich nicht möglich sein soll. Weitere Ausführungen hierzu erfolgen auch durch die Antragspartei nicht. Hingegen ist davon auszugehen, dass diese, da laut eigenen Angaben kein Pkw zur Verfügung steht, hinreichende Erfahrung mit dem MVV, der Unzuverlässigkeit der Apps und erforderlichen eigenen Streckenplanungen hat. Auch einer weiteren Aufforderung der Antragspartei zur Stellungnahme hierzu bedurfte es trotz der bestehenden Hinweispflichten des Gerichts nicht. Denn die Differenz hinsichtlich der ermittelten Fahrzeiten zwischen den Parteien war hinlänglich bekannt. Entsprechende Ausführungen hierzu hätten sich der Antragspartei daher aufgrund dem bereits nach dem Gesetz bestehenden Erfordernis der Glaubhaftmachung von anspruchsbegründenden Elementen (vgl. § 123 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 920 ZPO) insbesondere bei einer durch einen Bevollmächtigten vertretenen Partei aufdrängen müssen.
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Unabhängig davon wäre auch eine Fahrzeit von 29 Minuten vorliegend noch zumutbar. Der Argumentation der Antragspartei, dass dies mit der Vollzeitbeschäftigung der Eltern des Antragstellers nicht möglich wäre, kann nicht zum Erfolg führen. Denn nach § 24 Abs. 3 SGB VIII besteht, wie bereits ausgeführt, lediglich ein Anspruch auf einen Betreuungsplatz bis zu maximal 6 Stunden, sodass eine Vollzeittätigkeit beider Elternteile bereits aufgrund dessen regelmäßig ausscheiden dürfte. Die Unzumutbarkeit der Wegstrecke ist daher aufgrund von konkreten, detaillierten Angaben glaubhaft zu machen. Dies erfolgte vorliegend nicht.
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Es ist daher davon auszugehen, dass der Anspruch der Antragspartei mit dem Nachweis des Platzes in der Einrichtung K. erfüllt wurde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.