Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.10.2024 – M 18 E 24.5025
Titel:

Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Darlegungspflicht

Normenketten:
SGB VIII § 22a Abs. 4
SGB VIII § 24
SGB IX § 79
SGB IX § 113
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Darlegungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 28869

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
2
Der Antragsteller ist am … … … geboren.
3
Am 4. Mai 2023 beantragten die Eltern des Antragstellers bei der Wohnortgemeinde M. einen Kindergartenplatz. Die Frage, ob auf Grund einer bestehenden körperlichen/geistigen/seelischen Behinderung evtl. ein erhöhter Förderbedarf in der Kindertageseinrichtung bestehe, wurde bejaht und vermerkt „Autismus hat sich nicht bestätigt“.
4
Laut Akten des Antragsgegners erfolgte dort am 18. September 2023 die Kenntnisnahme über die direkte Bedarfsmeldung bezüglich des Antragstellers für das Kindergartenjahr 2023/2024. Dabei wurde vermerkt „bisher in Frühförderstelle, dachte, dass sie HPT Platz bekommen, daher keine Anmeldung erst jetzt in M., evtl. I-Platz“. Als „Ergebnis“ ist festgehalten, dass von der Einrichtung Kinderhaus T. beurteilt werde, ob eine Aufnahme möglich ist.
5
Am 29. September 2023 teilte das Kinderhaus T. dem Antragsgegner die Beobachtungen vom Schnuppertag des Antragstellers in der Einrichtung mit. Dieser komme in einer normal großen Kindergartengruppe nicht zurecht. Er lebe in seiner eigenen Welt, spreche nicht und gebe fortwährend eigenartige Laute von sich. Die Mutter habe dies eingesehen. Eine I-Gruppe sei schwer vorstellbar. Zu denken wäre an HPT bzw. Einrichtung für geistig behinderte Kinder. Der Antragsteller werde nicht aufgenommen und es werde für die Familie um Unterstützung bei der Suche nach einen HPT-Platz gebeten.
6
Am 15. Februar 2024 erhielt der Antragsgegner von der Bedarfsmeldung bzgl. des Antragstellers für das Kindergartenjahr 2024/2025 Kenntnis und vermerkte „lt. KM hat sie von der Frühförderstelle die Empfehlung nach einem I-Platz mit Individualbegleitung zu suchen. HPT-Plätze sind knapp und nicht unbedingt erforderlich“. Als Ergebnis hielt der Antragsgegner fest, der Antragsteller sei im online-System der Wohnortgemeinde für I-Platz gemeldet. Eine Einrichtung habe der Kindsmutter bereits mündlich abgesagt. Die neue Einrichtung Kinderhaus G. bemühe sich um Berücksichtigung.
7
Mit E-Mail vom 15. Februar 2024 teilte der Antragsgegner der Mutter des Antragstellers die Kontaktdaten der Städte O., F. und des Bezirks sowie – für Unterstützung bei der Suche nach der richtigen Betreuungsform – des Familienstützpunkts M. und der Beratungsstelle des Jugendamtes mit.
8
Laut vorläufiger sozialpädiatrischer Stellungnahme des Kinderzentrums M. vom 22. März 2024 liegen beim Antragsteller kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen (F83 G), deutliche Auffälligkeiten im Bereich der Kommunikation, sozialen Interaktion und Kontaktverhalten (F84 V), nicht näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F98.9 V) sowie die drohende Einschränkung der sozialen Teilhabe vor. Spezifische Maßnahmen und Rahmenbedingungen seien notwendig. Der Besuch einer HPT mit gezielter Förderung werde dringend empfohlen. Alternativ werde die Platzierung im Integrationskindergarten, wenn notwendig mit Individualbegleitung, empfohlen.
9
Mit Schreiben vom 29. April 2024 wurde den Eltern des Antragstellers mitgeteilt, dass noch kein Betreuungsplatz vorhanden sei.
10
Am 20. August 2024 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte die Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller einen Betreuungsplatz im Umfang von täglich mindestens fünf Stunden nachzuweisen (M … * …*).
11
Zudem wurde mit Schriftsatz vom selben Tag beantragt,
12
den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung im Umfang von täglich mindestens fünf Stunden montags bis freitags bis zu Schuleintritt nachzuweisen.
13
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestehe erhöhter Förderbedarf. Die Eltern hätten am 2. Februar 2022 einen Antrag auf Vermittlung eines Betreuungsplatzes zum 1. September 2023 gestellt. Mit Schreiben vom 29. April 2024 sei den Eltern mitgeteilt worden, dass derzeit keine Plätze vorhanden seien. Der Vater sei in Vollzeit berufstätig. Die Mutter beabsichtige, ab dem beantragten Betreuungsbeginn in Vollzeit zu arbeiten. In der näheren Umgebung seien keine Verwandten vorhanden, die für eine Betreuung sorgen könnten.
14
Die Wohnortgemeinde M. teilte dem Antragsgegner am 22. August 2024 mit, dass „die HPT den Antragsteller auch abgelehnt habe, da er einen zu hohen Förderungsbedarf hat (evtl. auch Autismus)“. Die weiter für einen I-Platz angedachte Kinderbetreuungseinrichtung Sch. habe mit derselben Begründung auch abgesagt. Den Eltern sei eine Empfehlung an die Kinderhilfe F. gegeben worden.
15
Der Antragsgegner legte die Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 28. August 2024,
16
den Antrag abzuweisen.
17
Zur Begründung wurde ausgeführt, es fehle an einem Anordnungsgrund, da durch den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz keine Nachteile vom Antragsteller abgewendet werden könnten, weil aus tatsächlichen Gründen kein geeigneter Betreuungsplatz vorhanden sei, auf dessen Beschaffung der Antragsgegner verpflichtet werden könnte. Es seien bereits Betreuungsplätze in Regel- und Integrationseinrichtungen angeboten worden, jedoch aufgrund des hohen Förderbedarfs von den Einrichtungsleitungen abgelehnt worden. Der Familie sei empfohlen worden, sich um einen Platz in einem heilpädagogischen Kindergarten zu bewerben. Mangels Zuständigkeit für die heilpädagogische Förderung könne keine Aussage getroffen werden, ob der Antragsteller in einer heilpädagogischen Tagesstätte angemeldet worden sei und weshalb er ggf. auch hier keinen Platz erhalten habe. Beratungsangebote habe die Familie abgebrochen.
18
Am 9. und 18. September 2024 legte die Antragstellerseite zusätzlich zur vorläufigen sozialpädiatrischen Stellungnahme vom 22. März 2024 einen ärztlichen/psychologischen Bericht vom 22. März 2024 bzw. 2. Juni 2024, in dem die schon bekannten Diagnosen genannt werden, vor. Dort wird u.a. ausgeführt, es werde von einem kognitiven Entwicklungsrückstand ausgegangen. Es bestehe eine allgemeine Entwicklungsverzögerung, insbesondere die sprachliche Entwicklung sei deutlich auffällig. Der Antragsteller zeige weiterhin keine aktive Sprache. Er sei motorisch sehr unruhig und extrem reizoffen, zeige geringe Frustrationstoleranz und folge noch oft seinem eigenen Spielryhthmus. Es gelinge ihm nur schlecht, auf soziale Anforderungen einzugehen. Die motorische Entwicklung erscheine weitestgehend altersgerecht. Aufgrund der bisher unklaren Ätiologie sei eine differenzialdiagnostische Abklärung zwischen einer mentalen Entwicklungsstörung und z.B. einer Autismus-Spektrum-Störung noch schwierig. Weitere Verlaufsbeobachtungen und Testungen seien notwendig. Eine pädiatrisch-neurologische Untersuchung sei bisher nicht möglich gewesen. Eine baldige Einleitung von Frühfördermaßnahmen, anfangs über heilpädagogische Einzelförderung sei dringend notwendig. Der Besuch einer HPT mit gezielter Förderung werde dringend empfohlen. Sollte kein HPT-Platz gefunden werden können, werde alternativ die Platzierung im Integrationskindergarten, wenn notwendig mit Individualbegleitung, empfohlen.
19
Am 23. September 2024 teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit, ein Antrag auf eine integrative Tagesstätte sowie eine Individualbegleitung beim Bezirk sei noch nicht gestellt worden, da den Eltern dort mitgeteilt worden sei, dass sie hierfür zunächst einen Kitaplatz benötigten. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass ein I-Platz zuzüglich ggf. Individualbegleitung ausreichend für die Förderung sei.
20
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 nahm der Antragsgegner erneut Stellung und erläuterte, im Februar 2024 seien in zwei verschiedenen HPTs Aufnahmegespräche geführt und festgestellt worden, dass eine Aufnahme mit Individualbegleitung möglich wäre. Aufgrund der aktuellen Belegung habe jedoch kein Platz angeboten werden können. Aufgrund der ärztlichen Berichte und der Beobachtungen in den HPTs werde davon ausgegangen, dass ein heilpädagogischer Betreuungsbedarf bestehe und ein Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII dem Bedarf nicht hinreichend gerecht werden könne. Der Anspruch nach §§ 113, 79 SGB IX gegen den zuständigen Bezirk sei vorrangig. Der Antragsgegner bemühe sich trotzdem, die Familie bestmöglich zu unterstützen und eine Betreuung vor Ort mit Individualbegleitung zu ermöglichen.
21
Mit Beschluss vom 12. September 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
22
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten auch im Verfahren M … * … und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
23
Der Antrag hat keinen Erfolg.
24
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
25
Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatschlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
26
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
27
Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es wurde nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII dem Bedarf des Antragstellers hinreichend gerecht werden kann.
28
Mit dem vorliegenden Verfahren wird der Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII begehrt. Demnach hat ein Kind, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, ohne weitere Voraussetzungen bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Die „Förderung in einer Tageseinrichtung“ steht grundsätzlich allen, also auch Kindern mit Behinderung offen (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; BeckOGK/Etzold, 1.6.2023, SGB VIII § 24 Rn. 47, beck-online). § 22a Abs. 4 SGB VIII sieht dementsprechend – ebenso wie Art. 12 Abs. 1 BayKiBiG – vor, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam gefördert werden sollen, um eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Es ist daher Aufgabe des Antragsgegners im Rahmen seiner Planungsverantwortung dafür zu sorgen, dass auch ausreichend integrative Kindertageseinrichtungen im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayKiBiG zur Verfügung stehen (vgl. VG München, B.v. 27.3.2024 – M 18 E 24.876 – juris Rn. 23 f.; B.v. 22.8.2024 – M 18 E 24.4368 – juris Rn. 29 f.; BeckOK SozR/Winkler SGB VIII § 22a Rn. 16-18).
29
Nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sollen die Kinder in der Kindertageseinrichtung „gefördert“ werden. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII soll sich die Förderung am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethische Herkunft berücksichtigen. Sofern die Bedürfnisse bzw. der Förderbedarf des Kindes im Einzelfall, etwa aufgrund des Vorliegens einer Behinderung, erhöht ist, ist der Anspruch auf Nachweis eines Platzes, der eben diesem individuellen, qualifizierten Bedarf gerecht wird, gerichtet (VG München, B.v. 22.8.2024 – M 18 E 24.4368 – juris Rn. 31; vgl. Rixen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 24 SGB VIII, Stand: 01.08.2022, Rn. 28).
30
Allerdings deckt der Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII nur den „Regelbedarf“, keine behinderungsspezifischen Bedarfe, ab. Kann ein Kind in einer „Regeleinrichtung“ nicht seiner Behinderung entsprechend gefördert werden und steht auch kein geeigneter Platz in einer integrativen/inklusiven Gruppe bzw. Einrichtung zur Verfügung (§ 22a Abs. 4 SGB VIII), hat das Kind nach § 113 SGB IX möglicherweise einen Anspruch auf den Besuch einer Einrichtung, die seinem Bedarf gerecht wird (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; Christian Grube in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. Ergänzungslieferung 2024, § 22a SGB VIII, Rn. 8; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, SGB VIII § 22a Rn. 14, beck-online). Ein Anspruch eines „wesentlich behinderten Kindes“ auf eine gemeinsame Betreuung mit Kindern ohne Behinderung in einer Regeleinrichtung besteht hingegen auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht (NdsOVG, B.v. 15.10.2013 – 4 ME 238/13; Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 21a, beck-online; BVerfG, B.v. 10.2.2006 – 1 BvR 91/06 – juris).
31
Der Antragsteller hat vorliegend nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein Förderbedarf hinreichend durch einen integrativen Betreuungsplatz gedeckt wird und daher ein Anspruch auf den Nachweis eines solchen integrativen Platzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 22a Abs. 4 SGB VIII besteht. Vielmehr ist insoweit der Anspruch nach §§ 113, 79 SGB IX auf Förderung in einer heilpädagogischen Tageseinrichtung vorrangig, § 10 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII i.V.m. Art. 64 Abs. 2 AGSG (vgl. JAmt 2022, 501, beck-online).
32
Es liegt eine vorläufige sozialpädiatrische Stellungnahme vom 22. März 2024 sowie ein ärztlich/psychologischer Bericht vor, wonach der Besuch einer HPT mit gezielter Förderung nicht nur empfohlen wird, sondern „eine teilstationäre Betreuung in einem heilpädagogischen Kindergarten bei der globalen Entwicklungsstörung und deren Auswirkung auf die soziale Integration und die Teilhabe sozialpädiatrisch als dringend indiziert“ angesehen wird. Für den Fall, dass kein HPT-Platz gefunden werden könne, werde alternativ die Platzierung im Integrationskindergarten, wenn notwendig mit Individualbegleitung, empfohlen. Als Diagnosen werden im Wesentlichen kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen (F83 G), deutliche Auffälligkeiten im Bereich der Kommunikation, sozialen Interaktion und Kontaktverhalten (F84 V), nicht näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F98.9 V) genannt. Aus den medizinischen Unterlagen wird auch deutlich, dass eine weitere Diagnostik noch aussteht.
33
Soweit in der vorläufigen sozialpädiatrischen Stellungnahme und im ärztlich/psychologischen Bericht Ausführungen zur geeigneten Betreuungsform gemacht werden, sind diese lediglich als Einschätzungen der Fachärzte zu beurteilen, denen insoweit jedoch keine Fachkompetenz und ihrer Beurteilung keine Bindungswirkung zukommt.
34
Hingegen erscheinen die Ermittlungen durch den Antragsgegner sinnvoll und auch (noch) ausreichend, um den Betreuungsbedarf des Antragstellers insbesondere unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflicht der Antragsseite, § 60 Abs. 1 SGB I, zu ermitteln.
35
Die Leitung der Einrichtung T. teilte am 29. September 2023 dem Antragsgegner mit, der Antragsteller komme in einer normal großen Kindergartengruppe nicht zurecht. Er lebe in seiner eigenen Welt, spreche nicht und gebe fortwährend eigenartige Laute von sich. Auch eine I-Gruppe sei schwer vorstellbar. Es sei eher an HPT bzw. Einrichtung für geistig behinderte Kinder zu denken. Aufgrund der Aussagen der aktuellen medizinischen Unterlagen dürfte nicht davon auszugehen sein, dass sich der Zustand des Antragstellers in der Zwischenzeit entscheidend verbessert hat.
36
Am 22. August 2024 teilte die Wohnortgemeinde dem Antragsgegner mit, dass die HPT den Antragsteller auch abgelehnt habe, da er einen zu hohen Förderungsbedarf habe (evtl. auch Autismus). Die weiter für einen I-Platz angedachte Kinderbetreuungseinrichtung Sch. habe mit derselben Begründung auch abgesagt.
37
Laut Schriftsatz des Antragsgegners vom 1. Oktober 2024 hätten zwei HPTs im Februar 2024 jeweils aufgrund eines Aufnahmegesprächs inkl. Screening eine Aufnahme mit Individualbegleitung als möglich erachtet, könnten aber keinen Platz ab September 2024 anbieten.
38
An weitergehender Glaubhaftmachung dazu, dass die diagnostizierten Entwicklungsstörungen einen Umfang haben, der eine Betreuung und Förderung auf einem Integrationsplatz in einem Kindergarten ggf. mit Individualbegleitung als ausreichend erscheinen lassen, fehlt es.
39
Der Antragsteller hat daher aufgrund seiner besonderen Bedürfnisse keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer regulären Kindertageseinrichtung.
40
Nachdem bislang keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der vorrangig zuständige Bezirk Leistungen der Eingliederungshilfe als Leistungen der sozialen Teilhabe durch Übernahme der Kosten für die Förderung in der heilpädagogischen Tagesstätte ablehnen würde, bedarf es auch keiner Verpflichtung des Antragsgegners zu einer entsprechenden (nachrangigen) Leistung (vgl. auch JAmt 2022, 501 – beck-online).
41
Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass das Jugendamt nach § 9 SGB IX ggf. zu prüfen hat, ob Eingliederungshilfe eher geeignet ist, und auf eine Antragstellung hinzuwirken und bei erkannter Unzuständigkeit den Antrag ggf. fristgerecht weiterzuleiten hat, vgl. § 14 SGB IX (vgl. JAmt 2022, 501, 502 – beck-online).
42
Außerdem wird darauf hingewiesen, dass, sofern der Betreuungsbedarf des Antragstellers ggf. nach einer weiteren Diagnostik durch einen integrativen Betreuungsplatz sichergestellt ist, der Antragsgegner einen geeigneten und zumutbaren inklusiven Betreuungsplatz nachzuweisen hat. Der Antragsgegner kann sich hierbei weder auf fehlende Betreuungskapazitäten (stRspr., vgl. VGH BW, B.v. 23.11.22 – 12 S 2224/22 – juris m.w.N.), noch ohne besondere Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auf vorausgegangene, zwischenzeitlich aber nicht mehr zur Verfügung stehende Betreuungsplätze berufen (vgl. NdsOVG, B.v. 19.7.2022 – 14 ME 277/22 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 8.9.23 – 12 S 790/23 – juris).
43
Mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, kann offenbleiben, ob durch die Antragsseite zudem ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht wurde.
44
Der Antrag war daher abzulehnen.
45
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
46
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.